ZWANZIGSTES KAPITEL.
Die Mündung des Rio Anaveni. -- Der Pic Uniana. -- Die Mission Atures. -- Der Katarakt oder Raudal Mapara. -- Die Inseln Surupamana und Uirapuri.
Auf seinem Lauf von Süd nach Nord streicht über den Orinocostrom eine Kette von Granitbergen. Zweimal in seinem Laufe gehemmt, bricht er sich tosend an den Felsen, welche Staffeln und Querdämme bilden. Nichts großartiger als dieses Landschaftsbild. Weder der Fall des Tequendama bei Santa Fe de Bogota, noch die gewaltige Naturscenerie der Cordilleren vermochten den Eindruck zu verwischen, den die Stromschnellen von Atures und Maypures auf mich machten, als ich sie zum erstenmale sah. Steht man so, daß man die ununterbrochene Reihe von Katarakten, die ungeheure, von den Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtete Schaum- und Dunstfläche mit Einem Blicke übersieht, so ist es, als sähe man den ganzen Strom über seinem Bette hängen.
So ausgezeichnete Naturbildungen mußten schon seit Jahrhunderten bei den Bewohnern der neuen Welt Aufmerksamkeit erregen. Als Diego de Ordaz, Alfonso de Herera und der unerschrockene RALEGH in der Mündung des Orinoco vor Anker gingen, wurde ihnen Kunde von den großen Katarakten aus dem Munde von Indianern, die niemals dort gewesen; sie verwechsclten sie sogar mit weiter ostwärts, gelegenen Fällen. Wie sehr auch in der heißen Zone die Ueppigkeit des Pflanzenwuchses dem Verkehr unter den Völkern hinderlich ist, Alles, was sich auf den Lauf der großen Ströme bezieht, erlangt einen Ruf, der sich in ungeheure Fernen verbreitet. Gleich Armen von Binnenmeeren durchziehen der Orinoco, Amazonenstrom und Uruguay einen mit Wäldern bedeckten Landstrich, auf dem Völker hausen, die zum Theil Menschenfresser sind. Noch ist es nicht zwei Jahrhunderte her, seit die Cultur und das sanfte Licht einer menschlicheren Religion an den Ufern dieser uralten, von der Natur gegrabenen Kanäle aufwärts ziehen; aber lange vor Einführung des Ackerbaus, ehe zwischen den zerstreuten, oft sich befehdenden Horden ein Tauschverkehr zu Stande kam, verbreitete sich auf tausend zufälligen Wegen die Kunde von außerordentlichen Naturerscheinungen, von Wasserfällen, vulkanischen Flammen, vom Schnee, der vor der Hitze des Sommers nicht weicht. Dreihundert Meilen von den Küsten, im Herzen von Südamerika, unter Völkern, deren Wanderungen sich in den Grenzen von drei Tagereisen halten, findet man die Kunde vom Ocean, findet man Worte zur Bezeichnung einer Masse von Salzwasser, die sich hinbreitet, soweit das Auge reicht. Verschiedene Vorfälle, wie sie im Leben des Wilden nicht selten sind, helfen zur Verbreitung solcher Kenntnisse. In Folge der kleinen Kriege zwischen benachbarten Horden wird ein Gefangener in ein fremdes Land geschleppt, wo er als 'Poito' oder 'Mero', das heißt als Sklave behandelt wird. Nachdem er mehreremale verkauft und wieder im Kriege gebraucht worden, entkommt er und kehrt zu den Seinigen zurück. Da erzählt er denn, was er gesehen, was er andere hat erzählen hören, deren Sprache er hat lernen müssen. So kommt es, daß man, wenn man eine Rippe findet, von den großen Thieren weit im innern Lande sprechen hört; so kommt es, daß man, wenn man das Thal eines großen Flusses betritt, mit Ueberraschung sieht, wie viel die Wilden, die gar nicht auf dem Wasser fahren, von weit entlegenen Dingen zu sagen wissen. Auf den ersten Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung tritt in gewissem Grade der Gedankenaustausch früher ein als der Tausch von Erzeugnissen.
Die beiden großen Katarakten des Orinoco, die eines so ausgebreiteten, uralten Rufs genießen, entstehen dadurch, daß der Strom die Berge der Parime durchbricht [S. Band II. Seite 374]. Bei den Eingeborenen heißen sie *Mapara* und *Quittuna*; aber die Missionäre haben dafür Atures und Maypures gesetzt nach den Namen der beiden Stämme, die sie in den beiden den Fällen zunächst gelegenen Dörfern zusammengebracht. An den Küsten von Caracas nennt man die zwei großen Katarakten einfach: die zwei *Raudales*(25) (Stromschnellen), was darauf hindeutet, daß man die andern Fälle, sogar die Stromschnellen von Camiseta und Carichana, gegenüber den Katarakten von Apures und Maypures gar nicht der Beachtung werth findet.
Letztere liegen unter dem 5. und 6. Grad nördlicher Breite, hundert Meilen westwärts von den Cordilleren von Neu-Grenada, im Meridian von Porto Cabello, und nur zwölf Meilen von einander. Es ist sehr auffallend, daß D'ANVILLE nichts von denselben gewußt hat, da er doch auf seiner schönen großen Karte von Südamerika die unbedeutenden Fälle von Marimara und San Borja unter dem Namen Stromschnellen von Carichana und Tabaje angibt. Die großen Katarakten theilen die christlichen Niederlassungen in spanisch Guyana in zwei ungleiche Hälften. *Missionen am untern Orinoco* heißen die zwischen dem Raudal von Atures und der Strommündung; unter den *Missionen am obern Orinoco* sind die Dörfer zwischen dem Raudal von Maypures und den Bergen des Duida verstanden. Der Lauf des untern Orinoco ist, wenn man mit LA CONDAMINE die Krümmungen auf ein Drittheil der geraden Richtung schätzt, 260 Seemeilen, der des obern Orinoco, die Quellen drei Grad ostwärts vom Duida angenommen, 167 Meilen lang.
Jenseits der großen Katarakten beginnt ein unbekanntes Land. Es ist ein zum Theil gebirgigter, zum Theil ebener Landstrich, über den die Nebenflüsse sowohl des Amazonenstroms als des Orinoco ziehen. Wegen des leichten Verkehrs mit dem Rio Negro und Gran Para scheint derselbe vielmehr Brasilien als den spanischen Colonien anzugehören. Keiner der Missionäre, die vor mir den Orinoco beschrieben haben, die Patres GUMILLA, GILI und CANLIN, ist über den Raudal von Maypures hinaufgekommen. Letzterer hat allerdings eine ziemlich genaue Topographie vom obern Orinoco und vom Cassiquiare geliefert, aber nur nach den Angaben von Militärs, die SOLANOs Expedition mitgemacht. Oberhalb der großen Katarakten fanden wir längs des Orinoco auf einer Strecke von hundert Meilen nur drei christliche Niederlassungen, und in denselben waren kaum sechs bis acht Weiße, das heißt Menschen europäischer Abkunft. Es ist nicht zu verwundern, daß ein so ödes Land von jeher der classische Boden für Sagen und Wundergeschichten war. Hieher versetzten ernste Missionäre die Völker, die Ein Auge auf der Stirne, einen Hundskopf oder den Mund unter dem Magen haben; hier fanden sie Alles wieder, was die Alten von den Garamanten, den Arimaspen und den Hyperboräern erzählen. Man thäte den schlichten, zuweilen ein wenig rohen Missionären Unrecht, wenn man glaubte, sie selbst haben diese übertriebenen Mähren erfunden; sie haben sie vielmehr großentheils den Indianergeschichten entnommen. In den Missionen erzählt man gern, wie zur See, wie im Orient, wie überall, wo man sich langweilt. Ein Missionär ist schon nach Standesgebühr nicht zum Sceptirismus geneigt; er prägt sich ein, was ihm die Eingeborenen so oft vorgesagt, und kommt er nach Europa, in die civilisirte Welt zurück, so findet er eine Entschädigung für seine Beschwerden in der Lust, durch die Erzählung von Dingen, die er als Thatsachen aufgenommen, durch lebendige Schilderung des im Raum so weit Entrückten, die Leute in Verwunderung zu setzen. Ja, diese cuentos de viageros y frailes werden immer unwahrscheinlicher, je weiter man von den Wäldern am Orinoco weg den Küsten zu kommt, wo die Weißen wohnen. Läßt man in Cumana, Nueva Barcelona und in andern Seehäfen, die starken Verkehr mit den Missionen haben, einigen Unglauben merken, so schließt man einem den Mund mit den wenigen Worten: »Die Patres haben es gesehen, aber weit über den großen Katarakten, mos ariba de los Raudales.«
Jetzt, da wir ein so selten besuchtes, von denen, die es bereist, nur zum Theil beschriebenes Land betreten, habe ich mehrere Gründe, meine Reisebeschreibung auch ferner in der Form eines Tagebuchs fortzusetzen. Der Leser unterscheidet dabei leichter, was ich selbst beobachtet, und was ich nach den Aussagen der Missionäre und Indianer berichte; er begleitet die Reisenden bei ihren täglichen Beschäftigungen; er sieht zugleich, wie wenig Zeit ihnen zu Gebot stand und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten, und wird in seinem Urtheil nachsichtiger.
Am 15. April. Wir brachen von der Insel Panumana um vier Uhr Morgens aus, zwei Stunden vor Sonnenaufgang; der Himmel war großentheils bedeckt und durch dickes, über 40 Grad hoch stehendes Gewölk fuhren Blitze. Wir wunderten uns, daß wir nicht donnern hörten: kam es daher, daß das Gewitter so ausnehmend hoch stand? Es kam uns vor, als würden in Europa die elektrischen Schimmer ohne Donner, das Wetterleuchten, wie man es mit unbestimmtem Ausdruck nennt, in der Regel weit näher am Horizont gesehen. Beim bedeckten Himmel, der die strahlende Wärme des Bodens zurückwarf, war die Hitze erstickend; kein Lüftchen bewegte das Laub der Bäume. Wie gewöhnlich waren die Jaguars über den Flußarm zwischen uns und dem Ufer herübergekommen, und wir hörten sie ganz in unserer Nähe brüllen. Im Lauf der Nacht hatten uns die Indianer gerathen, aus dem Bivouac in eine verlassene Hütte zu ziehen, die zu den 'Conucos' der Einwohner von Apures gehört; sie verrammelten den Eingang mit Brettern, was uns ziemlich überflüssig vorkam. Die Tiger sind bei den Katarakten so häufig, daß vor zwei Jahren ein Indianer, der am Ende der Regenzeit, eben hier in den Conucos von Panumana, seine Hütte wieder aufsuchte, dieselbe von einem Tigerweibchen mit zwei Jungen besetzt sand. Die Thiere hatten sich seit mehreren Monaten hier aufgehalten; nur mit Mühe brachte man sie hinaus, und erst nach hartnäckigem Kampfe konnte der Eigenthümer einziehen. Die Jaguars ziehen sich gern in verlassene Bauten, und nach meiner Meinung thut der einzelne Reisende meist klüger, unter freiem Himmel zwischen zwei Feuern zu übernachten, als in unbewohnten Hütten Schutz zu suchen.
Bei der Abfahrt von der Insel Panumana sahen wir auf dem westlichen Stromufer die Lagerfeuer wilder Guahibos; der Missionär, der bei uns war, ließ einige blinde Schüsse abfeuern, um sie einzuschüchtern, sagte er, und ihnen zu zeigen, daß wir uns wehren könnten. Die Wilden hatten ohne Zweifel keine Canoes und wohl auch keine Lust, uns mitten auf dem Strom zu Leibe zu gehen. Bei Sonnenaufgang kamen wir am Einfluß des Rio Anaveni vorüber, der von den östlichen Bergen herabkommt. Jetzt sind seine Ufer verlassen; aber zur Jesuitenzeit hatte Pater Olmos hier Japuin- oder Jaruro-Indianer in einem kleinen Dorfe zusammengebracht. Die Hitze am Tage war so stark, daß wir lange an einem schattigen Platze hielten und mit der Leine fischten. Wir konnten die Fische, die wir gefangen, kaum alle fortbringen. Erst ganz spät langten wir unmittelbar unter dem großen Katarakt in einer Bucht an, die der *untere Hafen* (puerto de abaxo) heißt, und gingen, bei der dunkeln Nacht nicht ohne Beschwerde, auf schmalem Fußpfad in die Mission Atures, eine Meile vom Flußufer. Man kommt dabei über eine mit großen Granitblöcken bedeckte Ebene.
Das kleine Dorf *San Juan Nepomuceno de los Atures* wurde im Jahr 1748 vom Jesuiten Pater Francisco Gonzales angelegt. Es ist stromaufwärts die letzte vom Orden des heiligen Ignatius gegründete christliche Niederlassung. Die weiter nach Süd gelegenen Niederlassungen am Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro rühren von den dem Franciskanerorden angehörenden Observanten her. Wo jetzt das Dorf Atures steht, muß srüher der Orinoco geflossen seyn, und die völlig, ebene Grasflur um das Dorf war ohne Zweifel ein Stück des Flußbetts. Oestlich von der Mission sah ich eine Felsreihe, die mir das alte Flußufer zu seyn schien. Im Lauf der Jahrhunderte wurde der Strom gegen West hinübergedrängt, weil den östlichen Bergen zu, von denen viele Wildwasser herabkommen, die Anschwemmungen stärker sind. Der Katarakt heißt, wie oben bemerkt, Mapara, während das Dorf nach dem Volke der Atures genannt ist, das man jetzt für ausgestorben hält. Auf den Karten des siebzehnten Jahrhunderts finde ich: »Insel und Katarakt *Athule*;« dieß ist *Atures* nach der Aussprache der Tamanacas, die, wie so viele Völker, die Consonanten l und r verwechseln. Noch bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war dieses gebirgigte Land in Europa so wenig bekannt, daß D'ANVILLE in der ersten Ausgabe seines Südamerika beim *Salto de los Atures* vom Orinoco einen Arm abgehen läßt, der sich in den Amazonenstrom ergießt und der bei ihm Rio Negro heißt.
Die alten Karten, sowie Pater GUMILLA in seinem Werke, setzen die Mission unter 1° 30{~PRIME~} der Breite; der Abbé GILI gibt 3° 30{~PRIME~} an. Nach Meridianhöhen des Canopus und des {~GREEK SMALL LETTER ALPHA~} des südlichen Kreuzes fand ich 5° 38{~PRIME~} 4{~DOUBLE PRIME~} Breite und durch Uebertrag der Zeit 4 Stunden 41 Minuten 17 Secunden westliche Länge vom Pariser Meridian. Die Inclination der Magnetnadel war am 16. April 30°25; 223 Schwingungen in 10 Zeitminuten gaben das Maß der Intensität der magnetischen Kraft; in Paris sind es 245 Schwingungen.
Wir fanden die kleine Mission in der kläglichsten Verfassung. Zur Zeit von SOLANOs Expedition, gewöhnlich 'die Grenzexpedition' genannt, waren noch 520 Indianer hier, und als wir über die Katarakten gingen, nur noch 47, und der Missionär versicherte uns, mit jedem Jahr werde die Abnahme stärker. Er zeigte uns, daß in 32 Monaten nur eine einzige Ehe ins Kirchenbuch eingetragen worden; zwei weitere Ehen waren von noch nicht catechisirten Indianern vor dem indianischen *Governador* geschlossen und damit, wie wir in Europa sagen, der Civilakt vollzogen worden. Bei der Gründung der Mission waren hier Atures, Maypures, Meyepures, Abanis und Quirupas unter einander; statt dieser Stämme fanden wir nur Guahibos und ein paar Familien vom Stämme der Macos. Die Atures sind fast völlig verschwunden; man kennt sie nur noch von ihren Gräbern in der Höhle Ataruipe her, die an die Grabstätten der Guanchen aus Teneriffa erinnern. Wir hörten an Ort und Stelle, die Atures haben mit den Quaquas und den Macos oder Piaroas dem großen Völkerstamme der *Salivas* angehört, wogegen die Maypures, Abanis, Parenis und Guaypunaves Einer Abkunft seyen mit den *Cabres* oder Caveres, die wegen ihrer langen Kriege mit den Caraiben viel genannt werden. In diesem Wirrwarr kleiner Völkerschaften, die einander so schroff gegenüberstehen, wie einst die Völker in Latium, Kleinasien und Sogdiana, läßt sich das Zusammengehörige im Allgemeinsten nur an der Sprachverwandtschaft erkennen. Die Sprachen sind die einzigen Denkmäler, die aus der Urzeit auf uns gekommen sind; nur sie, nicht an den Boden gefesselt, beweglich und dauernd zugleich, sind so zu sagen durch Raum und Zeit hindurchgegangen. So zäh und über so viele Strecken verbreitet erscheinen sie aber weit weniger bei erobernden und bei civilisirten Völkern, als bei wandernden, halbwilden Stämmen, die auf der Flucht vor mächtigen Feinden in ihr tiefes Elend nichts mit sich nehmen als ihre Weiber, ihre Kinder und die Mundart ihrer Väter.
Zwischen dem vierten und achten Breitengrad bildet der Orinoco nicht nur die Grenze zwischen dem großen Walde der Parime und den kahlen Savanen am Apure, Meta und Guaviare, er scheidet auch Horden von sehr verschiedener Lebensweise. Im Westen ziehen auf den baumlosen Ebenen die Guahibos, Chiricoas und Guamos herum, ekelhaft schmutzige Völker, stolz auf ihre wilde Unabhängigkeit, schwer an den Boden zu fesseln und an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen. Die spanischen Missionäre bezeichnen sie ganz gut als Indios andantes (laufende, umherziehende Indianer). Oestlich vom Orinoco, zwischen den einander nahe liegenden Quellen des Caura, des Cataniapo und Ventuari, hausen die Macos, Salivas, Curacicanas, Parecas und Maquiritares, sanftmüthige, ruhige, Ackerbau treibende, leicht der Zucht in den Missionen zu unterwerfende Völker. Der *Indianer der Ebene* unterscheidet sich vom *Indianer der Wälder* durch Sprache, wie durch Sitten und die ganze Geistesrichtung; beide haben eine an lebendigen, kecken Wendungen reiche Sprache, aber die des ersteren ist rauher, kürzer, leidenschaftlicher; beim zweiten ist sie sanfter, weitschweifiger und reicher an abgeleiteten Ausdrücken.
In der Mission Atures, wie in den meisten Missionen am Orinoco zwischen den Mündungen des Apure und des Atabapo, leben die eben erwähnten beiden Arten von Volksstämmen neben einander; man trifft daselbst Indianer aus den Wäldern und früher nomadische Indianer (Indios monteros und Indios andantes oder llaneros. Wir besuchten mit dem Missionär die Hütten der Macos, bei den Spaniern Piraoas genannt, und der Guahibos. In ersteren zeigt sich mehr Sinn für Ordnung, mehr Reinlichkeit und Wohlstand. Die unabhängigen Macos (wilde möchte ich sie nicht nennen) haben ihre 'Rochelas' oder festen Wohnplätze zwei bis drei Tagereisen östlich von Atures bei den Quellen des kleinen Flusses Cataniapo. Sie sind sehr zahlreich, bauen, wie die meisten Waldindianer, keinen Mais, sondern Manioc, und leben im besten Einvernehmen mit den christlichen Indianern in der Mission. Diese Eintracht hat der Franciskaner Pater Bernardo Zea gestiftet und durch Klugheit erhalten. Der Alcade der *unterworfenen* Macos verließ mit der Genehmigung des Missionärs jedes Jahr das Dorf Atures, um ein paar Monate auf den Pflanzungen zuzubringen, die er mitten in den Wäldern beim Dorfe der unabhängigen Macos besaß. In Folge dieses friedlichen Verkehrs hatten sich vor einiger Zeit mehrere dieser Indios monteros in der Mission niedergelassen. Sie baten dringend um Messer, Fischangeln und farbige Glasperlen, die trotz des ausdrücklichen Verbots der Ordensleute nicht als Halsbänder, sondern zum Aufputz des *Guayuco* (Gürtels) dienen. Nachdem sie das Gewünschte erhalten, gingen sie in die Wälder zurück, da ihnen die Zucht in der Mission schlecht behagte. Epidemische Fieber, wie sie bei Eintritt der Regenzeit nicht selten heftig auftreten, trugen viel zu der unerwarteten Ausreißerei bei. Im Jahr 1799 war die Sterblichkeit in Carichana, am Ufer des Meta und im Raudal von Atures sehr stark. Dem Waldindianer wird das Leben des civilisirten Menschen zum Greuel, sobald seiner in der Mission lebenden Familie, ich will nicht sagen ein Unglück, sondern nur unerwartet irgend etwas Widriges zustößt. So sah man neubekehrte Indianer wegen herrschender großer Trockenheit für immer aus den christlichen Niederlassungen fortlaufen, als ob das Unheil ihre Pflanzungen nicht ebenso betroffen hätte, wenn sie immer unabhängig geblieben wären.
