Drittes Kapitel
Die persischen Rüstungen -- Alexanders Marsch nach Syrien, über den Euphrat, nach dem Tigris. Schlacht bei Gaugamela -- Marsch nach Babylon -- Besetzung von Susa -- Zug nach Persepolis
Stets ist das stolze Recht des Sieges der Sieg eines höheren Rechts, des Rechts, das die höhere Spannkraft, die überlegene Entwicklung, die treibende Kraft eines neuen zukunftreichen Gedankens gibt. In solchen Siegen vollzieht sich die Kritik dessen, was bisher war und galt, aber nicht weiter führt, mächtig und selbstgewiß schien, aber in sich krank und brüchig ist. Nicht das Herkommen noch das ererbte Recht, nicht Friedlichkeit noch Tugend noch sonstiger persönlicher Wert schützt dann vor der überwältigenden Macht dessen, dem das Verhängnis geschichtlicher Größe zuteil geworden ist. Siegend, solange er zu wagen, zu kämpfen, niederzuwerfen findet, baut er auf, indem er noch zerstört, schafft so eine neue Welt, aber aus den Trümmern, auf dem Trümmerfeld seiner Zerstörungen. Was er besiegt und gebrochen hat, überdauert ihn in seinem Werk.
Die Überlieferungen von Alexanders Geschichte heben mehr oder weniger geflissentlich den Gegensatz zwischen ihm und Dareios, zwischen dem Helden der Tat und dem Helden des Leidens hervor. Sie schildern Dareios als milde, edel, treu, als ein Muster der Ehrerbietung gegen seine Mutter, der Liebe und Herzlichkeit gegen seine Gemahlin und seine Kinder, als den Persern wegen seiner Gerechtigkeit, seiner ritterlichen Tapferkeit, seines königlichen Sinnes hochverehrt. Es mag sein, daß er für ruhige Zeiten ein König gewesen wäre, wie ihn die Throne Asiens selten gesehen; aber von dem Strome der Begebenheiten, dem zu widerstehen vielleicht einem Kambyses oder Ochos gelungen wäre, schon ergriffen, bot er, sich und sein Reich noch zu retten, auch zu unwürdigen und verbrecherischen Plänen die Hand, ohne damit mehr zu erreichen als das lastende Bewußtsein, nicht mehr ohne Schuld an dem zu sein, gegen den er vergebens rang. Und mit der wachsenden Gefahr mehrte sich die Verwirrung, die Haltungslosigkeit und das Unrecht in allem, was er tat oder versuchte; immer dunkler umzog sich die Zukunft für das persische Königtum und dessen gerechte Sache; schon war das Tor gen Asien erbrochen, schon die reichen Satrapien der Küste des Siegers Beute, schon die Grundfeste der Achämenidenmacht erschüttert. Und hätte vielleicht der Großkönig selbst nach seiner milden Art gern das Verlorene verschmerzt und dem Frieden noch größere Opfer gebracht, so sollte ihn, dessen Sinn weniger an Thron und Reich als an Weib und Kind zu hängen schien, das größte Maß des Schmerzes, wie er ihn empfand, die Größe seines Sturzes empfinden lassen.
Dies Motiv ist es, das jene Überlieferungen mit den lebhaftesten Farben ausmalen. Sie heben hervor, daß des Großkönigs Mutter Sisygambis, seine Kinder, seine Gemahlin, die schönste der Frauen Asiens, ihm doppelt teuer, da sie ein Kind unter dem Herzen trägt, Alexanders Gefangene sind. Die Hälfte seines Reiches und ungeheure Schätze bietet Dareios dem Feinde für die Gefangenen, der stolze Feind fordert Unterwerfung oder neuen Kampf. Dann kommt Tireus der Eunuch, der gefangenen Königin Diener, der aus dem Lager des Feindes geflohen ist, zum Dareios, bringt ihm die Trauerbotschaft, die Königin sei in den Geburtswehen gestorben. Da schlägt sich Dareios die Stirn, laut jammernd, daß Stateira tot sei, daß die Königin der Perser selbst der Ehre des Grabes entbehren müsse. Der Eunuch tröstet ihn: weder im Leben noch im Tode habe es ihr der makedonische König vergessen, daß sie eines Königs Gemahlin sei, er habe sie und die Mutter und die Kinder in höchsten Ehren gehalten bis auf diesen Tag, er habe die königliche Leiche mit aller Pracht nach persischer Weise bestatten lassen und mit Tränen ihr Gedächtnis geehrt. Bestürzt fragt Dareios, ob sie keusch, ob sie treu geblieben, ob Alexander sie nicht gezwungen habe zu seinem, wider ihren Willen. Da wirft sich der treue Eunuch ihm zu Füßen, beschwört ihn, nicht das Andenken seiner edlen Herrin zu beschimpfen und sich nicht selbst in seinem endlosen Unglück den letzten Trost zu rauben, den, von einem Feinde überwunden zu sein, der mehr als ein Sterblicher zu sein scheine; er beschwört es mit den höchsten Eiden, daß Stateira treu und keusch gestorben, daß Alexanders Tugend ebenso groß sei wie seine Kühnheit. Dareios hebt die Hände gen Himmel und fleht zu den Göttern: »Wollt mir mein Reich zu erhalten und wieder aufzurichten gewähren, damit ich als Sieger dem Alexandros vergelten kann, was er den Meinen getan; soll ich aber nicht länger Asiens Herr sein, so gebt die Tiara des großen Kyros keinem anderen als ihm.«
Schon war des Großkönigs Aufgebot in alle Satrapien des Reichs gesandt, von dem, wenn auch große, doch im Verhältnis zum Ganzen nicht bedeutende Länderstrecken in Feindesland waren. Ganz Iran, Ariana, Baktrien, alles Land bis zu den Quellen des Euphrat stand noch unberührt; es waren die tapfersten und treuesten Völker Asiens, die nur auf des Königs Befehl warteten, ins Feld zu rücken; was galt Ägypten, Syrien, Kleinasien gegen die ungeheure Länderstrecke vom Taurus bis zum Indus, vom Euphrat bis zum Jaxartes, was der Verlust stets unzuverlässiger Küstenvölker gegen die treuen Meder und Perser, gegen die Reiterschwärme der baktrischen Ebene und die tapferen Bergvölker der kaspischen und kurdischen Gebirge? Waren es nicht seit des ersten Dareios Zeit die jetzt verlorenen Küstenlande und die Bemühungen um die Seeherrschaft, zu denen sie nötigten, so gut wie allein gewesen, die Gefahr und Unheil über das Reich des Kyros gebracht, die Perser zum eigenen Verderben in die ewigen Streitigkeiten der Hellenen verwickelt hatten? Jetzt galt es, das Innere des Morgenlandes zu retten, die hohe Burg Iran zu verteidigen, die Asien beherrscht; jetzt rief der König der Könige die Edlen seines Stammes, die Enkel der sieben Fürsten, die getreuen Satrapen, an der Spitze ihrer Volker für den Ruhm und die Herrschaft Persiens zu kämpfen; in ihre Hand legte er sein Schicksal; nicht hellenische Söldner, nicht hellenische Feldherren und makedonische Flüchtlinge sollten die Eifersucht und das Mißtrauen der Seinen wecken; die wenigen tausend Fremdlinge, die mit ihm von Issos geflüchtet waren, hatte das gemeinsame Unglück mit den Söhnen Asiens vereinigt; ein echt asiatisches Heer sollte dem Heere Europas vor den Bergwällen Irans entgegentreten.
Die Ebene von Babylon war zum Sammelplatz des großen Völkerheeres bestimmt. Aus dem fernsten Asien führte Bessos, der baktrische Satrap, die Baktrier, die Sogdianer, die streitbaren indischen Völker aus dem Berglande des indischen Kaukasus heran; ihm hatten sich das turkestanische Reitervolk der Saker unter Mauakes und die Daer aus der Steppe des Aralsees angeschlossen. Die Völker aus Arachosien und Drangiana und die indischen Bergbewohner der Paravetiberge kamen unter ihrem Satrapen Barsaentes, ihre westlichen Nachbarn aus Areia unter dem Satrapen Satibarzanes, die persischen, hyrkanischen und tapurischen Reiterschwärme aus Chorassan, dem Schwertlande Irans, unter Phrataphernes und seinen Söhnen. Dann die Meder, einst die Herren Asiens, deren Satrap Atropates zugleich die Kadusier, Sakasener und Albaner aus den Tälern des Kur, des Araxes und des Urmea-Sees führte. Von Süden her, von den Küsten des Persischen Meeres, kamen die Völker Gedrosiens und Karmeniens unter Okontobates und Ariobarzanes, dem Sohne des Artabazos, die Perser unter Orxines, aus dem Geschlechte der sieben Fürsten. Die Susianer und Uxier führte Oxyathres, der Sohn des susianischen Satrapen Abulites; die Scharen von Babylon sammelten sich unter Bupales' Befehl, die aus Armenien kamen unter Orontes und Mithraustes, die aus Syrien diesseits und jenseits der Wasser unter Mazaios; selbst aus dem kappadokischen Land, dessen Westen nur der Zug des makedonischen Heeres berührt hatte, kamen Reisige unter ihres Dynasten Ariarathes Führung.
So sammelte sich während des Frühjahrs 331 das Reichsheer des Perserkönigs in Babylon, an vierzigtausend Pferde und Hunderttausende von Menschen, dazu zweihundert Sensenwagen und fünfzehn Elefanten, die vom Indus hergebracht waren. Es heißt, daß gegen die sonstige Gewohnheit von dem Könige für die Bewaffnung des Heeres, namentlich der Reiter, gesorgt worden sei. Vor allem galt es, einen Kriegsplan zu entwerfen, der dem Perserheere möglich machte, mit der ganzen Wucht seiner Massen und dem Ungestüm seiner ungeheuren Reitermacht zu wirken.
Zwei Ströme, der Euphrat und Tigris, durchschneiden in diagonaler Richtung das Tiefland, das sich am Fuße des iranischen Gebirgswalles hinabzieht; über sie führen die Wege von den Küsten des Mittelmeeres zum oberen Asien. Es war ein naheliegender Gedanke, dem Feinde an den Stromübergängen entgegenzutreten; es war verständig, die Hauptmacht des Großkönigs hinter dem Tigris aufzustellen, da dieser einerseits schwerer zu passieren ist, anderseits eine am Euphrat verlorene Schlacht sie nach Armenien geworfen und Babylon, sowie die großen Straßen nach Persis und Medien preisgegeben hätte, wogegen eine Stellung hinter dem Tigris Babylon deckte, eine gewonnene Schlacht den Feind in den weiten Wüstenebenen von Mesopotamien aller Verfolgung preisgab, eine verlorene den Rückzug nach den östlichen Satrapien offenließ. Dareios begnügte sich, an den Euphrat einige tausend Mann unter Mazaios vorauszusenden, um die Passage des Flusses beobachten zu lassen; er selbst ging von Babylon aus in die Gegend von Arbela, einem Hauptorte auf der großen Heerstraße, die weiter jenseits des Lykos zu der großen Ebene von Ninive führt, welche sich westwärts bis an das linke Ufer des reißenden Tigris und nordwärts bis an die Vorhöhen des Zagrosgebirges ausdehnt; dort mochte er, sobald Alexander herankam, an die Ufer des Stromes rücken und ihm den Übergang unmöglich machen wollen.
Während der König Dareios für die Osthälfte seines Reiches an ihrer Schwelle mit allen Streitkräften, die sie aufbringen konnte, zu kämpfen bereit stand, war im fernen Westen der letzte Rest der persischen Macht erlegen.
Was hätte die persische Flotte im hellenischen Meere leisten können, wenn sie zur rechten Zeit agiert, wenn sie die von König Agis im Peloponnes eingeleitete Bewegung mit aller Kraft unterstützt hätte. Aber zögernd, ohne Plan und Entschluß, hatte sie im Sommer 333 den Moment einer entscheidenden Offensive versäumt; und doch blieb sie, schon durch die Absendung der Schiffe, die die Söldner nach Tripolis führten, geschwächt, auch nach der Schlacht von Issos und als schon die phönikische Küste von den Feinden bedroht war, in jenen westlichen Stationen, die nur für die Offensive einen Sinn hatten, statt nach Phönikien zu eilen, den Widerstand von Tyrus zu unterstützen und die unsicheren Kontingente der Flotte beieinander zu halten. Mit dem Frühling 332 segelten die phönikischen, die cyprischen Schiffe heim, aber Pharnabazos und Autophradates blieben mit dem Rest der Flotte im Ägäischen Meer, schon so gering an Macht, daß sie sich nur mit Mühe, nur noch durch die Beihilfe der von ihnen begünstigten oder eingesetzten Tyrannen in dem Besitz von Tenedos, Lesbos, Chios, Kos zu behaupten vermochten. Durch Antipatros' Umsicht und feste Haltung alles Einflusses im übrigen Hellas beraubt, standen sie nur noch mit Agis in unmittelbarer Verbindung; aber die Bewegung, die dieser im Einverständnis mit ihnen im Peloponnes zu erregen gehofft hatte, war durch die allmähliche Auflösung der Seemacht gleichfalls ins Stocken geraten, nur Kreta hatte er durch seinen Bruder besetzen lassen. Indes entwickelte die makedonische Flotte unter den Nauarchen Hegelochos und Amphoteros während des Jahres 332 in den griechischen Gewässern ein so bedeutendes Übergewicht, daß zunächst die Tenedier, die nur gezwungen das Bündnis mit Alexander gegen das persische Joch vertauscht hatten, den Makedonen ihren Hafen öffneten und das frühere Bündnis von neuem proklamierten. Ihrem Beispiele folgten die Chier, die, sobald sich die makedonische Flotte auf ihrer Reede zeigte, gegen die Tyrannen und die persische Besatzung einen Aufstand machten und die Tore öffneten; der persische Admiral Pharnabazos, der damals mit fünfzehn Trieren im Hafen von Chios lag, sowie die Tyrannen der Insel kamen in die Gewalt der Makedonen; und als während der Nacht Aristonikos, der Tyrann von Methymna auf Lesbos, mit einigen Kaperschiffen vor dem Hafen, den er noch in den Händen der Perser glaubte, erschien und einzulaufen begehrte, ließ ihn die makedonische Hafenwache ein, machte dann die Mannschaft der Trieren nieder und brachte den Tyrannen als Gefangenen in die Burg. Immer mehr sank das Ansehen der Perser und ihre Partei; schon hatte auch Rhodus zehn Trieren zur makedonischen Flotte vor Tyros gesandt; jetzt sagten sich auch die Koer von der persischen Sache los; und während Amphoteros mit sechzig Schiffen dorthin abging, wandte sich Hegelochos mit der übrigen Flotte nach Lesbos. Dort hatte sich Chares, dem im Jahre vorher sein Versuch auf Methymna mißglückt war, mit 2000 Söldnern eingefunden, Mytilene besetzt und im Namen des Darius den Herrn zu spielen begonnen; der alte attische Kriegsmann hatte nicht beabsichtigt, ein großes Spiel zu wagen, er kapitulierte auf freien Abzug, zog mit seinen Kriegsleuten nach der attischen Insel Imbros, später nach Tänaron, dem großen Söldnermarkt. Die Übergabe Mytilenes gab auch den anderen Städten der Insel den Mut, frei zu sein; sie erneuten ihre demokratische Verfassung. Dann segelte Hegelochos südwärts nach Kos, das sich bereits in Amphoteros' Händen befand. Nur Kreta war noch von den Lakedämoniern besetzt; Amphoteros übernahm ihre Unterwerfung und segelte mit einem Teil der Flotte dorthin ab, mit dem anderen ging Hegelochos nach Ägypten, um selbst die Meldung von dem Ausgang des Kampfes gegen die persische Seemacht zu überbringen, zugleich die Gefangenen abzuliefern, alle bis auf Pharnabazos, der auf der Insel Kos zu entweichen Gelegenheit gefunden hatte. Alexander befahl, die Tyrannen den Gemeinden, die sie geknechtet hatten, zum Gericht zurückzusenden; diejenigen aber, welche die Insel Chios an Memnon verraten hatten, wurden mit einer starken Eskorte nach der Nilinsel Elephantine, den südlichsten Grenzposten des Reiches, ins Elend geschickt.
So war mit dem Ausgang des Jahres 332 der letzte Rest einer persischen Seemacht, die das makedonische Heer im Rücken zu gefährden und dessen Bewegungen zu hindern vermocht hätte, vernichtet. Die Reihe von Waffenplätzen, die sich vom thrakischen Bosporus über die Küsten Kleinasiens und Syriens bis zu dem neugegründeten Alexandreia hin erstreckte, diente ebensosehr zur vollkommenen Behauptung der unterworfenen Lande, wie sie für die weiteren Unternehmungen nach Osten eine breite Basis gab. Der neue Feldzug sollte in eine neue und fremde Welt und unter Völker führen, denen die hellenische Weise fremd, das freie Verhältnis der Makedonen zu ihrem Fürsten unverständlich, denen der König ein Wesen höherer Art war. Wie hätte Alexander verkennen können, daß die Völker, die er zu einem Reiche zu vereinen gedachte, ihre Einheit zunächst nur in ihm finden würden und erkennen mußten. Und wenn ihn der heilige Schild von Ilion als den hellenischen Helden bezeichnete, wenn die Völker Kleinasiens in dem Löser des Gordischen Knotens den verheißenen Überwinder Asiens erkannten, wenn in dem Heraklesopfer zu Tyros und der Feier im Phthatempel zu Memphis der siegende Fremdling sich mit den besiegten Völkern und ihrer heiligsten Sitte versöhnt hatte, so sollte ihn jetzt in das Innere des Morgenlandes eine geheimere Weihe, eine höhere Verheißung begleiten, in der die Völker ihn als den zum König der Könige, zum Herrn von Aufgang bis Niedergang Erkorenen erkennen mochten.
In der weiten Einöde Libyens, an deren Eingang das verwitterte Felsenbild der hütenden Sphinx und die halbversandeten Pyramiden der Pharaonen stehen, in dieser einsamen, totenstillen Wüste, die sich vom Saume des Niltales abendwärts in unabsehbarer Ferne erstreckt, und mit deren Flugsand ein glühender Mittagswind die mühsame Spur des Kamels verweht, liegt wie im Meere ein grünes Eiland, von hohen Palmen überschattet, von Quellen und Bächen und dem Tau des Himmels getränkt, die letzte Stätte des Lebens für die rings ersterbende Natur, der letzte Ruheplatz für den Wanderer in der Wüste; unter den Palmen der Oase steht der Tempel des geheimnisvollen Gottes, der einst auf heiligem Kahne vom Lande der Äthiopen zum hunderttorigen Theben gekommen, der von Theben durch die Wüste gezogen war, auf der Oase zu ruhen und dem suchenden Sohne sich kundzutun in geheimnisvoller Gestalt. Ein frommes priesterliches Geschlecht wohnte um den Tempel des Gottes, fern von der Welt, in heiliger Einsamkeit, in der Ammon Zeus, der Gott des Lebens, nahe war; sie lebten für seinen Dienst und für die Verkündigung seiner Orakel, die zu hören die Volker nah und fern heilige Boten und Geschenke sandten. Zu dem Tempel in der Wüste beschloß der makedonische König zu ziehen, um große Dinge den großen Gott zu fragen.
Was aber wollte er fragen? Seine Makedonen erzählten sich wunderbare Geschichten aus früherer Zeit; damals von wenigen geglaubt, von vielen verlacht, von allen gekannt, waren sie durch diesen Zug von neuem angeregt worden; man erinnerte sich der nächtlichen Orgien, die Olympias in den Bergen der Heimat feierte; man wußte von ihren Zauberkünsten, um deren willen sie König Philipp verstoßen; er habe sie einst in ihrem Schlafgemach belauscht und einen Drachen in ihrem Schoß gesehen; vertraute Männer, die er nach Delphi geschickt, hätten ihm des Gottes Antwort gebracht: er möge dem Ammon Zeus opfern und ihn vor allen Göttern ehren. Man meinte, auch Herakles sei einer sterblichen Mutter Sohn gewesen; man wollte wissen, daß Olympias ihrem Sohne auf dem Wege zum Hellespont das Geheimnis seiner Geburt vertraut habe. Andere hielten dafür, der König wolle für seinen weiteren Zug Gottes Rat erfragen, wie ja auch Herakles getan, als er nach dem Riesen Antäos ausgezogen und Perseus, ehe er die Fahrt zu den Gorgonen unternommen; beide seien des Königs Ahnherren, deren Beispiel er gern nachahme. Was er wirklich wollte, erfuhr niemand; nur wenige Truppen sollten ihm folgen.
Von Alexandreia brach der Zug auf und wandte sich zunächst längs der Meeresküste gen Paraitonion, der ersten Ortschaft der Kyrenaier, die Gesandte und Geschenke -- 300 Kriegsrosse und 5 Viergespanne -- sandten und um ein Bündnis mit dem Könige baten, das ihnen gewährt wurde. Von hier führte der Weg südwärts durch wüste Sandstrecken, über deren eintönigen Horizont kein Baum, kein Hügel hervorragt; den Tag hindurch heiße Luft voll feinen Staubes; der Sand oft so lose, daß jeder Schritt unsicher war; nirgends ein Grasplatz zum Ruhen, nirgends ein Brunnen oder Quell, der den brennenden Durst hätte stillen können; -- Regenwolken, die bald, ein Geschenk der Jahreszeit, wiederholentlich Erquickung gaben, galten für eine Wundergabe des Gottes in der Wüste. So zog man weiter; keine Spur bezeichnete den Weg, und die niedrigen Dünen in diesem Sandmeer, die mit jedem Winde Ort und Form wechseln, vermehrten nur die Verwirrung der Führer, die schon die Richtung zur Oase nicht mehr zu finden wußten; -- da zeigten sich an der Spitze des Zuges ein paar Raben, sie erschienen wie Boten des Gottes, und Alexander befahl, im Vertrauen auf den Gott, ihnen zu folgen. Mit lautem Krähen flogen sie davon, sie rasteten mit dem Zuge, sie flatterten weiter, wenn das Heer weiter zog. Endlich zeigten sich die Wipfel der Palmen, und die schöne Oase des Ammon empfing den Zug des Königs.
