die wenigen
2) Induktive Gesinnung für die vielen.
1) kommt hinaus auf Ulrichs Geniemoral, die er auf die Menschheit ausdehnt. Sie enthält in sich eine Reihe 866
eigener Probleme. So das nach einem zureichenden Kriterium, das ihrer Möglichkeit, Ordnungsproblem, Problem ihres Archimedischen Punktes und so weiter.
2) Davon ist schon gegeben: a) in der Zeitschilderung die zwischen Geist und Wirklichkeit bestehenden Schwierigkeiten; sie wären zusammenzufassen und dann zu erproben, wie weit sie sich durch die induktive Gesinnung beheben lassen. b) Das, was an der bisherigen Beschreibung der induktiven Gesinnung für alle gilt, c) Zerstreute Ansätze zu einer Sozialpsychologie, eventuell -metaphysik. Ist gleichfalls zusammenzufassen. d) ist zu berücksichtigen und zu fragen, welche Bedeutung die Probleme von 1) in der Anwendung auf 2) annehmen. e) ist vorerst unabhängig davon eine Vorstellung von 2) zu schaffen.
b) Also nächste Aufgabe: Grundnotizen einer Utopie der induktiven Gesinnung für die vielen: Es ist nicht das Wichtigste, Geist zu produzieren, sondern Nahrung, Kleidung, Schutz, Ordnung: das gilt heute noch immer von der Lage der Menschheit. Wir sind noch immer das gefährdete und sich selbst gefährdende Tier.
Ebenso wichtig ist es, die für Nahrung, Kleidung und so weiter nötigen Grundsätze zu produzieren. Nennen wir es in Anlehnung an II36« [gemeint ist Erstausgabe des Romans, bei uns Bd. 2, S. 47] den Geist der Notdurft. (Die Führer sind aber auch nicht aus dem Geist der Notdurft erstanden, sondern sie haben sich selbst gemacht. >
Diesem Zweck dienten (und dienen in der Hauptsache noch) die historischen Wirklichkeits-und Idealbildungen. Also: Herrschaft, Handel, Kirchen u. a. Fraglich n[ota] b[ene]., ob auch Kriege? Nicht übersehen darf werden, daß auch die Ideale und Ideologien diesem Zweck dienen. Heute herrscht beinahe die Auffassung vor, daß sie nur zu diesem Zweck da seien; darin ist der historische Materialismus mit der nationalsozialistischen Propagandatechnik einig.
Es hat sich ein merkwürdiger Zustand ergeben. Über das von Notdurft und Wille Geforderte hinaus erhebt der Geist eigene Ansprüche, und niemand kann sagen, wo sie anfangen und aufhören berechtigt zu sein.
Außerdem sind die der Notdurft dienenden Grundsätze schwankend geworden. Entgegengesetzte materielle Interessen haben entgegengesetzte Ideologien produziert, es hat eine gegenseitige Zersetzung Platz gegriffen.
Außerdem neigen die der Notdurft dienenden Kräfte (meist sind es egoistische, die Altruismus, Einigkeit und andere soziale Tugenden nur von den Unterworfenen oder Geführten fordern) zur Entartung.
Feudalismus, Absolutismus, Kapitalismus. Auch wenn sie nicht entarten (wie vielleicht der Absolutismus der Fürsten der Goethezeit), gelangen sie nach einiger Besitzdauer (und Erlöschen der Triebkräfte, des geschichtlichen Appetits) zum Erlöschen. ([Siehe: ] Glaube darf nur eine Stunde alt werden. Streben nach einem Zustand, der die Gefühle aus sich erneut. Das Leben ist eine dauernde Oszillation zwischen Verlangen und
Überdruß–—, u. a. mit seinen Beziehungen zu den scheinbar abwegigen Fragestellungen Ulrichs. ) Vorläufige Stellung: Eine andere Welt… beherrscht von den Diskussionen, die Ulrich nicht interessieren. Er leugnet ihre Wichtigkeit nicht. Obwohl diese Diskussionen entschieden zu sehr im Übergewicht sind. Er hat aber einen «Feuerkern», den er bewahren muß. Ulrich am Ende seiner Überlegungen: [Siehe: «Warum Ulrich unpolitisch ist»] («Man müßte an allen Ecken beginnen, man weiß nicht wo. Gefühl der Verlassenheit, das zu «anderer Zustand »-Experiment führt. ») Auf diese Welt hat eine Schwankung des Baumwollpreises, eine Senkung des Mehlpreises mehr Einfluß als eine Idee. Ulrich widerstritt dem nicht.
Er ist nur gegen die Vermengung. Aber zum Beispiel Diotima widerstreitet dem, verachtet es! Man könnte trennen zwischen den Gedanken (und Problemen) der Not (ihre Überlegenheit besteht in dem à l[a] b.