Welches sind die Ursachen der Fieber, die einen großen Theil des Jahrs hindurch in den Dörfern Atures und Maypures an den zwei großen Katarakten des Orinoco herrschen und die Gegend für den europäischen Reisenden so gefährlich machen? Die große Hitze im Verein mit der außerordentlich starken Feuchtigkeit der Luft, die schlechte Nahrung und, wenn man den Eingeborenen glaubt, giftige Dünste, die sich aus den kahlen Felsen der Raudales entwickeln. Diese Orinoco-Fieber kommen, wie es uns schien, vollkommen mit denen überein, die alle Jahre in der Nähe des Meeres zwischen Nueva-Barcelona, Guayra und Porto Cabello auftreten und oft in adynamische Fieber ausarten. »Ich habe mein kleines Fieber (mi calenturita) erst seit acht Monaten,« sagte der gute Missionär von Atures, der uns an den Rio Negro begleitete; er sprach davon wie von einem gewohnten, wohl zu ertragenden Leiden. Die Anfälle waren heftig, aber von kurzer Dauer; bald traten sie ein, wenn er in der Pirogue auf einem Gitter von Baumzweigen lag, bald wenn er auf offenem Ufer der heißen Sonne ausgesetzt war. Diese dreitägigen Fieber sind mit bedeutender Schwächung des Muskelsystems verbunden; indessen sieht man am Orinoco arme Ordensgeistliche sich jahrelang mit dieser Calenturidas und Tercianas schleppen; die Wirkungen sind nicht so tief greifend und gefährlich als bei kürzer dauernden Fiebern in gemäßigten Himmelsstrichen.
Ich erwähnte eben, daß die Eingeborenen und sogar die Missionäre den kahlen Felsen einen nachtheiligen Einfluß auf die Salubrität der Luft zuschreiben. Dieser Glaube verdient um so mehr Beachtung, da er mit einer physikalischen Erscheinung zusammenhängt, die kürzlich in verschiedenen Landstrichen beobachtet worden und noch nicht gehörig erklärt ist. In den Katarakten und überall, wo der Orinoco zwischen den Missionen Carichana und Santa Barbara periodisch das Granitgestein bespült, ist dieses glatt, dunkelfarbig, wie mit Wasserblei überzogen. Die färbende Substanz dringt nicht in den Stein ein, der ein grobkörniger Granit ist, welcher hie und da Hornblendecrystalle enthält. Der schwarze Ueberzug ist 3/10 Linien dick und findet sich vorzüglich auf den quarzigen Stellen; die Feldspathcrystalle haben zuweilen äußerlich ihre röthlich weiße Farbe behalten und springen aus der schwarzen Rinde vor. Zerschlägt man das Gestein mit dem Hammer, so ist es innen unversehrt, weiß, ohne Spur von Zersetzung. Diese ungeheuren Steinmassen treten bald in viereckigten Umrissen auf, bald in der halbkugligten Gestalt, wie sie dem Granitgestein eigen ist, wenn es sich in Blöcke sondert. Sie geben der Gegend etwas eigenthümlich Düsteres, da ihre Farbe vom Wasserschaum, der sie bedeckt, und vom Pflanzenwuchs um sie her scharf absticht. Die Indianer sagen, die Felsen seyen »von der Sonnengluth verbrannt oder verkohlt.« Wir sahen sie nicht nur im Bett des Orinoco, sondern an manchen Punkten bis zu 500 Toisen vom gegenwärtigen Ufer in Höhen, bis wohin der Fluß beim höchsten Wasserstande jetzt nicht steigt.
Was ist diese schwarzbraune Kruste, die diesen Felsen, wenn sie kugligt sind, das Ansehen von Meteorsteinen gibt? Wie hat man sich die Wirkung des Wassers bei diesem Niederschlag oder bei diesem auffallenden Farbwechsel zu denken? Vor allem ist zu bemerken, daß die Erscheinung nicht auf die Katarakten des Orinoco beschränkt ist, sondern in beiden Hemisphären vorkommt. Als ich, nach der Rückkehr aus Mexico, im Jahr 1807 die Granite von Atures und Maypures Roziere sehen ließ, der das Nilthal, die Küste des rothen Meeres und den Berg Sinai bereist hat, so zeigte mir der gelehrte Geolog, daß das Urgebirgsgestein bei den kleinen Katarakten von Syene, gerade wie das am Orinoco, eine glänzende, schwarzgraue, fast bleifarbige Oberfläche hat; manche Bruchstücke sehen aus wie mit Theer überzogen. Erst neuerlich, bei der unglücklichen Expedition des Capitän Tuckey, fiel dieselbe Erscheinung englischen Naturforschern an den *Yellalas* (Stromschnellen und Klippen) auf, welche den Congo- oder Zairefluß verstopfen. Dr. KÖNIG hat im britischen Museum neben Syenite vom Congo Granite von Atures gestellt, die einer Suite von Gebirgsarten entnommen sind, die Bonpland und ich dem Präsidenten der Londoner königlichen Gesellschaft überreicht hatten. »Diese Handstücke,« sagt König, »sehen beide aus wie Meteorsteine; bei beiden Gebirgsarten, bei der vom Orinoco wie bei der afrikanischen, besteht die schwarze Rinde, nach der Analyse von Children, aus Eisen- und Manganoxyd.«
Nach einigen Versuchen, die ich in Mexico in Verbindung mit del Rio gemacht, kam ich auf die Vermuthung, das Gestein von Atures, welches das Papier, in das es eingeschlagen ist, schwarz färbt, möchte außer dem Manganoxyd Kohle und überkohlensaures Eisen enthalten. Am Orinoco sind 40--50 Fuß dicke Granitmassen gleichförmig mit diesen Oxyden überzogen, und so dünn diese Rinden erscheinen, enthalten sie doch ganz ansehnliche Mengen Eisen und Mangan, da sie über eine Quadratmeile Fläche haben.
Es ist zu bemerken, daß alle diese Erscheinungen von Färbung des Gesteins bis jetzt nur in der heißen Zone beobachtet worden sind, an Flüssen, deren Temperatur gewöhnlich 24--28 Grad beträgt und die nicht über Sandstein oder Kalkstein, sondem über Granit, Gneiß und Hornblendegestein laufen. Der Quarz und der Feldspath enthalten kaum 5--6 Tausendtheile Eisen- und Manganoxyd; dagegen im Glimmer und in der Hornblende kommen diese Oxyde, besonders das Eisenoxyd, nach KLAPROTH und HERRMANN, bis zu 15 und 20 Procent vor. Die Hornblende enthält zudem Kohle, wie auch der lydische Stein und der Kieselschiefer. Bildet sich nun diese schwarze Rinde durch eine langsame Zersetzung des Granits unter dem doppelten Einfluß der Feuchtigkeit und der Sonne der Tropen, wie soll man es erklären, daß die Oxyde sich so gleichförmig über die ganze Oberfläche des Gesteins verbreiten, daß um einen Glimmer- und Hornblendecrystall nicht mehr davon liegt als über dem Feldspath und dem milchigten Quarz? Der eisenschüssige Sandstein, der Granit, der Marmor, die aschfarbig, zuweilen braun werden, haben ein ganz anderes Aussehen. Der Glanz und die gleiche Dicke der Rinde lassen vielmehr vermuthen, daß der Stoff ein Niederschlag aus dem Wasser des Orinoco ist, das in die Spalten des Gesteins gedrungen. Geht man von dieser Voraussetzung aus, so fragt man sich, ob jene Oxyde im Fluß nur suspendirt sind, wie der Sand und andere erdigten Substanzen, oder wirklich chemisch ausgelöst? Der ersteren Annahme widerspricht der Umstand, daß die Rinde völlig homogen ist und neben den Oxyden weder Sandkörner noch Glimmerblättchen sich darin finden. Man muß daher annehmen, daß chemische Auflösung vorliegt, und die Vorgänge, die wir täglich in unsern Laboratorien beobachten, widersprechen dieser Voraussetzung durchaus nicht. Das Wasser großer Flüsse enthält Kohlensäure, und wäre es auch ganz rein, so könnte es doch immer in sehr großen Mengen einige Theilchen Metalloxyd oder Hydrat auflösen, wenn dieselben auch für unauflöslich gelten. Im Nilschlamm, also im Niederschlag der im Fluß suspendirten Stoffe, findet sich kein Mangan; er enthält aber nach Reynaults Analyse 6 Procent Eisenoxyd und seine Anfangs schwarze Farbe wird beim Trocknen und durch die Einwirkung der Luft gelbbraun. Von diesem Schlamm kann also die schwarze Rinde an den Felsen von Syene nicht herrühren. Auf meine Bitte hat BERZELIUS diese Rinde untersucht; er fand darin Eisen und Mangan, wie in der auf den Graniten vom Orinoco und Congo. Der berühmte Chemiker ist der Ansicht, die Oxyde werden von den Flüssen nicht dem Boden entzogen, über den sie laufen, sie kommen ihnen vielmehr aus ihren unterirdischen Quellen zu und sie schlagen dieselben auf das Gestein nieder, wie durch Cämentation, in Folge eigenthümlicher Affinitäten, vielleicht durch Einwirkung des Kali im Feldspath. Nur durch einen langen Aufenthalt an den Katarakten des Orinoco, des Nil und des Congoflusses und durch genaue Beobachtung der Umstände, unter denen die Färbung auftritt, kann die Frage, die uns hier beschäftigt hat, ganz zur Entscheidung gebracht werden. Ist die Erscheinung von der Beschaffenheit des Gesteins unabhängig? Ich beschränke mich auf die allgemeine Bemerkung, daß weder Granitmassen, die weit vom alten Bett des Orinoco liegen, aber in der Regenzeit abwechselnd befeuchtet und von der Sonne erhitzt werden, noch der Granit, der von den bräunlichen Wassern des Rio Negro bespült wird, äußerlich den Meteorsteinen ähnlich werden. Die Indianer sagen, »die Felsen seyen nur da schwarz, wo das Wasser weiß ist.« Sie sollten vielleicht weiter sagen: »wo das Wasser eine große Geschwindigkeit erlangt hat und gegen das Gestein am Ufer anprallt.« Die Cämentation scheint zu erklären, warum die Rinde so dünn bleibt.
Ob der in den Missionen am Orinoco herrschende Glaube, daß in der Nähe des kahlen Gesteins, besonders der Felsmassen mit einer Rinde von Kohle, Eisen- und Manganoxyd die Luft ungesund sey, grundlos ist, weiß ich nicht zu sagen. In der heißen Zone werden noch mehr als anderswo die krankheiterregenden Ursachen vom Volke willkührlich gehäuft. Man scheut sich dort im Freien zu schlafen, wenn einem der Vollmond ins Gesicht schiene; ebenso hält man es für bedenklich, sich nahe am Flusse auf Granit zu lagern, und man erzählt viele Fälle, wo Leute nach einer auf dem schwarzen kahlen Gestein zugebrachten Nacht Morgens mit einem starken Fieberanfall erwacht sind. Wir schenkten nun zwar dieser Behauptung der Missionäre und der Eingeborenen nicht unbedingt Glauben, mieden aber doch die laxas negras und lagerten uns auf mit weißem Sand bedeckten Uferstrecken, wenn wir keine Bäume fanden, um unsere Hängematten zu befestigen. In Carichana will man das Dorf abbrechen und verlegen, nur um von den *schwarzen Felsen* wegzukommen, von einem Ort, wo auf einer Strecke von mehr als 10,000 Quadrattoisen die Bodenfläche aus kahlem Granitgestein besteht. Aus ähnlichen Gründen, die den Physikern in Europa als bloße Einbildungen erscheinen müssen, versetzten die Jesuiten Olmo, Forneri und Mellis ein Dorf der Jaruros an drei verschiedene Punkte zwischen dem Raudal von Tabaje und dem Rio Anaveni. Ich glaubte diese Dinge, ganz wie sie mir zu Ohren gekommen, anführen zu müssen, da wir so gut wie gar nicht wissen, was eigentlich die Gasgemenge sind, wodurch die Luft ungesund wird. Läßt sich annehmen, daß unter dem Einfluß starker Hitze und beständiger Feuchtigkeit die schwarze Rinde des Gesteins auf die umgebende Luft einwirkt und Miasmen, ternäre Verbindungen von Kohlenstoff, Stickstoff und Wasserstoff erzeugt? Ich zweifle daran. Der Granit am Orinoco enthält allerdings häufig Hornblende, und praktische Bergleute wissen wohl, daß die schlimmsten Schwaden sich in Stollen bilden, die durch Syenit und Hornblendestein getrieben werden. Aber im Freien, wo die Luft durch die kleinen Strömungen fortwährend erneuert wird, kann die Wirkung nicht dieselbe seyn wie in einer Grube.
Wahrscheinlich ist es nur deßhalb gefährlich, auf den laxas negras zu schlafen, weil das Gestein bei Nacht eine sehr hohe Temperatur behält. Ich fand dieselbe bei Tag 48°, während die Luft im Schatten 29°,7 warm war; bei Nacht zeigte der Thermometer, an das Gestein gelegt, 36°, die Luft nur 26°. Wenn die Wärmeanhänfung in den Gesteinsmassen zum Stillstand gekommen ist, so haben diese Massen zu denselben Stunden immer wieder ungefähr dieselbe Temperatur. Den Ueberschuß von Wärme, den sie bei Tag bekommen, verlieren sie in der Nacht durch die Strahlung, deren Stärke von der Beschaffenheit der Oberfläche des strahlenden Körpers, von der Anordnung seiner Molecüle im Innern, besonders aber von der Reinheit des Himmels abhängt, das heißt davon, ob die Luft durchsichtig und wolkenlos ist. Wo der Unterschied in der Abweichung der Sonne nur gering ist, geht von ihr jeden Tag fast die gleiche Wärmemenge aus und das Gestein ist am Ende des Sommers nicht wärmer als zu Anfang desselben. Es kann ein gewisses Maximum nicht überschreiten, weil sich weder der Zustand seiner Oberfläche, noch seine Dichtigkeit, noch seine Wärmecapacität verändert hat. Steigt man am Ufer des Orinoco bei Nacht aus der Hängematte und betritt den Felsboden mit bloßen Füßen, so ist die Wärme, die man empfindet, sehr auffallend. Wenn ich die Thermometerkugel an das nackte Gestein legte, fand ich fast immer, daß die laxas negras bei Tag wärmer sind als der röthlich weiße Granit weitab vom Ufer, daß aber letzterer sich bei Nacht nicht so schnell abkühlt als jener. Begreiflich geben Massen mit einem schwarzen Ueberzug den Wärmestoff rascher wieder ab als solche, in denen viele silberfarbige Glimmerblätter stecken. Geht man in Carichana, Atures oder Maypures zwischen ein und drei Uhr Nachmittags unter diesen hoch ausgethürmten Felsblöcken ohne alle Dammerde, so erstickt man beinahe, als stände man vor der Mündung eines Schmelzofens. Der Wind (wenn man ihn je in diesen bewaldeten Ländern spürt) bringt statt Kühlung nur noch heißere Luft herbei, da er über Steinschichten und aufgethürmte Granitkugeln weggegangen ist. Durch diese Steigerung der Hitze wird das Klima noch ungesunder, als es ohnehin ist.
Unter den Ursachen der Entvölkerung der Raudales habe ich die Blattern nicht genannt, die in andern Strichen von Amerika so schreckliche Verheerungen anrichten, daß die Eingeborenen, von Entsetzen ergriffen, ihre Hütten anzünden, ihre Kinder umbringen und alle Gemeinschaft fliehen. Am obern Orinoco weiß man von dieser Geißel so gut wie nichts, und käme sie je dahin, so ist zu hoffen, daß ihr die Kuhpockenimpfung, deren Segen man auf den Küsten von Terra Firma täglich empfindet, alsbald Schranken setzte. Die Ursachen der Entvölkerung in den christlichen Niederlassungen sind der Widerwillen der Indianer gegen die Zucht in den Missionen, das ungesunde, zugleich heiße und feuchte Klima, die schlechte Nahrung, die Verwahrlosung der Kinder, wenn sie krank sind, und die schändliche Sitte der Mütter, giftige Kräuter zu gebrauchen, damit sie nicht schwanger werden. Bei den barbarischen Völkern in Guyana, wie bei den halb civilisirten Bewohnern der Südseeinseln gibt es viele junge Weiber, die nicht Mütter werden wollen. Bekommen sie Kinder, so sind dieselben nicht allein den Gefahren des Lebens in der Wildniß, sondern noch manchen andern ausgesetzt, die aus dem abgeschmacktesten Aberglauben herfließen. Sind es Zwillinge, so verlangen verkehrte Begriffe von Anstand und Familienehre, daß man eines der Kinder umbringe. »Zwillinge in die Welt setzen, heißt sich dem allgemeinen Spott preisgeben, heißt es machen wie Ratten, Beutelthiere und das niedrigste Gethier, das viele Junge zugleich wirft.« Aber noch mehr: »Zwei zugleich geborene Kinder können nicht von Einem Vater seyn.« Das ist ein Lehrsatz in der Physiologie der Salivas, und unter allen Himmelsstrichen, auf allen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung sieht man, daß das Volk, hat es sich einmal einen Satz der Art zu eigen gemacht, zäher daran festhält, als die Unterrichteten, die ihn zuerst aufs Tapet gebracht. Um des Hausfriedens willen nehmen es alte Basen der Mutter oder die mure japoic-nei (Hebamme) auf sich, eines der Kinder auf die Seite zu schaffen. Hat der Neugeborene, wenn er auch kein Zwilling ist, irgend eine körperliche Mißbildung, so bringt ihn der Vater auf der Stelle um. Man will nur wohlgebildete, kräftige Kinder; denn bei den Mißbildungen hat der böse Geist *Joloquiamo* die Hand im Spiel, oder der Vogel *Tikitiki*, der Feind des Menschengeschlechts. Zuweilen haben auch bloß sehr schwächliche Kinder dasselbe Loos. Fragt man einen Vater, was aus einem seiner Söhne geworden sey, so thut er, als wäre er ihm durch einen natürlichen Tod entrissen worden. Er verläugnet eine That, die er für tadelnswerth, aber nicht für strafbar hält. »Das arme Mure (Kind)«, heißt es, »konnte nicht mit uns Schritt halten; man hätte jeden Augenblick auf es warten müssen; man hat nichts mehr von ihm gesehen, es ist nicht dahin gekommen, wo wir geschlafen haben.« Dieß ist die Unschuld und Sitteneinfalt, dieß ist das gepriesene Glück des Menschen *im Urzustand!* Man bringt sein Kind um, um nicht wegen Zwillingen lächerlich zu werden, um nicht langsamer wandern, um sich nicht eine kleine Entbehrung auferlegen zu müssen.
Grausamkeiten der Art sind nun allerdings nicht so häufig, als man glaubt; indessen kommen sie sogar in den Missionen vor, und zwar zur Zeit, wo die Indianer aus dem Dorfe ziehen und sich auf den 'Conucos' in den nahen Wäldern aushalten. Mit Unrecht schriebe man sie der Polygamie zu, in der die nicht catechisirten Indianer leben. Bei der Vielweiberei ist allerdings das häusliche Glück und der Frieden in den Familien gefährdet, aber trotz dieses Brauchs, der ja auch ein Gesetz des Islams ist, lieben die Morgenländer ihre Kinder zärtlich. Bei den Indianern am Orinoco kommt der Vater nur nach Hause, um zu essen und sich in seine Hängematte zu legen; er liebkost weder seine kleinen Kinder, noch seine Weiber, die da sind, ihn zu bedienen. Die väterliche Zuneigung kommt erst dann zum Vorschein, wenn der Sohn so weit herangewachsen ist, daß er an der Jagd, am Fischfang und an der Arbeit in den Pflanzungen Theil nehmen kann.