Alexander war überrascht von der Heiterkeit dieses heiligen Bezirkes, der, reich an Oliven und Datteln, an kristallinischem Salz und heilsamen Quellen, von der Natur zu dem frommen Dienste des Gottes und dem stillen Leben seiner Priester bestimmt schien. Als der König darauf, so wird erzählt, das Orakel zu hören verlangte, begrüßte der Älteste unter den Priestern ihn in dem Vorhofe des Tempels, gebot dann seinen Begleitern allen, draußen zu verweilen und führte ihn in die Zelle des Gottes; nach einer kleinen Weile kam Alexander heiteren Angesichtes zurück und versicherte, die Antwort sei ganz nach seinem Wunsche ausgefallen. Dasselbe soll er in einem Briefe an seine Mutter wiederholt haben: wenn er sie wieder sähe bei seiner Rückkehr wolle er ihr die geheimen Orakel, die er empfangen, mitteilen. Dann beschenkte er den Tempel und die gastfreundlichen Bewohner der Oase auf das reichlichste und kehrte nach Memphis in Ägypten zurück.
Alexander hatte die Antwort des Gottes verschwiegen, desto lebhafter war die Neugier oder Teilnahme seiner Makedonen; die mit im Ammonion gewesen waren, erzählen Wunderbares von jenen Tagen; des Oberpriesters erster Gruß, den sie gehört hätten, sei gewesen: »Heil dir, o Sohn!« und der König habe erwidert: »O Vater, so sei es; dein Sohn will ich sein, gib mir die Herrschaft der Welt!« Andere verlachten diese Märchen; der Priester habe Griechisch reden und den König mit der Formel »Paidion« anreden wollen, statt dessen aber, mit einem Sprachfehler »Paidios« gesetzt, was man wahrlich für »Sohn des Zeus« nehmen könne. Schließlich galt als das Sichere über diesen Vorgang: Alexander habe Gott gefragt, ob alle, die an seines Vaters Tod schuld hätten, gestraft seien; darauf sei geantwortet: er möge besser seine Worte wägen, nimmermehr werde ein Sterblicher den verletzen, der ihn gezeugt; wohl aber seien die Mörder Philipps des Makedonenkönigs alle gestraft. Und zum zweiten habe Alexander gefragt, ob er seine Feinde besiegen werde, und der Gott habe geantwortet: ihm sei die Herrschaft der Welt bestimmt, er werde siegen, bis er zu den Göttern heimgehe. Diese und ähnliche Erzählungen, die Alexander weder bestätigte noch widerrief, dienten dazu, um seine Person ein Geheimnis zu verbreiten, das dem Glauben der Völker an ihn und seine Sendung Reiz und Gewißheit lieh und den aufgeklärten Hellenen nicht seltsamer zu scheinen brauchte als des Herakleitos Wort, daß die Götter unsterbliche Menschen, die Menschen sterbliche Götter seien, nicht seltsamer als der Heroenkult der Gründer in den neueren wie älteren Kolonien oder die Altäre und Festdienste die vor zwei Menschenaltern dem Spartaner Lysandros gewidmet worden waren.
Es läge nahe, an dieser Stelle noch eine andere Frage aufzuwerfen, diejenige, mit der man doch erst den Kern der Sache treffen würde. Wie hat sich Alexander den Zweck dieses Zuges ins Ammonion, die geheinmisvollen Vorgänge in dem Tempel dort gedacht? Hat er die Welt täuschen wollen? Hat er selbst geglaubt, was er sie wollte glauben machen? Hat er, sonst so klaren und freien Sinnes, seines Wollens und Könnens so gewiß, Momente innerer Unsicherheit gehabt, in denen sein Gemüt eine Stütze, einen Ruhepunkt in dem Überirdischen suchte? Man sieht, es handelt sich bei dieser Frage um die religiösen und sittlichen Voraussetzungen, unter denen das Wollen und Handeln dieses leidenschaftlichen Charakters stand, um das innerste Wesen seiner Persönlichkeit, man könnte sagen, um sein Gewissen. Ganz verstehen könnte man ihn nur von diesem Mittelpunkt seines Wesens aus, zu dem das, was er tut und schafft, nur die Peripherie ist, nur Stücke der Peripherie, von denen uns in der Überlieferung nur Fragmente erhalten sind. Dem Poeten steht es zu, zu der Handlung, die er darstellt, die Charaktere so zu dichten, daß sich aus ihnen erklärt, was sie tun und leiden. Die historische Forschung steht unter einem anderen Gesetz; auch sie sucht von den Gestalten, deren geschichtliche Bedeutung sie zu verfolgen hat, ein möglichst klares und begründendes Bild zu gewinnen; sie beobachtet, soweit ihre Materialien es gestatten, deren Tätigkeiten, Begabungen, Tendenzen; aber sie dringt nicht bis zu der Stelle, wo alle diese Momente ihren Quell, ihren Impuls, ihre Norm haben. Das tiefinnerste Geheimnis der Seele zu finden, damit den sittlichen Wert, das will sagen, den ganzen Wert der Person richtend zu bestimmen, hat sie keine Methoden und keine Kompetenz. Genug, daß sie für die Lücken, die ihr so bleiben, eine Art von Ersatz hat, indem sie die Persönlichkeiten in einem anderen Zusammenhang als dem, wo ihr sittlicher Wert liegt, in dem ihres Verhältnisses zu den großen geschichtlichen Entwicklungen, ihres Anteils an überdauernden Leistungen und Schöpfungen, in ihrer Kraft oder Schwäche, ihren Plänen und Veranstaltungen, ihrer Begabung und Energie, dieselben zu ermöglichen, auffaßt und sie da nach ihrer Bedeutung einreiht, übt sie die Gerechtigkeit, die ihr zusteht, und gewährt sie ein Verständnis, das nicht tiefer, aber weiter und freier ist, als jenes nur psychologische.
Wenigstens berührt mag hier ein Punkt werden, in dem sich bedeutsame Linien zu kreuzen scheinen.
Seit jenem merkwürdigen Ausspruch des Herakleitos, seit dem Äschyleischen »in vielen Namen eine Gestalt«, haben die Dichter und Denker der hellenischen Welt nicht aufgehört, in den vielen Göttergestalten und deren Mythen, die ihrem Volke Religion waren, den tieferen Sinn zu suchen und in ihm die Rechtfertigung ihres Glaubens zu finden. Man weiß, bis zu welchen Punkten Aristoteles diese Fragen vertieft hat. Alexander wird nicht bloß dessen populären Dialog gelesen haben, in dem er schildert, wie ein Blick in die Herrlichkeit der Welt und die ewige Bewegung der Gestirne dem, der sie zum erstenmal sehe, die Überzeugung geben würde, »daß wirklich Götter seien, daß so Staunenswürdiges ihr Wirken und Werk sei«. Aus des großen Denkers Vorträgen mag auch er die Überzeugung gewonnen haben, daß die frühe Vorzeit den Himmel und die Gestirne, die sich in ewigen Sphären an ihm bewegen, als Gottheiten angeschaut, deren Tun und Wirken »in mythischer Gestalt« ausgesprochen habe, daß »zur Überredung der vielen sowie um der Gesetze und des Gebrauches willen« diese Mythen beibehalten, auch weiterausgeführt und Wunderliches hinzugefügt worden sei, daß aber die wahre Gottheit, das »Unbewegt-Bewegende«, das »nicht durch andere Ursache als sich selbst Gewordene«, ohne Stoff, ohne Teile, ohne Vielheit sei, reine Form, reiner Geist, sich selbst denkend, bewegend ohne zu handeln und zu bilden, zu dem sich alles »aus Sehnsucht« bewegt als dem ewig Guten, dem höchsten Zweck.
Wie nun, wenn Alexander im Ammonion einer Gotteslehre, einer Symbolik begegnete, die, in ähnlichen Spekulationen sich vertiefend, zugleich die Gewißheit des Jenseits, seines Gerichtes und seiner Verklärungen, die Pflichten und die Ordnung des Lebens hienieden, das darauf Vorbereitung sei, das Wesen des Priestertums und des Königtums zu einem großen und in sich geschlossenen System zu verbinden verstanden hatte? Schon Monumente aus der alten Pharaonenzeit sprechen von »dem Gott, der sich selbst zum Gott gemacht hat, der durch sich selbst besteht, dem einzigen nicht erzeugten Erzeuger im Himmel und auf Erden, dem Herrn der seienden und nicht seienden Wesen«. Und daß diese Gedanken in voller Lebendigkeit bewahrt und vielleicht weitergeführt worden sind, lehrt eine denkwürdige Inschrift aus Dareios' II. Zeit und zu seinen Ehren; da ist Ammon-Ra der Gott, der sich selbst erzeugte, der sich offenbart in allem, was da ist, der von Anbeginn war und das Bleibende ist in allem, was da ist; die anderen Götter sind wie Prädikate für ihn, wie Tätigkeiten von ihm: »Es sind die Götter in deinen Händen und die Menschen zu deinen Füßen; du bist der Himmel, du bist die Tiefe; die Menschen preisen dich als den Unermüdlichen in der Sorge für sie; dir sind ihre Werke geheiligt.« Dann folgt das Gebet für den König: »Laß glücklich sein deinen Sohn, der da sitzet auf deinem Thron, mach' ihn dir ähnlich, laß als König ihn herrschen in deinen Würden; und wie deine Gestalt ist segenspendend, wenn du dich erhebest als Ra, so ist das Wirken deines Sohnes nach deinem Wunsch, Dareios, der ewig lebe; die Furcht vor ihm, die Achtung vor ihm, seines Ruhmes Glanz, sie seien im Herzen aller Menschen in jedem Lande, wie die Furcht vor dir, die Achtung vor dir im Herzen der Götter und Menschen weilt.«
Wenn die Priester des Ammonion Alexander als Sohn des Ammon-Ra, als Zeus-Helios begrüßt haben, so taten sie es in der vollen Wahrhaftigkeit ihrer religiösen Überzeugung und der tieferen Symbolik, in der sie ihre Gotteslehre faßten. Alexander, so wird erzählt, habe die Darlegungen des Priesters Psammon, des »Philosophen«, mit Aufmerksamkeit angehört, namentlich: daß jeder Mensch von einem Gott regiert werde (+basileuontai hypo theou+), denn das in jedem Herrschende und Mächtige sei göttlich; dem habe Alexander entgegnet: allerdings sei der gemeinsame Vater aller Menschen Gott (+ton theon+), aber die Besten wähle er sich zu besonderer Kindschaft.
Und nun zurück zu dem Zusammenhang der historischen Ereignisse, deren mit dem Frühling 331 eine neue bedeutsame Reihe beginnen sollte.
Nach Memphis zurückgekehrt, fand Alexander zahlreiche Gesandtschaften aus den hellenischen Landen, deren keine ohne geneigtes Gehör und möglichste Erfüllung ihrer Anträge in die Heimat zurückkehrte. Mit ihnen zugleich waren neue Truppen angekommen, namentlich vierhundert Mann hellenische Söldner unter Menidas und fünfhundert thrakische Reiter unter Asklepiodoros, und wie es scheint noch einige tausend Mann Fußvolk, die sofort in das Heer eingereiht wurden, welches schon in den Rüstungen zum Aufbruch begriffen war. Dann ordnete Alexander die Verwaltung des ägyptischen Landes mit besonderer Vorsicht, namentlich darauf bedacht, durch Zerlegung der amtlichen Befugnisse die Vereinigung zu großer Macht in einer Hand zu vermeiden, die bei der militärischen Bedeutung dieser großen Satrapie und den reichen Machtelementen in ihr nicht ohne Gefahr gewesen wäre. Peukestas, des Makartatos Sohn, und Balakros, des Amyntas Sohn, erhielten die Strategie des Landes und den Befehl über die dort zurückbleibenden Truppen mit Einschluß der Besatzungen von Pelusion und Memphis, im ganzen etwa viertausend Mann, den Befehl über die Flotte von dreißig Trieren der Nauarch Polemon; die in Ägypten ansässigen oder einwandernden Griechen wurden unter eine besondere Behörde gestellt; die ägyptischen Kreise oder Nomen behielten ihre alten Nomarchen, mit der Bestimmung, an diese nach der früheren Taxe ihre Abgaben einzuzahlen; die Oberaufsicht über die sämtlichen rein ägyptischen Kreise wurde anfangs zwei, dann einem Ägypter, sowie die über die libyschen Kreise einem griechischen Manne übertragen; der Verwalter der arabischen Kreise, Kleomenes, der, ein Grieche aus Naukratis in Ägypten, die Sprache und Sitten des Landes kannte, erhielt zugleich die Weisung, die von den Nomarchen aller Kreise gesammelten Tribute in Empfang zu nehmen, sowie ihm auch insbesondere die Sorge für den Bau der Stadt Alexandreia übertragen wurde.
Nach diesen Einrichtungen, nach einer Reihe von Beförderungen in der Armee, nach neuen Festlichkeiten in Memphis und einem feierlichen Opfer, das Zeus dem Könige dargebracht wurde, brach Alexander mit dem Frühling 331 nach Phönikien auf; zugleich mit ihm traf die Flotte in dem Hafen von Tyrus ein. Die kurze Zeit, die der König hier verweilte, verging unter großen und prächtigen Festlichkeiten nach hellenischem Brauch; zu den Opfern, die im Heraklestempel gefeiert wurden, hielt das Heer Wettkämpfe aller Art; die berühmtesten Schauspieler der hellenischen Städte waren berufen, diese Tage zu verherrlichen, und die kyprischen Könige, die nach griechischer Sitte die Chöre stellten und schmückten, wetteiferten an Pracht und Geschmack miteinander. Dann lief die attische Tetrere Paralia, die stets nur in heiligen oder besonders wichtigen Angelegenheiten gesendet wurde, in den Hafen der Stadt ein; die Gesandten, die sie brachte, kamen, dem Könige Glück zu wünschen und die unverbrüchlichste Treue ihrer Vaterstadt zu versichern, eine Aufmerksamkeit, die Alexander mit der Freilassung der am Granikos gefangenen Athener erwiderte.
Es galt, für eine lange Abwesenheit von den westlichen Landen Fürsorge zu treffen. Bis auf Sparta und Kreta war in Hellas alles in Ruhe; nur daß noch zahlreiche Seeräuber, die Nachwirkung der persischen Unternehmungen, die Meere unsicher machten. Amphoteros erhielt Befehl, die Austreibung der spartanischen und persischen Besatzungen aus Kreta zu beschleunigen, dann auf die Seeräuber Jagd zu machen, den Peloponnesiern, die etwa von Sparta aus bedrängt werden könnten, Hilfe und Schutz zu bieten; die Cyprier und Phoinikier wurden angewiesen, ihm hundert Schiffe nach dem Peloponnes nachzusenden. Zu gleicher Zeit wurden einige Veränderungen in der Verwaltung der bisher unterworfenen Länder vorgenommen; es wurde nach Lydien an die Stelle des Satrapen Asandros, der auf Werbung nach Griechenland ging, der Magnesier Menandros von den Hetären gesandt, an dessen Stelle Klearchos den Befehl über die fremden Völker erhielt; es wurde die Satrapie Syriens von Memnon, der nicht mit der gehörigen Sorgfalt für die Bedürfnisse des durch seine Provinz ziehenden Heeres gesorgt hatte, auf den jüngst angekommenen Asklepiodoros übertragen, zugleich diesem der unmittelbare Befehl über das Land des Jordan, dessen bisheriger Befehlshaber Andromachos von den Samaritanern erschlagen worden war, und die Bestrafung der Samaritaner übertragen. Endlich wurde die Finanzverwaltung in der Art geordnet, daß die Generalkasse, die bisher mit der Kriegskasse vereinigt gewesen war, von derselben getrennt und, wie schon für Ägypten geschehen war, so für Syrien und Kleinasien bis zum Tauros je eine besondere Hauptkasse eingerichtet wurde. Für die Satrapien westwärts vom Tauros erhielt dies Amt Philoxenos, für die syrischen Länder mit Einschluß der phönikischen Städte Koiranos, wogegen die Verwaltung der Kriegskasse an den reuigen Harpalos gegeben wurde, dem der König aus alter Freundschaft oder aus politischen Rücksichten verzieh, was er getan hatte.
Dann endlich brach das Heer von Tyros auf und zog die große Heerstraße am Orontes hinab, vielleicht auf dem Marsche durch Zuzüge aus den kleinasiatischen Besatzungen verstärkt, dem Euphrat zu; etwa 40 000 Mann Fußvolk und 7000 Reiter stark, erreichte es um den Anfang August Thapsakos, den gewöhnlichen Übergangsort. Eine Abteilung Makedonen war vorausgesandt worden, zwei Brücken über den Strom zu schlagen; sie waren noch nicht ganz vollendet, denn das jenseitige Ufer hatte der Perser Mazaios, mit etwa 10 000 Mann zur Deckung des Flusses abgesandt, bisher besetzt gehalten, so daß es für die viel schwächere makedonische Vorhut zu gewagt gewesen wäre, die Brücken bis an das jenseitige Ufer fortzuführen. Beim Anrücken der ganzen Armee zog sich Mazaios eilends zurück; zu schwach, um den Posten gegen Alexanders Übermacht zu behaupten, hätte er, seine Truppen aufopfernd, höchstens das Vorrücken der Feinde in etwas verzögern können, was für den Großkönig, dessen Rüstungen bereits vollendet waren, kein erheblicher Gewinn gewesen wäre.
Alexander ließ sofort den Bau beider Brücken vollenden und sein Heer auf das Ostufer des Euphrat hinüberrücken. Selbst wenn er vermutete, daß das persische Heer in der Ebene von Babylon, in der es sich gesammelt hatte, zum Kampfe und zur Verteidigung der Reichsstadt bereitstand, durfte er nicht, wie siebzig Jahre früher die Zehntausend, den Weg längs des Euphrat, den jene genommen hatten, einschlagen. Die Wüsten, durch welche derselbe führt, wären in der Hitze des Sommers doppelt mühselig gewesen, und die Verpflegung eines so bedeutenden Heeres hätte die größten Schwierigkeiten gehabt. Er wählte die große nördliche Straße, welche nordostwärts über Nisibis durch das kühlere und weidenreiche Hügelland, das die Makedonen später Mygdonien nannten, an den Tigris und dann an der linken Seite des Stromes hinab in die Ebene von Babylon führt.
Da brachte man eines Tages einige der feindlichen Reiter, die in der Gegend umherschwärmten, gefangen vor den König; sie sagten aus: daß Dareios bereits von Babylon aufgebrochen sei und auf dem linken Ufer des Tigris stehe, entschlossen, seinem Gegner mit aller Kraft den Übergang über den Strom zu wehren; seine jetzige Macht sei viel größer als die in den issischen Pässen; sie selbst wären auf Kundschaft ausgesandt, damit sich das Perserheer zur rechten Zeit und am rechten Orte den Makedonen gegenüber am Tigris aufstellen könne.
Alexander durfte nicht wagen, einen so breiten und reißenden Strom, wie den Tigris, unter den Pfeilen der Feinde zu überschreiten; er mußte erwarten, daß Dareios die Gegend von Ninive, wo der gewöhnliche Heerweg über den Strom führt, besetzt halten werde; es kam alles darauf an, möglichst bald auf derselben Seite des Stromes mit dem Feinde zu sein; es galt, den Übergang unbemerkt zu bewerkstelligen. Alexander veränderte sofort die Marschroute und ging, während ihn Dareios auf der weiten Ebene der Trümmer von Ninive erwartete, nordöstlich in Eilmärschen auf Bedzabde. Kein Feind war in der Nähe, die Truppen begannen den sehr reißenden Strom zu durchwaten; mit der größten Anstrengung, doch ohne weiteren Verlust, gewannen sie das östliche Ufer. Alexander gewährte seinen erschöpften Truppen einen Tag Ruhe; sie lagerten sich längs den bergigen Ufern des Stromes.
Das war am 20. September. Der Abend kam, die ersten Nachtwachen rückten auf ihre Posten am Fluß und auf den Bergen; der Mond erhellte die Gegend, die vielen den makedonischen Berglanden ähnlich schien; da begann sich das Licht des Vollmondes zu verdunkeln; bald war die Scheibe des hellen Gestirnes völlig in Dunkel gehüllt. Es schien ein großes Zeichen der Götter; besorgt traten die Kriegsleute aus ihren Zelten; viele fürchteten, daß die Götter zürnten; andere erinnerten, daß, als Xerxes gegen Griechenland gezogen, seine Magier die Sonnenfinsternis, die er in Sardes gesehen, dahin gedeutet hätten, daß die Sonne das Gestirn der Hellenen, der Mond das der Perser sei; jetzt verhüllten die Götter das Gestirn der Perser, zum Zeichen ihres baldigen Unterganges. Dem Könige selbst deutete der zeichenkundige Aristandros: das Ereignis sei zu seinen Gunsten, noch in demselben Monate werde es zur Schlacht kommen. Dann opferte Alexander dem Mond, der Sonne, der Erde, und auch die Opferzeichen verhießen Sieg. Mit Anbruch des Morgens brach das Heer auf, um dem Heere der Perser zu begegnen.
