NEUNZEHNTES KAPITEL.

Zusammenfluß des Apure mit dem Orinoco. -- Die Gebirge von Encaramada. -- Uruana. -- Baraguan. -- Carichana. -- Der Einfluß des Meta. -- Die Insel Panumana.

Mit der Ausfahrt aus dem Apure sahen wir uns in ein ganz anderes Land versetzt. So weit das Auge reichte, dehnte sich eine ungeheure Wasserfläche, einem See gleich, vor uns aus. Das durchdringende Geschrei der Reiher, Flamingos und Löffelgänse, wenn sie in langen Schwärmen von einem Ufer zum andern ziehen, erfüllte nicht mehr die Luft. Vergeblich sahen wir uns nach den Schwimmvögeln um, deren gewerbsmäszige Listen bei jeder Sippe wieder andere sind. Die ganze Natur schien weniger belebt. Kaum bemerkten wir in den Buchten der Wellen hie und da ein großes Krokodil, das mittelst seines langen Schwanzes die bewegte Wasserfläche schief durchschnitt. Der Horizont war von einem Waldgürtel begrenzt, aber nirgends traten die Wälder bis ans Strombett vor. Breite, beständig der Sonnengluth ausgesetzte Ufer, kahl und dürr wie der Meeresstrand, glichen in Folge der Luftspiegelung von weitem Lachen stehenden Wassers. Diese sandigten Ufer verwischten vielmehr die Grenzen des Stromes, statt sie für das Auge festzustellen; nach dem wechselnden Spiel der Strahlenbrechung rückten die Ufer bald nahe heran, bald wieder weit weg.

Diese zerstreuten Landschaftszüge, dieses Gepräge von Einsamkeit und Großartigkeit kennzeichnen den Lauf des Orinoco, eines der gewaltigsten Ströme der neuen Welt. Aller Orten haben die Gewässer wie das Land ihren eigenthümlichen, individuellen Charakter. Das Bett des Orinoco ist ganz anders als die Betten des Meta, des Guaviare, des Rio Negro und des Amazonenstroms. Diese Unterschiede rühren nicht bloß von der Breite und der Geschwindigkeit des Stromes her; sie beruhen auf einer Gesammtheit von Verhältnissen, die an Ort und Stelle leichter aufzufassen, als genau zu beschreiben sind. So erriethe ein erfahrener Schiffer schon an der Form der Wogen, an der Farbe des Wassers, am Aussehen des Himmels und der Wolken, ob er sich im atlantischen Meer, oder im Mittelmeer, oder im tropischen Strich des großen Oceans befindet.

Der Wind wehte stark aus Ost-Nord-Ost; er war uns günstig, um stromaufwärts nach der Mission Encaramada zu segeln; aber unsere Pirogue leistete dem Wogenschlag so geringen Widerstand, daß, wer gewöhnlich seekrank wurde, bei der heftigen Bewegung selbst auf dem Fluß sich sehr unbehaglich fühlte. Das Scholken rührt daher, daß die Gewässer der beiden Ströme beider Bereinigung auf einander stoßen. Dieser Stoß ist sehr stark, aber lange nicht so gefährlich, als Pater GUMILLA behauptet. Wir fuhren an der Punta Curiquima vorbei, einer einzeln stehenden Masse von quarzigem Granit, einem kleinen, aus abgerundeten Blöcken bestehenden Vorgebirge. Hier, auf dem rechten Ufer des Orinoco, hatte zur Zeit der Jesuiten Pater Rotella unter den Palenques- und Biriviri-Indianern eine Mission angelegt. Bei Hochwasser waren der Berg Curiquima und das Dorf am Fuß desselben rings von Wasser umgeben. Wegen dieses großen Uebelstandes und wegen der Unzahl Moskitos und 'Niguas',(11) von denen Missionäre und Indianer geplagt wurden, gab man den feuchten Ort auf. Jetzt ist er völlig verlassen, während gegenüber auf dem linken Ufer in den Hügeln von Coruato herumziehende Indianer hausen, die entweder aus den Missionen oder aus freien, den Mönchen nicht unterworfenen Stämmen ausgestoßen worden sind.

Die ungemeine Breite des Orinoco zwischen der Einmündung des Apure und dem Berge Curiquima fiel mir sehr auf; ich berechnete sie daher nach einer Standlinie, die ich am westlichen Ufer zweimal abgemessen. Das Bett des Orinoco war beim gegenwärtigen tiefen Wasserstand 1906 Toisen breit; aber in der Regenzeit, wenn der Berg Curiquima und der Hof Capuchino beim Hügel Pocopocori Inseln sind, mögen es 5517 Toisen werden. Zum starken Anschwellen des Orinoco trägt auch der Druck der Wasser des Apure bei, der nicht, wie andere Nebenflüsse, mit dem Obertheil des Hauptstroms einen spitzen Winkel bildet, sondern unter einem rechten Winkel einmündet. Wir maßen an verschiedenen Punkten des Bettes die Temperatur des Wassers; mitten im Thalweg, wo die Strömung am stärksten ist, betrug sie 28°,3, in der Nähe der Ufer 29°,2.

Wir fuhren zuerst gegen Südwest hinaus bis zum Gestade der Guaricotos-Indianer auf dem linken Ufer des Orinoco, und dann gegen Süd. Der Strom ist so breit, daß die Berge von Encaramada aus dem Wasser emporzusteigen scheinen, wie wenn man sie über dem Meereshorizont sähe. Sie bilden eine ununterbrochene, von Ost nach West streichende Kette, und je näher man ihnen kommt, desto malerischer wird die Landschaft. Diese Berge bestehen aus ungeheuren zerklüfteten, auf einander gethürmten Granitblöcken. Die Theilung der Gebirgsmasse in Blöcke ist eine Folge der Verwitterung. Zum Reiz der Gegend von Encaramada trägt besonders der kräftige Pflanzenwuchs bei, der die Felswände bedeckt und nur die abgerundeten Gipfel frei läßt. Man meint, altes Gemäuer rage aus einem Walde empor. Aus dem Berg, an den sich die Mission lehnt, dem *Tepupano* der Tamanacos, stehen drei ungeheure Granitcylinder, von denen zwei geneigt sind, während der dritte, unten schmälere und über 80 Fuß hohe, senkrecht stehen geblieben ist. Dieser Felsen, dessen Form an die *Schnarcher* im Harz oder an die *Orgeln von Actopan* in Mexico erinnert, war früher ein Stück des runden Berggipfels. Zu allen Erdstrichen hat der nicht geschichtete Granit das Eigenthümliche, daß er durch Verwitterung in prismatische, cylindrische oder säulenförmige Blöcke zerfällt.

Gegenüber dem Gestade der Guaricotos kamen wir in die Nähe eines andern, ganz niedrigen, drei bis vier Toisen langen Felshaufens. Er steht mitten in der Ebene und gleicht nicht sowohl einem Tumulus als den Granitmassen, die man in Holland und Niederdeutschland 'Hünenbetten' nennt. Der Ufersand an diesem Stück des Orinoco ist nicht mehr reiner Quarzsand, er besteht aus Thon und Glimmerblättchen in sehr dünnen Schichten, die meist unter einen Winkel von 40--50 Grad fallen; er sieht aus wie verwitterter Glimmerschiefer. Dieser Wechsel in der geologischen Beschaffenheit der Ufer tritt schon weit oberhalb der Mündung des Apure ein; schon beim Algodonal und beim Caño de Manati fingen wir in letzterem Flusse an denselben zu bemerken. Die Glimmerblättchen kommen ohne Zweifel von den Granitbergen von Curiquima und Encaramada, denn weiter nach Nord und Ost findet man nur Quarzsand, Sandstein, festen Kalkstein und Gyps. Daß Anschwemmungen von Süd nach Nord geführt werden, kann am Orinoco nicht befremden; aber wie erklärt sich dieselbe Erscheinung im Bett des Apure, sieben Meilen westwärts von seiner Ausmündung? Beim gegenwärtigen Zustand der Dinge läuft der Apure auch beim höchsten Wasserstand des Orinoco nie so weit rückwärts, und um sich von der Erscheinung Rechenschaft zu geben, muß man annehmen, die Glimmerschichten haben sich zu einer Zeit niedergeschlagen, wo der ganze, sehr tief gelegene Landstrich zwischen Caycara, dem Algodonal und den Bergen von Encaramada ein Seebecken war.

Wir verweilten einige Zeit im Hafen von Encaramada; es ist dieß eine Art Ladeplatz, wo die Schiffe zusammenkommen. Das Ufer besteht aus einem 40--50 Fuß hohen Felsen, wieder jenen aufeinander gethürmten Granitblöcken, wie sie am Schneeberg in Franken und fast in allen Granitgebirgen in Europa vorkommen. Manche dieser abgesonderten Massen sind kugeligt; es sind aber keine Kugeln mit concentrischen Schichten, sondern nur abgerundete Blöcke, Kerne, von denen das umhüllende Gestein abgewittert ist. Der Granit ist bleigrau, oft schwarz, wie mit Manganoxyd überzogen; aber diese Farbe dringt kaum 1/5 Linie tief ins Gestein, das röthlich weiß, grobkörnig ist und keine Hornblende enthält.

Die indianischen Namen der Mission *San Luis del ** Encaramada* sind Guaja und Caramana.(12) Es ist dieß das kleine Dorf, das im Jahr 1749 vom Jesuitenpater GILI, dem Verfasser der in Rom gedruckten Storia dell Orinoco, gegründet wurde. Dieser in den Indianersprachen sehr bewanderte Mann lebte hier achtzehn Jahre in der Einsamkeit bis zur Vertreibung der Jesuiten. Man bekommt einen Begriff davon, wie öde diese Landstriche sind, wenn man hört, daß Pater Gili von Carichana, das 40 Meilen von Encaramada liegt, wie von einem weit entlegenen Orte spricht, und daß er nie bis zu dem ersten Katarakt des Stromes gekommen ist, an dessen Beschreibung er sich gewagt hat.

Im Hafen von Encaramada trafen wir Caraiben aus Panapana. Es war ein Cazike, der in seiner Pirogue zum berühmten Schildkröteneierfang den Fluß hinausging. Seine Pirogue war gegen den Boden zugerundet wie ein *Bongo* und führte ein kleineres Canoe, 'Curiara' genannt, mit sich. Er saß unter einer Art Zelt (Toldo), das, gleich dem Segel, aus Palmblättern bestand. Sein kalter, einsylbiger Ernst, die Ehrerbietung, die die Seinigen ihm bezeugten, Alles zeigte, daß man einen großen Herrn vor sich hatte. Der Cazike trug sich übrigens ganz wie seine Indianer; alle waren nackt, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit *Onoto*, dem Farbestoff des Rocou, bemalt. Häuptling, Dienerschaft, Geräthe, Fahrzeug, Segel, Alles war roth angestrichen. Diese Caraiben sind Menschen von fast athletischem Wuchs; sie schienen uns weit höher gewachsen als die Indianer, die wir bisher gesehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den Chorknaben verschnittenen Haare, ihre schwarz gefärbten Augenbrauen, ihr finsterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem Gesichtsausdruck etwas ungemein Hartes. Wir hatten bis jetzt nur in den Cabineten in Europa ein paar Caraibenschädel von den Antillen gesehen und waren daher überrascht, daß bei diesen Indianern von reinem Blute die Stirne weit gewölbter war, als man sie uns beschrieben. Die sehr großen, aber ekelhaft schmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem Rücken. Die Ober- und Unterschenkel der Kinder waren in gewissen Abständen mit breiten Binden aus Baumwollenzeug eingeschnürt. Das Fleisch unter den Binden wird stark zusammengepreßt und quillt in den Zwischenräumen heraus. Die Caraiben verwenden meist auf ihr Aeußeres und ihren Putz so viel Sorgfalt, als nackte und roth bemalte Menschen nur immer können. Sie legen bedeutenden Werth auf gewisse Körperformen, und eine Mutter würde gewissenloser Gleichgültigkeit gegen ihre Kinder beschuldigt, wenn sie ihnen nicht durch künstliche Mittel die Waden nach der Landessitte formte. Da keiner unserer Indianer vom Apure caraibisch sprach, konnten wir uns beim Caziken von Panapana nicht nach den Lagerplätzen erkundigen, wo man in dieser Jahreszeit auf mehreren Inseln im Orinoco zum Sammeln der Schildkröteneier zusammenkommt.

Bei Encaramada trennt eine sehr lange Insel den Strom in zwei Arme. Wir übernachteten in einer Felsenbucht, gegenüber der Einmündung des Rio Cabullare, zu dem der Payara und der Atamaicà sich vereinigen, und den manche als einen Zweig des Apure betrachten, weil er mit diesem durch den Rio Arichuna in Verbindung steht. Der Abend war schön; der Mond beschien die Spitzen der Granitfelsen. Trotz der Feuchtigkeit der Luft war die Wärme so gleichmäßig vertheilt, daß man kein Sternflimmern bemerkte, selbst nicht 4 oder 5 Grad über dem Horizont. Das Licht der Planeten war auffallend geschwächt, und ließe mich nicht die Kleinheit des scheinbaren Durchmessers Jupiters einen Irrthum in der Beobachtung fürchten, so sagte ich, wir alle glaubten hier zum erstenmal mit bloßem Auge die Scheibe Jupiters zu sehen. Gegen Mitternacht wurde der Nordostwind sehr heftig. Er führte keine Wolken heraus, aber der Himmel bezog sich mehr und mehr mit Dunst. Es traten starke Windstöße ein und machten uns für unsere Pirogue besorgt. Wir hatten den ganzen Tag über nur sehr wenige Krokodile gesehen, aber lauter ungewöhnlich große, 20--24 Fuß lange. Die Indianer versicherten uns, die jungen Krokodile suchen lieber die Lachen und weniger breite und tiefe Flüsse auf; besonders in den Caños sind sie in Menge zu finden, und man könnte von ihnen sagen, was ABD-ALLATIF von den Nilkrokodilen sagt, »sie wimmeln wie Würmer an den seichten Stromstellen und im Schutz der unbewohnten Inseln.«

Am 6. April. Wir fuhren erst gegen Süd, dann gegen Südwest weiter den Orinoco hinauf und bekamen den Südabhang der *Serrania* oder der Bergkette Encaramada zu Gesicht. Der dem Fluß am nächsten gelegene Strich ist nicht mehr als 140--160 Toisen hoch, aber die steilen Abhänge, die Lage mitten in einer Savane; ihre in unförmliche Prismen zerklüfteten Felsgipfel lassen die Serrania auffallend hoch erscheinen. Ihre größte Breite beträgt nur drei Meilen; nach den Mittheilungen von Pareka-Indianern wird sie gegen Ost bedeutend breiter. Die Gipfel der Encaramada bilden den nördlichsten Zug eines Bergstocks, welcher sich am rechten Ufer des Orinoco zwischen dem 5. und 7-1/2 Grad der Breite, vom Einfluß des Rio Zama bis zu dem des Cabullare hinzieht. Zwischen den verschiedenen Zügen dieses Bergstocks liegen kleine grasbewachsene Ebenen. Sie laufen einander nicht ganz parallel, denn die nördlichsten ziehen sich von West nach Ost, die südlichsten von Nordwest nach Südost. Aus dieser verschiedenen Richtung erklärt sich vollkommen, warum die Cordillere der Parime gegen Ost, zwischen den Quellen des Orinoco und des Rio Paruspa, breiter wird. Wenn wir einmal über die großen Katarakten von Atures und Maypures hinauf gelangt sind, werden wir hinter einander sieben Hauptketten erscheinen sehen, die Berge Encaramada oder Sacuina, Chaviripa, Baraguan, Carichana, Uniama, Calitamini und Sipapo. Diese Uebersicht mag einen allgemeinen Begriff von der geologischen Beschaffenheit des Bodens geben. Ueberall auf dem Erdball zeigen die Gebirge, wenn sie noch so unregelmäßig gruppirt scheinen, eine Neigung zu regelmäßigen Formen. Jede Kette erscheint einem, wenn man auf dem Orinoco fährt, im Querschnitt als ein einzelner Berg, aber die Isolirung ist nur scheinbar. Die Regelmäßigkeit im Streichen und dem Auseinandertreten der Ketten scheint geringer zu werden, je weiter man gegen Osten kommt. Die Berge der Encaramada hängen mit denen des Mato zusammen, in welchen der Rio Asiveru oder Cuchivero entspringt; die Berge von Chaviripe erstrecken sich durch ihre Ausläufer, die Granitberge Corosal, Amoco und Murcielago, bis zu den Quellen des Erevato und Ventuari.