Wenn nun aber auch der schändliche Brauch, durch gewisse Tränke Kinder abzutreiben, die Zahl der Geburten vermindert, so greifen diese Tränke die Gesundheit nicht so sehr an, daß nicht die jungen Weiber in reiferen Jahren wieder Mütter werden könnten. Diese physiologisch sehr merkwürdige Erscheinung ist den Mönchen in den Missionen längst aufgefallen. Der Jesuit GILI, der fünfzehn Jahre lang die Indianer am Orinoco Beichte gehört hat und sich rühmt, i segreti delle donne maritate zu kennen, äußert sich darüber mit verwunderlicher Naivetät. »In Europa,« sagt er, »fürchten sich die Eheweiber vor dem Kinderbekommen, weil sie nicht wissen, wie sie sie ernähren, kleiden, ausstatten sollen. Von all diesen Sorgen wissen die Weiber am Orinoco nichts. Sie wählen die Zeit, wo sie Mütter werden wollen, nach zwei gerade entgegengesetzten Systemen, je nachdem sie von den Mitteln, sich frisch und schön zu erhalten, diese oder jene Vorstellung haben. Die einen behaupten, und diese Meinung ist die vorherrschende, es sey besser, man fange spät an Kinder zu bekommen, um sich in den ersten Jahren der Ehe ohne Unterbrechung der Arbeit im Haus und Feld widmen zu können. Andere glauben im Gegentheil, es stärke die Gesundheit und verhelfe zu einem glücklichen Alter, wenn man sehr jung Mutter geworden sey. Je nachdem die Indianer das eine oder das andere System haben, werden die Abtreibemittel in verschiedenen Lebensaltern gebraucht.« Sieht man hier, wie selbstsüchtig der Wilde seine Berechnungen anstellt, so möchte man den civilisirten Völkern in Europa Glück wünschen, daß *Ecbolia*, die dem Anschein nach der Gesundheit so wenig schaden, ihnen bis jetzt unbekannt geblieben sind. Durch die Einführung von dergleichen Tränken würde vielleicht die Sittenverderbniß in den Städten noch gesteigert, wo ein Viertheil der Kinder nur zur Welt kommt, um von den Eltern verstoßen zu werden. Leicht möglich aber auch, daß die neuen Abtreibemittel in unserem Klima so gefährlich wären wie der Sevenbaum, die Aloe und das flüchtige Zimmt- und Gewürznelkenöl. Der kräftige Körper des Wilden, in dem die verschiedenen organischen Systeme unabhängiger von einander sind, widersteht besser und länger übermäßigen Reizen und den Gebrauch dem Leben feindlicher Substanzen, als die schwache Constitution des civilisirten Menschen. Ich glaubte mich in diese nicht sehr erfreulichen pathologischen Betrachtungen einlassen zu müssen, weil sie auf eine der Ursachen hinweisen, aus denen im versunkensten Zustande unseres Geschlechts, wie auf der höchsten Stufe der Cultur, die Bevölkerung kaum merkbar zunimmt.
Zu den eben bezeichneten Ursachen kommen andere wesentlich verschiedene. Im Collegium für die Missionen von Piritu zu Nueva Barcelona hat man die Bemerkung gemacht, daß in den an sehr trockenen Orten gelegenen Indianerdörfern immer auffallend mehr Kinder geboren werden als in den Dörfern an Flußufern. Die Sitte der indianischen Weiber, mehreremal am Tage, bei Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang, also wenn die Luft am kühlsten ist, zu baden, scheint die Constitution zu schwächen.
Der Pater Gardian der Franciscaner sah mit Schrecken, wie rasch die Bevölkerung in den beiden Dörfern an den Katarakten abnahm und schlug daher vor einigen Jahren dem Statthalter der Provinz in Angostura vor, die Indianer durch Neger zu ersetzen. Bekanntlich dauert die afrikanische Race in heißem und feuchtem Klima vortrefflich aus. Eine Niederlassung freier Neger am ungesunden Ufer des Caura in der Mission San Luis Guaraguaraico gedeiht ganz gut, und sie bekommen ausnehmend reiche Maisernten. Der Pater Gardian beabsichtigte, einen Theil dieser schwarzen Colonisten an die Katarakten des Orinoco zu verpflanzen, oder aber Sklaven aus den Antillen zu kaufen und sie, wie man am Caura gethan, mit Negern, die aus Esquibo entlaufen, anzusiedeln. Wahrscheinlich wäre der Plan ganz gut gelungen. Derselbe erinnerte im Kleinen an die Niederlassungen in Sierra Leone; es war Aussicht vorhanden, daß der Zustand der Schwarzen sich damit verbesserte und so das Christenthum zu seinem ursprünglichen Ziele, Förderung des Glücks und der Freiheit der untersten Volksklassen, wieder hingeführt wurde. Ein kleines Mißverständniß vereitelte die Sache. Der Statthalter erwiderte den Mönchen: »Da man für das Leben der Neger so wenig bürgen könne, als für das der Indianer, so erscheine es nicht als gerecht, jene zur Niederlassung in den Dörfern bei den Katarakten zu zwingen.« Gegenwärtig hängt die Existenz dieser Missionen so ziemlich an zwei Guahibo- und Maco-Familien, den einzigen, bei denen man einige Spuren von Civilisation findet und die das Leben auf eigenem Grund und Boden lieben. Sterben diese Haushaltungen aus, so laufen die andern Indianer, die der Missionszucht längst müde sind, dem Pater Zea davon, und an einem Punkt, den man als den Schlüssel des Orinoco betrachten kann, finden dann die Reisenden nichts mehr, was sie bedürfen, zumal keinen Steuermann, der die Canoes durch die Stromschnellen schafft; der Verkehr zwischen dem Fort am Rio Negro und der Hauptstadt Angostura wäre, wo nicht unterbrochen, doch ungemein erschwert. Es bedarf ganz genauer Kenntniß der Oertlichkeiten, um sich in das Labyrinth von Klippen und Felsblöcken zu wagen, die bei Atures und Maypures das Strombett verstopfen.
Während man unsere Pirogue auslud, betrachteten wir von allen Punkten, wo wir ans Ufer gelangen konnten, in der Nähe das ergreifende Schauspiel eines eingeengten und wie völlig in Schaum verwandelten großen Stromes. Ich versuche es, nicht unsere Empfindungen, sondern eine Oertlichkeit zu schildern, die unter den Landschaften der neuen Welt so berühmt ist. Je großartiger, majestätischer die Gegenstände sind, desto wichtiger ist es, sie in ihren kleinsten Zügen aufzufassen, die Umrisse des Gemäldes, mit dem man zur Einbildungslraft des Lesers sprechen will, fest zu zeichnen, die bezeichnenden Merkmale der großen, unvergänglichen Denkmäler der Natur einfach zu schildern.
Von seiner Mündung bis zum Einfluß des Anaveni, auf einer Strecke von 260 Meilen, ist die Schifffahrt auf dem Orinoco durchaus ungehindert. Bei Muitaco, in einer Bucht, 'Boca del infierno' genannt, sind Klippen und Wirbel; bei Carichana und San Borja sind Stromschnellen (Raudalitos); aber an allen diesen Punkten ist der Strom nie ganz gesperrt, es bleibt eine Wasserstraße, auf der die Fahrzeuge hinab- und hinauffahren können.
Auf dieser ganzen Fahrt auf dem untern Orinoco wird dem Reisenden nur Eines gefährlich, die natürlichen Flöße aus Bäumen, die der Fluß entwurzelt und bei Hochwasser forttreibt. Wehe den Piroguen, die bei Nacht an solchem Gitterwerk aus Holz und Schlinggewächsen auffahren! Dasselbe ist mit Wasserpflanzen bedeckt und gleicht hier, wie auf dem Mississippi, schwimmenden Wiesen, den *Chinampas*(26) der mexicanischen Seen. Wenn die Indianer eine feindliche Horde überfallen wollen, binden sie mehrere Canoes mit Stricken zusammen; bedecken sie mit Kräutern und Baumzweigen und bilden so die Haufen von Bäumen nach, die der Orinoco auf seinem Thalweg abwärts treibt. Man sagt den Caraiben nach, sie seyen früher in dieser Kriegslist ausgezeichnet gewesen, und gegenwärtig bedienen sich die spanischen Schmuggler in der Nähe von Angostura desselben Mittels, um die Zollaufseher hinter das Licht zu führen.
Oberhalb des Rio Anaveni, zwischen den Bergen von Uniana und Sipapu, kommt man zu den Katarakten von Mapara und Quittuna, oder, wie die Missionäre gemeiniglich sagen, zu den Raudales von Atures und Maypures. Diese beiden vom einen zum andern Ufer laufenden Stromsperren geben im Großen ungefähr dasselbe Bild: zwischen zahllosen Inseln, Felsdämmen, aufeinander gethürmten, mit Palmen bewachsenen Granitblöcken löst sich einer der größten Ströme der neuen Welt in Schaum auf. Trotz dieser Uebereinstimmung im Aussehen hat jeder der Fälle seinen eigenthümlichen Charakter. Der erste, nördliche, ist bei niedrigem Wasser leichter zu passiren; beim zweiten, dem von Maypures, ist den Indianern die Zeit des Hochwassers lieber. Oberhalb Maypures und der Einmündung des Caño Cameji ist der Orinoco wieder frei auf einer Strecke von mehr als 169 Meilen, bis in die Nähe seiner Quellen, das heißt bis zum Raudalito der Guayaribos, ostwärts vom Caño Chiguire und den hohen Bergen von Yumariquin.
Ich habe die beiden Becken des Orinoco und des Amazonenstroms besucht, und es fiel mir ungemein auf, wie verschieden sie sich auf ihrem ungleich langen Laufe verhalten. Beim Amazonenstrom, der gegen 980 Seemeilen (20 auf den Grad) lang ist, sind die großen Fälle ziemlich nahe bei den Quellen, im ersten Sechstheil der ganzen Länge; fünf Sechstheile seines Laufe sind vollkommen frei. Beim Orinoco sind die Fälle, weit ungünstiger für die Schifffahrt, wenn nicht in der Mitte, doch unterhalb des ersten Drittheils seiner Länge gelegen. Bei beiden Strömen werden die Fälle nicht durch die Berge, nicht durch die Stufen der über einander liegenden Plateaus, wo sie entspringen, gebildet, sondern durch andere Berge, durch andere über einander gelagerte Stufen, durch die sich die Ströme nach langem friedlichen Lauf Bahn brechen müssen, wobei sie sich von Staffel zu Staffel herabstürzen.
Der Amazonenstrom durchbricht keineswegs die Hauptkette der Anden, wie man zu einer Zeit behauptete, wo man ohne Grund voraussetzte, daß überall, wo sich die Gebirge in parallele Ketten theilen, die mittlere oder Centralkette höher seyn müsse als die andern. Dieser große Strom entspringt (und dieser Umstand ist geologisch nicht ohne Belang) ostwärts von der westlichen Kette, der einzigen, welche unter dieser Breite den Namen einer hohen Andenkette verdient. Er entsteht aus der Vereinigung der kleinen Flüsse Aguamiros und Chavinillo, welch letzterer aus dem See Llauricocha kommt, der in einem Längenthale zwischen der westlichen und der mittleren Kette der Anden liegt. Um diese hydrographischen Verhältnisse richtig aufzufassen, muß man sich vorstellen, daß der colossale Gebirgsknoten von Pasco und Huanuco sich in drei Ketten theilt. Die westlichste, höchste streicht unter dem Namen Cordillera real de Nieve (zwischen Huary und Caxatambo, Guamachuco und Lucma, Micuipampa und Guangamarca) über die *Nevados* von Viuda, Pelagatos, Moyopata und Huaylillas, und die *Paramos* von Guamani und Guaringa gegen die Stadt Loxa. Der mittlere Zug scheidet die Gewässer des oberen Amazonenstroms und des Guallaga und bleibt lange nur tausend Toisen hoch; erst südlich von Huanuco steigt er in der Cordillere von Sasaguanca über die Schneelinie empor. Er streicht zuerst nach Nord über Huacrachuco, Chachapoyas, Moyobamba und den Paramo von Piscoguañuna, dann fällt er allmählig ab, Peca, Copallin und der Mission San Yago am östlichen Ende der Provinz Jaen de Bracamoros zu. Die dritte, östlichste Kette zieht sich am rechten Ufer des Rio Guallaga hin und läuft unter dem 7. Grad der Breite in die Niederung aus. So lange der Amazonenstrom von Süd nach Nord im Längenthal zwischen zwei Gebirgszügen von ungleicher Höhe läuft (das heißt von den Höfen Quivilla und Guancaybamba, wo man auf hölzernen Brücken über den Fluß geht, bis zum Einfluß des Rio Chinchipe), ist die Fahrt im Canoe weder durch Felsen, noch durch sonst etwas gehemmt. Die Fälle fangen erst da an, wo der Amazonenstrom sich gegen Ost wendet und durch die mittlere Andenkette hindurchgeht, die gegen Norden bedeutend breiter wird. Er stößt auf die ersten Felsen von rothem Sandstein oder altem Conglomerat zwischen Tambillo und dem *Pongo* Rentema, wo ich Breite, Tiefe und Geschwindigkeit des Wassers gemessen habe; er tritt aus dem rothen Sandstein ostwärts von der vielberufenen Stromenge Manseriche beim Pongo Tayuchuc, wo die Hügel sich nur noch 40--60 Toisen über den Flußspiegel erheben. Den östlichen Zug, der an den Pampas von Sacramento hinläuft, erreicht der Fluß nicht. Von den Hügeln von Tayuchuc bis Gran-Para, auf einer Strecke von mehr als 750 französischen Meilen, ist die Schifffahrt ganz frei. Aus dieser raschen Uebersicht ergibt sich, daß der Marañon, hätte er nicht das Bergland zwischen San Yago und Tomependa, das zur Centralkette der Anden gehört, zu durchziehen, schiffbar wäre von seinem Ausfluß ins Meer bis Pumpo bei Piscobamba in der Provinz Conchucos, 43 Meilen von seiner Quelle.
Wir haben gesehen, daß sich beim Orinoco wie beim Amazonenstrom die großen Fälle nicht in der Nähe des Ursprungs befinden. Nach einem ruhigen Lauf von mehr als 160 Meilen vom kleinen Raudal der Guaharibos, ostwärts von Esmeralda, bis zu den Bergen von Sipapu, und nachdem er sich durch die Flüsse Jao, Ventuari, Atabapo und Guaviare verstärkt, biegt der Orinoco aus seiner bisherigen Richtung von Ost nach West rasch in die von Süd nach Nord um und stößt auf dem Lauf über die 'Land-Meerenge'(27) in den Niederungen am Meta auf die Ausläufer der Cordillere der Parime. Und dadurch entstehen nun Fälle, die weit stärker sind und der Schifffahrt ungleich mehr Eintrag thun als alle *Pongos* im obern Marañon, weil sie, wie wir oben auseinandergesetzt, der Mündung des Flusses verhältnißmäßig näher liegen. Ich habe mich in diese geographischen Details eingelassen, um am Beispiel der größten Ströme der neuen Welt zu zeigen: 1) daß sich nicht absolut eine gewisse Toisenzahl, eine gewisse Meereshöhe angeben läßt, über welcher die Flüsse noch nicht schiffbar sind; 2) daß die Stromschnellen keineswegs immer, wie in manchen Handbüchern der allgemeinen Topographie behauptet wird, nur am Abhang der ersten Bergschwellen, bei den ersten Höhenzügen vorkommen, über welche die Gewässer in der Nähe ihrer Quellen zu laufen haben.
Nur der nördliche der großen Katarakten des Orinoco hat hohe Berge zu beiden Seiten. Das linke Stromufer ist meist niedriger, gehört aber zu einem Landstrich, der westwärts von Atures gegen den Pic Uniana ansteigt, einen gegen 3000 Fuß hohen Bergkegel auf einer steil abfallenden Felsmauer. Dadurch, daß er frei aus der Ebene aufsteigt, nimmt sich dieser Pic noch großartiger und majestätischer aus. In der Nähe der Mission, auf dem Landstrich am Kararakt nimmt die Landschaft bei jedem Schritt einen andern Charakter an. Auf engem Raume findet man hier die rauhsten, finstersten Naturgebilde neben freiem Feld, bebauten, lachenden Fluren. In der äußern Natur wie in unserem Innern ist der Gegensatz der Eindrücke, das Nebeneinander des Großartigen, Drohenden, und des Sanften, Friedlichen eine reiche Quelle unserer Empfindungen und Genüsse.
Ich nehme hier einige zerstreute Züge einer Schilderung auf, die ich kurz nach meiner Rückkehr nach Europa in einem andern Buche entworfen.(28) Die mit zarten Kräutern und Gräsern bewachsenen Savanen von Atures sind wahre Prärien, ähnlich unsern europäischen Wiesen; sie werden nie vom Flusse überschwemmt und scheinen nur der Menschenhand zu harren, die sie umbricht. Trotz ihrer bedeutenden Ausdehnung sind sie nicht so eintönig wie unsere Ebenen. Sie laufen um Felsgruppen, um übereinander gethürmte Granitblöcke her. Dicht am Rand dieser Ebenen, dieser offenen Fluren stößt man auf Schluchten, in die kaum ein Strahl der untergehenden Sonne dringt, auf Gründe, wo einem aus dem feuchten, mit Arum, Heliconia und Lianen dicht bewachsenen Boden bei jedem Schritte die wilde Ueppigkeit der Natur entgegentritt. Ueberall kommen, dem Boden gleich, die ganz kahlen Granitplatten zu Tage, wie ich sie bei Carichana beschrieben, und wie ich sie in der alten Welt nirgends so ausnehmend breit gesehen habe wie im Orinocothal. Da wo Quellen aus dem Schooße dieses Gesteins vorbrechen, haben sich Verrucarien, Psoren und Flechten an den verwitterten Granit geheftet und Dammerde erzeugt. Kleine Euphorbien, Peperomien und andere Saftpflanzen sind den cryptogamischen Gewächsen gefolgt, und jetzt bildet immergrünes Strauchwerk, Rhexien, Melastomen mit purpurrothen Blüthen, grüne Eilande inmitten der öden steinigten Ebene. Man kommt immer wieder darauf zurück: die Bodenbildung, die über die Savanen zerstreuten Boskette aus kleinen Bäumen mit lederartigen, glänzenden Blättern, die kleinen Bäche, die sich ein Bett im Fels graben und sich bald über fruchtbares ebenes Land, bald über kahle Granitbänke schlängeln, Alles erinnert einen hier an die reizendsten, malerischsten Parthien unserer Parkanlagen und Pflanzungen. Man meint mitten in der wilden Landschaft menschlicher Kunst und Spuren von Cultur zu begegnen.
Aber nicht nur durch die Bodenbildung zunächst bei der Mission Atures erhält die Gegend eine so auffallende Physiognomie: die hohen Berge, welche ringsum den Horizont begrenzen, tragen durch ihre Form und die Art ihres Pflanzenwuchses das Ihrige dazu bei. Diese Berge erheben sich meist nur 7--800 Fuß über die umgebenden Ebenen. Ihre Gipfel sind abgerundet, wie in den meisten Granitgebirgen, und mit einem dichten Walde von Laurineen bedeckt. Gruppen von Palmen (el Cucurito) deren gleich Federbüschen gekräuselte Blätter unter einem Winkel von 70 Grad majestätisch emporsteigen, stehen mitten unter Bäumen mit wagerechten Aesten; ihre nackten Stämme schießen gleich hundert bis hundertzwanzig Fuß hohen Säulen in die Luft hinauf und heben sich vom blauen Himmel ab, »ein Wald über dem Walde.« Wenn der Mond den Bergen von Uniana zu unterging und die röthliche Scheibe des Planeten sich hinter das gefiederte Laub der Palmen versteckte und dann wieder im Luftstrich zwischen beiden Wäldern zum Vorschein kam, so glaubte ich mich auf Augenblicke in die Einsiedelei des Alten versetzt, die BERNARDIN DE SAINT PIERRE als eine der herrlichsten Gegenden auf der Insel Bourbon schildert, und fühlte so recht, wie sehr die Gewächse nach Wuchs und Gruppirung in beiden Welten einander gleichen. Mit der Beschreibung eines kleinen Erdwinkels auf einer Insel im indischen Ocean hat der unnachahmliche Verfasser von Paul und Virginie vom gewaltigen Bild der tropischen Landschaft eine Skizze entworfen. Er wußte die Natur zu schildern, nicht weil er sie als Forscher kannte, sondern weil er für all ihre harmonischen Verhältnisse in Gestaltung, Farbe und innern Kräften ein tiefes Gefühl besaß.
