München leuchtete. Über den festlichen Plätzen und weißen
Säulentempeln, den antikisierenden Monumenten und Barockkirchen, den
springenden Brunnen, Palästen und Gartenanlagen der Residenz spannte
sich strahlend ein Himmel von blauer Seide, und ihre breiten und
lichten, umgrünten und wohlberechneten Perspektiven lagen in dem
Sonnendunst eines ersten, schönen Junitages.
Vogelgeschwätz und heimlicher Jubel über allen Gassen. ...Und auf
Plätzen und Zeilen rollt, wallt und summt das unüberstürzte und
amüsante Treiben der schönen und gemächlichen Stadt. Reisende aller
Nationen kutschieren in den kleinen, langsamen Droschken umher, indem
sie rechts und links in wahlloser Neugier an den Wänden der Häuser
hinaufschauen, und steigen die Freitreppen der Museen hinan...
Viele Fenster stehen geöffnet, und aus vielen klingt Musik auf die
Straßen hinaus, Übungen auf dem Klavier, der Geige oder dem Violoncell,
redliche und wohlgemeinte dilettantische Bemühungen. Im 'Odeon' aber
wird, wie man vernimmt, an mehreren Flügeln ernstlich studiert.
Junge Leute, die das Nothung-Motiv pfeifen und abends die
Hintergründe des modernen Schauspielhauses füllen, wandern,
literarische Zeitschriften in den Seitentaschen ihrer Jacketts, in der
Universität und der Staatsbibliothek aus und ein. Vor der Akademie der
bildenden Künste, die ihre weißen Arme zwischen der Türkenstraße und
dem Siegestor ausbreitet, hält eine Hofkarosse. Und auf der Höhe der
Rampe stehen, sitzen und lagern in farbigen Gruppen die Modelle,
pittoreske Greise, Kinder und Frauen in der Tracht der Albaner Berge.
Lässigkeit und hastloses Schlendern in all den langen Straßenzügen
des Nordens... Man ist von Erwerbsgier nicht gerade gehetzt und
verzehrt dortselbst, sondern lebt angenehmen Zwecken. Junge Künstler,
runde Hütchen auf den Hinterköpfen, mit lockeren Krawatten und ohne
Stock, unbesorgte Gesellen, die ihren Mietzins mit Farbenskizzen
bezahlen, gehen spazieren, um diesen hellblauen Vormittag auf ihre
Stimmung wirken zu lassen, und sehen den kleinen Mädchen nach, diesem
hübschen, untersetzten Typus mit den brünetten Haarbandeaux, den etwas
zu großen Füßen und den unbedenklichen Sitten. ...Jedes fünfte Haus
läßt Atelierfensterscheiben in der Sonne blinken. Manchmal tritt ein
Kunstbau aus der Reihe der bürgerlichen hervor, das Werk eines
phantasievollen jungen Architekten, breit und flachbogig, mit bizarrer
Ornamentik, voll Witz und Stil. Und plötzlich ist irgendwo die Tür an
einer allzu langweiligen Fassade von einer kecken Improvisation
umrahmt, von fließenden Linien und sonnigen Farben, Bacchanten, Nixen,
rosigen Nacktheiten...
Es ist stets aufs neue ergötzlich, vor den Auslagen der
Kunstschreinereien und der Basare für moderne Luxusartikel zu
verweilen. Wieviel phantasievoller Komfort, wieviel linearer Humor in
der Gestalt aller Dinge! Überall sind die kleinen Skulptur-, Rahmen-und Antiquitätenhandlungen verstreut, aus deren Schaufenstern dir die
Büsten der florentinischen Quattrocento-Frauen voll einer edlen
Pikanterie entgegenschauen. Und der Besitzer des kleinsten und
billigsten dieser Läden spricht dir von Donatello und Mino da Fiesole,
als habe er das Vervielfältigungsrecht von ihnen persönlich
empfangen...