Ueber diese Berge, die von sanftmüthigen, ackerbauenden Indianern bewohnt sind, ließ bei der Expedition an die Grenze General Iturriaga das Hornvieh gehen, mit dem die neue Stadt San Fernando de Atobapo versorgt werden sollte. Die Einwohner der Encaramada zeigten da den spanischen Soldaten den Weg zum Rio Manapiari, der in den Ventuari mündet. Fährt man diese beiden Flüsse hinab, so gelangt man in den Orinoco und Atobapo, ohne über die großen Katarakten zu kommen, über welche Vieh hinaufzuschaffen so gut wie unmöglich wäre. Der Unternehmungsgeist, der den Castilianern zur Zeit der Entdeckung von Amerika in so vorzüglichem Grade eigen war, lebte in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts auf kurze Frist noch einmal auf, als König Ferdinand VI. die wahren Grenzen seiner ungeheuren Besitzungen kennen lernen wollte, und in den Wäldern von Guyana, dem classischen Lande der Lüge und der mährchenhaften Ueberlieferungen, die Arglist der Indianer die chimärische Vorstellung von den Schätzen des Dorado, welche die Einbildungskraft der ersten Eroberer so gewaltig beschäftigt hatte, von Neuem in Umlauf brachte.

In diesen Bergen der Encaramada, die, wie der meiste grobkörnige Granit, keine Gänge enthalten, fragt man sich, wo die Goldgeschiebe herkommen, welche Juan MARTINEZ(13) und RALEGH bei den Indianern am Orinoco in so großer Menge gesehen haben wollen. Nach meinen Beobachtungen in diesem Theile von Amerika glaube ich, daß das Gold, wie das Zinn, zuweilen in kaum sichtbaren Theilchen durch die ganze Masse des Granitgesteins zerstreut ist, ohne daß man kleine verästete und in einander verschlungene Gänge anzunehmen hat. Noch nicht lange fanden Indianer aus Encaramada in der Quebrada del tigre (Tigerschlucht) ein Goldkorn von zwei Linien Durchmesser. Es war rund und schien im Wasser gerollt. Diese Entdeckung war den Missionären noch wichtiger als den Indianern, aber sie blieb alleinstehend.

Ich kann dieses erste Glied des Bergstocks der Encaramada nicht verlassen, ohne eines Umstandes zu erwähnen, der Pater GILI nicht unbekannt geblieben war und dessen man während unseres Aufenthalts in den Missionen am Orinoco häufig gegen uns erwähnte. Unter den Eingeborenen dieser Länder hat sich die Sage erhalten, »beim großen Wasser, als ihre Väter das Canoe besteigen mußten, um der allgemeinen Ueberschwemmung zu entgehen, haben die Wellen des Meeres die Felsen der Encaramada bespült.« Diese Sage kommt nicht nur bei einem einzelnen Volke, den Tamanaken vor, sie gehört zu einem Kreise geschichtlicher Ueberlieferungen, aus dem sich einzelne Vorstellungen bei den Maypures an den großen Katarakten, bei den Indianern am Rio Erevato, der sich in den Caura ergießt, und fast bei allen Stämmen am obern Orinoco finden. Fragt man die Tamanaken, wie das Menschengeschlecht diese große Katastrophe, die *Wasserzeit* der Mexicaner, überlebt habe, so sagen sie, »ein Mann und ein Weib haben sich auf einen hohen Berg, Namens Tamanacu, am Ufer des Asiveru, geflüchtet; da haben sie Früchte der Mauritiapalme hinter sich über ihre Köpfe geworfen, und aus den Kernen derselben seyen Männlein und Weiblein entsprossen, welche die Erde wieder bevölkert.« In solch einfacher Gestalt lebt bei jetzt wilden Völkern eine Sage, welche von den Griechen mit allem Reiz der Einbildungskraft geschmückt worden ist. Ein paar Meilen von Encaramada steht mitten in der Savane ein Fels, der sogenannte *Tepumereme*, *der gemalte Fels*. Man sieht darauf Thierbilder und symbolische Zeichen, ähnlich denen, wie wir sie auf der Rückfahrt auf dem Orinoco nicht weit unterhalb Encaramada bei der Stadt Caycara gesehen. In Afrika heißen dergleichen Felsen bei den Reisenden 'Fetischsteine'. Ich vermeide den Ausdruck, weil die Eingeborenen am Orinoco von einem Fetischdienst nichts wissen, und weil die Bilder, die wir an nunmehr unbewohnten Orten auf Felsen gefunden, Sterne, Sonnen, Tiger, Krokodile, mir keineswegs Gegenstände religiöser Verehrung vorzustellen scheinen. Zwischen dem Cassiquiare und dem Orinoco, zwischen Encaramada, Capuchino und Caycara sind diese hieroglyphische n Figuren häufig sehr hoch oben in Felswände eingehauen, wohin man nur mittelst sehr hoher Gerüste gelangen könnte. Fragt man nun die Eingeborenen, wie es möglich gewesen sey, die Bilder einzuhauen, so erwiedern sie lächelnd, als sprächen sie eine Thatsache aus, mit der nur ein Weißer nicht bekannt seyn kann, »zur Zeit des *großen Wassers* seyen ihre Väter so hoch oben im Canoe gefahren.«

Diese alten Sagen des Menschengeschlechts, die wir gleich Trümmern eines großen Schiffbruchs über den Erdball zerstreut finden, sind für die Geschichtsphilosophie von höchster Bedeutung. Wie gewisse Pflanzenfamilien in allen Klimaten und in den verschiedensten Meereshöhen das Gepräge des gemeinsamen Typus behalten, so haben die cosmogonischen Ueberlieferungen der Völker aller Orten denselben Charakter, eine Familienähnlichkeit, die uns in Erstaunen setzt. Im Grundgedanken hinsichtlich der Vernichtung der lebendigen Schöpfung und der Erneuerung der Natur weichen die Sagen fast gar nicht ab, aber jedes Volk gibt ihnen eine örtliche Färbung. Auf den großen Festländern, wie auf den kleinsten Inseln im stillen Meer haben sich die übrig gebliebenen Menschen immer auf den höchsten Berg in der Nähe geflüchtet, und das Ereigniß erscheint desto neuer, je roher die Völker sind und je weniger, was sie von sich selbst wissen, weit zurückreicht. Untersucht man die mexicanischen Denkmale aus der Zeit vor der Entdeckung der neuen Welt genau, dringt man in die Wälder am Orinoco, sieht man, wie unbedeutend, wie vereinzelt die europäischen Niederlassungen sind und in welchen Zuständen die unabhängig gebliebenen Stämme verharren, so kann man nicht daran denken, die eben besprochene Uebereinstimmung dem Einfluß der Missionare und des Christenthums auf die Volkssagen zuzuschreiben. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß die Völker am Orinoco durch den Umstand, daß sie Meeresprodukte hoch oben in den Gebirgen gefunden, auf die Vorstellung vom großen Wasser gekommen seyn sollten, das eine Zeit lang die Keime des organischen Lebens auf der Erde vernichtet habe. Das Land am rechten Ufer des Orinoco bis zum Cassiquiare und Rio Negro besteht aus Urgebirge. Ich habe dort wohl eine kleine Sandstein- oder Conglomeratsormation angetroffen, aber keinen secundären Kalkstein, keine Spur von Versteinerungen.

Der frische Nordostwind brachte uns mit vollen Segeln zur *Boca de la Tortuga*. Gegen eilf Uhr Vormittags stiegen wir an einer Insel mitten im Strome aus, welche die Indianer in der Mission Uruana als ihr Eigenthum betrachten. Diese Insel ist berühmt wegen des Schildkrötenfangs, oder, wie man hier sagt, wegen der Cosecha der *Eierernte*, die jährlich hier gehalten wird. Wir fanden hier viele Indianer beisammen und unter Hütten aus Palmblättern gelagert. Das Lager war über dreihundert Köpfe stark. Seit San Fernando am Apure waren wir nur an öde Gestade gewöhnt, und so fiel uns das Leben, das hier herrschte, ungemein auf. Außer den Guamos und Otomacos aus Uruana, die beide für wilde, unzähmbare Stämme gelten, waren Caraiben und andere Indianer vom untern Orinoco da. Jeder Stamm lagerte für sich und unterschied sich durch die Farbe, mit der die Haut bemalt war. Wir fanden in diesem lärmenden Haufen einige Weiße, namentlich 'Pulperos' oder Krämer aus Angostura, die den Fluß herausgekommen waren, um von den Eingeborenen Schildkröteneieröl zu kaufen. Wir trafen auch den Missionär von Uruana, der aus Alcala de Henarez gebürtig war. Der Mann verwunderte sich nicht wenig, uns hier zu finden. Nachdem er unsere Instrumente bewundert, entwarf er uns eine übertriebene Schilderung von den Beschwerden, denen wir uns nothwendig aussetzten, wenn wir auf dem Orinoco bis über die Fälle hinaufgingen. Der Zweck unserer Reise schien ihm in bedeutendes Dunkel gehüllt. »Wie soll einer glauben,« sagte er, »daß ihr euer Vaterland verlassen habt, um euch auf diesem Flusse von den Moskitos auszehren zu lassen und Land zu vermessen, das euch nicht gehört?« Zum Glück hatten wir Empfehlungen vom Pater Gardian der Franciscaner-Missionen bei uns, und der Schwager des Statthalters von Barinas, der bei uns war, machte bald den Bedenken ein Ende, die durch unsere Tracht, unsern Accent und unsere Ankunft auf diesem sandigen Eiland unter den Weißen aufgetaucht waren. Der Missionar lud uns zu seinem frugalen Mahl aus Bananen und Fischen ein und erzählte uns, er sey mit den Indianern über die »Eierernte« herübergekommen, »um jeden Morgen unter freiem Himmel die Messe zu lesen und sich das Oel für die Altarlampe zu verschaffen, besonders aber um diese republica de Indios y Castellanos in Ordnung zu halten, in der jeder für sich allein haben wolle, was Gott allen bescheert.«

Wir umgingen die Insel in Begleitung des Missionars und eines Pulpero, der sich rühmte, daß er seit zehn Jahren ins Lager der Indianer und zur pesca de Tortugas komme. Man besucht dieses Stück des Orinoco, wie man bei uns die Messen von Frankfurt und Beaucaire besucht. Wir befanden uns auf einem ganz ebenen Sandstrich. Man sagte uns: »So weit das Auge an den Ufern hin reicht, liegen Schildkröteneier unter einer Erdschicht.« Der Missionar trug eine lange Stange in der Hand. Er zeigte uns, wie man mit der Stange (vera) sondirt, um zu sehen, wie weit die Eier*schicht* reicht, wie der Bergmann die Grenzen eines Lagers von Mergel, Raseneisenstein oder Steinkohle ermittelt. Stößt man die Vara senkrecht in den Boden, so spürt man daran, daß der Widerstand auf einmal aufhört, daß man in die Höhlung oder das lose Erdreich, in dem die Eier liegen, gedrungen ist. Wie wir sahen, ist die Schicht im Ganzen so gleichförmig verbreitet, daß die Sonde in einem Halbmesser von 10 Toisen rings um einen gegebenen Punkt sicher darauf stößt. Auch spricht man hier nur von *Quadratstangen Eiern*, wie wenn man ein Bodenstück, unter dem Mineralien liegen, in Loose theilte und ganz regelmäßig abbaute. Indessen bedeckt die Eierschicht bei weitem nicht die ganze Insel; sie hört überall auf, wo der Boden rasch ansteigt, weil die Schildkröte auf diese kleinen Plateaus nicht hinaufkriechen kann. Ich erzählte meinen Führern von den hochtrabenden Beschreibungen Pater GUMILLAs, wie die Ufer des Orinoco nicht soviel Sandkörner enthalten, als der Strom Schildkröten, und wie diese Thiere die Schiffe in ihrem Lauf aufhielten, wenn Menschen und Tiger nicht alljährlich so viele tödteten. »Son cuentos de fraíles« sagte der Krämer aus Angostura leise, denn da arme Missionäre hier zu Lande die einzigen Reisenden sind, so nennt man hier »Pfaffenmährchen,« was man in Europa den Reisenden überhaupt aufbürden würde.

Die Indianer versicherten uns, von der Mündung des Orinoco bis zum Einfluß des Apure herauf finde man keine einzige Insel und kein einziges Gestade, wo man Schildkröteneier in Masse sammeln könnte. Die große Schildkröte, der Arrau (sprich Arra-u), meidet von Menschen bewohnte oder von Fahrzeugen besuchte Orte. Es ist ein furchtsames, scheues Thier, das den Kopf über das Wasser streckt und sich beim leisesten Geräusch versteckt. Die Uferstrecken, wo fast sämmtliche Schildkröten des Orinoco sich jährlich zusammenzufinden scheinen, liegen zwischen dem Zusammenfluß des Orinoco und des Apure und den großen Fällen oder *Raudales*, das heißt zwischen Cabruta und der Mission Atures. Hier befinden sich die drei berühmten Fangplätze Encaramada oder boca del Cabullare, Cucuruparu oder boca de la Tortugay und Pararuma, etwas unterhalb Carichana. Die Arrau-Schildkröte geht, wie es scheint, nicht über die Fälle hinauf, und wie man uns versichert, kommen oberhalb Atures und Maypures nur *Terekay*-Schildkröten vor. Es ist hier der Ort, einige Worte über diese beiden Arten und ihr Verhältniß zu den verschiedenen Familien der Schildkröten zu sagen.

Wir beginnen mit der Arrau-Schildkröte, welche die Spanier in den Colonien kurzweg 'Tortuga' nennen, und deren Geschlecht für die Völker am untern Orinoco von so großer Bedeutung ist. Es ist eine große Süßwasserschildkröte, mit Schwimmfüßen, sehr plattem Kopf, zwei fleischigen, sehr spitzen Anhängen unter dem Kinn, mit fünf Zehen an den Vorder- und vier an den Hinterfüßen, die unterhalb gefurcht sind. Der Schild hat 5 Platten in der Mitte, 8 seitliche und 24 Randplatten; er ist oben schwarzgrau, unten orangegelb, die Füße sind gleichfalls orangegelb und sehr lang. Zwischen den Augen ist eine sehr tiefe Furche. Die Nägel sind sehr stark und gebogen. Die Afteröffnung befindet sich am letzten Fünftheil des Schwanzes. Das erwachsene Thier wiegt 40--50 Pfund. Die Eier, weit größer als Taubeneier, sind nicht so länglicht wie die Gier des Terekay. Sie haben eine Kalkschaale und sollen so fest seyn, daß die Kinder der Otomaken, die starke Ballspieler sind, sie einander zuwerfen können. Käme der Arrau oberhalb der Kararakten im Strome vor, so gingen die Indianer am obern Orinoco nicht so weit nach dem Fleisch und den Eiern dieser Schildkröte; man sah aber früher ganze Volksstämme von den Flüssen Atabapo und Cassiquiare über die Raudales herabkommen, um am Fang bei Uruana Theil zu nehmen.

Die *Terekays* sind kleiner als die Arrau. Sie haben meist nur 14 Zoll Durchmesser. Ihr Schild hat gleichviel Platten, sie sind aber etwas anders vertheilt. Ich zählte 4 im Mittelpunkt und zu jeder Seite 5 sechsseitige, am Rand 24 vierseitige, stark gebogene. Der Schild ist schwarz, ins Grüne spielend; Füße und Nägel sind wie beim Arrau. Das ganze Thier ist olivengrün, hat aber oben auf dem Kopf zwei aus roth und gelb gemischte Flecke. Auch der Hals ist gelb und hat einen stachligten Anhang. Die Terekays thun sich nicht in große Schwärme zusammen, wie die Arraus, um ihre Eier mit einander auf demselben Ufer zu legen. Die Eier des Terekay haben einen angenehmen Geschmack und sind bei den Bewohnern von spanisch Guyana sehr gesucht. Sie kommen sowohl im obern Orinoco als unterhalb der Fälle vor, ferner im Apure, Uritucu, Guarico und den kleinen Flüssen, welche durch die Llanos von Caracas laufen. Nach der Bildung der Füße und des Kopfs, nach den Anhängen an Kinn und Hals und nach der Stellung der Afteröffnung scheint der Arrau und wahrscheinlich auch der Terekay eine neue Untergattung zu bilden, die von den Emyden zu trennen wäre. Durch die Anhänge und die Stellung des Afters nähern sie sich der Emys nasuta SCHWEIGGERs und dem *Matamata* in französisch Guyana, unterscheiden sich aber von letzterem durch die Form der Schildplatten, die keine pyramidalischen Buckel haben.