Oestlich von Atures, neben jenen abgerundeten Bergen, auf denen. zwei Wälder von Laurineen und Palmen über einander stehen, erheben sich andere Berge von ganz verschiedenem Aussehen. Ihr Kamm ist mit gezackten Felsen besetzt, die wie Pfeiler über die Bäume und das Gebüsch emporragen. Diese Bildung kommt allen Granitplateaus zu, im Harz, im böhmischen Erzgebirge, in Galizien, an der Grenze beider Castilien; sie wiederholt sich überall, wo in unbedeutender Meereshöhe (400--600 Toisen) ein Granit neuerer Formation zu Tage kommt. Die in Abständen sich erhebenden Felsen bestehen entweder aus aufgethürmten Blöcken oder sind in regelmäßige, wagerechte Bänke getheilt. Auf die ganz nahe am Orinoco stellen sich die Flamingos, die *Soldados*(29) und andere fischfangende Vögel, und nehmen sich dann aus wie Menschen, die Wache stehen. Dieß ist zuweilen so täuschend, daß, wie mehrere Augenzeugen erzählen, die Einwohner von Angostura eines Tags kurz nach der Gründung der Stadt in die größte Bestürzung geriethen, als sich auf einmal auf einem Berge gegen Süd Reiher, *Soldados* und *Garzas* blicken ließen. Sie glaubten sich von einem Ueberfall der Indios monteros (der wilden Indianer) bedroht, und obgleich einige Leute, die mit dieser Täuschung bekannt waren, die Sache aufklärten, beruhigte sich das Volk nicht eher ganz, als bis die Vögel in die Luft stiegen und ihre Wanderung der Mündung des Orinoco zu fortsetzten.
Die schöne Vegetation der Berge ist, wo nur auf dem Felsboden Dammerde liegt, auch über die Ebenen verbreitet. Meistens sieht man zwischen dieser schwarzen, mit Pflanzenfasern gemischten Dammerde und dem Granitgestein eine Schichte weißen Sandes. Der Missionär versicherte uns, in der Nähe der Wasserfälle sey das Grün beständig frisch, in Folge des vielen Wasserdampfes, der aus dem auf einer Strecke von 3000--4000 Toisen in Strudel und Wasserfälle zerschlagenen Strom aussteigt.
Kaum hatte man in Atures ein paarmal donnern hören, und bereits zeigte die Vegetation aller Orten die kräftige Fülle und den Farbenglanz, wie man sie auf den Küsten erst zu Ende der Regenzeit findet. Die alten Bäume hingen voll prächtiger Orchideen, gelber Bannisterien, Bignonien mit blauen Blüthen, Peperomia, Arum, Pothos. Auf einem einzigen Baumstamm waren mannigfaltigere Pflanzengebilde beisammen, als in unserem Klima auf einem ansehnlichen Landstrich. Neben diesen den heißen Klimaten eigenen Schmarotzergewächsen sahen wir hier mitten in der heißen Zone und fast im Niveau des Meeres zu unserer Ueberraschung Moose, die vollkommen den europäischen glichen. Beim großen Katarakt von Atures pflückten wir die schöne Grimmia-Art mit Fontinalis-Blättern, welche die Botaniker so sehr beschäftigt hat; sie hängt an den Aesten der höchsten Bäume. Unter den Phanerogamen herrschen in den bewaldeten Strichen Mimosen, Ficus und Laurineen vor. Dieß ist um so charakteristischer, als nach BROWNs neuerlicher Beobachtung auf dem gegenüber liegenden Continent, im tropischen Afrika, die Laurineen fast ganz zu fehlen scheinen. Gewächse, welche Feuchtigkeit lieben, schmücken die Ufer am Wasserfall. Man findet hier in den Niederungen Büsche von Heliconia und andern Scitamineen mit breiten glänzenden Blättern, Bambusrohre, die drei Palmenarten *Murichi*, *Jagua* und *Vadgiai*, deren jede besondere Gruppen bildet. Die Murichipalme oder die Mauritia mit schuppigter Frucht ist die berühmte Sagopalme der Guaranos-Indianer; sie ist ein wirkliches geselliges Gewächs. Sie hat handförmige Blätter und wächst nicht unter den Palmen mit gefiederten und gekräuselten Blättern, dem *Jagua*, der eine Art Cocospalme zu seyn scheint, und dem *Vadgiai* oder *Cucurito*, den man neben die schöne Gattung Oreodoxa stellen kann. Der *Cucurito*, bei den Fällen von Atures und Maypures die häufigste Palme, ist durch seinen Habitus ausgezeichnet. Seine Blätter oder vielmehr Wedel stehen auf einem 80--100 Fuß hohen Stamm fast senkrecht, und zwar im jugendlichen Zustand wie in der vollen Entwicklung; nur die Spitzen sind umgebogen. Es sind wahre Federbüsche vom zartesten, frischesten Grün. Der Cucurito, der Seje, dessen Frucht der Aprikose gleicht, die Oreodoxa regia oder Palma real von der Insel Cuba und das Ceroxylon der hohen Anden sind im Wuchs die großartigsten Palmen der neuen Welt. Je näher man der gemäßigten Zone kommt, desto mehr nehmen die Gewächse dieser Familie an Größe und Schönheit ab. Welch ein Unterschied zwischen den eben erwähnten Arten und der orientalischen Dattelpalme, die bei den europäischen Landschaftsmalern leider der Typus der Palmenfamilie geworden ist!
Es ist nicht zu verwundern, daß, wer nur das nördliche Afrika, Sicilien oder Murcia bereist hat, nicht begreifen kann, daß unter allen großen Baumgestalten die Gestalt der Palme die großartigste und schönste seyn soll. Unzureichende Analogieen sind Schuld, daß sich der Europäer keine richtige Vorstellung vom Charakter der heißen Zone macht. Jedermann weiß zum Beispiel, daß die Contraste des Baumlaubs, besonders aber die große Menge von Gewächsen mit gefiederten Blättern ein Hauptschmuck dieser Zone sind. Die Esche, der Vogelbeerbaum, die Inga, die Achazie der Vereinigten Staaten, die Gleditsia, die Tamarinde, die Mimosen, die Desmanthus haben alle gefiederte Blätter mit mehr oder weniger großen, dünnen, lederartigen und glänzenden Blättchen. Vermag nun aber deßhalb eine Gruppe von Eschen, Vogelbeerbäumen oder Sumachbäumen uns einen Begriff vom malerischen Effekt zu geben, den das Laubdach der Tamarinden und Mimosen macht, wenn das Himmelsblau zwischen ihren kleinen, dünnen, zartgefiederten Blättern durchbricht? Diese Betrachtungen sind wichtiger, als sie auf den ersten Blick scheinen. Die Gestalten der Gewächse bestimmen die Physiognomie der Natur, und diese Physiognomie wirkt zurück auf die geistige Stimmung der Völker. Jeder Pflanzentypus zerfällt in Arten, die im allgemeinen Charakter mit einander übereinkommen, aber sich dadurch unterscheiden, daß dieselben Organe verschiedentlich entwickelt sind. Die Palmen, die Scitamineen, die Malvaceen, die Bäume mit gefiederten Blättern sind nicht alle malerisch gleich schön, und meist, im Pflanzenreich wie im Thierreich, gehören die schönsten Arten eines jeden Typus dem tropischen Erdstrich an.
Die Protaceen, Croton, Agaven und die große Sippe der Cactus, die ausschließlich nur in der neuen Welt vorkommt, verschwinden allmählig, wenn man auf dem Orinoco über die Mündungen des Apure und des Meta hinaufkommt. Indessen ist vielmehr die Beschattung und die Feuchtigkeit, als die Entfernung von den Küsten daran Schuld, wenn die Cactus nicht weiter nach Süden gehen. Wir haben östlich von den Anden, in der Provinz Bracamoros, dem obern Amazonenstrom zu, ganze Cactuswälder, mit Croton dazwischen, große dürre Landstriche bedecken sehen. Die Baumfarn scheinen an den Fällen des Orinoco ganz zu fehlen; wir fanden keine Art vor San Fernando de Atabapo, das heißt vor dem Einfluß des Guaviare in den Orinoco.
Wir haben die Umgegend von Atures betrachtet, und ich habe jetzt noch von den Stromschnellen selbst zu sprechen, die an einer Stelle des Thales liegen, wo das tief eingeschnittene Flußbett fast unzugängliche Ufer hat. Nur an sehr wenigen Punkten konnten wir in den Orinoco gelangen, um zwischen zwei Wasserfällen, in Buchten, wo das Wasser langsam kreist, zu baden. Auch wer sich in den Alpen, in den Pyrenäen, selbst in den Cordilleren aufgehalten hat, so vielberufen wegen der Zerrissenheit des Bodens und der Spuren von Zerstörung, denen man bei jedem Schritte begegnet, vermöchte nach einer bloßen Beschreibung sich vom Zustand des Strombetts hier nur schwer eine Vorstellung zu machen. Auf einer Strecke von mehr als fünf Seemeilen laufen unzählige Felsdämme quer darüber weg, eben so viele natürliche Wehre, eben so viele *Schwellen*, ähnlich denen im Dnieper, welche bei den Alten 'Phragmoi' hießen. Der Raum zwischen den Felsdämmen im Orinoco ist mit Inseln von verschiedener Größe gefüllt; manche sind hügligt, in verschiedene runde Erhöhungen getheilt und 200--300 Toisen lang, andere klein und niedrig, wie bloße Klippen. Diese Inseln zerfällen den Fluß in zahlreiche reißende Betten, in denen das Wasser sich kochend an den Felsen bricht; alle sind mit Jagua- und Cucuritopalmen mit federbuschförmigem Laub bewachsen, ein Palmendickicht mitten auf der schäumenden Wasserfläche. Die Indianer, welche die leeren Piroguen durch die Raudales schaffen, haben für jede Staffel, für jeden Felsen einen eigenen Namen. Von Süden her kommt man zuerst zum *Salto del Piapoco*, zum Sprung des Tucans; zwischen den Inseln Avaguri und Javariveni ist der Raudal de Javariveni; hier verweilten wir auf unserer Rückkehr vom Rio Negro mehrere Stunden mitten in den Stromschnellen, um unser Canoe zu erwarten. Der Strom scheint zu einem großen Theil trocken zu liegen. Granitblöcke sind auf einander gehäuft, wie in den Moränen, welche die Gletscher in der Schweiz vor sich her schieben. Ueberall stürzt sich der Fluß in die Höhlen hinab, und in einer dieser Höhlen hörten wir das Wasser zugleich über unsern Köpfen und unter unsern Füßen rauschen. Der Orinoco ist wie in eine Menge Arme oder Sturzbäche getheilt, deren jeder sich durch die Felsen Bahn zu brechen sucht. Man muß nur staunen, wie wenig Wasser man im Flußbett sieht, über die Menge Wasserstürze, die sich unter dem Boden verlieren, über den Donner der Wasser, die sich schäumend an den Felsen brechen.
Cuncta fremunt undis; ac multo murmure montis Spumens invictis canescit fluctibus amnis.(30)
Ist man über den Raudal Javariveni weg (ich nenne hier nur die wichtigsten der Fälle), so kommt man zum Raudal *Canucari*, der durch eine Felsbank zwischen den Inseln Surupamana und Uirapuri gebildet wird. Sind die Dämme oder natürlichen Wehre nur zwei, drei Fuß hoch, so wagen es die Indianer im Canoe hinabzufahren. Fluß aufwärts schwimmen sie voraus, bringen nach vielen vergeblichen Versuchen ein Seil um eine der Felsspitzen über dem Damm und ziehen das Fahrzeug am Seil auf die Höhe des Raudals. Während dieser mühseligen Arbeit füllt sich das Fahrzeug häufig mit Wasser; anderemale zerschellt es an den Felsen, und die Indianer, mit zerschlagenem, blutendem Körper, reißen sich mit Noth aus dem Strudel und schwimmen an die nächste Insel. Sind die Felsstaffeln oder Schwellen sehr hoch und versperren sie den Strom ganz, so schafft man die leichten Fahrzeuge ans Land, schiebt Baumäste als Walzen darunter und schleppt sie bis an den Punkt, wo der Fluß wieder schiffbar wird.(31) Bei Hochwasser ist solches selten nöthig. Spricht man von den Wasserfällen des Orinoco, so denkt man von selbst an die Art und Weise, wie man in alter Zeit über die Katarakten des Nil herunterfuhr, wovon uns SENECA(32) eine Beschreibung hinterlassen hat, die poetisch, aber schwerlich richtig ist. Ich führe nur eine Stelle an, die vollkommen vergegenwärtigt, was man in Atures, Maypures und in einigen *Pongos* des Amazonenstroms alle Tage sieht. »Je zwei mit einander besteigen kleine Nachen, und einer lenkt das Schiff, der andere schöpft es aus. Sodann, nachdem sie unter dem reißenden Toben des Nil und den sich begegnenden Wellen tüchtig herumgeschaukelt worden sind, halten sie sich endlich an die seichtesten Kanäle, durch die sie den Engpässen der Felsen entgehen, und mit der ganzen Strömung niederstürzend, lenken sie den schießenden Nachen.«
In den hydrographischen Beschreibungen der Länder werden meistens unter den unbestimmten Benennungen: »Saltos, Chorros, Pongos, Cachoeiras, Raudales; Cataractes, Cascades, Chûtes, Rapides; Wasserfälle, Wasserstürze, Stromschnellen,« stürmische Bewegungen der Wasser zusammengeworfen, die durch sehr verschiedene Bodenbildungen hervorgebracht werden. Zuweilen stürzt sich ein ganzer Fluß aus bedeutender Höhe in Einem Falle herunter, wodurch die Schifffahrt völlig unterbrochen wird. Dahin gehört der prächtige Fall des Rio Tequendama, den ich in meinen Vues des Cordillères abgebildet habe; dahin die Fälle des Niagara und der Rheinfall, die nicht sowohl durch ihre Höhe als durch die Wassermasse bedeutend sind. Anderemale liegen niedrige Steindämme in weiten Abständen hinter einander und bilden getrennte Wasserfälle; dahin gehören die Cachoeiras des Rio Negro und des Rio de la Madeira, die Saltos des Rio Cauca und die meisten Pongos im obern Amazonenstrom zwischen dem Einfluß des Chinchipe und dem Dorfe San Borja. Der höchste und gefährlichste dieser Pongos, den man auf Flößen herunter fährt, der bei Mayafi, ist übrigens nur drei Fuß hoch. Noch anderemale liegen kleine Steindämme so nahe an einander, daß sie auf mehrere Meilen Erstreckung eine ununterbrochene Reihe von Fällen und Strudeln, Chorros und Remolinos bilden, und dieß nennt man eigentlich Raudales, Rapides, Stromschnellen. Dahin gehören die *Yellalas*, die Stromschnellen des Zaire- oder Congoflusses, mit denen uns Capitän Tuckey kürzlich bekannt gemacht hat; die Stromschnellen des Orangeflusses in Afrika oberhalb Pella, und die vier Meilen langen Fälle des Missouri da, wo der Fluß aus den Rocky Mountains hervorbricht. Hieher gehören nun auch die Fälle von Atures und Maypures, die einzigen, die, im tropischen Erdstrich der neuen Welt gelegen, mit einer herrlichen Palmenvegetation geschmückt sind. In allen Jahreszeiten gewähren sie den Anblick eigentlicher Wasserfälle und hemmen die Schifffahrt auf dem Orinoco in sehr bedeutendem Grade, während die Stromschnellen des Ohio und in Oberegypten zur Zeit der Hochgewässer kaum sichtbar sind. Ein vereinzelter Wasserfall, wie der Niagara oder der Fall bei Terni, gibt ein herrliches Bild, aber nur Eines; er wird nur anders, wenn der Zuschauer seinen Standpunkt verändert; Stromschnellen dagegen, namentlich wenn sie zu beiden Seiten mit großen Bäumen besetzt sind, machen eine Landschaft meilenweit schön. Zuweilen rührt die stürmische Bewegung des Wassers nur daher, daß die Strombetten sehr eingeengt sind. Dahin gehört die Angostura de Carare im Magdalenenfluß, ein Engpaß, der dem Verkehr zwischen Santa Fe de Bogota und der Küste von Carthagena Eintrag thut; dahin gehört der Pongo von Manseriche im obern Amazonenstrom, den LA CONDAMINE für weit gefährlicher gehalten hat, als er in Wahrheit ist, und den der Pfarrer von San Borja hinauf muß, so oft er im Dorfe San Yago eine Amtsverrichtung hat.
Der Orinoco, der Rio Negro und fast alle Nebenflüsse des Amazonenstromes oder Marañon haben Fälle oder Stromschnellen entweder in der Nähe ihres Ursprungs durch Berge laufen, oder weil sie auf der mittleren Strecke ihres Laufs auf andere Berge stoßen. Wenn, wie oben bemerkt, die Wasser des Amazonenstroms vom Pongo von Manseriche bis zu seiner Mündung, mehr als 750 Meilen weit, nirgends heftig aufgeregt sind, so verdankt er diesen ungemein großen Vortheil dem Umstand, daß er immer die gleiche Richtung einhält. Er fließt von Ost nach West über eine weite Ebene, die gleichsam ein Längenthal zwischen der Bergkette der Parime und dem großen brasilianischen Gebirgsstock bildet.
Zu meiner Ueberraschung ersah ich aus unmittelbarer Messung, daß die Stromschnellen des Orinoco, deren Donner man über eine Meile weit hört, und die durch die mannigfaltige Vertheilung von Wasser, Palmbäumen und Felsen so ausnehmend malerisch sind, in ihrer ganzen Länge schwerlich mehr als 28 Fuß senkrechte Höhe haben. Bei näherer Ueberlegung zeigt es sich, daß dieß für Stromschnellen viel ist. während es für einen einzelnen Wasserfall sehr wenig wäre. Bei den Yellalas im Congofluß, in der Einschnürung seines Bettes zwischen Banza Noki und Banza Inga, ist der Höhenunterschied zwischen den obern und den untern Staffeln weit bedeutender; BARROW bemerkt aber, daß sich hier unter den vielen Stromschnellen ein Fall findet, der allein 30 Fuß hoch ist. Andererseits haben die vielberufenen Pongos im Amazonenstrom, wo die Bergfahrt so gefährlich ist, die Fälle von Rentama, Escurrebragas und Mayasi, auch nur ein paar Fuß senkrechte Höhe. Wer sich mit Wasserbauten abgibt, weiß, welche Wirkung in einem großen Flusse eine Schwellung von 18--20 Zoll hat. Das Toben des Wassers und die Wirbel werden überall keineswegs allein von der Höhe der einzelnen Fälle bedingt, sondern vielmehr davon, wie nahe die Fälle hinter einander liegen, ferner vom Neigungswinkel der Felsendämme, von den sogenannten 'lames de réflexion' die in einander stoßen und über einander weggehen, von der Gestalt der Inseln und Klippen, von der Richtung der Gegenströmungen, von den Krümmungen und engen Stellen in den Kanälen, durch die das Wasser von einer Staffel zur andern sich Bahn bricht. Von zwei gleich breiten Flüssen kann der eine Fälle haben, die nicht so hoch sind als die des andern, und doch weit gefährlicher und tobender.
Meine obige Angabe über die senkrechte Höhe der Raudales des Orinoco lautet nicht ganz bestimmt, und ich habe damit auch nur eine *Grenzzahl* gegeben. Ich brachte den Barometer auf die kleine Ebene bei der Mission Atures und den Katarakten, ich konnte aber keine constanten Unterschiede beobachten. Bekanntlich wird die barometrische Messung sehr schwierig, wenn es sich um ganz unbedeutenden Höhenunterschied handelt. Durch kleine Unregelmäßigkeiten in der stündlichen Schwankung (Unregelmäßigkeiten, die sich mehr auf das Maaß der Schwankung als auf den Zeitpunkt beziehen) wird das Ergebniß zweifelhaft, wenn man nicht an jedem der beiden Standpunkte ein Barometer hat, und wenn man Unterschiede im Luftdruck von einer halben Linie auffassen soll.
Wahrscheinlich wird die Wassermasse des Stromes durch die Katarakten geringer, nicht allein weil durch das Zerschlagen des Wassers in Tropfen die Verdunstung gesteigert wird, sondern auch, und hauptsächlich, weil viel Wasser in unterirdische Höhlungen versinkt. Dieser Verlust ist übrigens nicht sehr auffallend, wenn man die Wassermasse da, wo sie in die Raudales eintritt, mit der vergleicht, welche beim Einfluß des Rio Anaveni davon wegzieht. Durch eine solche Vergleichung hat man gefunden, daß unter den Yelladas oder Raudales des Congoflusses unterirdische Höhlungen liegen müssen. Im Pongo von Manseriche, der vielmehr eine Stromenge als ein Wasserfall heißen sollte, verschwindet auf eine noch nicht gehörig ermittelte Weise das Wasser des obern Amazonenstroms zum Theil mit all seinem Treibholz.