[aisse]-Motiv, daß die schönsten Ideen gegen Kälte oder einen wilden Stier ohnmächtig sind. Ohnmacht der Ideen vielleicht auch ein Motiv für Schmeißer) und denen des maximalen Anspruchs, des Laboratoriums, der «fortgesetzten Schöpfung» (wie man sagen könnte) u. a. Das gibt zwei Moralen, denen jede Handlung ganz oder zum Teil unterworfen wird. — —
Zusatz 1: Man könnte sagen: die Probleme der Not sind immer negativ; und sie werden künstlich positiv gemacht. Das muß geschehen, aber es ist die Quelle großen Übels. (Die Unterscheidung von Tu und Tunicht ist nun keine letzte mehr; sowohl die Notmoral wie die (erschlaffende) schöpferische hat beides, wenn auch die eine vielleicht nur pseudo-positiv ist, aber mit wechselnder Erfindungs-und Schöpfungskraft. > Zusatz 2: Das Instrument der Probleme der Not ist der Verstand. Das der Schöpfung: Verstand und Seele.
Die Stellung der Vernunft entspricht der der Kultur. Man könnte auch sagen: denen der Kultur, aber nur 867
sofern Kultur nicht gerade in der Verschmelzung beider Sphären gesehen wird.
Zusatz 3: Zur Moral für die vielen gehört auch: das Mehrseinmüssen, als man ist.
Zusatz 4: Die wirkliche Welt braucht am meisten die Erfindung und Darlegung des «guten Bösen».
Zusatz 5: Auch die Utopie der induktiven Gesinnung wird mit Gott verbunden.
Zusatz 6: Die Ergänzung zu hier ist [folgende] Zeitstudie:
–—Staaten sind wirklich so, daß sie schönen Bedürfnissen
zwar nicht nur Rechnung tragen, sondern auch wirklich gehorchen, die Ideen aber nach der Art affektiver Personen interpretieren. (Hitler wäre also nur ein unverschleierter Fall. > Was spielt da die Rolle des Affekts. Offenbar die den Staatsmännern durch die Verantwortung erstehenden Affekte. Ein Zweck, ein Streben determinieren die Gefühle, und die Gefühle die Argumentation. Verantwortung ist dabei sowohl ein nationaler Egoismus als auch der Partei-und persönliche Egoismus des von seinem Volk abhängigen Politikers. Staaten sind geistig minderwertig.
Eine Frage: Wie kann man Kriege verlieren? (General [von Stumm]: Darin haben wir doch wirklich große Erfahrung!) Früher: Wie konnte sich ein absoluter Herrscher so stark verrechnen, wie es oft geschah?
Falsche Informationen, auch Talentlosigkeit, werden eine Rolle gespielt haben. In der Hauptsache war es aber wohl immer ein Nichtzurückkönnen und die menschliche Eigenschaft, daß man eine entferntere große Gefahr leichter auf sich nimmt als die kleinere aber nahe. Ehe man eine Stadt abtritt, also eher einen Krieg auf sich nimmt, der einen eine Provinz kosten kann. Dann die kollektive Ruhmredigkeit; so groß, wie sie sich kein einzelner leistet, und man kann ihr dann nicht entrinnen. Patriotismus als Affekt statt Vernunft: der Staat wird nicht als Geschäft betrieben, sondern als ein ethisches «Gut». (Aber doch eben auch männliche Affekte!)
Ohne Zweifel geschieht das aber mit Recht. Auffällig ist bloß, daß die moralische Natur des Staates viel unentwickelter geblieben ist als die des Individuums. (Vergleiche: «Unterhaltungen mit Schmeißer» [und die Studien zu «Warum Ulrich unpolitisch ist»]. )
Ein Ausblick: Übergang zum kollektivistischen Weltbild. Parallel damit der Übergang vom Naturgesetz zur statistischen Entwertung des Individuellen. «Ende des Liberalismus» erhält dadurch tiefere Begründung. Versagen von Besitz und Bildung. Vielleicht läßt sich sagen, daß die neuen Staatsaufgaben mit den Begriffen des klassischen Individualismus nicht zu fassen waren.