Aber dort oben am Odeonsplatz, angesichts der gewaltigen Loggia, vor
der sich die geräumige Mosaikfläche ausbreitet, und schräg gegenüber
dem Palast des Regenten drängen sich die Leute um die breiten Fenster
und Schaukästen des großen Kunstmagazins, des weitläufigen
Schönheitsgeschäftes von M. Blüthenzweig. Welche freudige Pracht der
Auslage! Reproduktionen von Meisterwerken aus allen Galerien der Erde,
eingefaßt in kostbare, raffiniert getönte und ornamentierte Rahmen in
einem Geschmack von preziöser Einfachheit; Abbildungen moderner
Gemälde, sinnenfroher Phantasieen, in denen die Antike auf eine
humorvolle und realistische Weise wiedergeboren zu sein scheint; die
Plastik der Renaissance in vollendeten Abgüssen; nackte Bronzeleiber
und zerbrechliche Ziergläser; irdene Vasen von steilem Stil, die aus
Bädern von Metalldämpfen in einem schillernden Farbenmantel
hervorgegangen sind; Prachtbände, Triumphe der neuen Ausstattungskunst,
Werke modischer Lyriker, gehüllt in einen dekorativen und vornehmen
Prunk; dazwischen die Porträts von Künstlern, Musikern, Philosophen,
Schauspielern, Dichtern, der Volksneugier nach Persönlichem
ausgehängt... In dem ersten Fenster, der anstoßenden Buchhandlung
zunächst, steht auf einer Staffelei ein großes Bild, vor dem die Menge
sich staut: eine wertvolle, in rotbraunem Tone ausgeführte Photographie
in breitem, altgoldenem Rahmen, ein aufsehenerregendes Stück, eine
Nachbildung des Clous der großen internationalen Ausstellung des
Jahres, zu deren Besuch an den Litfaßsäulen, zwischen Konzertprospekten
und künstlerisch ausgestatteten Empfehlungen von Toilettenmitteln,
archaisierende und wirksame Plakate einladen.
Blick um dich, sich in die Fenster der Buchläden. Deinen Augen
begegnen Titel wie 'Die Wohnungskunst seit der Renaissance', 'Die
Erziehung des Farbensinnes', 'Die Renaissance im modernen
Kunstgewerbe', 'Das Buch als Kunstwerk', 'Die dekorative Kunst', 'Der
Hunger nach Kunst'—und du mußt wissen, daß diese Weckschriften
tausendfach gekauft und gelesen werden, und daß abends über
ebendieselben Gegenstände vor vollen Sälen geredet wird...
Hast du Glück, so begegnet dir eine der berühmten Frauen in Person,
die man durch das Medium der Kunst zu schauen gewohnt ist, eine jener
reichen und schönen Damen von künstlich hergestelltem tizianischen
Blond und im Brillantenschmuck, deren betörenden Zügen durch die Hand
eines genialen Porträtisten die Ewigkeit zuteil geworden ist, und von
deren Liebesleben die Stadt spricht—Königinnen der Künstlerfeste im
Karneval, ein wenig geschminkt, ein wenig gemalt, voll einer edlen
Pikanterie, gefallsüchtig und anbetungswürdig. Und sieh, dort fährt ein
großer Maler mit seiner Geliebten in einem Wagen die Ludwigstraße
hinauf. Man zeigt sich das Gefährt, man bleibt stehen und blickt den
beiden nach. Viele Leute grüßen. Und es fehlt nicht viel, daß die
Schutzleute Front machen.
Die Kunst blüht, die Kunst ist an der Herrschaft, die Kunst streckt
ihr rosenumwundenes Zepter über die Stadt hin und lächelt. Eine
allseitige respektvolle Anteilnahme an ihrem Gedeihen, eine allseitige,
fleißige und hingebungsvolle Übung und Propaganda in ihrem Dienste, ein
treuherziger Kultus der Linie, des Schmuckes, der Form, der Sinne, der
Schönheit obwaltet... München leuchtete.