Sitzt man am Ufer des Orinoco und betrachtet die Felsdämme, an denen sich der Strom donnernd bricht, so fragt man sich, ob die Fälle im Lauf der Jahrhunderte nach Gestaltung und Höhe sich verändern werden. Ich bin nicht sehr geneigt, dem Stoß des Wassers gegen Granitblöcke und dem Zerfressen kieselhaltigen Gesteins solche Wirkungen zuzuschreiben. Die nach unten sich verengenden Löcher, die Trichter, wie man sie in den Raudales und bei so vielen Wasserfällen in Europa antrifft, entstehen nur durch die Reibung des Sandes und das Rollen der Quarzgeschiebe. Wir haben solche Geschiebe gesehen, welche die Strömung am Boden der Trichter beständig herumwirbelt und diese dadurch nach allen Durchmessern erweitert. Die Pongos des Amazonenstroms sind leicht zerstörlich, da die Felsdämme nicht aus Granit bestehen, sondern aus Conglomerat, aus rothem, grobkörnigem Sandstein. Der Pongo von Rentama stürzte vor 80 Jahren theilweise ein, und da sich das Wasser hinter einem neu gebildeten Damm staute, so lag das Flußbett ein paar Stunden trocken, zur großen Verwunderung der Einwohner des Dorfes Puyaya, sieben Meilen unter dem eingestürzten Pongo. Die Indianer in Atures versichern (und diese Aussage widerspricht der Ansicht des Paters CAULIN), die Felsen im Raudal haben immer dasselbe Aussehen, aber die einzelnen Strömungen, in die der große Strom zerschlagen wird, ändern beim Durchgang durch die aufgehäuften Granitblöcke ihre Richtung und werfen bald mehr, bald weniger Wasser gegen das eine oder das andere Ufer. Die Ursachen dieses Wechsels können den Katarakten sehr ferne liegen; denn in den Flüssen, die auf der Erdoberfläche Leben verbreiten, wie die Adern in den organischen Körpern, pflanzen sich alle Bewegungen weithin fort. Schwingungen, die Anfangs ganz lokal scheinen, wirken auf die ganze flüssige Masse im Stamm und den vielen Verzweigungen desselben.
Ich weiß wohl, daß, vergleicht man den heutigen Zustand der Stromschnellen bei Syene, deren einzelne Staffeln kaum sechs Zoll hoch sind,(33) mit den großartigen Beschreibungen der Alten, man leicht geneigt ist, im Nilbett die Wirkungen der Auswaschungen, überhaupt die gewaltigen Einflüsse des strömenden Wassers zu erblicken, aus denen man in der Geologie lange die Bildung der Thäler und die Zerrissenheit des Bodens in den Cordilleren befriedigend erklären zu können meinte. Diese Ansicht wird durch den Augenschein keineswegs unterstützt. Wir stellen nicht in Abrede, daß die Ströme, überhaupt fließende Wasser, wo sie in zerreibliches Gestein, in secundäre Gebirgsformationen einschneiden, bedeutende Wirkungen ausüben. Aber die Granitfelsen bei Elephantine haben wahrscheinlich seit Tausenden von Jahren an absoluter Höhe so wenig abgenommen, als der Gipfel des Montblanc und des Canigou. Hat man die großen Naturscenerien in verschiedenen Klimaten selbst gesehen, so sieht man sich zu der Anschauung gedrängt, daß jene tiefen Spalten, jene hoch aufgerichteten Schichten, jene zerstreuten Blöcke, all die Spuren einer allgemeinen Umwälzung Wirkungen außergewöhnlicher Ursachen sind, die mit denen, welche im gegenwärtigen Zustand der Ruhe und des Friedens an der Erdoberfläche thätig sind, nichts gemein haben. Was das Wasser durch Auswaschung vom Granit wegführt, was die feuchte Luft am harten, nicht verwitterten Gestein zerstört, entzieht sich unsern Sinnen fast ganz, und ich kann nicht glauben, daß, wie manche Geologen annehmen, die Gipfel der Alpen und der Pyrenäen niedriger werden, weil die Geschiebe sich in den Gründen am Fuße der Gebirge aufhäufen. Im Nil wie im Orinoco können die Stromschnellen einen geringeren Fall bekommen, ohne daß die Felsdämme merkbar anders werden. Die relative Höhe der Fälle kann durch die Anschwemmungen, die sich unterhalb der Stromschnellen bilden, abnehmen.
Wenn auch diese Betrachtungen einiges Licht über die anziehende Erscheinung der Katarakten verbreiten, so sind damit die übertriebenen Beschreibungen der Stromschnellen bei Syene, welche von den Alten(34) auf uns gekommen, allerdings nicht begreiflich zu machen. Sollten sie aber nicht vielleicht auf diesen untern Wasserfall übertragen haben, was sie vom Hörensagen von den obern Fällen des Flusses in Nubien und Dongola wußten, die zahlreicher und gefährlicher sind?(35) Syene lag an der Grenze des römischen Reichs,(36) fast an der Grenze der bekannten Welt, und im Raume, wie in den Schöpfungen des menschlichen Geistes fangen die phantastischen Vorstellungen an, wo die klaren Begriffe aufhören.
Die Einwohner von Atures und Maypures werden, was auch die Missionäre in ihren Schriften sagen mögen, vom Tosen der großen Katarakte so wenig taub als die Catadupen am Nil. Hört man das Getöse auf der Ebene bei der Mission, eine starke Meile weit, so glaubt man in der Nähe einer felsigten Meeresküste mit starker Brandung zu seyn. Es ist bei Nacht dreimal stärker als bei Tag und gibt dem einsamen Ort unaussprechlichen Reiz. Woher mag wohl diese Verstärkung des Schalls in einer Einöde rühren, wo sonst nichts. das Schweigen der Natur zu unterbrechen scheint? Die Geschwindigkeit der Fortpflanzung des Schalls nimmt mit der Abnahme der Temperatur nicht zu, sondern vielmehr ab. Der Schall wird schwächer, wenn ein der Richtung desselben entgegengesetzter Wind weht, ferner durch Verdünnung der Luft; der Schall ist schwächer in hohen Luftregionen als in tiefen, wo die Zahl der erschütterten Lufttheilchen in jedem Strahl größer ist. Die Stärke desselben ist in trockener und in mit Wasserdunst vermengter Luft gleich groß, aber in kohlensaurem Gas ist sie geringer als in Gemengen von Stickstoff und Sauerstoff. Nach diesen Erfahrungssätzen (und es sind die einzigen einigermaßen zuverläßigen) hält es schwer, eine Erscheinung zu erklären, die man bei jedem Wasserfall in Europa beobachtet, und die lange vor unserer Ankunft im Dorfe Atures Missionären und Indianern aufgefallen war. Bei Nacht ist die Temperatur der Luft um drei Grad niedriger als bei Tage; zugleich nimmt die merkbare Feuchtigkeit bei Nacht zu und der Nebel, der auf den Katarakten liegt, wird dichter. Wir haben aber eben gesehen, daß der hygroscopische Zustand der Luft aus die Fortpflanzung des Schalls keinen Einfluß hat, und daß die Abkühlung der Luft die Geschwindigkeit vermindert.
Man könnte meinen, auch an Orten, wo keine Menschen leben, bringe am Tag das Sumsen der Insekten, der Gesang der Vögel, das Rauschen des Laubs beim leisesten Luftzug ein verworrenes Getöne hervor, das wir um so weniger wahrnehmen, da es sich immer gleich bleibt und es fortwährend zu unserem Ohre dringt. Dieses Getöse, so unmerklich es seyn mag, kann nun allerdings einen stärkeren Schall schwächen, und diese Schwächung kann wegfallen, wenn in der Stille der Nacht der Gesang der Vögel, das Sumsen der Insekten und die Wirkung des Windes auf das Laub aufhören. Wäre aber diese Folgerung auch richtig, so findet sie keine Anwendung auf die Wälder am Orinoco, wo die Luft fortwährend von zahllosen Moskitoschwärmen erfüllt ist, wo das Gesumse der Insekten bei Nacht weit stärker ist als bei Tag, wo der Wind, wenn er je weht, sich erst, nach Sonnenuntergang aufmacht.
Ich bin vielmehr der Ansicht, daß, so lange die Sonne am Himmel steht, der Schall sich langsamer fortpflanzt und geschwächt wird, weil die Luftströme von verschiedener Dichtigkeit, die theilweisen Schwingungen der Atmosphäre in Folge der ungleichen Erwärmung der verschiedenen Bodenstücke, Hindernisse bilden. In ruhiger Luft, sey sie nun trocken oder mit gleichförmig vertheilten Dunstbläschen erfüllt, pflanzt sich die Schallwelle ungehindert fort; wird aber die Luft nach allen Richtungen von kleinen Strömen wärmerer Luft durchzogen, so theilt sich die Welle da, wo die Dichtigkeit des Mittels rasch wechselt, in zwei Wellen; es bilden sich lokale Echos, die den Schall schwächen, weil eine der Wellen zurückläuft: es tritt die Theilung der Wellen ein, deren Theorie in jüngster Zeit von POISSON so scharfsinnig entwickelt worden ist. Nach unserer Anschauung wird daher die Fortpflanzung der Schallwellen nicht dadurch gehemmt, daß durch die Ortsveränderung der im Luftstrome von unten nach oben aufsteigenden Lufttheilchen, durch die kleinen schiefen Strömungen ein Stoß ausgeübt würde. Ein Stoß auf die Oberfläche einer Flüssigkeit bringt Kreise um den Mittelpunkt der Erschütterung hervor, selbst wenn die Flüssigkeit in Bewegung ist. Mehrere Arten von Wellen können sich im Wasser wie in der Luft kreuzen, ohne sich in ihrer Fortpflanzung zu stören; kleine Bewegungen schieben sich übereinander, und die wahre Ursache der geringeren Stärke des Schalls bei Tag scheint der zu seyn, daß das elastische Mittel dann nicht homogen ist. Bei Tag ändert sich die Dichtigkeit rasch überall, wo kleine Luftzüge von hoher Temperatur über ungleich erwärmten Bodenstücken aussteigen. Die Schallwellen theilen sich, wie die Lichtstrahlen sich brechen, und überall, wo Luftschichten von verschiedener Dichtigkeit sich berühren, tritt *Spiegelung* ein. Der Schall pflanzt sich langsamer fort, wenn man in einer am einen Ende geschlossenen Röhre eine Schicht Wasserstoffgas über eine Schicht atmosphärischer Luft aufsteigen läßt, und BIOT erklärt den Umstand, daß ein Glas mit Champagner nicht hell klingt, so lange er perlt und die Luftblasen im Wein aufsteigen, sehr gut eben daraus, daß die Bläschen von kohlensaurem Gas die Flüssigkeit ungleichförmig machen.
Für diese Ansichten könnte ich mich fast auf die Autorität eines Philosophen berufen, den die Physiker noch immer sehr geringschätzig behandeln, während die ausgezeichnetsten Zoologen seinem Scharfsinn als Beobachter längst volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. »Warum,« sagt ARISTOTELES in seiner merkwürdigen Schrift von den Problemen, »hört man bei Nacht Alles besser als bei Tag? Weil Alles bei Nacht regungsloser ist, da die Wärme fehlt. Dadurch wird überhaupt Alles ruhiger, denn die Sonne ist es, die Alles bewegt.«(37) Sicher schwebte Aristoteles die wahre Ursache der Erscheinung als unbestimmte Ahnung vor; er schreibt aber die Bewegung der Luft dem Stoß der kleinsten Theilchen derselben zu, was vielmehr dem raschen Wechsel der Dichtigkeit in sich berührenden Luftschichten zuzuschreiben seyn möchte.
Am 16. April gegen Abend erhielten wir Nachricht, unsere Pirogue sey in weniger als sechs Stunden über die Stromschnellen geschafft worden und liege wohlbehalten in einer Bucht, *Puerto de ariba*, *der obere Hafen*, genannt. »Eure Pirogue wird nicht in Stücken gehen, weil ihr kein Kaufmannsgut führt und der Mönch aus den Raudales mit euch reist,« so hatte im Lager von Pararuma ein kleiner brauner Mann, in dem wir an der Mundart den Catalonier erkannten, boshaft gegen uns geäußert. Es war ein Schildkrötenölhändler, der mit den Indianern in den Missionen in Verkehr und eben kein Freund der Missionare war. »Die Fahrzeuge, die leicht zerbrechen,« fuhr er fort, »sind die der *Catalonier*, die mit einem Licenzschein vom Statthalter von Guyana, nicht aber mit der Genehmigung des Präsidenten der Missionen jenseits Atures und Maypures Handel treiben wollen. Man läßt unsere Piroguen in den Raudales, die der Schlüssel sind zu den Missionen am obern Orinoco, am Cassiquiare und Rio Negro, zu Schanden gehen; man schafft uns dann durch die Indianer in Atures nach Carichana zurück und zwingt uns unsere Handelsspeculationen aufzugeben.« Als unpartheiischer Geschichtschreiber der von mir bereisten Länder kann ich einer solchen, wohl etwas leichtfertig ausgesprochenen Meinung nicht beitreten. Der gegenwärtige Missionar bei den Raudales ist nicht der Mann, die Plackereien, über welche die catalonischen Krämer klagen, sich zu Schulden kommen zu lassen; man fragt sich aber, weßhalb das Regiment in den Missionen sogar in den spanischen Colonien so gründlich verhaßt ist? Verläumdete man nur reiche Leute, so waren die Missionare am obern Orinoco vor dergleichen boshaften Angriffen sicher. Sie besitzen kein Pferd, keine Ziege, kaum eine Kuh, während ihre Ordensbrüder, die Kapuziner in den Missionen am Carony, Heerden von 40000 Stücken besitzen. Der Groll der arbeitenden Classen unter den Colonisten gilt also nicht dem Wohlstand der Observanten, sondern ihrem Prohibitivsystem, ihren beharrlichen Bemühungen, ihr Gebiet gegen die Weißen abzusperren, den Hindernissen, die sie dem Austausch der Produkte in den Weg legen. Aller Orten empört sich das Volk gegen Monopole, nicht allein wenn sie auf den Handel und die materiellen Lebensbedürfnisse Einfluß äußern, sondern auch wenn sich ein Stand oder eine Schichte der Gesellschaft das Recht anmaßt, allein die Jugend zu erziehen oder die Wilden in der Zucht zu halten, um nicht zu sagen zu civilisiren.
Man zeigte uns in der kleinen Kirche von Atures einige Ueberbleibsel vom einstigen Wohlstand der Jesuiten. Eine silberne Lampe von ansehnlichem Gewicht lag, halb im Sand begraben, am Boden. Ein Gegenstand der Art würde allerdings nirgends die Habsucht des Wilden reizen; ich muß aber hier zur Ehre der Eingeborenen am Orinoco erwähnen, daß sie keine Diebe sind, wie die lange nicht so rohen Bewohner der Südseeinseln. Jene haben große Achtung vor dem Eigenthum; sie suchen nicht einmal Eßwaaren, Fischangeln und Aexte zu entwenden. In Maypures und Atures weiß man nichts von Schlössern an den Thüren; sie werden eingeführt werden, sobald Weiße und Mischlinge sich in den Missionen niederlassen.
Die Indianer in Atures sind gutmüthig, leidenschaftslos, Dank ihrer Trägheit an die größten Entbehrungen gewöhnt Die Jesuiten früher trieben sie zur Arbeit an, und da fehlte es ihnen nie an Lebensunterhalt. Die Patres bauten Mais, Bohnen und andere europäische Gemüse; sie pflanzten um das Dorf her sogar süße Orangen und Tamarinden, sie besaßen in den Grasfluren von Atures und Carichana zwanzig bis dreißigtausend Pferde und Stücke Rindvieh. Sie hielten für die Heerden eine Menge Sklaven und Knechte (peones). Gegenwärtig wird nichts gebaut als etwas Manioc und Bananen. Und doch ist der Boden so fruchtbar, daß ich in Atures an einem einzigen Pisangbüschel 108 Früchte zählte, deren 4--5 fast zur täglichen Nahrung eines Menschen hinreichen. Der Maisbau wird gänzlich vernachläßigt, Rosse und Kühe sind verschwunden. Ein Uferstrich am Raudal heißt noch *Passo del ganado* (Viehfurth), während die Nachkommen der Indianer, mit denen die Jesuiten die Mission gegründet, vom Hornvieh wie von einer ausgestorbenen Thiergattung sprechen. Auf unserer Fahrt den Orinoco hinauf San Carlos am Rio Negro zu sahen wir in Carichana die letzte Kuh. Die Patres Observanten, welche gegenwärtig diese weiten Landstriche unter sich haben, kamen nicht unmittelbar auf die Jesuiten. Während eines achtzehnjährigen Interregnums wurden die Missionen nur von Zeit zu Zeit besucht, und zwar von Kapuzinern. Unter dem Namen königlicher Commissäre verwalteten weltliche Regierungsbeamte die Hatos oder Höfe der Jesuiten, aber schändlich liederlich. Man stach das Vieh, um die Häute zu verkaufen, viele jüngere Thiere wurden von den Tigern gefressen, noch viel mehr gingen an den Bissen der Fledermäuse zu Grunde, die an den Katarakten kleiner sind, aber kecker als in den Llanos. Zur Zeit der Grenzexpedition wurden Pferde von Encaramada, Carichana und Atures bis San Jose de Maravitanos am Rio Negro ausgeführt, weil die Portugiesen dort Pferde, und noch dazu geringe, nur aus weiter Ferne auf dem Amazonenstrom und dem Gran-Para beziehen konnten. Seit dem Jahr 1795 ist das Vieh der Jesuiten gänzlich verschwunden; als einziges Wahrzeichen des früheren Anbaus dieser Länder und der wirthschaftlichen Thätigkeit der ersten Missionare sieht man in den Savanen hie und da mitten unter wilden Bäumen einen Orangen- oder Tamarindenstamm.
Die Tiger oder Jaguars, die den Heerden weniger gefährlich sind als die Fledermäuse, kommen sogar ins Dorf herein und fressen den armen Indianern die Schweine. Der Missionär erzählte uns ein auffallendes Beispiel von der Zuthulichkeit dieser sonst so wilden Thiere. Einige Monate vor unserer Ankunft hatte ein Jaguar, den man für ein junges Thier hielt, obgleich er groß war, ein Kind verwundet, mit dem er spielte; der Ausdruck mag sonderbar scheinen, aber ich brauche ihn ohne Bedenken, da ich an Ort und Stelle Thatsachen kennen lernen konnte, die für die Sittengeschichte der Thiere nicht ohne Bedeutung sind. Zwei indianische Kinder von acht bis neun Jahren, ein Knabe und ein Mädchen, saßen bei Atures mitten in einer Savane, über die wir oft gegangen, im Gras. Es war zwei Uhr Nachmittags, da kommt ein Jaguar aus dem Wald und auf die Kinder zu, die er springend umkreist; bald versteckt er sich im hohen Gras, bald macht er mit gekrümmtem Rücken und gesenktem Kopf einen Sprung, gerade wie unsere Katzen. Der kleine Junge ahnt nicht, in welcher Gefahr er schwebt, und wird sie erst inne, als der Jaguar ihn mit der Tatze auf den Kopf schlägt. Erst schlägt er sachte, dann immer stärker; die Krallen verwunden das Kind und es blutet stark. Da nimmt das kleine Mädchen einen Baumzweig, schlägt das Thier, und dieses läuft vor ihr davon. Auf das Schreien der Kinder kommen die Indianer herbeigelaufen und sehen den Jaguar, der sichtbar an keine Gegenwehr dachte, in Sprüngen sich davon machen.
Man führte uns den Jungen vor, der lebendig und gescheit aussah. Die Kralle des Jaguars hatte ihm unten ander Stirne die Haut abgestreift, und eine zweite Narbe hatte er oben auf dem Kopf. Woher nun auf einmal diese muntere Laune bei einem Thiere, das in unsern Menagerien nicht schwer zu zähmen, aber im Stand der Freiheit immer wild und grausam ist? Nimmt man auch an, der Jaguar habe, sicher seiner Beute, mit dem kleinen Indianer gespielt, wie unsere Katzen mit Vögeln mit beschnittenen Flügeln spielen, wie soll man es sich erklären, daß ein großer Jaguar so duldsam ist, daß er vor einem kleinen Mädchen davonläuft? Trieb den Jaguar der Hunger nicht her, warum kam er auf die Kinder zu? In der Zuneigung und im Haß der Thiere ist manches Geheimnißvolle. Wir haben gesehen, wie Löwen drei, vier Hunde, die man in ihren Käfigt setzte, umbrachten und einen fünften, der weniger furchtsam den König der Thiere an der Mähne packte, vom ersten Augenblick an liebkoste. Das sind eben Aeußerungen jenes Instinkts, der dem Menschen ein Räthsel ist. Es ist als ob der Schwache desto mehr für sich einnähme, je zutraulicher er ist.