In südlicher Richtung, auf der linken Seite die Vorhöhen der gordyäischen Gebirge, auf der rechten den reißenden Tigris zog das makedonische Heer weiter, ohne auf eine Spur der Feinde zu stoßen. Endlich am 24. wurde von der Vorhut gemeldet, im Blachfelde zeige sich feindliche Reiterei, wie stark, lasse sich nicht erkennen. Das Heer wurde rasch geordnet und rückte zum Kampf fertig vor. Bald kam die weitere Meldung: man könne die Zahl der Feinde auf ungefähr tausend Pferde schätzen. Alexander ließ die königliche und eine andere Ile Hetairen und von den leichten Reitern (den Plänklern) die Paionen aufsitzen und eilte mit ihnen, indem er dem übrige Heere langsam nachzurücken befahl, dem Feinde entgegen. Sobald ihn die Perser heransprengen sahen, jagten sie mit verhängtem Zügel davon; Alexander setzte ihnen nach, die meisten entkamen, manche stürzten, sie wurden niedergehauen, einige gefangen. Vor Alexander gebracht, sagten sie aus, daß Dareios nicht weit südwärts bei Gaugamela an dem Flusse Bumodos, in einer nach allen Seiten hin ebenen Gegend stehe, daß sein Heer sich wohl auf eine Million Menschen und mehr als vierzigtausend Pferde belaufe, daß sie selbst unter Mazäos auf Kundschaft gesandt gewesen seien. Sofort machte Alexander halt; ein Lager wurde am Hasser aufgeschlagen und sorgfältig verschanzt; in der Nähe einer so ungeheuren Übermacht war die größte Vorsicht geboten; vier Tage Rast, die den Truppen gegönnt wurden, reichten hin, alles zur entscheidenden Schlacht vorzubereiten.
Da sich weiter keine feindlichen Truppen zeigten, so war vorauszusetzen, daß Dareios eine für seine Streitkräfte günstige Gegend besetzt habe und sich nicht wie früher durch das Zögern seiner Feinde und seine eigene Ungeduld in ein ihm ungelegenes Terrain hinauslocken lassen wolle. Alexander beschloß deshalb, ihm entgegenzurücken. Während alle unnötige Bagage und die zum Kampf untauglichen Leute im Lager zurückblieben, brach das Heer in der Nacht vom 29. zum 30. September etwa um die zweite Nachtwache, auf. Gegen Morgen erreichte man die letzten Hügel; man war dem Feind auf sechzig Stadien nahe, aber die Hügel, die man vor sich hatte, entzogen ihn noch dem Blick. Dreißig Stadien weiter, als das Heer über jene Hügel kam, sah Alexander in der weiten Ebene, etwa eine Stunde entfernt, die dunklen Massen der feindlichen Linie. Er ließ seine Kolonnen haltmachen, berief die Freunde, die Strategen, die Ilarchen, die Anführer der Bundesgenossen und Soldtruppen und legte ihnen die Frage vor, ob man sofort angreifen oder an Ort und Stelle sich lagern und verschanzen und das Schlachtfeld zuvor rekognoszieren solle? Die meisten waren dafür, das Heer, das von Kampflust brenne, sogleich gegen den Feind zu führen; Parmenion dagegen riet zur Vorsicht: die Truppen seien durch den Marsch ermüdet, die Perser, schon länger in dieser günstigen Stellung, würden wohl nicht versäumt haben, sie auf jede Weise zu ihrem Vorteil einzurichten; man könne nicht wissen, ob nicht eingerammte Pfähle oder heimliche Gruben die feindliche Linie deckten; die Kriegsregel erfordere, daß man sich erst orientiere und lagere. Diese Ansicht des alten Feldherrn drang durch; Alexander befahl, die Truppen in der Ordnung, wie sie in die Schlacht rücken sollten, auf den Hügeln im Angesicht der Feinde (bei Börtela), sich lagern zu lassen. Das geschah am 30. September morgens.
Dareios seinerseits, obschon er lange Zeit die Ankunft der Makedonen erwartet und in dem weiten Blachfelde jedes Hindernis bis auf das Dorngestrüpp und die einzelnen Sandhügel, die den stürmischen Angriff seiner Reiterschwärme oder den Lauf der Sensenwagen hätten stören können, aus dem Wege geräumt hatte, war durch die Nachricht von Alexanders Nähe und dem sehr eiligen Rückzuge seiner Vorposten unter Mazäos in einige Unruhe versetzt worden; doch in der stolzen Zuversicht seiner Satrapen, die kein unberufener Warner mehr störte, und den endlosen Reihen seines Heeres, vor denen kein Charidemos oder Amyntas dem dichten Häuflein der Makedonen den nur zu gerechten Vorzug zu geben wagte, endlich in den eigenen Wünschen, die so gern ihre Blindheit für besonnene Kraft halten und die zuversichtlichen Worte der Schmeichler lieber hören als die ernsten Mahnungen des schon Geschehenen, fand der Perserkönig bald Beruhigung und Selbstvertrauen; seine Großen überzeugten ihn leicht, daß er bei Issos nicht dem Feinde, sondern dem engen Raume erlegen sei; jetzt sei Raum für die Kampflust seiner Hunderttausende, für die Sensen seiner Kriegswagen, für seine indischen Elefanten; jetzt sei die Zeit gekommen, dem Makedonen zu zeigen, was ein persisches Reichsheer sei. Da sah man am Morgen des 30. auf der Hügelreihe nordwärts das makedonische Heer geordnet und wie zur Schlacht geschart heranrücken; man erwartete, daß es sofort zum Angriff vorgehen werde; auch die persischen Völker ordneten sich über die weite Ebene hinaus zur Schlacht.
Es folgte kein Angriff, man sah den Feind sich lagern; nur ein Reiterhaufe mit einigen Scharen leichten Fußvolkes untermischt, zog von den Hügeln herab durch die Ebene und, ohne sich der Linie der Perser zu nahen, wieder zum Lager zurück. Der Abend kam; beabsichtigten die Feinde einen nächtlichen Angriff? Das persische Lager, ohne Wall und Graben, hätte nicht Schutz gegen einen Überfall gewährt; die Völker erhielten Befehl, die Nacht hindurch unter den Waffen und in Schlachtordnung zu bleiben, die Pferde gesattelt neben sich bei den Wachtfeuern zu halten. Dareios selbst ritt während der Nacht an den Linien entlang, um die Völker durch sein Antlitz und seinen Gruß zu begeistern. Auf dem äußersten linken Flügel standen die Völker des Bessos, die Baktrianer, Daer und Sogdianer, vor ihnen hundert Sensenwagen, zu ihrer Deckung links vorgeschoben 1000 baktrische Reiter und die massagetischen Skythen, Mann und Roß gepanzert. Rechts auf Bessos folgten die Arachosier und Berginder, dann eine Masse Perser, die aus Reiterei und Fußvolk gemischt war, dann die Susier und die Kadusier, welche sich an das Mitteltreffen anschlossen. Dieses Mitteltreffen umfaßte zunächst die edelsten Perserscharen, die sogenannten Verwandten des Königs nebst der Leibwache der Apfelträger; zu beiden Seiten derselben die hellenischen Söldner, die sich noch im Dienst des Königs befanden; ferner noch ein Mitteltreffen die Inder mit ihren Elefanten, die sogenannten Karier, Nachkommen der einst nach den oberen Satrapien Deportierten, die mardischen Bogenschützen, vor ihnen fünfzig Sensenwagen. Das Zentrum, welches in der Schlacht am Pinaros so bald durchbrochen war, zu verstärken, waren hinter demselben die Uxier, die Babylonier, die Küstenvölker des Persischen Meeres und die Sitakener aufgestellt; es schien so in zwei- und dreifachem Treffen fest und dicht genug, um den König in seine Mitte aufzunehmen. Auf dem linken Flügel, zunächst an den Mardiern, standen die Albaner und Sakasener, dann Phrataphernes mit seinen Parthern, Hyrkanern, Tapuriern und Saken, dann Atropates mit den medischen Völkern, nach ihnen die Völker aus Syrien diesseits und jenseits der Wasser, endlich auf dem äußersten linken Flügel die kappadokischen und armenischen Reitervölker, vor ihnen fünfzig Sensenwagen.
Die Nacht verging ruhig; Alexander hatte, nachdem er mit seinem makedonischen Geschwader und dem leichten Fußvolke vom Rekognoszieren des Schlachtfeldes zurückgekommen war, seine Offiziere um sich versammelt und ihnen angezeigt, daß er am folgenden Tage den Feind anzugreifen gedenke: er kenne ihren und ihrer Truppen Mut, mehr als ein Sieg habe ihn erprobt; vielleicht würde es notwendiger sein ihn zu zügeln, als anzufeuern; sie möchten ihre Leute vor allem erinnern, schweigend anzurücken, um desto furchtbarer beim Sturm den Schlachtgesang zu erheben: sie selbst sollten besonders Sorge tragen, seine Signale schnell zu vernehmen und schnell auszuführen, damit die Bewegungen rasch und mit Präzision vor sich gingen; sie möchten sich überzeugen, daß auf jedem der Ausgang des großen Tages beruhe; der Kampf gelte nicht mehr Syrien und Ägypten, sondern dem Besitz des Orients; es werde sich entscheiden, wer herrschen solle. Mit lautem Zuruf antworteten ihm seine Generale; dann entließ sie der König, gab den Truppen Befehl zur Nacht zu essen und sich dann der Ruhe zu überlassen. Bei Alexander im Zelte waren noch einige Vertraute, als Parmenion, wie erzählt wird, hereintrat, und nicht ohne Besorgnis von der unendlichen Menge der persischen Wachtfeuer und dem dumpfen Tosen, das durch die Nacht herübertöne, berichtete: die feindliche Übermacht sei zu groß, als daß man bei Tage und in offener Schlacht sich mit ihr zu messen wagen dürfe; er rate, jetzt bei Nacht anzugreifen, das Unvermutete und die Verwirrung eines Überfalls werde durch die Schrecken der Nacht verdoppelt werden. Alexanders Antwort soll gewesen sein, er wolle den Sieg nicht stehlen. Weiter wird erzählt, daß Alexander sich bald darauf zur Ruhe gelegt und ruhig den übrigen Teil der Nacht geschlafen habe; schon sei es hoher Morgen, schon alles bereit zum Ausrücken gewesen, nur der König habe noch gefehlt, endlich sei der alte Parmenion in sein Zelt gegangen und habe ihn dreimal beim Namen gerufen, bis Alexander sich endlich ermuntert, sich rasch gerüstet habe.
Am Morgen des 1. Oktober rückte das makedonische Heer aus dem Lager auf den Höhen, beim Gepäck wurde thrakisches Fußvolk zurückgelassen. Bald stand das Heer in der Ebene in Schlachtordnung; in der Mitte die sechs Taxen der Phalanx, auf ihrer Rechten die Hypaspisten und weiter die acht Ilen der makedonischen Ritterschaft; der Linken der Phalanx, der Taxis des Krateros, sich anschließend die Reiter der hellenischen Bundesgenossen, dann die thessalische Ritterschaft. Den linken Flügel führte Parmenion, der mit der pharsalischen Ile, der stärksten der thessalischen Ritterschaft, die Spitze des Flügels bildete. Auf der Spitze des rechten Flügels, mit dem Alexander den Angriff machen wollte, an die königliche Ile sich anschließend ein Teil der Agrianer, der Bogenschützen und Balakros mit den Akontisten. Da bei der ungeheuren Übermacht des Feindes Überflügelung unvermeidlich war und doch dem Gewaltstoß der Offensive, der die Entscheidung bringen mußte, nur so viel Kräfte entzogen werden durften als die Rücken- und Flankendeckung der angreifenden Schlachtlinie durchaus forderte, ließ Alexander hinter den Flügeln seiner Linie rechts und links je ein zweites Treffen formieren, das, wenn der Feind die Linie im Rücken bedrohte, kehrtmachen und so eine zweite Front bilden, wenn er gegen die Flanke losging, mit einer Viertelschwenkung sich im Haken an die Linie anschließen sollte. Als Reserve des linken Flügels rückten auf: das thrakische Fußvolk, ein Teil der Bündnerreiter unter Koiranos, die odrysischen unter Agathon, am weitesten links die Söldnerreiter unter Andromachos; auf dem rechten Flügel: Kleandros mit den alten Söldnern, die Hälfte der Bogenschützen unter Brison, der Agrianer unter Attalos, dann Aretes mit den Sarissophoren, Ariston mit den paionischen Reitern, am Flügel rechts die neugeworbenen hellenischen Reiter unter Menidas, die heute an der gefährlichsten Stelle ihre Waffenprobe machen sollten.
Die Heere beginnen vorzurücken; Alexander mit der makedonischen Ritterschaft, dem rechten Flügel, ist dem feindlichen Zentrum, den Elefanten der Inder, dem Kern des feindlichen Heeres, der doppelten Schlachtlinie gegenüber, von dem ganzen linken Flügel der Feinde überragt. Er läßt aus der rechten Flanke halbrechts vorrücken, des Kleitos Ile und das leichte Volk zu ihrer Rechten voran, dann die zweite, die dritte usw. Ile, die Hypaspisten usw., staffelförmig eine Abteilung nach der andern; Bewegungen, die mit der größten Stille und Ordnung ausgeführt werden, während die Feinde bei ihren großen Massen eine Gegenbewegung aus ihrer linken Flanke nicht ohne Verwirrung versuchen. Immer noch überragt ihre Linie bei weitem die der Makedonen, und die skythischen Reiter des äußersten Flügels traben schon zum Angriff gegen die leichten Truppen in Alexanders Flanke vor, sind ihnen schon nahe. Ohne sich durch dies Manöver irremachen zu lassen, setzt Alexander seine Bewegung halbrechts vorwärts fort; nicht mehr lange und er wird an der hier zum Gebrauch der Sensenwagen geebneten Stelle vorüber sein. Von deren vernichtendem Einbrechen -- es stehen hier hundert Wagen der Art -- hat sich der Perserkönig besonderen Erfolg versprochen; er befiehlt jetzt jenen skythischen und den tausend baktrischen Reitern, den feindlichen Flügel zu umreiten und damit das weitere Vorrücken des Feindes zu hindern. Alexander läßt gegen sie die hellenischen Reiter des Menidas vorgehen; ihre Zahl ist zu gering, sie werden geworfen. Die Bewegung der Hauptlinie fordert hier möglichst festen Widerstand, die paionischen Reiter unter Ariston werden zu Menidas' Unterstützung vorgeschickt; vereint stürmen sie vor, so heftig, daß die Skythen und die tausend Baktrier weichen müssen. Aber schon jagt die Masse der anderen baktrischen Reiter an Alexanders Flügel vorüber, die geworfenen sammeln sich um sie, die ganze Übermacht stürzt sich auf Ariston und Menidas; auf das heftigste wird gekämpft; die Skythen, Mann und Roß gepanzert, setzen den Päonen und Veteranen hart zu, deren viele fallen; aber sie weichen nicht, sie machen Ile um Ile ihren Schock, sie drängen die Übermacht für den Augenblick zurück.
Die makedonische Front hat sich indes in schräger Linie weiter und weiter vorgeschoben; jetzt sind die makedonischen Ilen und die Hypaspisten den hundert Sensenwagen des linken Flügels gegenüber, da brechen diese los und jagen gegen die Linie heran, die sie zerreißen sollen. Aber die Agrianer und die Bogenschützen empfangen sie unter lautem Geschrei mit einem Hagel von Pfeilen, Steinen und Speeren; viele werden schon hier aufgefangen, die stutzenden Pferde bei den Zügeln ergriffen und niedergestochen, das Riemenzeug durchhauen, die Knechte herabgerissen; die anderen, welche auf die Hypaspisten zu jagen, werden entweder von den dicht verschildeten Rotten mit vorgestreckten Spießen empfangen und von den stürzenden Gespannen im Laufe gehemmt, oder jagen durch die Öffnungen, welche die schnell rechts und links eindublierten Rotten bilden, unbeschädigt und ohne zu beschädigen, hindurch, um hinter der Front den Reitknechten in die Hände zu fallen.
Nun beginnt die ganze Massenlinie des Perserheeres, die sich bisher links geschoben, wie zum Angriff vorzurücken, während das Reitergefecht in Alexanders Flanke von Ariston und Menidas nur noch mit der größten Anstrengung unterhalten wird. Jetzt dem Feinde vielleicht auf Pfeilschußweite nahe, läßt Alexander in rascherem Tempo vorgehen, befiehlt zugleich, daß Aretes mit den Sarissophoren -- es ist die letzte Kavallerie seines zweiten Treffens -- den schwer Kämpfenden unter Menidas und Ariston zu Hilfe eilt. So wie man auf Seiten der Perser diese Bewegung sieht, traben die nächsten Reitermassen des Flügels den Baktriern nach; es entsteht so eine Lücke in ihrem linken Flügel. Der Moment, den Alexander erwartet, ist da. Er läßt das Signal zum Vorstoß geben, an der Spitze von Kleitos' Ile sprengt er voran, die anderen Ilen, die Hypaspisten folgen mit Alala! im Sturmschritt; dieser Keilangriff reißt die feindliche Linie völlig auseinander; schon sind auch die nächsten Phalangen, Koinos, Perdikkas heran, mit vorstarrenden Spießen stürmen sie auf die Schlachthaufen der Susianer, der Kadusier, auf die Scharen, die den Wagen des Königs Darius decken; nun ist kein Halten, kein Widerstand mehr. Den wütenden Feind vor Augen, inmitten der plötzlichsten, wildesten, lärmendsten Verwirrung, der mit jedem Augenblick wachsenden Gefahr für seine Person ratlos gegenüber, gibt er alles verloren, wendet sich zur Flucht; nach tapferster Gegenwehr folgen die Perser, ihres Königs Flucht zu schirmen; die Flucht, die Verwirrung reißt die Schlachthaufen der zweiten Linie mit sich. Das Zentrum ist vernichtet.
Zugleich hat die ungeheure Heftigkeit, mit der Aretes in die feindlichen Haufen eingebrochen, das Gefecht im Rücken der Linie entschieden; die skythischen, baktrischen, persischen Reiter suchen, von den Sarissophoren, den hellenischen, päonischen Reitern auf das heftigste verfolgt, das Weite. Der linke Flügel der Perser ist vernichtet.
Anders der rechte. Den raschen Bewegungen des Angriffes haben Alexanders Schwerbewaffnete nur mit Mühe folgen, sie haben nicht geschlossen bleiben können; zwischen der letzten Taxis, der des Krateros und der rechts ihr nächsten, die Simmias führt, ist eine Lücke entstanden; Simmias hat haltmachen lassen, da Krateros und der ganze Flügel Parmenions in schwerer Gefahr ist. Ein Teil der Inder und der persischen Reiter der feindlichen Mitte hat jene Lücke rasch benutzt, hat sich da hindurch, vom zweiten Treffen nicht gehindert, auf das Lager gestürzt, die wenigen Thraker, leicht bewaffnet und keines Angriffes gewärtig, vermögen den mörderischen Kampf in den Lagerpforten nur mit größter Anstrengung zu halten; da brechen die Gefangenen los, fallen ihnen während des Kampfes in den Rücken; die Thraker werden überwältigt; schreiend und jubelnd stürzen sich die Barbaren ins Lager zu Raub und Mord. Wie die Führer der zweiten Linie links, Sitalkes, Koiranos, der Odryser Agathon, Andromachos innewerden, was geschehen ist, lassen sie kehrtmachen, führen ihre Truppen so schnell wie möglich gegen das Lager, werfen sich auf den schon plündernden Feind, überwältigen ihn nach kurzem Gefecht; viele Barbaren werden niedergemacht, die anderen jagen ohne Ordnung rückwärts, auf das Schlachtfeld zurück, den makedonischen Ilen ins Eisen.
Parmenion hatte -- denn zugleich mit jenem Durchbruch durch die Lücke waren die anderen Inder und Perser, die parthischen Reiter mit ihnen, der thessalischen Ritterschaft in die Flanke gekommen -- an Alexander die Meldung gesandt, daß er in schwerer Gefahr sei, daß er Verstärkung haben müsse, oder alles sei verloren. Die Antwort des Königs soll gelautet haben: Parmenion müsse von Sinnen sein, jetzt Hilfe zu verlangen, mit dem Schwert in der Hand werde er zu siegen oder zu sterben wissen. Aber die schon begonnene Verfolgung gibt Alexander auf, um erst zu helfen; er eilt mit allem, was er an Truppen zur Stelle hat, nach dem rechten persischen Flügel, der noch steht; er stößt zuerst auf die schon aus dem Lager zurückgeschlagenen Perser, Inder, Parther, die sich schnell (im Kehrt) sammeln und geschlossen in Ilentiefe ihn empfangen. Das Reitergefecht, das sich hier entspinnt, ist furchtbar und lange schwankend; Mann gegen Mann wird gerungen, die Perser kämpfen um ihr Leben; an sechzig von den Hetairen fallen, sehr viele, unter ihnen Hephaistion, Menidas, werden schwer verwundet; endlich ist der Sieg auch hier entschieden; die sich durchgeschlagen, überlassen sich unaufhaltsam der Flucht.
Ehe Alexander so kämpfend bis zum rechten Flügel der Perser hindurchdrang, hatte auch die thessalische Ritterschaft, so schwer sie von Mazaios bedrängt wurde, das Gefecht wiederhergestellt, die kappadokischen, medischen, syrischen Reitermassen zurückgeschlagen; sie war bereits im Verfolgen, als Alexander zu ihr kam. Da er auch hier das Werk getan sah, jagte er zurück und in der Richtung, die der Großkönig genommen zu haben schien, über das Schlachtfeld; er setzte ihm nach, solange es noch hell war. Er erreichte, während Parmenion das feindliche Lager am Bumodos, die Elefanten und Kamele, die Wagen und Lasttiere der ungeheuren Bagage nahm, den Lykos-Fluß, vier Stunden jenseits des Schlachtfeldes. Hier fand man ein furchtbares Gewirre flüchtender Barbaren, noch gräßlicher durch die Dunkelheit der einbrechenden Nacht, durch das erneute Gemetzel, durch den Einsturz der überfüllten Flußbrücke; bald machte die Furcht den Heerweg frei, aber Alexander mußte, da Pferde und Reiter von der ungeheuren Anstrengung auf das äußerste ermüdet waren, einige Stunden rasten lassen. Um Mitternacht, als der Mond aufgegangen war, brach man von neuem auf nach Arbela, wo man Dareios, sein Feldgerät, seine Schätze zu erbeuten hoffte. Man kam im Laufe des Tages dort an, Dareios war fort; seine Schätze, sein Wagen, sein Bogen und Schild, sein und seiner Großen Feldgerät, ungeheure Beute fiel in Alexanders Hände.
Dieser große Sieg auf der Ebene von Gaugamela[9] kostete nach Arrian der makedonischen Ritterschaft allein 60 Tote; es waren über 1000 Pferde, davon die Hälfte bei der makedonischen Ritterschaft, gestürzt oder getötet; nach den höchsten Angaben fielen makedonischerseits 500 Mann; Zahlen, die gegen den Verlust der Feinde, der auf 30 000 Mann, ja 90 000 Mann angegeben wird, unverhältnismäßig erscheinen, wenn man nicht bedenkt, daß einerseits, bei der trefflichen Bewaffnung der Makedonen, im Handgemenge nicht viele tödlich verwundet wurden, und daß anderseits erst beim Verfolgen das Fleischhandwerk beginnen konnte; alle Schlachten nicht bloß des Altertums beweisen, daß der Verlust der Fliehenden bis ins Unglaubliche größer ist als der der Kämpfenden.
[9] Siehe dazu die Anmerkung am Schluß.
Mit dieser Schlacht war Dareios' Macht gebrochen; von seinem zersprengten Heere sammelten sich einige tausend baktrische Reiter, die Überreste der hellenischen Söldner, gegen 2000 Mann unter dem Ätoler Glaukias und dem Phokier Patron, die Melophoren und Verwandten, im ganzen ein Heer von 3000 Reitern und 6000 Mann zu Fuß; mit diesen wandte sich Dareios in unaufhaltsamer Flucht nordostwärts durch die Pässe Mediens nach Ekbatana; dort hoffte er vor dem furchtbaren Feinde wenigstens für den Augenblick sicher zu sein, dort wollte er abwarten, ob sich Alexander mit den Reichtümern von Susa und Babylon begnügen, ihm das altpersische Land lassen werde, das mächtige Gebirgswälle von dem aramäischen Tieflande scheiden; erstieg der unersättliche Eroberer dennoch die hohe Burg Irans, dann war des Großkönigs Plan, weit und breit verwüstend über die Nordabhänge des Hochlandes nach Baktrien, dem letzten Quartier des einst so weiten Reiches, zu flüchten.
Von der großen Masse der Zersprengten, die südwärts in der Richtung auf Susa und Persien geflohen war, fanden sich noch 25 000, nach anderen 40 000 Mann zusammen, die unter Führung des persischen Satrapen Ariobarzanes, des Artabazos Sohn, die persischen Pässe besetzten und sich hinter ihnen auf das sorgfältigste verschanzten. Wenn irgendwo, so war an dieser Stelle noch das persische Reich zu retten; es wäre vielleicht gerettet worden, wenn Dareios nicht den nächsten Weg gesucht, nicht durch seine Flucht nach dem Nordabhang von Iran die Satrapien südwärts sich selbst und der Treue der Satrapen überlassen hätte. Denn diese waren nicht alle wie Ariobarzanes gesinnt; sie mochten in ihrer ebenso verlockenden wie schwierigen Stellung gern den landflüchtigen Herrn vergessen, um sich der Hoffnung einer vielleicht längst ersehnten Unabhängigkeit hinzugeben, oder durch freiwillige Unterwerfung von dem großmütigen Sieger mehr zu gewinnen, als sie durch die Flucht ihres Königs verloren hatten. Die Völker selbst, die, wenn Darius an den Pforten Persiens für sein Königtum zu kämpfen hätte wagen wollen, nach ihrer Weise zu neuem Kampf zusammengeströmt wären, und die natürliche Grenze ihres Landes, die sich so oft und so wirksam in der Geschichte geltendgemacht hat, vielleicht mit Erfolg verteidigt hätten, diese kriegerischen Reiter- und Räubervölker, die Alexander zum Teil mit Mühe und spät bewältigt, zum Teil nie anzugreifen gewagt hat, waren durch jene Flucht des Darius sich selbst überlassen und gleichsam auf verlorenen Posten gestellt, ohne daß die Sache des Königs von ihnen den geringsten Vorteil gehabt hätte. So gewann der Sieg von Gaugamela durch die unglaubliche Verwirrung, in welche Darius, zu allem bereit, um irgend etwas zu retten, immer tiefer versank, jene lawinenhaft wachsende Wirkung, welche die persische Macht bis auf den letzten Rest vertilgen sollte.
Alexander folgte weder dem Großkönige die Gebirgspässe hinauf, noch den auf der Straße nach Susa Flüchtenden. Er zog an den Vorbergen der iranischen Randgebirge entlang die Straße nach Babylon, der Königin im weiten aramäischen Tieflande, und seit Dareios Hystaspis' Zeit der Kapitale des persischen Reiches; der Besitz dieser Weltstadt war der erste Preis des Sieges von Gaugamela. Alexander erwartete Widerstand zu finden; er wußte, wie ungeheuer die »Mauern der Semiramis« seien, was für ein Netz von Kanälen sie umschließe, wielange die Stadt die Belagerung des Kyros und Dareios ausgehalten hatte; er erfuhr, daß sich Mazaios, der bei Gaugamela am längsten und glücklichsten das Feld behauptet, nach Babylon geworfen habe; es war zu fürchten, daß sich die Szenen von Halikarnaß und Tyros wiederholten. Alexander ließ, sobald er sich der Stadt nahte, sein Heer schlagfertig vorrücken; aber die Tore öffneten sich, die Babylonier mit Blumenkränzen und reichen Geschenken, die Chaldäer, die Ältesten der Stadt, die persischen Beamten an der Spitze, kamen ihm entgegen; Mazaios übergab die Stadt, die Burg, die Schätze und der abendländische König hielt seinen Einzug in die Stadt der Semiramis.
Hier wurde den Truppen längere Rast gegeben; es war die erste wahrhaft morgenländische Großstadt, die sie sahen; ungeheuer in ihrem Umfange, voller Bauwerke der staunenswürdigsten Art: die Riesenmauer, die hängenden Gärten der Semiramis, des Belos Würfelturm, an dessen massigem Bau sich Xerxes' wahnsinnige Wut über die salaminische Schmach vergebens versucht haben sollte; dazu die endlose Menschenmenge, die hier aus Arabien und Armenien, aus Persien und Syrien zusammenströmte, dazu die überschwengliche Pracht und Lüsternheit des Lebens, der tausendfältige Wechsel raffinierter Wollust und ausgewähltester Genüsse; dieser ganze märchenhafte Zauber morgenländischer Taumellust ward hier den Söhnen des Abendlandes als Preis so vieler Mühen und Siege. Wohl mochte der kräftige Makedone, der wilde Thraker, der heißblütige Grieche hier Sieges- und Lebenslust in überreichen Zügen schlürfen und auf duftigen Teppichen, bei goldenen Bechern, im lärmenden Jubelschall babylonischer Gelage schwelgen, mochte mit wilderer Begier den Genuß, mit neuem Genuß sein brennendes Verlangen, mit beiden den Durst nach neuen Taten und neuen Siegen steigern. So begann sich Alexanders Heer in das asiatische Leben hineinzuleben und sich mit denen, die das Vorurteil von Jahrhunderten gehaßt, verachtet, Barbaren genannt, zu versöhnen und zu verschmelzen; es begann sich Morgen- und Abendland zu durchgären und eine Zukunft vorzubereiten, in der beide sich selbst verlieren sollten.
Mag es klares Bewußtsein, glückliches Ungefähr, notwendige Folge der Umstände genannt werden, jedenfalls traf Alexander in den Maßregeln, die er wählte, die einzig möglichen und die richtigen. Hier in Babylon war mehr als irgendwo bisher das Heimische mächtig, naturgemäß und in seiner Art fertig; während Kleinasien dem hellenischen Leben nahe, Ägypten und Syrien demselben zugänglich war und mit ihm durch das gemeinsame Meer in Verbindung stand, in Phönikien griechische Sitten schon länger in den Häusern der reichen Kaufherren und vieler Fürsten eingeführt, im Lande des Nildelta durch griechische Ansiedelungen, durch Kyrenes Nachbarschaft, durch mannigfache Verbindungen mit hellenischen Staaten seit der Pharaonenzeit bekannt und eingebürgert war, lag Babylon fern von aller Berührung mit dem Abendlande, tief stromab bei dem Doppelstrome des aramäischen Landes, das durch die Natur, durch Handel, Sitte und Religion, durch die Geschichte vieler Jahrhunderte eher nach Indien und Arabien als nach Europa wies; hier in Babylon lebte man noch in dem vollen Leben einer uralten Kultur, man schrieb noch wie seit Jahrhunderten Keilschrift auf Tonplatten, beobachtete und berechnete den Lauf der Gestirne, zählte und maß nach einem vollendeten metrischen System, war in aller technischen Kultur immer noch in unerreichter Meisterschaft. In dieses fremde, buntgemischte, in sich gesättigte Völkerleben kamen jetzt die ersten hellenischen Elemente, der Masse nach unbedeutend gegen das Heimische und ihm nur durch die Fähigkeit, sich ihm anzuschmiegen, überlegen.
Dazu ein Zweites. Im Felde geschlagen war freilich die persische Macht; überwunden, hinweggetilgt war sie noch keineswegs. Wollte Alexander nur als Makedone und Hellene an des Großkönigs Stelle herrschen, so war er schon zu weit gegangen, als er die Grenzen abendländischer Nachbarschaft überschritt, auch jenseits der syrischen Wüste seine Eroberung fortzusetzen. Wollte er die Völker Asiens nichts als den Namen der Knechtschaft tauschen, sie nichts als den härteren, den demütigenden Druck höherer oder doch kühnerer geistiger Entwicklung empfinden lassen, so war kaum der Augenblick des Sieges ihres Gehorsams gewiß, und ein Wutausbruch der Volksmasse, eine Seuche, ein zweifelhafter Erfolg hätte genügt, die Chimäre selbstsüchtiger Eroberung zu zerstören. Alexanders Macht, der Masse nach den asiatischen Gebieten und Völkern gegenüber unverhältnismäßig gering, mußte in den Wohltaten, die sie den Besiegten brachte, ihre Rechtfertigung, in deren Zustimmung, ihren Halt und ihre Zukunft finden; sie mußte sich gründen auf die Anerkennung jeder Volkstümlichkeit in Sitte, Gesetz und Religion, soweit sie mit dem Bestehen des Reiches vereinbar war. Was die Perser so tief gedrückt hatten und so gern erdrückt hätten, was nur ihre Ohnmacht oder Sorglosigkeit der Tat, nicht dem Rechte nach hatte gewähren lassen, das mußte nun neu und frei erstehen und sich unmittelbar zum hellenischen Leben verhalten, um mit ihm verschmelzen zu können. War nicht desselben Weges und seit Jahrhunderten die wundervolle koloniale Entwicklung der Hellenen vor sich gegangen? Hatte nicht bei den Skythen im taurischen Lande wie bei den Afrikanern der Syrte, in Kilikien wie an der keltischen Rhonemündung ihre Begabung, das Fremde aufzufassen, anzuerkennen, sich mit ihm zu verständigen und zu verschmelzen, die Fülle neuer lebensvollster Gestaltungen geschaffen, hellenisierend das Hellenische selbst der Zahl und der Spannkraft nach fort und fort gesteigert? Daß in dieser Richtung Alexanders Gedanken gingen, dafür kann als Beweis gelten, wie er in Memphis und Tyros und immerhin auch Jerusalem Feste feierte nach der Landesart, wie er in Babylon die von Xerxes geplünderten Heiligtümer von neuem zu schmücken, den Belosturm wiederherzustellen, den Dienst der babylonischen Götter fortan frei und prächtig, wie zu Nebukadnezars Zeit, zu begehen befahl. So gewann er die Völker für sich, indem er sie sich selbst und ihrem volkstümlichen Leben wiedergab; so machte er sie fähig, auf tätige und unmittelbare Weise in den Zusammenhang des Reiches, das er zu gründen im Sinne trug, einzutreten, eines Reiches, in dem die Unterschiede von Abend und Morgen, von Hellenen und Barbaren, wie sie bis dahin die Geschichte beherrscht hatten, untergehen sollten zu der Einheit einer Weltmonarchie.
Wie aber sollte das Reich organisiert und verwaltet, wie in der politischen und militärischen Form der Gedanke durchgeführt werden, der für das bürgerliche und kirchliche Wesen die Norm gab? Sollten fortan die Satrapen, die Umgebung des Königs, die Großen des Reiches, das Heer nur Makedonen und Hellenen sein, so war jene Ineinsbildung nur Vorwand oder Illusion, die Volkstümlichkeit nicht anerkannt, sondern nur geduldet, die Vergangenheit nur durch das Unglück und schmerzliche Erinnerungen an die Zukunft geknüpft, und statt der asiatischen Herrschaft, die wenigstens in demselben Weltteile erwachsen war, ein fremdes, unnatürliches, doppelt schweres Joch über Asien gekommen.
Die Antwort auf diese Fragen bezeichnet die Katastrophe in Alexanders Heldenleben; es ist der Wurm, der an der Wurzel seiner Größe nagt, das Verhängnis seiner Siege, das ihn besiegt.
Während der König Persiens die letzten Wege flieht, beginnt Alexander sich mit dem Glanze des persischen Königtums zu schmücken, die Großen Persiens um sich zu sammeln, sich mit dem Namen, den er bekämpft und gedemütigt hat, zu versöhnen, dem makedonischen Adel einen Adel des Morgenlandes hinzuzufügen.
Schon seit dem Herbst 334 ist Mithrines von Sardes, dann seit dem Fall von Tyros und Gaza Mazakes und Amminapes von Ägypten in Amt und Ehren bei ihm. Der Tag von Gaugamela hat den Stolz und das Selbstvertrauen der persischen Großen gebrochen, sie lernen die Dinge mit anderen Augen als bisher ansehen; die Übertritte mehren sich, zumal seit Mithrines die stets hochgehaltene Satrapie Armenien, Mazaios, der, wenn einer, tapfer gegen Alexander gekämpft, die reiche babylonische erhalten hat. Der persische Adel zu einem guten Teil gibt die Sache des landflüchtigen Achämeniden auf und sammelt sich um den Sieger.
Natürlich, daß ihnen Alexander, soweit irgend möglich, entgegenkommt. Aber ebenso natürlich, daß, wenn er einem Perser eine Satrapie gibt, oder seine bisherige läßt, neben demselben die bewaffnete Macht in der Satrapie aus makedonischen Truppen gebildet und unter makedonische Befehlshaber gestellt wird; ebenso natürlich, daß die Finanz der Satrapien von dem Geschäftsbereich des Satrapen getrennt, die Tributerhebung an makedonische Männer gegeben wird.
So jetzt in der babylonischen Satrapie. Dem Satrapen Mazaios wurde für die Tribute Asklepiodoros an die Seite gesetzt; die Stadt Babylon erhielt eine starke Garnison, die auf der Burg ihr Quartier nahm, unter Agathon, dem Bruder Parmenions, während die Strategie über die bei dem Satrapen bleibenden Truppen Apollodoros aus Amphipolis erhielt; außerdem wurde Menos, einer der sieben Somatophylakes, als Hyparch für Syrien, Phönikien und Kilikien bestellt, und die nötigen Truppen unter seinen Befehl gestellt, die große Passage von Babylon zur Küste und die Transporte aus dem Morgenlande nach Europa und umgekehrt zu sichern, eine Einrichtung, die wegen der Raubsucht der in der Wüste hausenden Beduinenstämme doppelt notwendig wurde. Der erste Transport war eine Summe von etwa dreitausend Talent Silber, von denen ein Teil an Antipatros gehen sollte, damit er den eben jetzt beginnenden Krieg gegen Sparta mit Nachdruck führen könne, das übrige aber zu möglichst ausgedehnten Werbungen für die große Armee bestimmt ward.
Während des etwa dreißigtägigen Aufenthaltes in Babylon war Susa, die Stadt des persischen Hoflagers und der königlichen Schätze, auf gütlichem Wege gewonnen worden. Schon von Arbela aus hatte Alexander den Makedonen Philoxenos, wie es scheint an der Spitze eines leichten Korps, vorausgesandt, um sich der Stadt und der königlichen Schätze zu versichern; er erhielt jetzt von ihm den Bericht, daß sich Susa freiwillig ergeben habe, daß die Schätze gerettet seien, daß sich der Satrap Abulites der Gnade Alexanders unterwerfe. Alexander langte zwanzig Tage nach seinem Aufbruch von Babylon in Susa an; er nahm sofort die ungeheuren Schätze in Besitz, die in der hohen Burg der Stadt, dem kissischen Memnonion der griechischen Dichter, seit den ersten Perserkönigen aufgehäuft lagen; allein des Goldes und Silbers waren fünfzigtausend Talente, dazu noch die aufgehäuften Vorräte von Purpur, Rauchwerk, edlen Gesteinen, der ganze überreiche Hausrat des üppigsten aller Höfe, auch mehrfache Beute aus Griechenland von Xerxes' Zeit her, namentlich die Erzbilder der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton, die Alexander den Athenern zurücksandte.
Während das Heer noch in Susa und an den Ufern des Choaspes verweilte, kam der Strateg Amantas, welcher vor einem Jahre von Gaza aus heimgesandt war, Verstärkungen zu holen, mit den neuen Truppen heran. Ihre Einordnung in die verschiedenen Heeresabteilungen war zugleich der Anfang einer neuen Formation der Armee[10], die im Lauf des nächsten Jahres und nach den neuen Gesichtspunkten, die der Fortgang des Krieges in den oberen Satrapien an die Hand gab, weiter entwickelt wurde; den Anfang machte, daß die Ilen der makedonischen Ritterschaft in zwei Lochen formiert und damit so zu sagen taktisch verdoppelt wurden.
[10] Siehe dazu die Anmerkung am Schluß.
Im späteren wird auf diese Reorganisation zurückzukommen sein. Sie leitet die große Umwandlung ein, die, wie man Alexanders Verhalten in ihr auch beurteilen mag, aus der Konsequenz des Werkes, das er unternommen hatte, und den Bedingungen, die das Gelingen forderte, sich notwendig ergab.
Alexander gedachte demnächst, es mochte Mitte Dezember sein, nach den Königsstädten der Landschaft Persis aufzubrechen, mit deren Besitz der Glaube der Völker die Herrschaft über Asien untrennbar verbunden zu denken gewohnt war; er dort auf dem Throne der Großkönige, in den Palästen des Kyros, Dareios und Xerxes bestand für sie der Beweis für den Sturz der Achämenidendynastie. Er eilte, die Angelegenheiten des susianischen Landes zu ordnen. Er bestätigte dem Satrapen Abulites die Satrapie, übergab die Burg der Stadt Susa an Mazaros, die Feldhauptmannschaft der Satrapie nebst einem Korps von dreitausend Mann an Archelaos; er wies die Schlösser von Susa der Mutter und den Kindern des Perserkönigs, die bisher in seiner Nähe gewesen waren, als künftige Residenz an und umgab sie mit königlichem Hofstaat; man erzählt, daß er einige griechische Gelehrte an dem Hofe der Prinzessinnen zurückließ, mit dem Wunsch, sie möchten von diesen Griechisch lernen. Nach diesen Einrichtungen brach er mit dem Heere nach Persien auf.
Unter den mannigfachen militärischen Schwierigkeiten, welche Alexanders Feldzüge denkwürdig machen, ist die Orientierung in völlig fremden Ländern nicht die geringste. Jetzt galt es, aus dem Tiefland nach dem hohen Iran hinaufzusteigen, nach Landschaften, von deren Gestaltung, von deren Ausdehnung, von deren Hilfsmitteln, Straßen, klimatischen Verhältnissen, die Griechenwelt bisher auch nicht die geringste Kenntnis hatte. Man wird annehmen dürfen, daß sich Alexander aus den Mitteilungen der persischen Männer, deren er bereits genug in seiner Umgebung hatte, eine ungefähre Vorstellung von den geographischen Verhältnissen der Gebiete, auf die er sich zunächst zu wenden hatte, zu bilden verstand; das einzelne mußte sich dann aus den Umständen und aus Erkundigungen an Ort und Stelle ergeben.