Die Zeit, wo die große Arrau-Schildkröte ihre Eier legt, fällt mit dem niedrigsten Wasserstand zusammen. Da der Orinoco von der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche an zu steigen anfängt, so liegen von Anfang Januar bis zum 20. oder 25. März die tiefsten Uferstrecken trocken. Die Arraus sammeln sich schon im Januar in große Schwärme; sie gehen jetzt aus dem Wasser und wärmen sich auf dem Sand in der Sonne. Die Indianer glauben, das Thier bedürfe zu seinem Wohlbefinden nothwendig starker Hitze und das Liegen in der Sonne befördere das Eierlegen. Den ganzen Februar findet man die Arraus fast den ganzen Tag aus dem Ufer. Zu Anfang März vereinigen sich die zerstreuten Haufen und schwimmen zu den wenigen Inseln, auf denen sie gewöhnlich ihre Eier legen. Wahrscheinlich kommt dieselbe Schildkröte jedes Jahr an dasselbe Ufer. Um diese Zeit, wenige Tage vor dem Legen, erscheinen viele tausend Schildkröten in langen Reihen an den Ufern der Inseln Cucuruparu, Uruana und Pararuma, recken den Hals und halten den Kopf über dem Wasser, ausschauend, ob nichts von Tigern oder Menschen zu fürchten ist. Die Indianer, denen viel daran liegt, daß die vereinigten Schwärme auch beisammen bleiben, daß sich die Schildkröten nicht zerstreuen und in aller Ruhe ihre Eier legen können, stellen längs des Ufers Wachen auf. Man bedeutet den Fahrzeugen, sich mitten im Strom zu halten und die Schildkröten nicht durch Geschrei zu verscheuchen. Die Eier werden immer bei Nacht gelegt, aber gleich von Sonnenuntergang an. Das Thier gräbt mit seinen Hinterfüßen, die sehr lang sind und krumme Klauen haben, ein drei Fuß weites und zwei Fuß tiefes Loch. Die Indianer behaupten, um den Ufersand zu befestigen, benetze die Schildkröte denselben mit ihrem Harn, und man glaubt solches am Geruch wahrzunehmen, wenn man ein frisch gegrabenes Loch oder 'Eiernest', wie man hier sagt, öffnet. Der Drang der Thiere zum Eierlegen ist so stark, daß manche in die von andern gegrabenen, noch nicht wieder mit Erde ausgefüllten Löcher hinunter gehen und auf die frisch gelegte Eierschicht noch eine zweite legen. Bei diesem stürmischen Durcheinander werden ungeheuer viele Eier zerbrochen. Der Missionär zeigte uns, indem er den Sand an mehreren Stellen ausgrub, daß der Verlust ein Drittheil der ganzen Ernte betragen mag. Durch das vertrocknende Gelb der zerbrochenen Eier backt der Sand noch stärker zusammen, und wir fanden Quarzsand und zerbrochene Eierschaalen in großen Klumpen zusammengekittet. Der Thiere, welche in der Nacht am Ufer graben, sind so unermeßlich viele, daß manche der Tag überrascht, ehe sie mit dem Legen fertig werden konnten. Da treibt sie der doppelte Drang, ihre Eier los zu werden und die gegrabenen Löcher zuzudecken, damit der Tiger sie nicht sehen möge. Die Schildkröten, die sich verspätet haben, achten auf keine Gefahr, die ihnen selbst droht. Sie arbeiten unter den Augen der Indianer, die früh Morgens auf das Ufer kommen. Man nennt sie 'närrische Schildkröten.' Trotz ihrer ungestümen Bewegungen fängt man sie leicht mit den Händen.

Die drei Indianerlager an den oben erwähnten Orten werden Ende März und in den ersten Tagen Aprils eröffnet. Die Eierernte geht das einemal vor sich wie das andere, mit der Regelmäßigkeit, die bei Allem herrscht, was von Mönchen ausgeht. Ehe die Missionäre an den Fluß kamen, beuteten die Eingeborenen ein Produkt, das die Natur hier in so reicher Fülle bietet, in weit geringerem Maaße aus. Jeder Stamm durchwühlte das Ufer nach seiner eigenen Weise und es wurden unendlich viele Eier muthwillig zerbrochen, weil man nicht vorsichtig grub und mehr Eier fand, als man mitnehmen konnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeschickten Händen ausgebeutet. Den Jesuiten gebührt das Verdienst, daß sie die Ausbeutung geregelt haben, und die Franciskaner, welche die Jesuiten in den Missionen am Orinoco abgelöst haben, rühmen sich zwar, daß sie das Verfahren ihrer Vorgänger einhalten, gehen aber leider keineswegs mit der gehörigen Vorsicht zu Werke. Die Jesuiten gaben nicht zu, daß das ganze Ufer ausgebeutet wurde; sie ließen ein Stück unberührt liegen, weil sie besorgten, die Arrau-Schildkröten möchten, wenn nicht ausgerottet werden, doch bedeutend abnehmen. Jetzt wühlt man das ganze Ufer rücksichtslos um, und man meint auch zu bemerken, daß die *Ernten* von Jahr zu Jahr geringer werden.

Ist das Lager aufgeschlagen, so ernennt der Missionär von Uruana seinen Stellvertreter oder den 'Commissär', der den Landstrich, wo die Eier liegen, nach der Zahl der Indianerstämme, die sich in die Ernte theilen, in Loose zerlegt. Es sind lauter »Indianer aus den Missionen,« aber so nackt und versunken, wie die »Indianer aus den Wäldern;« man nennt sie reducidos und neofitos weil sie zur Kirche gehen, wenn man die Glocke zieht, und gelernt haben bei der Wandlung auf die Kniee zu fallen.

Der Comissionado del Padre beginnt das Geschäft damit, daß er den Boden sondirt. Mit einer langen hölzernen Stange, wie oben bemerkt, oder mit einem Bambusrohr untersucht er, wie weit die »Eierschicht« reicht. Nach unsern Messungen erstreckt sich die Schicht bis zu 120 Fuß vom Ufer und ist im Durchschnitt drei Fuß tief. Der Commissär steckt ab, wie weit jeder Stamm arbeiten darf. Mit Verwunderung hört man den Ertrag der Eierernte gerade wie den Ertrag eines Getreideackers schätzen. Es kam vor, daß ein Areal genau hundertzwanzig Fuß lang und dreißig breit hundert Krüge oder für tausend Franken Oel gab. Die Indianer graben den Boden mit den Händen auf, legen die gesammelten Eier in kleine, 'Mappiri' genannte Körbe, tragen sie ins Lager und werfen sie in große mit Wasser gefüllte hölzerne Tröge. In diesen Trögen werden die Eier mit Schaufeln zerdrückt und umgerührt und der Sonne ausgesetzt, bis das Eigelb (der öligte Theil), das obenauf schwimmt, dick geworden ist. Dieser öligte Theil wird, wie er sich auf dem Wasser sammelt, abgeschöpft und bei einem starken Feuer gekocht. Dieses thierische Oel, das bei den Spaniern manteca de tortugas heißt, soll sich desto besser halten, je stärker es gekocht wird. Gut zubereitet ist es ganz hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Missionäre schätzen es dem besten Olivenöl gleich, und man braucht es nicht nur zum Brennen, sondern auch, und zwar vorzugsweise, zum Kochen, da es den Speisen keinerlei unangenehmen Geschmack gibt. Es hält indessen schwer, ganz reines Schildkrötenöl zu bekommen. Es hat meist einen fauligten Geruch, der davon herrührt, daß Eier darunter gerathen sind, in denen sich, weil sie schon länger der Sonne ausgesetzt gewesen, die jungen Schildkröten (los tortuguillos) bereits ausgebildet hatten. Diese unangenehme Erfahrung machten wir namentlich auf der Rückfahrt vom Rio Negro, wo das flüssige Fett, das wir hatten, braun und übelriechend geworden war. Die Gefäße hatten einen faserigen Bodensatz, und dieß ist das Kennzeichen des unreinen Schildkrötenöls.

Ich theile hier einige statistische Angaben mit, die ich an Ort und Stelle aus dem Munde des Missionärs von Uruana, seines Commissärs und der Krämer aus Angostura herhalten. Das Ufer von Uruana gibt jährlich tausend Botijas(14) oder Krüge Oel (manteca). Der Krug gilt in der Hauptstadt von Guyana, gemeinhin Angostura genannt, 2--2-1/2 Piaster. Der ganze Ertrag der drei Uferstrecken, wo jährlich die cosecha oder Ernte gehalten wird, läßt sich auf 5000 Botijas anschlagen. Da nun 200 Eier eine Weinflasche oder 'limeta' voll Oel geben, so kommen 5000 Eier auf einen Krug oder eine Botija. Nimmt man an, jede Schildkröte gebe 100--116 Eier, und ein Drittheil werde während des Legens, namentlich von den »närrischen« Schildkröten zerbrochen, so ergibt sich, daß, sollen jährlich 5000 Krüge Oel gewonnen werden, 330,000 Arrau-Schildkröten, die zusammen 165,000 Centner wiegen, auf den drei Ernteplätzen 33 Millionen Eier legen müssen. Und mit dieser Rechnung bleibt man noch weit unter der wahren Zahl. Viele Schildkröten legen nur 60--70 Eier; viele werden im Augenblick, wo sie aus dem Wasser gehen, von den Jaguars gefressen; die Indianer nehmen viele Eier mit, um sie an der Sonne zu trocknen und zu essen, und sie zerbrechen bei der Ernte sehr viele aus Fahrlässigkeit. Die Menge der Eier, die bereits ausgeschlüpft sind, ehe der Mensch darüber kommt, ist so ungeheuer, daß ich beim Lagerplatz von Uruana das ganze Ufer des Orinoco von jungen, einen Zoll breiten Schildkröten wimmeln sah, die mit Noth den Kindern der Indianer entkamen, welche Jagd auf sie machten. Nimmt man noch hinzu, daß nicht alle Arraus zu den drei Lagerplätzen kommen, daß viele zwischen der Mündung des Orinoco und dem Einfluß des Apure einzeln und ein paar Wochen später legen, so kommt man nothwendig zum Schluß, daß sich die Zahl der Schildkröten, welche jährlich an den Ufern des untern Orinoco ihre Eier legen, nahezu auf eine Million beläuft. Dieß ist ausnehmend viel für ein Thier von beträchtlicher Größe, das einen halben Centner schwer wird, und unter dessen Geschlecht der Mensch so furchtbar aufräumt. Im Allgemeinen pflanzt die Natur in der Thierwelt die großen Arten in geringerer Zahl fort als die kleinen.

Das Erntegeschäft und die Zubereitung des Oels währen drei Wochen. Nur um diese Zeit stehen die Missionen mit der Küste und den benachbarten civilisirten Ländern in Verkehr. Die Franciskaner, die südlich von den Katarakten leben, kommen zur Eierernte nicht sowohl, um sich Oel zu verschaffen, als um *weiße Gesichter* zu sehen, wie sie sagen, und um zu hören, »ob der König sich im Escurial oder in San Ildefonso aufhält, ob die Klöster in Frankreich noch immer aufgehoben sind, vor allem aber, ob der Türke sich noch immer ruhig verhält.« Das ist Alles, wofür ein Mönch am Orinoco Sinn hat, Dinge, worüber die Krämer aus Angostura, die in die Lager kommen, nicht einmal genaue Auskunft geben können. In diesen weit entlegenen Ländern wird eine Neuigkeit, die ein Weißer aus der Hauptstadt bringt, niemals in Zweifel gezogen. Zweifeln ist fast so viel wie Denken, und wie sollte man es nicht beschwerlich finden, den Kopf anzustrengen, wenn man sein Lebenlang über die Hitze und die Stiche der Moskitos zu klagen hat?

Die Oelhändler haben 70--80 Procent Gewinn; denn die Indianer verkaufen den Krug oder die Botija für einen harten Piaster an sie und die Transportkosten machen für den Krug nur Zweifünftel Piaster. Die Indianer, welche die cosecha de huevos mitmachen, bringen auch ganze Massen an der Sonne getrockneter oder leicht gesottener Eier nach Haus. Unsere Ruderer hatten immer welche in Körben oder kleinen Säcken von Baumwollenzeug. Der Geschmack kam uns nicht unangenehm vor, wenn sie gut erhalten sind. Man zeigte uns große, von Jaguars geleerte Schildkrötenpanzer. Die Tiger gehen den Arraus auf die Uferstriche nach, wo sie legen wollen. Sie überfallen sie auf dem Sand, und um sie gemächlich verzehren zu können, kehren sie sie um, so daß der Brustschild nach oben sieht. Aus dieser Lage können die Schildkröten sich nicht ausrichten, und da der Tiger ihrer weit mehr umwendet, als er in der Nacht verzehren kann, so sachen sich die Indianer häufig seine List und seine boshafte Habsucht zu Nutze.

Wenn man bedenkt, wie schwer der reisende Naturforscher den Körper der Schildkröte herausbringt, wenn er Rücken- und Brustschild nicht trennen will, so kann man die Gewandtheit des Tigers nicht genug bewundern, der mit seiner Tatze den Doppelschild des Arrau leert, als wären die Ansätze der Muskeln mit einem chirurgischen Instrumente losgetrennt. Der Tiger verfolgt die Schildkröte sogar ine Wasser, wenn dieses nicht sehr tief ist. Er gräbt auch die Eier aus und ist nebst dem Krokodil, den Reihern und dem Gallinazogeier der furchtbarste Feind der frisch ausgeschlüpften Schildkröten. Im verflossenen Jahr wurde die Insel Pararuma während der Eierernte von so vielen Krokodilen heimgesucht, daß die Indianer in einer einzigen Nacht ihrer achtzehn, 12--15 Fuß lange, mit hakenförmigen Eisen und Seekuhfleisch daran, fingen. Außer den eben erwähnten Waldthieren thun auch die wilden Indianer der Oelbereitung bedeutenden Eintrag. Sobald die ersten kleinen Regenschauer, von ihnen 'Schildkrötenregen' genannt, sich einstellen, ziehen sie an die Ufer des Orinoco und tödten mit vergifteten Pfeilen die Schildkröten, die mit emporgerecktem Kopf und ausgestreckten Tatzen sich sonnen.

Die jungen Schildkröten (tortuguillos) zerbrechen die Eischale bei Tag, man sieht sie aber nie anders als bei Nacht aus dem Boden schlüpfen. Die Indianer behaupten, das junge Thier scheue die Sonnenhitze. Sie wollten uns auch zeigen, wie der Tortuguillo, wenn man ihn in einem Sack weit weg vom Ufer trägt und so an den Boden setzt, daß er dem Flusse den Rücken kehrt, alsbald den kürzesten Weg zum Wasser einschlägt. Ich gestehe, daß dieses Experiment, von dem schon Pater GUMILLA spricht, nicht immer gleich gut gelingt; meist aber schienen mir die kleinen Thiere sehr weit vom Ufer, selbst auf einer Insel, mit äußerst feinem Gefühl zu spüren, von woher die feuchteste Luft weht. Bedenkt man, wie weit sich die Eierschicht fast ohne Unterbrechung am Ufer hin erstreckt, und wie viele tausende kleiner Schildkröten gleich nach dem Ausschlüpfen dem Wasser zugehen, so läßt sich nicht wohl annehmen, daß so viele Schildkröten, die am selben Ort ihre Nester gegraben, ihre Jungen herausfinden und sie, wie die Krokodile thun, in die Lachen am Orinoco führen können. Soviel ist aber gewiß, daß das Thier seine ersten Lebensjahre in den seichtesten Lachen zubringt und erst, wenn es erwachsen ist, in das große Flußbett geht. Wie finden nun die Tortuguillos diese Lachen? Werden sie von weiblichen Schildkröten hingeführt, die sich ihrer annehmen, wie sie ihnen aufstoßen? Die Krokodile, deren weit nicht so viele sind, legen ihre Eier in abgesonderte Löcher, und wir werden bald sehen, daß in dieser Eidechsenfamilie das Weibchen gegen das Ende der Brutzeit wieder hinkommt, den Jungen ruft, die darauf antworten, und ihnen meist aus dem Boden hilft. Die Arrau-Schildkröte erkennt sicher, so gut wie das Krokodil, den Ort wieder, wo sie ihr Nest gemacht; da sie aber nicht wagt wieder zum Ufer zu kommen, wo die Indianer ihr Lager aufgeschlagen haben, wie könnte sie ihre Jungen von fremden Tortuguillos unterscheiden? Andererseits wollen die Otomaken beim Hochwasser weibliche Schildkröten gesehen haben, die eine ganze Menge junger Schildkröten hinter sich hatten. Dieß waren vielleicht Arraus, die allein an einem einsamen Ufer gelegt hatten, zu dem sie wieder kommen konnten. Männliche Thiere sind unter den Schildkröten sehr selten; unter mehreren Hunderten trifft man kaum Eines. Der Grund dieser Erscheinung kann hier nicht derselbe seyn wie bei den Krokodilen, die in der Brunst einander blutige Gefechte liefern.