Eben war von zahmen Schweinen die Rede, die von den Jaguars angefallen werden. Außer den gemeinen Schweinen von europäischer Race gibt es in diesen Ländern verschiedene Arten von Pecaris mit Drüsen an den Leisten, von denen nur zwei den europäischen Zoologen bekannt sind. Die Indianer nennen den kleinen Pecari (Dicoteles torquatus) auf Maypurisch Chacharo; Apida aber heißt bei ihnen ein Schwein, das keinen Beutel haben soll und größer, schwarzbraun und am Unterkiefer und den Bauch entlang weiß ist. Der Chacharo, den man im Hause aufzieht, wird so zahm wie unsere Schafe und Rehe. Sein sanftes Wesen erinnert an die anatomisch nachgewiesene interessante Aehnlichkeit zwischen dem Bau der Pecaris und dem der Wiederkäuer. Der Apida, der ein Hausthier wird wie unsere Schweine, zieht in Rudeln von mehreren hundert Stücken. Man hört es schon von weitem, wenn solche Rudel herbeikommen, nicht nur an den dumpfen, rauhen Lauten, die sie von sich geben, sondern noch mehr, weil sie ungestüm das Gebüsch auf ihrem Wege zerknicken. Bonpland rief einmal beim Botanisiren sein indianischer Führer zu, er solle sich hinter einen Baum verstecken, und da sah er denn diese Pecaris (cochinos oder puercos del monte) ganz nahe an sich vorüberkommen. Der Rudel zog in dicht gedrängten Reihen, die männlichen Thiere voran, jedes Mutterschwein mit seinen Jungen hinter sich. Die Chacharos haben ein weichliches, nicht sehr angenehmes Fleisch; sie werden übrigens von den Indianern stark gegessen, die sie mit kleinen an Stricke gebundenen Spießen erlegen. Man versicherte uns in Atures, der Tiger fürchte sich im Walde unter einen solchen Rudel von Wildschweinen zu gerathen, und suche sich, um nicht erdrückt zu werden, auf einen Baum zu flüchten. Ist das nun eine Jägergeschichte oder eine wirkliche Beobachtung? Wir werden bald sehen, daß in manchen Ländern von Amerika die Jäger an die Existenz eines 'Javali' oder einheimischen Ebers mit nach außen gekrümmten Hauern(38) glauben. Ich habe nie einen gesehen, die amerikanischen Missionäre führen ihn aber in ihren Schriften auf, und diese von unsern Zoologen zu wenig beachtete Quelle enthält neben den plumpsten Uebertreibungen sehr interessante lokale Beobachtungen.
Unter den Affen, die wir in der Mission Atures zu sehen bekamen, fanden wir eine neue Art aus der Sippe der *Saïs* oder *Sajous*, von den Hispano-Amerikanern gewöhnlich 'Machis' genannt. Es ist dieß der *Ouavapavi* [Simia albifrons, HUMBOLDT.] mit grauem Pelz und bläulichem Gesicht. Augenränder und Stirne sind schneeweiß, und dadurch unterscheidet er sich auf den ersten Blick von der Simia capucina, der Simia apella, Simia trepida und den andern Winselaffen, in deren Beschreibung bis jetzt so große Verwirrung herrscht. Das kleine Thier ist so sanftmüthig als häßlich. Jeden Tag sprang es im Hofe der Mission auf ein Schwein und blieb auf demselben von Morgen bis Abend sitzen, während es auf den Grasfluren umherlief. Wir sahen es auch auf dem Rücken einer großen Katze, die mit ihm im Hause des Pater Zea aufgezogen worden war.
In den Katarakten hörten wir auch zum erstenmal von dem behaarten Waldmenschen, dem sogenannten *Salvaje* sprechen, der Weiber entführt, Hütten baut und zuweilen Menschenfleisch frißt. Die Tamanacas nennen ihn Achi, die Maypures Vasitri oder den großen Teufel. Die Eingeborenen und die Missionäre zweifeln nicht an der Existenz dieses menschenähnlichen Affen, vor dem sie sich sehr fürchten. Pater GILI erzählt in vollem Ernst eine Geschichte von einer Dame aus der Stadt San Carlos, welche dem Waldmenschen wegen seiner Gutmüthigkeit und Zuvorkommenheit das beste Zeugniß gab. Sie lebte mehrere Jahre sehr gut mit ihm und ließ sich von Jägern nur deßhalb wieder in den Schooß ihrer Familie bringen, »weil sie, nebst ihren Kindern (die auch etwas behaart waren), der Kirche und der heiligen Sacramente nicht langer entbehren mochte.« Bei aller Leichtgläubigkeit gesteht dieser Schriftsteller, er habe keinen Indianer auftreiben können, der ausdrücklich gesagt hätte, er habe den *Salvaje* mit eigenen Augen gesehen. Dieses Mährchen, das ohne Zweifel von den Missionären, den spanischen Colonisten und den Negern aus Afrika mit verschiedenen Zügen aus der Sittengeschichte des Orangoutang, Gibbon, Joko oder Chimpanse und Pongo ausstaffirt worden ist, hat uns fünf Jahre lang in der nördlichen wie in der südlichen Halbkugel verfolgt, und überall, selbst in den gebildetsten Kreisen, nahm man es übel, daß wir allein uns herausnahmen, daran zu zweifeln, daß es in Amerika einen großen menschenähnlichen Affen gebe. Wir bemerken zunächst, daß in gewissen Gegenden dieser Glaube besonders stark unter dem Volk verbreitet ist, so namentlich am obern Orinoco, im Thale Upar beim See Maracaybo, in den Bergen von Santa Martha und Merida, im Distrikt von Quixos und am. Amazonenstrom bei Tomependa. An allen diesen, soweit auseinander gelegenen Orten kann man hören, den Salvaje erkenne man leicht an seinen Fußstapfen, denn die Zehen seyen nach hinten gekehrt. Gibt es aber auf dem neuen Continent einen Affen von ansehnlicher Größe, wie kommt es, daß sich seit dreihundert Jahren kein glaubwürdiger Mann das Fell desselben hat verschaffen können? Was zu einem so alten Irrthum oder Glauben Anlaß gegeben haben mag, darüber lassen sich mehrere Vermuthungen aufstellen. Sollte der vielberufene Kapuzineraffe von Esmeralda [Simia chiropotes], dessen Hundszähne über sechs und eine halbe Linie lang sind, der ein viel menschenähnlicheres Gesicht hat als der Orangoutang,(39) der sich den Bart mit der Hand streicht, wenn man ihn reizt, das Mährchen vom Salvaje veranlaßt haben? Allerdings ist er nicht so groß als der Coaïta (Simia paniscus); wenn man ihn aber oben auf einem Baum und nur den Kopf von ihm sieht, könnte man ihn leicht für ein menschliches Wesen halten. Es wäre auch möglich (und dieß scheint mir das wahrscheinlichste), daß der Waldmensch einer der großen Bären ist, deren Fußspur der menschlichen ähnlich ist und von denen man in allen Ländern glaubt, daß sie Weiber anfallen. Das Thier, das zu meiner Zeit am Fuß der Berge von Merida geschossen und als ein *Salvaje* dem Obristen Ungaro, Statthalter der Provinz Varinas, geschickt wurde, war auch wirklich nichts als ein Bär mit schwarzem, glänzendem Pelz. Unser Reisegefährte Don Nicolas Sotto hat denselben näher untersucht. Die seltsame Vorstellung von einem Sohlengänger, bei dem die Zehen so stehen, als ob er rückwärts ginge, sollte sie etwa daher rühren, daß die wahren wilden Waldmenschen, die schwächsten, furchtsamsten Indianerstämme, den Brauch haben, wenn sie in den Wald oder über einen Uferstrich ziehen, ihre Feinde dadurch irre zu machen, daß sie ihre Fußstapfen mit Sand bedecken oder rückwärts gehen?
Ich habe angegeben, weßhalb zu bezweifeln ist, daß es eine unbekannte große Affenart auf einem Continente gibt, wo gar keine Vierhänder aus der Familie der Orangs, Cynocephali, Mandrils und Pongos vorzukommen scheinen. Es ist aber nicht zu vergessen, daß jeder, auch der abgeschmackteste Volksglaube auf wirklichen, nur unrichtig aufgefaßten Naturverhältnissen beruht. Wendet man sich von dergleichen Dingen mit Geringschätzung ab, so kann man, in der Physik wie in der Physiologie, leicht die Fährte einer Entdeckung verlieren. Wir erklären daher auch keineswegs mit einem spanischen Schriftsteller das Mährchen vom Waldmenschen für eine pfiffige Erfindung der indianischen Weiber, die entführt worden seyn wollen, wenn sie hinter ihren Männern lange ausgeblieben sind; vielmehr fordern wir die Reisenden, die nach uns an den Orinoco kommen, auf, unsere Untersuchungen hinsichtlich des Salvaje oder großen Waldteufels wieder aufzunehmen und zu ermitteln, ob eine unbekannte Bärenart oder ein sehr seltener, der Simia chiropotes oder Simia Satanas ähnlicher Affe so seltsame Mährchen veranlaßt haben mag.
Nach zweitägigem Aufenthalt am Katarakt von Atures waren wir sehr froh, unsere Pirogue wieder laden und einen Ort verlassen zu können, wo der Thermometer bei Tage meist auf 29, bei Nacht auf 26 Grad stand. Nach der Hitze, die uns drückte, kam uns die Temperatur noch weit höher vor. Wenn die Angabe des Instruments und die Empfindung so wenig übereinstimmten, so rührte dieß vom beständigen Hautreiz durch die Moskitos her. Eine von giftigen Insekten wimmelnde Luft kommt einem immer weit heißer vor, als sie wirklich ist. Das Saussuresche Hygrometer -- im Schatten beobachtet, wie immer -- zeigte bei Tag, im Minimum (um drei Uhr Nachmittags), 78°2; bei Nacht, im Maximum, 81°5. Diese Feuchtigkeit ist um 5 Grad geringer als die mittlere Feuchtigkeit an der Küste von Cumana, aber um 10 Grad stärker als die mittlere Feuchtigkeit in den Llanos oder baumlosen Ebenen. Die Wasserfälle und die dichten Wälder steigern die Menge des in der Luft enthaltenen Wasserdampfes. Den Tag über wurden wir von den Moskitos und den *Jejen*, kleinen giftigen Mücken aus der Gattung Simulium furchtbar geplagt, bei Nacht von den *Zancudos*, einer großen Schnakenart, vor denen sich selbst die Eingeborenen fürchten. Unsere Hände fingen an stark zu schwellen und die Geschwulst nahm täglich zu, bis wir an die Ufer des Temi kamen. Die Mittel, durch die man die kleinen Thiere los zu werden sucht, sind sehr merkwürdig. Der gute Missionar Bernardo Zea, der sein Leben unter den Qualen der Moskitos zubringt, hatte sich neben der Kirche auf einem Gerüste von Palmstämmen ein kleines Zimmer gebaut, in dem man freier athmete. Abends stiegen wir mit einer Leiter in dasselbe hinauf, um unsere Pflanzen zu trocknen und unser Tagebuch zu schreiben. Der Missionär hatte die richtige Beobachtung gemacht, daß die Insekten in der tiefsten Luftschicht am Boden, 15--20 Fuß hoch, am häufigsten sind. In Maypures gehen die Indianer bei Nacht aus dem Dorf und schlafen auf kleinen Inseln mitten in den Wasserfällen. Sie finden dort einige Ruhe, da die Moskitos eine mit Wasserdunst beladene Luft zu fliehen scheinen. Ueberall fanden wir ihrer mitten im Strom weniger als an den Seiten; man hat daher auch weniger zu leiden, wenn man den Orinoco hinab, als wenn man aufwärts fährt.
Wer die großen Ströme des tropischen Amerika, wie den Orinoco oder den Magdalenenfluß nicht befahren hat, kann nicht begreifen, wie man ohne Unterlaß, jeden Augenblick im Leben von den Insekten, die in der Luft schweben, gepeinigt werden, wie die Unzahl dieser kleinen Thiere weite Landstrecken fast unbewohnbar machen kann. So sehr man auch gewöhnt seyn mag, den Schmerz ohne Klage zu ertragen, so lebhaft einen auch der Gegenstand, den man eben beobachtet, beschäftigen mag, unvermeidlich wird man immer wieder davon abgezogen, wenn *Moskitos*, *Zancudos*, *Jejen* und *Tempraneros* einem Hände und Gesicht bedecken, einen mit ihrem Saugrüssel, der in einen Stachel ausläuft, durch die Kleider durch stechen, und in Nase und Mund kriechen, so daß man husten und nießen muß, sobald man in freier Luft spricht. In den Missionen am Orinoco, in diesen von unermeßlichen Wäldern umgebenen Dörfern am Stromufer, ist aber auch die plaga de los moscos ein unerschöpflicher Stoff der Unterhaltung. Begegnen sich Morgens zwei Leute, so sind ihre ersten Fragen: »Que le han parecido los zancudos de noche? Wie haben Sie die Zancudos heute Nacht gefunden?« -- »Como stamos hoy de mosquitos? Wie steht es heute mit den Moskitos?« Diese Fragen erinnern an eine chinesische Höflichkeitsformel, die auf den ehemaligen wilden Zustand des Landes, in dem sie entstanden seyn mag, zurückweist. Man begrüßte sich früher im himmlischen Reich mit den Worten: Vou-to-hou? seyd ihr diese Nacht von Schlangen beunruhigt worden?« Wir werden bald sehen, daß am Tuamini, auf dem Magdalenenstrom, besonders aber in Choco, im Gold- und Platinaland, neben dem Moskitoscompliment auch das chinesische Schlangencompliment am Platze wäre.
Es ist hier der Ort, von der *geographischen Vertheilung* dieser Insekten aus der Familie der *Tipu1ae* zu sprechen, die ganz merkwürdige Erscheinungen darbietet. Dieselbe scheint keineswegs bloß von der Hitze, der großen Feuchtigkeit und den dichten Wäldern abzuhängen, sondern auch von schwer zu ermittelnden örtlichen Verhältnissen. Vorab ist zu bemerken, daß die Plage der Moskitos und Zancudos in der heißen Zone nicht so allgemein ist, als man gemeiniglich glaubt. Auf Hochebenen mehr als 400 Toisen über dem Meeresspiegel; in sehr trockenen Niederungen weit von den großen Strömen, z. B. in Cumana und Calabozo, gibt es nicht auffallend mehr Schnaken als in dem am stärksten bevölkerten Theile Europas. In Nueva Barcelona dagegen und weiter westwärts an der Küste, die gegen Cap Codera läuft, nehmen sie ungeheuer zu. Zwischen dem kleinen Hafen von Higuerote und der Mündung des Rio Unare haben die unglücklichen Einwohner den Brauch, sich bei Nacht auf die Erde zu legen und sich drei, vier Zoll tief in den Sand zu begraben, so daß nur der Kopf frei bleibt, den sie mit einem Tuch bedecken. Man leidet vom Insektenstich, doch so, daß es leicht zu ertragen ist, wenn man den Orinoco von Cabruta gegen Angostura hinunter und von Cabruta gegen Uruana hinauffährt, zwischen dem siebenten und achten Grad der Breite. Aber über dem Einfluß des Rio Arauca, wenn man durch den Engpaß beim Baraguan kommt, wird es auf einmal anders, und von nun an findet der Reisende keine Ruhe mehr. Hat er poetische Stellen aus DANTE im Kopfe, so mag ihm zu Muthe seyn, als hätte er die 'Città dolente' betreten, als ständen an den Felswänden beim Baraguan die merkwürdigen Verse aus dem dritten Buch der Hölle geschrieben:
Noi sem venuti al luogo, ov'i't'ho detto Che tu vedrai le genti dolorose. [Inferno. C. III. 16.]
Die tiefen Luftschichten vom Boden bis zu 15--20 Fuß Höhe sind mit giftigen Insekten wie mit einem dichten Dunste angefüllt. Stellt man sich an einen dunkeln Ort, z. B. in die Höhlen, die in den Katarakten durch die aufgethürmten Granitblöcke gebildet werden, und blickt man gegen die von der Sonne beleuchtete Oeffnung, so sieht man Wolken von Moskitos, die mehr oder weniger dicht werden, je nachdem die Thierchen bei ihren langsamen und taktmäßigen Bewegungen sich zusammen- oder auseinanderziehen. In der Mission San Borja hat man schon mehr von den Moskitos zu leiden als in Carichana; aber in den Raudales, in Atures, besonders aber in Maypures erreicht die Plage so zu sagen ihr Maximum. Ich zweifle, daß es ein Land auf Erden gibt, wo der Mensch grausamere Qualen zu erdulden hat als hier in der Regenzeit. Kommt man über den fünften Breitegrad hinaus, wird man etwas weniger zerstochen, aber am obern Orinoco sind die Stiche schmerzlicher, weil bei der Hitze und der völligen Windstille die Luft glühender ist und die Haut, wo sie dieselbe berührt, mehr reizt.
»Wie gut muß im Mond wohnen seyn!« sagte ein Saliva-Indianer zu Pater Gumilla. »Er ist so schön und hell, daß es dort gewiß keine Moskitos gibt.« Diese Worte, die dem Kindesalter eines Volkes angehören, sind sehr merkwürdig. Ueberall ist der Trabant der Erde für den wilden Amerikaner der Wohnplatz der Seligen, das Land des Ueberflusses. Der Eskimo, für den eine Planke, ein Baumstamm, den die Strömung an eine pflanzenlose Küste geworfen, ein Schatz ist, sieht im Monde waldbedeckte Ebenen; der Indianer in den Wäldern am Orinoco sieht darin kahle Savanen, deren Bewohner nie von Moskitos gestochen werden.
Weiterhin gegen Süd, wo das System der braungelben Gewässer beginnt, gemeinhin 'schwarze Wasser', aguas negras genannt, an den Ufern des Atabapo, Temi, Tuamini und des Rio Negro genossen wir einer Ruhe, ich hätte bald gesagt eines Glücks, wie wir es gar nicht erwartet hatten. Diese Flüsse laufen, wie der Orinoco, durch dichte Wälder; aber die Schnaken wie die Krokodile halten sich von den 'schwarzen Wassern' ferne. Kommen vielleicht die Larven und Nymphen der Tipulä und Schnaken, die man als eigentliche Wasserthiere betrachten kann, in diesen Gewässern, die ein wenig kühler sind als die weißen und sich chemisch anders verhalten, nicht so gut fort? Einige kleine Flüsse, deren Wasser entweder dunkelblau oder braungelb ist, der Toparo, Mataveni und Zama, machen eine Ausnahme von der sonst ziemlich allgemeinen Regel, daß es über 'schwarzem Wasser' keine Moskitos gibt. An jenen drei Flüssen wimmelt es davon, und selbst die Indianer machten uns auf die räthselhafte Erscheinung aufmerksam und ließen uns über deren Ursachen nachdenken. Beim Herabfahren auf dem Rio Negro athmeten wir frei in den Dörfern Maroa, Davipe und San Carlos an der brasilianischen Grenze; allein diese Erleichterung unserer Lage war von kurzer Dauer und unsere Leiden begannen von neuem, sobald wir in den Cassiquiare kamen. In Esmeralda, am östlichen Ende des obern Orinoco, wo die den Spaniern bekannte Welt ein Ende hat, sind die Moskitowolken fast so dick wie bei den großen Katarakten. In Mandavaca fanden wir einen alten Missionär, der mit jammervoller Miene gegen uns äußerte: *er habe seine zwanzig Moskitojahre auf dem Rücken* (ya tengo mis vento anos de mosquitos). Er forderte uns auf, seine Beine genau zu betrachten, damit wir eines Tags 'por alla' (über dem Meer) davon zu sagen wüßten, was die armen Missionäre in den Wäldern am Cassiquiare auszustehen haben. Da jeder Stich einen kleinen schwarzbraunen Punkt zurückläßt, waren seine Beine dergestalt gefleckt, daß man vor Flecken geronnenen Blutes kaum die weiße Haut sah. Auf dem Cassiquiare, der *weißes Wasser* hat, wimmelt es von Mücken aus der Gattung Simulium, aber die *Zancudos*, der Gattung Culex angehörig, sind desto seltener; man sieht fast keine, während auf den Flüssen mit schwarzem Wasser meist einige *Zancudos*, aber keine *Moskitos* vorkommen. Wir haben schon oben bemerkt, daß wenn bei den kleinen Revolutionen im Schooße des Ordens der Observanten der Pater Gardian sich an einem Laienbruder rächen will, er ihn nach Esmeralda schickt; er wird damit verbannt, oder, wie der muntere Ausdruck der Ordensleute lautet, *zu den Moskitos verurtheilt*.
