Der Lotse geht von Bord

Die Entlassung Bismarcks am 20. März 1890 kommentierte die englische Zeitschrift Punch mit dieser Karikatur unter dem Titel „ Der Lotse geht von Bord” . Zurück an Bord des Staatsschiffes bleibt Kaiser Wilhelm II., der dem scheidenden Kanzler ohne Bedauern und gelassen nachblickt.

Mitte der achtziger Jahre scheiterte das deutsch- österreichisch-russische Bündnis jedoch endgültig an der Balkanfrage; 1887 schloss Bismarck daher den Rückversicherungsvertrag mit Russland, der beide Seiten zur Neutralität im Kriegsfall verpflichtete. Über die Mittelmeerentente von 1887

zwischen Großbritannien, Italien und Österreich näherte sich auch Großbritannien dem Dreibund und damit dem Kaiserreich an. Somit stand das Deutsche Reich mit allen europäischen Großm ächten außer Frankreich in Bündnisbeziehungen.

Obwohl er das Deutsche Reich territorial für saturiert hielt und den Erwerb von Kolonien für das Deutsche Reich zunächst ablehnte, leitete Bismarck doch in den frühen achtziger Jahren u. a. auf innenpolitischen Druck hin eine behutsame, die Interessen der anderen europäischen Kolonialmächte, vor allem Großbritanniens, respektierende Kolonialpolitik ein, die u. a. zum Erwerb der Schutzgebiete Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), Togo, Kamerun und Deutsch-Ostafrika sowie Deutsch-Neuguineas, des Bismarck-Archipels und der Marshall Islands führte ( siehe Deutsche Kolonien).

Die Innenpolitik Bismarcks war zunächst vergleichsweise liberal und wurde im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus von den Liberalen mitgetragen, und zwar sowohl die von der Idee des Freihandels geprägte Wirtschaftspolitik, als auch die Politik des so genannten Kulturkampfes gegen die katholische Kirche und das, was man als ihr politisches Organ ausmachte, die Zentrumspartei. Der liberale Kurs und die Zusammenarbeit mit den Liberalen fanden jedoch nach dem wirtschaftlichen Einbruch im so genannten Gründerkrach von 1873, der auf die wirtschaftliche Hochblüte der Gründerjahre gefolgt war, sukzessive ihr Ende. Bismarck schlug nun einen konservativen, gegen Liberalismus und Parlamentarismus gerichteten innenpolitischen Kurs ein, der sich u. a. im Sozialistengesetz von 1878 und der Einführung von Schutzzöllen 1879 zum Schutz vor allem der preußischen Landwirtschaft und Industrie und deren konservativer Vertreter © 1993-2001 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

 

Deutsche Geschichte

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manifestierte. Die mit dem Sozialistengesetz intendierte Schwächung bzw. Zerschlagung der drei Jahre zuvor gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei gelang jedoch nicht; stattdessen wurde die Arbeiterschaft zunehmend dem Staat entfremdet, woran auch die 1883 eingeleitete, international vorbildliche Bismarck’sche Sozialgesetzgebung wenig ändern konnte.

2 Wilhelm II.

1888 starb Wilhelm I.; ihm folgte sein Sohn Friedrich III. auf den Thron, der Hoffnungsträger des liberalen, reformorientierten Bürgertums. Friedrich, bereits bei der Thronbesteigung todkrank, starb nach nur 99 Tagen Regierungszeit; sein Nachfolger im so genannten Dreikaiserjahr wurde sein Sohn Wilhelm II.

21 Außenpolitik

dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH