Viertes Buch
+Tad' ouch hyp' allôn, alla tois hautou pterois+
Erstes Kapitel
Der Abmarsch -- Kämpfe im Lande der Oreiten -- Zug des Heeres durch die Wüste Gedrosiens -- Ankunft der Reste des Heeres in Karmanien -- Nearchos in Harmozia -- Zerrüttung im Reich -- Strafgerichte -- Rückkehr nach Persien -- Zweite Flucht des Harpalos -- Die Hochzeitfeier in Susa -- Neue Organisation des Heeres -- Aufbruch nach Opis
Den Westen des Induslandes begrenzen mächtige Gebirge, die sich von dem Kophenflusse bis zum Ozean hinabziehen. Unmittelbar über der Brandung des Meeres ragen ihre letzten Felsenmassen noch gegen 1800 Fuß hoch empor. Von wenigen Pässen durchschnitten, sind sie zwischen dem Deltalande des Indus und dem wüsten Küstensaum Gedrosiens, zwischen dem Lande Sindh und der hohen Steppe Arianas eine vollkommene Scheidewand. Gen Morgen ist eine feuchte Tropenwärme, Wasserfülle, üppige Vegetation, eine reiche Tierwelt, dichte Bevölkerung mit dem weitverzweigten geselligen Verkehr, mit den tausend Erzeugnissen und Bedürfnissen einer unvordenklichen Zivilisation; jenseits der Grenzgebirge, die in nackten Felsen übereinander emporsteigen, ein Labyrinth von Felswänden, Klippenzügen, Bergsteppen, in ihrer Mitte das Tafelland von Kelat, nackt, traurig, von trockener Kälte oder kurzer, sengender Sommerglut, in Wahrheit die »Wüste der Armut«. Im Norden und Westen umschließen sie steile Felsgehänge, an deren Fuß das Sandmeer der Wüste Arianas flutet, ein endloser Ozean, mit der rötlich schillernden Atmosphäre des glühenden Flugsandes, mit dem wellenhaften Wechsel stets treibender Dünen, in denen der Pilger verirrt und das Kamel untersinkt. So der traurige Weg ins Innere; noch öder und furchtbarer ist die Einöde der Küste und der Weg durch sie hin gen Westen. Wenn man von Indien aus durch die Pässe des großen Scheidegebirges gestiegen, so öffnet sich eine tiefe Landschaft, links das Meer, gen Westen und Norden Gebirge, in der Tiefe ein Fluß, der zum Ozean eilt, das letzte strömende Wasser auf diesem Wege; Getreidefelder am Fuß der Berge, Dörfer und Flecken in der Ebene zerstreut, die letzten auf einem Wege von Monaten. Gen Norden führen aus dieser »Ebene« schlimme Zickzackpässe in die Bergwüste von Kelat; im Westen ziehen sich die Berge der Oreiten bis ans Meer hinab. Man übersteigt sie, und nun beginnen die Schrecken der Einöde; die Küste ist flach, sandig, heiß, ohne Gras und Strauch, von den Sandbetten vertrockneter Ströme durchfurcht, fast unbewohnbar, die elenden Fischerhütten, die einzeln auf meilenweit an dem Strande zerstreut sind, von Fischgräten und Seetang erbaut, unter einsamen Palmengruppen, die wenigen Menschen noch elender als ihr Land. Eine Tagereise landein streichen nackte Klippenzüge, von Gießbächen durchrissen, die in der Regenzeit plötzlich anschwellen, reißend und brausend zur Küste stürzen und dort die tiefen Mündungsbetten auswühlen, sonst das Jahr hindurch trocken liegen, mit Genist, Mimosen und Tamarisken überwuchert, voll von Wölfen, Schakalen und Mückenschwärmen. Hinter jenen Klippenzügen dehnt sich die Wüste Gedrosien, mehrere Tagereisen breit, von einzelnen Wanderstämmen durchzogen, dem Fremdling mehr als furchtbar; Einöde, Dürre, Wassermangel sind hier die kleinsten Leiden; tags stechende Sonne, glühender Staub, der das Auge entzündet und den Atem erdrückt, nachts durchfröstelnde Kühle und das Heulen hungriger Raubtiere, nirgend ein Obdach oder Grasplatz, nirgend Speise und Trank, nirgend ein sicherer Weg oder ein Ziel des Weges. Durch diese Wüste, so wird erzählt, zog die Königin Semiramis aus Indien heim, und von den Hundertausenden ihres Heeres kehrten mit ihr nicht zwanzig Menschen nach Babylon zurück; auch Kyros soll diesen Rückweg genommen und das gleiche Schicksal erfahren haben; selbst der Fanatismus des Islam hat nicht gewagt, erobernd in diese Wüste einzudringen; der Kalif verbot seinem Feldherrn Abdallah dies Land, das der sichtliche Zorn des Propheten getroffen habe.
Alexander hat diesen Weg gewählt, nicht um Größeres zu vollbringen als Kyros und Semiramis, wie das Altertum, noch um die Verluste der indischen Heerfahrt durch größere Verluste vergessen zu machen, wie der Scharfsinn neuerer Geschichtschreiber gemeint hat. Er mußte diesen Weg wählen; es durften nicht zwischen den Satrapien des Indus und des Persischen Meeres herrenlose Länderstrecken und ununterworfene Völkerstämme den Zusammenhang der Okkupation stören; sie durften es um so weniger, da die Klippenzüge am Saum der Einöde räuberischen Horden und rebellischen Satrapen ein stetes Asyl geboten hätten. Noch wichtiger war die Rücksicht auf die Flotte, welche längs der wüsten Küste dahinfahren und den Seeweg zwischen Indien und Persien öffnen sollte; sie konnte nicht auf Monate lang verproviantiert und mit Wasser versehen werden; um beides einzunehmen, mußte sie von Zeit zu Zeit an die Küste gehen, von der sie sich bei der Natur der damaligen Nautik überhaupt nicht entfernen durfte. Sollte diese Expedition irgend glücken und ihr Zweck, die Fahrt vom Euphrat zum Indus zu öffnen, erreicht werden, so war es vor allem notwendig, die Küste zugänglich zu machen, Wasserbrunnen zu graben, Vorräte zu beschaffen, Widerstand von seiten der Einwohner zu hindern, die Bevölkerung namentlich der reicheren Distrikte mit in den Verband des Reiches zu ziehen. Dies waren die Gründe, die den König veranlaßten, durch Gedrosien zurückzukehren, obschon ihm die Natur jener Landesstrecke nicht unbekannt sein konnte; er durfte seinen großen Plan nicht um der Gefahren willen, die unvermeidlich waren, preisgeben, er durfte die Opfer nicht scheuen, die ihm das Unternehmen kosten sollte, von dem er, und mit Recht, außerordentliche Erfolge erwartete. Der Satrap von Karmanien, Sibyrtios, wird die Weisung erhalten haben von Westen her, soweit möglich, dem Heere das Nötige entgegenzusenden; und man wird wohl so viel erkundet haben, daß die zunächst an Indien grenzende Landschaft, wenn man sie besetzte, im Innern bewohnte und fruchtbare Täler genug besaß, um dem Zuge längs der Küste die nötigen Vorräte zu schaffen.
Die Überlieferungen gestatten nicht, auch nur ungefähr anzugeben, wie groß die Zahl der Truppen war, die der König durch Gedrosien führte. Man darf die Flotte vielleicht auf 100 Schiffe, ihre Bemannung auf 12 000 Mann und etwa 2000 Epibaten rechnen; bedeutend stärker wird das Heer, das Krateros durch Arachosien führte, gewesen sein. Nach einer sicheren Nachricht war die Gesamtmacht des Königs, als er im sogdianischen Alexandrien stand, 120 000 Mann; rechnet man vielleicht 30 000 Mann, die bei dem indischen Satrapen und in den neugegründeten Städten zurückblieben, so könnten 30 000 bis 40 000 Kombattanten mit dem Könige gezogen sein. Dies nur, um daran zu erinnern, was man wissen müßte, um sich eine pragmatisch deutliche Vorstellung von diesem Zuge der Heimkehr machen zu können.
Es mochte gegen Ende August des Jahres 325 sein, als Alexander aus Pattala und dem indischen Lande aufbrach; bald war das Grenzgebirge erreicht und auf dem nördlicheren Paßwege überstiegen; etwa mit dem neunten Tage kam man in die Tallandschaft des Ariosstromes, an dem diesseits die Arbiten, jenseits bis in die Berge die Oreiten wohnten; beide Stämme hatten sich noch nicht unterworfen; deshalb teilte Alexander sein Heer, ihr Land zu durchziehen und nötigenfalls zu verwüsten. Von ihm selbst, von Leonnatos, von Ptolemäus geführt, zogen einige Kolonnen in das Land hinab, während Hephaistion das übrige Heer nachführte. Alexander wandte sich links dem Meere zu, um zugleich der Küste entlang für den Bedarf seiner Flotte Brunnen graben zu lassen, demnächst aber die Oreiten, die für streitbar und zahlreich galten, zu überfallen. Die Arbiten hatten beim Heranrücken der Makedonen ihre Dörfer verlassen und sich in die Wüste geflüchtet. Er kam an den Arbiosfluß, der seicht und schmal, wie er war, leicht überschritten wurde; ein nächtlicher Marsch durch die Sandgegend, die sich von dessen rechtem Ufer abendwärts erstreckte, brachte ihn mit Tagesanbruch an die wohlbebauten Felder und Dorfschaften der Oreiten. Sofort bekam die Reiterei Befehl, geschwaderweise aufzurücken und, um desto mehr Feld zu bedecken, in gemessenen Distanzen vorzugehen, während das Fußvolk in geschlossener Linie nachfolgte. So wurde ein Dorf nach dem anderen angegriffen und eingenommen; wo die Einwohner Widerstand versuchten und mit ihren Giftpfeilen gegen die makedonischen Speere zu kämpfen wagten, wurden sie leicht bewältigt, ihre Dörfer verbrannt, sie selbst niedergehauen oder zu Gefangenen gemacht und in die Sklaverei verkauft. Das untere Gebiet der Oreiten ward ohne bedeutenden Verlust unterworfen; auch die Pfeilwunde, die das Leben des Lagiden Ptolemaios in Gefahr brachte, wurde schnell und glücklich geheilt; an einem Wasser lagerte und rastete Alexander und wartete die Ankunft Hephaistions ab. Mit ihm vereinigt zog er weiter zu dem Flecken Rambakia, dem größten im Lande der Oreiten; die Lage desselben schien günstig für den Verkehr und zur Behauptung des Landes; Alexander beschloß, ihn zur Hauptstadt der oreitischen Satrapie zu machen und zu kolonisieren; Hephaistion erhielt den Befehl zur Gründung des oreitischen Alexandreia. Der König selbst brach mit der Hälfte der Hypaspisten und Agrianer, mit dem Geleit seiner Ritterschaft und den berittenen Schützen gegen die Berge hin auf, welche das Gebiet der Oreiten und Gedrosier voneinander scheiden; denn in den dortigen Pässen, durch welche der Weg nach Gedrosien führte, hatten sich, so war dem Könige berichtet, die Oreiten und Gedrosier in sehr bedeutender Macht aufgestellt, um vereinigt den Makedonen den Weg zu sperren. Sobald die Makedonen dem Eingang der Pässe nahten, flohen die Barbaren vor einem Feinde, dessen unwiderstehliche Kraft sie ebensosehr wie seinen Zorn nach dem Siege fürchteten; die Häuptlinge der Oreiten kamen in demütiger Unterwürfigkeit zu ihm herab, sich, ihr Volk und ihr alles seiner Gnade zu übergeben. Alexander empfing sie huldvoller, als sie erwartet; er trug ihnen auf, ihre zersprengten Dorfschaften wieder zu sammeln, und ihnen in seinem Namen Ruhe und Sicherheit zu versprechen; er legte es ihnen ans Herz, seinem Satrapen Apollophanes, den er über ihr, der Arbiten und der Gedrosier Land setzte, zu gehorchen und namentlich den Anordnungen, die zur Versorgung der makedonischen Flotte getroffen werden würden, gebührend nachzukommen. Zu gleicher Zeit wurde Leonnatos der Leibwächter mit einem bedeutenden Heere, bestehend aus sämtlichen Agrianern, einem Teil der Bogenschützen, einigen hundert Pferden der Makedonen und hellenischen Söldner, einer entsprechenden Zahl Schwerbewaffneter und asiatischer Truppen in der neuen Satrapie zurückgelassen, mit dem Befehl, die Ankunft der Flotte an diesen Gestaden zu erwarten und alles zu deren Aufnahme vorzubereiten, die Kolonisation der neuen Stadt zu vollenden, den etwa noch vorkommenden Unordnungen und Widersetzlichkeiten von seiten des Volkes zu begegnen und alles anzuwenden, um die bisher unabhängigen Oreiten für die neuen Verhältnisse zu gewinnen; Apollophanes wurde angewiesen, alles zu tun, um in das Innere von Gedrosien Schlachtvieh und Vorräte zusammenbringen zu lassen, damit das Heer nicht Mangel leide.
Dann brach Alexander aus dem Lande der Oreiten nach Gedrosien auf. Schon wurde der heiße und flache Küstensaum breiter und öder, die Hitze stechender, der Weg beschwerlicher; man zog tagelang durch einsame Sandstrecken, in denen von Zeit zu Zeit Palmengruppen einen ärmlichen Schatten unter der fast senkrechten Sonne boten; häufiger waren Myrrhenbüsche, stark duftend in der Glut der Sonne und in der Fülle des unbenutzt ausschwitzenden Harzes; die phönikischen Kaufleute, die mit zahlreichen Kamelen dem Heere folgten, sammelten hier viel von dieser köstlichen Ware, die im Abendlande unter dem Namen der arabischen Myrrhe so beliebt war. In der Nähe der See oder der Flüsse blühte die starkduftende Tamariske, über den Boden hin wucherte die Schlingwurzel der Narden und vielrankiges Dorngebüsch, in dem sich die Hasen, die der nahende Heereszug aufgescheucht, wie Vögel im Dohnenstrich fingen. In der Nähe solcher Plätze wurde übernachtet und aus den Blättern der Myrrhen und Narden die nächtliche Streu bereitet. Aber mit jedem neuen Marsche wurde die Küste öder und unwegsamer. Die Bäche erstarben im heißen Sande, auch die Vegetation hörte auf; von Menschen und Tieren war auf weite Strecken keine Spur; man begann die Nächte zu marschieren, um während des Tages zu ruhen; man zog tiefer landein, um auf dem nächsten Wege diese Einöde zurückzulegen und zugleich für die Flotte Vorräte an die Küste zu schaffen; einzelne Trupps wurden an die Küste hinabgesandt, die Vorräte aufzustapeln, Brunnen zu graben, die Zugänglichkeit des Strandes für die Schiffe zu untersuchen. Einige dieser Reiter unter Thoas' Führung brachten die Nachricht, an der Küste seien wenige ärmliche Fischerhütten, aus Walfischrippen und Seemuscheln erbaut; die Bewohner, armselig und stumpfsinnig, lebten von gedörrten Fischen und Fischmehl und tränken das brackige Wasser der Sandgruben; man hatte das Gebiet der Ichthyophagen erreicht. Tiefer landein, so hieß es, finde man einzelne Dorfschaften; dorthin mußte das Heer, da der Mangel an Lebensmitteln schon empfindlich zu werden begann. Nach langen, ermüdenden Nachtmärschen, in denen schon nicht mehr die strengste Ordnung und Manneszucht zu erhalten war, erreichte man diese Gegend; von den Vorräten, die sie darbot, wurde möglichst sparsam an das Heer verteilt, um das übrige, mit dem königlichen Siegel verwahrt und auf Kamele gepackt, an die Küste zu schicken; aber sobald Alexander mit den ersten Kolonnen zum weiteren Marsche aufbrach, rissen die bei den Vorräten bestellten Wachen die Siegel auf, und von ihren hungernden Kamelen schreiend umdrängt, teilten sie aus, was sie bewahren sollten, unbekümmert, wie sie ihr Leben verwirkten, um es vor dem Hungertode zu retten. Alexander ließ es ungeahndet; er eilte, neue Vorräte aufzutreiben und sie unter sicherer Bedeckung hinabzusenden; er befahl den Einwohnern, aus dem Innern des Landes so viel Getreide, Dattelfrucht und Schlachtvieh als irgend möglich aufzubringen und an die Küsten zu schaffen; zuverlässige Männer wurden zurückgelassen, diese Transporte zu besorgen.
Indes zog das Heer weiter; es nahte dem furchtbarsten Teil der Wüste; in gräßlicher Steigerung wuchs der Hunger, das Elend, die Zügellosigkeit. Auf zehn, auf fünfzehn Meilen weit kein Wasser, der Sand tief, heiß, wellenhaft wie ein stürmisches Meer zu breiten Dünen aufgeweht, durch die man mit jedem Schritte tief einsinkend sich mit endloser Mühe hinschleppte, um sogleich dieselbe Arbeit von neuem zu beginnen; dazu das Dunkel der Nacht, die furchtbar wachsende Auflösung aller Ordnung, die letzte Kraft durch Hunger und Durst erschöpft oder zu eigennütziger Gier verwildert. Man schlachtete die Pferde, Kamele, Maultiere und aß ihr Fleisch; man spannte das Zugvieh von den Wagen der Kranken und überließ diese ihrem Schicksal, um in trauriger Hast weiterzuziehen; wer vor Müdigkeit oder Entkräftung zurückblieb, fand den Morgen kaum noch die Spur des großen Heeres wieder, und fand er sie, so bemühte er sich umsonst, dasselbe einzuholen; in schrecklichen Zuckungen verschmachtete er unter der glühenden Mittagssonne oder verirrte in dem Labyrinth der Dünen, um vor Hunger und Durst langsam dahinzusterben. Glücklich die anderen, wenn sie vor Tagesanbruch Brunnen erreichten, um zu rasten; aber oft mußte man noch marschieren, wenn schon die Sonne durch die rötliche Glutluft herabbrannte und der Sand unter wunden Füßen glühte; dann stürzten die Tiere röchelnd zusammen, und den hinsinkenden Menschen brach das Blut jählings aus Auge und Mund, oder sie kauerten sich todmatt nieder, während die Reihen aufgelöst in gespenstischer Stille an den sterbenden Kameraden vorüberwankten; kam man endlich zu den Wassern, so stürzte alles hin und trank in hastiger Gier, um die letzte Labung mit einem qualvollen Tode zu büßen. An einer der Raststellen -- ein fast ausgetrocknetes Wasser floß vorüber -- lagerte das Heer einen Tag und ruhte unter den Zelten; da füllte sich plötzlich das Strombett und brausend schwollen die Wasser über; Waffen, Tiere, Zelte, Menschen wurden mit hinweggerissen, und ehe man sich noch zu besinnen und zu helfen vermochte, war schon die Verwüstung auf ihrem Gipfel; Alexanders Zelt und ein Teil seiner Waffen wurden ein Raub der Flut, deren Gewalt er selbst mit Mühe entrann. So häuften sich die Schrecken; und als endlich gar bei dem weiteren Marsche, als ein heftiger Wind die Dünen der Wüste durcheinandertrieb und allen Weg spurlos verwehte, die landeingeborenen Führer verirrten und nicht mehr wo noch wohin wußten, da sank auch dem Mutigsten der Mut, und der Untergang schien allen gewiß. Alexander sammelte die kräftigsten der Ritter, eine kleine Schar, um sich, mit ihnen das Meer zu suchen; er beschwor sie, die letzten Kräfte zusammenzunehmen und ihm zu folgen. Sie ritten mittagswärts durch die tiefen Dünen, von Durst gequält in der tiefsten Erschöpfung; die Pferde stürzten zusammen, die Reiter vermochten nicht sich weiterzuschleppen, nur der König mit fünf anderen war unermüdlich vorgedrungen; sie sahen endlich die blaue See, sie ritten hinab, sie gruben mit ihren Schwertern im Sande nach süßem Wasser, und ein Quell sprudelte hervor, sie zu erquicken; dann eilte Alexander zurück zum Heere und führte es hinab an den kühleren Strand und zu den süßen Quellen, die dort rieselten. Nun fanden die Führer sich wieder zurecht und führten das Heer noch sieben Tage lang an der Wüste, wo an Wasser nicht Mangel und auch hier und da Vorräte und Dorfschaften waren; mit dem siebenten Tage wandte man sich landeinwärts und zog durch fruchtprangende und heitere Gegenden nach Pura, der Residenz der Satrapie Gedrosien.
So erreichte das Heer endlich das Ziel seines Weges, aber in welchem Zustande! Der Marsch von der Oreiten Grenze durch die Wüste hatte sechzig Tage gewährt; aber die Leiden und Verluste auf diesem Marsche waren größer als alles Frühere zusammengenommen. Das Heer, das so stolz und reich aus Indien ausgezogen, war auf ein Viertel zusammengeschmolzen, und dieser traurige Überrest des welterobernden Heeres war abgezehrt und entstellt, in zerlumpten Kleidern, fast ohne Waffen, die wenigen Pferde abgemagert und elend, das Ganze ein Aufzug des tiefsten Elends, der Auflösung und Niedergeschlagenheit. So kam der König nach Pura. Hier ließ er rasten, damit sich die erschöpften Truppen erholten und die auf dem Wege Verirrten sich sammelten. Der Satrap über Oreitis und Gedrosien, der den Befehl erhalten, die Wege der Wüste mit Vorräten versorgen zu lassen, und durch dessen Fahrlässigkeit dem Heere selbst noch die Erleichterung, welche die Wüste gestattet hätte, entzogen worden war, erhielt von hier aus seine Entlassung; Thoas wurde zu seinem Nachfolger in der Satrapie bestimmt.
Dann brach Alexander nach Karmanien auf, wo er Krateros mit seinem Heere und mehrere Befehlshaber der oberen Provinzen, die er dorthin beordert, zu treffen hoffte. Es mochte Anfang Dezember sein; von der Flotte und ihren Schicksalen hatte man nicht die geringste Nachricht; war die dem hochherzigen Nearchos übertragene Expedition schon an sich gefahrvoll, und die gänzliche Ungewißheit über den Fortgang höchst beunruhigend, so mochte Alexander nach den jüngsten Erlebnissen und ihrer unbeschreiblichen Furchtbarkeit eher alles zu fürchten, als das Gelingen eines großen Planes zu hoffen geneigt sein; jene Küste, die dem größten Teil seines Heeres den elendesten Untergang gebracht hatte, war für die Flotte die letzte und einzige Zuflucht; und öde, flachsandig, hafenlos wie sie war, schien sie eher die unberechenbaren Wechselfälle von Wind und Wetter gefährlicher zu machen, als vor ihnen retten zu können; ein Orkan, und Flotte und Heer konnten spurlos vernichtet sein, eine unvorsichtige Fahrt, und der Ozean war weit genug zu endlosem Irren und rettungslosem Treiben.
Da kam der Hyparch der Gegend zum Könige mit der Nachricht, fünf Tage südwärts an der Mündung des Flusses Anamis sei Nearch wohlbehalten mit der Flotte gelandet, habe auf die Nachricht, daß sich der König im oberen Lande befinde, sein Heer sich hinter Wall und Graben lagern lassen und werde demnächst persönlich vor Alexander erscheinen. Des Königs Freude war im ersten Augenblick außerordentlich, bald genug drängte Ungeduld, Zweifel, größere Bekümmernis sie zurück; umsonst erwartete man Nearchs Ankunft; es verstrich ein Tag nach dem anderen; Boten auf Boten wurden ausgesandt, die einen kamen zurück mit dem Bericht, sie hätten nirgend Makedonen der Flotte gesehen, nirgend von ihnen Kunde erhalten; andere blieben ganz aus; endlich befahl Alexander, den Hyparchen, der treulose Märchen geschmiedet und mit der Trauer des Heeres und des Königs Spott getrieben, festzunehmen und in Ketten zu legen. Er war trauriger denn zuvor und von Leiden des Körpers und der Seele bleich.
Der Hyparch hatte die volle Wahrheit gesagt: wirklich war Nearchos mit seiner Flotte an der karmanischen Küste; glücklich hatte er ein Unternehmen, dem an Gefahren und Wundern schon an sich nichts ähnlich war, und das überdies durch das Zusammentreffen zufälliger Umstände überaus erschwert worden war, vollbracht.
Schon am Indusstrome hatten diese Schwierigkeiten begonnen; kaum war Alexander mit dem Landheere über die Grenzen Indiens gegangen, so hatten die Inder, die sich jetzt frei und sicher glaubten, bedenkliche Unruhen begonnen, so daß die Flotte nicht mehr in Indus sicher zu sein schien. Nearchos hatte, da es nicht seine Aufgabe war, das Land zu behaupten, sondern die Flotte zum Persischen Meerbusen zu führen, sich schnell und ohne die Zeit der stehenden Ostwinde abzuwarten, zur Abfahrt bereitet, war am 21. September[16] abgesegelt und hatte in wenigen Tagen die Kanäle des Indusdeltas hinter sich; dann war er durch heftige Südwinde genötigt worden, unter dem Vorgebirge, das Indien vom Arbitenlande trennt, in einem Hafen, den er nach Alexander nannte, ans Land zu gehen und daselbst vierundzwanzig Tage zu rasten, bis sich endlich die regelmäßigen Winde gesetzt hatten. Mit dem 23. Oktober war er weitergeschifft, war unter mannigfaltigen Gefahren, bald zwischen Klippen hindurchsteuernd, bald gegen die gewaltige Brandung des Ozeans ankämpfend, an der Arbiosmündung vorübergesegelt, und nach einem furchtbaren Seesturm am 30. Oktober, der drei Fahrzeugen den Untergang brachte, bei Kokala an das Land gegangen, um zehn Tage zu rasten und die schadhaften Schiffe auszubessern; es war das der Ort, an dem kurz zuvor Leonnatos die Barbaren der Umgegend in einem blutigen Treffen überwältigt hatte; der Satrap Apollophanes von Gedrosien war bei dieser Gelegenheit erschlagen worden. Hier reichlich mit Vorräten versehen und nach wiederholten Zusammenkünften mit Leonnatos, war Nearchos weiter gen Westen gefahren, und am 10. November lag das Geschwader vor der Mündung des Flusses Tomeros, an dessen Ufern bewaffnete Oreiten haufenweise standen, um die Einfahrt der Flotte zu hindern; ein kühner Überfall genügte, sie zu bewältigen und für einige Tage einen ruhigen Landungsplatz zu gewinnen.
[16] Siehe dazu die Anmerkung am Schluß.
Mit dem 21. November war die Flotte zu der Küste der Ichthyophagen gekommen, jener armseligen und furchtbaren Einöde, bei der das Elend des Landheeres begann; auch das Schiffsheer hatte viel zu leiden, der Mangel an süßem Wasser und an Vorräten wurde mit jedem Tage drückender. Endlich fand man in einem Fischerdorfe hinter dem Vorgebirge Bageia einen Eingeborenen Namens Hydrakes, der sich erbot, die Flotte als Lotse zu begleiten; er war ihr von großem Nutzen; unter seiner Leitung vermochte man fortan größere Fahrten zu machen und dazu die kühleren Nächte zu benutzen. Unter immer steigendem Mangel fuhr man bei der öden Sandküste Gedrosiens vorüber, und schon hatte die Unzufriedenheit der Schiffsleute einen gefährlichen Grad erreicht; da endlich erblickte man die mit Fruchtfeldern, Palmhainen und Weinbergen bedeckten Gestade Karmaniens; jetzt war die Not vorüber, jetzt nahte man der langersehnten Einfahrt in das Persische Meer, man war in befreundetem Gebiet. Man sah zur Linken die weit ins Land vorspringende Landspitze Arabiens, die Maketa genannt wurde, von wo, so erfuhr man, der Zimt und andere indische Waren nach Babylon gebracht werden.
An der Küste Harmozia und an der Mündung des Anamis landete die Flotte, und das Schiffsvolk lagerte an den Stromufern, nach so vielen Mühen sich auszuruhen und der überstandenen Gefahren zu gedenken, denen zu entkommen mancher verzweifelt haben mochte; von dem Landheere wußte man nichts, seit der Küste der Ichthyophagen hatte man alle Spur von demselben verloren. Da geschah es, daß einige von Nearchs Leuten, die ein wenig landein gegangen waren, um Lebensmittel zu suchen, in der Ferne einen Menschen in hellenischer Tracht sahen; sie eilten auf ihn zu und erkannten sich unter Freudentränen als hellenische Männer; sie fragten ihn, woher er käme, wer er wäre? Er antwortete, er komme vom Lager Alexanders, der König sei nicht ferne von hier; und frohlockend führten sie ihn zu Nearchos, dem er dann angab, daß Alexander etwa fünf Tage weit landein stehe, und sich zugleich erbot, ihn zum Hyparchen der Gegend zu bringen. Das geschah; Nearchos überlegte mit diesem, wie er zum Könige hinaufkommen möchte. Während er zu den Schiffen zurückkehrte, um hier alles zu ordnen und das Lager verschanzen zu lassen, war der Hyparch, in der Hoffnung, durch die erste Nachricht von der glücklichen Ankunft der Flotte des Königs Gunst zu gewinnen, auf dem kürzesten Wege in das innere Land hinaufgeeilt und hatte dort jene Botschaft überbracht, die ihm selbst so viel Leid zuzog, da deren Bestätigung ausblieb.
Endlich, so erzählt Nearchos selbst das Weitere, waren die Einrichtungen für die Flotte und das Lager so weit gediehen daß er mit Archias von Pella, dem zweiten Befehlshaber der Flotte, und mit fünf oder sechs Begleitern von dem Lager aufbrach und ins Innere wanderte. Diesen begegneten auf dem Wege einige von den ausgesandten Boten Alexanders; aber sie erkannten weder den Nearchos noch den Archias, so sehr hatte sich ihr Äußeres verwandelt; ihr Haupt- und Barthaar war lang, ihr Gesicht bleich, ihre Gestalt abgezehrt, ihre Kleidung zerlumpt und voll Schiffsteer; und als diese sie fragten, in welcher Richtung wohl Alexanders Lager stände, zeigten sie ihnen Bescheid und zogen vorüber. Archias aber ahnte das Rechte und sprach: »Es scheint, daß die Männer ausgesandt sind, uns zu suchen; daß sie uns nicht erkennen, ist gar wohl zu begreifen, wir mögen wohl sehr anders als in Indien aussehen; laß uns sagen, wer wir sind, und sie fragen, wohin sie reisen.« Das tat Nearchos; sie antworteten, sie suchten den Nearchos und das Heer von der Flotte. Da sagte Nearchos: »Ich bin es, den ihr suchet, führt uns zum Könige!« Da nahmen sie sie jubelnd auf ihre Wagen und fuhren zum Lager; einige aber eilten voraus und zum Zelte des Königs und sprachen: »Nearchos und Archias und fünf andere mit ihnen kommen soeben daher.« Da sie aber von dem übrigen Heere und von der Flotte nichts wußten, glaubte der König, daß jene wohl unvermutet gerettet, aber Heer und Flotte untergegangen sei, und seine Trauer war größer denn vorher. Da trat Nearchos und Archias herein. Alexander erkannte sie kaum wieder, er reichte dem Nearchos die Hand, führte ihn zur Seite und weinte lange Zeit; endlich sprach er: »Daß ich dich und Archias wiedersehe, läßt mich den ganzen Verlust minder schmerzlich empfinden; nun aber sprich, wie ist meine Flotte und mein Heer zugrunde gegangen?« Nearchos antwortete: »O König, beides ist dir erhalten, deine Flotte und dein Heer; wir aber sind als die Boten ihrer Erhaltung zu dir gekommen.« Da weinte Alexander noch mehr, und lauter Jubel war um ihn her; er aber schwur bei Zeus und Ammon, daß ihm dieser Tag teurer wäre als der Besitz von ganz Asien.
Schon war auch Krateros mit seinem Heere und den Elefanten nach einem glücklichen Marsche durch Arachosien und Drangiana in Karmanien angelangt; er hatte sich auf die Nachricht von Alexanders ungeheueren Verlusten beeilt, sein frisches und kräftiges Heer dem Könige zuzuführen. Mit ihm zugleich trafen die Befehlshaber, die seit fünf Jahren in Medien gestanden hatten, ein; es waren Kleandros mit den Veteranen der Söldner, Herakon mit den Söldnerreitern, die früher Menidas geführt hatte, Sitalkes mit dem thrakischen Fußvolk, Agathon mit den odrysischen Reitern, im ganzen fünftausend Mann zu Fuß und tausend Reiter. Auch der Satrap Stasanor von Areia und Drangiana, und Pharasmanes, der Sohn des parthischen Satrapen Phrataphernes, waren mit Kamelen, Pferden und Herden Zugvieh nach Karmanien gekommen, zunächst in der Absicht dem Heere, das sie noch nicht angelangt glaubten, bei dem Zuge durch die Wüste die notwendigen Bedürfnisse zu beschaffen; doch auch jetzt noch waren sie mit dem, was sie brachten, willkommen, die Kamele, Pferde, Rinder wurden im Heere auf die übliche Weise verteilt. Dies alles, dazu die glückliche Natur des karmanischen Landes, die Pflege und Ruhe, die hier den Soldaten zuteil wurde, endlich die unmittelbare Anwesenheit des Königs, dessen Tätigkeit nie ernster und durchgreifender gewesen war, machten in kurzer Zeit die Spuren des furchtbaren Elends verschwinden und gaben dem makedonischen Heere Haltung und Selbstvertrauen zurück. Dann wurden Festlichkeiten mannigfacher Art veranstaltet, um den Göttern für die glückliche Beendigung des indischen Feldzuges, für die Heimkehr des Heeres und die wunderbare Erhaltung der Flotte zu danken; Zeus dem Erretter, Apollon, dem Fluchabwehrer, dem Erderschütterer Poseidon und den Göttern des Meeres wurde geopfert, es wurden Festzüge gehalten, Festchöre gesungen, Kampfspiele aller Art gefeiert; in dem Gepränge des Festzuges ging Nearchos bekränzt an des bekränzten Königs Seite, und das jubelnde Heer warf Blumen und bunte Bänder auf sie. In allgemeiner Heerversammlung wiederholte der Nearch den Bericht seiner Fahrt; er und andere der Führer, sowie viele vom Heere, wurden vom Könige durch Geschenke, durch Beförderungen und Auszeichnungen aller Art geehrt, namentlich wurde Peukestas, bisher Alexanders Schildträger und bei dem Sturm auf die Mallerstadt sein Retter, der hergebrachten Zahl der sieben Somatophylakes als achter hinzugefügt.
Zu gleicher Zeit gab der König die Weisungen für den weiteren Zug: die Flotte sollte ihre Fahrt längs der Küste des Persischen Meerbusens fortsetzen, in die Mündung des Pasitigris einlenken und stromauf in den Fluß von Susa fahren; mit dem größeren Teil des Landheeres, mit den Elefanten und der Bagage sollte Hephaistion, um die schwierigen Wege, den Schnee und die Winterkälte in den Berggegenden zu vermeiden, an die flache Küste, die Vorräte genug und in jetziger Jahreszeit milde Luft und bequeme Wege hatte, hinabziehen, um sich in der Ebene von Susa mit der Flotte und dem übrigen Heere wieder zu vereinigen. Alexander selbst wollte mit der makedonischen Ritterschaft und dem leichten Fußvolk, namentlich den Hypaspisten und einem Teile der Bogenschützen, auf dem nächsten Wege durch die Berge über Pasargadai und Persepolis gen Susa ziehen.
So kehrte Alexander in den Bereich der Länder zurück, die ihm seit Jahren unterworfen waren; es war hohe Zeit, daß er zurückkehrte. Arge Unordnungen und gefährliche Neuerungen waren an mehr als einem Punkte entstanden; nur zu bald hatte der Geist der Zügellosigkeit und Anmaßung, der in den Satrapen des früheren Perserreiches geherrscht hatte, auch bei den jetzigen Statthaltern und Anführern Eingang gefunden; während des Königs Abwesenheit ohne Aufsicht und im Besitz fast unumschränkter Gewalt, hatten viele Satrapen, sowohl Makedonen als Perser, die Völker auf das furchtbarste bedrückt, hatten ihrer Habgier, ihrer Wollust alles erlaubt, hatten selbst die Tempel der Götter und die Gräber der Toten nicht geschont; ja auf den Fall, daß Alexander nicht aus den Ländern Indiens zurückkehrte, hatten sie sich bereits mit Söldnerhaufen umgeben und alle Anstalten getroffen, um sich nötigenfalls mit gewaffneter Hand im Besitz ihrer Provinzen zu behaupten. Die tollkühnsten Pläne, die ausschweifendsten Wünsche, die überspanntesten Hoffnungen waren an der Tagesordnung; die ungemessene Aufregung dieser Jahre, in denen alles Herkömmliche und Gewisse abgetan und das Unwahrscheinlichste möglich schien, fand keine Sättigung mehr als im zügellosesten Wagen und der Betäubung maßlosen Genusses oder Verlustes. Das wilde Würfelspiel des Krieges, in dem Asien gewonnen war, wie leicht konnte es umschlagen, wie leicht mit einem Wurfe des Königs übergroßes Glück wie gewonnen so zerronnen sein. Auch das gestürzte Persertum begann sich mit neuer Hoffnung aufzurichten, und es war bereits mehr als ein Versuch von seiten morgenländischer Großen gemacht worden, die kaum geknüpften Bande zu zerreißen und unabhängige Fürstentümer zu gründen, oder im Namen des altpersischen Königtums, das gewiß sich erneuern werde, die Völker zum Abfall zu reizen. Und als nun nach der jahrelangen Abwesenheit des Königs, nach dem immer wilderen Umsichgreifen der Unordnung und der Usurpation, die Kunde von dem Untergange des Heeres in der gedrosischen Wüste sich verbreitete, da mochte die Bewegung an allen Orten und in allen Gemütern einen Grad erreichen, der den Umsturz alles Bestehenden befürchten ließ.
Das waren die Verhältnisse, unter denen Alexander mit den Überresten seines Heeres in die Westprovinzen zurückkehrte. Es stand alles auf dem Spiel; ein Zeichen von Besorgnis oder Schwäche, und das Reich stürzte über seinem Gründer in Trümmer; nur die kühnste Entschlossenheit, die ernsteste Kraft des Willens und der Tat konnte den König und sein Reich retten; Gnade und Langmut wäre Geständnis der Ohnmacht gewesen, und hätte die Völker, die auch jetzt noch dem Könige anhingen, um ihre letzte Hoffnung gebracht. Es bedurfte der strengsten und schonungslosesten Gerechtigkeit, um den empörend mißhandelten Völkern ihr Recht zu sichern und ihr Vertrauen zu der Macht des Königs zu retten; es bedurfte rascher und durchgreifender Maßregeln, um der Majestät des Königtums ihren vollen Glanz wiederzugeben und die Schrecken ihres Zornes zu verbreiten. Und vielleicht war Alexander jetzt in der dunklen Stimmung, die den zürnenden Selbstherrscher furchtbar macht. Wie weit lag hinter ihm der Enthusiasmus des beginnenden Siegeslaufes, die freudige Zuversicht der Jugend und unermeßlicher Hoffnungen; zu oft in seinem Vertrauen getäuscht, hatte er gelernt, zu argwöhnen, hart und ungerecht zu sein. Er mochte es für notwendig halten. Eine Welt hatte er umgestaltet; er hatte sich mit ihr verwandelt; es galt jetzt die Zügel der unumschränkten Gewalt fest zu fassen und zu halten; es galt jetzt schnelles Gericht, neuen Gehorsam, strenges Regiment.
Schon in Karmanien hatte Alexander zu strafen gefunden. Er hatte den Satrapen Aspastes, der sich im Jahre 330 unterworfen und seine Stelle behalten hatte, abgesetzt; umsonst eilte Aspastes dem nahenden Herrn in beflissener Unterwürfigkeit entgegen; als sich der schwere Verdacht, der auf ihm lastete, in der Untersuchung bestätigte, wurde er den Händen des Henkers übergeben. Sibyrtios war statt seiner für Karmanien bestimmt worden; da aber Thoas, der an Apollophanes' Stelle ins Land der Oreiten gehen sollte, erkrankte und starb, so wurde Sibyrtios dorthin gesandt und statt seiner Tleopolemos, des Pythophanes Sohn, den seine bisherige Stellung in der parthischen Satrapie bewährt hatte, nach Karmanien berufen. Die Unordnungen, die im Innern Arianas durch den Perser Ordanes angestiftet, durch den, wie es scheint, gleichzeitigen Tod des Satrapen Menon von Arachosien freien Spielraum gewonnen hatten, waren von Krateros auf seinem Durchgange ohne Mühe unterdrückt worden; er brachte den Empörer in Ketten vor den König, der ihn der gerechten Strafe übergab; die erledigte Satrapie Arachosien wurde mit der von Ora und Gedrosien unter Sibyrtios vereinigt.
Auch aus Indien kam böse Zeitung; Taxiles berichtete, Abisares sei gestorben und der Satrap Philippos im diesseitigen Indien von den Söldnern, die unter ihm dienten, erschlagen worden, doch hätten die makedonischen Leibwächter des Satrapen den Aufruhr sofort erdrückt und die Anführer hingerichtet. Alexander übertrug die einstweilige Verwaltung der Satrapie dem Fürsten von Taxila und Eudemos, dem Anführer der in Indien stehenden Thraker, und gebot ihnen, den Sohn des Abisares als Nachfolger im Reiche Kaschmir anzuerkennen.
Von Medien waren Herakon, Kleandros und Sitalkes mit dem größten Teile ihrer Truppen nach Karmanien zu kommen beordert und gekommen; von den Einwohnern der Provinz und von ihren eigenen Truppen wurden sie arger Dinge beschuldigt: sie hätten die Tempel geplündert, die Gräber aufgewühlt, sie hätten sich jede Art von Bedrückung und Frevel gegen die Untertanen erlaubt. Nur Herakon wußte sich zu rechtfertigen und wurde auf freien Fuß gesetzt; Kleandros und Sitalkes wurden vollständig überführt, mit ihnen eine Menge mitschuldiger Soldaten, wie es heißt, sechshundert, auf der Stelle niedergehauen. Dieses schnelle und strenge Gericht, machte überall den tiefsten Eindruck; man gedachte der vielfachen Rücksichten, welche der König haben mußte, diese Männer, die heimlichen Vollstrecker des Todesurteils an Parmenion, und diese bedeutende Zahl alter Soldaten, deren er jetzt so sehr bedurfte, zu schonen; die Völker erkannten, daß der König in Wahrheit ihr Beschützer, daß es nicht sein Wille sei, sie wie Knechte behandelt zu sehen; die Satrapen und Befehlshaber dagegen konnten erkennen, was auch sie zu erwarten hätten, wenn sie nicht mit reinem Gewissen vor den Stufen des Thrones zu erscheinen vermochten. Manche von ihnen suchten, so wird erzählt, im Bewußtsein ihrer Schuld neue Schätze zusammenzuraffen, ihre Söldnerscharen zu verstärken, sich so zu rüsten, um nötigenfalls trotzen zu können; da erging ein königliches Schreiben an die Satrapen, welches gebot, sofort die Söldner, soviel nicht im Namen des Königs geworben seien, zu entlassen.
Indes war der König aus Karmanien nach Persien gezogen: der Satrap Phrasaortes, den er hier bestellt hatte, war zur Zeit des indischen Feldzuges gestorben; Orxines, einer der Vornehmsten des Landes, hatte, im Vertrauen auf seine Geburt und seinen Einfluß, die Satrapie übernommen. Bald zeigte sich, daß er den Pflichten der Satrapie, die er ungeheißen auf sich genommen, keineswegs nachgekommen sei. Schon das erzürnte den König, daß er das Grab des großen Kyros im Haine von Pasargadai vernachlässigt fand; bei seiner früheren Anwesenheit in Pasargadai hatte er die Kuppe des Steinhauses, in der der Sarg stand, öffnen, das Grab von neuem schmücken lassen und den am Grabe wachenden Magiern die Fortsetzung ihres frommen Dienstes geboten; er wollte das Andenken des großen Königs auf jede Weise geehrt wissen; jetzt war das Grab erbrochen, alles fortgeschleppt außer dem Sarge und der Bahre, der Sargdeckel weggerissen, der Leichnam hinausgeworfen, alle Kostbarkeiten geraubt. Er gab dem Aristobulos Befehl, die Reste des Leichnams wieder in den Sarg zu legen, alles so, wie es vor dem Einbruch gewesen, herzustellen, die Steintür der Kuppe wieder einzusetzen und mit dem königlichen Siegel zu verschließen. Er selbst untersuchte, wer den Frevel begangen; die Magier, welche die Grabeswache gehabt, wurden ergriffen und auf die Folter gespannt, um die Täter zu nennen; doch wußten sie nichts, sie mußten entlassen werden; auch die weiteren Nachforschungen ergaben keine sichere Spur; es war niemand da, den Frevel zu büßen; aber auf dem Satrapen lastete die Schuld der Fahrlässigkeit, daß dieses in seinem Lande hatte geschehen können. Bald sollten schwerere Vergehen des Satrapen zutage kommen; Alexander war von Pasargadai gen Persepolis gezogen, die Residenz des Orxines; die lautesten Klagen wurden hier von seiten der Einwohner über ihn geführt: er habe sich die schnödesten Gewalttätigkeiten erlaubt, um seiner Habgier zu frönen; er habe die Heiligtümer geplündert, die dortigen Königsgräber erbrochen, den königlichen Leichen ihren Schmuck geraubt. Die Untersuchung ergab seine Schuld; er wurde gehenkt. Der Leibwächter Peukestas, des Alexandros Sohn, erhielt die Satrapie; er schien vor allen geschickt, dieses Hauptland des Persertums zu verwalten, da er sich ganz in die asiatische Lebensweise hineingefunden hatte, medische Kleidung trug, der Persersprache mächtig war und sich gern und bequem im persischen Zeremoniell bewegte, Dinge, welche die Perser mit Entzücken an ihrem neuen Gebieter sahen.
Um dieselbe Zeit traf der Satrap Atropates von Medien bei dem Könige ein; er brachte den Meder Baryaxes, der es gewagt hatte, die Tiara anzunehmen und sich König der Meder und Perser zu nennen; er mochte darauf gerechnet haben, daß die Bevölkerung der Satrapie, durch die Frevel der makedonischen Besatzungen empört, zum Abfall bereit sein würde; er und die Teilnehmer seiner Verschwörung wurden hingerichtet.
Der König zog durch die persischen Pässe nach Susa hinab. Die Szenen von Karmanien und Susa erneuten sich; die Völker scheuten sich nicht mehr, laute Klagen über ihre Bedrücker zu erheben; sie wußten, daß Alexander sich ihrer annehme. In Susa wurde der Satrap Abulites und dessen Sohn Oxyathres, der Satrap der Parätakenen, die schwerster Dinge schuldig waren, hingerichtet. Auch der kaum in dem Prozeß der medischen Erpressungen freigesprochene Herakon, der früher in Susa gestanden hatte, wurde überführt, hier den Tempel geplündert zu haben, und hingerichtet.
So folgten Schlag auf Schlag die strengsten Strafen, und mit Recht mochte denen, die sich nicht schuldrein wußten, vor ihrer eigenen Zukunft bange sein. Unter diesen war Harpalos, des Machatas Sohn, aus dem Fürstengeschlecht der Elymiotis. Durch frühere Verbindungen und wesentliche Dienstleistungen dem Könige wert, hatte er von Anfang her die größten Beweise von dessen Gunst erhalten und war beim Beginn des Persischen Krieges, da seine körperliche Beschaffenheit ihn zum Kriegsdienste untauglich machte, zum Schatzmeister ernannt worden; schon einmal hatte er sich arger Ungesetzlichkeiten schuldig gemacht, er war kurz vor der Schlacht von Issos in Gemeinschaft mit einem gewissen Tauriskon, der den Plan angegeben hatte, mit den königlichen Kassen davongegangen, um sich zu dem Molosserkönig Alexandros, welcher damals in Italien kämpfte, zu begeben; doch hatte Harpalos seinen Entschluß geändert und sich in Megara niedergelassen, um dort seinem Vergnügen zu leben. Damals hatte der König, der Zeiten eingedenk, wo Harpalos mit Nearchos, Ptolemaios und wenigen anderen seine Sache gegen König Philipp vertreten und darum Schande und Verbannung gelitten hatte, dem Leichtfertigen verziehen, ihn zurückberufen, ihm von neuem das Schatzamt übergeben; die ungeheuren Schätze von Pasargadai und Persepolis in Ekbatana wurden unter seine Verwaltung gestellt, zugleich waren, so scheint es, die Schatzämter der unteren Satrapien unter seiner Aufsicht; sein Einfluß herrschte über den ganzen Westen Asiens. Indes zog Alexander immer weiter gen Osten, und Harpalos, unbekümmert um die Verantwortlichkeit seiner Stellung und an Genuß und Verschwendung gewöhnt, begann mit den königlichen Schätzen auf das zügelloseste zu prassen und den ganzen Einfluß seiner Stellung auf Tisch und Bett zu verwenden. Der ganzen Welt war sein Leben zum Skandal, und der Spott der hellenischen Komiker wetteiferte mit dem Unwillen ernsterer Männer, seinen Namen der allgemeinen Verachtung zu überliefern; von dem Geschichtschreiber Theopompos kam in jener Zeit ein offenes Sendschreiben an Alexander heraus, in welchem er den König aufforderte, diesem Unwesen ein Ende zu machen: von der wüsten Liederlichkeit asiatischer Weiber noch nicht gesättigt, habe Harpalos die Pythionike, die berüchtigtste Buhlerin Athens, die erst bei der Sängerin Bakchis gedient habe, mit dieser dann in das Frauenhaus der Kupplerin Sinope gezogen sei, nach Asien kommen lassen und sich ihren Launen auf die unwürdigste Weise gefügt; als sie gestorben, habe er mit unverschämter Verschwendung dieser Person zwei Grabmonumente erbaut, und man staune mit Recht, daß, während den Tapferen von Issos, die für den Ruhm Alexanders und die Freiheit Griechenlands gefallen seien, weder von jenem noch von irgendeinem der Statthalter ein Denkmal der Erinnerung geweiht sei, zu Athen und zu Babylon bereits die prächtigsten Monumente für diese fertig daständen; denn dieser Pythionike, die in Athen lange genug jedermann feil gewesen, habe Harpalos, der sich Alexanders Freund und Beamten nenne, die Frechheit gehabt, Tempel und Altar zu errichten und als Heiligtum der Aphrodite Pythionike zu weihen, ohne Scheu vor der Strafe der Götter, und der Majestät des Königs zum Hohn. Nicht genug das; kaum sei diese gestorben, so habe Harpalos sich auch schon eine zweite Mätresse aus Athen verschrieben, die nicht minder berüchtigte Glykera, ihr habe er den Palast von Tarsos zur Residenz eingerichtet, habe ihr auf Rossos ein Standbild errichtet, wo er neben dem des Königs sein eigenes aufzustellen gedenke, habe den Befehl erlassen, daß niemand ihm einen goldenen Ehrenkranz weihen dürfe, ohne zugleich der Mätresse, daß man vor ihr anbeten, sie mit dem Namen Königin begrüßen solle; kurz alle Ehre, die nur der Königinmutter oder der Gemahlin Alexanders gebühren würde, vergeude der Großmeister vom Schatzamt an die attische Dirne. Diese und ähnliche Berichte waren an den König gekommen; er hatte sie anfangs für unglaublich oder übertrieben gehalten, überzeugt, daß Harpalos nicht auf so wahnsinnige Weise die schon einmal verscherzte Gnade aufs Spiel setzen werde; bald genug bestätigte Harpalos selbst alle jene Beschuldigungen durch seine Flucht. Er hatte sich darauf verlassen, daß Alexander nie zurückkehren werde; jetzt sah er die strengen Gerichte gegen die, welche sich durch denselben Irrtum hatten verführen lassen; er verzweifelte daran, Verzeihung zu erlangen; er raffte, was er an Geld erreichen konnte -- es war die ungeheure Summe von fünftausend Talenten --, zusammen, warb sich sechstausend Söldner, zog, von diesen begleitet, mit seiner Glykera und dem Töchterchen, das ihm Pythionike geboren hatte, durch Kleinasien an die ionische Küste hinab, brachte dreißig Schiffe zusammen, um nach Attika überzusetzen; Ehrenbürger von Athen, mit den angesehensten Männern der Stadt befreundet und durch reiche Getreidespenden bei dem Volke beliebt, zweifelte er nicht, mit seinen Schätzen dort willkommen und vor einer Auslieferung an Alexander sicher zu sein.
Während sich so der letzte Schuldige unter den Großen des Reiches der Verantwortlichkeit zu entziehen suchte, war Alexander mit seinem Heere, etwa Februar 324, in Susa eingerückt. Bald nach ihm traf auch Hephaistion ein mit den übrigen Truppen, den Elefanten und der Bagage, und Nearchos führte die Flotte, die ohne weitere Fährlichkeit die Küste des Persischen Meeres umschifft hatte, den Strom hinauf. Die Satrapen und Befehlshaber kamen den königlichen Befehlen gemäß mit ihrem Gefolge, es kamen die Fürsten und Großen des Morgenlandes, vom Könige geladen, mit ihren Frauen und Töchtern zur Residenz; von allen Seiten strömten Fremde aus Asien und Europa herbei, um den großen Festlichkeiten, die in Susa vorbereitet waren, beizuwohnen.
Es galt ein wunderbares, im Laufe der Jahrhunderte einziges Fest zu begehen. In der Hochzeitfeier von Susa sollte sich die Verschmelzung des Abend- und Morgenlandes, der hellenistische Gedanke, in dem der König die Kraft und die Dauer seines Reiches zu finden gedachte, vorbildlich vollenden.
Die Beschreibung dieses an Pracht und Feierlichkeit alles übertreffenden Festes geben die Augenzeugen etwa in folgender Weise: das große königliche Zelt war zu diesem Feste hergerichtet; die Kuppe desselben, mit bunten, reichgestickten Stoffen überbreitet, ruhte auf fünfzig hohen, mit Gold und Silber überzogenen, mit kostbaren Gesteinen ausgelegten Säulen; rings diesen Mittelraum umschließend hingen kostbare, golddurchwirkte, mit vielfachen Schildereien durchwebte Teppiche von gold- und silberbelegten Stäben herab; der Umfang des ganzen Zeltes betrug vier Stadien. Inmitten des Saales war die Tafel gedeckt, auf der einen Seite standen die hundert Diwans der Bräutigame, auf silbernen Füßen ruhend, mit hochzeitlichen Teppichen überbreitet, nur der des Königs in der Mitte von Gold; ihnen gegenüber die Plätze für die Gastfreunde des Königs; rings umher die Tafeln für die Gesandtschaften, für die Fremden im Lager, für Heer und Schiffsvolk. Dann gaben die Heertrompeten vom königlichen Zelte her das Zeichen zum Beginne des Festes; die Gäste des Königs, es waren neuntausend, setzten sich zum Mahle. Und wieder verkündete das Schmettern der Trompeten durch das Lager, daß der König jetzt den Göttern spende; mit ihm spendeten seine Gäste, jeder aus goldener Schale, dem Festgeschenk des Königs. Dann wieder eine Fanfare, und nach persischer Sitte trat der Zug der verschleierten Bräute herein und die Fürstentöchter gingen jede zu ihrem Bräutigam; Stateira, des Großkönigs Tochter, zu Alexander, ihre jüngere Schwester Drypetis zu Hephaistion, dem Liebling des Königs, Oxathres' Tochter Amastris, des Großkönigs Nichte, zu Krateros, des medischen Fürsten Atropates Tochter zu Perdikkas, des greisen Artabazos Tochter Artakama zum Lagiden Ptolemaios, dem Leibwächter, und ihre Schwester Artonis zu Eumenes, dem Geheimschreiber des Königs, die Tochter des Rhodiers Mentor zu Nearchos, die Tochter des Spitamenes von Sogdiana zu Seleukos, dem Führer der jungen Edelscharen; und so die anderen, jede zu ihrem Bräutigam.
Fünf Tage nacheinander folgten Feste auf Feste; von den Gesandtschaften, von den Städten und Provinzen des Reichs, von Bundesfreunden aus Asien und Europa wurden dem Könige unzählige Hochzeitsgeschenke überreicht, allein an goldenen Kränzen 15 000 Talente. Und er wieder gab mit vollen Händen; viele von den Bräuten waren elternlos; er sorgte für sie wie ein Vater, allen gab er königliche Mitgift, allen, die sich mit an diesem Tage vermählt, überreiche Geschenke, allen Makedonen, die asiatische Mädchen gefreit -- mehr denn 10 000 schrieben ihre Namen auf --, gab er Aussteuer. Neue Gastmähler und fröhliche Gelage, Schauspiele, Festaufzüge, Ergötzlichkeiten aller Art füllten die nächsten Tage; das Lager war voll Lustbarkeit und fröhlichen Getümmels, hier Rapsoden und Harfenspieler aus Großgriechenland und Ionien, da Gaukler und Seiltänzer aus Indien, dort Magier und Kunstreiter aus den persischen Ländern, dann wieder hellenische Tänzerinnen, Flötenbläserinnen, Schauspielerbanden. Denn auch dramatische Spiele -- es war ja die Zeit der großen Dionysien -- wurden aufgeführt, unter diesen ein Satyrspiel, Agen, angeblich von dem Byzantier Python verfaßt, voll heiteren Spottes über die Flucht des Harpalos, des lahmen Großmeisters vom Schatzamte. Da ward durch Heroldsruf verkündet, daß der König die Schulden seines Heeres auf sich nehme und bezahlen werde, daß deshalb jeder die Summe, die er schuldig sei, aufschreiben und demnächst in Empfang nehmen solle. Anfangs schrieben sich nur wenige auf; die meisten, namentlich die Hauptleute und Offiziere mochten fürchten, daß Alexander nur in Erfahrung bringen wolle, wer nicht mit seiner Löhnung auskomme und zu verschwenderisch lebe. Als dies der König hörte, schalt er sehr über dieses Mißtrauen, ließ Tische an verschiedenen Punkten des Lagers aufstellen und Goldstücke ausschütten, mit dem Befehl, daß jedem, der eine Rechnung vorzeige, der Betrag derselben ohne weiter nach seinem Namen zu fragen, ausgezahlt werden sollte. Nun kamen alle und freuten sich nicht sowohl, daß sie ihre Schulden los würden, als daß dieselben unbekannt blieben; denn diese tapferen Männer hatten mit mehr als denkbarer Sorglosigkeit gewirtschaftet; trotz aller Beute und aller königlichen Geschenke war doch das ganze Heer so tief in Schulden, daß zu dieser Deckung nicht weniger als 20 000 Talente gehörten. Namentlich hatten die Offiziere maßlos verschwendet, und da der König sich oft mißbilligend über ihren unsinnigen Aufwand geäußert hatte, mochten sie sehr froh sein, ohne sein weiteres Wissen an den Geldtisch treten und ihren erschütterten Finanzen schnell aufhelfen zu können. Auch Antigenes, so wird erzählt, der Führer der Hypaspisten in der Schlacht am Hydaspes, der im Jahre 340 vor Perinth ein Auge verloren hatte und seiner Bravour wie seiner Habsucht wegen gleich bekannt war, trat damals an den Goldtisch und ließ sich eine namhafte Summe auszahlen; dann wurde entdeckt, daß er ohne alle Schulden, und die vorgezeigten Rechnungen falsch seien. Alexander war über diesen schmutzigen Handel sehr erzürnt, verwies Antigenes vom Hofe und nahm ihm sein Kommando. Der tapfere Strateg war über diese Beschimpfung außer sich, und man konnte nicht zweifeln, daß er sich in seiner Schande und Trauer ein Leides antun werde. Das jammerte den König, er verzieh ihm, rief ihn an den Hof zurück, gab ihm sein Kommando wieder und ließ ihm die Summe, die er in Anspruch genommen. -- Zu gleicher Zeit mit jener großen Schuldentilgung verteilte Alexander an die durch Tapferkeit, durchkämpfte Gefahr oder treuen Dienst um seine Person Ausgezeichneten wahrhaft königliche Geschenke; er kränzte mit goldenen Kränzen den Leibwächter Peukestas, den Satrapen in Persis, der ihn in der Mallerstadt mit dem Schilde gedeckt, den Leibwächter Leonnatos, den Befehlshaber im Oreitenlande, der bei eben jenem gefährlichen Sturm an seiner Seite gekämpft, am Flusse Tomeros die Barbaren besiegt und mit glücklichem Eifer die Angelegenheiten in Ora geordnet hatte, ferner den Nauarchen Nearchos, der die Fahrt vom Indus zum Euphrat so ruhmvoll geführt, den Onesikritos, den Führer des königlichen Schiffes auf dem Indus und vom Indus gen Susa, ingleichen den treuen Hephaistion und die übrigen Leibwächter, den Pelläer Lysimachos, den Aristonus, des Pisaios Sohn, den Hipparchen Perdikkas, den Lagiden Ptolemaios und Peithon von Eordäa.
Noch eine andere Feier mag dieser Zeit angehören, eine ernste und in ihrer Art ergreifende. Aus Indien war einer jener Büßer auf dem Felde von Taxila auf Alexanders Einladung, dessen Macht und dessen Liebe zur Weisheit er bewunderte, trotz seines Meisters Unwillen und seiner Mitbürger Spott dem makedonischen Heere gefolgt; sein milder Ernst, seine Weisheit und Frömmigkeit hatten ihm die Hochachtung des Königs erworben, und viele edle Makedonen, namentlich der Lagide Ptolemaios und Lysimachos der Leibwächter, verkehrten gern mit ihm; sie nannten ihn Kalanos, nach dem Wort, mit dem er sie zu begrüßen pflegte; sein einheimischer Name soll Sphines gewesen sein. Er war hochbetagt; im persischen Lande fühlte er sich zum erstenmal in seinem Leben krank. Er sagte zum Könige, er wolle nicht dahinsiechen, es sei schöner, zu enden, bevor sein körperliches Leiden ihn zwinge, seine bisherige Lebensregel zu verlassen. Vergebens waren des Königs Einwendungen; bei ihm daheim gelte nichts unwürdiger, als wenn die Ruhe des Geistes durch Krankheit gestört werde, es fordere die Regel seines Glaubens, daß er den Scheiterhaufen besteige. Der König sah wohl, daß er nachgeben müsse; er befahl dem Leibwächter Ptolemaios, ihm den Scheiterhaufen zu errichten und alles Weitere feierlichst zu ordnen. Als der bestimmte Tag gekommen war, zog das Heer früh morgens im festlichen Zuge hinaus, vorauf die Reiterei und das Fußvolk in vollem Waffenglanze, und die Kriegselefanten in ihrem Aufzuge, dann Scharen Weihrauchtragender, dann andere, die goldene und silberne Schalen trugen und königliche Gewänder, um sie mit dem Weihrauch in die Flammen zu werfen; dann Kalanos selbst; ihm war, da er schon nicht mehr zu gehen vermochte, ein nysäisches Roß gebracht worden, er konnte es nicht mehr besteigen; in einer Sänfte ward er hinausgetragen. Als der Zug an dem Fuß des Scheiterhaufens angelangt war, stieg Kalanos aus seiner Sänfte, nahm mit einem Händedruck von jedem der Makedonen, die um ihn waren, Abschied, bat sie, zu seinem Gedächtnis den heutigen Tag in freudiger Feier mit ihrem Könige zuzubringen, bald werde er ihn in Babylon wiedersehen; er schenkte das nysäische Roß dem Lysimachos und die Schalen und Gewänder den Umstehenden. Dann begann der fromme Inder seine Todenweihe; er besprengte sich wie ein Opfertier, er schnitt eine Locke von seinem Haupte und weihte sie der Gottheit, er kränzte sich nach heimatlicher Weise und stieg, indem er indische Hymnen sang, den Scheiterhaufen hinan; dann sah er noch einmal auf das Heer hinab, wandte sein Angesicht zur Sonne und sank auf die Knie, um anzubeten. Dies war das Zeichen; es ward Feuer in den Scheiterhaufen geworfen, die Heertrompeten schmetterten, das Heer rief den Schlachtruf dazu, und die Elefanten erhoben ihre fremdartige Stimme, als ob sie den sterbenden Büßer ihrer Heimat ehren wollten. Anbetend lag er auf dem Scheiterhaufen und regte sich nicht, bis die Flammen über ihn zusammenschlugen und ihn den Blicken entzogen.
Alexander selbst hätte dem Ende des ihm werten Mannes nicht beiwohnen wollen, sagt Arrian. Er berichtet bei diesem Anlaß, was der älteste jener Büßer, der Lehrer der anderen, jenem auf seine Aufforderung, mit ihm zu gehen, geantwortet habe: »Des Zeus Sohn, wenn anders Alexander es sei, sei auch er, und weder wünsche er sich etwas, was Alexander Herr wäre, ihm zu gewähren, noch auch fürchte er etwas, was er über ihn verhängen könne; ihm solange er lebe, genüge der indische Boden, der jahraus, jahrein, was an der Zeit sei, gewähre; und wenn er sterbe, so werde er der unwillkommenen Hausgenossenschaft seines Körpers frei und eines reineren Lebens teilhaftig.« Auch wird angeführt, daß Alexander über den Tod des Kalanos staunend gesagt habe: »Der hat mächtigere Gegner, als ich bin, überwunden.«
Es ist wie ein Gleichnis, daß sich so in diesem Könige die Gedankenwelt des Abendlandes, wie sie sein Lehrer Aristoteles vollendet hatte, mit der, die in dem Gangeslande erwachsen war, begegnete, -- die Pole von Entwicklungen, die er in der ganzen Weite und Mannigfaltigkeit dessen, was sie an praktischen Formen und Zuständen hinter sich hatten und ideell in sich trugen, zusammenzufassen und zu verschmelzen gedachte.
Es war nicht Willkür, nicht auf Grund falscher Prämissen, noch in einer Kette von Trugschlüssen, daß er so verfuhr. Aus dem ersten Impuls, der sich ihm aus der Geschichte des hellenischen Lebens wie von selbst ergeben hatte, folgte in vollkommen richtigen Syllogismen alles Weitere, was er tat; und daß ihm jede nächste Folgerung gelang wie die früheren, schien Beweis genug, daß er richtig folgerte. Ihm wurde nicht das Glück zuteil, einen Gegner zu finden, der ihm Ziel und Maß setzte; nur daß die moralische Kraft seines Heeres am Hyphasis zu Ende war, hatte ihn überzeugen können, daß auch seine Machtmittel ihre Grenze hätten; und in der gedrosischen Wüste hatte er inne werden müssen, daß die Natur gewaltiger sei als sein Wille und seine Macht. Aber die Formen, in denen er das Werk, das er geschaffen, auf die Dauer zu gründen gedachte, das System der neuen Ordnung, das er eingeleitet, war weder am Hyphasis noch in der Wüste widerlegt, und die Oppositionen makedonischer- und hellenischerseits, die versuchten Empörungen der Asiaten da und dort, sie waren bisher so rasch und so leicht niedergeworfen, daß sie ihn nicht irremachen konnten.
Das begonnene Werk selbst führte und zwang ihn weiter; auch wenn er gewollt, er hätte den gewaltigen Strom nicht mehr aufhalten, noch rückwärtsdrängen können.
Den Vermählungen in Susa folgte ein zweiter, tiefgreifender Akt; längst vorbereitet, mußte er sich jetzt wie von selbst vollziehen.
Seit dem Ende des Dareios schon waren asiatische Truppen mit zum Heere gezogen worden; aber bisher hatten sie in den Waffen und in der Weise ihres Landes gekämpft, sie waren stets nur als untergeordnete Hilfskorps angesehen und von dem Stolz der makedonischen Krieger trotz ihrer trefflichen Mitwirkung in den indischen Feldzügen nicht als ebenbürtig angesehen worden. Je weiter sich in allen übrigen Verhältnissen die Annäherung der verschiedenen Nationalitäten entwickelte, desto notwendiger wurde es, auch in dem Heerwesen die Unterschiede von Siegern und Besiegten zu vertilgen.
Das wirksamste Mittel war, Asiaten in die Reihe der makedonischen Truppen mit gleichen Waffen und gleicher militärischer Ehre aufzunehmen; der König hatte schon vor fünf Jahren die dazu nötigen Vorbereitungen getroffen, namentlich in allen Satrapien des Reiches junge Leute ausheben und in makedonischer Weise bewaffnen und einüben lassen. Auch für die Hellenisierung der Völker konnte durch nichts schneller und sicherer gewirkt werden, als wenn die Jugend an hellenische Bewaffnung und Heerdienst gewöhnt, in das Reichsheer aufgenommen und in den militärischen Geist, der zunächst noch die Stelle einer neugewordenen einigen Nationalität in dem ungeheuren Reiche vertreten mußte, unmittelbar hineingezogen wurde.
Viele Rücksichten vereinigten sich, ihre Einberufung gerade jetzt zu veranlassen. Die Zahl sämtlicher im aktiven Heere befindlichen Makedonen war durch die indischen Feldzüge und den Zug durch Gedrosien bis auf vielleicht 25 000 Mann zusammengeschmolzen; fast die Hälfte von diesen war seit dem Auszuge von 334 unter den Waffen. Es lag auf der Hand, daß diese Veteranen nach so ungeheuren Strapazen, namentlich den Erlebnissen in Indien und in der gedrosischen Wüste, zu neuen Wagnissen stumpf sein und nach Ruhe und endlichem Genuß dessen, was sie gewonnen, verlangen mochten; Alexander wird erkannt haben, daß es zu den großen Entwürfen, die seinen unermüdlichen Geist beschäftigten, des Enthusiasmus, des Wetteifers, der physischen und moralischen Kraft junger Truppen bedürfe, daß der Stolz, das Selbstgefühl und der Eigenwille dieser alten Makedonen leicht eine Fessel für ihn selbst werden konnte, zumal da sie nach der alten kameradschaftlichen Vertraulichkeit zu ihrem Könige an eine Freiheit im Urteilen und Verhalten gewöhnt waren, wie sie zu den ganz veränderten Verhältnissen nicht mehr passend erschien; ja er mußte fürchten, daß sie endlich bei irgendwelcher Gelegenheit die Szenen vom Hyphasis zu erneuern versuchen könnten, daß es ihnen längst feststand, daß nicht das allgemeine Unglück, sondern ihr fester Wille, keinen Schritt weiter zu marschieren, den König gezwungen habe, nachzugeben. Es scheint seit jener Zeit eine gewisse Entfremdung zwischen dem Könige und den Makedonen im Heere fühlbar geworden zu sein, und manche Ereignisse seitdem hatten nur dazu beitragen können, dieselbe zu steigern; selbst die Art, wie das Heer des Königs Anerbieten einer allgemeinen Schuldentilgung angenommen, hatte ihn empfinden lassen, wie tief das Mißtrauen bereits gedrungen war. Er mochte gehofft haben, durch schrankenlose Freigebigkeit, mit der er Geschenke und Ehren an die Makedonen verteilte, durch die Hochzeitfeier, die er mit Tausenden seiner Veteranen zugleich feierte, der Stimmung im Heere Herr zu werden; es war ihm nicht gelungen. Er mußte einer gefährlichen Krisis entgegensehen, die durch jeden weiteren Schritt zur hellenistischen Gestaltung des Reiches nur schneller herbeigeführt wurde; er mußte doppelt eilen, sich mit einer militärischen Macht zu umgeben, an deren Spitze er im Notfall seinen alten Phalangiten entgegenzutreten vermochte.
Die Satrapen aus den eroberten Ländern und den neuerbauten Städten kamen mit der jungen Mannschaft, die nach dem Befehl von 331 ausgehoben worden war, ins Lager bei Susa; es waren im ganzen 30 000 Mann in makedonischer Bewaffnung, in allen Übungen des makedonischen Heerwesens ausgebildet. Zugleich erhielt das Korps der Ritterschaft eine völlig neue Formation; es wurden aus den baktrisch-sogdischen, arianischen, parthischen Reitern, sowie aus den persischen Euaken die durch Rang, Schönheit oder sonstigen Vorzug Ausgezeichneten teils in die Lochen der Ritterschaft verteilt, teils aus ihnen und makedonischen Rittern eine fünfte Hipparchie gebildet; auch in das Agema der Ritterschaft wurden Asiaten aufgenommen, namentlich Artabelos und Hydarnes, des verstorbenen Satrapen Mazaios Söhne, Kophenes, des Artabazos Sohn, Sissines und Phradasmenes, des Satrapen Phrataphernes von Parthien Söhne, Histanes, Roxanes Bruder, die Brüder Autobares und Mithrobaios, und endlich der baktrische Fürst Hystaspes, der die Führung des Agema erhielt[17].
[17] Siehe dazu die Anmerkung am Schluß.
Alles das erzürnte die makedonischen Truppen auf das heftigste. Alexander, so hieß es, werde jetzt ganz zum Barbaren, er verachte Makedonien um des Morgenlandes willen; schon damals, als er sich in medischen Kleidern zu zeigen begonnen, hätten würdige Männer alles Unglück geahnt, das aus jenem Anfang entspringen werde; jetzt erfülle es sich, jetzt seien dem Könige diejenigen die liebsten, welche die Sprache und Sitte der Heimat verlernten; Peukestas werde darum mit Ehren und Geschenken vom Könige überhäuft, weil er den Erinnerungen der Heimat am frechsten Hohn spreche; was helfe es, daß Alexander mit den Makedonen gemeinschaftlich Hochzeit halte, es seien ja asiatische Weiber und diese gar nach persischer Sitte angetraut; und jetzt die Neulinge in makedonischen Waffen, diese Barbaren in gleicher Ehre mit den Veteranen Philipps! Es sei offenbar, daß Alexander der Makedonen müde sei, daß er alle Anstalten treffe, ihrer nicht mehr zu bedürfen, daß er die nächste Gelegenheit benutzen werde, sie ganz beiseite zu schaffen.
So die alten Truppen; es bedurfte nur eines Anstoßes, um diese Stimmung zum Ausbruch zu bringen; und bald genug sollte sich derselbe finden.
Zweites Kapitel
Der Soldatenaufruhr in Opis -- Zurücksendung der Veteranen -- Zersetzung der Parteien in Athen -- Befehl zur Rückkehr der Verbannten -- Harpalos' Umtriebe in Athen, der harpalische Prozeß -- Die innere Politik Alexanders und ihre Wirkungen
Alexander hatte beschlossen, mit seiner Heeresmacht den Tigris aufwärts zu der Stadt Opis, wo sich die große Straße nach Medien und dem Abendlande scheidet, zu ziehen; die Lage der Stadt ließ schon den Zweck des Marsches erraten. Zu gleicher Zeit lag es ihm am Herzen, sich über die Natur der Euphrat- und Tigrismündungen, über die Schiffbarkeit dieser Ströme und über den Zustand der Wasserbauten namentlich im Tigris, von denen das Wohl und Wehe der tiefliegenden Ufergegenden abhängt, zu unterrichten. Er übergab die Führung des Heeres an Hephaistion mit dem Befehl, auf der gewöhnlichen Straße an dem Tigris hinaufzuziehen. Er selbst bestieg mit seinen Hypaspisten, mit dem Agema und einer nicht bedeutenden Schar der Ritterschaft die Schiffe Nearchs, welche bereits den Eulaios herauf und bis in die Nähe von Susa gekommen waren. Er fuhr mit diesen, es mochte im April sein, den Strom von Susa hinab. Als sich die Flotte der Mündung nahte, wurden die meisten Schiffe, da sie durch die Fahrt von Indien her sehr mitgenommen waren, hier zurückgelassen; die schnellsten Segler wählte der König aus, um in den Persischen Meerbusen hinabzusegeln, während die anderen Schiffe durch den Kanal, welcher den Eulaios und Tigris nicht weit von ihrer Mündung verbindet, in den großen Strom gehen sollten.
Er selbst schiffte nun den Eulaios hinab in den Persischen Meerbusen, fuhr dann an der Küste und den Mündungen der verschiedenen Kanäle entlang bis zur Tigrismündung, und nachdem er sich über alles genau unterrichtet und namentlich die nötigen Anweisungen zur Gründung einer Stadt Alexandreia, zwischen dem Tigris und Eulaios hart am Strande gegeben hatte, steuerte er in den Tigris hinein und den Fluß stromauf; bald traf er die übrigen Schiffe und nach einigen Tagen das Landheer unter Hephaistion, das an den Ufern des Stromes lagerte. Bei der weiteren Fahrt stieß die Flotte mehr als einmal auf mächtige Flußdämme, welche von den Persern errichtet worden waren, angeblich um jeden feindlichen Einfall vom Meere her unmöglich zu machen; Alexander ließ, nicht bloß weil er Angriffe von der See her nicht weiter fürchtete, sondern namentlich um den Strom für Handel und Schiffahrt zu öffnen, diese Dämme, wo er sie fand, einreißen; zu gleicher Zeit traf er die nötigen Einrichtungen, um die Kanäle, die teils verstopft waren, teils ihre Deiche durchbrochen hatten, wieder zu reinigen und mit den nötigen Schleusen und Deichen zu versehen.
Es mochte im Monat Juli sein, als Heer und Flotte in Opis anlangten; man lagerte in der Umgegend der reichen Stadt. Die Mißstimmung der makedonischen Truppen hatte sich seit dem Aufbruche aus Susa keineswegs vermindert; die übertriebensten und verkehrtesten Gerüchte von dem, was der König mit ihnen beabsichtige, fanden Glauben und steigerten ihre Besorgnisse bis zur höchsten Spannung.
Da wurden sie zur Versammlung berufen; auf der Ebene vor Opis traten die Truppen an; der König hielt eine Ansprache, den Makedonen, wie er meinte, Erfreuliches zu verkünden: »Viele unter ihnen seien durch vieljährige Dienste, durch Wunden und Strapazen erschöpft; er wolle sie nicht, wie frühere Verabschiedete, in den neuen Städten ansiedeln; er wisse, daß sie gern die Heimat wiedersähen; wer von den Veteranen bei ihm bleiben wolle, dem werde er diese Hingebung so zu vergelten wissen, daß sie beneidenswerter als die Heimgekehrten erscheinen und in der Jugend der Heimat das Verlangen nach gleichen Gefahren und gleichem Ruhm verdoppeln sollten; da jetzt Asien unterworfen und beruhigt sei, so könnten möglichst viele an der Entlassung teilnehmen.« Hier unterbrach den König ein wildes und verworrenes Geschrei: er wolle die Veteranen los sein, er wolle ein Barbarenheer um sich haben; nachdem er sie abgenutzt, danke er sie jetzt mit Verachtung ab, werfe er sie alt und entkräftet ihrem Vaterlande und ihren Eltern zu, von denen er sie sehr anders erhalten. Immer wilder ward der Tumult: er solle sie alle entlassen; mit dem, den er seinen Vater nenne, möge er fürder ins Feld ziehen! So tobte die Versammlung; der Soldatenaufruhr war in vollem Zuge. Im heftigsten Zorn stürzte Alexander von der Bühne herab, unbewaffnet, wie er war, unter die lärmende Menge, die Offiziere seiner Umgebung ihm nach; mit mächtiger Faust packte er die nächsten Schreier, übergab sie seinen Hypaspisten, zeigte dort- und dahin, andere Schuldige zu ergreifen. Dreizehn wurden ergriffen; er befahl, sie zum Tode abzuführen. Der Schrecken machte dem Lärm ein Ende. Dann hielt der König eine zweite Ansprache, die Meuterei zu züchtigen.
Mögen die Worte, die ihn Arrian sprechen läßt, aus guter Quelle stammen oder frei nach der Situation erfunden sein, sie verdienen nach ihrem Hauptinhalt angeführt zu werden: »Nicht um euren Abzug rückgängig zu machen, werde ich noch einmal zu euch sprechen; ihr könnt gehen, wohin ihr wollt, meinethalben! Nur euch zeigen will ich, was ihr durch mich geworden. Mein Vater Philipp hat Großes an euch getan! Da ihr sonst arm und ohne feste Wohnsitze mit euren ärmlichen Herden in den Gebirgen umherirrtet, stets den Überfällen der Thraker, Illyrier, Triballer ausgesetzt, hat mein Vater euch angesiedelt, euch statt des Felles das Kriegskleid gegeben, euch über die Barbaren der Nachbarschaft zu Herren gemacht, eurem Fleiße die Bergwerke des Pangaion, eurem Handel das Meer geöffnet. Thessalien, Theben, Athen, den Peloponnes unterworfen, die unumschränkte Hegemonie aller Hellenen zu einem Perserkriege erworben; das hat Philippos vollbracht, Großes an sich, im Verhältnis zu dem später Vollbrachten Geringes. Von meinem Vater her fand ich weniges Gold und Silber an Geräten im Schatze, nicht mehr denn sechzig Talente, an Schuld fünfhundert Talente; ich selbst mußte achthundert Talente Schuld hinzufügen, um den Feldzug beginnen zu können; da öffnete ich euch, obschon die Perser das Meer beherrschten, den Hellespont, ich besiegte die Satrapen des Großkönigs am Granikos; ich unterwarf die reichen Satrapien Kleinasiens und ließ euch die Früchte des Sieges genießen; euch kamen die Reichtümer Ägyptens und Cyrenes zugute, euer ward Syrien und Babylon, euer Baktra, euer die Schätze Persiens und die Kleinodien Indiens und das Weltmeer; aus eurer Mitte sind die Satrapen, die Befehlshaber, die Strategen. Was habe ich selbst von alle den Kämpfen, außer den Purpur und das Diadem? Nichts habe ich für mich erworben, und es ist niemand, der meine Schätze zeigen könnte, wenn er nicht eure Habe und was für euch bewahrt wird, zeigt; und warum sollte ich mir Schätze häufen, da ich esse, wie ihr esset, und schlafe, wie ihr schlaft; ja mancher von euch lebt köstlicher denn ich, und manche Nacht muß ich durchwachen, damit ihr ruhig schlafen könnt. Oder bin ich, wenn ihr Mühe und Gefahr duldetet, ohne Kummer und Sorge gewesen? Wer kann sagen, daß er mehr um mich, als ich um ihn geduldet? Wohl, wer von euch Wunden hat, der zeige sie, und ich will die meinen zeigen; kein Glied an meinem Körper ist ohne Wunde und keine Art von Geschoß oder Waffe, deren Narbe ich nicht an mir trage; von Schwert und Dolch, von Bogen und Katapultenpfeil, von Steinwurf und Keulenschlag bin ich verwundet worden, da ich für euch und euren Ruhm und eure Bereicherung kämpfte und euch siegend über Länder und Meere, über Gebirge, Ströme und Wüsteneien führte. Die gleiche Ehe mit euch habe ich geschlossen, und die Kinder vieler von euch werden meinen Kindern verwandt sein; und wer von euch verschuldet war, unbekümmert wie es bei so reichem Solde, bei so reicher Beute möglich gewesen, dem habe ich seine Schuld getilgt; die meisten von euch haben goldene Kränze empfangen für sie zum dauernden Zeugnis ihrer Tapferkeit und meiner Achtung. Und wer gefallen ist im Kampfe, dessen Tod war rühmlich und dessen Begräbnis ehrenvoll; von vielen derselben stehen eherne Statuen daheim, und ihre Eltern sind hochgeehrt, frei von Abgaben und öffentlichen Lasten. Endlich ist keiner von euch unter meiner Führung fliehend gefallen. Und jetzt hatte ich die Kampfesmüden unter euch, zur Bewunderung und zum Stolz unserer Heimat, zu entlassen im Sinn; ihr aber wollt alle hinwegziehen; so zieht alle hin! Und wenn ihr in die Heimat kommt, so sagt daß ihr euren König, der die Perser, die Meder, die Baktrier und Saker besiegt, der die Uxier und Arachosier und Drangianer bewältigt, der die Parther, Chorasmier und Hyrkanier längs das Kaspischen Meeres gewonnen, der den Kaukasus jenseits der kaspischen Pässe überstiegen, der den Oxus und Tanais überschritten und den Indus, wie nur Dionysos vor ihm, den Hydaspes, den Akesines, den Hyarotis und, hättet ihr ihn nicht gehindert, den Hyphasis, der den Indus hinab in den Ozean fuhr, der durch die Wüste Gedrosiens zog, die niemand vor ihm mit einem Heere durchzogen, dessen Flotte vom Indus durch den Ozean nach Persien kam, -- daß ihr diesen eueren König Alexander verlassen und ihn zu schützen den besiegten Barbaren übergeben habt; das zu verkünden wird euch gewiß rühmlich vor den Menschen und fromm vor den Göttern sein; ziehet hin!« Nach diesen Worten stieg er heftigen Schrittes von der Tribüne und eilte nach der Stadt zurück.
Betroffen standen die Makedonen und schwiegen; nur die Leibwächter und die ihm vertrautesten unter den Hetären waren gefolgt. Allmählich begann sich das peinliche Schweigen in der Versammlung zu lösen; man hatte erhalten, was man gefordert; man fragte: Was nun? Was weiter? Sie alle waren entlassen, sie waren nicht mehr Soldaten; der Dienst und die militärische Ordnung, die sie bisher zusammengehalten, war gelöst, sie waren ohne Führung, ohne Rat und Willen; die einen riefen zu bleiben, wieder andere schrien zum Aufbruch; so wuchs der Tumult und das wüste Geschrei, keiner befahl, keiner gehorchte, keine Rotte hielt sich beisammen; in kurzem war das Heer, das die Welt erobert, eine wüste und verworrene Menschenmasse.
Alexander hatte sich in das Königsschloß von Opis zurückgezogen; in der heftigsten Aufregung, wie er war, vergaß er die Sorge für seinen Körper; er wollte niemand sehen, niemand sprechen. So den ersten, so den zweiten Tag. Indes hatte in dem Lager der Makedonen die Verwirrung einen gefährlichen Grad erreicht; schnell und furchtbar zeigten sich die Folgen der Meuterei und das Unglück, das sinnlos Geforderte im Übermaß erreicht zu haben; ihrem Schicksal und ihrer Anarchie überlassen, ohnmächtig und haltungslos, da ihnen nicht widerstanden worden, ohne Entschluß zu wollen, ohne Kraft zu handeln, ohne das Recht und die Pflicht und die Ehre ihres Standes, -- was konnten sie beginnen, wenn sie nicht Hunger oder Verzweiflung zur offenbaren Gewalt trieb?
Alexander mußte sich vor einem Äußersten schützen; zugleich wollte er den letzten und freilich gewagten Versuch machen, die Makedonen zur Reue zu bringen. Er beschloß, sich ganz den asiatischen Truppen anzuvertrauen, sie nach dem Gebrauch des makedonischen Heeres zu ordnen, sie mit allen Ehren, die einst die Makedonen gehabt hatten, auszuzeichnen; er durfte erwarten, daß, wenn diese so das letzte Band zwischen sich und ihrem Könige zerrissen sähen, sie entweder reuig um Vergebung flehen oder bis zur Wut empört zu den Waffen greifen würden; er war gewiß, daß er an der Spitze seiner asiatischen Truppen über die führerlosen Haufen den Sieg davontragen werde. Er berief am dritten Tage die Perser und Meder in das Königsschloß, eröffnete ihnen seinen Willen, wählte aus ihnen Hauptleute und Anführer im neuen Heere, nannte viele von ihnen mit dem Ehrennamen königlicher Verwandten, gab ihnen nach morgenländischer Weise das Vorrecht des Kusses; dann wurden die asiatischen Truppen nach makedonischer Weise in Hipparchien und Phalangen geteilt, es wurde ein persisches Agema, persische Hetären zu Fuß, eine persische Schar Hypaspisten-Silberschildner, persische Ritterschaft der Hetairen, ein Agema persischer Ritterschaft gebildet; es wurden die Posten am Schlosse von Persern besetzt und ihnen der Dienst beim Könige übertragen; es wurde den Makedonen der Befehl gesandt, das Lager zu räumen und zu gehen, wohin sie wollten, oder sich, wenn sie es vorzögen, einen Führer zu wählen und gegen Alexander, ihren König, ins Feld zu rücken, um dann von ihm besiegt zu erkennen, daß sie ohne ihn nichts seien.
Sobald dieser Befehl des Königs im Lager bekannt wurde, hielten sich die alten Truppen nicht länger; sie liefen nach dem Königsschlosse, legten ihre Waffen vor den Toren nieder, zum Zeichen ihrer Unterwerfung und ihrer Reue; vor den geschlossenen Toren stehend schrien und flehten sie, hineingelassen zu werden, um die Urheber des Aufruhrs auszuliefern: sie würden Tag und Nacht nicht von hinnen weichen, bis sich der König erbarme.
Nicht lange, und der König trat heraus; da er seine Veteranen so in Reue sah, da er ihren Freudenruf und ihr erneutes Jammern hörte, vermochte er nicht, seinen Tränen zu wehren; dann trat er näher, um zu ihnen zu sprechen; sie drängten sich um ihn und hörten nicht auf mit Flehen, gleich als fürchteten sie das erste Wort ihres vielleicht noch nicht erweichten Königs. Ein alter geachteter Offizier, einer der Hipparchen der Ritterschaft, Kallines, trat hervor, im Namen aller zu sprechen: was die Makedonen vor allem schmerze, sei, daß er Perser zu seinen Hetairen gemacht habe, daß Perser sich nun Alexanders Verwandte nennen und ihn küssen dürften, und von den Makedonen sei nie einer dieser Ehre teilhaftig geworden. Da rief der König: »Euch alle mache ich zu meinen Verwandten und nenne euch also von Stund' an!« Er ging auf Kallines zu, ihn zu küssen; und es küßte ihn von den Makedonen, wer es wollte; sie nahmen ihre Waffen auf und zogen jauchzend in ihr Lager zurück. Alexander aber gebot zur Feier der Versöhnung ein großes Opfer zu bereiten, und opferte den Göttern, denen er pflegte. Dann wurde ein großes Mahl gehalten, an dem fast das gesamte Heer teilnahm, in der Mitte der König, ihm zunächst die Makedonen, nach diesem die Perser, und weiter viele von den übrigen Völkerschaften Asiens; der König trank aus denselben Mischkrügen mit seinen Truppen und spendete mit ihnen die gleichen Spenden; hellenische Seher und die persischen Magier vollzogen dazu die heiligen Gebräuche. Der Trinkspruch, den der König sprach, war, daß die Götter alles Heil gewähren möchten, vor allem aber Eintracht und Gemeinschaft des Reiches den Makedonen und Persern. Es soll die Zahl derer, die an diesem Mahle teilnahmen, neuntausend gewesen sein; und diese alle spendeten zu gleicher Zeit und sangen den Lobgesang dazu.
So der Ausgang dieser schweren Krisis; es war das letzte Aufbäumen des altmakedonischen Wesens in seiner eigensten und gewichtigsten Gestaltung; nun war es moralisch bewältigt. Die Maßregeln, denen es erlegen war, gaben diesem Siege Alexanders eine doppelte Wichtigkeit. Der Vorzug, den der König der makedonischen Kriegsmacht bisher hatte zugestehen müssen, war abgetan, asiatische Truppen traten in die Namen und Ehren des altmakedonischen Heeres ein; es gab fortan zwischen Siegern und Besiegten keinen anderen Unterschied, als den des persönlichen Wertes und der Treue für den König.
Wie mächtig, wie überwältigend in diesem Vorgang des Königs Persönlichkeit erscheinen mag, sie erklärt nicht alles. Immerhin kann man sagen: wenn das System Alexanders diese Probe zu bestehen vermochte, so ist das ein sicherer Beweis, daß dies Reichssystem, das so schnell und kühn aufgebaut war, so weit fertig und fest dastand, daß das Gerüst und die stützenden Träger seiner Gründung hinweggebrochen werden konnten. Aber hätten nicht ebensowohl die Veteranen in Opis den Sieg davontragen und damit dem Ixionsrausch des Königs ein Ende machen, den Beweis geben können, daß er in seiner Inbrunst statt der Göttin eine Wolke umarmt habe? Unfehlbar, wenn sie selbst noch in Wahrheit Makedonen gewesen wären; sie waren es nicht mehr, sie hatten selbst das Neue, das sie bekämpften, in sich aufgenommen; sie hatten sich in das asiatische Leben hineingelebt, ohne diesem neuen Elemente das Recht, zu dem es berufen war, zugestehen zu wollen; und dieser Hochmut, nun als Sieger dessen, das auch sie im innersten Wesen besiegt und durchdrungen hatte, gelten zu wollen, war die Schule, um derentwillen sie erlagen. Indem das makedonische Heer, das Werkzeug, mit dem das Werk der neuen Zeit geschaffen war, von der mächtigen Hand des Meisters gebrochen wurde, war das Werk selbst fertig gesprochen und über seine Art und Wesen keine Frage mehr. Was auch die Zerwürfnisse und Verwirrungen der nächstfolgenden Zeit an den äußeren Formen dieses Reiches gerüttelt und zerstört haben, das hellenistische Leben, die große Einigung der hellenischen und asiatischen Welt mit allem Segen und Unsegen, den sie in sich trug, war für Jahrhunderte gegründet.
So hatte sich das Neue durch alle Stadien innerer und äußerer Gefährdungen hindurchgekämpft; als Gedanke einer neuen Zeit erkannt, als Prinzip des neuen Königtums ausgesprochen, als Regiment des Reiches im Gange, als Heeresmacht organisiert, als Zersetzung und Umgestaltung des Völkerlebens in voller Arbeit, hatte es nur noch möglichst durchgreifend und den wesentlichen Interessen der Völker gemäß sich zu betätigen. Dies war die Arbeit für die kurze Spanne Leben, welche das Schicksal dem Könige noch gönnen wollte, ihr Zweck oder doch ihr Erfolg.
Selbst die Zurücksendung der Veteranen mußte in diesem Sinne wirken; noch nie waren in solcher Zahl Truppen aus Asien in die Heimat zurückgekehrt, und mehr als alle früheren hatten diese 10 000 Veteranen asiatisches Wesen in sich aufgenommen; ihr Beispiel, ihr Ruhm, ihr Reichtum, alles, was sie an verwandelten Ansichten und Bedürfnissen, an neuen Ansprüchen und Erfahrungen mitbrachten, mußte unter den Ihrigen in der Heimat von nicht minder starkem Einfluß sein, als ihn das Abendländische auf das Leben der östlichen Völker bereits ausübte -- ob einen segensreichen, ist, wenn man der kleinen Leute, der Bauern und Hirten daheim gedenkt, eine andere Frage. Auf das feierlichste wurden die Veteranen aus dem Lager von Opis entlassen; Alexander verkündete ihnen, daß sie jeder den Sold bis zur Heimat und überdies ein Geschenk von einem Talente erhalten sollten; die Kinder, die morgenländische Frauen ihnen geboren, möchten sie, so forderte er, bei ihm lassen, damit sie nicht ihren Frauen und Kindern daheim Anlaß zu Unfrieden würden; er werde dafür sorgen, daß die Soldatenkinder makedonisch und zu Soldaten erzogen würden; und wenn sie Männer geworden, dann hoffe er sie nach Makedonien zurückzuführen und ihren Vätern wiederzugeben; für die Kinder der in den Feldzügen Gefallenen versprach er auf gleiche Weise zu sorgen, der Sold ihrer Väter werde ihnen bleiben, bis sie selbst sich gleichen Sold und gleichen Ruhm im Dienste des Königs erwerben würden; zum Zeichen seiner Fürsorge gäbe er ihnen den treuesten seiner Generale, den er wie sein eigen Haupt liebe, den Hipparchen Krateros, zum Hüter und Führer mit. So zogen die Veteranen von Opis aus, mit ihnen die Strategen Polysperchon, Kleitos, Gorgias, vielleicht auch Antigenes von den Hypaspisten, von der Ritterschaft Polydamas und Amantas; bei der Kränklichkeit des Krateros war Polysperchon als zweiter Befehlshaber der Truppen bestellt.
Die Weisungen für Krateros bezogen sich nicht bloß auf die Zurückführung der Veteranen; der Hauptzweck seiner Sendung war, die politische und militärische Leitung daheim an Antipatros' Stelle zu übernehmen, der dagegen Befehl erhielt, den Ersatz für die heimkehrenden Gruppen zum Heere zu führen. Schwerlich war dies der entscheidende Grund; es mag vieles zusammengekommen sein, den Wechsel in der höchsten Stelle daheim notwendig zu machen. Die Uneinigkeit zwischen der Königinmutter und Antipatros hatte den höchsten Grad erreicht; immerhin mag die überwiegende, vielleicht die alleinige Schuld auf seiten der leidenschaftlichen und herrischen Königin gewesen sein; verfuhr sie doch im epirotischen Lande, nachdem ihr Bruder Alexandros in Italien gefallen war, als sei sie Herrin des Landes; und dessen junge Witwe, ihre Tochter Kleopatra, kehrte, vielleicht um höchst persönlichen Gefahren zu entgehen, mit ihrem fünfjährigen Knaben, dem rechten Erben des molossischen Königtums, nach Makedonien zurück. Alexander hatte die Mutter stets hochgeehrt und ihr jede Sohnespflicht erfüllt, aber ebenso entschieden ihre Einmischung in die öffentlichen Angelegenheiten zurückgewiesen; dennoch wurde sie nicht müde zu intrigieren, ihrem Sohne Vorwürfe und Klagen aller Art zu schreiben, eifersüchtig auf dessen Neigung zu Hephaistion auch diesen mit bitteren Briefen heimzusuchen, vor allem aber gegen Antipatros unablässig die heftigsten Beschuldigungen nach Asien zu senden. Antipatros seinerseits beschwerte sich ebenso bitter über die Königinmutter und deren Einmischung in die öffentlichen Angelegenheiten. Es wird die bezeichnende Äußerung Alexanders angeführt: »Antipatros weiß nicht, daß eine Träne meiner Mutter tausend solcher Briefe auslöscht.« Sein Vertrauen zu dem Reichsverweser in Makedonien erhöhten sie nicht; es war doch möglich, daß derselbe den Verlockungen der großen Gewalt, die ihm übertragen war, nicht widerstand: und wenn Antipatros nach der Hinrichtung seines Eidams Philotas insgeheim mit den Ätolern angeknüpft hatte, so war um so mehr Vorsicht geboten, wenn auch die immer neuen Beschwerden und Warnungen, die Olympias sandte, sich, soweit wir sehen, als nicht begründet erweisen mochten. Jedenfalls bezeugt Arrian, daß man von keiner Äußerung oder Handlung des Königs wisse, die seine Sinnesänderung gegen Antipatros bezeugt habe; er vermutet, daß ihm der König nicht als Strafe befohlen, nach Asien zu kommen, sondern nur, um vorzubeugen, daß beiden, seiner Mutter und dem Reichsverweser, nicht etwa Unseliges und selbst für ihn Unheilbares aus diesem Zwist entstände. Auch sollte Antipatros sein Amt keineswegs sofort niederlegen und nach Asien kommen, sondern das Regiment der ihm anvertrauten Länder bis zur Ankunft des Krateros, die sich bei den langsamen Märschen der Veteranen über Jahr und Tag hinziehen konnte, fortsetzen. Die sonderbare Wendung, die die hellenischen Angelegenheiten gerade jetzt nahmen, machte die Anwesenheit des erprobten Statthalters in Makedonien doppelt notwendig.
Wenn es irgendein gesundes nationales Empfinden in der hellenischen Welt gab, so hätten, sollte man meinen, die Siege Alexanders am Granikos, bei Issos, bei Gaugamela, die Befreiung der Hellenen Asiens, die Vernichtung der Handelsmacht von Tyros, die Vernichtung der Persermacht auch die Unversöhnlichen versöhnen, das Volk der Hellenen in allen Nerven erfrischen, es hätte mit freudigem Wetteifer mit an dem Werk sein müssen, für das einzutreten die hellenischen Staaten vertragsmäßig nicht bloß die Pflicht, sondern das Recht hatten. Die tonangebenden Staaten verstanden den Patriotismus und die nationale Sache anders. Wir sahen, wie Athen in dem Jahre der Schlacht von Issos daran war, seine Seemacht für Persien einzusetzen, wie König Agis in der Zeit, da Dareios auf der Flucht ermordet wurde, gegen die Makedonen im Felde lag, wie die kleinen Staaten nur auf dessen ersten Sieg warteten, um sich ihm anzuschließen.
Mit der Niederlage der Spartaner im Sommer 330 war es in Hellas still geworden, aber der Groll und die Verstocktheit geblieben; die Größe der Zeit sahen sie nicht. »Was gibt es Unerwartetes und Ungehofftes,« sagte Aischines in einer Rede im Herbst 330, »das in unseren Tagen nicht geschehen wäre? Denn wir haben nicht ein gewöhnliches Menschenleben gelebt, sondern unsere Jahre sind zu einer Wunderzeit für die nach uns Lebenden geworden.« Und seitdem war noch Wunderbareres geschehen; diese fünf Jahre, ebenso reich an staunenswürdigen Taten im fernen Asien, wie kleinlich und schlaff daheim in Hellas, dort die Eroberung der baktrischen Länder, Indiens, die Erschließung des südlichen Ozeans, hier die fadenscheinige Trivialität kleinstaatlicher Geschäftigkeit und Phrasen über Phrasen, -- in der Tat, der moralische Wert, oder will man lieber, das Nettogewicht dieser hellenischen Politik und Politien sank tiefer und tiefer.
Seitdem die Wucht der makedonischen Macht übergroß, weiterer Widerstand gegen sie, der einzige Gedanke, der dem öffentlichen Leben der Staaten in Hellas, namentlich dem Athens und Spartas, noch ein Ferment gegeben hatte, unmöglich geworden war, erlahmte auch der letzte Rest politischer Tatkraft in den Massen, und der Unterschied der Parteien, wie sie sich in der Losung für oder wider Makedonien entwickelt hatten, begann sich zu verwirren und zu verwischen.
Wenigstens in Athen läßt sich diese Zersetzung der Parteien und die wachsende Haltlosigkeit des Demos einigermaßen beobachten. Lykurgos, der zwölf Jahre hindurch die Finanzen des Staates vortrefflich verwaltet hatte, mußte sie bei den Wahlen von 336 in die Hand des Mnesaichmos, seines politischen und persönlichen Gegners, übergehen sehen. Der leidenschaftliche Hypereides, sonst immer an Demosthenes' Seite, wandte sich seit den Vorgängen von 330, seit der damals versäumten Schilderhebung gegen Makedonien von ihm und trat bald genug als Ankläger wider ihn auf. Freilich Aischines war nicht mehr in Athen; er hatte, als die attischen Geschwornen in dem Prozeß gegen Ktesiphon -- es war kurz nach der Niederlage des Königs Agis -- zugunsten des Verklagten und damit zu Ehren des Demosthenes entschieden hatten, die Heimat verlassen, um fortan in Rhodos zu leben. Aber es blieb in Athen noch Phokion, der strenge Patriot, der Alexanders glänzende Geschenke zurückwies, der in gleichem Maße seines Vaterlandes Verfall begriff und beklagte, und das nur zu erregbare Volk von Athen von jedem neuen Versuch zum Kampf gegen Makedonien, dem er es nicht mehr gewachsen sah, zurückzuhalten suchte. Es blieb Demades, dessen Einfluß nicht minder auf sein Verhältnis zu Makedonien, als auf seine Friedenspolitik, wie sie den Wünschen der Wohlhabenden entsprach und die genußlüsterne Menge mit Festschmausereien und Geldspenden zu ködern möglich machte, begründet war; »nicht der Krieger« so sprach er einst in der Ekklesia, »wird meinen Tod beklagen, denn ihm nützt der Krieg, und der Friede ernährt ihn nicht, wohl aber der Landmann, der Handwerker, der Kaufmann und jeder, der ein ruhiges Leben liebt, für sie habe ich Attika nicht mit Wall und Graben, wohl aber mit Frieden und Freundschaft gegen die Mächtigen geschützt.«
Und wenn Demosthenes selbst in der Zeit, da sich König Agis erhob, zwar in Sparta und sonst, wie man glaubte, zum Losschlagen getrieben hatte und doch in Athen nur »wundersame Reden« führte, wenn er, wie man nicht minder sagte, unter der Hand mit Olympias, mit Alexander selbst Beziehungen anknüpfte, so war das nicht dazu angetan, das Vertrauen des Demos auf seine Leitung zu erhöhen; wenn man auch in dem schweren Jahre der Teuerung ihm, dem geschickten Verwalter, das Amt der Fürsorge für die Getreidezufuhr übertrug, in betreff der politischen Leitung der Stadt hörte die Ekklesia ihn wie seine Gegner rechts und links, und in der Regel wird der endliche Beschluß des souveränen Demos unberechenbar gewesen sein.
Die Zeit der Kleinstaaten war vorüber; in allen Beziehungen zeigte sich, daß diese Brocken und Bröckchen des staatlichen Kleinlebens der neugewordenen Machtbildung gegenüber unhaltbar geworden seien, daß die vollkommen verwandelten politischen und gesellschaftlichen Zustände eine gründliche Umgestaltung auch in der Verfassung der Staaten forderten. Und wenn Alexanders Gedanke war, die Demokratie den hellenischen Städten nur noch für ihre kommunale Verwaltung zu belassen und sie mit der Macht und Autorität seiner großen Monarchie zusammenfassend zu überbauen, wenn dies Werk, durch seinen zu frühen Tod, oder will man lieber, durch die innere Notwendigkeit des hellenischen Wesens unvollendet geblieben ist, so liegt ebenda der Grund jenes trostlosen Hinsiechens, mit dem das nächste Jahrhundert der hellenischen Geschichte den Ruhm besserer Zeiten besudeln sollte.
Im Sinne jenes Planes war es, daß Alexander zwei Maßregeln beschloß, die allerdings tief einschnitten.
Er forderte auch von den Hellenen göttliche Ehren. Was man auch in betreff der persönlichen Ansicht des Königs und deren Umwandlung aus diesem Gebot folgern mag, jedenfalls war es weder so unerhört und frevelhaft, wie es dem auf monotheistischer Grundlage entwickelten Empfinden erscheinen darf, noch ist der wesentlich politische Charakter dieser Maßregel zu verkennen. Das hellenische Heidentum war seit lange gewohnt, die Götter anthropomorphisch anzusehen, wie das Wort des alten Denkers lautet: »Die Götter sind unsterbliche Menschen, die Menschen sterbliche Götter.« Weder die heilige Geschichte noch die Dogmatik ruhte auf der festen Basis geoffenbarter, ein für allemal als göttlichen Ursprungs geltender Lehrschriften; es gab für religiöse Dinge keine andere Norm und Form als das Empfinden und Meinen der Menschen, wie es war und mitlebend sich entwickelte, daneben ebenfalls die Weisungen der Orakelstätten und die vielerlei Zeichendeutungen, die eben auch nur, wie der schwimmende Kork auf dem Strome, die Bewegung, der sie folgten, bezeichneten. Wenn nun das Orakel des Zeus Ammon, wie man auch spotten mochte, am Ende doch den König als Zeus' Sohn bezeichnet hatte, wenn Alexander, aus dem Geschlechte des Herakles und Achilleus, eine Welt erobert und umgestaltet, wenn er in Wahrheit Größeres als Herakles und Dionysos vollbracht hatte, wenn die Aufklärung seit lange die Gemüter von dem tieferen religiösen Bedürfnis entwöhnt, von den Ehren und Festen der Götter nur die Lustbarkeiten, die äußere Zeremonie und die kalendarische Bedeutung übriggelassen hatte, so wird man es begreiflich finden, daß für das damalige Griechentum der Gedanke an göttliche Ehren und Vergötterung eines Menschen nicht allzu fernlag. Wie natürlich vielmehr dergleichen im Sinne der damaligen Zeit war, beweisen die nächsten Jahrzehnte bis zum Überdruß, nur daß der große Alexander der erste war, der für sich das in Anspruch nahm, was nach ihm die erbärmlichsten Fürsten und die verworfensten Menschen von Hellenen und Griechen, vor allem von den Athenern für ein Billiges erhalten konnten. Mag den einen Alexander dafür gelten, an seine eigene Gottheit geglaubt, den anderen, dieselbe für nichts als für eine polizeiliche Maßregel gehalten zu haben es wird von ihm der Ausspruch überliefert: »Zeus sei freilich aller Menschen Vater, aber nur die besten mache er zu seinen Söhnen.« Die Völker des Morgenlandes sind gewöhnt, ihren König als ein Wesen höherer Art zu verehren, und allerdings ist dieser Glaube, wie das Bedürfnis einer solchen Vorstellung sich auch nach den Sitten und den Vorurteilen der Jahrhunderte umzugestalten mag, die Basis jeder Monarchie, ja jeder Form von Herrentum; selbst die dorischen Aristokratien des Altertums gaben den von den Heroen ihrer Gründung Abstammenden dieses Vorrecht dem untertänigen Volk gegenüber, und das demokratische Athen gründete auf ein durchaus analoges Vorurteil gegen die Sklaven die Möglichkeit einer Freiheit, gegen welche die Monarchie Alexanders wenigstens den Vorzug hat, die Barbaren nicht als zur Sklaverei geboren anzusehen. Er empfing von den Barbaren die »Anbetung«, die sie ihrem Könige, dem »gottgleichen Menschen«, darzubringen gewohnt waren; sollte die hellenische Welt in dieser Monarchie ihre Stelle und ihre Ruhe finden, so war der erste und wesentlichste Schritt, die Griechen zu demselben Glauben an seine Majestät, den Asien hegte, und in dem er die wesentlichste Garantie seines Königtums erkannte, zu veranlassen und zu gewöhnen.
Zu der Zeit, als in Asien die letzten Schritte zur Verschmelzung des Abend- und Morgenländischen getan wurden, ergingen nach Griechenland hin die Aufforderungen, durch öffentliche Beschlüsse dem Könige göttliche Ehren zu gewähren. Gewiß taten die meisten Städte, was gefordert wurde. Der Beschluß der Spartaner lautete: da Alexander Gott sein will, so sei er Gott. In Athen brachte Demades den Vorschlag vor das Volk; Pytheas trat auf, gegen ihn zu sprechen: es sei gegen die solonischen Gesetze, andere als die väterlichen Götter zu ehren; als gegen ihn eingewandt ward, wie er, noch so jung, wagen könne, in so wichtigen Dingen zu sprechen, antwortete er: Alexander sei noch jünger. Auch Lykurgos erhob sich gegen den Vorschlag: was würde das für ein Gott sein, dessen Heiligtum verlassend man sich reinigen müßte. Bevor man in Athen zum Schluß kam, trat eine zweite Frage hinzu, welche unmittelbar in das bürgerliche Gemeinwesen eingriff.
Dies war eine Anordnung des Königs über die Verbannten der hellenischen Staaten[18]. Die Verbannungen waren zum größten Teil Folge politischer Veränderungen, sie hatten wegen der Siege, die die Makedonen seit den letzten fünfzehn Jahren davongetragen, natürlich die Gegner Makedoniens vorzüglich betroffen. Viele dieser politischen Flüchtlinge hatten früher in den Heeren des persischen Großkönigs Dienst und fortgesetzten Kampf gegen Makedonien gefunden; nach Persiens Fall irrten sie hilflos und heimatlos in der Welt umher; manche mochten Dienste im makedonischen Heere nehmen, andere wurden, während Alexander in Indien stand, von den Satrapen auf eigene Hand angeworben, noch andere zogen vagabundierend nach Griechenland zurück, um in der Nachbarschaft ihrer Heimatstädte auf eine Veränderung der Dinge zu warten, oder gingen nach dem Werbeplatz auf dem Tänaron, um von dort aus in irgend jemandes Sold zu treten. Die bedeutende Zahl dienstloser Leute mußte sich dort, seitdem Alexander allen Satrapen die Entlassung ihrer Söldner geboten, außerordentlich vermehrt haben; und in demselben Maße als sie zahlreich, unglücklich und hoffnungslos waren, mußten sie für die Ruhe in Hellas gefährlich werden. Diese Gefahr abzuwenden gab es kein Mittel, als den Verbannten die Heimkehr zu bereiten; dadurch wurde auch denen, die durch makedonischen Einfluß verbannt waren, ihr Haß zur Dankbarkeit umgewandelt und die makedonische Partei in den einzelnen Staaten verstärkt; die Staaten selbst waren fortan für die innere Ruhe Griechenlands verantwortlich, und wenn dann der innere Zwiespalt von neuem hervorbrach, hatte die makedonische Macht die Handhabe, einzugreifen. Freilich war die Maßregel gegen die Artikel des Korinthischen Bundes, ein offenbarer Eingriff in die dort garantierte Souveränität der Staaten, die zu demselben gehörten; es war vorauszusehen, daß die Ausführung der königlichen Weisung selbst in den Familien und in den Besitzverhältnissen Anlaß zu endlosen Verwirrungen geben mußte. Aber in erster Reihe kam diese Wohltat den Gegnern Makedoniens zu gut; es war an der Zeit, daß wie die Gegensätze nationaler Feindschaft zwischen Hellenen und Asiaten, so die der politischen Parteiung in den hellenischen Städten vor der Einheit des allen gemeinsamen Reiches dahinschwanden; das echt königliche Begnadigungsrecht in dieser Weise und in dieser Ausdehnung zu üben, war der erste Akt der höheren Autorität des Reiches, an die Alexander die Griechen zu gewöhnen hoffte.
[18] Siehe dazu die Anmerkung am Schluß.
Zur Verkündigung diese Maßregel hatte er den Stageiriten Nikanor nach Griechenland gesandt; bei der Feier der olympischen Spiele des Jahres 324 sollte das königliche Schreiben publiziert werden. Die Kunde davon hatte sich im voraus verbreitet; von allen Seiten strömten die Verbannten gen Olympia, um das Wort der Erlösung zu vernehmen. In den einzelnen Staaten dagegen trat mannigfache Aufregung hervor, und während sich viele freuten, mit den Angehörigen und Befreundeten wieder vereint zu leben und durch eine große und allgemeine Amnestie die Ruhe und den Wohlstand besserer Zeiten zurückkehren zu sehen, mochten andere in diesem Befehl einen Eingriff in die Rechte ihres Staates und den Beginn großer innerer Verwirrungen verabscheuen. In Athen erbot sich Demosthenes zur Architheorie gen Olympia, um dort an Ort und Stelle mit dem Bevollmächtigten Alexanders zu unterhandeln und ihm die Folgen jener Maßregel und die Heiligkeit der korinthischen Verträge vorzustellen; seine Bemühungen konnten nichts mehr ändern. Während der Feier der hundertundvierzehnten Olympiade, Ende Juli 324, in Gegenwart der Hellenen aus allen Landschaften, unter denen sich der Verbannten an 20 000 befanden, ließ Nikanor durch den Herold, der im Wettkampf der Herolde gekränzt war, das Dekret des Königs vorlesen: »Der König Alexander den Verbannten der griechischen Städte seinen Gruß. An eurer Verbannung sind nicht wir schuld gewesen; aber die Rückkehr zur Heimat wollen wir allen, mit Ausschluß derer, auf denen Blutschuld haftet, bewirken. Demnach haben wir an Antipatros erlassen, daß er die Städte, welche die Aufnahme weigern, dazu zwinge.« Mit unendlichem Jubel wurde der Heroldsruf aufgenommen, und nach allen Seiten hin zogen die Verbannten mit ihren Landsleuten der langentbehrten Heimat zu.
Nur Athen und die Ätoler weigerten sich, dem Befehl des Königs Folge zu leisten. Die Ätoler hatten die Öniaden vertrieben und fürchteten deren Rache um so mehr, da sich Alexander selbst für sie und ihr Recht entschieden hatte. Die Athener aber sahen sich im Besitz der wichtigsten Insel, die ihnen aus der Zeit ihrer früheren Herrschaft geblieben war, gefährdet; sie hatten in Timotheos' Zeit die Bewohner von Samos vertrieben und das Land unter attische Kleruchen verteilt; diese hätten jetzt, nach dem Befehl des Königs, den früheren Bewohnern weichen und das, was sie seit mehr als dreißig Jahren selbst bewirtschaftet oder in Pacht ausgetan hatten, aufgeben müssen. Am empfindlichsten oder am geeignetsten aufzureizen mochte der Umstand sein, daß der König diesem Befehl die Form gegeben hatte, als wenn er einfach das gute Recht der Flüchtlinge zur Geltung bringe, als wenn es der Zustimmung der Staaten, die es betraf, gar nicht bedürfe, obschon die Verträge von 324 ausdrücklich bestimmten, daß keiner der verbündeten Staaten den Flüchtlingen aus einem verbündeten Staat zu Versuchen gewaltsamer Heimkehr behilflich sein sollte. Mit dem Befehl Alexanders war sichtlich, so konnte man sagen, die Autonomie und Souveränität des attischen Staates in Frage gestellt, und der Demos, wenn er demselben Folge leistete, bekannte sich dazu, dem makedonischen Königtum untertänig zu sein. War der Demos schon so seiner Ahnen unwürdig, Athen schon so ohnmächtig, sich dem despotischen Befehl beugen zu müssen? Gerade jetzt trat ein unerwartetes Ereignis ein, das, gehörig benutzt, die Macht der Athener bedeutend zu heben und ihrer Weigerung Nachdruck zu geben versprach.
Harpalos, der flüchtige Großschatzmeister Alexanders, hatte sich, wie erwähnt worden, auf der Küste Kleinasiens mit dreißig Schiffen, sechstausend Söldnern und den ungeheuren Schätze, die ihm anvertraut gewesen waren, gen Attika eingeschifft und war etwa im Februar dieses Jahres glücklich auf der Reede von Munychia angelangt. Er rechnete auf den günstigen Eindruck, den seine Getreidespenden in dem Hungerjahre auf das Volk gemacht hatten, auf sein Bürgerrecht, das ihm damals von dem Demos dekretiert war; Phokions Schwiegersohn Charikles hatte dreißig Talente von ihm empfangen, um das Grabmal der Pythionike zu bauen; auch andere einflußreiche Männer mochte er sich durch Geschenke verpflichtet haben. Aber auf Demosthenes' Rat hatte der Demos seine Aufnahme abgelehnt; dem Strategen Philokles, der die Hafenwache hatte, war die Weisung gegeben, ihn, falls er die Landung zu erzwingen versuchen sollte, mit Gewalt abzuwehren. Darauf war Harpalos mit seinen Söldnern und seinem Schatz nach dem Tänaron gesegelt; mochten nach den Verkündigungen Nikanors viele von den Reisläufern auf dem Tänaron in die Heimat ziehen, dasselbe Dekret brachte bei den Ätolern und in Athen Wirkungen hervor, wie sie Harpalos nur wünschen konnte. Er ging zum zweiten Male nach Attika, ohne Söldner, nur mit einem Teil seines gestohlenen Geldes. Philokles wehrte ihm den Eingang nicht; Harpalos war ja attischer Bürger, kam nun ohne Kriegsvolk, als Schutzflehender. So, in demütiger Gestalt, erschien er vor dem Demos von Athen, stellte ihm seine Schätze und seine Söldner zur Verfügung, gewiß nicht ohne anzudeuten, daß jetzt mit kühnem Entschluß große Dinge zu vollbringen seien.
Schon war aus Kleinasien von des Königs Schatzmeister Philoxenos die Aufforderung nach Athen gekommen, den Schatzräuber auszuliefern. Es begann ein lebhafter Streit um diese Frage; der leidenschaftliche Hypereides war der Ansicht, daß man die herrliche Gelegenheit, Hellas zu befreien, nicht aus der Hand geben dürfe; die Freunde Makedoniens mögen ebenso eifrig die Auslieferung gefordert haben; aber selbst Phokion widersetzte sich diesem Vorschlage; Demosthenes stimmte ihm bei, schlug dem Volke vor, den Schutzflehenden und sein Geld in Verhaft zu nehmen, bis seinetwegen jemand von Alexander beschickt sei. Das Volk beschloß seinem Antrage gemäß, beauftragte ihn selbst mit der Übernahme des Gelder, die folgenden Tages geschehen sollte. Demosthenes fragte den Harpalos sofort nach der Summe, die er mit sich habe. Dieser nannte 700 Talente. Am folgenden Tage, als die Summe auf die Akropolis gebracht werden sollte, fanden sich nur noch 350 Talente; Harpalos schien die Nacht, die man ihm sonderbarerweise noch sein gestohlenes Geld gelassen, benutzt zu haben, um sich Freunde zu gewinnen. Und Demosthenes unterließ, dem Volke die fehlende Summe anzuzeigen; er begnügte sich, zu veranlassen daß dem Areopag die Untersuchung übertragen wurde mit der Zusage der Straflosigkeit für die, welche das empfangene Geld freiwillig abliefern würden.
Alexander scheint erwartet zu haben, daß Harpalos mit seinen Schätzen und den Söldnern von den Athenern bereitwillig würde aufgenommen werden; wenigstens hatte er in die Seeprovinzen den Befehl gesandt, die Flotte bereitzuhalten, um nötigenfalls Attika unverzüglich überfallen zu können; und in dem Lager Alexanders war damals viel die Rede von einem Kriege gegen Athen, auf den sich die Makedonen infolge der alten Feindschaft gar sehr freuten. In der Tat hatten die Athener, wenn sie ernstlich der Zurückführung der Verbannten sich zu widersetzen, dem Könige die göttlichen Ehren zu versagen, ihre volle Unabhängigkeit geltend zu machen beabsichtigten, in den Erbietungen und den Mitteln dieses Schutzflehenden alles, was ihnen zunächst zu einer energischen Verteidigung nötig war; sie hätten hoffen können, daß die Ätoler, die Spartaner, daß die Achäer und Arkader, denen der König die gemeinsamen Landtage ihrer Städte untersagt hatte, sich ihnen anschließen würden. Aber, wenn sie sich nicht verbergen konnten, daß Harpalos zum zweitenmal seine Pflicht in des Königs Dienst gebrochen und durch ein gemeines Verbrechen großen Stils dessen Strafe herausgefordert hatte, so hätte es ihnen nicht zur Unehre gereicht, wenn sie die geforderte Auslieferung bewilligt und dem, der sie als Beamter des Königs forderte, die weitere Verantwortung anheimgegeben hätten. Sie zogen es vor, sich für halbe Maßregeln zu entscheiden, die, weit entfernt, einen sicheren und ehrenvollen Ausweg zu bieten, der Stadt eine Verantwortlichkeit aufbürdeten, die sie sehr bald in eine höchst zweideutige Lage bringen sollte.
Daß Philoxenos die Forderung der Auslieferung dringender wiederholte, scheint sich von selbst zu verstehen; es mag richtig sein, daß auch von Antipatros, von Olympias dasselbe Verlangen gestellt wurde. Da war eines Morgens Harpalos, trotz der Wächter, die man ihm gesetzt hatte, verschwunden. Es wäre unmöglich gewesen, wenn die zu seiner Obhut bestellte Kommission, Demosthenes all ihrer Spitze, ihre Schuldigkeit getan hätte; begreiflich, daß sofort gesagt und geglaubt wurde, Demosthenes habe sich wie die und die anderen bestechen lassen.
Er konnte nicht weniger tun, als sofort Untersuchung zu fordern, mit der nach seinem Antrage gleichfalls der Areopag beauftragt wurde. Der Strateg Philokles forderte und erhielt einen gleichen Beschluß des Volkes.
Langsam genug gingen die Untersuchungen des Areopags vorwärts. Noch war die Frage unerledigt, ob man dem König die göttlichen Ehren zugestehen solle; man mußte darüber zum Beschluß kommen, um die Gesandten abfertigen zu können, die in Babylon sein sollten, bevor er dahin zurückkehre. Ob man die göttlichen Ehren gewähren, den Ausgewiesenen die Heimkehr gestatten solle, wurde von neuem vor dem Demos verhandelt; auch Demosthenes sprach da wiederholentlich. »Als du den Zeitpunkt gekommen glaubtest,« sagt später Hypereides in dem Prozeß gegen Demosthenes, »daß der Areopag die Bestochenen kundmachen werde, da wurdest du plötzlich kriegerisch und versetztest die Stadt in Aufregung, um den Enthüllungen zu entgehen; als aber der Areopag die Verkündigung hinausschob, weil er noch nicht zum Schluß gekommen sei, da empfahlst du, dem Alexander die Ehren des Zeus, des Poseidon und welches Gottes er sonst wolle, zu gewähren.« Also Demosthenes riet in Sachen der göttlichen Ehren nachzugeben, in betreff der Verbannten es auf das Äußerste ankommen zu lassen. In diesem Sinne wurden die Gesandten instruiert und etwa Anfang November abgesandt.
Harpalos hatte sich, aus Athen flüchtend, nach dem Tänaron begeben, hatte sich von dort mit seinen Söldnern und seinen Schätzen -- denn auf die Schilderhebung in Hellas schien keine Hoffnung mehr zu sein -- nach Kreta begeben, war dort von seinem Freunde, dem Spartaner Thibron, ermordet worden, der dann mit den Söldnern und den Schätzen nach Cyrene flüchtete. Des Ermordeten vertrautester Sklave, der ihm die Rechnung geführt hatte, flüchtete nach Rhodos und wurde dem Philoxenos ausgeliefert. Er bekannte, was er von dem Gelde des Harpalos wußte.
So konnte Philoxenos die Liste der verwendeten Summen und die Namen derer, die davon empfangen, nach Athen senden. Demosthenes' Name war nicht unter diesen. Nach sechs Monaten hatte der Areopag seine Nachforschungen und Haussuchungen beendet und übergab nun die Sache dem Gericht. Es begann jene merkwürdige Reihe der harpalischen Prozesse, in denen die namhaftesten Männer Athens als Kläger oder Verklagte beteiligt waren; unter den Klägern Pytheas, Hypereides, Mnesaichmos, Himeraios, Stratokles, unter den Verklagten auch Demades, der 6000 Stateren empfangen haben sollte, auch Philokles der Strateg, Charikles, des Phokion Schwiegersohn, auch Demosthenes. Er leugnete nicht, daß er 20 Talente von dem Gelde des Harpalos genommen habe, aber nur als vorläufigen Ersatz für die gleiche Summe, die er früher der Theorikenkasse vorgeschossen, wovon er nicht gern habe sprechen wollen; er beschuldigte den Areopag, daß er ihn Alexander zu Gefallen habe beseitigen wollen; er führte seine Kinder vor, um das Mitleid der Geschworenen zu erregen. Alles vergeblich; er wurde verurteilt, das Fünffache dessen, was er erhalten hatte, zu zahlen, und da er die Summe nicht aufzubringen vermochte, ins Gefängnis geworfen, aus dem er Gelegenheit fand oder erhielt, am sechsten Tage zu entweichen.
Dieser Ausgang der harpalischen Prozesse war für Athen verhängnisvoll; die Geschworenen der Heliaia, der unmittelbare Ausdruck der öffentlichen Meinung, hatten allerdings das Wort der Ankläger gar wohl beachtet, daß sie über die Angeklagten, ein anderer aber über sie urteilen werde, und daß sie es sich selber schuldig seien, auch noch so berühmte Männer zu strafen; einmal unter so schiefen Prämissen, wie sie durch die in dem harpalischen Handel so unsicher geführte attische Politik gestellt waren, hatten sie nach politischen Rücksichten, nicht ohne übereilte Strenge gegen die einen, mit noch unverdienterer Nachsicht gegen andere entschieden. Freigesprochen wurde Aristogeiton, der nach der Anzeige des Areopag zwanzig Talente empfangen hatte, der frechste und verächtlichste unter den Führern des Volkes. Vielleicht noch andere. Dagegen mußte der große Gegner der makedonischen Monarchie die Heimat meiden; mit ihm sank die Stütze der altdemokratischen Partei und ihrer Traditionen. In Philokles verlor der Staat einen Feldherrn, der wenigstens oft genug zu diesem wichtigen Amte vom Volke erwählt worden war. Demades blieb trotz seiner Verurteilung und sein Einfluß herrschte um so sicherer, je unbedeutender, besorglicher und gewissenloser die Männer waren, die nach jenen Prozessen an der Leitung des Volkes teilnahmen; die Politik Athens wurde noch mehr als früher schwankend und bald unterwürfig. Man hatte den Verbannten die Heimkehr geweigert, man fürchtete fort und fort, daß sie von Megara aus und gestützt auf des Königs Amnestie die attische Grenze überschreiten würden; dennoch geschah zum Schutz der Stadt nichts, als daß eine Theorengesandtschaft an den König dekretiert wurde, die ihn um die Erlaubnis, die Verbannten nicht aufzunehmen, bitten sollte, eine Maßregel, die wenigstens im Interesse der attischen Freiheit vollkommen ungeschickt war, da der Staat einerseits seine Willensmeinung, bei der Bestimmung des Korinthischen Bundes zu bleiben, bereits kundgegeben hatte, anderseits des Königs abschlägige Antwort nur zu gewiß vorauszusehen war.
Mehr als die äußere Wirkung dieser Vorgänge bedeutete die moralische Niederlage derjenigen Prinzipien, als deren Vertreter und Vorbild Athen angesehen wurde und sich selbst ansah. Einst hatte jener Kleon, der dem Demos seiner Zeit für den schärfsten Demokraten galt, demselben Demos gesagt: »Die Demokratie sei unfähig über andere zu herrschen«; wenn jetzt sich Athen der monarchischen Autorität, wie das hellenistische Königtum Alexanders sie geltend machte, fügen mußte, so war der letzte Anhalt dahin, den die Kleinstaaterei und die Selbstüberschätzung des Partikularismus noch gehabt hatte, die immer nicht hatte begreifen wollen, daß ein »spannelanges Fahrzeug gar kein Fahrzeug sei«; und die begonnene neue Gestaltung wirklicher Macht lagerte sich ruhig und mächtig auch über die hellenische Welt, freilich von ihr ein großes Opfer fordernd, aber ein Opfer, das Alexander selbst von sich und von seinen Makedonen forderte, mit dem er rechtfertigte und sühnte, was er vollbrachte.
Ein berühmter Forscher hat Alexander den genialsten Staatsmann seiner Zeit genannt. Er war als Staatsmann, was Aristoteles als Denker. Der Denker konnte in der Stille und Abgezogenheit seines Geistes seinem philosophischen Systeme die ganze Geschlossenheit und Vollendung geben, die nur in der Welt der Gedanken möglich ist. Wenn das staatsmännische Werk Alexanders vorerst nur skizzenhaft und nicht ohne mannigfache Fehlgriffe im einzelnen, wenn die Art, wie er schuf, als persönliche Leidenschaft und Willkür oder vom Zufall bestimmt erscheint, so darf man nicht vergessen, daß es die ersten, aus der Friktion riesenhafter Verhältnisse hervorspringenden Gedanken sind, die ihm sofort und wie im Fluge zu Normen, Organisationen, Bedingungen weiteren Tuns werden, noch weniger verkennen, wie jeder dieser Gedankenblitze immer weitere Gesichtskreise erschloß und erhellte, immer heißere Friktionen schuf, immer drängendere Aufgaben stellte.
Die Armseligkeit der auf uns gekommenen Überlieferungen versagt uns jeden Einblick in die Werkstatt dieser Tätigkeit, in die hochgespannte intellektuelle und moralische Arbeit dessen, der sich so unermeßliche Aufgaben stellte und sie löste. Kaum, daß das, was uns noch vorliegt, das Äußerlichste von dem, was durch ihn geschehen, was zur Ausführung und Wirkung gelangt ist, fragmentarisch erkennen läßt. Fast nur in dem räumlichen Umfang dieser Geschehnisse geben sie uns ein Maß für die Kraft, die solche Wirkungen erzeugte, für den Willen, der sie leitete, für den Gedanken, dem sie entsprangen, eine Vorstellung von der Größe Alexanders.
Mag der nächste Impuls seines Tuns gewesen sein, den großen Kampf hinausführend, den sein Vater vorbereitet hatte, dem Reich, das er sich eroberte, Sicherheit und Dauer zu geben -- mit dem glücklichen Radikalismus der Jugend ergriff oder erfand er sich zu diesem Zweck Mittel, die seine Kriegszüge an Kühnheit, seine Schlachten an Siegesgewalt übertrafen.
Das Kühnste war, was ihm die Moralisten bis auf den heutigen Tag zum schwersten Vorwurf machen, er zerbrach das Werkzeug, mit dem er seine Arbeit begonnen hatte, oder will man lieber, er warf das Banner, unter dem er ausgezogen war, das, den stolzen Haß der Hellenen gegen die Barbaren zu sättigen, in den Abgrund, den seine Siege schließen sollten.
In einer denkwürdigen Stelle bezeichnet Aristoteles als die Aufgabe seiner »Politik«, diejenige Staatsform zu finden, welche nicht die an sich vollkommenste, aber die brauchbarste sei: »Welche also ist die beste Verfassung und das beste Leben für die meisten Staaten und die meisten Menschen, wenn man an Tugend nicht mehr verlangt als das Maß der Durchschnittsmenschen, noch an Bildung mehr als ohne besondere Begünstigung der Natur und der Umstände möglich ist, noch eine Verfassung, wie sie nur im Reiche der Ideale liegen kann, sondern ein Leben, das mitzuleben, eine Verfassung, in der sich zu bewegen den meisten Menschen möglich ist?« Er sagt: darauf komme es an, eine solche Staatsordnung zu finden, welche aus den gegebenen Bedingungen sich entwickelnd leicht Eingang und Teilnahme gewinnen wird; »denn es ist kein geringeres Werk, eine Staatsordnung zu verbessern, als eine von Grund aus neue zu schaffen, wie ja auch das Umlernen ebenso schwer ist als das Erlernen«. So weit geht der Philosoph in seinem Realismus; aber wenn er von den meisten Menschen, den meisten Staaten spricht, denkt er nur an die hellenische Welt, denn die Barbaren sind ja wie Tiere und Pflanzen.
Auch Alexander denkt völlig realistisch; aber er bleibt nicht vor den »gegebenen Bedingungen« stehen, oder vielmehr seine Siege haben deren neue geschaffen; der Bereich, für den er sein politisches System einzurichten hat, umfaßt die Völker Asiens bis zum Indus und Jaxartes. Und er hat gesehen, daß diese Barbaren nicht wie Tiere und Pflanzen sind, sondern auch sie Menschen mit ihren Bedürfnissen, Begabungen, Tugenden, auch ihre Art zu sein voll gesunder Elemente, solcher zum Teil, die denen, welche in ihnen Barbaren verachtet haben, schon verlorengegangen sind. Waren die Makedonen vortreffliche Soldaten, so hatte König Philipp sie dazu erzogen, und Alexander gedachte, so wie er schon die Thraker, Agrianer und Odryser ihnen ebenbürtig gemacht hatte, ebenso die Asiaten zu gleicher Tüchtigkeit und Zucht zu gewöhnen; der Feldzug in Indien zeigte, in welchem Maße es ihm damit gelang. Von hellenischer Bildung aber hatten die makedonischen Bauern und Hirten und Kohlenbrenner auch nicht mehr als ihre barbarischen Nachbarn jenseits des Rhodope und des Haimos; und die Doloper, Ätoler, Änianen, Malier, die Bauern von Amphissa sind in den hellenischen Landen nicht eben anders angesehen worden. Diese hellenische Bildung selbst aber, wie überschwenglich reich immer an Kunst und Wissenschaft, wie unvergleichlich, intellektuelle Gewandtheit und die Virtuosität persönlicher Strebsamkeiten zu entwickeln, -- sie hatte die Menschen klüger, nicht besser gemacht; die ethischen Kräfte, auf die das Leben der Familie, des bürgerlichen, des staatlichen Gemeinwesens sich gründen muß, hatte sie in dem Maße, als sie sich steigerte, geschwächt und zersetzt, wie von den Trauben, wenn der Wein daraus gekeltert ist, nur die Trebern bleiben. Hätte Alexander nur den Hellenen und Makedonen Asien erobern, ihnen die Asiaten zu Sklaven geben wollen, sie wären nur um so schneller zu Asiaten, aber im schlimmsten Sinne zu Asiaten geworden. War es Herrschaft und Verknechtung, was seit Jahrhunderten der hellenischen Welt in immer neuen Kolonien immer weitere Ausdehnung, immer frische, lebensvolle Schößlinge gebracht hatte? War hellenisches Leben bis zu den Libyern an der Syrte, den Skythen am mäotischen See, den keltischen Stämmen zwischen den Alpen und Pyrenäen nicht in derselben Weise hinausgezogen, wie sie nun Alexander über die weite Feste Asiens auszubreiten gedachte? War nicht das hellenische Söldnertum, das so lange und in immer größeren Scharen in aller Welt umher und nur zu oft gegen die hellenische Heimat selbst seine Kräfte vergeudet hatte, ein Beweis, daß die hellenische Heimat nicht mehr Raum genug hatte für die Fülle von Kräften, die sie erzeugte? Hatte sich nicht die Macht der Barbaren, die den Hellenen als geborene Sklaven galten, seit einem Jahrhundert fast nur noch durch die Streitkräfte, die Hellas ihnen verkaufte, aufrechterhalten?
Gewiß hatte Aristoteles recht, zu fordern, daß auf die gegebenen Bedingungen weitergebaut werden müsse; aber er senkte die Sonde seines Denkens nicht tief genug ein, wenn er diese Gegebenheiten so nahm, wie sie nach ihren schwachen und schwächsten Seiten, wie sie in ihren unhaltbar gewordenen Formen waren. Daß die hellenische wie asiatische Welt vor den Gewaltstößen der makedonischen Eroberung zusammengebrochen war, daß sich durch sie die geschichtliche Kritik völlig verrotteter gedankenlos, unwahr gewordener Zustände vollzog, war nur die eine Seite der großen Revolution, die Alexander über die Welt brachte. Die Erinnerungen und die Kultur Ägyptens rechneten nach Jahrtausenden; welche Fülle polytechnischer Meisterschaft, astronomischer Beobachtungen, alter Literaturen bot die syrisch-babylonische Welt; und erschloß sich nicht in der lauteren Parsenlehre der Iranier und Baktrianer, in der Religion und Philosophie des Wunderlandes Indien eine Welt ungeahnter Entwicklungen, vor denen der noch so selbstgefällige hellenische Bildungsstolz staunen mochte? In der Tat, diese Asiaten waren nicht Barbaren wie die Illyrier, Triballer, Geten, nicht Wilde und Halbwilde, wie sich der hellenische Nativismus gern alles dachte, was nicht Griechisch sprach; ihnen gegenüber hatten die Eroberer nicht bloß zu geben, sondern auch zu empfangen; es galt zu lernen und umzulernen.
Und damit -- so könnte man schließen -- begann der zweite Teil der Aufgabe, die sich Alexander gestellt hatte, die Friedensarbeit, die, schwieriger als die Waffensiege, diesen in gesicherten Zuständen ihre Rechtfertigung und eine Zukunft geben mußte.
Wie er aus Indien heimkehrend die Lage seines Reiches gefunden hatte, mußte er inne werden, welche Schäden an dem zu hastigen Aufbau, so wie er noch war, hafteten. Die Strenge seiner Strafen mochte der unmittelbaren Gefahr wehren, von neuen Freveln zurückschrecken, den Bedrückten wie den Bedrückern zeigen, daß ein scharfes Auge und eine gewaltige Hand über ihnen sei. Aber das Schwerere war, nach solchen zehn Jahren voll ungeheurer Wechsel und unermeßlicher Aufregungen, nach allen den Steigerungen der Leidenschaften, der Ansprüche und Genüsse bei den Siegern, der Furcht und Erbitterung bei den Besiegten alle wieder zum ruhigen Atmen, zum Gleichmaß, zur Alltäglichkeit zu gewöhnen.
Wenigstens in Alexanders Art, vielleicht in der Lage der Dinge, mit denen er zu rechnen hatte, lag es nicht, in solcher Weise zu verfahren. Die Sonnenhöhe seines Lebens hatte er überschritten; es ging nun niederwärts und die Schatten wuchsen.
Es mag an dieser Stelle gestattet sein, die hauptsächlichsten Momente hervorzuheben, die das weiterdrängende Schwellen und Steigen der Flut von Schwierigkeiten bezeichnen, die nun einsetzte. In dem Maße, wie aus dem Getanen und den Prinzipien, die es in sich trug, Zuständlichkeiten werden sollten, traten Konsequenzen, Widersprüche, Unmöglichkeiten hervor, in denen das »andere Antlitz«, das der vollbrachten Tat, sich zeigte; und um so heftiger drängte die schwellende Bewegung weiter.
Wie die Maßregel, die Nikanor bei der olympischen Feier verkündete, gewirkt hat, ist angegeben worden. Aber die nun Heimkehrenden hatten daheim ihr Haus, ihre Äcker gehabt, die seitdem konfisziert, verkauft und weiterverkauft waren. In jeder hellenischen Stadt folgten der Heimkehr der Flüchtlinge Ärgernisse und Prozesse mannigfachster Art. In Mytilene half man sich mit einem Vertrage zwischen den Verbannten und den Zurückgebliebenen, nach dem eine gemeinsame Kommission die Besitzverhältnisse regeln sollte; in Eresos ließ man »nach dem Befehl des Königs« die Gerichte den Flüchtlingen gegen die Tyrannen, die sie ausgetrieben hatten, deren Nachkommen und Anhänger ihr Recht schaffen; in Kalymna übertrug man fünf Bürgern aus Jasos das Schiedsgericht. Es sind zufällige Notizen, die sich erhalten haben; in der Natur der Sache lag es, daß ungefähr jede hellenische Stadt in derselben Frage gleiche Aufregung durchmachen mußte.
Eine zufällige Notiz ähnlicher Art läßt erkennen, daß Alexander einst den am Sipylos in Alt-Magnesia angesiedelten Soldaten je ein Ackerlos zugewiesen hatte; wann, unter welchen Umständen, mit welchen Rechten, ist nicht zu ersehen, noch ob die angesiedelten Makedonen, Söldner oder was sonst waren. Gewiß war das kein vereinzelter Fall; aus Münzen sieht man, daß in Dokimeion, in Blaundos Makedonen, in Apollonia Thraker angesiedelt worden sind. Waren die Ackerlose, die solchen Ansiedlern gegeben wurden, auf städtischen Besitz angewiesen, oder waren sie aus königlichen Domänen? Dieselbe Frage wiederholt sich bei den »mehr als siebzig Städten«, die Alexander gründete; und in welcher Verfassung, mit welchem Recht saßen diese Ansiedler neben den alten Einwohnern oder den Einheimischen, die mit in die Stadt zu ziehen veranlaßt wurden? Was war oder wurde königliche Domäne? In welchem Sinn verfügte Alexander über die Städte Kios, Gergethos, Elaia, Mylasa, wenn er dem Phokion anbot, sich eine von ihnen zu wählen?
Wir wissen nicht, inwieweit Alexander das alte System der Verwaltung, den persischen Steuerkataster, das hergebrachte Abgabensystem änderte oder ließ. Arrian gibt an, der König habe bei seiner Rückkehr nach Persien so hart gestraft, um sie zu schrecken, die er »als Satrapen, Hyparchen und Nomarchen« zurückgelassen habe; waren das die Rangstufen der Verwaltung? Wiederholten sie sich in allen Satrapien, oder gab es, wie Ägypten dafür ein Beispiel scheint, für die verschiedenen Gebiete des weiten Reiches verschiedene Verwaltungssysteme, ein anderes etwa für die syrischen Lande, ein anderes für die iranischen, für die baktrischen? War etwa nur in den Satrapien Kleinasiens und den Landen syrischer Zunge das Kassenwesen und die Tributerhebung besonderen Beamten unterstellt? Wie ihr Verhältnis zu den militärischen Befehlshabern in der Satrapie bestimmt, wie die Kompetenz der verschiedenen Beamtungen umgrenzt, wie es mit der Dotierung der einen und anderen bestellt war, ist ebensowenig zu ersehen. Aber gelegentlich erfährt man, daß Kleomenes von Naukratis, der das ägyptische Arabien verwaltete, den Ausfuhrzoll auf Getreide vermehren, daß er alles Getreide in seiner Provinz aufkaufen konnte, um von der Teuerung, die namentlich in Athen drückend war, Gewinn zu ziehen, daß er die heiligen Krokodile usw. besteuerte. Von Antimenes, dem Rhodier, der, man sieht nicht deutlich welches Amt in Babylon erhalten hatte, wird angegeben, daß er den außer Brauch gekommenen Zoll von zehn Prozent auf alle Einfuhr nach Babylon erneut, daß er eine Sklavenassekuranz eingerichtet habe, die gegen zehn Drachmen Beitrag für den Kopf jedem Herrn, dem ein Sklave entlief, die Erstattung seines Wertes sicherte. Mehr als noch eine und die andere Einzelheit derart erfahren wir nicht; ebensowenig wie in der Verwaltung die Städte neben den Stämmen (+ethnê+), wie die Dynasten, die Tempelstaaten (Ephesos, Komana usw.), die abhängigen Fürsten standen.
Eins der stärksten Fermente für die neu werdenden Zustände muß die ungeheure Masse edlen Metalles gewesen sein, die die Eroberung Asiens in Alexanders Hand brachte. Vor dem peloponnesischen Kriege war Athen damit, daß es auf der Akropolis außer den silbernen und goldenen Geräten 9000 Talente geprägtes Silber im Schatz hatte, die größte Kapitalmacht der hellenischen Welt gewesen, und vor allem darin hatte es seine politische Überlegenheit über die noch völlig in der Naturalwirtschaft verharrenden Staaten des Peloponnesischen Bundes gesichert gesehen. Jetzt handelte es sich um ganz andere Summen. Außer dem, was Alexander in dem persischen Lager bei Issos, in Damaskus, in Arbela usw. erbeutete, fand er, wie angegeben wird, in Susa 50 000 Talente, in Persepolis ebensoviel, in Pasargadai 6000, weitere Summen in Ekbatana; es sollen dort von ihm 180 000 Talente niedergelegt worden sein. Was sonst an goldenen und silbernen Geräten, an Purpur, Edelsteinen, Kleinodien usw. in Alexanders Hand fiel, was in den Satrapien, was in Indien hinzugekommen ist, wird nicht angegeben.
Man wird auf jene Ziffern keine statistische Berechnung der Massen Goldes und Silbers gründen wollen, die mit der Eroberung Alexanders und im Lauf von zehn Jahren dem Verkehr wieder zugeführt wurden.
Aber wenn die neue Kriegsmacht, welche nun über Asien herrschte, die bisher totgelegten Reichtümer entfesselte, wenn sie von ihr wie das Blut vom Herzen ausströmten, so sieht man, wie damit, daß Arbeit und Verkehr sie in immer rascherer Zirkulation durch die lang unterbundenen und welkgewordenen Glieder des Reichs verbreiteten, das ganze wirtschaftliche Leben der Völker, deren Kraft die persische Herrschaft vampyrhaft ausgesogen hatte, sich aufrichten und steigern mußte. Freilich war damit ein entsprechendes Steigen der Preise, eine Verschiebung der Schwerpunkte des bisherigen Weltverkehrs, das Sinken der Handelsbilanz für diejenigen Plätze, von denen er sich abwandte, unvermeidlich verbunden, ein Umstand, aus dem vielleicht manche Erscheinungen in den althellenischen Landen, welche die nächste Folgezeit brachte, zu erklären sind.
Nach Herodots Angabe war der jährliche Betrag der Tribute im persischen Reich nach der Grundsteuer 14560 euboische Talente. Eine freilich nicht aus bester Quelle stammende Angabe rechnet in dem letzten Jahre Alexanders den Ertrag des Tributs auf 30 000 Talente und fügt hinzu, daß im Schatz nur noch 50 000 Talente gewesen seien. Vor allem drückend war in der persischen Zeit die endlose Masse der Naturalleistungen gewesen, wie denn die für den königlichen Hof allein auf 13 000 Talente jährlich berechnet worden sind; und jeder Satrap, jeder Hyparch und Dynast folgte in seinem Bereich dem Beispiel des Großkönigs. Aus einigen Andeutungen ist zu schließen, daß Alexander das System der Naturallieferungen aufhob; in demselben Maße wie früher des Großkönigs Anwesenheit eine Stadt oder Landschaft aussog, sollte sie fortan durch den Aufenthalt des königlichen Hoflagers gewinnen. Die Pracht, mit der sich der König namentlich in der letzten Zeit umgab, erdrückte nicht mehr, sondern förderte Verkehr und Wohlstand; und wenn erzählt wird, daß er, um sein ganzes Hofgesinde in Purpur zu kleiden, den Befehl nach Ionien sandte, allen Vorrat an Purpurstoffen daselbst aufzukaufen, so läßt dieser einzelne Fall auf anderähnliche schließen. Es versteht sich wohl von selbst, daß auch die Satrapen, die Strategen usw. in den Provinzen nicht mehr auf Naturallieferungen gestellt waren; nicht minder, daß ihre ordnungsmäßigen Einnahmen hoch genug waren, sie mit dem nötigen Glanz leben zu lassen; was man auch von ihrer oft unsinnigen Verschwendung sagen mag, sie gaben zu verdienen. Durch reiche Schenkungen, z. B. bei den von Opis heimziehenden Veteranen ein Talent für den Mann, sorgte der König dafür, daß auch die Truppen, zumal die Ausgedienten, bequem leben konnten; und wenn der Soldat oft genug mehr verbrauchte, als er hatte, so bezahlte der König mit unerschöpflicher Freigebigkeit dessen Schulden. Daß er für Dichter, Künstler, Philosophen, Virtuosen, für jede Art wissenschaftlicher Forschung immer offene Hand hatte, ist bekannt; und wenn es heißt, daß Aristoteles behufs seiner naturhistorischen Untersuchungen die Summe von 800 Talenten zu seiner Verfügung erhielt, so würde man an der Wahrheit dieser Angabe zu zweifeln geneigt sein, wenn sie nicht durch den Umfang seiner Leistungen begreiflich würde.
Wenigstens erinnert mag hier werden an die großen Bauunternehmungen Alexanders, von denen gelegentliche Erwähnung geschieht, so die Wiederherstellung des Kanalsystems in Babylonien, die Aufräumung der Abzugsgräben vom Kopaissee, der Wiederaufbau der verfallenen Tempel in Hellas, wozu er 10 000 Talente angewiesen haben soll, der Dammbau bei Klazomenä und die Durchstechung der Landenge von dort nach Teos, manches andere.
Genug, um anzudeuten, was dem wirtschaftlichen Leben Alexanders Erfolge bedeuteten. Vielleicht nie wieder ist in diesen Beziehungen von dem persönlichen Einfluß eines Mannes eine so plötzliche und so tiefgreifende, so ungeheure Bereiche umfassende Umgestaltung ausgegangen. Sie war nicht das Ergebnis zusammentreffender Zufälligkeiten, sondern, soviel zu erkennen ist, gewollt und mit bewußter Konsequenz durchgeführt. Wenn einmal die Völker Asiens aufgerüttelt waren, wenn der Westen die Genüsse des Ostens, der Osten die Künste des Westens kennen und bedürfen gelernt hatte, wenn die Abendländischen, die in Indien oder Baktrien geblieben, die Asiaten, die aus allen Satrapien am Hofe versammelt waren, des Heimischen in der Fremde nur um so mehr begehrten, wenn das Durcheinander der verschiedensten Lebensweisen und Bedürfnisse, wie es sich zur höchsten Pracht gesteigert am Königshofe fand, in den Satrapien, in den Häusern der Vornehmen, in allen Kreisen des Lebens mehr oder minder zur herrschenden Mode werden mußte, so ergab sich unmittelbar das Bedürfnis eines großen und durchgreifenden Handelsverkehrs, und es kam vor allem darauf an, demselben die sichersten und bequemsten Straßen zu öffnen und ihm in einer Reihe bedeutender Zentralpunkte Zusammenhang und Stetigkeit zu geben. Diese Rücksicht, neben der militärischen, hat Alexander von Anfang an bei seinen Gründungen und Kolonisierungen im Auge gehabt, und die meisten seiner Städte sind bis auf den heutigen Tag die bedeutendsten Emporien Asiens; nur daß heute die Karawanenzüge räuberischen Überfällen und willkürlichen Bedrückungen der Gewalthaber ausgesetzt sind, während in Alexanders Reiche die Straßen gesichert, die Räuberstämme der Gebirge und der Wüsten in Furcht gehalten oder zur Ansiedelung genötigt, die königlichen Beamten zur Förderung und Sicherung des Verkehrs verpflichtet und bereit waren. Auch die Kauffahrtei auf dem Mittelmeer wuchs außerordentlich, und schon jetzt begann das ägyptische Alexandrien Mittelpunkt des mittelländischen Verkehrs zu werden, der nach des Königs Plänen bald vor den Räubereien etruskischer und illyrischer Piraten geschützt werden sollte. Besonders wichtig aber war die unermüdliche Sorgfalt, mit der Alexander neue maritime Verbindungen zu eröffnen suchte; schon war es ihm gelungen, den Seeweg vom Indus zum Euphrat und Tigris zu finden; die Gründung hellenistischer Hafenstädte an den Mündungen dieser Ströme gab dem Verkehr auf dieser Seite die nötigen Stützpunkte; was Alexander tat, denselben in Aufnahme zu bringen und dem Inneren des syrischen Tieflandes mit den Strommündungen in ähnlicher Weise, wie den Indusmündungen mit den oberen Induslandschaften, unmittelbare Handelsverbindung zu schaffen, wie er die Auffindung eines weiteren Seeweges vom Persischen Meerbusen aus um die Halbinsel Arabien bis in das Rote Meer und in die Nähe von Alexandrien plante, wie er Heer- und Handelsstraßen vom ägyptischen Alexandrien aus abendwärts an der Südküste des Mittelmeeres entlang zu führen beabsichtigte, wie er endlich in der Hoffnung, eine Verbindung des Kaspischen Meeres mit dem nördlichen und weiter dem Indischen Ozean aufzufinden, in den hyrkanischen Wäldern Schiffe zu bauen anordnete, davon wird demnächst die Rede sein.
Noch ein anderer Gesichtspunkt verdient auch an dieser Stelle hervorgehoben zu werden, der der begonnenen Völkermischung, in der Alexander zugleich das Ziel und das Mittel seiner Gründungen sah. In einer Zeit von zehn Jahren war eine Welt entdeckt und erobert worden, waren die Schranken gefallen, die Morgen- und Abendland schieden, und die Wege geöffnet, die fortan die Länder des Aufganges und Niederganges miteinander vereinen sollten. Ein alter Schriftsteller sagt: »Wie in einem Becher der Liebe waren die Elemente allen Völkerlebens ineinander gemischt, und die Völker tranken gemeinsam aus diesem Becher und vergaßen der alten Feindschaft und der eigenen Ohnmacht.«
Es ist hier nicht der Ort, darzulegen, zu welchen Folgen sich diese Völkermischung entwickelt hat; sie sind die Geschichte der nächsten Jahrhunderte. Aber schon in diesen ihren Anfängen lassen sich die Richtungen erkennen, die sich dann in Kunst, Wissenschaft, Religion, in allem menschlichen Erkennen und Wollen immer breiter entfaltet haben, oft wüst genug, oft zu Entartungen, in denen nur der historische Blick, der über Jahrhunderte hin die Zusammenhänge erfaßt, den in der Tiefe wirkenden mächtigen Zug des Fortschreitens zu entdecken vermag. Es war für die hellenische Kunst kein Gewinn, daß sie die stille Größe harmonischer Verhältnisse zu dem asiatischen Prunk gewaltiger Massen zu steigern, den Idealismus ihrer Darstellungen in der Üppigkeit kostbarer Materialien und realistischer Augenlust zu überbieten lernte. Die düstere Pracht der ägyptischen Tempel, die phantastischen Burg- und Saalbauten von Persepolis, die Riesentrümmer von Babylon, die indischen Architekturen mit ihren Schlangenidolen und den lagernden Elefanten unter den Säulen, das alles wurde dem hellenischen Künstler mit den Traditionen seiner heimatlichen Kunst vermischt, immerhin ein reicher Schatz neuer Anschauungen und Entwürfe; aber schon schweiften die Konzeptionen ins Ungeheure; man erinnere sich jenes Riesenplans des Deinokrates, den Berg Athos zu einer Statue Alexanders auszumeißeln, deren eine Hand eine Stadt von zehntausend Einwohnern tragen, die andere einen Bergstrom in mächtigen Kaskaden in das Meer hinabgießen sollte. Wohl erhob sich so erregt und gesteigert demnächst die Kunst in den Porträtköpfen der Münzen, in den statuarischen der Denker und Dichter zu der höchsten individuellen Wahrheit und Lebendigkeit, in großen plastischen Kompositionen -- so in der pergamenischen -- zu dem kühnsten Ausdruck bewegtester Leidenschaftlichkeit und weitgespannter Gedanken. Dann folgte rasches Sinken bei um so öderem Luxus und um so virtuoserem Kunstgewerbe.
Auch die poetische Kunst versuchte es, an diesem neuen Leben Anteil zu gewinnen; sie entwickelte in der sogenannten neuen Komödie und in der Elegie eine Feinheit psychologischer Beobachtung und eine Virtuosität, die Charaktere und Situationen des täglichen Lebens, des sozialen Kleinlebens möchte man sagen, des wirklichen wie des idyllisch-fingierten zu schildern, die lebhafter als alles andere empfinden läßt, wieweit hinweg man von dem alten Zuge der großen Gemeininteressen, der großen Gedanken und Leidenschaften ist, die das Leben lebenswert machen. So dem Individuellen und Realistischen hingegeben, hat die hellenische Poesie weder aus den Heldenkämpfen, die sie jetzt sich vollziehen sah, noch aus den staunenswürdigen neuen Gestaltungen, die ihr durch sie erschlossen wurden, sich neue Bahnen gewonnen, wenn man nicht die taumelwilde galliambische Poesie der Selbstverstümmelung dafür nehmen will; sie hat nicht mehr vermocht, die Farbenpracht persischer Märchen oder die überirdische Feierlichkeit monotheistischer Psalmen und Prophetien in sich aufzunehmen; sie kehrte, wenn sie sich über das beliebte Tagtägliche erheben wollte, zur Nachahmung ihrer klassischen Zeit zurück und überließ es dem Morgenlande, die Erinnerung an den gemeinsamen Helden Iskander in tausend Sagen und Gesängen von Geschlecht zu Geschlecht zu vererben. Unter den redenden Künsten der Hellenen konnte nur die jüngste, die noch frisch und lebendig unter den Zeitgenossen blühte, neue Formen zu gewinnen versuchen, und die sogenannte asianische Beredsamkeit, blühend und überreich an Schmuck, ist ein charakteristisches Erzeugnis dieser Zeit.
Desto fruchtbarer war die Umgestaltung, welche in den Wissenschaften begann. Durch Aristoteles war jener großartige Empirismus ins Leben gerufen, dessen die Wissenschaft bedurfte, um des ungeheuren Vorrates von neuem Stoff, den Alexanders Züge jedem Zweige des menschlichen Erkennens eroberten, Herr zu werden. Der König, selbst Schüler des Aristoteles und mit allem, was die Studien hellenischer Ärzte, Philosophen und Rhetoren bisher geleistet hatten, vertraut, bewahrte stets das lebendigste Interesse für dieselben; ihn begleiteten auf seinen Zügen Männer von allen Fächern der Wissenschaft; sie beobachteten, forschten, sammelten, sie vermaßen die neuen Länder und die Hauptstraßen in denselben. Ebenso begann für die geschichtlichen Studien eine neue Epoche; man konnte jetzt an Ort und Stelle forschen, konnte die Sagen der Völker mit ihren Denkmalen, ihre Schicksale mit ihren Sitten vergleichen, und trotz der unzähligen Irrtümer und Märchen, welche durch die sogenannten Schriftsteller Alexanders verbreitet wurden, ist doch erst mit dieser Zeit das Material und demnächst die Methode für die große geschichtliche und geographische Forschung gewonnen worden. In mancher Beziehung konnte die hellenische Wissenschaft unmittelbar von dem Morgenländer lernen, und die große Tradition astronomischer Beobachtungen in Babylon, die bedeutende Arzneikunde, die im indischen Lande gewesen zu sein scheint, die eigentümlichen Kenntnisse der Anatomie und Mechanik unter den Priestern Ägyptens gewannen unter der Hand hellenischer Forscher und Denker neue Bedeutung. Die eigentümliche Entwicklung des hellenischen Geistes hatte die Philosophie als den Inbegriff alles Wissens dargestellt; jetzt emanzipierten sich die einzelnen Richtungen des Erkennens; die exakten Wissenschaften begannen sich, auf selbständige Empirie gestützt, zu entfalten, während die Philosophie, uneins über das Verhältnis des Denkens zur Wirklichkeit, bald die Erscheinungen für die Gedanken, bald die Erkenntnis für die Erscheinungen unzulänglich nannte.
Es liegt in der Natur der Sache, daß die Umgestaltung des Völkerlebens in sittlicher, sozialer, religiöser Beziehung langsamer und bis auf einzelne Eruptionen unmerklich vor sich gehen mußte; und wenn gegen das Neue, welches unter Alexanders Regiment natürlicherweise zu plötzlich, zu unvorbereitet, oft gewaltsam ins Leben gerufen war, mit seinem Tode eine Reaktion hervortrat, welche in den dreißig Jahren der Diadochenkämpfe sich bald dieser, bald jener Partei anschloß, so war das Resultat kein anderes, als daß das Neue endlich zur Gewohnheit wurde und, nach den volkstümlichen Verschiedenheiten modifiziert, solche Formen annahm, in die sich das Leben der Völker unter einem fortan gleichen und gemeinsamen Prinzip weiter hineinbilden konnte. Auf ein allmähliches Verschwinden nationaler Vorurteile, auf eine gegenseitige Annäherung in Bedürfnissen, Sitten und Ansichten, auf ein positives und unmittelbares Verhalten der sonst entzweiten Volkstümlichkeiten gründete sich ein vollkommen neues, soziales Leben; und wie etwa in neuer Zeit gewisse Anschauungen, Voraussetzungen, Konvenienzen bis zu den Moden hinab die Einheit der zivilisierten Welt bekunden, so hat sich in jener hellenistischen Zeit und, darf man vermuten, unter ähnlichen Formen, eine Weltbildung durchgearbeitet, die am Nil und Jaxartes dieselben konventionellen Formen als die der guten Gesellschaft, der gebildeten Welt geltend machte. Attische Sprache und Sitte wurde die Richtschnur der Höfe von Alexandreia und Babylon, von Baktra und Pergamon; und als der Hellenismus seine politische Selbständigkeit dem römischen Staate gegenüber verlor, begann er in Rom die Herrschaft der Mode und Bildung zu gewinnen. So darf man den Hellenismus mit Recht die erste Welteinheit nennen; während das Achämenidenreich nichts als ein äußerliches Aggregat von Ländermassen war, deren Bevölkerungen nur die gleiche Knechtschaft miteinander gemein hatten, blieb in den Ländern des Hellenismus, selbst als sie zu verschiedenen Reichen zerfielen, die höhere Einheit der Bildung, des Geschmacks, der Mode, oder wie man sonst dies stets wechselnde Niveau konventioneller Meinungen und Gewohnheiten nennen will.
Auf die sittlichen Zustände der Völker werden politische Veränderungen stets in dem Verhältnis der unmittelbaren Beteiligung weniger, vieler, aller an den Funktionen des Staates wirken. Dieselbe geschichtliche Versumpfung, welche die Völker Asiens bisher in den stumpfsten politischen Formen, den despotischen und hierarchischen, hatte verharren lassen, ließ sie zunächst und zum guten Teil bei dem unermeßlichen Wechsel, der über sie gekommen war, stumm und passiv; wenn sich Alexander vielfach ihrem Herkommen und ihrer Überzeugung gefügt hatte, so zeigt das, auf welchem Wege allein es möglich war, sie allmählich über sich selbst hinauszuführen. Natürlich war der Erfolg dieser Bemühungen je nach dem Charakter der verschiedenen Völker sehr verschieden, und während die Uxier und die Mardier erst lernen mußten, den Acker zu bestellen, »die Hyrkaner, ehelich zu leben, die Sogdianer, ihre alternden Väter zu ernähren statt zu töten«, hatte der Ägypter schon seinen Abscheu gegen die kastenlosen Fremdlinge, der Phöniker die Greuel seiner Molochsopfer zu verlernen begonnen. Dennoch konnte erst die Folgezeit allmählich eine neue und gleichartige Weise zu sein, zu denken und zu handeln heranbilden, um so mehr, da den meisten altasiatischen Völkern die Grundlage ihrer Moral, ihrer persönlichen und rechtlichen Verhältnisse, welche den Hellenen dieser Zeit nur noch in dem positiven Gesetz oder in der entwickelten Erkenntnis ethischer Prinzipien gegeben schien, in der Religion enthalten war und durch sie gewiß und zwingend galt. Die Völker Asiens aufzuklären, ihnen die Fesseln des Aberglaubens, der unfreien Frömmigkeit zu zerreißen, ihnen das Wollen und Können selbstgewisser Verständigkeit zu erwecken und zu allen Konsequenzen, den heilvollen wie gefährlichen, zu steigern, kurz, sie für das geschichtliche Leben zu emanzipieren, das war die Arbeit, welche der Hellenismus in Asien zu vollbringen versucht und zum Teil, wenn auch erst spät, vollbracht hat.
Schneller und entschiedener ist die Umgestaltung der sittlichen Zustände in dem makedonischen und hellenischen Volkstum hervorgetreten. Beiden gemeinsam wird in Alexanders Zeit die Steigerung alles Könnens und Wollens, die Überspannung der Ansprüche und der Leidenschaften, das Leben in dem Moment und für ihn, der rücksichtslose Realismus; und doch, wie verschieden sind sie in jeder Beziehung. Der Makedone, vor drei Jahrzehnten noch voll bäuerischer Einfalt, an der Scholle haftend und in dem gleichgültigen Einerlei seiner armen Heimat zufrieden, denkt jetzt nichts als Ruhm, Macht und Kampf; er fühlt sich Herr einer neuen Welt, die er stolzer ist zu verachten als erobert zu haben; aus den unablässigen Kriegsfahrten hat er jenes trotzige Selbstgefühl, jene kalte militärische Schroffheit, jene Geringschätzung der Gefahr und des eigenen Lebens heimgebracht, wie die Zeiten der Diadochen sie oft genug in der Karikatur zeigen; und wenn große geschichtliche Durchlebungen der Denkweise und der Physiognomie der Völker ihr Gepräge geben, so sind die Narben des zehnjährigen morgenländischen Krieges, die in endlosen Strapazen, in Entbehrungen und Ausschweifungen aller Art tiefgefurchten Züge der Typus der Makedonen. Anders das hellenische Wesen daheim. Dessen Zeit ist vorüber; weder von dem Drange zu neuen Taten, noch von dem Bewußtsein politischer Macht gehoben, begnügen sich diese einst so rüstigen Hellenen mit dem Glanze ihrer Erinnerungen; das Prahlen ersetzt ihnen den Ruhm, und übersättigt von Genuß suchen sie um so mehr dessen oberflächlichste Form, den Wechsel; um so leichtfertiger, fahriger, parrhesiastischer, um so entfernter jeder einzelne, sich einer Verantwortung oder Autorität unterzuordnen, und um so loser und zuchtloser insgemein geht das Griechentum in jene geistreiche, oberflächliche, nervöse Vielgeschäftigkeit, in jene Lernbildung über, die immer das letzte Stadium in dem Leben der Völker bezeichnet; alles Positive, alles Haltende und Zusammenhaltende, selbst das Gefühl, Schlacke geworden zu sein, geht dahin; das Werk der Aufklärung hat sich vollbracht.
Man darf wohl sagen, daß durch diese Aufklärung, so nivellierend und widrig sie im einzelnen erscheint, die Kraft des Heidentums gebrochen und eine geistigere Entwicklung der Religion möglich geworden ist. Nichts ist in dieser Beziehung wirksamer gewesen als jene sonderbare Erscheinung der Göttermischung, der Theokratie, an der in den nächstfolgenden Jahrhunderten alle Völker des Hellenismus Anteil nahmen.
Wenn man die Gottheiten, die Kulte, die Mythen des Heidentums als eigensten und lebendigsten Ausdruck der ethnographischen und geschichtlichen Verschiedenheit der Völker betrachten darf, so lag da für das Werk, das Alexander schaffen wollte, die größte Schwierigkeit. Seine Politik traf den Nerv der Sache, wenn er, in dessen Person und Regiment zunächst jene Einheit sich darstellen mußte, in seiner unmittelbaren Umgebung so gut den indischen Büßer Kalanos und den persischen Magier Osthanes, wie den lykischen Zeichendeuter Aristandros hatte, wenn er den Gottheiten der Ägypter, der Perser, der Babylonier, dem Baal von Tarsus, dem Jehova der Juden sich in gleicher Weise wie ihre Gläubigen zuwandte und, alle Zeremonien und Ansprüche ihres Kultus erfüllend, dessen Bedeutung und Inhalt als offene Frage zur Seite ließ, vielleicht da und dort schon Anschauungen und Geheimlehren priesterlicher Weisheit begegnend, die in pantheistischer, deistischer, nihilistischer Fassung des Volksglaubens dem entgegenkam, was den gebildeten Hellenen ihre Philosophie gab. Des Königs Beispiel wird rasch genug in weiten und weiteren Kreisen gewirkt haben; man begann, nun dreister als es schon immer hellenische Art gewesen, Götter der Fremde heimisch zu machen und die heimatlichen Götter in denen der Fremde wiederzuerkennen, die Sagenkreise und Theogonien der verschiedenen Völker zu vergleichen und in Einklang zu bringen; man begann sich zu überzeugen, daß alle Völker, in mehr oder minder glücklichem Bilde, in ihren Göttern dieselbe Gottheit verehrten, mehr oder minder tief gefaßt dieselbe Ahnung des Überirdischen, des Absoluten, des letzten Zweckes oder Grundes auszusprechen versuchten, und daß die Unterschiede der göttlichen Namen, Attribute, Ämter, nur äußerliche und zufällige, zu berichtigen und zu ihrem Gedanken zu vertiefen seien.
So offenbarte es sich, daß die Zeit lokaler und nationaler, das heißt heidnischer Religionen vorüber, daß die endlich sich einigende Menschheit einer einigen und allgemeinen Religion bedürftig und fähig sei; die Theokratie war selbst nichts als ein Versuch, durch Verschmelzung aller jener verschiedenen Religionssysteme eine Einheit hervorzubringen; nur daß sie auf diesem Wege in der Tat doch nimmer erreicht werden konnte. Es war die Arbeit der hellenistischen Jahrhunderte, die Elemente einer höheren und wahrhafteren Einigung zu erwirken, das Gefühl der Endlichkeit und Ohnmacht, das Bedürfnis der Buße und des Trostes, die Kraft der tiefsten Demut und der Erhebung bis zur Freiheit in Gott und zur Kindschaft Gottes zu entwickeln; es sind die Jahrhunderte der Entgötterung der Welt und der Herzen, der tiefsten Verlorenheit und Trostlosigkeit, des immer lauteren Rufes nach dem Erlösenden.
In Alexander hat sich der Anthropomorphismus des hellenischen Heidentums erfüllt; ein Mensch ist Gott geworden; sein, des Gottes, ist das Reich dieser Welt, in ihm der Mensch erhöht zu der höchsten Höhe der Endlichkeit, durch ihn die Menschheit erniedrigt, vor dem anzubeten, der der sterblich Geborenen einer ist.
Drittes Kapitel
Alexanders Zug nach Medien -- Hephaistions Tod -- Kampf gegen die Kossäer -- Rückkehr nach Babylon -- Gesandtschaften -- Expeditionen ins südliche Meer -- Rüstungen, neue Pläne -- Alexanders Krankheit -- Sein Tod
Am Schluß von sieben Kriegsjahren schreibt ein großer Kriegsfürst neuerer Zeit: so viele Feldzüge hätten ihn zum Greise gemacht; und er stand in der vollsten Manneskraft, im Anfang der vierziger Jahre, als er sie begann. Alexander hatte zwölf Jahre hindurch unablässig im Felde gelegen, schwere Verwundungen, mehr als eine lebensgefährliche, erlitten; endlose Strapazen, die Spannungen und Aufregungen unermeßlicher Wagnisse, schon auch jene erschütternden Vorgänge am Hyphasis, jenen furchtbaren Zug durch die gedrosische Wüste, den Aufruhr der Veteranen in Opis durchgemacht; er hatte Kleitos erstochen, Philotas, Parmenion hinrichten lassen. Die Überlieferungen sagen nicht, ob sein Geist und sein Körper noch in derselben Spannkraft und Frische war wie in den Tagen des Donaufeldzuges und am Granikos, oder ob er »nervös« zu werden begann, sich früh altern fühlte. Die nächste Zeit sollte ihm neue schmerzliche Erregungen bringen.
Bald nach dem Aufbruch der Veteranen aus Opis verließ auch er mit den übrigen Truppen diese Stadt, um nach Ekbatana hinaufzuziehen.
Medien vor allem hatte während des Königs Aufenthalt in Indien von der Zügellosigkeit und dem Übermut makedonischer Beamten und Befehlshaber viel gelitten, die Bevölkerung dort trotz der vielfachen Anreizungen zum Aufstande sich treu bewährt; Baryaxes, der vergebens die Fahne des Aufruhrs erhoben hatte, war durch den Satrapen Atropates dem Gerichte des Königs überliefert worden. Trotzdem mochte da noch Anlaß genug sein zu untersuchen, zu ordnen, auszugleichen, es mochte namentlich die Plünderung des Schatzes und des Harpalos Flucht genauere Feststellungen fordern. Auch war die große Straße durch die medischen Berge noch keineswegs so sicher, wie es für den lebhaften Verkehr zwischen den syrischen Satrapien und dem oberen Lande erforderlich war; unter der Reihe der Bergvölker von Armenien bis zur karmanischen Küste waren immer noch die Kossäer, die räuberischen Bewohner des Zagrosgebirges, nicht gedemütigt, und jeder Transport, der nicht mit bedeutender Bedeckung den Weg der medischen Pässe einschlug, ihren Überfällen ausgesetzt. Das etwa waren die Gründe, welche den König bewogen, seine Rückkehr nach Babylon, sowie den Beginn der neuen Unternehmungen gen Süden und Westen, für welche die Zurüstung in vollem Gange war, bis zum nächsten Frühjahr zu verschieben.
Er ging, es mochte gegen Ende August 324 sein, von Opis aus auf der gewöhnlichen medischen Straße nach Ekbatana; die Truppen folgten in mehreren Abteilungen durch die nördlichen Distrikte der Landschaft Sittakene. Alexander war über den Flecken Karrai und von da in vier Tagen nach Sambata gekommen; er blieb hier sieben Tage, bis die verschiedenen Kolonnen zusammengetroffen waren. Mit drei Tagemärschen erreichte man die Stadt Kelonai (Holwan), wenige Meilen von den Zagrospässen, von Hellenen bewohnt, die, zur Zeit der Perserkriege hierhergebracht, in Sprache und Sitten noch immer das Hellenische, wenn auch nicht rein, bewahrten. Von hier zog Alexander zu der Paßgegend von Bagistane; er besuchte die berühmten Anlagen in der Ebene vor dem Gebirge, die man den Garten der Semiramis nannte. Bei seinem weiteren Zuge kam er in die nysäischen Felder, in welchen die ungeheuren Roßherden der Könige weideten; er fand an Pferden noch fünfzig- bis sechzigtausend. Das Heer verweilte hier einen Monat. Der Satrap Atropates von Medien kam, hier an den Grenzen seiner Satrapie den König zu begrüßen; er brachte, so wird erzählt, hundert Weiber zu Roß, mit Streitäxten und kleinen Schilden bewaffnet, in das Lager, indem er aussagte, dies seien Amazonen; eine Erzählung, die zu den sonderbarsten Ausschmückungen Anlaß gegeben hat.
Ein ärgerlicher Vorfall sollte diese Zeit der Rast unterbrechen. In der Umgebung Alexanders befanden sich Eumenes und Hephaistion. Eumenes von Kardia, welcher die erste Stelle in dem Kabinett des Königs hatte und von demselben wegen seiner großen Gewandtheit und Zuverlässigkeit vielfach und namentlich noch bei der Hochzeitfeier von Susa durch die Vermählung mit Artabazos' Tochter geehrt war, scheint in Sachen des Geldes in üblem Rufe gestanden zu haben; es galt dafür, daß der König den unentbehrlichen Archigrammateus, so oft er dessen Vorteil mit seinem Pflichteifer oder seiner Hingebung in Kollision sehe, auf das freigebigste bedenke. Nur einmal, so wird erzählt -- es war noch in Indien und der König hatte die Ausrüstung der Stromflotte, da seine Kassen erschöpft waren, als Ehrensache den Großen in seiner Umgebung überlassen --, ärgerte sich Alexander zu sehr an dem auffallenden Verhalten des Kardianers, als daß er sich hätte versagen sollen, ihn zu beschämen. Eumenes sollte dreihundert Talente verwenden; er gab nur hundert und versicherte, daß er kaum diese mit aller Mühe habe zusammenbringen können; und doch kannte Alexander seinen Reichtum. Er machte ihm keine Vorwürfe, nahm aber das Dargebotene nicht an; er befahl, in der Stille der Nacht das Zelt des Eumenes anzuzünden, um ihn dann, wenn er in voller Angst vor dem Feuer, dem übrigens sogleich wieder Einhalt getan werden sollte, seine Schätze herausschleppen ließe, dem allgemeinen Spotte preiszugeben. Das Feuer griff so schnell um sich, daß es das ganze Zelt mit allem, was in demselben war, namentlich den zahlreichen Schriftstücken der Kanzlei, verzehrte; das geschmolzene Gold und Silber, das man in der Asche fand, betrug allein über tausend Talente. Alexander ließ ihm sein Geld und sandte an die Satrapen und Strategen Befehl, Abschriften von den an sie erlassenen Zuschriften und Weisungen einzusenden. Bei den Makedonen des Heerlagern war Eumenes, der »mit der Schreibtafel und dem Griffel statt mit Speer und Schwert« diente, und der trotzdem nur zu viel Einfluß und Ansehen beim Könige zu haben schien, wenig beliebt; und daß ihn vor allen Hephaistion, der durch sein nahes Verhältnis zu Alexander oft genug mit ihm in Berührung kam, nicht mochte, war nach dem Charakter des edlen Pelläers natürlich. Alles, was von diesem berichtet wird, zeigt seinen edlen, ritterlichen, hingebenden Sinn, seine unbegrenzte und wahrhaft rührende Anhänglichkeit für den König. Alexander liebte in ihm den Gespielen seiner Knabenjahre; aller Glanz des Thrones und des Ruhmes, und jener Wechsel in seinem äußeren und inneren Leben, um dessentwillen mancher, dem er viel vertraut, an ihm irre geworden war, hatten ihr herzinniges Verhältnis nicht zu stören vermocht; ihre Freundschaft hatte die schwärmerische Weichheit des Jünglingsalters, dem sie beide fast noch angehörten; die Erzählung, wie Alexander einen Brief von seiner Mutter voll Vorwürfe und Klagen, die er auch dem Freunde gern verschwieg, durchlas und Hephaistion sich über des Freundes Schultern lehnte und mitlas, und der König ihm dann den Siegelring auf den Mund drückte, gibt das Bild, wie man sich beide denken mag.
Hephaistion und Eumenes hatten schon mehrfach miteinander Streit gehabt, und ihre gegenseitige Abneigung bedurfte keines großen Anlasses, um in neuen Zwist auszubrechen. Ein Geschenk, das eben jetzt Hephaistion vom Könige erhielt, genügte, des Kardianers Neid auf das heftigste zu erregen und einen Wortwechsel hervorzurufen, in dem bald beide alle Rücksichten und sich selbst vergaßen. Alexander tat dem ärgerlichen Gezänk Einhalt; dem Eumenes gab er ein gleiches Geschenk, an Hephaistion wandte er sich mit dem Scheltwort, ob er sich und seine Würde nicht besser kenne; er forderte von beiden das Versprechen, fortan jede Uneinigkeit zu meiden und sich miteinander auszusöhnen. Hephaistion weigerte es, er war der tief Gekränkte, und Alexander hatte Mühe, ihn zu beruhigen; ihm zuliebe reichte Hephaistion endlich die Hand zur Versöhnung.
Nach diesen Vorgängen und einer dreißigtägigen Rast in dem nysäischen Tale brach das Heer nach Ekbatana auf und erreichte in sieben Tagen, etwa mit dem Ausgange des Oktober, diese große und reiche Stadt. Es ist zu bedauern, daß die alten Überlieferungen nichts von den Anordnungen, Gründungen und Organisationen, die zu Ekbatana, wie es scheint, des Königs besondere Tätigkeit in Anspruch nahmen, berichten; reicher sind sie an Schilderungen der Festlichkeiten, welche in der medischen Residenz gefeiert wurden, namentlich der der Dionysien.
Alexander hatte seine Residenz in dem königlichen Schlosse genommen; das Schloß, ein Denkmal aus der Zeit der medischen Größe, lag unter der Burg der Stadt, in einer Ausdehnung von sieben Stadien; die Pracht dieses Gebäudes grenzte an das Märchenhafte; alles Holzwerk war von Zedern und Zypressen, das Gebälk, die Decken, die Säulen in den Vorhallen und den inneren Räumen mit goldenen oder silbernen Platten belegt, die Dächer mit Silberplatten bedeckt. In ähnlicher Weise war der Tempel der Anytis in der Nähe des Palastes geschmückt, seine Säulen mit goldenen Kapitellen gekrönt, das Dach mit goldenen und silbernen Ziegeln gedeckt. Freilich war schon manches von diesem kostbaren Schmuck durch die Raubgier jener makedonischen Befehlshaber, die so arg in Medien gehaust hatten, entwendet worden, aber noch immer bot das Ganze ein Bild der staunenswürdigsten Herrlichkeit. Die Umgebung stimmte mit der Pracht der königlichen Residenz; im Rücken des Palastes erhob sich der aufgeschüttete Hügel, dessen Höhe die äußerst feste Burg mit ihren Zinnen, Türmen und Schatzgewölben krönte; vor ihr die ungeheure Stadt in einem Umfange von fast drei Meilen, im Norden die Gipfel des hohen Orontes, durch dessen Schluchten sich die großen Wasserleitungen der Semiramis herabzogen.
In dieser wahrhaft königlichen Stadt feierte Alexander die Dionysien des Herbstes 324; sie begannen mit den großen Opfern, mit denen Alexander den Göttern seinen Dank für das Glück, das sie ihm gewährt, darzubringen gewohnt war. Dann folgten Festlichkeiten aller Art, Kampfspiele, Festaufzüge, künstlerische Wettkämpfe; Gastmähler und Gelage füllten die Zwischenzeit. Unter diesen zeichnete sich das des Satrapen Atropates von Medien durch schwelgerische Pracht aus; das gesamte Heer hatte er zu Gast geladen, und die Fremden, welche von nah und fern zur Schau der Feste in Ekbatana zusammengeströmt waren, umstanden die weite Reihe von Tafeln, an denen die Makedonen jubelten und unter Trompetenschall durch Heroldsruf ihre Trinksprüche, ihre guten Wünsche für den König und die Geschenke, die sie ihm weihten, verkünden ließen; der lauteste Jubel folgte dem Spruch des Gorgos, des königlichen Waffenmeisters: »Dem König Alexander, dem Sohn des Zeus Ammon, weiht Gorgos einen Kranz von dreitausend Goldstücken, und, wenn er Athen belagert, zehntausend Rüstungen nebst ebenso vielen Katapulten und allen Geschossen, so viele er zum Kriege braucht.«
So die lärmenden und überreichen Festlichkeiten dieser Tage, nur Alexander war nicht zur Freude gestimmt; Hephaistion war krank. Umsonst bot sein Arzt Glaukias alle Kunst auf, er vermochte dem zehrenden Fieber nicht Einhalt zu tun. Alexander konnte sich nicht den Festlichkeiten entziehen, er mußte den kranken Freund verlassen, um sich dem Heere und dem Volk zu zeigen. Er befand sich gerade, es war am siebenten Tage und die Knaben hatten ihren Wettkampf, unter der fröhlichen Menge, die auf dem Stadion auf und ab wogte; da wurde ihm die Nachritt gebracht, daß es mit Hephaistion schlecht stehe; er eilte zum Schloß, in das Zimmer des Kranken, Hephaistion war eben verschieden. Die Hand der Götter konnte nicht Schwereres über Alexander verhängen; drei Tage saß er bei der teuren Leiche, lange klagend, dann vor Gram verstummend, ohne Speise und Trank, am Kummer sich weidend und der Erinnerung an den schönen Freund, der ihm in der Blüte des Lebens entrissen war. Es schwiegen die Feste, Heer und Volk klagte um den Edelsten der Makedonen, und die Magier löschten das heilige Feuer in den Tempeln, als ob ein König gestorben sei.
Als die Tage der ersten Trauer vorüber waren, und die Getreuen mit ihren Bitten erreicht hatten, daß sich der König von seines Freundes Leiche trennte, ordnete er den Trauerzug, der die Leiche nach Babylon führen solle. Auf Eumenes' Anregung brachten die Strategen, Hipparchen, Hetairen Waffen, Kleinodien, Gaben aller Art, den Wagen zu schmücken, der die Leiche trug; Perdikkas erhielt den Befehl, sie nach Babylon zu geleiten, dort sollte der Scheiterhaufen erbaut, dort im Frühlinge die Kampfspiele der Totenfeier gehalten werden; mit Perdikkas ging Deinokrates, den Prachtbau des Scheiterhaufens zu leiten.
Es war gegen Ende des Jahres 324 und in den Bergen lag bereits tiefer Schnee, als Alexander mit seinem Heere aus Ekbatana aufbrach, um durch die Berge der Kossäer gen Babylon zu ziehen; er wählte diese Jahreszeit, weil die räuberischen Stämme im Gebirge jetzt nicht aus ihren Tälern auf die schneebedeckten Berghöhen flüchten konnten. Mit dem leichteren Teil seiner Truppen ging er, während die übrigen auf der großen Straße vorauszogen, südwärts, denn in dieser Richtung bis zu den ihnen verwandten Oxiern hin, wohnten und wanderten diese Hirtenstämme. In zwei Kolonnen, die eine unter des Königs, die andere unter des Lagiden Ptolemaios Befehl, wurden die Bergtäler durchstreift, die meist kleinen Horden, die sich stets auf das kühnste zur Wehr setzten, einzeln überwältigt, ihre Raubtürme erbrochen, viele Tausende erschlagen und zu Gefangenen gemacht, die anderen zur Unterwerfung gezwungen, ihnen vor allem feste Ansiedlung und das Bebauen des Feldes zur Pflicht gemacht. Nach Verlauf von vierzig Tagen war das unabhängige Bergvolk in dem Gebirgslande der Passagen wie früher die Uxier, Kadusier, Mardier und Paraitakenen, zum Gehorsam gebracht und wenigstens der erste Anfang zur Zivilisation gemacht.
Dann zog Alexander in kleinen Tagesmärschen, um die einzelnen Truppenabteilungen aus den Bergtälern an sich zu ziehen, nach Babylonien hinab. In Babylon wollte er seine gesamten Kräfte zu neuen Unternehmungen vereinigen, Babylon sollte der Mittelpunkt des Reiches und die königliche Residenz werden. Die Stadt war durch ihre Größe, ihren alten Ruhm, ihre Lage besonders dazu geeignet; sie war der Stapelplatz für den Südhandel, für die Gewürze Indiens, die Spezereien Arabiens; sie lag in der Mitte zwischen den Völkern des Abend- und Morgenlandes; sie war dem Westen näher, auf den sich nach der Bewältigung des Ostens Alexanders unternehmender Blick wenden mußte. Gen Westen lag jenes Italien, wo seiner Schwester Gemahl, der Epeirotenkönig, Ehre und Leben eingebüßt hatte, lag das silberreiche Iberien, das Land der phönikischen Kolonien, deren Mutterstädte jetzt zum neuen Reiche gehörten, lag jenes Karthago, das seit den ersten Perserkriegen und dem damaligen Bunde mit Persien nicht aufgehört hatte, gegen die Hellenen in Libyen und Sizilien zu kämpfen. Die großen Veränderungen in der Ostwelt hatten Alexanders Ruhm bis zu den fernsten Völkern getragen, die teils mit Hoffnung, teils mit Besorgnis auf diese Riesenmacht blicken mochten; sie mußten die Notwendigkeit erkennen, sich mit dieser Macht, in deren Hand das Schicksal der Welt lag, in Beziehung zu setzen und ihr entgegenkommend der eigenen Zukunft die Wege zu ebnen.
So geschah es, daß Gesandte auch ferner Völker in das Lager kamen, teils um Huldigungen und Geschenke zu überbringen, teils um über Streitigkeiten mit Nachbarvölkern des Könige schiedsrichterliche Entscheidung einzuholen; und erst jetzt, sagt Arrian, schien es dem Könige und seiner Umgebung, daß er Herr über Land und Meer sei. Alexander ließ sich das Verzeichnis der Landschaften geben, um die Reihenfolge ihrer Audienzen zu bestimmen; den Vortritt hatten die mit heiligen Dingen Beauftragten, namentlich die Gesandten von Elis, von Ammonion, vom delphischen Tempel, von Korinth, Epidauros usw., nach Maßgabe der Bedeutung der Stelle, von der sie kamen; dann folgten die, welche Geschenke überbrachten, welche über Streitigkeiten mit Nachbarvölkern verhandeln wollten, die mit inneren und Privatsachen Beauftragten, zuletzt die hellenischen Abgeordneten, welche Vorstellungen gegen die Zurückführung der Verbannten machen sollten.
Unsere Quellen für die Geschichte Alexanders haben es nicht der Mühe wert geachtet, alle diese Gesandtschaften zu nennen; sie führen nur diejenigen an, welche in irgendeiner Beziehung denkwürdig waren, und nur aus den anderweitig geschichtlichen Verhältnissen der genannten Völker läßt sich über die näheren Absichten ihrer Sendung einiger Aufschluß finden. Daß Gesandte der Brettier, Lukaner, Etrusker gekommen seien, hat Arrian ohne weiteres Bedenken angegeben, ob auch römische[19], wie von manchen Schriftstellern gesagt sei, bezweifelt er. Aus der Lage der Verhältnisse in Italien muß sich ergeben, ob Anlaß dazu war.
[19] Siehe dazu die Anmerkung am Schluß.
Die Brettier und Lukaner hatten seit dem Kriege mit dem Molosser Alexandros Grund genug, vor der Macht seines Schwagers, des Siegers über Asien, des natürlichen Beschirmers der hellenischen Welt, in Sorge zu sein. Gegen sie war der Molosser von dem reichen Handelsstaat Tarent zu Hilfe gerufen worden; er hatte sie und die ihnen verbündeten Samniten in einer großen Schlacht bei Pästum geschlagen, er hatte an der Ostküste der Halbinsel die Messapier, die Daunier zu Paaren getrieben; er war von Meer zu Meer mächtig, und die Römer traten mit ihm in ein Bündnis zum gemeinsamen Angriff auf die Samniten, deren Kämpfe im Süden sie benutzt hatten, ihr Gebiet bis Kampanien hinein auszudehnen und mit römischen Ansiedlungen zu befestigen. Aber die wachsende Macht des Epeiroten, vielleicht die Besorgnis, daß er sich zum Herrn Großgriechenlands machen wolle, veranlaßte die Tarentiner, sich denen zuzuwenden, gegen die sie ihn gerufen hatten; ein lukanischer Flüchtling ermordete den König; damit hatten die Samniten freie Hand sich gegen die Römer zu wenden, die schon auch Kyme, die älteste hellenische Stadt an diesen Küsten, auch Kapua in Besitz genommen hatten. Mit ihrem Versuch, sich auch in Neapolis und Palaiopolis festzusetzen, begann (328) der große Samnitenkrieg, der nach wechselnden Erfolgen her und hin demnächst in den kaudinischen Pässen und dem Unterwerfungsvertrag der Römer einen ersten Abschluß finden sollte. Daß die Griechenstädte Italiens, statt die Gunst dieser Jahre zu benutzen, ungeeint und ohne Tatkraft, wie sie waren, auf den Eroberer Asiens ihre Hoffnung setzten, war ebenso natürlich, wie die Besorgnis der Italiker, daß er kommen und ihnen die reichen Küstenstädte, die sie endlich gewonnen hatten, aus der Hand reißen werde; hatte er doch den Krotoniaten Beutestücke des Sieges von Gaugamela gesandt, weil einst gegen Xerxes einer der Ihrigen bei Salamis mitgekämpft hatte. Mag es Zufall sein, daß unter den Gesandtschaften keine der Samniten genannt wird, oder mag von ihnen keine gekommen sein, das kluge und weiterblickende patrizische Regiment in Rom, das in dem schweren Kampf gegen die Samniten die Völker hinter ihnen, die Lukaner, Apulier usw. zu gewinnen verstanden, sich mit dem Molosser verbündet hatte, konnte sich sehr wohl veranlaßt sehen, in dem Moment, wo es die Griechenstädte Kampaniens zu unterwerfen gedachte, sich der Gunst dessen zu versichern, dessen Einspruch zu fürchten war. Aus einer anderweitigen Nachricht ergibt sich, daß Alexander den Römern in betreff der ihnen untertänig gewordenen Antiaten, die fortfuhren mit den Etruskern vereint Seeräuberei zu treiben, Mahnungen habe zukommen lassen.
Eine Gesandtschaft der Etrusker erklärt sich aus den mannigfachen Konflikten, die ihnen aus ihren Seeräubereien mit den hellenischen Staaten erwuchsen; war doch eben jetzt von den Athenern eine Expedition ausgerüstet, um am Ausgang des Adriatischen Meeres eine Kolonie zu gründen, die ihnen in den dortigen Gewässern einen festen Handels- und Stapelplatz sichern und ihre Kauffahrtei dort schützen sollte.
Nicht minder erklärlich sind die Sendungen der Karthager, Libyer, Iberier. Alexanders Besitznahme von Phönikien mußte sowohl Karthago wie die übrigen punischen Kolonien in Nordafrika und Iberien, welche mit dem Mutterlande noch immer in naher Verbindung standen, veranlassen, dem Herrscher des mächtigen Reiches, von dem sie wohl mehr als Rivalität im Handel zu fürchten hatten, ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen; namentlich die Karthager werden beachtet haben, was nach ihren früheren Beziehungen zu der hellenischen Welt und nach dem Charakter des kriegsgewaltigen Königs für sie in Aussicht stand; und die Grenzstreitigkeiten mit den Hellenen Siziliens, die seit Timoleons Siegen nicht aufgehört hatten, boten Anlaß vollauf zu einer Einmischung, die für die punische Republik nur zu bedenkliche Folgen haben konnte. Um so natürlicher war es, daß sie die Freundschaft des mächtigen Königs suchten. Wenn angeführt wird, daß die libyschen Gesandten mit Kränzen und Glückwünschen wegen der Eroberung Asiens gekommen seien, so sind damit die Stämme im Süden Kyrenes gemeint.
Unter den übrigen Gesandtschaften werden namentlich die der europäischen Skythen, der Kelten, der Äthiopen genannt, letztere dem Könige vielleicht um so wichtiger, je mehr ihn jetzt der Plan, Arabien zu umschiffen und die Seestraße, die bereits den Indus und Euphrat verband, bis in das Rote Meer und zur ägyptischen Ostküste fortzusetzen, beschäftigte.
Denn schon war der Befehl nach Phönikien gesandt, Matrosen auszuheben, Schiffe zu bauen, sie zerlegt über Land nach dem Euphrat zu schaffen. Nearch war beauftragt, die Flotte den Euphrat hinauf nach Babylon zu führen; bald nach der Ankunft des Königs in Babylon sollte der Zug gegen die Araber eröffnet werden. Zu gleicher Zeit ward Herakleides, des Argaios Sohn, mit einer Schar Schiffszimmerleute nach dem Strande des Kaspischen Meeres abgesandt, mit dem Auftrage, in den Waldungen der hyrkanischen Gebirge Schiffsbauholz zu fällen und Kriegsschiffe sowohl mit als ohne Deck nach hellenischer Art zu zimmern. Auch diese Expedition hatte den Zweck, zunächst zu untersuchen, ob das Kaspische Meer eine nördliche Durchfahrt darbiete und ob es mit dem maiotischen See oder dem offenen Meer im Norden und durch dasselbe mit den indischen Gewässern in Verbindung stehe. Alexander mochte hoffen, mit dieser Expedition jenen Skythenfeldzug, den er vor fünf Jahren mit dem Chorasmierkönig besprochen hatte, in Ausführung zu bringen. Ebenso waren für die Landmacht neue und sehr bedeutende Verstärkungen angeworben, welche im Laufe des Frühlings in Babylon eintreffen sollten. Es war offenbar, daß Alexander Großes vorhatte; es schien, als ob zu gleicher Zeit Feldzüge gegen Norden, Süden und Westen unternommen werden sollten; vielleicht daß er sie einzelnen Feldherren zu übertragen gedachte, während er vorerst das Ganze von Babylon, der Residenz seines Reiches, aus zu leiten sich vorbehielt.
Die Truppen und ihre Führer werden voll ungeduldiger Spannung, neue Feldzüge fürchtend oder hoffend, gen Babylon hinabgezogen sein. Sie wußten nicht, wie tief ihr König seit des Freundes Tod gebeugt, wie er umsonst mit kühnen und kühneren Plänen den Gram seines Herzens zu übertäuben bemüht war; sie wußten nicht, wie ihm die Freude des Lebens zerstört, wie seine Seele trüber Ahnungen voll war; mit Hephaistion war ihm seine Jugend zu Grabe getragen, und kaum an der Schwelle der männlichen Jahre begann er zu altern; der Gedanke des Todes schlich sich in seine Seele.
Der Tigris war überschritten; schon sah man die Zinnen der Riesenstadt, da kamen dem Heereszuge die Vornehmsten der Chaldäer, der sternkundigen Priester von Babylon, entgegen; sie nahten sich dem Könige, sie führten ihn zur Seite und drangen in ihn, den Weg nach Babylon nicht weiter zu verfolgen: die Stimme des Gottes Bel habe ihnen offenbart, daß ihm der Einzug in Babylon jetzt nicht zum Heile sei. Alexander antwortete mit dem Verse des Dichters: der beste Seher sei der, welcher glücklich weissage. Sie fuhren fort: »Nicht gen Westen schauend, o König, nicht von dieser Seite des Stromes komme nach Babylon; umgehe die Stadt, bis du gen Morgen siehst.«
Er ließ das Heer am Ostufer des Euphrat lagern, er zog am folgenden Tage auf dieser Seite des Stromes hinab, um dann hinüberzugehen und von Westen her in die Stadt einzuziehen; der Strom hatte weithin sumpfige Ufer; nur innerhalb der Stadt waren Brücken; es hätte weiter Umwege bedurft, um zu den westlichen Quartieren von Babylon zu gelangen. Damals, heißt es, kam der Sophist Anaxarchos zum Könige und bekämpfte mit philosophischen Gründen des Königs Aberglauben; glaublicher ist, daß Alexander, bald Herr des ersten Eindrucks, die Sache für weiteren Zeitverlust und größere Umwege zu unbedeutend anzusehen suchte, daß er die Folgen, welche die zu große Besorglichkeit von seiner Seite im Heer und Volk hätte hervorbringen müssen, mehr scheute als die etwaige Gefahr, daß er nicht zweifelhaft sein konnte, wie guten Grund die Chaldäer hatten, seine Anwesenheit in Babylon nicht zu wünschen. Er hatte bereits im Jahre 330 den Befehl gegeben, den riesigen Tempel des Bel, der seit Xerxes' Zeit als Ruine dastand, wiederherzustellen; während seiner Abwesenheit war der Bau ins Stocken geraten, die Chaldäer hatten das ihre dazu getan, um den Ertrag der reichen Tempelgüter, die zur Erhaltung des Baues bestimmt waren, nicht zu verlieren. So war es begreiflich, wenn ihm die Sterne den Eintritt in Babylon untersagten oder möglichst erschwerten; wider den Rat der Chaldäer rückte Alexander an der Spitze seines Heeres von Morgen her in die östlichen Quartiere der Stadt ein; er ward von den Babyloniern freudig empfangen; mit Festlichkeiten und Gelagen feierten sie seine Rückkehr.
Es befand sich, so berichtet Aristobulos, zu dieser Zeit der Amphipolite Peithagoras, aus priesterlichem Geschlecht und der Opferschau kundig, in Babylon; sein Bruder Apollodoros, der seit dem Jahre 331 Strateg der Landschaft war, hatte bei Alexanders Rückkehr aus Indien mit den Truppen der Satrapie entgegenziehen müssen, und da ihn das strenge Strafgericht, welches der König über die schuldigen Satrapen ergehen ließ, auch für seine Zukunft besorgt machte, sandte er an seinen Bruder nach Babylon, über sein Schicksal die Opfer zu beschauen. Peithagoras hatte ihn dann fragen lassen, wen er am meisten fürchte, über den wolle er schauen; auf des Bruders Antwort, die den König und Hephaistion nannte, hatte Peithagoras Opfer angestellt, und nach der Opferschau dem Bruder nach Ekbatana geschrieben: Hephaistion werde ihm bald nicht mehr im Wege sein; diesen Brief hatte Apollodor am Tage vor Hephaistions Tode empfangen. Ferner opferte Peithagoras über Alexander; er fand dieselbe Schau und schrieb seinem Bruder dieselbe Antwort. Apollodoros, so heißt es, ging selbst zum Könige, um zu zeigen, daß seine Hingebung größer sei als seine Sorge für das eigene Wohl; er sagte ihm von der Opferschau über Hephaistion und ihrer Erfüllung; auch über ihn habe Peithagoras nichts Glückliches geschaut, er möge sein Leben hüten und die Gefahren, vor denen die Götter warnten, meiden. Jetzt in Babylon ließ der König Peithagoras zu sich kommen, ihn befragen, welche Schau er gehabt habe, daß er so seinem Bruder geschrieben? »Die Leber des Opfers sei ohne Kopf gewesen«, war die Antwort. Alexander dankte dem Seher, daß er ihm offen und sonder Trug die Wahrheit gesagt, entließ ihn mit allen Zeichen seines Wohlwollens. Aber er war betroffen über dies Zusammentreffen der hellenischen Opferschau mit den Warnungen der Astrologen; es war ihm unheimlich in den Mauern dieser Stadt, die er vielleicht besser gemieden hätte; ihn beunruhigte der längere Aufenthalt in den Palästen, vor denen ihn die Götter vergebens gewarnt hatten. Aber er konnte noch nicht hinweg.
Es waren neue Gesandtschaften aus den hellenischen Ländern eingetroffen, auch mehrere Makedonen, sowie Missionen der Thraker, Illyrier, anderer abhängiger Völker, um, so hieß es, über den Reichsverweser Antipatros Klage zu führen. Antipatros selbst soll seinen Sohn Kassandros gesandt haben, zu rechtfertigen, was er getan; vielleicht wünschte er zugleich dem Könige, bei dem sich bereits sein Sohn Jollas als Mundschenk befand, in seinem ältesten Sohn ein neues Unterpfand seiner Treue zu geben und durch dessen Bemühung das gestörte Verhältnis zu Alexander, bevor er selbst seinem Befehle gemäß bei Hofe eintraf, wiederherzustellen. Es wird, freilich nach wenig zuverlässigen Gewährsmännern, von ärgerlichen Auftritten zwischen dem Könige und Kassandros gemeldet.
Von den Verhandlungen der hellenischen Gesandtschaft wird Näheres nicht berichtet; es ist wahrscheinlich, daß, da bei den kurz vorher empfangenen Gesandtschaften die örtlichen und Privatangelegenheiten meist nach den Wünschen der Beteiligten abgemacht, die Vorstellungen gegen die Zurückführung der Verbannten dagegen ein für allemal abgewiesen waren, jetzt besonders nur Glückwünsche wegen der indischen Siege und der Heimkehr, goldene Kränze und Danksagungen für die Aufhebung der Exile und andere Wohltaten des Königs dargebracht wurden. Der König bezeugte ihnen seinen Dank mit Ehren und Geschenken, namentlich sandte er den Staaten die einst von Xerxes geraubten Statuen und Weihgeschenke, so viele er deren in Pasargadai, Susa, Babylon und sonst noch vorgefunden hatte, zurück.
Auch die örtlichen Angelegenheiten der großen Residenz mochten des Königs Anwesenheit verlängern; wenigstens wird überliefert, daß Alexander, nachdem er die von ihm angeordneten Bauten in Augenschein genommen und gesehen hatte, wie namentlich die Wiederherstellung des Beltempels fast liegen geblieben war, sofort das Werk mit dem größten Eifer zu fördern befahl, und da für den Augenblick die Truppen ohne Beschäftigung waren, dieselben zum Baudienst kommandierte. So arbeiteten 20 000 Menschen zwei Monate hindurch, um nur erst die Trümmer ganz abzutragen und die Baustelle zu reinigen; die späteren Ereignisse hinderten den Beginn des eigentlichen Baues.
Endlich konnte Alexander Babylon verlassen; die Stromflotte, von Nearchos geführt, war aus dem Tigris durch den Persischen Meerbusen den Euphrat hinaufgekommen und lag unter den Mauern der Residenz; auch aus Phönikien waren die Schiffe angelangt; zwei Penteren, drei Tetreren, zwölf Trieren und dreißig Dreißigruderer waren von den Werften der Küste zerlegt über Land nach Tapsakos gebracht, dort wieder zusammengefügt und den Strom hinabgekommen; auch hatte der König in Babylon selbst Schiffe zu bauen befohlen, und zu dem Ende, da die Landschaft weit und breit keine anderen Bäume als Palmen hat, die Zypressen, die sich in den königlichen Gärten von Babylon in großer Menge befanden, umhauen lassen. So war die Flotte bald auf bedeutenden Bestand gebracht; und da der Strom keine geeignete Hafenstelle hatte, erging der Befehl, unfern der Residenz ein großes Bassin auszugraben, das Raum und Werften für tausend Schiffe bieten sollte. Aus Phönikien und den übrigen Strandgegenden kamen Matrosen, Zimmerleute, Kaufherren, Krämer in Menge herbei, um infolge des königlichen Aufrufs mit den Schiffen die neue Handelsstraße zu benutzen, oder sich für den nächsten Feldzug auf die Flotte zu verdingen. Während dieser Rüstungen wurde Mitkalos von Klazomenä mit 500 Talenten nach Phönikien und Syrien gesandt, um dort möglichst viele Strandbewohner und Schiffer anzuwerben und nach dem unteren Euphrat hinabzuführen; der Plan des Könige war, an den Küsten des Persischen Meerbusens und auf den Inseln desselben Kolonien zu gründen, um durch diese den Verkehr in den südlichen Gewässern emporzubringen und zugleich in ihnen eine Sicherung der arabischen Küste zu schaffen. Alexander wußte von den vielen und eigentümlichen Produkten dieses Landes, die er um so leichter in den großen Verkehr zu bringen hoffte, je ausgedehnter und hafenreicher das Küstenland der Halbinsel ist. Die weite Wüste von den Grenzen Ägyptens bis nahe bei Tapsakos und Babylon war von Beduinenstämmen durchschweift, welche die Grenzen der anstoßenden Satrapien sowie die Landstraßen oft genug beunruhigten; wenn sie zur Unterwerfung gezwungen wurden, so war außer der Sicherung der Grenzen und Straßen namentlich eine bei weitem kürzere Verbindung zwischen Babylon und Ägypten gewonnen; es mußte dann vor allem die peträische Landschaft sowie die Nordspitzen des Roten Meeres in Besitz genommen und kolonisiert werden, es mußten sich an diesen Stellen die Landwege durch das Araberland mit dem Seewege um die arabische Küste, dessen Entdeckung die nächste Absicht war, vereinigen.
Bereits waren drei Schiffe den Strom hinab ins Meer gesandt worden. Zunächst kehrte Archias mit seinem Dreißigruderer zurück; er hatte südwärts von der Euphratmündung eine Insel gefunden; er berichtete, sie sei klein, dicht bewaldet, von einem friedlichen Völkchen bewohnt, das die Göttin Artemis verehre und in ihrem Dienst die Hirsche und wilden Ziegen der Insel ungestört weiden lasse; sie liege in der Nähe des Meerbusens der Stadt Gerra, von der aus die Hauptstraße durch das Innere Arabiens zum Roten und Mittelländischen Meere führe, und deren Einwohner als betriebsame und reiche Handelsleute genannt würden. Alexander gab, seltsam genug, dieser Insel den Namen jenes Ikaros, der den kühnen Flug bis in die Sonnennähe gewagt und in den Wellen mit allzu frühem Tode gebüßt hat. Von der Insel Ikaros aus, berichtete Archias weiter, sei er südostwärts zu einer zweiten Insel gekommen, welche die Bewohner Tylos nannten; sie sei groß, weder steinig noch waldig, zum Feldbau geschickt und ein glückliches Eiland; er hätte hinzufügen können, daß sie inmitten der unerschöpflichen Perlenriffe liege, von denen sich schon manche Sage unter den Makedonen verbreitet hatte. Bald darauf kam das zweite Schiff, das Androsthenes geführt hatte, zurück; er war dicht an der Küste hinabgesteuert und hatte ein großes Stück des arabischen Strandes beobachtet. Am weitesten von den ausgesandten Schiffen war das gekommen, welches der Steuermann Hieron aus Soloi führte; er hatte Weisung erhalten, die ganze Halbinsel Arabien zu umschiffen und seine Einfahrt in den Meerbusen, der sich nordwärts bis wenige Meilen von Hereonpolis in Ägypten hinaufzieht, zu suchen; er hatte, obschon er einen bedeutenden Teil der arabischen Gestade hinabgekommen war, nicht weiter zu gehen gewagt; er brachte die Nachricht, die Größe der Halbinsel sei außerordentlich und möchte der von Indien wohl gleichkommen; er sei südwärts bis zu einem Vorgebirge gekommen, das sich weit ostwärts in die offene See hinaus erstrecke; die nackten und öden Sandufer möchten eine weitere Fahrt sehr erschweren.
Während die Bauten[20] in und um Babylon und die Arbeiten auf den Schiffswerften, das Ausgraben des Hafenbassins, das Abtragen des Belturmes, das grandiose Gebäude des Scheiterhaufens für Hephaistion rasch gefördert wurden, ging Alexander mit einigen Schiffen den Euphrat hinab, um die großen Deicharbeiten an dem Pallakopas zu besichtigen. Dieser Kanal ist etwa zwanzig Meilen unterhalb Babylon aus dem Euphrat gen Westen gegraben und endet in einen See, der, von den Wassern des Stromes gespeist, sich längs der Grenze des arabischen Landes südwärts in einer Reihe von Sümpfen bis zum Persischen Meerbusen fortsetzt. Der Kanal ist für die Landschaft von unberechenbarer Wichtigkeit; wenn im Frühling die Wasser des Stromes zu schwellen beginnen und, während unter der Sommersonne der Schnee in den armenischen Bergen schmilzt, immer mächtiger und höher hinabfluten, würde die ganze Landschaft der Überschwemmung ausgesetzt sein, wenn nicht dem Strom durch die Kanäle und besonders durch den Pallakopas ein Abfluß gegeben wäre, der dann zugleich das Stromland schützt und den vom Strom entfernteren Gegenden die Segnungen der reichsten Wässerung bringt; wenn aber der Euphrat mit dem Herbste wieder abnimmt, ist es notwendig, den Kanal schnell zu schließen, weil sonst der Strom diesem kürzeren Wege, sich zu ergießen, folgen und sein Bett verlassen würde. Die Arbeit wird dadurch erschwert, daß die Stelle des Ufers, wo der Kanal beginnt, losen Grund hat, so daß die Aufschüttungen selbst außerordentliche Mühe machen und dann doch nicht genügenden Widerstand gegen die starke Strömung des Euphrat leisten; auch sind die Deiche des Kanals bei hohem Wasser stets der Gefahr, ganz zertrümmert zu werden, ausgesetzt, und es kostet ungeheure Arbeit, sie zu rechter Zeit zur Schließung des Kanals wiederherzustellen. So arbeiteten jetzt auf Befehl des Satrapen von Babylon zehntausend Menschen schon seit drei Monaten an diesen Deichen; Alexander fuhr hinab, die Arbeit zu besichtigen; er wünschte irgendeine Abhilfe jenes Übelstandes zu finden. Er fuhr weiter stromab, um das Ufer zu untersuchen; er fand eine Stunde unterhalb der Kanalmündung einen festen Uferrand, der allen Erwartungen entsprach; hier befahl er einen Kanal durchzubrechen und ihn nordwestlich in das alte Bett des Pallakopas zu führen, dessen Mündung dann für immer zugedämmt und verschüttet werden sollte; so hoffte er, werde es ebenso leicht sein, den Abfluß des Euphrat im Herbste zu sperren, wie ihn wieder mit dem Frühjahr zu öffnen. Um sich weiter von der Natur dieser Gegenden westwärts zu überzeugen, fuhr er zum Pallakopas zurück und durch diesen in den See und längs der arabischen Grenze; die Schönheit der Ufer, mehr noch die Wichtigkeit dieser Gegend bestimmten ihn, hier eine Stadt anzulegen, welche zugleich den Weg nach Arabien öffnete und Babylonien vor Überfällen der Beduinen schützte, da weiter südwärts bis zum Meerbusen der See und die Moräste das Stromland decken. Der Bau der Stadt und der Befestigungen wurde sogleich begonnen und griechische Söldner, teils Veteranen, teils Freiwillige, daselbst angesiedelt.
[20] Siehe dazu die Anmerkung am Schluß.
Indes war in Babylon der Bau des Scheiterhaufens für Hephaistion beendet, die großen Leichenspiele zu seinem Gedächtnis sollten beginnen; dies und das Eintreffen der neuen Truppen machten des Königs Rückkehr in seine Residenz notwendig. Der König, so wird erzählt, war um so weniger bedenklich zurückzukehren, da sich die Weissagungen der Chaldäer bereits bei seiner neulichen, freilich nur kurzen Anwesenheit in Babylon als nichtig erwiesen zu haben schienen. So begann die Rückfahrt; auf derselben sollten die Gräber der früheren babylonischen Könige, die in den Sümpfen erbaut waren, besucht werden. Alexander selbst stand am Steuer seines Schiffes und führte es in diesem durch Untiefen und Röhricht schwierigen Gewässer; ein plötzlicher Windstoß riß ihm die königliche Kausia, die er nach makedonischer Sitte trug, vom Haupt, und während sich das Diadem von derselben löste und hinwegflatternd in dem Röhricht bei einem alten Königsgrabe hängenblieb, sank sie selbst unter und ward nicht wiedergefunden; das Diadem aber zu holen, schwamm ein phönikischer Matrose, der sich auf dem Schiffe befand, hinüber, und band es, um bequemer schwimmen zu können, um seine Schläfe; -- ein schweres Zeichen, das Diadem um eines fremden Menschen Haupt! Die Zeichendeuter, die der König jetzt stets in seiner Nähe hatte, beschworen ihn, das Zeichen zu zerstören und den Unglücklichen zu enthaupten; Alexander, so heißt es, ließ den Matrosen züchtigen, weil er des Königs Diadem gering genug geachtet, es um seine Stirn zu binden; er gab ihm aber ein Talent zum Geschenk, weil er schnell und kühn das Zeichen des Königtums zurückgebracht hatte.
Bei seiner Rückkehr nach Babylon fand Alexander die neuen Truppen, die er erwartet hatte. Peukestas, der Satrap von Persien, hatte 20 000 Perser und außerdem eine bedeutende Zahl von Kossäern und Tapuriern, die zu den streitbarsten Stämmen Persiens gehören, hergeführt; von Karien war Philoxenos mit einem Heere, mit einem zweiten Menandros von Lydien, Menidas mit den Reitern aus Makedonien, die er bringen sollte, eingetroffen. Namentlich die persischen Mannschaften empfing der König mit großer Freude; er belobte den Satrapen wegen ihrer vortrefflichen Haltung und die Leute wegen der Bereitwilligkeit, mit der sie seinem und des Satrapen Aufruf gefolgt seien.
Überaus merkwürdig ist die neue Formation, die er mit dem Eintritt dieser asiatischen Truppen seinem Fußvolke oder doch einem Teile desselben gab. Bisher hatte es in dem makedonischen Heer kein Korps von kombinierten Waffen, keine Armee im kleinen gegeben; wenn auch fast für jede Aktion Infanterie und Kavallerie, leichte und schwere, mit- und nebeneinander verwandt worden waren, sie wurden nur für diesen Fall kombiniert und blieben getrennte Waffen. Die neue Formation gab den bisherigen Charakter der Phalanx auf; sie schuf eine Kombination von Schwerbewaffneten, Peltasten und leichtem Fußvolk, mit der sich eine völlig neue Art der Taktik ergab. Hatte bisher jede Taxis der Phalanx aus sechzehn Gliedern Hopliten bestanden, so wird jetzt die Rotte so gebildet, daß im ersten Gliede der Dekadarch, der sie kommandiert, ein Makedone, im zweiten ein makedonischer Doppelsöldner, im dritten ein altgedienter Makedone (Dekastateros), ein gleicher im sechzehnten Gliede als Uragos steht; die zwischen ihnen stehenden Glieder 4 bis 15 sind Perser, teils Akontisten, die einen Speer mit Wurfriemen führen, teils Bogenschützen. Waren es jene 20 000 Perser, die so eingereiht wurden, so bildeten sie mit den Makedonen, denen sie zugeteilt waren, ein Korps von reichlich 26 000 Mann, also, die unvermeidlichen Manquements abgerechnet, etwa 12 Taxen, jede zu 125 Mann Front. Es blieb mit dieser Formation der Anmarsch in geschlossener Masse; dann zum Gefecht entwickelte sich die Phalanx zu drei Treffen, es deployierten rechts und links durch die Intervalle die Bogenschützen zum ersten Fernangriff, es folgten die Speerwerfer; die ersten drei Glieder und das letzte blieben als Triarier oder richtiger als Soutien zurück, und wenn die Bogenschützen und Akontisten nach ihrem Tirailleurgefecht sich durch die Intervalle und in ihre Glieder zurückgezogen, ging das Ganze in geschlossener Masse auf den schon erschütterten Feind los. Die Taktik dieser neuen Formation verband alle Vorzüge der italischen Legion in ihrer Manipularordnung mit den wesentlichen der früheren Phalanx: Massenwirkung und Beweglichkeit, -- für die leichten Truppen schnellste Verwendbarkeit gegen den angreifenden Feind und sichere Deckung während des Handgemenges, -- die Phalangen immer noch wandelnde Kastelle, aber solche, die von sich selber aus Ausfälle der leichten Truppen möglich machten und so den weiteren Rayon beherrschten, den diese hervorbrechend mit ihren Pfeilen bestreichen konnten.
Schon diese Neuordnung, die im Hinblick auf die Völker Italiens gemacht schien, mußte auffallen; dazu kamen Gerüchte, daß in die Provinzen des Mittelmeeres Befehle zur Rüstung unzähliger Schiffe gesandt seien, Gerüchte von Kriegszügen nach Italien, Sizilien, Iberien, Afrika. Es schien in der Tat, als ob, während die Flotte gegen die Küstenländer Arabiens in See gehen sollte, das Landheer durch Arabien oder auf welchem Wege sonst gen Westen ziehen werde, die Barbaren des Abendlandes, die Feinde des Griechentums in Afrika und Italien zu unterwerfen.
Das Einrangieren der neuen, namentlich persischen Mannschaften leitete Alexander selbst; es geschah im königlichen Garten, der König saß auf dem goldenen Thron, mit dem Diadem und im königlichen Purpur; zu beiden Seiten die Getreuen auf niedrigeren Sesseln mit silbernen Füßen; hinter diesen in gemessener Entfernung die Eunuchen, nach morgenländischem Brauch mit gekreuzten Armen, in medischer Tracht; Schar auf Schar zogen dann die neuen Truppen vorüber, wurden gemustert und an die Phalangen verteilt. So mehrere Tage; an einem derselben war der König, von den Anstrengungen ermüdet, vom Throne aufgestanden, und nachdem er Diadem und Purpur auf demselben zurückgelassen, zu einem Bassin im Garten gegangen, um ein Bad zu nehmen; nach der Hofsitte folgten die Getreuen, während die Eunuchen an ihren Plätzen blieben. In kurzer Frist kam ein Mensch daher, schritt ruhig durch die Reihen der Eunuchen, die ihn nach persischer Sitte nicht hindern durften, stieg die Stufen des Thrones hinauf, schmückte sich mit dem Purpur und Diadem, setzte sich an des Königs Stelle, blickte stier vor sich hin; die Eunuchen zerrissen ihre Kleider, sie schlugen sich Brust und Stirn und wehklagten über das furchtbare Zeichen. Gerade jetzt kam der König zurück, er erschrak vor seinem Doppelgänger auf dem Thron; er befahl, den Unglücklichen zu fragen, wer er sei, was er wolle. Der blieb regungslos sitzen, sah stier vor sich hin; endlich sprach er: »Ich heiße Dionysios und bin von Messene; ich bin verklagt und in Ketten vom Strand hierher gebracht; jetzt hat der Gott Sarapis mich erlöst und geboten, Purpur und Diadem zu nehmen und still hier zu sitzen.« Er ward auf die Folter gebracht, er sollte bekennen, ob er verbrecherische Absichten hege, ob er Genossen habe; er blieb dabei, es sei ihm von dem Gott geheißen. Man sah, des Menschen Verstand war gestört; die Wahrsager forderten seinen Tod.
Es mochte im Mai des Jahres 323 sein, die Stadt Babylon war voll kriegerischen Lebens; die Tausende der neuen Truppen, voll Begier nach dem Feldzuge, in dem sie ihre erste Waffenprobe machen sollten, übten sich, in der neuen Ordnung zu fechten; die Flotte, die bereits unter Tau und Segel war, lief fast täglich, unter großem Zulauf von Zuschauern aus der Residenz, von ihrer Station aus, um sich im Steuern und Rudern zu üben; der König selbst war meist zugegen und verteilte an die Sieger im Wettkampf Lob und goldene Kränze. Man wußte, daß demnächst der Feldzug eröffnet werden würde; man glaubte, daß sich an die Leichenfeier für Hephaistion die üblichen Opfer und Gastmähler anschließen würden, bei denen der König den Beginn der neuen Kriegsoperationen zu verkünden pflegte.
Unzählige Fremde waren zu der Feier herbeigeströmt, unter diesen Gesandtschaften aus Hellas, die infolge der Beschlüsse, dem Könige göttliche Ehren zu erweisen, den Charakter von heiligen Theoren angenommen hatten, als solche vor dem König erschienen und anbetend nach hellenischem Brauch die goldenen Kränze weihten, mit denen die Staaten der Heimat den Gott-König zu ehren wetteiferten. Dann kehrten auch des Königs Theoren aus dem Ammonion zurück, die angefragt hatten, wie der Gott gebiete, daß Hephaistion geehrt werde; sie brachten die Antwort, man solle ihm wie einem der Heroen opfern. Nach Empfang dieser Botschaft befahl der König, die Totenfeier und die ersten Opfer für den Heros Hephaistion zu begehen.
Es war ein Teil der Mauern Babylons abgetragen; dort erhob sich in fünf Absätzen, bis zu einer Höhe von zweihundert Fuß emporgetürmt, das Prachtgebäude des Scheiterhaufens, zu dem der König zehntausend Talente bestimmt, die Freunde, die Großen, die Gesandten, die Babylonier zweitausend Talente hinzugefügt hatten; das Ganze leuchtete von Gold und Purpur, von Gemälden und Bildhauerwerken; auf der Höhe des Gebäudes standen Sirenenbilder, aus denen herab die Trauerchöre für den Toten erklangen. Unter Totenopfern, Trauerzügen und Klagegesängen ward der Scheiterhaufen den Flammen übergeben; Alexander war zugegen, vor seinen Augen sank das wundervolle Werk in Flammen lodernd zusammen und ließ nichts zurück als Zerstörung und Öde und Trauer um den Verlorenen. Dann folgten die Opfer zu Ehren des Heros Hephaistion; Alexander selbst weihte dem erhöhten Freunde die ersten Spenden, zehntausend Opferstiere wurden zu seinem Gedächtnis geopfert und an das gesamte Heer, das der König zum Festmahl geladen, verteilt.
Andere Festlichkeiten füllten die nächsten Tage; der König opferte, denn schon war der Tag zur Abfahrt der Flotte und zum Beginn des arabischen Feldzuges bestimmt, den Göttern, denen er pflegte, in üblicher Weise; er opferte dem guten Glücke, er opferte nach der Weisung seiner Wahrsager auch den Göttern, die dem Übel wehren. Und während das gesamte Heer bei dem Opfermahl und dem Weine, den der König spendete, fröhlich war, hatte er die Freunde bei sich zum Abschiedsmahle versammelt, das er seinem Admiral Nearchos gab. Dies war am 15. Daisios gegen Abend; als die meisten Gäste schon hinweg waren, kam der Thessaler Medios, einer der Hetairen, und bat den König, noch einer kleinen Gesellschaft bei ihm beizuwohnen, es werde ein heiteres Gelag sein. Alexander hatte den edlen Thessaler gern, er ging mit ihm; die Fröhlichkeit der vertrauten Männer heiterte auch ihn auf; er trank ihnen der Reihe nach zu; gegen Morgen trennte man sich, man versprach, sich am nächsten Abend wiederzufinden.
Alexander ging heim, badete, schlief bis spät am Tage; zur Abendtafel ging er wieder zu Medios, man trank wieder fröhlich bis tief in die Nacht. Unwohl kehrte der König zurück; er badete, aß ein wenig, legte sich fiebernd zur Ruhe. Am Morgen des 17. Daisios fühlte er sich sehr unwohl; durch die Gemütsbewegungen der jüngsten Zeit, durch die Gelage, die in den letzten Tagen schnell aufeinander gefolgt waren, für eine Krankheit nur zu empfänglich, wurde er von dem Fieber außerordentlich angegriffen; er mußte sich auf seinem Lager zum Altare tragen lassen, um dort das Morgenopfer, wie er jeden Tag pflegte, zu halten; dann lag er im Männersaale auf dem Ruhebett, ließ die Befehlshaber hereinkommen, gab ihnen die nötigen Befehle für den Aufbruch; das Landheer sollte am 21. aufbrechen, die Flotte, mit der er selbst fahren werde, den Tag darauf. Dann ließ er sich gegen Abend auf seinem Ruhebette zum Euphrat hinabtragen, auf ein Schiff bringen, zu den Gärten jenseits fahren; dort nahm er ein Bad; unter Fieberschauern brachte er die Nacht zu.
Am anderen Morgen nach dem Bade und dem Morgenopfer ging er in sein Kabinett und lag dort den Tag über auf dem Ruhebett; Medios war bei ihm und suchte ihn mit Gesprächen aufzuheitern; der König beschied die Anführer für den nächsten Morgen vor sich; nachdem er wenig zu Nacht gegessen, legte er sich zur Ruhe; das Fieber nahm zu, des Königs Zustand verschlimmerte sich; die Nacht hindurch war er ohne Schlaf.
Am Morgen des 19., nach dem Bade und dem Opfer, wurde Nearchos und die übrigen Offiziere der Flotte vorgelassen; der König eröffnete ihnen, daß seiner Krankheit wegen die Abfahrt um einen Tag verschoben werden müsse, daß er jedoch bis dahin so weit wiederhergestellt zu sein hoffe, um den 22. zu Schiffe gehen zu können. Er blieb im Badezimmer; Nearch mußte sich an sein Lager setzen und von seiner Fahrt auf dem Ozean berichten; Alexander hörte mit Aufmerksamkeit zu; er freute sich, bald ähnliche Gefahren selbst zu durchleben. Indes verschlimmerte sich sein Zustand, die Heftigkeit des Fiebers wuchs; dennoch berief er am Morgen des 20. nach dem Bade und Opfer die Offiziere der Flotte, befahl, auf den 22. alles zu seinem Empfang auf den Schiffen und zur Abfahrt bereitzuhalten. Nach dem Bade am Abend neue heftige Fieberschauer; des Königs Kräfte schwanden sichtlich; es folgte eine schlaflose, qualvolle Nacht. Am Morgen ließ sich Alexander im heftigsten Fieber hinaus vor das große Bassin tragen und hielt mit Mühe das Opfer; dann ließ er die Offiziere vor, gab noch einige Befehle über die Fahrt der Flotte, besprach sich mit den Strategen über die Besetzung einiger Offizierstellen, übertrug ihnen die Auswahl der zu Befördernden mit der Ermahnung, streng zu prüfen.
Es kam der 22., der König lag schlecht danieder; er ließ sich dennoch zum Altare tragen, opferte; er befahl, daß die Abfahrt der Flotte verschoben werde. Es folgte eine traurige Nacht; kaum vermochte der König am anderen Morgen noch zu opfern; er befahl, daß sich die Strategen in den Vorzimmern des Schlosses versammeln, daß die Chiliarchen und Pentakosiarchen im Schloßhofe beisammen bleiben sollten; er ließ sich aus den Gärten zurück in das Schloß tragen. Mit jedem Augenblicke wurde er schwächer; als die Strategen eintraten, erkannte er sie zwar noch, vermochte aber nicht mehr zu sprechen. Diese Nacht, den folgenden Tag, die folgende Nacht währte das Fieber, der König lag sprachlos.
Die Überlieferungen von dem Eindruck, den des Königs Krankheit im Heere und in der Stadt hervorgebracht, sind glaublich genug. Die Makedonen drängten sich um das Schloß, sie verlangten ihren König zu sehen; sie fürchteten, er sei schon tot und man verhehle es; sie ließen mit Wehklagen, mit Drohungen und Bitten nicht ab, bis man ihnen die Tür öffnete; sie gingen dann alle nacheinander an ihres Königs Lager vorbei, und Alexander hob das Haupt ein wenig, reichte jedem die Rechte, winkte mit dem Auge seinen Veteranen den Abschiedsgruß. Denselben Tag, es war der 27. Daisios[21], gingen Peithon, Peukestas, Seleukos, andere in den Tempel des Sarapis und fragten den Gott, ob es dem Könige besser sei, wenn er sich in den Tempel des Gottes bringen lasse und zu dem Gotte bete; ihnen ward die Antwort: »Bringet ihn nicht; wenn er dort bleibt, wird ihm bald besser werden.« Tags darauf, am 28. Daisios gegen Abend, starb Alexander.
[21] Siehe dazu die Anmerkung am Schluß.
Noch zahlreiche andere Überlieferungen gibt es von den Vorgängen dieser letzten Tage; sie sind unzuverlässig, zum Teil sichtlich in guter oder böser Absicht erfunden. Insonderheit wird durch keine sichere Angabe bestätigt, daß Alexander auf seinem Sterbelager über die Nachfolge im Reich, über die Form der Regentschaft, über die notwendigen nächsten Maßregeln irgend etwas durch Worte oder Zeichen bestimmt habe. Tat er es nicht, so wird er die Klarheit und Spannkraft des Geistes, zu erkennen, was sein Tod bedeuten werde, schon nicht mehr gehabt haben, als er zu empfinden begann, daß er nahe. Jener stumme Abschied von seinen Makedonen bezeichnet wohl die letzten, nur noch halbwachen Regungen seines verklingenden Bewußtseins; die Agonien, die dann folgten, mögen die trostlose Zukunft dessen, was er geschaffen und gewollt, seinem brechenden Auge entrückt haben.
Mit seinem letzten Atemzuge begann der Hader seiner Großen, die Meuterei seines Heeres, das Zusammenbrechen seines Hauses, der Untergang seines Reiches.
+diapephrourêtai bios.+