Ich habe hier nach meinen eigenen Beobachtungen gezeigt, daß in diesem Labyrinth weißer und schwarzer Wasser die geographische Vertheilung der giftigen Insekten eine sehr ungleichförmige ist. Es wäre zu wünschen, daß ein tüchtiger Entomolog an Ort und Stelle die specifischen Unterschiede dieser bösartigen Insekten, die trotz ihrer Kleinheit in der heißen Zone eine bedeutende Rolle im Haushalt der Natur spielen, beobachten könnte. Sehr merkwürdig schien uns der Umstand, der auch allen Missionären wohl bekannt ist, daß die verschiedenen Arten nicht unter einander fliegen, und daß man zu verschiedenen Tagesstunden immer wieder von andern Arten gestochen wird. So oft die Scene wechselt, und ehe, nach dem naiven Ausdruck der Missionäre, andere Insekten »auf die Wache ziehen,« hat man ein paar Minuten, oft eine Viertelstunde Ruhe. Nach dem Abzug der einen Insekten sind die Nachfolger nicht sogleich in gleicher Menge zur Stelle. Von sechs ein halb Uhr Morgens bis fünf Uhr Abends wimmelt die Luft von Moskitos, die nicht, wie in manchen Reisebeschreibungen zu lesen ist, unsern Schnaken,(40) sondern vielmehr einer kleinen Mücke gleichen. Es sind dieß Arten der Gattung Simulium aus der Familie der Nemoceren nach LATREILLEs System. Ihr Stich hinterläßt einen kleinen braunrothen Punkt, weil da, wo der Rüssel die Haut durchbohrt hat, Blut ausgetreten und geronnen ist. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werden die Moskitos von einer kleinen Schnakenart abgelöst, 'Tempraneros'(41) genannt, weil sie sich auch bei Sonnenaufgang zeigen; sie bleiben kaum anderhalb Stunden und verschwinden zwischen sechs und sieben Uhr Abends, oder, wie man hier sagt, nach dem *Angelus* (a la oration). Nach einigen Minuten Ruhe fühlt man die Stiche der *Zancudos*, einer andern Schnakenart (Culex) mit sehr langen Füßen. Der Zancudo, dessen Rüssel eine stechende Saugröhre enthält, verursacht die heftigsten Schmerzen und die Geschwulst, die dem Stiche folgt, hält mehrere Wochen an; sein Sumsen gleicht dem unserer europäischen Schnaken, nur ist es stärker und anhaltender. Die Indianer wollen *Zancudos* und *Tempraneros* »am Gesang« unterscheiden können; letztere sind wahre Dämmerungsinsekten, während die Zancudos meist *Nachtinsekten* sind und mit Sonnenaufgang verschwinden.
Auf der Reise von Carthagena nach Santa Fe de Bogota machten wir die Beobachtung, daß zwischen Mompox und Honda im Thal des großen Magdalenenflusses die Zancudos zwischen acht Uhr Abends und Mitternacht die Luft verfinstern, gegen Mitternacht abnehmen, sich drei, vier Stunden lang verkriechen und endlich gegen vier Uhr Morgens in Menge und voll Heißhunger wieder erscheinen. Welches ist die Ursache dieses Wechsels von Bewegung und Ruhe? Werden die Thiere vom langen Fliegen müde? Am Orinoco sieht man bei Tag sehr selten wahre Schnaken, während man auf dem Magdalenenstrom Tag und Nacht von ihnen gestochen wird, nur nicht von Mittag bis zwei Uhr. Ohne Zweifel sind die Zancudos beider Flüsse verschiedene Arten; werden etwa die zusammengesetzten Augen der einen Art vom starken Sonnenlicht mehr angegriffen als die der andern?
Wir haben gesehen, daß die tropischen Insekten in den Zeitpunkten ihres Auftretens und Verschwindens überall einen gewissen Typus befolgen. In derselben Jahreszeit und unter derselben Breite erhält die Luft zu bestimmten, nie wechselnden Stunden immer wieder eine andere Bevölkerung; und in einem Erdstrich, wo der Barometer zu einer Uhr wird,(42) wo Alles mit so bewundernswürdiger Regelmäßigkeit auf einander folgt, könnte man beinahe am Sumsen der Insekten und an den Stichen, die je nach der Art des Giftes, das jedes Insekt in der Wunde zurückläßt, wieder anders schmerzen, Tag und Nacht mit verbundenen Augen errathen, welche Zeit es ist.
Zur Zeit, da die Thier- und Pflanzengeographie noch keine Wissenschaft war, warf man häufig verwandte Arten aus verschiedenen Himmelsstrichen zusammen. In Japan, auf dem Rücken der Anden und an der Magellanschen Meerenge glaubte man die Fichten und die Ranunkeln, die Hirsche, Ratten und Schnaken des nördlichen Europa wieder zu finden. Hochverdiente, berühmte Naturforscher glaubten, der Maringouin der heißen Zone sey die Schnake unserer Sümpfe, nur kräftiger, gefräßiger, schädlicher in Folge des heißen Klimas; dieß ist aber ein großer Irrthum. Ich habe die Zancudos, von denen man am ärgsten gequält wird, an Ort und Stelle sorgfältig untersucht und beschrieben. Im Magdalenenfluß und im Guayaquil gibt es allein fünf ganz verschiedene Arten.
Die *Culex*arten in Südamerika sind meist geflügelt, Bruststück und Füße sind blau, geringelt, mit metallisch glänzenden Flecken und daher schillernd. Hier, wie in Europa, sind die Männchen, die sich durch ihre gefiederten Fühlhörner auszeichnen, sehr selten; man wird fast immer nur von Weibchen gestochen. Aus dem großen Uebergewicht dieses Geschlechts erklärt sich die ungeheure Vermehrung der Art, da jedes Weibchen mehrere hundert Eier legt. Fährt man einen der großen amerikanischen Ströme hinauf, so bemerkt man, daß sich aus dem Auftreten einer neuen Culexart schließen läßt, daß bald wieder ein Nebenfluß hereinkommt. Ich führe ein Beispiel dieser merkwürdigen Erscheinung an. Den Culex lineatus dessen Heimath der Caño Tamalameque ist, trifft man im Thal des Magdalenenstroms nur bis auf eine Meile nördlich vom Zusammenfluß der beiden Gewässer an; derselbe geht den großen Strom hinauf, aber nicht hinab; in ähnlicher Weise verkündigt in einem Hauptgang das Auftreten einer neuen Substanz in der Gangmasse dem Bergmann die Nähe eines secundären Ganges, der sich mit jenem verbindet.
Fassen wir die hier mitgetheilten Beobachtungen zusammen, so sehen wir, daß unter den Tropen die Moskitos und Maringouins am Abhang der Cordilleren(43) nicht in die gemäßigte Region hinausgehen, wo die mittlere Temperatur weniger als 19--20 Grad beträgt;(44) daß sie mit wenigen Ausnahmen die *schwarzen Gewässer* und trockene, baumlose Landstriche meiden. Am obern Orinoco finden sie sich weit massenhafter als am untern, weil dort der Strom an seinen Ufern dicht bewaldet ist und kein weiter kahler Uferstrich zwischen dem Fluß und dem Waldsaum liegt. Mit dem Seichterwerden der Gewässer und der Ausrodung der Wälder nehmen die Moskitos auf dem neuen Continent ab; aber alle diese Momente sind in ihren Wirkungen so langsam als die Fortschritte des Anbaus. Die Städte Angostura, Nueva Barcelona und Mompox, wo schlechte Polizei auf den Straßen, den Plätzen und in den Höfen der Häuser das Buschwerk wuchern läßt, sind wegen der Menge ihrer Zancudos in trauriger Weise vielberufen.
Alle im Lande Geborenen, Weiße, Mulatten, Neger, Indianer, haben vom Insektenstich zu leiden; wie aber der Norden Europas trotz des Frostes nicht unbewohnbar ist, so hindern auch die Moskitos den Menschen nicht, sich in Ländern, welche stark davon heimgesucht sind, niederzulassen, wenn anders durch Lage und Regierungsweise die Verhältnisse für Handel und Gewerbfleiß günstiger sind. Die Leute klagen ihr Lebenlang de la plaga, del insufrible tormento de las moscas; aber trotz dieses beständigen Jammerns ziehen sie doch, und zwar mit einer gewissen Vorliebe, in die Handelsstädte Angostura, Santa Martha und Rio la Hacha. So sehr gewöhnt man sich an ein Uebel, das man zu jeder Tagesstunde zu erdulden hat, daß die drei Missionen San Borja, Atures und Esmeralda, wo es, nach dem hyperbolischen Ausdruck der Mönche, »mehr Mücken als Luft« gibt (mas moscas que ayre), unzweifelhaft blühende Städte würden, wenn der Orinoco den Colonisten zum Austausch der Produkte dieselben Vortheile gewährte, wie der Ohio und der untere Mississippi. Wo es sehr viele Insekten gibt, nimmt zwar die Bevölkerung langsamer zu, aber gänzlicher Stillstand tritt deßhalb doch nicht ein; die Weißen lassen sich aus diesem Grunde nur da nicht nieder, wo bei den commerciellen und politischen Verhältnissen des Landes kein erklecklicher Vortheil in Aussicht steht.
Ich habe anderswo in diesem Werke des merkwürdigen Umstandes Erwähnung gethan, daß die in der heißen Zone geborenen Weißen barfuß ungestraft in demselben Zimmer herumgehen, in dem ein frisch angekommener Europäer Gefahr läuft, *Niguas* oder *Chiques*, Sandflöhe (Pulex penetrans) zu bekommen. Diese kaum sichtbaren Thiere graben sich unter die Zehennägel ein und werden, bei der raschen Entwicklung der in einem eigenen Sack am Bauche des Insekts liegenden Eier, so groß wie eine kleine Erbse. Die *Nigua* unterscheidet also, was die feinste chemische Analyse nicht vermöchte, Zellgewebe und Blut eines Europäers von dem eines weißen Creolen. Anders bei den Stechfliegen. Trotz allem, was man darüber an den Küsten von Südamerika hört, fallen diese Insekten die Eingeborenen so gut an wie die Europäer; nur die Folgen des Stichs sind bei beiden Menschenracen verschieden. Dieselbe giftige Flüssigkeit, in die Haut eines kupferfarbigen Menschen von indianischer Race und eines frisch angekommenen Weißen gebracht, bringt beim ersteren keine Geschwulst hervor, beim letzteren dagegen harte, stark entzündete Beulen, die mehrere Tage schmerzen. So verschieden reagirt das Hautsystem, je nachdem die Organe bei dieser oder jener Race, bei diesem oder jenem Individuum mehr oder weniger reizbar sind.
Ich gebe hier mehrere Beobachtungen, aus denen klar hervorgeht, daß die Indianer, überhaupt alle Farbigen, so gut wie die Weißen Schmerz empfinden, wenn auch vielleicht in geringerem Grade. Bei Tage, selbst während des Ruderns, schlagen sich die Indianer beständig mit der flachen Hand heftig auf den Leib, um die Insekten zu verscheuchen. Im Schlaf schlagen sie, ungestüm in allen ihren Bewegungen, auf sich und ihre Schlafkameraden, wie es kommt. Bei ihren derben Hieben denkt man an das persische Mährchen vom Bären, der mit seiner Tatze die Fliegen auf der Stirne seines schlafenden Herrn todtschlägt. Bei Maypures sahen wir junge Indianer im Kreise sitzen und mit am Feuer getrockneter Baumrinde einander grausam den Rücken zerreiben. Mit einer Geduld, deren nur die kupfersarbige Race fähig ist, waren indianische Weiber beschäftigt, mit einem spitzen Knochen die kleine Masse geronnenen Bluts in der Mitte jeden Stichs, die der Haut ein geflecktes Aussehen gibt, auszustechen. Eines der barbarischsten Völker am Orinoco, die Ottomacas, kennt den Gebrauch der Mosquiteros (Fliegennetze), die aus den Fasern der Murichipalme gewoben werden. Wir haben oben gesehen, daß die Farbigen in Higuerote an der Küste von Caracas sich zum Schlafen in den Sand graben. In den Dörfern am Magdalenenfluß forderten uns die Indianer oft auf, uns mit ihnen bei der Kirche auf der *plaza grande* auf Ochsenhäute zu legen. Man hatte daselbst alles Vieh aus der Umgegend zusammen getrieben, denn in der Nähe desselben findet der Mensch ein wenig Ruhe. Wenn die Indianer am obern Orinoco und am Cassiquiare sahen, daß Bonpland wegen der unaufhörlichen Moskitoplage seine Pflanzen nicht einlegen konnte, forderten sie ihn auf, in ihre Hornitos (Oefen) zu gehen. So heißen kleine Gemächer ohne Thüre und Fenster, in die man durch eine ganz niedrige Oeffnung auf dem Bauche kriecht. Mittelst eines Feuers von feuchtem Strauchwerk, das viel Rauch gibt, jagt man die Insekten hinaus und verschließt dann die Oeffnung des Ofens. Daß man jetzt die Moskitos los ist, erkauft man ziemlich theuer; denn bei der stockenden Luft und dem Rauch einer Copalfackel, die den Ofen beleuchtet, wird es entsetzlich heiß darin. Bonpland hat mit einem Muth und einer Geduld, die das höchste Lob verdienen, viele hundert Pflanzen in diesen Hornitos der Indianer getrocknet.
Die Mühe, die sich die Eingebornen geben, um die Insektenplage zu lindern, beweist hinlänglich, daß der kupferfarbige Mensch, trotz der verschiedenen Organisation seiner Haut, für die Mückenstiche empfindlich ist, so gut wie der Weiße; aber, wir wiederholen es, beim ersteren scheint der Schmerz nicht so stark zu seyn und der Stich hat nicht die Geschwulst zur Folge, die mehrere Wochen lang fort und fort wiederkehrt, die Reizbarkeit der Haut steigert und empfindliche Personen in den fieberhaften Zustand versetzt, der allen Ausschlagskrankheiten eigen ist. Die im tropischen Amerika geborenen Weißen und die Europäer, die sehr lange in den Missionen in der Nähe der Wälder und an den großen Flüssen gelebt, haben weit mehr zu leiden als die Indianer, aber unendlich weniger als frisch angekommene Europäer. Es kommt also nicht, wie manche Reisende behaupten, auf die Dicke der Haut an, ob der Stich im Augenblick, wo man ihn erhält, mehr oder weniger schmerzt, und bei den Indianern tritt nicht deßhalb weniger Geschwulst und Entzündung ein, weil ihre Haut eigenthümlich organisirt ist; vielmehr hängen Grad und Dauer des Schmerzes von der Reizbarkeit des Nervensystems der Haut ab. Die Reizbarkeit wird gesteigert durch sehr warme Bekleidung, durch den Gebrauch geistiger Getränke, durch das Kratzen an den Stichwunden, endlich, und diese physiologische Bemerkung beruht auf meiner eigenen Erfahrung, durch zu häufiges Baden. An Orten, wo man in den Fluß kann, weil keine Krokodile darin sind, machten Bonpland und ich die Erfahrung, daß das Baden, wenn man es übertreibt, zwar den Schmerz der alten Schnakenstiche linderte, aber uns für neue Stiche weit empfindlicher machte. Badet man mehr als zweimal täglich, so versetzt man die Haut in einen Zustand nervöser Reizbarkeit, von dem man sich in Europa keinen Begriff machen kann. Es ist einem, als zöge sich alle Empfindung in die Hautdecken.
Da die Moskitos und die Schnaken zwei Dritttheile ihres Lebens im Wasser zubringen, so ist es nicht zu verwundern, daß in den von großen Flüssen durchzogenen Wäldern diese bösartigen Insekten, je weiter vom Ufer weg, desto seltener werden. Sie scheinen sich am liebsten an den Orten aufzuhalten, wo ihre Verwandlung vor sich gegangen ist und wo sie ihrerseits bald ihre Eier legen werden. Daher gewöhnen sich auch die wilden Indianer (Indios monteros) um so schwerer an das Leben in den Missionen, da sie in den christlichen Niederlassungen eine Plage auszustehen haben, von der sie daheim im innern Lande fast nichts wissen. Man sah in Maypures, Atures, Esmeralda Eingeborene al monte (in die Wälder) laufen, einzig aus Furcht vor den Moskitos. Leider sind gleich Anfangs alle Missionen am Orinoco zu nahe am Flusse angelegt worden. In Esmeralda versicherten uns die Einwohner, wenn man das Dorf auf eine der schönen Ebenen um die hohen Berge des Duida und Maraguaca verlegte, so könnten sie freier athmen und fänden einige Ruhe. La nube de moscos die Mückenwolke -- so sagen die Mönche -- schwebt nur über dem Orinoco und seinen Nebenflüssen; die Wolke zertheilt sich mehr und mehr, wenn man von den Flüssen weggeht, und man machte sich eine ganz falsche Vorstellung von Guyana und Brasilien, wenn man den großen, 400 Meilen breiten Wald zwischen den Quellen der Madeira und dem untern Orinoco nach den Flußthälern beurtheilte, die dadurch hinziehen.
Man sagte mir, die kleinen Insekten aus der Familie der Nemoceren wandern von Zeit zu Zeit, wie die gesellig lebenden Affen der Gruppe der Alouaten. Man sieht an gewissen Orten mit dem Eintritt der Regenzeit Arten erscheinen, deren Stich man bis dahin nicht empfunden. Auf dem Magdalenenfluß erfuhren wir, in Simiti habe man früher keine andere Culexart gekannt als den *Jejen*. Man hatte bei Nacht Ruhe, weil der Jejen kein Nachtinsekt ist. Seit dem Jahr 1801 aber ist die große Schnake mit blauen Flügeln (Culex cyanopterus) in solchen Massen erschienen, daß die armen Einwohner von Simiti nicht wissen, wie sie sich Nachtruhe verschaffen sollen. In den sumpfigten Kanälen (esteros) auf der Insel Baru bei Carthagena lebt eine kleine weißlichte Mücke, *Cafasi* genannt. Sie ist mit dem bloßen Auge kaum sichtbar und verursacht doch äußerst schmerzhafte Geschwülste. Man muß die *Toldos* oder Baumwollengewebe, die als Mückennetze dienen, anfeuchten, damit der Cafasi nicht zwischen den gekreuzten Fäden durchschlüpfen kann. Dieses zum Glück sonst ziemlich seltene Insekt geht im Januar auf dem Kanal oder Dique von Mahates bis Morales hinauf. Als wir im Mai in dieses Dorf kamen, trafen wir Mücken der Gattung Simulium und Zancudos an, aber keine Jejen mehr.
Kleine Abweichungen in Nahrung und Klima scheinen bei denselben Mücken- und Schnakenarten auf die Wirksamkeit des Giftes, das die Thiere aus ihrem schneidenden und am untern Ende gezahnten Saugrüssel ergießen, Einfluß zu äußern. Am Orinoco sind die lästigsten oder, wie die Creolen sagen, die wildesten (los mas feroces) Insekten die an den großen Katarakten, in Esmeralda und Mandavaca. Im Magdalenenstrom ist der Culex cyanopterus besonders in Mompox, Chilloa und Tamalameque gefürchtet. Er ist dort größer und stärker und seine Beine sind schwärzer. Man kann sich des Lächelns nicht enthalten, wenn man die Missionäre über Größe und Gefräßigkeit der Moskitos in verschiedenen Strichen desselben Flusses streiten hört. Mitten in einem Lande, wo man gar nicht weiß, was in der übrigen Welt vorgeht, ist dieß das Lieblingsthema der Unterhaltung. »Wie sehr bedaure ich Euch!« sagte beim Abschied der Missionär aus den Raudales zu dem am Cassiquiare. »Ihr seyd allein, wie ich, in diesem Lande der Tiger und der Affen; Fische gibt es hier noch weniger, und heißer ist es auch; was aber meine Mücken (mis moscas) anbelangt, so darf ich mich rühmen, daß ich mit Einer von den meinen drei von den Euren schlage.«
Diese Gefräßigkeit der Insekten an gewißen Orten, diese Blutgier, womit sie den Menschen anfallen,(45) die ungleiche Wirksamkeit des Giftes bei derselben Art sind sehr merkwürdige Erscheinungen; es stellen sich ihnen jedoch andere aus den Classen der großen Thiere zur Seite. In Angostura greift das Krokodil den Menschen an, während man in Nueva Barcelona im Rio Neveri mitten unter diesen fleischfressenden Reptilien ruhig badet. Die Jaguars in Maturin, Cumanacoa und auf der Landenge von Panama sind feig denen am obern Orinoco gegenüber. Die Indianer wissen recht gut, daß die Affen aus diesem und jenem Thale leicht zu zähmen sind, während Individuen derselben Art, die man anderswo fängt, lieber Hungers sterben, als sich in die Gefangenschaft ergeben.