––-wie Kant sich geirrt hat. Er erwartete, daß es den
Ewigen Frieden fördern werde, wenn man den «Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann», fördere, und es erschien ihm «nichts natürlicher, als daß… sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen», «wenn… die (konstitutionelle) Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ob Krieg sein solle, oder nicht». Wahrscheinlich hätte ihm Goethe beigestimmt, er drückte ja nur das Gefühl des Bürgertums aus, wenn wir zu entscheiden hätten, möchten wir es so, und besser, machen. Daraus ist zu schließen, daß jede Menschenklasse glaubt und sich vornimmt, es besser zu machen. Vergleiche die Versprechungen des Sozialismus. Ideen werden aber nicht verwirklicht und so weiter. Aber es läßt sich auch einfach sagen, daß alle solche Gedanken viel zu abstrakt sind, und die Wirklichkeitsverflechtung viel maschenreicher! Es handelt sich aber nicht nur um Verwässerungen und Abstriche, denn heute gelten der Handelsgeist und die Demokratie als besonders kriegfördernd. Welche Ursachen kann das haben? Nach Tisch hört man es anders. Die Klasse ändert sich und ihre Vorsätze mit dem Besitz der Macht. Dann liegt in der Macht das, was zum Krieg verleitet. (Letzten Endes: die Verbindung mit großen Dingen. — Gegenmittel wäre Askese. Ist der Fachmann aber nicht schon ein Asket?) Man darf aber auch hinzufügen: nicht nur durch die Macht, sondern mehr noch durch ihren «Besitz» tritt die Veränderung ein. Ähnliches Verhältnis wie Liebe vor und nach dem dauernden Besitz. Es liegt im Begehren etwas, das gut macht, das fruchtbar macht und so weiter. (Auch ein Ressentiment aber liegt im Begehren. In der Sozialdemokratie zum Beispiel trat beides nebeneinander zu Tage. ) Die Ursache der Kriegsperiodik kann unabhängig sein von dem Inhalt der Ideologie. Jede Ideologie, auch die pazifistische, führt zum Krieg. Krieg als Flucht aus dem Frieden. Negativwerden der Ideologien und des Lebens. Das Böse als Movens der Welt. Die Leere jedes irdischen Himmels und so weiter. Die Macht könnte aber auch eine positive Attraktion sein. Etwa: Ein Volk macht Geschichte, wenn es Machtmenschen produziert. Oder: Die Produktion von Machtmenschen, die alles ihren Zwecken beugen, ist der Trick der Menschheit, ihre Zwecke zu erfüllen. So Nietzsche. Der Friede wäre dann nur als Erntezeit 868
der Macht berechtigt, ansonsten ein Verfall. Die Nachteile dieser Auffassung folgen wieder aus Verbindung mit großen Dingen. Die Macht macht steril. Das Erstarren der Macht ist noch ärger als das eines anderen Antriebs. Macht als geschichtliches Movens ist äußerst unökonomisch. Kurze Blütezeiten, lange des Streites. (Aber hat sich nicht alle Kultur nur in kurzen Blütezeiten entfaltet? Doch soll ja gerade das geändert werden. > Positiv wirken die hauptsächlich von Nietzsche beschriebenen Tugenden der Macht.
Stolz, Härte, Ausdauer, Mut, Geltenlassen, Neidfreiheit, Großzügigkeit, Gelassenheit und so weiter. Meist sind das auch Tugenden des Geistes. Siehe die Entwicklung des europäischen Geistes aus dem Kriegergeist.
(Siehe die Entmilitarisierung des Europäers seit dem 16. Jahrhundert. ) Diesem wurde (nach Nietzsche) das fremde, vergiftende Element des Christentums zugesetzt. - Es ergeben sich die Fragen: Ist die Sublimation möglich oder bedarf sie zeitweiligen Nachschubs aus dem substantiellen Machtbereich? Ist ein Ausgleich zwischen den beiden Konstituvemien des Geistes möglich? Also doch eine Synthese der Kultur? Kann ich mir etwas ausdenken? Ende ich mit der Unvermeidlichkeit des «Bösen»? Soll man es also lieben?
Vielleicht ergibt sich eine Lösung aus der statistischen Auffassung?–-
Zusatz 7: Die Probleme der Not sind unschöpferisch und der Geist ist ein blühender Baum, der beschnitten werden muß (so Ulrichs Überzeugung. Unbeschnitten wird er zum Cafe Central. ) Letzteres ist die Rechtfertigung der Machtideologie: die nötige Beschneidung könnte aber auch in einer neu konzipierten Moral liegen? Eine Antwort: Es liegt wahrscheinlich wirklich in der Natur des Geistes, daß ihm die Grenzen von außen gesetzt werden müssen. So durch die Tatsachen, mit denen er übereinstimmen muß.
Allgemeiner durch die «Wahrheit», die sozusagen eine Terrorgruppe innerhalb des Geistes ist, ein sehr kleiner Kreis von fester Disziplin und mit weiter Ausstrahlung. Aber auch die Entwicklung der Tatsachenwissenschaften ist historisch bestimmt und durch allerhand Zufälle. Vollends, wo statt Verstand der «Geist» im engeren Sinn dominiert, also der Verstand-Gefühl-Komplex, gelten die nach [Eugen]
Bleuler [schweizer Psychiater] konzipierten Regeln über Schaltkraft der Affekte und so weiter.
Die Möglichkeiten der Neuordnung, an die Ulrich denkt sind:
1) Die geschlossene Ideologie durch eine offene ersetzen. Die drei guten Wahrscheinlichkeiten anstelle der Wahrheit, das offene System
2) der offenen Ideologie doch ein oberstes Gesetz geben: Induktion als Zielsetzung, G. [eneral]s[ekretariat der Genauigkeit und Seele].
3) den Geist nehmen, wie er ist; als etwas Quellendes, Blühendes, das zu keinen festen Resultaten kommt.
Das führt letzten Endes zur Utopie des anderen Lebens.
Nachtrag: Utopie des motivierten Lebens und Utopie des «anderen Zustand» wird ab Tagebuch-Gruppe der Erledigung zugeführt. Als letztes bleibt - in Umkehrung der Reihenfolge - die der induktiven Gesinnung, also des wirklichen Lebens, übrig! Mit ihr schließt das Buch.