Unser Steuermann war in die *Playa de Huevos* eingelaufen, um einige Mundvorräthe zu kaufen, die bei uns auf die Neige gingen. Wir fanden daselbst frisches Fleisch, Reis aus Angostura, sogar Zwieback aus Weizenmehl. Unsere Indianer füllten die Pirogue zu ihrem eigenen Bedarf mit jungen Schildkröten und an der Sonne getrockneten Eiern. Nachdem wir vom Missionär, der uns sehr herzlich aufgenommen, uns verabschiedet hatten, gingen wir gegen vier Uhr Abends unter Segel. Der Wind blies frisch und in Stößen. Seit wir uns im gebirgigen Theil des Landes befanden, hatten wir die Bemerkung gemacht, daß unsere Pirogue ein sehr schlechtes Segelwerk führe; aber der »Patron« wollte den Indianern, die am Ufer beisammen standen, zeigen, daß er, wenn er sich dicht am Wind halte, mit Einem Schlage mitten in den Strom kommen könne. Aber eben, als er seine Geschicklichkeit und die Kühnheit seines Manövers pries, fuhr der Wind so heftig in das Segel, daß wir beinahe gesunken wären. Der eine Bord kam unter Wasser und dasselbe stürzte mit solcher Gewalt herein, daß wir bis zu den Knieen darin standen. Es lief über ein Tischchen weg, an dem ich im Hintertheil des Fahrzeugs eben schrieb. Kaum rettete ich mein Tagebuch, und im nächsten Augenblick sahen wir unsere Bücher, Papiere und getrockneten Pflanzen umherschwimmen. Bonpland schlief mitten in der Pirogue. Vom eindringenden Wasser und dem Geschrei der Indianer aufgeschreckt, übersah er unsere Lage sogleich mit der Kaltblütigkeit, die ihm unter allen Verhältnissen treu geblieben ist. Der im Wasser stehende Bord hob sich während der Windstöße von Zeit zu Zeit wieder, und so gab er das Fahrzeug nicht verloren. Sollte man es auch verlassen müssen, so konnte man sich, glaubte er, durch Schwimmen retten, da sich kein Krokodil blicken ließ. Während wir so ängstlich gespannt waren, riß auf einmal das Tauwerk des Segels. Derselbe Sturm, der uns auf die Seite geworfen, half uns jetzt ausrichten. Man machte sich alsbald daran, das Wasser mit den Früchten der Crescentia Cujete auszuschöpfen; das Segel wurde ausgebessert, und in weniger als einer halben Stunde konnten wir wieder weiter fahren. Der Wind hatte sich etwas gelegt. Windstöße, die mit Windstillen wechseln, sind übrigens hier, wo der Orinoco im Gebirge läuft, sehr häufig und können überladenen Schiffen ohne Verdeck sehr gefährlich werden. Wir waren wie durch ein Wunder gerettet worden. Der Steuermann verschanzte sich hinter sein indianisches Phlegma, als man ihn heftig schalt, daß er sich zu nahe am Wind gehalten. Er äußerte kaltblütig, »es werde hier herum den weißen Leuten nicht an Sonne fehlen, um *ihre Papiere* zu trocknen.« Wir hatten nur ein einziges Buch eingebüßt, und zwar den ersten Band von SCHREBERs genera plantarum der ins Wasser gefallen war. Dergleichen Verluste thun weh, wenn man auf so wenige wissenschaftliche Werke beschränkt ist.

Mit Einbruch der Nacht schlugen wir unser Nachtlager auf einer kahlen Insel mitten im Strome in der Nähe der Mission Uruana auf. Bei herrlichem Mondschein, auf großen Schildkrötenpanzern sitzend, die am Ufer lagen, nahmen wir unser Abendessen ein. Wie herzlich freuten wir uns, daß wir alle beisammen waren! Wir stellten uns vor, wie es einem ergangen wäre, der sich beim Schiffbruch allein gerettet hätte, wie er am öden Ufer auf und ab irrte, wie er jeden Augenblick an ein Wasser kam, das in den Orinoco läuft und durch das er wegen der vielen Krokodile und Caraibenfische nur mit Lebensgefahr schwimmen konnte. Und dieser Mann mit gefühlvollem Herzen weiß nicht, was aus seinen Unglücksgefährten geworden ist, und ihr Loos bekümmert ihn mehr als das seine! Gerne überläßt man sich solchen wehmüthigen Vorstellungen, weil einen nach einer überstandenen Gefahr unwillkürlich nach starken Eindrücken fort verlangt. Jeder von uns war innerlich mit dem beschäftigt, was sich eben vor unsern Augen zugetragen hatte. Es gibt Momente im Leben, wo einem, ohne daß man gerade verzagte, vor der Zukunft banger ist als sonst. Wir waren erst drei Tage auf dem Orinoco und vor uns lag eine dreimonatliche Fahrt auf Flüssen voll Klippen, in Fahrzeugen, noch kleiner als das, mit dem wir beinahe zu Grund gegangen wären.

Die Nacht war sehr schwül. Wir lagen am Boden auf Häuten, da wir keine Bäume zum Befestigen der Hängematten fanden. Die Plage der Moskitos wurde mit jedem Tag ärger. Wir bemerkten zu unserer Ueberraschung, daß die Jaguars hier unsere Feuer nicht scheuten. Sie schwammen über den Flußarm, der uns vom Lande trennte, und Morgens hörten wir sie ganz in unserer Nähe brüllen. Sie waren auf die Insel, wo wir die Nacht zubrachten, herübergekommen. Die Indianer sagten uns, während der Eierernte zeigen sich die Tiger an den Ufern hier immer häufiger als sonst, und sie seyen um diese Zeit auch am kecksten.

Am 7. April. Im Weiterfahren lag uns zur Rechten die Einmündung des großen Rio Arauca, der wegen der ungeheuern Menge von Vögeln berühmt ist, die auf ihm leben, zur Linken die Mission Uruana, gemeiniglich Conception de Uruana genannt. Das kleine Dorf von 500 Seelen wurde um das Jahr 1748 von den Jesuiten gegründet und daselbst Otomaken und Caveres- oder Cabres-Indianer angesiedelt. Es liegt am Fuße eines aus Granitblöcken bestehenden Berges, der, glaube ich, *Saraguaca* heißt. Durch die Verwitterung von einander getrennte Steinmassen bilden hier Höhlen, in denen man unzweideutige Spuren einer. alten Cultur der Eingeborenen findet. Man sieht hier hieroglyphische Bilder, sogar Züge in Reihen eingehauen. Ich bezweifle indessen, daß diesen Zügen ein Alphabet zu Grunde liegt. Wir besuchten die Mission Uruana auf der Rückkehr vom Rio Negro und sahen daselbst mit eigenen Augen die Erdmassen, welche die Otomaken essen und über die in Europa so viel gestritten worden ist.

Wir maßen die Breite des Orinoco zwischen der Isla de Uruana und der Isla de Manteca, und es ergaben sich, bei Hochwasser, 2694 Toisen, also beinahe vier Seemeilen. Er ist demnach hier, 194 französische Meilen von der Mündung, achtmal breiter als der Nil bei Mansalout und Syout. Die Temperatur des Wassers an der Oberfläche war bei Uruana 27°,8; den Zaire- oder Congofluß in Afrika, in gleichem Abstand vom Aequator, fand Capitän TUCKEY im Juli und August nur 23°,9--25°,6 warm. Wir werden in der Folge sehen, daß im Orinoco, sowohl in der Nähe der Ufer, wo er in dichtem Schatten fließt, als mitten im Strom, im Thalweg die Temperatur des Wassers aus 29°,5 [23°,6 Reaumur] steigt und nicht unter 27°,5 herabgeht; die Lufttemperatur war aber auch damals, vom April bis Juni, bei Tag meist 28--30°, bei Nacht 24--26°, während im Thal des Congo von acht Uhr Morgens bis Mittag der Thermometer nur zwischen 20°,6 und 26°,7 stand.

Das westliche Ufer des Orinoco bleibt flach bis über den Einfluß des Meta hinaus, wogegen von der Mission Uruana an die Berge immer näher an das östliche Ufer herantreten. Da die Strömung stärker wird, je mehr das Flußbett sich einengt, so kamen wir jetzt mit unserem Fahrzeug bedeutend langsamer vorwärts. Wir fuhren immer noch mit dem Segel stromaufwärts, aber das hohe, mit Wald bewachsene Land entzog uns den Wind, und dann brachen wieder aus den engen Schluchten, an denen wir vorbeifuhren, heftige, aber schnell vorübergehende Winde. Unterhalb des Einflusses des Rio Arauca zeigten sich mehr Krokodile als bisher, besonders dem großen See Capanaparo gegenüber, der mit dem Orinoco in Verbindung steht, wie die Lagune Cabularito zugleich in letzteren Fluß und in den Rio Arauca ausmündet. Die Indianer sagten uns, diese Krokodile kommen aus dem innern Lande, wo sie im trockenen Schlamm der Savanen begraben gelegen. Sobald sie bei den ersten Regengüssen aus ihrer Erstarrung erwachen, sammeln sie sich in Rudel und ziehen dem Strome zu, auf dem sie sich wieder zerstreuen. Hier, im tropischen Erdstrich, wachen sie auf, wenn es wieder feuchter wird; dagegen in Georgien und in Florida, im gemäßigten Erdstrich, reißt die wieder zunehmende Wärme die Thiere aus der Erstattung oder dem Zustand von Nerven- und Muskelschwäche, in dem der Athmungsproceß unterbrochen oder doch sehr stark beschränkt wird. Die Zeit der großen Trockenheit, uneigentlich der 'Sommer der heißen Zone' genannt, entspricht dem Winter der gemäßigten Zone, und es ist physiologisch sehr merkwürdig, daß in Nordamerika die Alligators zur selben Zeit der Kälte wegen im *Winterschlaf* liegen, wo die Krokodile in den Llanos ihre *Sommersiesta* halten. Erschiene es als wahrscheinlich, daß diese derselben Familie angehörenden Thiere einmal in einem nördlicheren Lande zusammen gelebt hätten, so könnte man glauben, sie fühlen, auch näher an den Aequator versetzt, noch immer, nachdem sie sieben bis acht Monate ihre Muskeln gebraucht, das Bedürfniß auszuruhen und bleiben auch unter einem neuen Himmelsstrich ihrem Lebensgang treu, der aufs innigste mit ihrem Körperbau zusammenzuhängen scheint.

Nachdem wir an der Mündung der Kanäle, die zum See Capanaparo führen, vorbeigefahren, betraten wir ein Stromstück, wo das Bett durch die Berge des *Baraguan* eingeengt ist. Es ist eine Art Engpaß, der bis zum Einfluß des Rio Suapure reicht. Nach den Granitbergen hier hatten die Indianer früher die Strecke des Orinoco zwischen dem Einfluß des Arauca und dem des Atabapo den Fluß *Baraguan* genannt, wie denn bei wilden Völkern große Ströme in verschiedenen Strecken ihres Laufs verschiedene Namen haben. Der Paß von Baraguan ist ein recht malerischer Ort. Die Granitfelsen fallen senkrecht ab, und da die Bergkette, die sie bilden, von Nordwest nach Südost streicht, und der Strom diesen Gebirgsdamm fast unter einem rechten Winkel durchbricht, so stellen sich die Höhen als freistehende Gipfel dar. Die meisten sind nicht über 170 Toisen hoch, aber durch ihre Lage inmitten einer kleinen Ebene, durch ihre steilen, kahlen Abhänge erhalten sie etwas Großartiges. Auch hier sind wieder ungeheure, an den Rändern abgerundete Granitmassen, in Form von Parallelipipeden, über einander gethürmt. Die Blöcke sind häufig 80 Fuß lang und 20--30 breit. Man müßte glauben, sie seyen durch eine äußere Gewalt übereinander gehäuft, wenn nicht ein ganz gleichartiges, nicht in Blöcke getheiltes, aber von Gängen durchzogenes Gestein anstände und deutlich verriethe, daß das Zerfallen in Parallelipipede von atmosphärischen Einflüssen herrührt. Jene zwei bis drei Zoll mächtigen Gänge bestehen aus einem quarzreichen, feinkörnigen Granit im grobkörnigen, fast porphyrartigen, an schönen rothen Feldspathkrystallen reichen Granit. Umsonst habe ich mich in der Cordillere des Baraguan nach der Hornblende und den Specksteinmassen umgesehen, die für mehrere Granite der Schweizer Alpen charakteristisch sind.

Mitten in der Stromenge beim Baraguan gingen wir ans Land, um dieselbe zu messen. Die Felsen stehen so dicht am Fluß, daß ich nur mit Mühe eine Standlinie von 80 Toisen abmessen konnte. Ich fand den Strom 889 Toisen breit. Um begreiflich zu finden, wie man diese Strecke eine *Stromenge* nennen kann, muß man bedenken, daß der Strom von Uruana bis zum Einfluß des Meta meist 1500--2500 Toisen breit ist. Am selben, außerordentlich heißen und trockenen Punkt maß ich auch zwei ganz runde Granitgipfel, und fand sie nur 110 und 85 Toisen hoch. Im Innern der Bergkette sind wohl höhere Gipfel, im Ganzen aber sind diese so wild aussehenden Berge lange nicht so hoch, als die Missionäre angeben.

In den Ritzen des Gesteins, das steil wie Mauern dasteht und Spuren von Schichtung zeigt, suchten wir vergeblich nach Pflanzen. Wir fanden nichts als einen alten Stamm der Aubletia Tiburba mit großer birnförmiger Frucht, und eine neue Art aus der Familie der Apocyneen (Allamanda salicifolia). Das ganze Gestein war mit zahllosen Leguans und Geckos mit breiten, häutigen Zehen bedeckt. Regungslos, mit aufgerichtetem Kopf und offenem Maul saßen die Eidechsen da und schienen sich von der heißen Luft durchströmen zu lassen. Der Thermometer, an die Felswand gehalten, stieg auf 50°,2 [40°,1 R] Der Boden schien in Folge der Luftspiegelung auf und ab zu schwanken, während sich kein Lüftchen rührte. Die Sonne war nahe am Zenith und ihr glänzendes, vom Spiegel des Stromes zurückgeworfenes Licht stach scharf ab vom röthlichen Dunst, der alle Gegenstände in der Nähe umgab. Wie tief ist doch der Eindruck, den in diesen heißen Landstrichen um die Mittagszeit die Stille der Natur auf uns macht! Die Waldthiere verbergen sich im Dickicht, die Vögel schlüpfen unter das Laub der Bäume oder in Felsspalten. Horcht man aber in dieser scheinbaren tiefen Stille auf die leisesten Laute, die die Luft an unser Ohr trägt, so vernimmt man ein dumpfes Schwirren, ein beständiges Brausen und Summen der Insekten, von denen alle untern Luftschichten wimmeln. Nichts kann dem Menschen lebendiger vor die Seele führen, wie weit und wie gewaltig das Reich des organischen Lebens ist. Myriaden Insekten kriechen aus dem Boden oder umgaukeln die von der Sonnenhitze verbrannten Gewächse. Ein wirres Getöne dringt aus jedem Busch, aus faulen Baumstämmen, aus den Felsspalten, aus dem Boden, in dem Eidechsen, Tausendfüße, Cäcilien ihre Gänge graben. Es sind ebenso viele Stimmen, die uns zurufen, daß Alles in der Natur athmet, daß in tausendfältiger Gestalt das Leben im staubigten, zerklüfteten Boden waltet, so gut wie im Schooße der Wasser und in der Luft, die uns umgibt. Die Empfindungen, die ich hier andeute, sind keinem fremd, der zwar nicht bis zum Aequator gekommen, aber doch in Italien, in Spanien oder in Egypten gewesen ist. Dieser Contrast zwischen Regsamkeit und Stille, dieses ruhige und doch wieder so bewegte Antlitz der Natur wirken lebhaft auf die Einbildungskraft des Reisenden, sobald er das Becken des Mittelmeers, die Zone der Olive, des Chamärops und der Dattelpalme betritt.

Wir übernachteten am östlichen Ufer des Orinoco am Fuße eines Granithügels. An diesem öden Fleck lag früher die Mission San Regis. Gar gerne hätten wir im Baraguan eine Quelle gefunden. Das Flußwasser hatte einen Bisamgeruch und einen süßlichten, äußerst unangenehmen Geschmack. Beim Orinoco wie beim Apure ist es sehr auffallend, wie abweichend sich in dieser Beziehung, am dürrsten Ufer, verschiedene Stellen im Strome verhalten. Bald ist das Wasser ganz trinkbar, bald scheint es mit gallertigen Stoffen beladen. »Das macht die Rinde (die lederartige Hautdecke) der faulenden Caymans,« sagen die Indianer. »Je älter der Cayman, desto bitterer ist seine Rinde.« Ich bezweifle nicht, daß die Aase dieser großen Reptilien, die der Seekühe, die 500 Pfund wiegen, und der Umstand, daß die im Fluß lebenden Delphine eine schleimigte Haut haben, das Wasser verderben mögen, zumal in Buchten, wo die Strömung schwach ist. Indessen waren die Punkte, wo man das übelriechendste Wasser antraf, nicht immer solche, wo wir viele todte Thiere am Ufer liegen sahen. Wenn man in diesem heißen Klima, wo man fortwährend vom Durst geplagt ist, Flußwasser mit einer Temperatur von 27--28 Grad trinken muß, so wünscht man natürlich, daß ein so warmes, mit Sand verunreinigtes Wasser wenigstens geruchlos seyn möchte.

Am 8. April. Im Weiterfahren lagen gegen Ost die Einmündungen des Suapure oder Sivapuri und des Caripo, gegen West die des Sinaruco. Letzterer Fluß ist nach dem Rio Arauca der bedeutendste zwischen Apure und Meta. Der Suapure, der eine Menge kleiner Fälle bildet, ist bei den Indianern wegen des vielen wilden Honigs berühmt, den die Waldungen liefern. Die Meliponen hängen dort ihre ungeheuren Stöcke an die Baumäste. Pater GILI hat im Jahr 1766 den Suapure und den Turiva, der sich in jenen ergießt, befahren. Er fand dort Stämme der Nation der Areverier. Wir übernachteten ein wenig unterhalb der Insel Macupina.

Am 9. April. Wir langten früh Morgens am *Strande von Pararuma* an und fanden daselbst ein Lager von Indianern, ähnlich dem, das wir an der boca de la Tortuga gesehen. Man war beisammen, um den Sand aufzugraben, die Schildkröteneier zu sammeln und das Oel zu gewinnen, aber man war leider ein paar Tage zu spät daran. Die jungen Schildkröten waren ausgekrochen, ehe die Indianer ihr Lager aufgeschlagen hatten. Auch hatten sich die Krokodile und die *Garzes*, eine große weiße Reiherart, das Säumniß zu Nutze gemacht. Diese Thiere lieben das Fleisch der jungen Schildkröten sehr und verzehren unzählige. Sie gehen auf diesen Fang bei Nacht aus, da die Tortuguillos erst nach der Abenddämmerung aus dem Boden kriechen und dem nahen Flusse zulaufen. Die Zamurosgeier sind zu träge [S. Band I. Seite 402.], um nach Sonnenuntergang zu jagen. Bei Tag streifen sie an den Ufern umher und kommen mitten ins Lager der Indianer herein, um Eßwaaren zu entwenden, und meist bleibt ihnen, um ihren Heißhunger zu stillen, nichts übrig, als auf dem Lande oder in seichtem Wasser junge, 7--8 Zoll lange Krokodile anzugreifen. Es ist merkwürdig anzusehen, wie schlau sich die kleinen Thiere eine Zeitlang gegen die Geier wehren. Sobald sie einen ansichtig werden, richten sie sich auf den Vorderfüßen auf, krümmen den Rücken, strecken den Kopf aufwärts und reißen den Rachen weit auf. Fortwährend, wenn auch langsam, kehren sie sich dem Feinde zu und weisen ihm die Zähne, die bei den eben ausgeschlüpften Thieren sehr lang und spitz sind. Oft, während so ein Zamuro ganz die Aufmerksamkeit des jungen Krokodils in Anspruch nimmt, benützt ein anderer die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriff. Er stößt auf das Thier nieder, packt es am Halse und steigt damit hoch in die Luft. Wir konnten diesem Kampfspiel halbe Vormittage lang zusehen; in der Stadt Mompor am Magdalenenstrom hatten wir mehr als 40 seit vierzehn Tagen bis drei Wochen ausgeschlüpfte Krokodile in einem großen, mit einer Mauer umgebenen Hofe beisammen.

Wir trafen in Pararuma unter den Indianern einige Weiße, die von Angostura herauf gekommen waren, um manteca de tortuga zu kaufen. Sie langweilten uns mit ihren Klagen über die »schlechte Ernte« und den Schaden, den die Tiger während des Eierlegens angerichtet, und führten uns endlich unter eine Ajoupa mitten im Indianerlager. Hier saßen die Missionäre von Carichana und von den Katarakten, Karten spielend und aus langen Pfeifen rauchend am Boden. Mit ihren weiten blauen Kutten, geschorenen Köpfen und langen Bärten hätten wir sie für Orientalen gehalten! Die armen Ordensleute nahmen uns sehr freundlich auf und ertheilten uns alle Auskunft, deren wir zur Weiterfahrt bedurften. Sie litten seit mehreren Monaten am dreitägigen Wechselfieber, und ihr blasses, abgezehrtes Aussehen überzeugte uns unschwer, daß in den Ländern, die wir zu betreten im Begriff standen, die Gesundheit des Reisenden allerdings gefährdet sey.

Dem indianischen Steuermann, der uns von San Fernando am Apure bis zum Strande von Pararuma gebracht hatte, war die Fahrt durch die *Stromschnellen*(15) des Orinoco neu, und er wollte uns nicht weiter führen. Wir mußten uns seinem Willen fügen. Glücklicherweise fand sich der Missionär von Carichana willig, uns zu sehr billigem Preise eine hübsche Pirogue abzutreten; ja der Missionär von Atures und Maypures bei den großen Katarakten, Pater Bernardo Zea, erbot sich, obgleich er krank war, uns bis zur Grenze von Brasilien zu begleiten. Der Indianer, welche die Canoes über die *Raudales* hinauf schaffen helfen, sind so wenige, daß wir, hätten wir keinen Mönch bei uns gehabt, Gefahr gelaufen wären, wochenlang an diesem feuchten, ungesunden Orte liegen bleiben zu müssen. An den Ufern des Orinoco gelten die Wälder am Rio Negro für ein köstliches Land. Wirklich ist auch die Luft dort frischer und gesunder, und es gibt im Fluß fast keine Krokodile; man kann unbesorgt baden und ist bei Tag und Nacht weniger als am Orinoco vom Insektenstich geplagt. Pater Zea hoffte, wenn er die Missionen am Rio Negro besuchte, seine Gesundheit wiederherzustellen. Er sprach von der dortigen Gegend mit der Begeisterung, mit der man in den Colonien auf dem Festland Alles ansieht, was in weiter Ferne liegt.

Die Versammlung der Indianer bei Pararuma bot uns wieder ein Schauspiel, wie es den Culturmenschen immer dazu anregt, den wilden Menschen und die allmähliche Entwicklung unserer Geisteskräfte zu beobachten. Man sträubt sich gegen die Vorstellung, daß wir in diesem gesellschaftlichen Kindheitszustand, in diesem Haufen trübseliger, schweigsamer, theilnahmloser Indianer das ursprüngliche Wesen unseres Geschlechts vor uns haben sollen. Die Menschennatur tritt uns hier nicht im Gewande liebenswürdiger Einfalt entgegen, wie sie die Poesie in allen Sprachen so hinreißend schildert. Der Wilde am Orinoco schien uns so widrig abstoßend als der Wilde am Mississippi, wie ihn der reisende Philosoph [VOLNEY], der größte Meister in der Schilderung des Menschen in verschiedenen Klimaten, gezeichnet hat. Gar gerne redet man sich ein, diese Eingeborenen, wie sie da, den Leib mit Erde und Fett beschmiert, um ihr Feuer hocken oder auf großen Schildkrötenpanzern sitzen und stundenlang mit dummen Gesichtern auf das Getränk glotzen, das sie bereiten, seyen keineswegs der ursprüngliche Typus unserer Gattung, vielmehr ein entartetes Geschlecht, die schwachen Ueberreste von Völkern, die versprengt lange in Wäldern gelebt und am Ende in Barbarei zurückgesunken.

Die rothe Bemalung ist gleichsam die einzige Bekleidung der Indianer, und es lassen sich zwei Arten derselben unterscheiden, nach der größeren oder geringeren Wohlhabenheit der Individuen. Die gemeine Schminke der Caraiben, Otomaken und Jaruros ist der 'Onoto', von den Spaniern 'Achote', von den Colonisten in Cayenne 'Rocou' genannt. Es ist der Farbstoff, den man aus dem Fruchtfleisch der Bixa orellana auszieht. Wenn sie Onoto bereiten, werfen die indianischen Weiber die Samen der Pflanze in eine Kufe mit Wasser, peitschen das Wasser eine Stunde lang und lassen dann den Farbstoff, der lebhaft ziegelroth ist, sich ruhig absetzen. Das Wasser wird abgegossen; der Bodensatz herausgenommen, mit den Händen ausgedrückt, mit Schildkröteneieröl geknetet und runde 3--4 Unzen schwere Kuchen daraus geformt. In Ermanglung von Schildkrötenöl vermengen einige Nationen den Onoto mit Krokodilfett. Ein anderer, weit kostbarerer Farbstoff wird aus einer Pflanze aus der Familie der Bignonien gewonnen, die Bonpland unter dem Namen Bignonia Chica bekannt gemacht hat. Die Tamanaken nennen dieselbe 'Craviri', die Maypures 'Chirraviri'. Sie klettert auf die höchsten Bäume und heftet sich mit Ranken an. Die zweilippigen Blüthen sind einen Zoll lang, schön violett, und stehen zu zweien oder dreien beisammen. Die doppelt gefiederten Blätter vertrocknen leicht und werden röthlich. Die Frucht ist eine zwei Fuß lange Schote mit geflügelten Samen. Diese Bignonie wächst bei Maypures in Menge wild, ebenso noch weiter am Orinoco hinauf jenseits des Einflusses des Guaviare, von Santa Barbara bis zum hohen Berge Duida, besonders bei Esmeralda. Auch an den Ufern des Cassiquiare haben wir sie gefunden. Der rothe Farbstoff des Chica wird nicht, wie der Onoto, aus der Frucht gewonnen, sondern aus den im Wasser geweichten Blättern. Er sondert sich in Gestalt eines sehr leichten Pulvers ab. Man formt ihn, ohne ihn mit Schildkrötenöl zu vermischen, zu kleinen 8--9 Zoll langen, 2--3 Zoll hohen, an den Rändern abgerundeten Broden. Erwärmt verbreiten diese Brode einen angenehmen Geruch, wie Benzoe. Bei der Destillation zeigt der Chica keine merkbare Spur von Ammoniak; es ist kein stickstoffhaltiger Körper wie der Indigo. In Schwefel- und Salzsäure, selbst in den Alkalien löst er sich etwas auf. Mit Oel abgerieben, gibt der Chica eine rothe, dem Lack ähnliche Farbe. Tränkt man Wolle damit, so könnte man sie mit Krapproth verwechseln. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der Chica, der vor unserer Reise in Europa unbekannt war, sich technisch nützlich verwenden ließe: Am Orinoco wird diese Farbe am besten von den Völkerschaften der Salivas, Guipunaves, Caveres und Piravas bereitet. Die meisten Völker am Orinoco können mit dem Infundiren und Maceriren gut umgehen. So treiben die Maypures ihren Tauschhandel mit kleinen Broden von *Pucuma*, einem Pflanzenmehl, das wie der Indigo getrocknet wird und eine sehr dauerhafte gelbe Farbe liefert. Die Chemie des Wilden beschränkt sich auf die Bereitung von Farbstoffen und von Giften und auf das Aussüßen der stärkmehlhaltigen Wurzeln der Arumarten und der Euphorbien.

Die meisten Missionäre am obern und untern Orinoco gestatten den Indianern in ihren Missionen, sich die Haut zu bemalen. Leider gibt es manche, die auf die Nacktheit der Eingeborenen speculiren. Da die Mönche nicht Leinwand und Kleider an sie verkaufen können, so handeln sie mit rother Farbe, die bei den Eingeborenen so sehr gesucht ist. Oft sah ich in ihren Hütten, die vornehm Conventos heißen, Niederlagen von Chica. Der Kuchen, die turtu, wird bis zu vier Franken verkauft. Um einen Begriff zu geben, welchen Luxus die nackten Indianer mit ihrem Putze treiben, bemerke ich hier, daß ein hochgewachsener Mann durch zwei wöchentliche Arbeit kaum genug verdient, um sich durch Tausch so viel Chica zu verschaffen, daß er sich roth bemalen kann. Wie man daher in gemäßigten Ländern von einem armen Menschen sagt, er habe nicht die Mittel, sich zu kleiden, so hört man die Indianer am Orinoco sagen: »Der Mensch ist so elend, daß er sich den Leib nicht einmal halb malen kann.« Der kleine Handel mit Chica wird besonders mit den Stämmen am untern Orinoco getrieben, in deren Land die Pflanze, die den kostbaren Stoff liefert, nicht wächst. Die Caraiben und Otomaken färben sich bloß Gesicht und Haare mit Chica, aber den Salives steht die Farbe in solcher Menge zu Gebot, daß sie den ganzen Körper damit überziehen können. Wenn die Missionäre nach Angostura auf ihre Rechnung kleine Sendungen von Cacao, Tabak und *Chiquichiqui*(16) vom Rio Negro machen, so packen sie immer auch Chicakuchen, als einen sehr gesuchten Artikel, bei. Manche Leute europäischer Abkunft brauchen den Farbstoff, mit Wasser angerührt, als ein vorzügliches harntreibendes Mittel.

Der Brauch, den Körpers zu bemalen, ist nicht bei allen Völkern am Orinoco gleich alt. Erst seit den häufigen Einfällen der mächtigen Nation der Caraiben in diese Länder ist derselbe allgemeiner geworden. Sieger und Besiegte waren gleich nackt, und um dem Sieger gefällig zu seyn, mußte man sich bemalen wie er und seine Farbe tragen. Jetzt ist es mit der Macht der Caraiben vorbei, sie sind auf das Gebiet zwischen den Flüssen Carony, Cuyuni und Paraguamuzi beschränkt, aber die caraibische Mode, den ganzen Körper zu färben, hat sich erhalten; der Brauch ist dauernder als die Eroberung.

Ist nun der Gebrauch des Onoto und des Chica ein Kind der bei wilden Völkern so häufigen Gefallsucht und ihrer Liebe zum Putz, oder gründet er sich vielleicht auf die Beobachtung, daß ein Ueberzug von färbenden und öligten Stoffen die Haut gegen den Stich der Moskitos schützt? In den Missionen am Orinoco und überall, wo die Luft von giftigen Insekten wimmelt, habe ich diese Frage sehr oft erörtern hören. Die Erfahrung zeigt, daß der Caraibe und der Saliva, die roth bemalt sind, von Moskitos und Zancudos so arg geplagt werden als die Indianer, die keine Farbe aufgetragen haben. Bei beiden hat der Stich des Insects keine Geschwulst zur Folge; fast nie bilden sich die Blasen oder kleinen Beulen, die frisch angekommenen Europäern ein so unerträgliches Jucken verursachen. So lange aber das Insekt den Saugrüssel nicht aus der Hautgezogen hat, schmerzt der Stich den Eingeborenen und den Weißen gleich sehr. Nach tausend andern nutzlosen Versuchen haben Bonpland und ich uns selbst Hände und Arme mit Krokodilfett und Schildkröteneieröl eingerieben und davon nie die geringste Erleichterung gespürt; wir wurden gestochen nach wie vor. Ich weiß wohl, daß Oel und Fett von den Lappen als die wirksamsten Schutzmittel gerühmt werden; aber die scandinavischen Insekten und die am Orinoco sind nicht von derselben Art. Der Tabaksrauch verscheucht unsere Schnacken, gegen die Zancudos hilft er nichts. Wenn die Anwendung vom fetten und adstringirenden Stoffen(17) die unglücklichen Landeseinwohner vor der Insektenplage schützte, wie Pater GUMILLA behauptet, warum wäre der Brauch sich zu bemalen hier zu Lande nicht ganz allgemein geworden? wie könnten so viele nackte Völker, die sich bloß das Gesicht bemalen, dicht neben solchen wohnen, die den ganzen Körper färben?

Es erscheint auffallend, daß die Indianer am Orinoco, wie die Eingeborenen in Nordamerika, rothe Farbstoffe allen andern vorziehen. Rührt diese Vorliebe davon her, daß der Wilde sich leicht ockerartige Erden oder das Farbmehl des Rocou und des Chica verschafft? Das möchte ich sehr be- zweifeln. In einem großen Theil des tropischen Amerika wächst der Indigo wild, und diese Pflanze, wie so viele andere Schotengewächse, hätten den Eingeborenen reichlich Mittel geboten, sich blau zu färben wie die alten Britannier, und doch sehen wir in Amerika keine mit Indigo bemalten Stämme. Wenn die Amerikaner der rothen Farbe den Vorzug geben, so beruht dieß, wie schon oben bemerkt, wahrscheinlich auf dem Triebe der Völker, Alles, was sie nationell auszeichnet, schön zu finden. Menschen, deren Haut von Natur rothbraun ist, lieben die rothe Farbe. Kommen sie mit niedriger Stirn, mit abgeplattetem Kopfe zur Welt, so suchen sie bei ihren Kindern die Stirne niederzudrücken. Unterscheiden sie sich von andern Völkern durch sehr dünnen Bart, so suchen sie die wenigen Haare, welche die Natur ihnen wachsen lassen, auszuraufen. Sie halten sich für desto schöner, je stärker sie die charakteristischen Züge ihres Stammes oder ihrer Nationalbildung hervortreten lassen.

Im Lager auf Pararuma machten wir die auffallende Bemerkung, daß sehr alte Weiber mit ihrem Putz sich mehr zu schaffen machten als die jüngsten. Wir sahen eine Indianerin vom Stamme der Otomaken, die sich die Haare mit Schildkrötenöl einreiben und den Rücken mit Onoto und *Caruto* bemalen ließ; zwei ihrer Töchter mußten dieses Geschäft verrichten. Die Malerei bestand in einer Art Gitter von schwarzen sich kreuzenden Linien auf rothem Grund; in jedes kleine Viereck wurde mitten ein schwarzer Punkt gemacht, eine Arbeit, zu der unglaubliche Geduld gehörte. Wir hatten sehr lange botanisirt, und als wir zurückkamen, war die Malerei noch nicht halb fertig. Man wundert sich über einen so umständlichen Putz um so mehr, wenn man bedenkt, daß die Linien und Figuren nicht tätowirt werden, und daß das so mühsam Aufgemalte sich verwischt,(18) wenn sich der Indianer unvorsichtigerweise einem starken Regen aussetzt. Manche Nationen bemalen sich nur, wenn sie Feste begehen, andere sind das ganze Jahr mit Farbe angestrichen, und bei diesen ist der Gebrauch des Onoto so unumgänglich, daß Männer und Weiber sich wohl weniger schämten, wenn sie sich ohne *Guayuco*, als wenn sie sich unbemalt blicken ließen. Die *Guayucos* bestehen am Orinoco theils aus Baumrinde, theils aus Baumwollenzeug. Die Männer tragen sie breiter als die Weiber, die überhaupt (wie die Missionäre behaupten) weniger Schamgefühl haben. Schon Christoph Columbus hat eine ähnliche Bemerkung gemacht. Sollte diese Gleichgültigkeit der Weiber, dieser ihr Mangel an Scham unter Völkern, deren Sitten doch nicht sehr verdorben sind, nicht daher rühren, daß das andere Geschlecht in Südamerika durch Mißbrauch der Gewalt von Seiten der Männer so tief herabgewürdigt und zu Sklavendiensten verurtheilt ist?

Ist in Europa von einem Eingeborenen von Guyana die Rede, so stellt man sich einen Menschen vor, der an Kopf und Gürtel mit schönen Arras-, Tucan-, Tangaras- und Colibrifedern geschmückt ist. Von jeher gilt bei unsern Malern und Bildhauern solcher Putz für das charakteristische Merkmal eines Amerikaners. Zu unserer Ueberraschung sahen wir in den Missionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und Pararuma, ja beinahe am ganzen Orinoco und Cassiquiare nirgends jene schönen Federbüsche, jene Federschürzen, wie sie die Reisenden so oft aus Cayenne und Demerary heimbringen. Die meisten Völkerschaften in Guyana, selbst die, deren Geisteskräfte ziemlich entwickelt sind, die Ackerbau treiben und Baumwollenzeug weben, sind so nackt, so arm, so schmucklos wie die Neuholländer. Bei der ungeheuren Hitze, beim starken Schweiß, der den Körper den ganzen Tag über und zum Theil auch bei Nacht bedeckt, ist jede Bekleidung unerträglich. Die Putzsachen, namentlich die Federbüsche werden nur bei Tanz und Festlichkeit gebraucht. Die Federbüsche der Guaypuñaves sind wegen der Auswahl der schönen Manakin- und Papagayenfedern die berühmtesten.

Die Indianer bleiben nicht immer bei einem einfachen Farbenüberzug stehen; zuweilen ahmen sie mit ihrer Hautmalerei in der wunderlichsten Weise den Schnitt europäischer Kleidungsstücke nach. Wir sahen in Pararuma welche, die sich blaue Jacken mit schwarzen Knöpfen malen ließen. Die Missionäre erzählten uns sogar, die Guaynaves am Rio Caura färben sich mit Onoto und machen sich dem Körper entlang breite Querstreifen, auf die sie silberfarbige Glimmerblättchen kleben. Von weitem sieht es aus, als trügen die nackten Menschen mit Tressen besetzte Kleider. Wären die *bemalten* Völker so scharf beobachtet worden, wie die *bekleideten*, so wäre man zum Schlusse gelangt, daß beim Bemalen, so gut wie bei der Bekleidung, der Brauch von großer Fruchtbarkeit der Einbildungskraft und starkem Wechsel der Laune erzeugt wird.

Das Bemalen und Tätowiren ist in beiden Welten weder auf Einen Menschenstamm, noch auf Einen Erdstrich beschränkt. Am häufigsten kommen diese Arten von Putz bei Völkern malayischer und amerikanischer Race vor; aber zur Zeit der Römer bestand die Sitte auch bei der weißen Race im Norden von Europa. Wenn Kleidung und Tracht im griechischen Archipel und in Westasien am malerischsten sind, so sind Bemalung und Tätowirung bei den Insulanern der Südsee am höchsten ausgebildet. Manche bekleideten Völker bemalen sich dabei doch Hände, Nägel und Gesicht. Die Bemalung erscheint hier auf die Körpertheile beschränkt, die allein blos getragen werden, und während die Schminke, die an den wilden Zustand der Menschheit erinnert, in Europa nach und nach verschwindet, meinen die Damen in manchen Städten der Provinz Peru ihre doch so feine und sehr weiße Haut durch Auftragen von vegetabilischen Farbstoffen, von Stärke, Eiweiß und Mehl schöner zu machen. Wenn man lange unter Menschen gelebt hat, die mit Onoto und Chica bemalt sind, fallen einem diese Ueberreste alter Barbarei inmitten aller Gebräuche der gebildeten Welt nicht wenig auf.

Im Lager von Pararuma hatten wir Gelegenheit, manche Thiere, die wir bis dahin nur von den europäischen Sammlungen her kannten, zum erstenmal lebend zu sehen. Die Missionäre treiben mit dergleichen kleinen Thieren Handel. Gegen Tabak, Maniharz, Chicafarbe, 'Gallitos' (Felshühner), *Titi-*, *Kapuziner-* und andere an den Küsten sehr gesuchte Affen tauschen sie Zeuge, Nägel, Aexte, Angeln und Stecknadeln ein. Die Producte vom Orinoco werden den Indianern, die unter der Herrschaft der Mönche leben, zu niedrigem Preise abgekauft, und dieselben Indianer kaufen dann von den Mönchen, aber zu sehr hohen Preisen, mit dem Geld, das sie bei der Eierernte erlösen, ihr Fischergeräthe und ihre Ackerwerkzeuge. Wir kauften mehrere Thiere, die uns auf der übrigen Stromfahrt begleiteten und deren Lebensweise wir somit beobachten konnten. Ich habe diese Beobachtungen in einem andern Werke bekannt gemacht; da ich aber einmal von denselben Gegenständen zweimal handeln muß, beschränke ich mich hier auf ganz kurze Angaben und füge Notizen bei, wie sie mir seitdem hier und da in meinen Reisetagebüchern aufstießen.

Die *Gallitos* oder *Felshühner*, die man in Pararuma in niedlichen kleinen Bauern aus Palmblattstielen verkauft, sind an den Ufern des Orinoco und im ganzen Norden und Westen des tropischen Amerika weit seltener als in französisch Guyana. Man fand sie bisher nur bei der Mission Encaramada und in den *Raudales* oder Fällen von Maypures. Ich sage ausdrücklich in den Fällen; denn diese Vögel nisten gewöhnlich in den Höhlungen der kleinen Granitfelsen, die sich durch den Orinoco ziehen und so zahlreiche Wasserfälle bilden. Wir sahen sie manchmal mitten im Wasserschaum zum Vorschein kommen, ihrer Henne rufen und mit einander kämpfen, wobei sie wie unsere Hähne den doppelten beweglichen Kamm, der ihren Kopfschmuck bildet, zusammenfalten. Da die Indianer selten erwachsene Gallitos fangen und in Europa nur die Männchen geschätzt sind, die vom dritten Jahre an prächtig goldgelb werden, so muß der Käufer auf der Hut seyn, um nicht statt junger Hahnen junge Hennen zu bekommen. Beide sind olivenbraun; aber der Pollo oder junge Hahn zeichnet sich schon ganz jung durch seine Größe und seine gelben Füße aus. Die Henne bleibt ihr Lebenlang dunkelfarbig, braun, und nur die Spitzen und der Untertheil der Flügel sind bei ihr gelb. Soll der erwachsene Felshahn in unsern Sammlungen die schöne Farbe seines Gefieders erhalten, so darf man dasselbe nicht dem Licht aussetzen. Die Farbe bleicht weit schneller als bei andern Gattungen sperlingsartiger Vögel. Die jungen Hahnen haben, wie die meisten Thiere, das Gefieder der Mutter. Es wundert mich, wie ein so ausgezeichneter Beobachter wie LE VAILLANT in Zweifel ziehen kann, ob die Henne wirklich immer dunkelfarbig, olivenbraun bleibt. Die Indianer bei den Raudales versicherten mich alle, niemals ein goldfarbiges Weibchen gesehen zu haben.

Unter den Affen, welche die Indianer in Paramara zu Markte gebracht, sahen wir mehrere Spielarten des *Saï* [Simia capucina], der der kleinen Gruppe der Winselaffen angehört, die in den spanischen Colonien *Matchi* heißen, ferner *Marimondas* [Simia Belzebuth] oder Atelen mit rothem Bauch, *Titis* und *Viuditas*. Die beiden letzteren Arten interessirten uns besonders, und wir kauften sie, um sie nach Europa zu schicken.(19) BUFFONs *Ouistiti* [Simia Jacchus] ist AZZARAs Titi, der *Titi* [Simia Oedipus] von Carthagena und Darien ist BUFFONs Pinche, und der *Titi* [Simia sciurea] vom Orinoco ist der Saïmiri der französischen Zoologen, und diese Thiere dürfen nicht verwechselt werden. In den verschiedenen spanischen Colonien heißen *Titi* Affen, die drei verschiedenen Untergattungen angehören und in der Zahl der Backzähne von einander abweichen. Nach dem eben Angeführten ist die Bemerkung fast überflüssig, wie wünschenswerth es wäre, daß man in wissenschaftlichen Werken sich der landesüblichen Namen enthielte, die durch unsere Orthographie entstellt werden, die in jeder Provinz wieder anders lauten, und so die klägliche Verwirrung in der zoologischen Nomenclatur vermehren.

Der *Titi vom Orinoco* (Simia sciurea), bis jetzt schlecht abgebildet, indessen in unsern Sammlungen sehr bekannt, heißt bei den Maypures-Indianern Bititeni. Er kommt südlich von den Katarakten sehr häufig vor. Er hat ein weißes Gesicht und über Mund und Nasenspitze weg einen kleinen blauschwarzen Fleck. Die am zierlichsten gebauten und am schönsten gefärbten (der Pelz ist goldgelb) kommen von den Ufern des Cassiquiare. Die man am Guaviare fängt, sind groß und schwer zu zähmen. Kein anderer Affe sieht im Gesicht einem Kinde so ähnlich wie der Titi; es ist derselbe Ausdruck von Unschuld, dasselbe schalkhafte Lächeln: derselbe rasche Uebergang von Freude zu Trauer. Seine großen Augen füllen sich mit Thränen, sobald er über etwas ängstlich wird. Er ist sehr lüstern nach Insekten, besonders nach Spinnen. Das kleine Thier ist so klug, daß ein Titi, den wir aus unserem Canoe nach Angostura brachten, die Tafeln zu CUVIERs Tableau élémentaire d'histoire naturelle ganz gut unterschied. Diese Kupfer sind nicht colorirt, und doch streckte der Titi rasch die kleine Hand aus, in der Hoffnung, eine Heuschrecke oder eine Wespe zu erhaschen, so oft wir ihm die eilfte Tafel vorhielten, auf der diese Insekten abgebildet sind. Zeigte man ihm Skelette oder Köpfe von Säugethieren, blieb er völlig gleichgültig.(20) Setzt man mehrere dieser kleinen Affen, die im selben Käfigt beisammen sind, dem Regen aus, und fällt die gewöhnliche Lufttemperatur rasch um 2--3 Grad, so schlingen sie sich den Schwanz, der übrigens kein Wickelschwanz ist, um den Hals und verschränken Arme und Beine, um sich gegenseitig zu erwärmen. Die indianischen Jäger erzählten uns, man finde in den Wäldern häufig Haufen von zehn, zwölf solcher Affen, die erbärmlich schreien, weil die auswärts Stehenden in den Knäuel hinein möchten, um Wärme und Schutz zu finden. Schießt man mit Pfeilen, die in Curare destemplado (in verdünntes Gift) getaucht sind, auf einen solchen Knäuel, so fängt man viele junge Affen auf einmal lebendig. Der junge Titi bleibt im Fallen an seiner Mutter hängen, und wird er durch den Sturz nicht verletzt, so weicht er nicht von Schulter und Hals des todten Thiers. Die meisten, die man in den Hütten der Indianer lebend antrifft, sind auf diese Weise von den Leichen ihrer Mütter gerissen worden. Erwachsene Thiere, wenn sie auch von leichten Wunden genesen sind, gehen meist zu Grunde, ehe sie sich an den Zustand der Gefangenschaft gewöhnt haben. Die Titis sind meist zarte, furchtsame kleine Thiere. Sie sind aus den Missionen am Orinoco schwer an die Küsten von Cumana und Caracas zu bringen. Sobald man die Waldregion hinter sich hat und die Llanos betritt, werden sie traurig und niedergeschlagen. Der unbedeutenden Zunahme der Temperatur kann man diese Veränderung nicht zuschreiben, sie scheint vielmehr vom stärkeren Licht, von der geringeren Feuchtigkeit und von irgend welcher chemischen Beschaffenheit der Luft an der Küste herzurühren.

Den Saïmiris oder Titis vom Orinoco, den Atelen, Sajous und andern schon lange in Europa bekannten Vierhändern steht in scharfem Abstich, nach Habitus und Lebensweise, der *Macavahu* [Simia lugens] gegenüber, den die Missionäre 'Viudita' oder *Wittwe in Trauer* nennen. Das kleine Thier hat feines, glänzendes, schön schwarzes Haar. Das Gesicht hat eine weißlichte, ins Blaue spielende Larve, in der Augen, Nase und Mund stehen. Die Ohren haben einen umgebogenen Rand, sind klein, wohlgebildet und fast ganz nackt. Vorn am Halse hat die *Wittwe* einen weißen, zollbreiten Strich, der ein halbes Halsband bildet. Die Hinterfüße oder vielmehr Hände sind schwarz wie der übrige Körper, aber die Vorderhände sind außen weiß und innen glänzend schwarz. Diese weißen Abzeichen deuten nun die Missionare als Schleier, Halstuch und Handschuhe einer *Wittwe in Trauer*. Die Gemüthsart dieses kleinen Affen, der sich nur beim Fressen auf den Hinterbeinen ausrichtet, verräth sich durch seine Haltung nur sehr wenig. Er sieht sanft und schüchtern aus; häufig berührt er das Fressen nicht, das man ihm bietet, selbst wenn er starken Hunger hat. Er ist nicht gerne in Gesellschaft anderer Affen; wenn er den kleinsten Samïri ansichtig wird, läuft er davon. Sein Auge verräth große Lebhaftigkeit. Wir sahen ihn stundenlang regungslos dasitzen, ohne daß er schlief, und auf Alles, was um ihn vorging, achten. Aber diese Schüchternheit und Sanftmuth sind nur scheinbar. Ist die Viudita allein, sich selbst überlassen, so wird sie wüthend, sobald sie einen Vogel sieht. Sie klettert und läuft dann mit erstaunlicher Behendigkeit; sie macht einen Satz auf ihre Beute, wie die Katze, und erwürgt, was sie erhaschen kann. Dieser sehr seltene und sehr zärtliche Affe lebt auf dem rechten Ufer des Orinoco in den Granitgebirgen hinter der Mission Santa Barbara, ferner am Guaviare bei San Fernando de Atabapo. Die Viudita hat die ganze Reise auf dem Cassiquiare und Rio Negro mitgemacht und ist zweimal mit uns über die Katarakten gegangen. Will man die Sitten der Thiere genau beobachten, so ist es, nach meiner Meinung, sehr vortheilhaft, wenn man sie Monate lang in freier Luft, nicht in Häusern, wo sie ihre natürliche Lebhaftigkeit ganz verlieren, unter den Augen hat.

Die neue für uns bestimmte Pirogue wurde noch am Abend geladen. Es war, wie alle indianischen Canoes, ein mit Axt und Feuer ausgehöhlter Baumstamm, vierzig Fuß lang und drei breit. Drei Personen konnten nicht neben einander darin sitzen. Diese Piroguen sind so beweglich, sie erfordern, weil sie so wenig Widerstand leisten, eine so gleichmäßige Vertheilung der Last, daß man, wenn man einen Augenblick aufstehen will, den Ruderern (bogas) zurufen muß, sich auf die entgegengesetzte Seite zu lehnen; ohne diese Vorsicht liefe das Wasser nothwendig über den geneigten Bord. Man macht sich nur schwer einen Begriff davon, wie übel man auf einem solchen elenden Fahrzeug daran ist.

Der Missionär aus den *Raudales* betrieb die Zurüstungen zur Weiterfahrt eifriger, als uns lieb war. Man besorgte nicht genug Macos- und Guahibos-Indianer zur Hand zu haben, die mit dem Labyrinth von kleinen Kanälen und Wasserfällen, welche die Raudales oder Katarakten bilden, bekannt wären; man legte daher die Nacht über zwei Indianer in den *Cepo*, das heißt, man legte sie auf den Boden und steckte ihnen die Beine durch zwei Holzstücke mit Ausschnitten, um die man eine Kette mit Vorlegeschloß legte. Am frühen Morgen weckte uns das Geschrei eines jungen Mannes, den man mit einem Seekuhriemen unbarmherzig peitschte. Es war *Zerepe*, ein sehr verständiger Indianer, der uns in der Folge die besten Dienste leistete, jetzt aber nicht mit uns gehen wollte. Er war aus der Mission Atures gebürtig, sein Vater war ein Maco, seine Mutter vom Stamme der Maypures; er war in die Wälder (al monte) entlaufen und hatte ein paar Jahre unter nicht unterworfenen Indianern gelebt. Dadurch hatte er sich mehrere Sprachen zu eigen gemacht, und der Missionär brauchte ihn als Dolmetscher. Nur mit Mühe brachten wir es dahin, daß der junge Mann begnadigt wurde. »Ohne solche Strenge,« hieß es, »würde es euch an Allem fehlen. Die Indianer aus den Raudales und vom obern Orinoco sind ein stärkerer und arbeitsamerer Menschenschlag als die am untern Orinoco. Sie wissen wohl, daß sie in Angostura sehr gesucht sind. Ließe man sie machen, so gingen sie alle den Fluß hinunter, um ihre Produkte zu verkaufen und in voller Freiheit unter den Weißen zu leben, und die Missionen stünden leer.«

Diese Gründe mögen scheinbar etwas für sich haben, richtig sind sie nicht. Will der Mensch der Vortheile des geselligen Lebens genießen, so muß er allerdings seine natürlichen Rechte, seine frühere Unabhängigkeit zum Theil zum Opfer bringen. Wird aber das Opfer, das man ihm auferlegt, nicht durch die Vortheile der Civilisation aufgewogen, so nährt der Wilde in seiner verständigen Einfalt fort und fort den Wunsch, in die Wälder zurückzukehren, in denen er geboren worden. Weil der Indianer aus den Wäldern in den meisten Missionen als ein Leibeigener behandelt wird, weil er der Früchte seiner Arbeit nicht froh wird, deßhalb veröden die christlichen Niederlassungen am Orinoco. Ein Regiment, das sich auf die Vernichtung der Freiheit der Eingeborenen gründet, tödtet die Geisteskräfte oder hemmt doch ihre Entwicklung.

Wenn man sagt, der Wilde müsse wie das Kind unter strenger Zucht gehalten werden, so ist dieß ein unrichtiger Vergleich. Die Indianer am Orinoco haben in den Aeußerungen ihrer Freude, im raschen Wechsel ihrer Gemüthsbewegungen etwas Kindliches; sie sind aber keineswegs große Kinder, sowenig als die armen Bauern im östlichen Europa, die in der Barbarei des Feudalsystems sich der tiefsten Verkommenheit nicht entringen können. Zwang, als hauptsächlichstes und einziges Mittel zur Sittigung des Wilden, erscheint zudem als ein Grundsatz, der bei der Erziehung der Völker und bei der Erziehung der Jugend gleich falsch ist. Wie schwach, und wie tief gesunken auch der Mensch seyn mag, keine Fähigkeit ist ganz erstorben. Die menschliche Geisteskraft ist nur dem Grad und der Entwicklung nach verschieden. Der Wilde, wie das Kind, vergleicht den gegenwärtigen Zustand mit dem vergangenen; er bestimmt seine Handlungen nicht nach blindem Instinkt, sondern nach Rücksichten der Nützlichkeit. Unter allen Umständen kann Vernunft durch Vernunft aufgeklärt werden; die Entwicklung derselben wird aber desto mehr niedergehalten, je weiter diejenigen, die sich zur Erziehung der Jugend oder zur Regierung der Völker berufen glauben, im hochmüthigen Gefühl ihrer Ueberlegenheit auf die ihnen Untergebenen herabblicken und Zwang und Gewalt brauchen, statt der sittlichen Mittel, die allein keimende Fähigkeiten entwickeln, die aufgeregten Leidenschaften sänftigen und die gesellschaftliche Ordnung befestigen können.

Am 10. April. Wir konnten erst um zehn Uhr Morgens unter Segel gehen. Nur schwer gewöhnten wir uns an die neue Pirogue, die uns eben ein neues Gefängniß war. Um an Breite zu gewinnen, hatte man auf dem Hintertheil des Fahrzeugs aus Baumzweigen eine Art Gitter angebracht, das aus beiden Seiten über den Bord hinausreichte. Leider war das Blätterdach (el toldo) darüber so niedrig, daß man gebückt sitzen oder ausgestreckt liegen mußte, wo man dann nichts sah. Da man die Piroguen durch die Stromschnellen, ja von einem Fluß zum andern schleppen muß, und weil man dem Wind zu viel Fläche böte, wenn man den Toldo höher machte, so kann auf den kleinen Fahrzeugen, die zum Rio Negro hinauf gehen, die Sache nicht anders eingerichtet werden. Das Dach war für vier Personen bestimmt, die auf dem Verdeck oder dem Gitter aus Baumzweigen lagen; aber die Beine reichen weit über das Gitter hinaus, und wenn es regnet, wird man zum halben Leib durchnäßt. Dabei liegt man auf Ochsenhäuten oder Tigerfellen und die Baumzweige darunter drücken einen durch die dünne Decke gewaltig. Das Vordertheil des Fahrzeugs nahmen die indianischen Ruderer ein, die drei Fuß lange, löffelsörmige *Pagaies* führen. Sie sind ganz nackt, sitzen paarweise und rudern im Takt, den sie merkwürdig genau einhalten. Ihr Gesang ist trübselig, eintönig. Die kleinen Käfige mit unsern Vögeln und Affen, deren immer mehr wurden, je weiter wir kamen, waren theils am Toldo, theils am Vordertheil aufgehängt. Es war unsere Reisemenagerie. Obgleich viele der kleinen Thiere durch Zufall, meist aber am Sonnenstich zu Grunde gingen, hatten wir ihrer bei der Rückkehr vom Cassiquiare noch vierzehn. Naturaliensammler, die lebende Thiere nach Europa bringen wollen, könnten sich in Angostura und Gran-Para, den beiden Hauptstädten am Orinoco und Amazonenstrom, eigens für ihren Zweck Piroguen bauen lassen, wo im ersten Drittheil zwei Reihen gegen die Sonnengluth geschützter Käfige angebracht wären. Wenn wir unser Nachtlager aufschlugen, befanden sich die Menagerie und die Instrumente immer in der Mitte; ringsum kamen sofort unsere Hängematten, dann die der Indianer, und zu äußerst die Feuer, die man für unentbehrlich hielt, um den Jaguar ferne zu halten. Um Sonnenaufgang stimmten unsere Affen in das Geschrei der Affen im Walde ein. Dieser Verkehr zwischen Thieren derselben Art, die einander zugethan sind, ohne sich zu sehen, von denen die einen der Freiheit genießen, nach der die andern sich sehnen, hat etwas Wehmüthiges, Rührendes.

Auf der überfüllten, keine drei Fuß breiten Pirogue blieb für die getrockneten Pflanzen, die Koffer, einen Sextanten, den Inclinationscompaß und die meteorologischen Instrumente kein Platz als der Raum unter dem Gitter aus Zweigen, auf dem wir den größten Theil des Tags ausgestreckt liegen mußten. Wollte man irgend etwas aus einem Koffer holen oder ein Instrument gebrauchen, mußte man ans Ufer fahren und aussteigen. Zu diesen Unbequemlichkeiten kam noch die Plage der Moskitos, die unter einem so niedrigen Dache in Schaaren hausen, und die Hitze, welche die Palmblätter ausstrahlen, deren obere Fläche beständig der Sonnengluth ausgesetzt ist. Jeden Augenblick suchten wir uns unseres Lage erträglicher zu machen, und immer vergeblich. Während der eine sich unter ein Tuch steckte, um sich vor den Insekten zu schützen, verlangte der andere, man solle grünes Holz unter dem Toldo anzünden, um die Mücken durch den Rauch zu vertreiben. Wegen des Brennens der Augen und der Steigerung der ohnehin erstickenden Hitze war das eine Mittel so wenig anwendbar als das andere. Aber mit einem muntern Geiste, bei gegenseitiger Herzlichkeit, bei offenem Sinn und Auge für die großartige Natur dieser weiten Stromthäler fällt es den Reisenden nicht schwer, Beschwerden zu ertragen, die zur Gewohnheit werden. Wenn ich mich hier auf diese Kleinigkeiten eingelassen habe, geschah es nur, um die Schifffahrt auf dem Orinoco zu schildern und begreiflich zu machen, daß Bonpland und ich auf diesem Stück unserer Reise beim besten Willen lange nicht alle die Beobachtungen machen konnten, zu denen uns die an wissenschaftlicher Ausbeute so reiche Naturumgebung aufforderte.

Unsere Indianer zeigten uns am rechten Ufer den Ort, wo früher die ums Jahr 1733 von den Jesuiten gegründete Mission Pararuma gestanden. Eine Pockenepidemie, die unter den Salivas-Indianern große Verheerungen anrichtete, war der Hauptgrund, warum die Mission einging. Die wenigen Einwohner, welche die schreckliche Seuche überlebten, wurden im Dorfe Carichana aufgenommen, das wir bald besuchen werden. Hier bei Pararuma war es, wo, nach Pater Nomans Aussage, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts bei einem starken Gewitter Hagel fiel. Dieß ist so ziemlich der einzige Fall, der meines Wissens in einer fast im Niveau des Meeres liegenden Niederung vorgekommen; denn im Allgemeinen hagelt es unter den Tropen nur in mehr als 300 Toisen Meereshöhe [S. Band II Seite 156]. Bildet sich der Hagel in derselben Höhe über Niederungen und Hochebenen, so muß man annehmen, er schmelze bei seinem Durchgang durch die untersten Luftschichten (zwischen 0 und 300 Toisen), deren mittlere Temperatur 27°,5 und 24° beträgt. Ich gestehe indessen, daß es beim jetzigen Stande der Meteorologie sehr schwer zu erklären ist, warum es in Philadelphia, Rom und Montpellier in den heißesten Monaten mit einer mittleren Temperatur von 25 bis 26° hagelt, während in Cumana, Guayra und überhaupt in den Niederungen in der Nähe des Aequators die Erscheinung nicht vorkommt. In den Vereinigten Staaten und im südlichen Europa (unter dem 40--43. Grad der Breite) ist die Temperatur auf den Niederungen im Sommer ungefähr eben so hoch als unter den Tropen. Auch die Wärmeabnahme ist nach meinen Untersuchungen nur wenig verschieden. Rührt nun der Umstand, daß in der heißen Zone kein Hagel fällt, davon her, daß die Hagelkörner beim Durchgang durch die untern Luftschichten schmelzen, so muß man annehmen, daß die Körner im Moment der Bildung in der gemäßigten Zone größer sind als in der heißen. Wir kennen die Bedingungen, unter denen in unserem Klima das Wasser in einer Gewitterwolke friert, noch so wenig, daß wir nicht zu beurtheilen vermögen, ob unter dem Aequator über den Niederungen dieselben Bedingungen eintreten. Ich bezweifle, daß sich der Hagel immer in einer Luftregion bildet, deren mittlere Temperatur gleich Null ist, und die bei uns im Sommer 1500--1600 Toisen hoch liegt. Die Wolken, in denen man die Hagelkörner, bevor sie fallen, an einander schlagen hört, und die wagrecht ziehen, kamen mir immer lange nicht so hoch vor, und es erscheint begreiflich, daß in solch geringerer Höhe durch die Ausdehnung der aufsteigenden Luft, welche an Wärmecapacität zunimmt, durch Ströme kalter Luft aus einer höheren Breite, besonders aber (nach GAY-LUSSAC) durch die Strahlung der obern Fläche der Wolken, eine ungewöhnliche Erkältung hervorgebracht wird. Ich werde Gelegenheit haben, auf diesen Punkt zurückzukommen, wenn von den verschiedenen Formen die Rede ist, unter denen auf den Anden in 2000--2600 Toisen Meereshöhe Hagel und Graupen auftreten, und die Frage erörtert wird, ob man die Wolken, welche die Gebirge einhüllen, als eine horizontale Fortsetzung der Wolkenschicht betrachten kann, die wir in den Niederungen gerade über uns sich bilden sehen.

Im Orinoco sind sehr viele Inseln und der Strom fängt jetzt an sich in mehrere Arme zu theilen, deren westlichster in den Monaten Januar und Februar trocken liegt. Der ganze Strom ist 2900--3000 Toisen breit. Der Insel Javanavo gegenüber sahen wir gegen Ost die Mündung des *Caño* Aujacoa. Zwischen diesem Caño und dem Rio Paruasi oder Paruati wird das Land immer stärker bewaldet. Aus einem Palmenwald nicht weit vom Orinoco steigt, ungemein malerisch, ein einzelner Fels empor, ein Granitpfeiler, ein Prisma, dessen kahle, schroffe Wände gegen zweihundert Fuß hoch sind. Den Gipfel, der über die höchsten Waldbäume emporragt, krönt eine ebene, wagrechte Felsplatte. Auf diesem Gipfel, den die Missionäre Pic oder Mogote de Cocuyza nennen, stehen wieder Bäume. Dieses großartig einfache Naturdenkmal erinnert an die cyclopischen Bauwerke. Sein scharf gezeichneter Umriß und oben darauf die Bäume und das Buschwerk heben sich vom blauen Himmel ab, ein Wald über einem Walde.

Weiterhin beim Einfluß des Paruasi wird der Orinoco wieder schmaler. Gegen Osten sahen wir einen Berg mit plattem Gipfel, der wie ein Vorgebirge herantritt. Er ist gegen 300 Fuß hoch und diente den Jesuiten als fester Platz. Sie hatten ein kleines Fort darauf angelegt, das drei Batterien entthielt und in dem beständig ein Militärposten lag. In Carichana und Atures sahen wir die Kanonen ohne Lafetten, halb im Sand begraben. Die Jesuitenschanze (oder Fortaleza de San Francisco Xavier) wurde nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu zerstört, aber der Ort heißt noch el Castillo. Auf einer in neuester Zeit in Caracas von einem Weltgeistlichen entworfenen, nicht gestochenen Karte führt derselbe den seltsamen Namen Trinchera del despotismo monacal (Schanze des Mönchsdespotismus). In allen politischen Umwälzungen spricht sich der Geist der Neuerung, der über die Menge kommt, auch in der geographischen Nomenclatur aus.