Das Volk in Amerika hat sich hinsichtlich der Gesundheit der Gegenden und der Krankheitserscheinungen Systeme gebildet, ganz wie die Gelehrten in Europa, und diese Systeme widersprechen sich, gleichfalls wie bei uns, in den verschiedenen Provinzen, in die der neue Continent zerfällt, ganz und gar. Am Magdalenenfluß findet man die vielen Moskitos lästig, aber sie gelten für sehr gesund. »Diese Thiere,« sagen die Leute, »machen uns kleine Aderläßen und schützen uns in einem so furchtbar heißen Land vor dem Tabardillo, dem Scharlachfieber und andern entzündlichen Krankheiten.« Am Orinoco, dessen Ufer höchst ungesund sind, schreiben die Kranken alle ihre Leiden den Moskitos zu. »Diese Insekten entstehen aus der Fäulniß und vermehren sie; sie entzünden das Blut (vician y incienden la sangre).« Der Volksglaube, als wirkten die Moskitos durch örtliche Blutentziehung heilsam, braucht hier nicht widerlegt zu werden. Sogar in Europa wissen die Bewohner sumpfigter Länder gar wohl, daß die Insekten das Hautsystem reizen, und durch das Gift, das sie in die Wunden bringen, die Funktionen desselben steigern. Durch die Stiche wird der entzündliche Zustand der Hautbedeckung nicht nur nicht vermindert, sondern gesteigert.
Die Menge der Schnaken und Mücken deutet nur insofern auf die Ungesundheit einer Gegend hin, als Entwicklung und Vermehrung dieser Insekten von denselben Ursachen abhängen, aus denen Miasmen entstehen. Diese lästigen Thiere lieben einen fruchtbaren, mit Pflanzen bewachsenen Boden, stehendes Wasser, eine feuchte, niemals vom Winde bewegte Luft; statt freier Gegend suchen sie den Schatten auf, das Halbdunkel, den mittleren Grad von Licht, Wärmestoff und Feuchtigkeit, der dem Spiel chemischer Affinitäten Vorschub leistet und damit die Fäulniß organischer Substanzen beschleunigt. Tragen die Moskitos an sich zur Ungesundheit der Luft bei? Bedenkt man, daß bis auf 3--4 Toisen vom Boden im Cubikfuß Luft häufig eine Million geflügelter Insekten(46) enthalten ist, die eine ätzende, giftige Flüssigkeit bei sich führen; daß mehrere Culexarten vom Kopf bis zum Ende des Bruststücks (die Füße ungerechnet) 1-1/5 Linien lang sind; endlich daß in dem Schnaken- und Mückenschwarm, der wie ein Rauch die Luft erfüllt, sich eine Menge todter Insekten befinden, die durch den aufsteigenden Luftstrom, oder durch seitliche, durch die ungleiche Erwärmung des Bodens erzeugte Ströme fortgerissen werden, so fragt man sich, ob eine solche Anhäufung von thierischen Stoffen in der Luft nicht zur örtlichen Bildung von Miasmen Anlaß geben muß? Ich glaube, diese Substanzen wirken anders auf die Luft als Sand und Staub; man wird aber gut thun, in dieser Beziehung keine Behauptung aufzustellen. Von den vielen Räthseln, welche das Ungesundseyn der Luft uns aufgibt, hat die Chemie noch keines gelöst; sie hat uns nur soviel gelehrt, daß wir gar Vieles nicht wissen, was wir vor fünfzehn Jahren Dank den sinnreichen Träumen der alten Eudiometrie zu wissen meinten.
Nicht so ungewiß und fast durch tägliche Erfahrung bestätigt ist der Umstand, daß am Orinoco, am Cassiquiare, am Rio Caura, überall wo die Luft sehr ungesund ist, der Stich der Moskitos die Disposition der Organe zur Aufnahme der Miasmen steigert. Wenn man Monatelang Tag und Nacht von den Insekten gepeinigt wird, so erzeugt der beständige Hautreiz fieberhafte Aufregung und schwächt, in Folge des schon so frühe erkannten Antagonismus zwischen dem gastrischen und dem Hautsystem, die Verrichtung des Magens. Man fängt an schwer zu verdauen, die Entzündung der Haut veranlaßt profuse Schweiße, den Durst kann man nicht löschen, und auf die beständig zunehmende Unruhe folgt bei Personen von schwacher Constitution eine geistige Niedergeschlagenheit, in der alle pathogenischen Ursachen sehr heftig einwirken. Gegenwärtig sind es nicht mehr die Gefahren der Schifffahrt in kleinen Canoes, nicht die wilden Indianer oder die Schlangen, die Krokodile oder die Jaguars, was den Spaniern die Reise auf dem Orinoco bedenklich macht, sondern nur, wie sie naiv sich ausdrücken, el sudar y las moscas (der Schweiß und die Mücken). Es ist zu hoffen, daß der Mensch, indem er die Bodenfläche umgestaltet, damit auch die Beschaffenheit der Luft allmälig umändert. Die Insekten werden sich vermindern, wenn einmal die alten Bäume im Wald verschwunden sind und man in diesen öden Ländern die Stromufer mit Dörfern besetzt, die Ebenen mit Weiden und Fruchtfeldern bedeckt sieht.
Wer lange in von Moskitos heimgesuchten Ländern gelebt hat, wird gleich uns die Erfahrung gemacht haben, daß es gegen die Insektenplage kein Radikalmittel gibt. Die mit Onoto, Bolus oder Schildkrötenfett beschmierten Indianer klatschen sich jeden Augenblick mit der flachen Hand auf Schultern, Rücken und Beine, ungefähr wie wenn sie gar nicht *bemalt* wären. Es ist überhaupt zweifelhaft, ob das Bemalen Erleichterung verschafft; soviel ist aber gewiß, daß es nicht schützt. Die Europäer, die eben erst an den Orinoco, den Magdalenenstrom, den Guayaquil oder den Rio Chagre kommen (ich nenne hier die vier Flüsse, wo die Insekten am furchtbarsten sind), bedecken sich zuerst Gesichts und Hände; bald aber fühlen sie eine unerträgliche Hitze, die Langeweile, da sie gar nichts thun können, drückt sie nieder, und am Ende lassen sie Gesicht und Hände frei. Wer bei der Flußschifffahrt auf jede Beschäftigung verzichten wollte, könnte aus Europa eine eigens verfertigte, sackförmige Kleidung mitbringen, in die er sich steckte und die er nur alle halbe Stunden aufmachte; der Sack müßte durch Fischbeinreife ausgespannt seyn, denn eine bloße Maske und Handschuhe wären nicht zu ertragen. Da wir am Boden auf Häuten oder in Hängematten lagen, hätten wir uns auf dem Orinoco der Fliegennetze (toldos) nicht bedienen können. Der Toldo leistet nur dann gute Dienste, wenn er um das Lager ein so gut verschlossenes Zelt bildet, daß auch nicht die kleinste Oeffnung bleibt, durch die eine Schnake schlüpfen könnte. Diese Bedingung ist aber schwer zu erfüllen, und gelingt es auch (wie zum Beispiel bei der Bergfahrt auf dem Magdalenenstrom, wo man mit einiger Bequemlichkeit reist), so muß man, um nicht vor Hitze zu ersticken, den Toldo verlassen und sich in freier Luft ergehen. Ein schwacher Wind, Rauch, starke Gerüche helfen an Orten, wo die Insekten sehr zahlreich und gierig sind, so gut wie nichts. Fälschlich behauptet man, die Thierchen fliehen vor dem eigenthümlichen Geruch, den das Krokodil verbreitet. In Bataillez auf dem Wege von Carthagena nach Honda wurden wir jämmerlich zerstochen, während wir ein eilf Fuß langes Krokodil zerlegten, das die Luft weit umher verpestete. Die Indianer loben sehr den Dunst von brennendem Kuhmist. Ist der Wind sehr stark und regnet es dabei, so verschwinden die Moskitos auf eine Weile; am grausamsten stechen sie, wenn ein Gewitter im Anzug ist, besonders wenn auf die elektrischen Entladungen keine Regengüsse folgen.
Alles was um Kopf und Hände flattert, hilft die Insekten verscheuchen. »Je mehr ihr euch rührt, desto weniger werdet ihr gestochen,« sagen die Missionäre. Der Zancudo summt lange umher, ehe er sich niedersetzt; hat er dann einmal Vertrauen gefaßt, hat er einmal angefangen, seinen Saugrüssel einzubohren und sich voll zu saugen, so kann man ihm die Flügel berühren, ohne daß er sich verscheuchen läßt. Er streckt während dessen seine beiden Hinterfüße in die Luft, und läßt man ihn ungestört sich satt saugen, so bekommt man keine Geschwulst, empfindet keinen Schmerz. Wir haben diesen Versuch im Thale des Magdalenenstroms nach dem Rathe der Indianer oft an uns selbst gemacht. Man fragt sich, ob das Insekt die reizende Flüssigkeit erst im Augenblick ergießt, wo es wegfliegt, wenn man es verjagt, oder ob es die Flüssigkeit wieder aufpumpt, wenn man es saugen läßt, soviel es will? Letztere Annahme scheint mir die wahrscheinlichere; denn hält man dem Culex cyanopterus ruhig den Handrücken hin, so ist der Schmerz anfangs sehr heftig, nimmt aber immer mehr ab, je mehr das Insekt fortsaugt, und hört ganz auf im Moment, wo es von selbst fortfliegt. Ich habe mich auch mit einer Nadel in die Haut gestochen und die Stiche mit zerdrückten Moskitos (mosquitos machucados) gerieben, es folgte aber keine Geschwulst darauf. Die reizende Flüssigkeit der Diptera Nemocera die nach den bisherigen chemischen Untersuchungen sich nicht wie eine Säure verhält, ist, wie bei den Ameisen und andern Hymenopteren, in eigenen Drüsen enthalten; dieselbe ist wahrscheinlich zu sehr verdünnt und damit zu schwach, wenn man die Haut mit dem ganzen zerdrückten Thiere reibt.
Ich habe am Ende dieses Kapitels Alles zusammengestellt, was wir auf unsern Reisen über Erscheinungen in Erfahrung bringen konnten, die bisher von der Naturforschung auffallend vernachlässigt wurden, obgleich sie auf das Wohl der Bevölkerung, die Gesundheit der Länder und die Gründung neuer Colonien an den Strömen des tropischen Amerika von bedeutendem Einfluß sind. Ich bedarf wohl keiner Rechtfertigung, daß ich diesen Gegenstand mit einer Umständlichkeit behandelt habe, die kleinlich erscheinen könnte, fiele nicht derselbe unter einen allgemeineren physiologischen Gesichtspunkt. Unsere Einbildungskraft wird nur vom Großen stark angeregt, und so ist es Sache der Naturphilosophie, beim Kleinen zu verweilen. Wir haben gesehen, wie geflügelte, gesellig lebende Insekten, die in ihrem Saugrüssel eine die Haut reizende Flüssigkeit bergen, große Länder fast unbewohnbar machen. Andere, gleichfalls kleine Insekten, die Termiten (Comejen), setzen in mehreren heißen und gemäßigten Ländern des tropischen Erdstrichs der Entwicklung der Cultur schwer zu besiegende Hindernisse entgegen. Furchtbar rasch verzehren sie Papier, Pappe, Pergament; sie zerstören Archive und Bibliotheken. In ganzen Provinzen von spanisch Amerika gibt es keine geschriebene Urkunde, die hundert Jahre alt wäre. Wie soll sich die Cultur bei den Völkern entwickeln, wenn nichts Gegenwart und Vergangenheit verknüpft, wenn man die Niederlagen menschlicher Kenntnisse öfters erneuern muß, wenn die geistige Errungenschaft der Nachwelt nicht überliefert werden kann?
Je weiter man gegen die Hochebene des Anden hinaufkommt, desto mehr schwindet diese Plage. Dort athmet der Mensch eine frische, reine Luft, und die Insekten stören nicht mehr Tagesarbeit und Nachtruhe. Dort kann man Urkunden in Archiven niederlegen, ohne Furcht vor gefährlichen Termiten. In 200 Toisen Meereshöhe fürchtet man die Mücken nicht mehr; die Termiten sind in 300 Toisen Höhe noch sehr häufig, aber in Mexico, Santa Fe de Bogota und Quito kommen sie selten vor. In diesen großen Hauptstädten auf dem Rücken der Cordilleren findet man Bibliotheken und Archive, die sich durch die Theilnahme gebildeter Bewohner täglich vermehren. Zu diesen Verhältnissen, die ich hier nur flüchtig berühre, kommen andere, welche der Alpenregion das moralische Uebergewicht über die niedern Regionen des heißen Erdstrichs sichern. Nimmt man nach den uralten Ueberlieferungen in beiden Welten an, in Folge der Erdumwälzungen, die der Erneuerung unseres Geschlechts vorangegangen, sey der Mensch von den Gebirgen in die Niederungen herabgestiegen, so läßt sich noch weit bestimmter annehmen, daß diese Berge, die Wiege so vieler und so verschiedener Völker, in der heißen Zone für alle Zeit der Mittelpunkt der Gesittung bleiben werden. Von diesen fruchtbaren, gemäßigten Hochebenen, von diesen Inseln im Ocean der Luft, werden sich Aufklärung und der Segen gesellschaftlicher Einrichtungen über die unermeßlichen Wälder am Fuße der Anden verbreiten, die jetzt noch von Stämmen bewohnt sind, welche eben die Fülle der Natur in Trägheit niedergehalten hat.
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25 Vom spanischen Wort raudo, schnell, rapidus.
26 Schwimmende Gärten.
27 Diese Landenge, von der schon öfters die Rede war, wird von den Cordilleren der Anden von Neu-Grenada und von der Cordillere der Parime gebildet. S. Bd. II. Seite 378--379.
28 Ansichten der Natur, 2. Auflage, 1826, Bd. 1. S. 181; 3. Auflage, Bd. 1. S. 249.
29 Eine große Reiherart.
30 LUCAN., Pharsal. X. 132.
* 31 Arastrando la Picagua*. Von diesem Wort arastrar aus dem Boden ziehen, kommt der spanische Ausdruck: Arastradero, Trageplatz, Portage.
32 Nat. Quaest. IV. c. 2.
33 Der *Chellal* zwischen Philä und Syene hat zehn Staffeln, die zusammen einen 5 bis 7 Fuß hohen Fall bilden, je nach dem tiefen oder hohen Wasserstand des Nil. Der Fall ist 500 Toisen lang.
34 Auszunehmen ist STRABO, dessen Beschreibung eben so einfach als genau erscheint. Nach ihm hätte seit dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Schnelligkeit des Wassersturzes abgenommen und seine Richtung sich verändert. Damals ging man den Chellal auf beiden Seiten hinauf, gegenwärtig ist nur auf Einer Seite eine Wasserstraße; der Katarakt ist also eher schwerer befahrbar geworden.
35 Hatten wohl die Alten eine dunkle Kunde von den großen Katarakten des östlichen oder blauen Nil zwischen Fazuclo und Alata, die über 200 Fuß hoch sind?
36 Claustra imperii romani sagt TACITUS. Im Namen der Insel *Philä* findet man das coptische Wort phe-lakh, Ende (Ende Egyptens) wieder.
37 Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß, so mangelhaft noch die Physik der Alten war, die Werke des Philosophen von Stagira ungleich mehr scharfsinnige Beobachtungen enthalten, als die der andern Philosophen. Vergeblich sucht man bei ARISTOXENES (Liber de musica), bei THEOPHYLACTUS SIMOCATTA (de quaestionibus physicis), im fünften Buche von SENECAs quaestiones naturales eine Erklärung der Verstärkung des Schalls bei Nacht. Ein in den Schriften der Alten sehr bewanderter Mann, Hr. Laurencit, hat mir eine Stelle des PLUTARCH mitgetheilt (Tischgespräche, Buch VIII. Frage 3), welche die angeführte des Aristoteles unterstützt. -- Boethus, der erste der Disputirenden, behauptet, die Kälte bei Nacht ziehe die Luft zusammen und verdichte sie, und man höre den Schall bei Tag nicht so gut, weil dann weniger Zwischenräume zwischen den Atomen seyen. Der zweite der Disputirenden, Ammonius, verwirft die leeren Räume, wie Boethus sie voraussetzt, und nimmt mit Anaxagoras an, die Luft werde von der Sonne in eine zitternde und schwankende Bewegung versetzt; man höre bei Tag schlecht wegen der Staubtheile, die im Sonnenschein herumtreiben und die ein gewisses Zischen und Geräusch verursachen; des Nachts aber höre diese Bewegung auf und folglich auch das damit verbundene Geräusch. Boethus versichert, daß er keineswegs Anaxagoras meistern wolle, meint aber, das Zischen der kleinsten Theile müsse man wohl aufgeben, die zitternde Bewegung und das Herumtreiben derselben im Sonnenschein sey schon hinreichend. Die Luft macht den Körper und die Substanz der Stimme aus; ist sie also ruhig und beständig, so läßt sie auch die Theile und Schwingungen des Schalls gerade, ungetheilt und ohne Hinderniß fortgehen und befördert deren Verbreitung. Windstille ist dem Schalle günstig, Erschütterung der Luft aber zuwider. Die Bewegung in der Luft verhindert, daß von einer Stimme artikulirte und ausgebildete Töne zu den Ohren gelangen, ob sie gleich immer von einer starken und vielfachen ihnen etwas zuzuführen pflegt. Die Sonne, dieser große und mächtige Beherrscher des Himmels, bringt auch die kleinsten Theile der Luft in Bewegung, und sobald er sich zeigt, erregt und belebt er alle Wesen. -- (Auszug aus Kaltwassers Uebersetzung; Humboldt hat die alte französische Uebersetzung des Amyot ausgezogen. Anm. des Herausgebers).
38 CORTES behauptet, er habe am Magdalenenfluß einen Eber mit gekrümmten Hauern und Längsstreifen auf dem Rücken geschossen. Sollte es dort verwilderte europäische Schweine gehen?
39 Im Gesammtausdruck der Züge, nicht der Stirne nach.
40 Culex pipiens. Dieser Unterschied zwischen Mosquito (kleine Mücke, Simulium) und Zancudo (Schnake, Culex) besteht in allen spanischen Colonien. Das Wort Zancudo bedeutet »Langfuß,« qui tiene las zancas largas.
41 »Die früh auf sind,« temprano.
42 Durch die ausnehmende Regelmäßigkeit im stündlichen Wechsel des Luftdrucks.
43 Der europäische Culex pipiens meidet das Gebirgsland nicht, wie die Culexarten der heißen Zone Amerikas. GIESECKE wurde in Disco in Grönland unter dem 70. Breitegrad von Schnaken geplagt. In Lappland kommt die Schnake im Sommer in 300--400 Toisen Meereshöhe bei einer mittleren Temperatur von 11--12° vor.
44 Weniger als 15°,2 und 16° Reaumur. Das ist die mittlere Temperatur von Montpellier und Rom.
45 Diese Gefräßigkeit, diese Blutgier bei kleinen Insekten, die sonst von Pflanzensäften in einem fast unbewohnten Lande leben, hat allerdings etwas Auffallendes. »Was fräßen die Thiere, wenn wir nicht hier vorüberkämen?« sagen oft die Creolen auf dem Wege durch ein Land, wo es nur mit einem Schuppenpanzer bedeckte Krokodile und behaarte Affen gibt.
46 Bei dieser Gelegenheit soll nur daran erinnert werden, daß der Cubikfuß 2,985,984 Cubiklinien enthält.