Zunächst galt es, aus der Ebene Susianas durch höchst schwierige Pässe nach den Königstädten in der hohen Persis zu gelangen. Die Straße, die Alexander einzuschlagen oder vielmehr sich zu öffnen hatte, war die, welche für die Züge des persischen Hofes zwischen Persepolis und Susa eingerichtet war. Sie führte zunächst durch die reiche susianische Ebene, über den Kopratas (Disful) und den Eulaios (Karun bei Shuster), die sich vereinigen und als Pasitigris (kleiner Tigris) in das »Erythräische Meer« fließen, -- dann weiter über zwei Flüsse, deren alte Namen nicht mehr festzustellen sind, den Jerahi bei Ram Hormus und den Tab (Arosis?). Zwischen beiden führt ein Paß aus der Ebene in die Berge, derselbe Paß, wie es scheint, der von den Alten der Paß der Uxier genannt wurde. Denn die Uxier wohnten teils in der Ebene, teils in den Bergen, die diese im Nordosten begleiten; nur die in der Ebene waren dem Großkönige unterworfen; die Berguxier gewährten, wenn der Hof des Weges zog, nur gegen reiche Geschenke den Durchzug durch jenen Paß, den sie in ihrer Gewalt hatten. Dieselben Randgebirge des hohen Iran, die bei Ninive bis nah an den Tigris reichen, begleiten in südöstlichem Zuge die Ebene der Susianer und der Uxier, in mehreren Terrassen hintereinander bis zur Schneehöhe emporsteigend; weiter südöstlich, wo statt der Ebene und sie gleichsam fortsetzend das Erythräische Meer tief in das Land einschneidet, mehrt sich die Zahl dieser von der Küste aufsteigenden Terrassen bis zu acht und neun Berglinien hintereinander, über die man von dem Meerbusen aus gegen zwanzig Meilen entfernt die Schneedecke des Kuh-i-Baena als Zentralmasse emporragen sieht. In dieses Labyrinth von Bergzügen, durchbrechenden Bergströmen, kleinen Ebenen, Pässen zwischen ihnen, führt die »Fahrstraße«; nachdem sie jene Uxierpässe hinter sich hat, nach Bebehan, dann südöstlich über die Ebene von Lasther, weiter ostwärts zu der von Basht, dann in die von Fahiyan, von so mächtigen Bergen umschlossen, daß das Dorf nur am Morgen die Sonne sieht, den übrigen Tag im Schatten liegt. Dies nach Osten streichende Tal schließt der Felskegel von Kala-Safid, der mit der Feste auf seiner Höhe den Weg völlig sperrt. Das sind die persischen Pässe auf der Fahrstraße über Schiras nach Persepolis; wer sie vermeiden will, wendet sich bei Fahiyan südwärts und erreicht über Kasran »bösen Feldweg auf und nieder« Schiras. Daß man jenen Paß nordwärts umgehen, daß man vom Tab her einen kürzeren Weg als die Fahrstraße nehmen kann, zeigt Alexanders Marsch. Gleich bei Bebehan führt ein Weg zur Linken nordostwärts, ersteigt bei Tang-i-Tobak die nächsthöhere Terrasse und scheint dann bei Basht in die große Straße zu führen; dann wieder bei Fahiyan wird ein Weg angegeben, der gerade nordwärts in das Gebirge führt und jenseits Kala-Safid in die hinter der Feste liegende kleine Ebene hinabsteigt.
So die Wege, die Alexander zu nehmen hatte, um Persepolis und Pasargadai zu erreichen; die Jahreszeit war nichts weniger als günstig, es mußte schon tiefer Schnee in den Bergen liegen, es mußten die bei der Seltenheit der Ortschaften häufigen Biwaks und die kalten Nächte den an sich schon beschwerlichen Zug noch schwieriger machen; es kam dazu, daß man Widerstand von seiten der Uxier und noch mehr von seiten des Ariobarzanes, der sich mit bedeutender Truppenmacht in den höheren Pässen verschanzt hatte, erwarten konnte. Dennoch eilte Alexander nach Persien, nicht bloß um sich des Landes, der Schätze von Persepolis und Pasargadai und des Weges ins Innere Irans zu versichern, sondern und namentlich, damit nicht durch längeres Zögern der Perserkönig Zeit gewann, große Rüstungen zu machen und sich von Medien hierher zu wenden, um die Heimat des persischen Königtums und die hohe Pforte der Achämeniden hinter den so schwierigen persischen Pässen zu verteidigen.
So zog Alexander mit seinem Heere über die Ebene Susianas, überschritt in wenigen Tagen den Pasitigris und betrat das Gebiet der talländischen Uxier, die, schon dem Perserkönige unterworfen und unter der Herrschaft des susianischen Satrapen, sich ohne weiteres ergaben. Die Berguxier dagegen sandten Abgeordnete an ihn mit der Botschaft: nicht anders würden sie ihm den Durchzug gestatten, als wenn sie die Geschenke, die die Perserkönige gegeben hätten, auch von ihm erhielten. Je wichtiger die freie Passage nach dem oberen Lande war, destoweniger konnte Alexander sie in den Händen des trotzigen Bergvolkes lassen; er ließ ihnen sagen, sie möchten in die Engpässe kommen und sich dort ihr Teil holen.
Mit dem Agema und den anderen Hypaspisten, mit noch etwa achttausend Mann meist leichter Truppen wandte er sich, von Susianern geführt, bei Nachtzeit auf einen anderen sehr schwierigen Gebirgspfad, der von den Uxiern unbesetzt geblieben war; mit Tagesanbruch erreichte er die Dorfschaften derselben: die meisten derer, die daheim waren, wurden auf ihren Lagern ermordet, die Häuser geplündert und den Flammen preisgegeben. Dann eilte das Heer zu den Engpässen, wohin sich die Uxier von allen Seiten versammelt hatten. Alexander sandte Krateros mit einem Teile des Heeres auf die Höhen hinter der von den Uxiern besetzten Enge, während er selbst gegen den Paß mit größerer Eile vorrückte, so daß die Barbaren, umgangen, durch die Schnelligkeit des Feindes erschreckt, aller Vorteile, die der Engpaß gewähren konnte, beraubt, sich sofort, als Alexander in geschlossenen Reihen anrückte, fliehend zurückzogen; viele stürzten in die Abgründe, viele werden von den verfolgenden Makedonen, noch mehr von Krateros' Truppen auf der Höhe, nach der sie sich retten wollten, erschlagen. Alexander war anfangs willens, den ganzen Stamm der Berguxier aus diesen Gegenden zu versetzen; Sisygambis, die Königinmutter, legte Fürbitte für sie ein; man sagt, Madates, ihrer Nichte Gemahl, sei ihr Anführer gewesen. Alexander ließ auf der Königin Bitten diesen Hirtenstämmen ihr Bergland; er legte ihnen einen jährlichen Tribut von tausend Pferden, fünfhundert Haupt Zugvieh, dreißigtausend Schafen auf; Geld und Ackerland hatten sie nicht.
So war der Eingang in die höheren Gebirge geöffnet; und während Parmenion mit der einen Hälfte des Heeres, namentlich den schwerer Bewaffneten vom Fußvolk, den thessalischen Reitern und dem Train, auf der großen Heerstraße weiterzog, eilte Alexander selbst mit dem makedonischen Fußvolk, der Ritterschaft, den Sarissophoren, den Agrianern und Schützen auf dem nächsten, aber beschwerlichen Gebirgswege die persischen Pässe zu erreichen. Eilmärsche brachten ihn am fünften Tage an den Eingang derselben, den er durch mächtige Mauern gesperrt fand; der Satrap Ariobarzanes, so hieß es, stehe mit vierzigtausend Mann Fußvolk und siebenhundert Reitern hinter der Mauer in einem festen Lager, entschlossen, den Eingang um jeden Preis zu sperren. Alexander lagerte sich; am nächsten Morgen wagte er sich in die von hohen Felsen eingeschlossene Paßgegend hinein, um die Mauer anzugreifen; ihn empfing ein Hagel von Schleudersteinen und Pfeilen, Felsmassen von den Abhängen hinabgestürzt, von drei Seiten ein erbitterter Feind; vergebens versuchten einzelne die Felsenwände zu erklimmen, die Stellung der Feinde war unangreifbar. Alexander zog sich in sein Lager, eine Stunde vor dem Paß, zurück.
Seine Lage war peinlich; nur dieser Paß führte nach Persepolis, er mußte genommen werden, wenn nicht eine gefährliche Unterbrechung eintreten sollte; aber an diesen Felswänden schienen die höchsten Anstrengungen der Kunst und des Mutes scheitern zu müssen; und doch hing alles von der Einnahme dieser Pässe ab. Von Gefangenen erfuhr Alexander, daß diese Gebirge meist mit dichten Wäldern bedeckt seien, daß kaum einzelne gefährliche Fußsteige hinüberführten, daß sie jetzt doppelt mühselig wegen des Schnees in den Bergen sein würden, daß anderseits nur auf diesen Felsenpfaden die Pässe zu umgehen und in das von Ariobarzanes besetzte Terrain zu gelangen sei. Alexander entschloß sich zu dieser, vielleicht der gefährlichsten Expedition seines Lebens.
Krateros blieb mit seiner und Meleagros' Phalanx, mit einem Teile der Bogenschützen und fünfhundert Mann der Ritterschaft im Lager zurück, mit der Weisung, durch Wachtfeuer und auf jede andere Weise dem Feinde die Teilung der Armee zu verbergen, dann aber, wenn er von jenseits der Berge herüber die makedonischen Trompeten höre, mit aller Gewalt gegen die Mauer zu stürmen. Alexander selbst brach mit den Phalangen Amyntas, Perdikkas, Koinos, mit den Hypaspisten und Agrianern, mit einem Teile der Schützen und dem größten Teil der Ritterschaft unter Philotas in der Nacht auf und stieg nach einem sehr beschwerlichen Marsche von mehr als zwei Meilen über das mit tiefem Schnee bedeckte Gebirge. Er war am anderen Morgen jenseits; rechts die Bergkette, die an den Pässen und über dem Lager der Feinde endete, vor der Front das Tal, das sich zur Ebene des Araxes, über den hin der Weg nach Persepolis führt, ausbreitet, im Rücken die mächtigen Gebirge, die, mit Mühe überschritten, vielleicht bei einem Unfalle den Rückweg, die Rettung unmöglich machten. Alexander teilte nach einiger Rast sein Heer; er ließ Amyntas, Koinos, Philotas mit ihren Korps in die Ebene hinabgehen, sowohl um auf dem Wege nach Persepolis über den Fluß eine Brücke zu schlagen, als auch um den Persern, wenn sie überwältigt wären, den Rückzug auf Persepolis zu sperren; er selbst rückte mit seinen Hypaspisten, mit der Taxis des Perdikkas, mit dem Geleit der Ritterschaft und einer Tetrarchie derselben, mit den Schützen und Agrianern rechts gegen die Pässe hin; ein höchst beschwerlicher Marsch, durch die Waldung des Berges, durch den heftigen Sturm, durch das Dunkel der Nacht doppelt schwierig. Vor Tagesanbruch traf man die ersten Vorposten der Perser, sie wurden niedergemacht; man nahte den zweiten, wenige entkamen zu der dritten Postenreihe, um sich mit dieser nicht in das Lager, sondern in die Berge zu flüchten.
Im persischen Lager ahnte man nichts von dem, was vorging; man glaubte die Makedonen unten vor dem Tale, man hielt sich in diesem winterlichen Sturmwetter in den Zelten, überzeugt, daß Sturm und Schnee das Angreifen unmöglich machen werde; so war alles im Lager ruhig, als plötzlich, es war in der Frühstunde, rechts auf den Höhen die makedonischen Trompeten schmetterten und von den Höhen herab, aus dem Tale herauf zugleich der Sturmruf ertönte. Schon war Alexander im Rücken der Perser, während Krateros vom Tal herauf den Sturm begann, leicht die schlecht verwahrten Eingänge erbrach; die dort Flüchtenden rannten dem vordringenden König ins Eisen; sich zu der verlassenen Stellung zurückwendend, trafen sie sie bereits von einem dritten Haufen besetzt, denn Ptolemäus war mit 3000 Mann zurückgelassen, um von der Seite her einzudringen. So trafen von allen Seiten die Makedonen in dem feindlichen Lager zusammen. Hier begann ein gräßliches Gemetzel. Fliehende stürzten den Makedonen in die Schwerter, viele in die Abgründe, alles war verloren; Ariobarzanes schlug sich durch, er entkam mit wenigen Reitern in die Gebirge und auf heimlichen Wegen nordwärts nach Medien.
Alexander brach nach kurzer Rast gen Persepolis auf; auf dem Wege soll ihm ein Schreiben des Tiridates, der des Königs Schätze unter sich hatte, zugekommen sein, ihn zur Eile zu mahnen, da sonst der Schatz geplündert werden könne. Um desto schneller die Stadt zu erreichen, ließ er das Fußvolk zurück und jagte mit den Reitern voraus; mit Tagesanbruch war er an der Brücke, die von der Vorhut bereits geschlagen war. Seine unvermutete Ankunft -- er war fast der Kunde von dem Gefecht vorausgeeilt -- machte allen Widerstand und alle Unordnung unmöglich; die Stadt, die Paläste, die Schätze wurden ohne weiteres in Besitz genommen. Ebenso schnell fiel Pasargadai dem Sieger mit neuen größeren Schätzen zu; viele tausend Talente Gold und Silber, unzählige Prachtgewebe und Kostbarkeiten wurden hier aufgehäuft gefunden; man erzählt, daß zehntausend Paar Maultiere und dreitausend Kamele nötig gewesen, um sie von dannen zu bringen.
Wichtiger noch als diese Reichtümer, mit denen Alexander dem Feinde sein bedeutendstes Machtmittel entriß, und die seine Freigebigkeit aus den toten Schatzgewölben in den Verkehr der Völker, dem sie so lange entzogen gewesen, zurückzuführen verstand, war der Besitz dieser Gegend selbst, der eigentlichen Heimat des persischen Königtums. In dem Tale von Pasargadai hatte Kyros die medische Herrschaft bewältigt und zur Erinnerung des großen Sieges dort sein Hoflager, seine Paläste und sein Grab gebaut, zwischen den Monumenten irdischer Pracht ein einfaches Felsenhaus, bei dem fromme Magier jeden Tag opferten und beteten. Noch reicher an Prachtbauten war die Talebene von Persepolis mit ihren am Araxes und Medos sich westwärts und ostwärts hinauf fortsetzenden Tälern. Dareios, des Hystaspes Sohn, der zuerst Erde und Wasser von den Hellenen gefordert, der den Philhellenen Alexandros, den makedonischen König, zu einem persischen Satrapen gemacht hatte, war hier nach dem falschen Smerdes zum Großkönig erhoben worden, hatte sich hier seinen Palast, seinen Säulenhof und sein Grab gebaut; von vielen seiner Nachfolger war mit neuen Prachtgebäuden, mit Jagdrevieren und Paradiesen, mit Palästen und Königsgräbern das Felsental des Bendemir erfüllt; die Königspforte der vierzig »Säulen«, der stolze Felsenbau auf dreifacher Terrasse, die Kolossalbilder von Rossen, von Stieren am Eingange, ein Riesenplan von Gebäuden höchster Pracht und feierlichster Größe schmückten den heiligen Bezirk, den die Völker Asiens ehrten als den Ort der Königsweihe und der Huldigungen, als Herd und Mittelpunkt des mächtigen Reiches. Dies Reich war jetzt gestürzt; Alexander saß auf dem Throne desselben Xerxes, der einst auf der Strandhöhe der salaminischen Bucht sein Prachtzelt aufgeschlagen, dessen frevelnde Hand die Akropolis Athens niedergebrannt, die Tempel der Götter und die Gräber der Toten zerstört hatte. Jetzt war der makedonische König, der hellenische Bundesfeldherr, Herr in diesen Königsstädten, diesen Palästen; jetzt schien die Zeit gekommen, altes Unrecht zu rächen und die Götter und die Toten im Hades zu versöhnen; hier an diesem Herde der persischen Herrlichkeit sollte das Recht der Vergeltung geübt und die alte Schuld gesühnt, es sollte den Völkern Asiens der augenfällige Beweis geliefert werden, daß die Macht, die sie bisher geknechtet, ab und tot, daß sie für immer ausgetilgt sei. Es liegen hinlänglich Beweise vor, daß es nicht die Tat eines aufgeregten Momentes, sondern ruhiger Überlegung war, wenn Alexander gebot, den Feuerbrand in das Zederngetäfel des Königspalastes zu werfen. Parmenion war anderer Ansicht gewesen, hatte dem Könige geraten, des schönen Gebäudes, seines Eigentumes, zu schonen, nicht die Perser zu kränken in den Denkmälern ihrer einstigen Größe und Herrlichkeit. Der König hielt dafür, daß die Maßregel, die er beabsichtigte, nützlich und notwendig sei. So brannte ein Teil des Palastes von Persepolis nieder. Dann befahl der König, die Flamme zu löschen.
Vielleicht war dieser Brand des Palastes im Zusammenhang mit einer Art Inthronisation, die Alexander gefeiert zu haben scheint. Es wird erzählt, daß der Korinther Demaratos, als er Alexander auf dem Thron der Großkönige unter goldenem Baldachin sitzen sah, sich geäußert habe: um wie große Wonne diejenigen gekommen seien, welche diesen Tag nicht mehr erlebt hätten.
Noch ein zweites Vielleicht darf hier zur Erwähnung kommen, ein solches, das für die Gesamtauffassung Alexanders und seines Verfahrens nicht ohne Gewicht ist.
Bedeutete der Vorgang in Persepolis die feierliche Totsprechung der Achämenidenmacht und die förmliche Besitzergreifung des ledig erklärten Reiches, so darf man fragen, ob erst jetzt oder schon jetzt der Moment gekommen war, in so drastischer Symbolik den unwiderruflichen Abschluß auszusprechen und das Urteil zu vollstrecken. Hatte die Schlacht bei Gaugamela die Persermacht definitiv gebrochen, warum zögerte dann Alexander ein halbes Jahr, den Schritt zu tun, zu dem die Weltstadt Babylon oder die Hofburg in Susa sich immerhin ebenso gut geeignet hätte? Oder wenn er ihn verschob, weil mit jenem Siege, mit der Besitznahme von Babylon und Susa noch nicht Genügendes gewonnen schien, war dann etwa die Okkupation der Landschaft Persis militärisch und politisch von so großer Bedeutung, wenn noch Medien mit Ekbatana in Dareios' Hand war, und damit der weite Norden und Osten des Reichs, damit der kürzere Weg zum Tigris und der großen königlichen Straße von Susa bis Sardes, damit für ein in Medien sich sammelndes Heer von Reitermassen des Ostens die Möglichkeit, die lange und dünnbesetzte Linie zu durchreißen, die Alexander mit den westlichen Satrapien und mit Europa verband?
Die Überlieferungen, die uns vorliegen, sind nicht der Art, daß wir voraussetzen dürfen, in ihnen alles Wesentliche erwähnt zu finden. Sie sind redselig genug, wo es sich um die moralische Beurteilung Alexanders handelt; von seinen militärischen Aktionen geben sie ungefähr genug, um deren summarischen Zusammenhang erkennen zu lassen; über sein politisches Handeln, über die Motive, die ihn bestimmten, die Zielpunkte, die er im Auge behielt, sagen sie wenig oder nichts, so daß auf Grund der Information, die sie uns geben, auch die Vorstellung gerechtfertigt hat scheinen können, Alexander habe den Hellespont überschritten mit dem sehr einfachen Plan, bis zu dem noch unbekannten Ganges und dem eben so unbekannten Meer im Osten, in das er sich ergießt, zu marschieren.
Daß sich Alexander einen Friedensschluß möglich dachte, in welcher Form, auf welcher Grundlage, das hatte die Antwort gezeigt, die er nach der Schlacht bei Issos auf die eben so dürftigen wie hochmütigen Anträge des Großkönigs gegeben hatte. Die Forderung, die er in derselben voranstellte, ergab sich aus der Sachlage und aus der Summe der vorausliegenden geschichtlichen Tatsachen. Einst hatten Dareios' Vorfahren den makedonischen König gezwungen, sich ihrer Oberhoheit zu unterwerfen, ihr Satrap zu sein; sie hatten von den hellenischen Staaten Erde und Wasser gefordert, sie hatten nicht aufgehört, sich als geborene Herren auch über die Hellenen und die Barbaren Europas anzusehen, sie hatten im Antalkidischen Frieden und auf Grund desselben »Befehle« zur Nachachtung an die hellenischen Staaten erlassen; sie hatten, als König Philipp gegen Perinth und Byzanz kämpfte, ohne weiteres Truppen wider ihn gesandt, als stehe ihnen zu, über die griechische Welt ihre Hand zu halten und einzuschreiten, wann und wie es ihnen beliebe. Lag in dem Wesen Persiens, der »Monarchie Asiens«, dieser Anspruch der Oberherrlichkeit auch über die hellenische Welt, so konnte der Zweck des Krieges, zu dessen Führung Alexander sich an der Spitze der Makedonen und Hellenen erhoben hatte, kein anderer sein, als diesem Anspruch des Großkönigs gründlich und für immer ein Ende zu machen. Alexander hatte nach der Schlacht bei Issos den Anträgen des Dareios eine und nur eine Forderung entgegengestellt: die der Anerkennung, daß nicht mehr Dareios, sondern Alexander Herr und König in Asien sei; er war bereit, für diese Anerkennung dem besiegten Gegner Zugeständnisse zu machen, ihm, so ungefähr ist der Ausdruck, alles zu gewähren, von dessen Angemessenheit er ihn, den Sieger, überzeugen werde: wenn er diese Anerkennung weigere, dann möge er einer neuen Schlacht gewärtig sein. Auf solche Alternative gestellt, hatte Dareios den weiteren Kampf gewählt; er hatte die zweite größere Schlacht, mit ihr die weite Länderstrecke von den Meeresküsten bis zu den Randgebirgen Irans verloren. Mußte er jetzt nicht innewerden, daß er der Macht Alexanders nicht gewachsen sei? Zeigte nicht jeder weitere Marsch desselben, daß er tatsächlich sei, wofür er anerkannt zu werden gefordert hatte, Herr in Asien, und daß es keine Macht mehr gebe, die ihn hindern könne, zu tun, was er wolle? Konnte Dareios noch zweifeln, daß er sich beugen, sich ihm unterordnen müsse, wenn er noch irgend etwas retten, wenn er die ihm teuren Pfänder, die in des siegreichen Gegners Hand waren, wiedergewinnen wolle?
Alexander mag nach dem Tage von Gaugamela erwartet haben, daß Dareios an ihn senden, ihm eingehendere Anträge als nach dem von Issos machen, sich vor der Macht der Tatsachen beugen werde; er mag, da ihm nicht angemessen scheinen konnte, unmittelbar die Initiative zu ergreifen, der Königinmutter -- auf deren Fürbitte hatte er den Uxiern verziehen -- Andeutungen gemacht haben, daß er friedlichen Erbietungen ihres Sohnes gern Gehör schenken werde. Er konnte auch jetzt geneigt sein, dem besiegten Gegner, wenn er den geschehenen Wechsel der Macht anerkenne, einen Frieden zu gewähren, der ihm Land und Leute ließ und ihm seine Familie wiedergab. Was Alexander jetzt innehatte, die Länderstrecken vom Meere bis zu den Bergsteilen, die Iran umschließen, bildete ein großes zusammenhängendes, auch der Volksart nach ziemlich gleichartiges Ganze, groß und reich genug, um, zu einem Reich mit Makedonien und Hellas vereint, die beherrschende Macht Asiens zu sein, durch seine Küsten dem Westen nah genug, um die Herrschaft über das Mittelmeer hinzuzufügen, zu der mit dem ägyptischen Alexandrien der Grund- und Eckstein gelegt war. Ein Friedensschluß in solchem Sinn würde das Werk der siegreichen Waffen mit der Anerkennung durch den, der ihnen erlegen war, besiegelt haben.
So die hypothetische Linie, die zu zeichnen angemessen schien, um die Lücke zu bezeichnen, die in unseren Überlieferungen ist; die Vorgänge in Persepolis bekommen einen Akzent mehr, wenn man jene Lücke sich so ergänzt denkt. Wenn Alexander Friedensanträge gewünscht, wenn er sie monatelang erwartet hatte, wenn sie auch nach dem Fall von Susa, auch nach der Forcierung der Pässe nach Persien hinauf, nach Besitznahme der alten Königsstätten dort nicht kamen, so war endlich die Hoffnung auf einen vertragsmäßigen Abschluß aufzugeben und der Akt zu vollziehen, mit dem die Achämenidenmacht tot erklärt, die Besitzergreifung der Monarchie über Asien verkündet wurde.
Es war der Urteilsspruch, den zu vollstrecken die nächstweitere militärische Aufgabe sein mußte.
Viertes Kapitel
Aufbruch aus Persepolis -- Dareios' Rückzug aus Ekbatana -- Seine Ermordung -- Alexander in Parthien -- Das Unternehmen Zopyrions, Empörung Thrakiens, Schilderhebung des Agis, seine Niederlage, Beruhigung Griechenlands
Vier Monate verweilte Alexander in den Königsstädten der persischen Landschaft. Nicht bloß, um das Heer sich erholen zu lassen; es wird richtig sein, was die minder guten Quellen berichten, daß er in diesen Wintermonaten gegen die räuberischen Bewohner der nahen Gebirge auszog, um das Land für immer gegen ihre Einfälle zu sichern. Es waren namentlich die Mardier in den südlichsten Gebirgen, die, ähnlich den Uxiern, bisher in fast völliger Unabhängigkeit gelebt hatten. Durch sehr mühselige Züge in ihre schneebedeckten Bergtäler zwang sie Alexander sich zu unterwerfen. Die Satrapie Karmanien, der sich Alexander bei diesem Zuge genaht haben mochte, unterwarf sich und der Satrap Aspastes wurde in ihrem Besitze bestätigt. Schon war dem edlen Phrasaortes, dem Sohn jenes Rheomithres, der in der Schlacht bei Issos den Tod gefunden, die Satrapie Persis übergeben. Daß eine Besatzung von 3000 Mann für Persepolis bestellt wurde, ist nicht hinreichend sicher überliefert; ebenso daß ein Zuzug von 5000 Mann Fußvolk und 1000 Reitern hier oder demnächst auf dem Marsch eingetroffen sei. Dann endlich -- es mochte Ende April sein -- wurde nach Medien aufgebrochen, wohin Dareios mit dem Reste des Heeres nach der Schlacht bei Arbela geflüchtet war.
Nach dem Verlust der Schlacht war Dareios durch die medischen Gebirge nach Ekbatana gegangen mit der Absicht, hier abzuwarten, was Alexander unternehmen werde, und sobald derselbe ihm auch hierher nachsetzte, in den Norden seines Reiches zu flüchten, alles hinter sich verheerend, damit Alexander ihm nicht folgen könne. Zu dem Ende hatte er bereits die Karawane seines Harems, seine Schätze und Kostbarkeiten an den Eingang der kaspischen Pässe nach Ragai gesandt, um durch sie, wenn schleunige Flucht nötig werde, nicht behindert zu sein. Indes verging ein Monat nach dem andern, ohne daß sich auch nur ein feindliches Streifkorps in den Pässen des Zagrosgebirges oder an der inneren Grenze Mediens zeigte. Dann war Ariobarzanes, der heldenmütige Verteidiger der persischen Tore, in Ekbatana angekommen; man mochte jetzt von Südosten her die Makedonen erwarten; aber kein Feind ließ sich sehen. Gefielen dem Sieger die Schätze von Persepolis und Pasargadai vielleicht besser als ein neuer Kampf? Hielten ihn und sein übermütiges Heer die neuen und betäubenden Genüsse des Morgenlandes gefesselt? Noch sah sich Dareios von treuen Truppen, von hochherzigen Perserfürsten umgeben; mit ihm war der Kern des persischen Adels, die Chiliarchie, die Nabarzanes führte, Atropates von Medien, Autophradates von Tapurien, Phrataphernes von Hyrkanien und Parthien, Satibarzanes von Areia, Barsaentes von Arachosien und Drangiana, der kühne Baktrier Bessos, des Großkönigs Verwandter, mit ihm dreitausend baktrische Reiter, die sich mit ihm aus der letzten Schlacht gerettet hatten; ferner des Großkönigs Bruder Oxathres und vor allem der greise Artabazos, der vielbewährte Freund des Dareios, vielleicht der würdigste Name des Persertums, mit ihm seine Söhne; auch des Großkönigs Ochos Sohn, Bisthanes, auch des abtrünnigen Mazaios von Babylon Sohn, Artabelos, war in Ekbatana. Noch hatte Dareios einen Rest seiner griechischen Söldnerscharen unter des Phokiers Patron Führung; er erwartete die Ankunft mehrerer tausend Kadusier und Skythen; nach Ekbatana konnten die Völker von Turan und Ariana noch einmal zu den Waffen gerufen werden, um sich unter ihren Satrapen um die Person des Königs zu sammeln und den Osten des Reiches zu verteidigen; die medische Landschaft bot Positionen genug, in denen man sich verteidigen konnte, namentlich die kaspischen Pässe, die den Eingang nach den östlichen und nördlichen Satrapien bildeten, konnte man auch gegen einen übermächtigen Feind leicht behaupten und ihm dauernd sperren. Dareios beschloß, noch einmal das Glück der Waffen zu versuchen und mit dem Heere, das er bis zur Ankunft Alexanders versammelt haben werde, den Feind am weiteren Vordringen zu hindern. Er mochte durch die Gesandten Spartas und Athens, die sich in seinem Hoflager befanden, erfahren haben, welch tiefen Eindruck die Nachricht von der Schlacht von Gaugamela in Hellas gemacht habe und daß die antimakedonische Partei bereit sei, daß viele Staaten sich entweder schon mit Sparta offen vereint hätten oder nur des Königs Agis ersten Erfolg erwarteten, um von dem Korinthischen Bunde abzufallen, daß sich so in Griechenland ein Umschwung der Verhältnisse vorbereite, der die Makedonen bald genug aus Asien zurückzukehren zwingen werde. Dareios mochte hoffen, glauben zu dürfen, daß das Ende seines Unglücks nicht mehr fern sei.
Schon nahte Alexander. Paraitakene, die Landschaft zwischen Persis und Medien, hatte sich unterworfen und Oxyathres, den Sohn des susianischen Satrapen Abulites, zum Satrapen erhalten; auf die Nachricht, daß Dareios unter den Mauern von Ekbatana, an der Spitze eines bedeutenden Heeres von Baktrianern, Griechen, Skythen, Kadusiern den Angriff erwarten werde, eilte Alexander, den Feind möglichst bald zu treffen. Er ließ, um desto schneller fortzukommen, die Bagage mit ihrer Bedeckung zurück und betrat nach zwölf Tagen das medische Gebiet; da erfuhr er, daß weder die Kadusier noch die Skythen, die Dareios erwartet, eingetroffen seien, daß Dareios, um ein entscheidendes Zusammentreffen zu verzögern, sich bereits zum Rückzuge nach den kaspischen Pässen, wohin die Weiber, Wagen und Feldgerät vorausgegangen seien, anschickte. Doppelt eilte Alexander, er wollte Dareios selbst in seiner Gewalt haben, um allem weiteren Kampfe um den Perserthron ein Ende zu machen. Da kam, drei Tagereisen von Ekbatana, Bisthanes, des Königs Ochos Sohn, einer von denen, die dem Großkönig bis dahin gefolgt waren, ins makedonische Lager; er bestätigte das Gerücht, daß Dareios weiter geflohen, daß er vor fünf Tagen aus Ekbatana gezogen sei, daß er die Schätze Mediens, etwa siebentausend Talente, mit sich genommen habe, ein Heer von sechstausend Mann Fußvolk und dreitausend Pferden ihn begleite.
Alexander eilte nach Ekbatana; schnell wurde dort alles Nötige geordnet; es wurden die Thessaler und die übrigen Bundesgenossen, so viele ihrer nicht freiwillig weiterdienen wollten, mit vollem Sold und einem Geschenk von zweitausend Talenten in die Heimat gesandt; aber nicht wenige blieben; es wurde der Perser Oxydates, der in Susa, früher von Dareios zum ewigen Gefängnis verdammt, durch Alexander befreit war und darum doppelten Vertrauens würdig schien, an Atropates' Stelle, der mit Dareios war, zum Satrapen über Medien bestellt; es wurde Parmenion beauftragt, die Schätze aus Persis in die Burg von Ekbatana zu bringen und dem Harpalos zu übergeben, der zu ihrer Verwaltung bestellt wurde und vorerst zu deren Bewachung sechstausend Makedonen mit den nötigen Reitern und leichten Truppen behielt; Parmenion sollte dann nach Übergabe des Schatzes mit den Soldtruppen, den Thrakern usw. an dem Lande der Kadusier vorüber nach Hyrkanien marschieren. Kleitos, der krank in Susa zurückgeblieben war, erhielt Befehl, sobald es seine Gesundheit gestatte, die sechstausend Mann, die vorläufig bei Harpalos blieben ins Parthische zu führen, um sich dort mit der großen Armee wieder zu vereinen. Mit den übrigen Phalangen, mit der makedonischen Ritterschaft, den Söldnerreitern des Erigyios, den Sarissophoren, den Agrianern und Schützen eilte Alexander dem fliehenden Dareios nach; in elf höchst angestrengten Tagemärschen, in denen viele Menschen und Pferde liegenblieben, erreichte er Ragai, von wo aus für Alexanders Eile noch ein starker Marsch von acht Meilen bis zum Eingang der kaspischen Tore war. Aber die Nachricht, daß Dareios bereits jenseits des Passes sei und einen bedeutenden Vorsprung auf dem Wege nach Baktrien voraushabe, sowie die Erschöpfung seiner Truppen bewog den König, einige Tage in Ragai zu rasten.
Um dieselbe Zeit lagerte Dareios mit seinem Zuge wenige Tagereisen im Osten der kaspischen Pässe. Er hatte kaum noch zwanzig Meilen Vorsprung; er mußte sich überzeugen, daß es einerseits unmöglich sei, bei der ungeheuren Schnelligkeit, mit der Alexander nacheilte, das baktrische Land fliehend zu erreichen, daß er anderseits, wenn doch gekämpft werden mußte, möglichst seinen Marsch verlangsamen müsse, damit die Truppen mit frischer Kraft den vom Verfolgen ermatteten Feinden gegenüberträten; schon waren aus dem persischen Zuge manche zu Alexander übergegangen, bei weiterer Flucht mußte man immer mehr Abfall fürchten. Dareios berief die Großen seiner Umgebung und gab ihnen seine Absicht kund, das Zusammentreffen mit den Makedonen nicht länger zu meiden, sondern noch einmal das Glück der Waffen versuchen zu wollen. Diese Erklärung machte tiefen Eindruck auf die Versammelten; das Unglück hatte die meisten entmutigt, man dachte mit Entsetzen an neuen Kampf; wenige waren bereit, ihrem Könige alles zu opfern, unter ihnen Artabazos; gegen ihn erhob sich Nabarzanes, der Chiliarch: die dringende Not zwinge ihn, ein hartes Wort zu sprechen; hier zu kämpfen sei der sicherste Weg zum Verderben, man müsse weiter nach Osten flüchten, dort neue Heere rüsten; aber die Völker trauten dem Glück des Königs nicht mehr; nur eine Rettung gebe es; Bessos habe bei den östlichen Völkern großes Ansehen, die Skythen und Inder seien ihm verbündet, er sei Verwandter des königlichen Hauses; der König möge ihm, bis der Feind bewältigt sei, die Tiara abtreten. Der Großkönig riß seinen Dolch aus dem Gürtel, kaum entkam Nabarzanes; er eilte, sich mit seiner Perserschar von dem Lager des Königs zu sondern; Bessos folgte ihm mit den baktrischen Völkern. Beide handelten im Einverständnis und nach einem längst vorbereiteten Plane; Barsaentes von Drangiana und Arachosien wurde leicht gewonnen; die übrigen Satrapien der Ostprovinzen waren, wenn nicht offenbar beigetreten, doch geneigt, ihrem Vorteile, als ihrer Pflicht zu dienen. Darum beschwor Artabazos den König, nicht seinem Zorne zu folgen, bei den Meuterern sei die größere Streitmacht, ohne sie sei man verloren, er möge sie durch unverdiente Gnade zur Treue oder zum Schein des Gehorsams zurückrufen. Indes hatte Bessos versucht, die Schar der Perser zum Aufbruch gen Baktrien zu bewegen; aber sie schauderten noch vor dem Gedanken des offenbaren Verrates; sie wollten nicht ohne den König fliehen. Bessos' Plan schien mißlungen; desto hartnäckiger verfolgte er ihn; er schilderte ihnen die Gefahr, in die sie der Großkönig stürze, er gewöhnte sie, die Möglichkeit eines Verbrechens zu denken, das allein retten könne. Da erschien Artabazos mit der Botschaft, der König verzeihe das unüberlegte Wort des Nabarzanes und die eigenwillige Absonderung des Bessos. Beide eilten in des Königs Zelt, sich vor ihm in den Staub zu werfen und mit heuchlerischem Geständnis ihre Reue zu beglaubigen.
Des anderen Tages rückte der Zug auf dem Wege nach Thara weiter; die dumpfe Stille, die mißtrauische Unruhe, die überall herrschte, offenbarte mehr eine drohende als überstandene Gefahr. Der Führer der Griechen bemühte sich, in die Nähe des Königs zu kommen, dessen Wagen Bessos mit seinen Reitern umgab. Endlich gelang es dem treuen Fremdling; er sagte dem Könige, was er fürchte; er beschwor ihn, sich dem Schutze der griechischen Truppen anzuvertrauen, nur dort sei sein Leben sicher. Bessos verstand nicht die Sprache, wohl aber die Miene des hellenischen Mannes; er erkannte, daß nicht länger zu zögern sei. Man langte am Abend in Thara an; die Truppen lagerten, die Baktrier dem Zelte des Königs nahe; in der Stille der Nacht eilten Bessos, Nabarzanes, Barsaentes, einige Vertraute in das Zelt, fesselten den König, schleppten ihn in den Wagen, in dem sie ihn als Gefangenen mit sich gen Baktrien führen wollten, um sich mit seiner Auslieferung den Frieden zu erkaufen. Die Kunde von der Tat verbreitete sich schnell im Lager, alles löste sich in wilde Verwirrung auf; die Baktrier zogen gen Osten weiter, mit Widerstreben folgten ihnen die meisten Perser; Artabazos und seine Söhne verließen den unglücklichen König, dem sie nicht mehr helfen konnten, zogen sich mit den griechischen Söldnern und den Gesandten aus Hellas nordwärts in die Berge der Tapurier zurück; andere Perser, namentlich des Mazaios Sohn Artabelos und Bagisthanes von Babylon, eilten rückwärts, sich der Gnade Alexanders zu unterwerfen.
Alexander hatte seine Truppen einige Tage in Ragai rasten lassen; am Morgen des sechsten brach er wieder auf; er erreichte mit einem starken Marsche den Westeingang der Pässe (Aiwan-o-i-Koif); folgenden Tages zog er durch diese Pässe, die, fast drei Stunden lang, seinen Marsch nicht wenig verzögerten, dann noch so weit, als an diesem Tage zu kommen möglich war, durch die wohlbebaute Ebene von Choarene (Khuar) bis zu dem Saum der Steppe, über die der Weg ostwärts nach der parthischen Hauptstadt Hekatompylos, dem Mittelpunkt der Heerstraßen gen Hyrkanien, Baktrien und Ariana, führt. Während das Heer hier lagerte und einige Truppen sich in der Gegend zerstreuten, um für den Weg durch die Steppe zu fouragieren, kamen Bagisthanes und Artabelos in das makedonische Lager, unterwarfen sich der Gnade des Königs; sie sagten aus, daß Bessos und Nabarzanes sich der Person des Großkönigs bemächtigt hätten und eiligst gen Baktrien zögen; was weiter geschehen, wüßten sie nicht. Mit desto größerer Eile beschloß Alexander die Fliehenden zu verfolgen; indem er den größeren Teil der Truppen unter Krateros mit dem Befehl, langsam nachzurücken, zurückließ, eilte er selbst mit der Ritterschaft, den Plänklern, den Leichtesten und Kräftigsten vom Fußvolk den Fliehenden nach. So die Nacht hindurch bis zum folgenden Mittag; und wieder nach wenigen Stunden Rast die zweite Nacht hindurch; mit Sonnenaufgang erreichte man Thara, wo vier Tage früher Dareios von den Meuterern gefangengenommen war. Hier erfuhr Alexander von des Großkönigs Dolmetscher Melon, der krank zurückgeblieben war, daß Artabazos und die Griechen sich nordwärts in die tapurischen Berge zurückgezogen hätten, daß Bessos an Dareios' Statt die Gewalt in Händen habe und von den Persern und Baktriern als Gebieter anerkannt werde, daß der Plan der Verschworenen sei, sich in die Ostprovinzen zurückzuziehen und dem Könige Alexander gegen den ungestörten und unabhängigen Besitz des persischen Ostens die Auslieferung des Dareios anzubieten, wenn er dagegen weiter vordringe, ein möglichst großes Heer zusammenzubringen und sich gemeinschaftlich im Besitz der Herrschaften, die sie hätten, zu behaupten, vorläufig aber die Führung des Ganzen in Bessos' Händen zu lassen, angeblich wegen seiner Verwandtschaft mit den königlichen Hause und seines nächsten Anrechtes auf den Thron. -- Alles drängte zur größten Eile; kaum gönnte sich Alexander während des heißen Tages Rast, am Abend jagte er weiter, die Nacht hindurch; fast erlagen Mann und Roß; so kam er mittags in ein Dorf (etwa Bakschabad), in dem tags zuvor die Verschworenen gelagert, das sie am Abend verlassen hatten, um, wie gesagt wurde, fortan bei Nacht ihren Zug fortzusetzen; sie konnten nicht mehr als einige Meilen voraus sein; aber die Pferde waren erschöpft, die Menschen mehr als ermattet, der Tag heiß; auf Erkundigung bei den Einwohnern, ob es nicht einen kürzeren Weg den Fliehenden nach gebe, erfuhr Alexander, der kürzere sei öde, ohne Brunnen. Diesen beschloß er zu verfolgen; er wählte 500 Pferde der Ritterschaft und für sie die Offiziere und die tapfersten Leute des Fußvolkes aus, ließ diese in ihren Waffen aufsitzen; mit dem Befehl, daß die Agrianer unter Attalos möglichst rasch auf dem Heerwege nachrücken, die anderen Truppen unter Nikanor marschmäßig folgen sollten, zog er mit seinen »Doppelkämpfern« um die Abenddämmerung den wasserlosen Heideweg hinab. Viele erlagen der übermäßigen Anstrengung und blieben am Wege liegen. Als der Morgen graute, sah man die zerstreute, unbewehrte Karawane der Hochverräter; da jagte Alexander auf sie los; der plötzliche Schrecken verwirrte den langen Zug, mit wildem Geschrei sprengten die Barbaren auseinander; wenige versuchten Widerstand, sie erlagen bald; die übrigen flohen in wilder Hast, Dareios' Wagen in der Mitte, ihm zunächst die Verräter. Schon nahte Alexander; nur ein Mittel noch konnte retten; Bessos und Barsaentes durchbohrten den gefesselten König und jagten fliehend nach verschiedenen Seiten. Dareios verschied kurz darauf. Die Makedonen fanden den Leichnam, und Alexander, so wird erzählt, deckte seinen Purpur über ihn.
So endete der letzte Großkönig aus dem Geschlecht der Achämeniden. Nicht dem erlag er, gegen den er sein Reich zu behaupten vergebens versucht hatte; die Schlachten, die er verloren, hatten ihn mehr als Gebiet und Königsmacht, sie hatten ihn Glauben und die Treue seines Perservolkes und seiner Großen gekostet; ein Flüchtling unter den Verrätern, ein König in Ketten, so fiel er von den Dolchen seiner Satrapen, seiner Blutsverwandten durchbohrt; ihm blieb der Ruhm, nicht um den Preis der Tiara sein Leben erkauft, noch dem Verbrechen ein Recht über das Königtum seines Geschlechtes zugestanden zu haben, sondern als König gestorben zu sein. Als König ehrte ihn Alexander; er sandte den Leichnam zur Bestattung in die Gräber von Persepolis; Sisygambis begrub den Sohn.
Alexander hatte mehr erreicht, als er hatte erwarten können. Nach zwei Schlachten hatte er den geschlagenen König fliehen lassen; aber seit er, Herr der Königsstädte des Reiches, auf dem Thron des Kyros und nach persischer Weise die Huldigung der Großen entgegengenommen hatte, seit er den Völkern Asiens als ihr Herr und König galt und gelten mußte, durfte der flüchtige König nicht länger den Namen seiner verlorenen Herrlichkeit, eine Fahne zu immer neuem Aufruhr, durch die weiten Länder des Ostens tragen. Der Wille und die Notwendigkeit, den Feind zu fangen, wurde nach der heroischen Natur Alexanders zur persönlichen Leidenschaft, zum achilleischen Zorn; er verfolgte mit einer Hast, die an das Ungeheure grenzt, und die, vielen seiner Tapferen zum Verderben, ihn dem gerechten Vorwurf despotischer Schonungslosigkeit aussetzen würde, wenn er nicht selbst Mühe und Ermüdung, Hitze und Durst mit seinen Truppen geteilt, selbst die wilde Jagd der vier Nächte geführt und bis zur letzten Erschöpfung ausgehalten hätte. Damals, heißt, es, brachten ihm Leute einen Trunk Wasser im Eisenhelm; er dürstete und nahm den Helm, er sah seine Reiter traurig nach dem Labetrunk blicken und gab ihn zurück: »Tränke ich allein, meine Leute verlören den Mut.« Da jauchzten die Makedonen: »Führe uns, wohin du willst! Wir sind nicht ermattet, wir dürsten auch nicht, wir sind nicht mehr sterblich, solange du unser König bist!« So spornten sie ihre Rosse und jagten mit dem König weiter, bis sie den Feind sahen und den toten Großkönig fanden.
Man hat Alexanders Glück darin wieder erkennen wollen, daß sein Gegner tot, nicht lebend in seine Hände gefallen sei; er würde stets ein Gegenstand gerechter Besorgnis für Alexander, ein Anlaß gefährlicher Wünsche und Pläne für die Perser gewesen sein, und endlich würde doch nur über seinen Leichnam der Weg zum ruhigen Besitze Asiens geführt haben; Alexander sei glücklich zu preisen, daß ihm nur die Frucht, nicht auch die Schuld des Mordes zugefallen, er habe sich um der Perser willen das Ansehen geben können, als beklage er ihres Königs Tod. Vielleicht hat Alexander, wie nach ihm der große Römer, über den verbrecherischen Untergang seines Feindes sich der Vorteile zu freuen vergessen, die ihm aus dem Blute eines Königs zufließen sollten; große Geister fesselt an den Feind ein eigenes Band, eine Notwendigkeit, möchte man sagen; wie die Macht des Schlages sich nach dem Gegenstand bestimmt, den er treffen soll. Bedenkt man, wie die Königinmutter, wie die Gemahlin und Kinder des Großkönigs von Alexander aufgenommen waren, wie er überall ihr Unglück zu ehren und zu lindern suchte, so kann man nicht zweifeln, welches Schicksal er dem gefangenen Könige gewährt hätte; in des Feindes Hand wäre dessen Leben sicherer gewesen als unter Persern und Blutsverwandten.
Es ist ein anderer Punkt in diesen Vorgängen, in dem man Alexanders Glück erkennen kann -- sein Glück oder sein Verhängnis. Wäre Dareios lebend in seine Hand gefallen, so hätte er dessen Verzicht auf die Länder, die ihm bereits entrissen waren, dessen Anerkennung der neuen Machtgründung in Asien gewinnen, sie vielleicht damit erkaufen können, daß er ihm die östlichen Satrapien überließ; er hätte dann hier, wie er später in Indien mit dem König Poros getan, an der Grenze seines Reiches ein Königtum bestehen lassen, das in losen Formen der Abhängigkeit nur seine Oberhoheit anerkannte. Mit der Ermordung des Dareios war die Möglichkeit eines solchen Abschlusses dahin; wenn Alexander ihn möglich gehalten, wenn er wirklich daran gedacht hatte, endlich einmal haltzumachen, so riß ihn jetzt das Verbrechen, das an seinem Gegner verübt war, weiter, in das Unabsehbare hinaus. Die Mörder nahmen die Macht und den Titel in Anspruch, die der legitime König nicht zu behaupten vermocht hatte; sie waren Usurpatoren gegen Alexander, wie sie Verräter an Dareios geworden waren. Das natürliche Vermächtnis des ermordeten Königs bestellte den, der ihn besiegt, zum Rächer an seinen Mördern; die Majestät des persischen Königtums, durch das Recht des Schwertes gewonnen, ward jetzt zum Schwerte des Rechtes und der Rache in Alexanders Hand; sie hatte keinen Feind mehr als die letzten Vertreter, keinen Vertreter als den siegreichen Feind desselben Königtums.
In den entsetzlichen Vorgängen dieser letzten Tage hatte sich die Stellung der persischen Großen völlig verändert. Die ihrem König nach der Schlacht von Gaugamela nicht verlassen hatten, meist Satrapen der östlichen Provinzen, hatten ihre eigene Sache geschützt, wenn sie um die Person des Königs zusammenhielten. Jene Aufopferung und rührende Anhänglichkeit des Artabazos, der, einst in Pella an König Philipps Hofe ein willkommener Gast, einer ehrenvollen Aufnahme bei Alexander hätte gewiß sein können, teilten wenige, da sie ohne Nutzen voll Gefahr erschien. Sobald des Großkönigs Unglück ihren Vorteil, ja die Existenz ihrer Macht auf das Spiel setzte, begannen sie sich und ihre Ansprüche auf Kosten dieses Königs zu schützen, durch dessen Verblendung und Schwäche allein sie das Reich der Perser ins Verderben gestürzt glaubten; das ewige Fliehen des Dareios brachte nun, nach dem Verlust so vieler und schöner Länder, auch ihre Satrapien in Gefahr; es schien ihnen billig, lieber etwas zu gewinnen, als alles zu verlieren, lieber den Rest des Perserreiches zu behaupten, als auch ihn noch für eine verlorene Sache zu opfern; wenn nur durch sie noch Dareios König sein konnte, so glaubten sie nicht minder, sich ohne Dareios im Besitz ihrer Herrschaft behaupten zu können.
Sie hatten Dareios gefangengenommen; Alexanders plötzlicher Angriff trieb sie, ihn zu ermorden, um sich selbst zu retten; sie flohen, um die Verfolgung zu erschweren, in zwei Haufen, Bessos auf dem Wege nach Chorassan nach Baktrien, Nabarzanes mit den Resten seiner Chiliarchie und von dem parthischen Satrapen begleitet nach Hyrkanien, um von dort aus gen Baktrien zu eilen und sich mit Bessos zu vereinigen. Ihr Plan war, die persische Monarchie wenigstens im Osten aufrechtzuerhalten und dann aus ihrer Mitte, wie einst nach Smerdes' Ermordung, einen neuen König der Könige zu ernennen. Indes war es klar, daß, wenn Phrataphernes aus Parthien, Satibarzanes aus Areia, Barsaentes aus Drangiana hinweg nach Baktrien gingen, um unter Bessos' Führung, wie verabredet war, zu kämpfen, jedenfalls ihre Satrapien dem Feinde in die Hände fielen, und sie ihre Länder einer sehr fernen Zukunft opferten; so blieb Phrataphernes in Hyrkanien stehen, und Nabarzanes schloß sich ihm an; Satibarzanes ging nach Areia, Barsaentes nach Drangiana, um nach den weiteren Unternehmungen Alexanders ihre Maßregeln zu nehmen; die nämliche Selbstsucht, die sie zum Königsmorde vereint hatte, zerriß die letzte Macht, die dem Feinde noch hätte entgegentreten können, und indem sie jeder nur sich und den eigenen Vorteil im Auge hatten, sollten sie vereinzelt desto sicherer dem Schwerte des Furchtbaren erliegen.
Alexander war nach jenem Überfall, bei der gänzlichen Erschöpfung seiner Leute, nicht imstande gewesen, Dareios' Mörder, die nach allen Seiten hin flohen, zu verfolgen. In der Ebene von Hekatompylos rastete er, um die zurückgebliebenen Truppen an sich zu ziehen und die Angelegenheiten der Satrapie Parthien zu ordnen. Der Parther Aminapes, der sich dem Könige bei dessen Eintritt in Ägypten mit Mazakes unterworfen hatte, erhielt die Satrapie, Tleopolemos, aus der Schar der Hetairen, wurde ihm an die Seite gesetzt.
Im Norden der Stadt beginnen die Vorberge der Elburskette, die von den Tapuriern bewohnt wurde; von einzelnen Pässen durchschnitten, trennt sie die Grenzen von Parthien im Süden und Hyrkanien im Norden, die erst weiter in den Klippenzügen von Chorassan aneinanderstoßen; der Besitz der Pässe, die als Verbindung zwischen dem Kaspischen Meere und dem Innern, zwischen Iran und Turan so wichtig sind, war für den Augenblick doppelt notwendig für Alexander, weil sich einerseits die griechischen Söldner von Thara aus in die tapurischen Berge zurückgezogen hatten, anderseits Nabarzanes und Phrataphernes jenseits des Gebirges in Hyrkanien standen. Alexander verließ die Straße von Chorassan, auf der sich Bessos geflüchtet hatte, um sich dieser wichtigen Paßgegend zu versichern. Zadrakarta, eine Hauptstadt Hyrkaniens am Nordabhange des Gebirges, ward als Vereinigungspunkt der drei Heeresabteilungen bestimmt, mit denen Alexander nach Hyrkanien zu gehen beschloß. Auf dem längsten aber bequemsten Wege führte Erigyios, von einigen Reiterabteilungen begleitet, die Bagage und Wagen hinüber; Krateros mit seiner und mit Amyntas' Phalanx, mit sechshundert Schützen und ebenso vielen Reitern, zog über die Berge der Tapurier, um sie und zugleich die griechischen Söldner, wenn er sie träfe, zu unterwerfen; Alexander selbst mit den übrigen Truppen schlug den kürzesten, aber beschwerlichen Weg ein, der nordwestlich von Hekatompylos in die Berge führt. Mit der größten Vorsicht rückten die Kolonnen vor, bald der König mit den Hypaspisten, den leichtesten unter den Phalangiten und einem Teil der Bogenschützen voraus, Posten auf den Höhen zu beiden Seiten des Weges zurücklassend, um den Marsch der Nachkommenden zu sichern, die die wilden Stämme jener Berge beutelüstern zu überfallen bereit lagen; sie zu bekämpfen wäre zu zeitraubend, wenn nicht gar erfolglos gewesen. Mit den Bogenschützen vorauseilend, machte Alexander, in der Ebene auf der Nordseite des Gebirgs angelangt, an einem nicht bedeutenden Fluß halt, die Nachrückenden zu erwarten. In den nächsten vier Tagen kamen sie, zuletzt die Agrianer, die Nachhut des Zuges, nicht ohne einzelne Gefechte mit den Barbaren, von den Bergen herab. Dann rückte Alexander auf dem Wege nach Zadrakarta vor, wo demnächst auch Krateros und Erigyios eintrafen, Krateros mit dem Bericht, daß er zwar die griechischen Söldner nicht getroffen habe, daß aber die Tapurier teils mit Gewalt unterworfen seien, teils sich freiwillig ergeben hätten.
Schon in dem Lager am Flusse waren zu Alexander Boten von dem Chiliarchen Nabarzanes gekommen, der sich bereit erklärte, die Sache des Bessos zu verlassen und sich der Gnade Alexanders zu unterwerfen; auf dem weiteren Wege war der Satrap Phrataphernes nebst anderen der angesehensten Perser, die bei dem Großkönige gewesen waren, zu Alexander gekommen, sich zu unterwerfen. Der Chiliarch, einer von denen, die Dareios gebunden hatten, mochte sich mit Straflosigkeit begnügen müssen; sein Name, sonst einer der ersten im Reiche, wird nicht weiter genannt. Phrataphernes dagegen und seine beiden Söhne Pharasmanes und Sissines gewannen bald Alexanders Vertrauen, dessen sie sich in mehr als einer Gefahr würdig zeigen sollten; der Vater erhielt seine Satrapien Parthien und Hyrkanien zurück. Dann kam auch Artabazos mit dreien seiner Söhne, Arsames, Kophenes und Ariobarzanes, dem Verteidiger der persischen Pässe; Alexander empfing sie so, wie ihre Treue gegen den unglücklichen Dareios es verdiente; Artabazos war ihm aus der Zeit bekannt, wo derselbe mit seinem Schwager, dem Rhodier Memnon, am Hofe zu Pella Zuflucht gefunden hatte; er war dem abendländischen Wesen schon nicht mehr fremd; er und seine Söhne nahmen fortan in Alexanders Umgebung neben den vornehmsten Makedonen eine ehrenvolle Stellung ein. Mit ihnen zugleich war Autophradates, der Satrap der Tapurier, gekommen; auch er wurde mit Ehren aufgenommen und in dem Besitz seiner Satrapie bestätigt. Mit Artabazos war von den griechischen Truppen eine Gesandtschaft eingetroffen, bevollmächtigt, im Namen der ganzen Schar mit dem Könige zu kapitulieren; auf seine Antwort, daß das Verbrechen derer, die wider den Willen von ganz Hellas für die Barbaren gekämpft hätten, zu groß sei, als daß mit ihnen kapituliert werden könne, daß sie sich auf Gnade und Ungnade ergeben, oder so gut sie könnten, retten möchten, erklärten die Bevollmächtigten, daß sie bereit seien, sich zu ergeben, der König möge jemanden mitsenden, unter dessen Führung sie sicher ins Lager kämen. Alexander wählte dazu Artabazos, ihren Führer auf dem Rückzuge von Thara, und Andronikos, einen der angesehensten Makedonen, den Schwager des schwarzen Kleitos.
Alexander erkannte die außerordentliche Wichtigkeit der hyrkanischen Satrapie, ihrer Engpässe, ihrer hafenreichen Küsten, ihrer zum Schiffbau trefflichen Waldungen; schon jetzt mochte ihn der große Plan einer kaspischen Flotte, eines Verkehrs zwischen diesen Küsten und dem Osten Asiens, einer Entdeckungsfahrt in diesem Meere beschäftigen; noch mehr als dies forderte die Verbindung zwischen den bisherigen Eroberungen und den weiteren Heereszügen vollkommene Besitznahme dieser paßreichen Gebirgslandschaft, die das Südufer des Kaspischen Meeres beherrscht. Alexander hatte sich soeben der Pässe der tapurischen Distrikte versichert; Parmenion war beauftragt, mit dem Korps, das in Medien stand, durch das nördliche Medien und die kaspischen Westpässe im Lande der Kadusier nach dem Meeresstrande hinabzurücken, um die Straße, welche Armenien und Medien mit dem Tale des Kur und dem Kaspischen Meere verbindet, zu öffnen; er sollte von dort aus, am Strande entlang nach Hyrkanien und weiter der großen Armee nachziehen. Noch hatten die Mardier, deren Wohnsitze der Name des Amardosflusses zu bezeichnen scheint, sich nicht unterworfen; der König beschloß, gleich jetzt gegen sie auszuziehen. Während die Hauptmasse des Heeres im Lager zurückblieb, zog er selbst an der Spitze der Hypaspisten, der Phalangen Koinos und Amyntas, der Hälfte der Ritterschaft und den neuformierten Akontisten zu Pferd an der Küste entlang gen Westen. Die Mardier fühlten sich, da noch nie ein Feind in ihre Wälder eingedrungen war, völlig sicher, sie glaubten den Eroberer aus dem Abendlande schon auf dem weiteren Marsch nach Baktrien; da rückte Alexander von der Ebene heran; die nächsten Ortschaften wurden genommen, die Bewohner flüchteten sich in die waldigen Gebirge. Mit unsäglicher Mühe zogen die Makedonen durch diese wegelosen, dicht verwachsenen und schauerlichen Wälder nach; oft mußten sie sich mit dem Schwerte den Weg durch das Dickicht bahnen, während bald hier, bald da einzelne Haufen von Mardiern sie überfielen oder aus der Ferne mit ihren Speeren warfen; als aber Alexander immer höher hinaufdrang und die Höhen mit seinen Märschen und Posten immer dichter einschloß, schickten die Mardier Gesandte an ihn und unterwarfen sich und ihr Land seiner Gnade; er nahm von ihnen Geiseln, ließ sie übrigens in ungestörtem Besitz und stellte sie unter den Satrapen Autophradates von Tapurien.
In das Lager von Zadrakarta zurückgekehrt, fand Alexander bereits die griechischen Söldner, fünfzehnhundert an der Zahl, mit ihnen die Gesandten von Sparta, Athen, Kalchedon, Sinope, die, an Dareios gesandt, seit Bessos' Verrat sich mit den Griechen zurückgezogen hatten. Alexander befahl, daß von den griechischen Söldnern diejenigen, welche schon vor dem Korinthischen Vertrage in persischem Solde gewesen waren, ohne weiteres entlassen, den anderen unter der Bedingung, daß sie in das makedonische Heer einträten, Amnestie bewilligt werden sollte; Andronikos, der sich für sie verwendet hatte, erhielt den Befehl über sie. Die Gesandten betreffend entschied der König, weil Sinope nicht mit in dem hellenischen Bunde sei, überdies der Stadt die Gesandtschaft an den Perserkönig als ihren Herrn nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, deren Gesandte sofort auf freien Fuß zu setzen, ebenso die von Kalchedon zu entlassen, die von Sparta und Athen dagegen, die offenbar verräterische Verbindungen mit dem gemeinsamen Feind aller Hellenen unterhalten hätten, festzunehmen und bis auf weiteren Befehl in Verwahrsam zu halten.
Demnächst brach Alexander aus dem Lager auf und rückte in die Residenz der hyrkanischen Satrapie ein, um nach kurzer Rast die weiteren Operationen zu beginnen.
Während dieser Vorfälle in Asien hatte in Europa das Glück der makedonischen Waffen noch eine gefährliche Probe zu bestehen; die Entscheidung war um so wichtiger, da Sparta, nach Athens Niederlage, nach Thebens Fall, der namhafteste Staat in Hellas, sich an die Spitze dieser Bewegungen gestellt hatte.
König Agis war, wie wir sahen, Ausgangs des Jahres 333 trotz der eben eingetroffenen Nachricht von der Schlacht bei Issos, mit der noch bei Siphnos ankernden persischen Seemacht im Einverständnis, in Aktion getreten, hatte durch seinen Bruder Agesilaos Kreta besetzen lassen. Hätte damals Athen sich entschließen wollen, der Bewegung beizutreten, so würden -- denn ohne weiteres hätten hundert Trieren aus dem Piräus in See gehen können -- bedeutende Erfolge möglich gewesen sein. Aber da Athen nicht zu diesem Entschluß kam, so wagten auch die anderen Genossen des hellenischen Bundes nicht, die beschworenen Verträge zu brechen, und der Beistand einiger Tyrannen und Oligarchen auf den Inseln hätte die persische Seemacht nicht stark genug gemacht, um gegen Amphoteros und Hegelochos standzuhalten; mit dem Frühling 332, mit der Belagerung von Tyros löste sie sich völlig auf, bis zum Ende des Jahres waren alle Inseln des Ägäischen Meeres, auch Kreta befreit. Dennoch wurde es in Hellas nicht ruhig, weder die Siege Alexanders, noch die Nähe des bedeutenden Heeres, das der Reichsverweser in Makedonien unter den Waffen hatte, machten die Patrioten an ihren Plänen und an ihren Hoffnungen irre; unzufrieden mit allem, was geschehen war und noch geschah, noch immer in dem Wahne, daß es möglich und gerechtfertigt sei, trotz des beschworenen Bundes und der makedonischen Übermacht, Sonderpolitik in alter Art zu treiben, um die alte Staatenfreiheit zu erneuern, benutzten sie jede Gelegenheit, in der leichtsinnigen und leichtgläubigen Menge Mißgunst, Besorgnis, Erbitterung zu nähren; Thebens unglückliches Ende war ein unerschöpflicher Quell zu Deklamationen, den korinthischen Bundestag nannten sie eine schlechtberechnete Illusion: alles, was von den Makedonen ausging, selbst Ehren und Geschenke, wurde verdächtigt oder als Schmach für freie Hellenen bezeichnet. Alexander wolle nichts, als das Synedrion selbst und jeden einzelnen Beisitzer desselben zu Werkzeugen der makedonischen Despotie machen; die Einheit der Hellenen sei eher im Hasse gegen Makedonien als im Kampfe gegen Persien zu finden; ja die Siege über Persien seien für Makedonien nur ein Mittel mehr, die Freiheit der hellenischen Staaten zu vernichten. Natürlich war die Rednerbühne Athens der rechte Ort, dieses Mißvergnügen in sehr erregten Debatten zur Schau zu stellen; nirgends standen sich die beiden Parteien schärfer gegenüber; und das Volk, bald von Demosthenes, Lykurgos, Hypereides, bald von Phokion, Demades und Äschines bestimmt, widersprach sich oft genug selbst in seinen souveränen Beschlüssen; während man mit dem Synedrion des Bundes wetteifernd Glückwünsche und goldene Kränze an Alexander sandte, war und blieb auch nach dem Tage von Gaugamela Dropidas als attischer Gesandter am Hoflager des Großkönigs; während so Athen Verbindungen unterhielt, die nach dem Bundesvertrage offenbarer Verrat waren, ereiferten sich die attischen Redner über die neuen Vertragsverletzungen, die sich Makedonien erlaube. Nur daß man es vorzog, sich nicht in Gefahr zu begeben; man begnügte sich mit finsteren Gedanken und bedeutsamen Worten.
Nur Agis gab, auch nachdem sein Bruder durch Amphoteros und die makedonische Flotte aus Kreta gedrängt war, die einmal begonnene Aktion nicht auf. Er hatte von den bei Issos zersprengten Söldnern eine bedeutende Zahl an sich gezogen, der Werbeplatz auf dem Tainaron bot ihm so viel Kriegsvolk, als er Geld hatte anzuwerben; er hatte mit den Patrioten namentlich in den peloponnesischen Städten Verbindungen angeknüpft, die den besten Erfolg versprachen; die Umsicht und Kühnheit, mit der er seine Macht und seinen Anhang zu mehren verstand, gab den Gegnern Makedoniens nah und fern die Zuversicht naher Rettung.
In eben dieser Zeit fand ein Unternehmen, das mit großen Hoffnungen begonnen worden war, ein trauriges Ende. Ob der Zug des Epiroten Alexandros nach Italien im Einverständnis mit dem makedonischen Könige oder in Rivalität gegen denselben unternommen sein mochte, es gab einen Moment, wo er mit seinen Siegen das Griechentum Italiens sich stolzer denn je erheben zu sollen schien. Aber die Tarentiner, die in ihm nur einen Kondottiere gegen die italienischen Völker in den Bergen hatten haben wollen, begannen seine hochfliegenden Pläne zu fürchten, und die hellenischen Städte waren mit ihnen einig, daß man ihn lähmen müsse, bevor er ihrer Freiheit gefährlich werde. Der Fortgang seiner Waffen stockte, er wurde von einem lukanischen Flüchtling ermordet, sein Heer von den Sabellern bei Pandosia aufgerieben. Seinem Tode folgten Irrungen im Molosserlande wegen der Erbfolge; ein unmündiger Knabe, den ihm die makedonische Kleopatra, Alexanders Schwester, geboren, war sein Erbe; aber Olympias -- sie lebte, wie es scheint, im epirotischen Lande -- suchte der Witwe, ihrer Tochter, das Regiment zu entreißen: »Das Land der Molosser gehöre ihr«, schrieb sie den Athenern, die in Dodona ein Bild der Dione hatte schmücken lassen, als dürfe dergleichen nicht ohne ihre Erlaubnis geschehen. Daß so in dem Königshause selbst Zwist begann, konnte die Hoffnungen der Patrioten in Hellas nur erhöhen.
Als Alexander im Frühling 331 auf dem Marsch zum Euphrat in Tyros war, wußte er bereits von den weiteren Bewegungen des Agis; er begnügte sich damals, hundert phönikische und kyprische Schiffe aufzubieten, die sich mit Amphoteros vereinigen sollten, die ihm getreuen Städte im Peloponnes zu schützen. Er ehrte die attischen Gesandten, die ihm in Tyrus mit Glückwünschen und goldenen Kränzen entgegengekommen waren, und gab die am Granikos gefangenen Athener frei, um sich den attischen Demos zu verpflichten; er schien geflissentlich vermeiden zu wollen, daß es zwischen den makedonischen und spartanischen Waffen zum offenbaren Kampfe käme, der bei der Stimmung in den hellenischen Landen -- selbst in Thessalien begann sie unsicher zu werden -- sehr bedenkliche Folgen haben konnte; im Begriff, einen neuen und entscheidenden Schlag gegen Dareios zu führen, hoffte er, daß der Eindruck desselben die Aufregung in Hellas entmutigen werde.
So mußte Antipatros während des Jahres 331 ruhig die Rüstungen des Spartanerkönigs und dessen wachsenden Einfluß im Peloponnes mit ansehen, sich begnügen, mit der Autorität Makedoniens in den Bundesstädten soweit zu wirken, als es irgend möglich war, im übrigen die Bewegungen der feindlichen Partei sorgfältig und immer kriegsbereit zu beobachten; er durfte die durch den Tod des Molosserkönigs entstandenen Irrungen nicht benutzen, die, wie es scheint, gelockerte Abhängigkeit des Landes von Makedonien herzustellen und selbst den Unwillen und den bitteren Vorwurf der Königin Olympias, die mit makedonischer Kriegsmacht ihren Anspruch auf das molossische Erbe durchgeführt sehen wollte, mußte er ruhig ertragen.
Indes hatte die Bewegung in Hellas eine sehr ernste Wendung genommen. Die Nachricht von Gaugamela -- sie konnte Ausgangs 331 in Athen sein -- mußte die Gegner Makedoniens entweder zur Unterwerfung oder zu einer letzten Kraftanstrengung veranlassen. Alexanders Fernsein, der Hader in Epirus, die, wie man wußte, wachsende Mißstimmung in den thrakischen Landen empfahl und begünstigte ein rasches Wagnis. Bald mochte man über Sinope erfahren, daß der Großkönig sich nach Medien gerettet, daß er zum nächsten Frühling die Völker seiner östlichen Satrapien nach Ekbatana beschieden habe, daß er den Kampf gegen den Makedonen fortzusetzen entschlossen sei. Noch durfte man wenigstens Subsidien von ihm erwarten; und wie sollte Alexander, von dessen Zuge nach Susa, nach dem hohen Persien man schon wissen konnte, wagen, sein Heer, das kaum zur Besetzung der endlos weiten Wege bis zum Hellespont rückwärts hinreichte, mit Entsendungen nach Makedonien und zum Kampf gegen die Hellenen zu schwächen. Wenn man jetzt noch unschlüssig zögerte, so konnte der letzte Rest der Persermacht erliegen, so mußte man erwarten, daß Alexander demnächst an der Spitze ungeheurer Heeresmassen wie ein zweiter Xerxes Hellas überfluten und zu einer Satrapie seines Reiches machen werde. Die Erregbarkeit des Volksgeistes, die begeisterten Deklamationen patriotischer Redner, die dem Zeitalter eigentümliche Lust am Übertriebenen und Unglaublichen, und nicht an letzter Stelle der alte Nimbus der Spartanermacht, die sich so glorreich von neuem erhob, -- alles vereinte sich, eine Eruption hervorzubringen, die für Makedonien verhängnisvoll werden konnte.
Es folgen höchst merkwürdige Ereignisse, von denen uns freilich nur einzelne zerstreute Notizen überliefert sind, deren Zusammenhang, ja deren zeitliche Folge nicht mehr festgestellt werden kann.
Es ist neuester Zeit die obere Hälfte eines attischen Inschriftsteines[11] gefunden worden, mit einem Relief geschmückt, von dem noch die Reste von zwei Pferden, ein Mann im Himation, der in der Rechten eine Schale zum Spenden hält, eine Athena, die die Hand, wie es scheint, zu ihm hinstreckt, zu erkennen ist; darunter »Rhebulas, des Seuthes Sohn, des Kotys Bruder...« Folgt dann ein Volksbeschluß, von dem nur die Datierung übrig ist, die etwa dem 10. Juni 330 entspricht. Was konnte den Sohn des Seuthes nach Athen geführt haben, daß ihn die Athener mit einem so geschmückten Ehrendekret auszeichneten?
[11] Siehe dazu die Anmerkung am Schluß.
Arrian freilich berichtet über die Vorgänge dieses Jahres in Hellas, Makedonien, Thrakien nichts, aber die auf Kleitarchos zurückführenden Überlieferungen geben einiges. Diodor sagt: »Memnon, der makedonische Strateg in Thrakien, der Truppen hatte und voll Ehrgeiz war, regte die Barbaren auf und griff, als er sich stark genug sah, selbst zu den Waffen, weshalb Antipatros seine Kriegsmacht aufbot, nach Thrakien eilte, wider ihn kämpfte.« Noch weitere Momente bietet Justin; nachdem er das Ende des Dareios berichtet hat, fährt er fort: »Während dies geschah, empfing Alexander Briefe des Antipatros aus Makedonien, in denen von dem Kriege des Spartanerkönigs Agis in Griechenland, von des Molosserkönigs Krieg in Italien, von dem Kriege seines Strategen Zopyrion in Skythien berichtet war«; und weiterhin: »Zopyrion, der von Alexander als Strateg des Pontos bestellt war, in der Meinung, lässig zu sein, wenn er nicht auch etwas unternehme, ging mit einem Heere von dreißigtausend Mann gegen die Skythen und fand mit seiner ganzen Macht den Untergang.«
Freilich Curtius, der doch im wesentlichen auf dieselbe Quelle zurückführt, berichtet von Zopyrion und dem thrakischen Aufstande so, daß man glauben muß, diese Dinge wären volle vier Jahre später geschehen; aber es sind unzweifelhaft die gleichen Vorgänge: »Alexander habe, aus Indien nach Persien zurückgekehrt, Berichte über das, was während seiner Abwesenheit in Asien und Europa geschehen, empfangen; daß Zopyrion, als er einen Krieg gegen die Geten unternahm, durch plötzlich entstandenen Sturm mit seinem ganzen Heere untergegangen sei, daß auf die Nachricht von dieser Niederlage Seuthes die Odryser, seine Landsleute, zum Abfall veranlaßt habe, daß da Thrakien fast verloren gewesen sei, nicht einmal Griechenland...« da beginnt eine längere Lücke im Text des Curtius.
Also nach der Auffassung des Curtius hat die schwere Niederlage des Zopyrion dem thrakischen Fürsten Seuthes den Entschluß zur Empörung gegeben; nach Diodor ist Memnon, der Strateg im makedonischen Thrakien, der Anstifter dieses Abfalls; nach einer anderen Nachricht, die aus dem Kreise derselben kleitarchischen Überlieferung zu stammen scheint, ist zugleich das Gerücht vom Tode Alexanders verbreitet; nach einer anderen gleichen Ursprungs hat Antipatros gegen die »Vierländer«, die am Hämos und bis zur Rhodope hinüber wohnen, ausziehen müssen und sie durch eine Kriegslist zur Heimkehr veranlaßt.
Man sieht ungefähr, wie hier die Dinge zusammenhängen. Alexander hatte im Spätherbst 331 von Susa aus Menes mit 3000 Talenten nach der Küste gesandt mit der Weisung, an Antipatros so viel zu übermachen, wie derselbe zum Kriege gegen Agis brauchen werde. Mag Zopyrion, der Strateg am Pontos, gewiß ohne Weisung Alexanders, gewiß ohne Gutheißung des Antipatros, sein Unternehmen gegen die Skythen etwa im Herbst 331 begonnen haben, seines Heeres Untergang war eine so schwere Schwächung der makedonischen Macht, daß Memnon, der Strateg in Thrakien, den Versuch, sich unabhängig zu machen, wagen konnte; und der odrysische Fürst Seuthes war mit Freuden zum Abfall bereit, die thrakischen Völker im Gebirge, jene Besser, unter den Räubern als Räuber berüchtigt, rückten ins Feld; über das ganze Gebiet im Norden und Süden des Hämos verbreitete sich der Aufstand.
Das wird die große Botschaft gewesen sein, die im Frühling 330 Rhebulas, des Seuthes Sohn, nach Athen brachte, gewiß mit dem Antrage, die Bündnisse, die Athen mit so vielen seiner Vorfahren, namentlich mit Ketriporis, mit Kersobleptes gegen König Philipp geschlossen hatte, gegen Alexander zu erneuern.
Schon hatte im Peloponnes der Kampf begonnen. König Agis hatte makedonische Söldner unter Korragos angegriffen und völlig vernichtet. Von Sparta aus ergingen Aufrufe an die Hellenen, für die Freiheit mit der Stadt Lykurgs gemeinsame Sache zu machen. Die Elier, alle Arkader außer Megalopolis, alle Achäer außer Pellene erhoben sich; Agis eilte, Megalopolis zu belagern, das ihm den Weg nach dem Norden sperrte: »Mit jedem Tage erwartete man den Fall der Stadt; Alexander stand jenseits der Grenzen der Welt, Antipatros zog erst sein Heer zusammen; wie der Ausgang sein werde, war ungewiß«, so sagt Äschines einige Wochen später.
Schon zündete die Flamme des Aufruhrs auch im mittleren Hellas, auch jenseits der Thermopylen; die Ätoler überfielen die akarnanische Stadt Oiniadai, zerstörten sie; die Thessaler, die Perrhaiber standen auf. Wenn Athen jetzt mit seiner bedeutenden Macht der Bewegung beitrat, so schien alles erreichbar.
Noch aus den dürftigen Spuren, die uns übrig sind, erkennt man, wie heftig in Athen debattiert sein muß. Aus einer Inschrift erfährt man von einem platäischen Mann, der eine bedeutende Summe »für den Krieg« darbrachte, und das Ehrendekret zum Dank dafür hat der ehrwürdige Lykurgos beantragt. Derselbe zog den Leokrates, einen der Reichen, der nach der Niederlage von Chäronea geflüchtet war und in Rhodus, dann in Megara große Geschäfte gemacht hatte, wegen Verrats vor Gericht, da er nach Athen zurückzukehren gewagt hatte; aber der Verklagte fand bei vielen Angesehenen und Reichen Fürsprache, und in dem Gericht waren die Stimmen für und wider ihn gleich geteilt. Wie zum Gegenschlag brachte Äschines die alte Klage gegen Ktesiphon, die seit 337 geruht hatte, wieder in Gang; es galt, dessen damaligen Antrag auf einen Ehrenkranz für Demosthenes als ungesetzlich strafen zu lassen; zur Entscheidung kam der Prozeß einige Wochen später, als schon alles entschieden war; in der Rede, die Äschines damals hielt, führt er an, wie Demosthenes große Worte gemacht habe, als werde die Stadt von gewissen Personen »gekappt, ausgekernt, die Muskeln ihrer Kraft durchschnitten«; daß er auf der Rednerbühne gesagt habe: »Ich bekenne mich dazu, die Politik Spartas unterstützt, die Thessalier und Perrhaiber zum Abfall veranlaßt zu haben«. Also Demosthenes hatte -- etwa im Frühling 330 -- seine Verdienste um die Schürung des Aufstandes öffentlich rühmen können. So lebhaft Äschines, Demades, Phokion entgegenarbeiten mochten, sichtlich trieb die Stimmung der Stadt dem Kriege zu; es wurde der Antrag gestellt, die Flotte auszurüsten und denen, die von Alexander abgefallen seien, zu Hilfe zu senden. Da ergriff, so wird erzählt, Demades, der damals die Kasse der Festgelder verwaltete, das letzte Mittel; allerdings erklärte er, seien die Mittel für die vorgeschlagene Expedition vorhanden; er habe dafür gesorgt, daß in der Theorikenkasse genug sei, um für das nächste Fest der Choen jedem Bürger eine halbe Mine zu zahlen; er stelle den Athenern anheim, ob sie das ihnen zukommende Geld lieber für Rüstung und Krieg verwenden wollten. Wenn die Athener gegen die Rüstung entschieden, so war es vielleicht nicht um der Festfeier willen; im Frühling 331 hatte Amphoteros 100 kyprische und phönikische Schiffe Verstärkung erhalten; wenn er mit seiner Flotte zwischen Ägina und Sunion kreuzte, so konnte er das Aussegeln der attischen unmöglich machen.
Indes lag Agis immer noch vor Megalopolis, die Stadt verteidigte sich mit höchster Anstrengung; daß sie nicht so rasch, wie man erwartet hatte, gewonnen wurde, mochte den Eifer derer abkühlen, die sich gern erhoben hätten, wenn Agis bis zum Isthmus und weiter vorgerückt wäre und sie gedeckt hätte. Da kam die Nachricht, daß Antipatros mit Heeresmacht heranrücke.
Er war, sobald er Memnon bewältigt hatte, nach dem Süden aufgebrochen; nachdem er im schnellen Durchzuge die Bewegung in Thessalien unterdrückt, im Weitermarsch die Kontingente wenigstens der zuverlässigsten Verbündeten an sich gezogen hatte, kam er mit einem bedeutenden Heere -- es wird auf 40 000 Mann angegeben -- über den Isthmus; er war stark genug, für den angebotenen Beistand derer zu danken, die jetzt angaben, für des Königs Sache gerüstet zu haben. Agis, dessen Heer nur 20 000 Mann Fußvolk und 2000 Reiter stark gewesen sein soll, gab die Belagerung von Megalopolis auf um etwas rückwärts auf dem Wege nach Sparta in günstigerem Terrain, wo er der Übermacht widerstehen zu können hoffte, den Angriff zu erwarten. Es folgte eine höchst blutige Schlacht, in der die Spartaner und ihre Bundesgenossen, wie die erhaltenen Berichte es darstellen, Wunder der Tapferkeit verrichteten, bis König Agis, mit Wunden bedeckt, von allen Seiten eingeschlossen, endlich dem Andrang erlag und den Tod fand, den er suchte. Antipatros hatte, wenn auch mit bedeutendem Verlust, vollständig gesiegt.
Mit dieser Niederlage brachen die Hoffnungen der hellenischen Patrioten und der Versuch, die Hegemonie Spartas zu erneuern, zusammen. Eudamidas, des gefallenen kinderlosen Königs jüngerer Bruder und Nachfolger, der von Anfang her gegen diesen Krieg gewesen war, empfahl nun, obschon die Bundesgenossen sich mit nach Sparta zurückgezogen hatten, den weiteren Widerstand aufzugeben; es wurde an Antipatros gesandt und um Frieden gebeten. Dieser forderte fünfzig spartanische Knaben als Geiseln; man bot ihm ebenso viele Männer, damit begnügte sich der Sieger; er verwies die Frage über den Friedensbruch an das Synedrion des Bundes, das nach Korinth berufen wurde; nach vielen Beratungen überwies es die Sache an Alexander, worauf spartanische Gesandte nach dem fernen Osten abgingen. Des Königs Entscheidung war so mild als möglich; er verzieh das Geschehene, nur sollten die Elier und Achaier, denn sie waren Genossen des hellenischen Bundes, Sparta nicht -- an Megalopolis 120 Talente als Entschädigung zahlen. Man darf vermuten, daß Sparta nun dem Bunde beitreten mußte; in der Verfassung des altheraklidischen Staates wurde nichts geändert, dessen Gebiet nicht von neuem gemindert.
Auch in Athen wird sich die Spannung der Gemüter nun gelöst haben, wenn man natürlich auch nicht aufhörte, sich in bitterem Grollen zu gefallen. Bald nach Agis' Niederlage wurde der Prozeß gegen Ktesiphon vor den Richtern verhandelt. »Gedenket der Zeit«, sagt Aischines den Richtern, »in der ihr das Urteil sprecht; in wenigen Tagen werden die Pythien gefeiert, und das Synedrion der Hellenen versammelt sich; des Demosthenes Politik in diesen Zeitläuften wird der Stadt zum Vorwurfe gemacht; wenn ihr ihm den Kranz gewährt, wie Ktesiphon beantragt, werdet ihr dafür gelten, mit denen, die den gemeinen Frieden brechen, eines Sinnes zu sein.« Die Athener werden es sich als eine große politische Tat angerechnet haben, daß sich nicht ein Fünftel der Stimmen für Äschines ergab. Damit verfiel dieser in eine Buße von tausend Drachmen; er zahlte sie nicht, er verließ Athen und ging nach Ephesus, und in den nächsten Dionysien erhielt Demosthenes den goldenen Kranz, der, ihm nach der Schlacht von Chäronea bestimmt, jetzt die Gutheißung seiner Politik von damals und jetzt aussprach.
Die allgemeinen Verhältnisse in Hellas wurden mit solchen Demonstrationen nicht mehr geändert; seit dem Zusammenbrechen der spartanischen Erhebung traten sie in den Hintergrund.