Die Besatzung, welche die Jesuiten auf diesem Felsen hatten, sollte nicht allein die Missionen gegen die Einfälle der Caraiben schützen, sie diente auch zum Angriffskriege, oder, wie man hier sagt, zur Eroberung von Seelen (conquista de almas). Die Soldaten, durch die ausgesetzten Geldbelohnungen angefeuert, machten mit bewaffneter Hand Einfälle oder Entradas auf das Gebiet unabhängiger Indianer. Man brachte um, was Widerstand zu leisten wagte, man brannte die Hütten nieder, zerstörte die Pflanzungen und schleppte Greise, Weiber und Kinder als Gefangene fort. Die Gefangenen wurden sofort in die Missionen am Meta, Rio Negro und obern Orinoco vertheilt. Man wählte die entlegensten Orte, damit sie nicht in Versuchung kämen, wieder in ihr Heimathland zu entlaufen. Dieses gewaltsame Mittel, *Seelen zu erobern*, war zwar nach spanischem Gesetz verboten, wurde aber von den bürgerlichen Behörden geduldet und von den Obern der *Gesellschaft*, als der Religion und dem Aufkommen der Missionen förderlich, höchlich gepriesen. »Die Stimme des Evangeliums,« sagt ein Jesuit vom Orinoco in den »erbaulichen Briefen«(21) äußerst naiv, »wird nur da vernommen, wo die Indianer Pulver haben knallen hören (el eco de la polvora). Sanftmuth ist ein gar langsames Mittel. Durch Züchtigung erleichtert man sich die Belehrung der Eingebornen.« Dergleichen die Menschheit schändenden Grundsätze wurden sicher nicht von allen Gliedern einer Gesellschaft getheilt, die in der neuen Welt und überall, wo die Erziehung ausschließlich in den Händen von Mönchen geblieben ist, der Wissenschaft und der Cultur Dienste geleistet hat. Aber die *Entradas*, die *geistlichen Eroberungen* mit dem Bajonett waren einmal ein von einem Regiment, bei dem es nur auf rasche Ausbreitung der Missionen ankam, unzertrennlicher Gräuel. Es thut dem Gemüthe wohl, daß die Franciskaner, Dominikaner und Augustiner, welche gegenwärtig einen großen Theil von Südamerika regieren und, je nachdem sie von milder oder roher Sinnesart sind, auf das Geschick von vielen Tausenden von Eingeborenen den mächtigsten Einfluß üben, nicht nach jenem System verfahren. Die Einfälle mit bewaffneter Hand sind fast ganz abgestellt, und wo sie noch vorkommen, werden sie von den Ordensobern mißbilligt. Wir wollen hier nicht ausmachen, ob diese Wendung des Mönchsregiments zum Bessern daher rührt, daß die frühere Thätigkeit erschlafft ist und der Lauheit und Indolenz Platz gemacht hat, oder ob man darin, was man so gerne thäte, einen Beweis sehen soll, daß die Aufklärung zunimmt und eine höhere, dem wahren Geist des Christenthums entsprechendere Gesinnung Platz greift.

Vom Einfluß des Rio Paruasi an wird der Orinoco wieder schmaler. Er ist voll Inseln und Granitklippen, und so entstehen hier die *Stromschnellen* oder kleinen Fälle (los remolinos), die beim ersten Anblick wegen der vielen Wirbel dem Reisenden bange machen können, aber in keiner Jahreszeit den Schiffen gefährlich sind. Man muß wenig zu Schiffe gewesen seyn, wenn man wie Pater GILI, der sonst so genau und verständig ist, sagen kann: »e terrible pe molti scogli il tratto del fiume tral Castello e Caricciana.« Eine Reihe von Klippen, die fast über den ganzen Fluß läuft, heißt *Raudal de Marimara*. Wir legten sie ohne Schwierigkeit zurück, und zwar in einem schmalen Kanal, in dem das Wasser ungestüm, wie siedend, unter der *Piedra de Marimara* heraufschießt, einer compakten Granitmasse, 80 Fuß hoch und 300 im Umfang, ohne Spalten und ohne Spur von Schichtung. Der Fluß tritt weit ins Land hinein und bildet in den Felsen weite Buchten. Eine dieser Buchten zwischen zwei kahlen Vorgebirgen heißt der *Hafen von Carichana*. Der Ort hat ein wildes Aussehen; das Felsenufer wirft Abends seine mächtigen Schatten über den Wasserspiegel und das Wasser erscheint schwarz, wenn sich diese Granitmassen darin spiegeln, die, wie schon bemerkt, wegen der eigenen Färbung ihrer Oberfläche, bald wie Steinkohlen, bald wie Bleierz aussehen. Wir übernachteten im kleinen Dorfe Carichana, wo wir auf die Empfehlung des guten Missionärs Fray Jose Antonio de Torre im Pfarrhaus oder 'Convento' Aufnahme fanden. Wir hatten seit fast vierzehn Tagen unter keinem Dache geschlafen.

Am 11. April. Um die für die Gesundheit oft so nachtheiligen Folgen der Ueberschwemmungen zu vermeiden, wurde die Mission Carichana dreiviertel Meilen vom Fluß angelegt. Die Indianer sind vom Stamme der Salivas. Die ursprünglichen Wohnsitze desselben scheinen auf dem westlichen Ufer des Orinoco zwischen dem Rio Vichada und dem Guaviare, sowie zwischen dem Meta und dem Rio Paute gewesen zu seyn. Gegenwärtig findet man Salivas nicht nur in Carichana, sondern auch in den Missionen der Provinz Casanare, in Cabapuna, Guanapalo, Cabiuna und Macuco. Letzteres im Jahr 1730 vom Jesuiten Fray Manuel Roman gegründete Dorf hat 1300 Einwohner. Die Salivas sind ein geselliges, sanftes, fast schüchternes Volk, und leichter, ich sage nicht zu civilisiren, aber in der Zucht zu halten als andere am Orinoco, Um sich der Herrschaft der Caraiben zu entziehen, ließen die Salivas sich leicht herbei, sich den ersten Jesuitenmissionen anzuschließen. Die Patres rühmen aber auch in ihren Schriften durchgängig ihren Verstand und ihre Gelehrigkeit. Die Salivas haben großen Hang zur Musik; seit den ältesten Zeiten blasen sie Trompeten aus gebrannter Erde, die vier bis fünf Fuß lang sind und mehrere kugelförmige Erweiterungen haben, die durch enge Röhren zusammenhängen. Diese Trompeten geben sehr klägliche Töne. Die Jesuiten haben die natürliche Neigung der Salivas zur Instrumentalmusik mit Glück ausgebildet, und auch nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu haben die Missionare am Rio Meta in San Miguel de Macuco die schöne Kirchenmusik und den musikalischen Unterricht der Jugend fort gepflegt. Erst kürzlich sah ein Reisender zu seiner Verwunderung die Eingeborenen Violine, Violoncell, Triangel, Guitarre und Flöte spielen.

In den vereinzelten Missionen am Orinoco wirkt die Verwaltung nicht so günstig auf die Entwicklung der Cultur der Salivas und die Zunahme der Bevölkerung als das System, das die Augustiner auf den Ebenen am Casanare und Meta befolgen. In Macuco haben die Eingeborenen durch den Verkehr mit den Weißen im Dorf, die fast lauter 'Flüchtlinge von Socorro'(22) sind, sehr gewonnen. Zur Jesuitenzeit wurden die drei Dörfer am Orinoco, Pararuma, Castillo oder Marumarutu und Carichana in Eines, Carichana, verschmolzen, das damit eine sehr ansehnliche Mission wurde. Im Jahr 1759, als die Fortaleza de San Francisco Xavier und ihre drei Batterien noch standen, zählte Pater Caulin in der Mission Carichana 400 Salivas; im Jahr 1800 fand ich ihrer kaum 150. Vom Dorfe ist nichts übrig als einige Lehmhütten, die symmetrisch um ein ungeheuer hohes Kreuz herliegen.

Wir trafen unter diesen Indianern eine Frau von weißer Abkunft, die Schwester eines Jesuiten aus Neu-Grenada. Unbeschreiblich ist die Freude, wenn man mitten unter Völkern, deren Sprache man nicht versteht, einem Wesen begegnet, mit dem man sich ohne Dolmetscher unterhalten kann. Jede Mission hat zum wenigsten zwei solche Dolmetscher, lenguarazes. Es sind Indianer, etwas weniger beschränkt als die andern, mittelst deren die Missionäre am Orinoco, die sich gegenwärtig nur selten die Mühe nehmen, die Landessprachen kennen zu lernen, mit den Neugetauften verkehren. Diese Dolmetscher begleiteten uns beim Botanisiren. Sie verstehen wohl spanisch, aber sie können es nicht recht sprechen. In ihrer faulen Gleichgültigkeit geben sie, man mag fragen, was man will, wie auf Gerathewohl, aber immer mit gefälligem Lächeln zur Antwort: »Ja, Pater; nein, Pater.« Man begreift leicht, daß einem die Geduld ausgeht, wenn man Monate lang solche Gespräche zu führen hat, statt über Gegenstände Auskunft zu erhalten, für die man sich lebhaft interessirt. Nicht selten konnten wir nur mittelst mehrerer Dolmetscher und so, daß derselbe Satz mehrmals übersetzt wurde, mit den Eingeborenen verkehren.

»Von meiner Mission an,« sagte der gute Ordensmann in Uruana, »werdet ihr reisen wie Stumme.« Und diese Vorhersagung ist so ziemlich in Erfüllung gegangen, und um nicht um allen Nutzen zu kommen, den man aus dem Verkehr selbst mit den versunkensten Indianern ziehen kann, griffen wir zuweilen zur Zeichensprache. Sobald der Eingeborene merkt, daß man sich keines Dolmetschers bedienen will, sobald man ihn unmittelbar befragt, indem man auf die Gegenstände deutet, so legt er seine gewöhnliche Stumpfheit ab und weiß sich mit merkwürdiger Gewandtheit verständlich zu machen. Er macht Zeichen aller Art, er spricht die Worte langsam aus, er wiederholt sie unaufgefordert. Es scheint seiner Eigenliebe zu schmeicheln, daß man ihn beachtet und sich von ihm belehren läßt. Diese Leichtigkeit, sich verständlich zu machen, zeigt sich besonders auffallend beim unabhängigen Indianer, und was die christlichen Niederlassungen betrifft, muß ich den Reisenden den Rath geben, sich vorzugsweise an Eingeborene zu wenden, die erst seit Kurzem *unterworfen* sind oder von Zeit zu Zeit wieder in den Wald laufen, um ihrer früheren Freiheit zu genießen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der unmittelbare Verkehr mit den Eingeborenen belehrender und sicherer ist, als der mittelst des Dolmetschers [S. Band II. Seite 25--26], wenn man nur seine Fragen zu vereinfachen weiß und dieselben hinter einander an mehrere Individuen in verschiedener Gestalt richtet. Zudem sind der Mundarten, welche am Meta, Orinoco, Cassiquiare und Rio Negro gesprochen werden, so unglaublich viele, daß der Reisende selbst mit dem bedeutendsten Sprachtalent nie so viele derselben sich aneignen könnte, um sich längs der schiffbaren Ströme von Angostura bis zum Fort San Carlos am Rio Negro verständlich zu machen. In Peru und Quito kommt man mit der Kenntniß der Oquichua- oder Incasprache aus, in Chili mit dem Araucanischen, in Paraguay mit dem Guarany; man kann sich wenigstens der Mehrzahl der Bevölkerung verständlich machen. Ganz anders in den Missionen in spanisch Guyana, wo im selben Dorf Völker verschiedenen Stammes unter einander wohnen. Hier wäre es nicht einmal genug, wenn man folgende Sprachen verstände: Caraibisch oder Carina, Guamo, Guahiva, Jaruro, Ottomaco, Maypure, Saliva, Marivitano, Maquiritare und Guaica, zehn Sprachen, von denen es nur ganz rohe Sprachlehren gibt und die unter einander weniger verwandt sind, als Griechisch, Deutsch und Persisch.

Die Umgegend der Mission Carichana schien uns ausgezeichnet schön. Das kleine Dorf liegt auf einer der grasbewachsenen Ebenen, wie sie von Encaramada bis über die Katarakten von Maypures hinaus sich zwischen all den Ketten der Granitberge hinziehen. Der Waldsaum zeigt sich nur in der Ferne. Ringsum ist der Horizont von Bergen begrenzt, zum Theil bewaldet, von düsterer Färbung, zum Theil kahl, mit felsigten Gipfeln, die der Strahl der untergehenden Sonne vergoldet. Einen ganz eigenthümlichen Charakter erhält die Gegend durch die fast ganz kahlen Felsbänke, die oft achthundert Fuß im Umfang haben und sich kaum ein paar Zoll über die umgebende Grasflur erheben. Sie machen gegenwärtig einen Theil der Ebene aus. Man fragt sich mit Verwunderung, ob hier ein ungewöhnliches stürmisches Ereigniß Dammerde und Gewächse weggerissen, oder ob der Granitkern unseres Planeten hier nackt zu Tage tritt, weil sich die Keime des Lebens noch nicht auf allen Punkten entwickelt haben. Dieselbe Erscheinung scheint in *Shamo* zwischen der Mongolei und China vorzukommen. Diese in der Wüste zerstreuten Felsbänke heißen 'Tsy'. Es wären, wie mir scheint, eigentliche Plateaus, wären von der Ebene umher der Sand und die Erde weg, welche das Wasser an den tiefsten Stellen angeschwemmt hat. Aus den Felsplatten bei Carichana hat man, was sehr interessant ist, den Gang der Vegetation von ihren Anfängen durch die verschiedenen Entwicklungsgrade vor Augen. Da sieht man Flechten, welche das Gestein zerklüften und mehr oder weniger dicke Krusten bilden; wo ein wenig Quarzsand sich angehäuft hat, finden Saftpflanzen Nahrung; endlich in Höhlungen des Gesteins haben sich schwarze, aus zersetzten Wurzeln und Blättern sich bildende Erdschichten abgesetzt, auf denen immergrünes Buschwerk wächst. Handelte es sich hier von großartigen Natureffekten, so käme ich nicht auf unsere Gärten und die ängstlichen Künsteleien der Menschenhand; aber der Contrast zwischen Felsgestein und blühendem Gesträuch, die Gruppen kleiner Bäume da und dort in der Savane erinnern unwillkürlich an die mannigfaltigsten und malerischsten Partien unserer Parke. Es ist als hätte hier der Mensch mit tiefem Gefühl für Naturschönheit den herben, rauhen Charakter der Gegend mildern wollen.

Zwei, drei Meilen von der Mission findet man auf diesen von Granitbergen durchzogenen Ebenen eine ebenso üppige als mannigfaltige Vegetation. Allen Dörfern oberhalb der großen Katarakten gegenüber kann man hier bei Carichana auffallend leicht im Lande fortkommen, ohne daß man sich an die Flußufer hält und auf Wälder stößt, in die nicht einzudringen ist. Bonpland machte mehrere Ausflüge zu Pferd, auf denen er sehr viele Gewächse erbeutete. Ich erwähne nur den Paraguatan, eine sehr schöne Art von Macrocnemum, deren Rinde roth färbt, den Guaricamo mit giftiger Wurzel, die Jacaranda obusifolia und den *Serrape* oder *Jape* der Salivas-Indianer, AUBLETs Coumarouna, der in ganz Terra Firma wegen seiner aromatischen Frucht berühmt ist. Diese Frucht, die man in Caracas zwischen die Wäsche legt, während man sie in Europa unter dem Namen *Tonca-* oder *Tongobohne* unter den Schnupftabak mischt, wird für giftig gehalten. In der Provinz Cumana glaubt man allgemein, das eigenthümliche Arom des vortrefflichen Liqueurs, der auf Martinique bereitet wird, komme vom *Jape*; dieß ist aber unrichtig. Derselbe heißt in den Missionen *Simaruba*, ein Name, der zu argen Mißgriffen Anlaß geben kann, denn die ächte *Simaruba* ist eine Quassiaart, eine Fieberrinde, und wächst in spanisch Guyana nur im Thal des Rio Caura, wo die Paudacotos-Indianer sie *Achechari* nennen.

In Carichana, auf dem großen Platz, fand ich die Inclination der Magnetnadel gleich 33°,70, die Intensität der magnetischen Kraft gleich 227 Schwingungen in zehn Zeitminuten, eine Steigerung, bei der örtliche Anziehungen im Spiel seyn mochten. Die vom Wasser des Orinoco geschwärzten Granitblöcke wirken übrigens nicht merkbar auf den Magnet. Der Barometer stand um Mittag 336,6 Linien hoch, der Thermometer zeigte im Schatten 30°,6. Bei Nacht fiel die Temperatur der Luft auf 26°,2; der Delucsche Hygrometer stand auf 46°.

Am 10. April war der Fluß um mehrere Zoll gestiegen; die Erscheinung war den Eingeborenen auffallend, da sonst der Strom Anfangs fast unmerklich steigt, und man ganz daran gewöhnt ist, daß er im April ein paar Tage lang wieder fällt. Der Orinoco stand bereits drei Fuß über dem niedrigsten Punkt. Die Indianer zeigten uns an einer Granitwand die Spuren der gegenwärtigen Hochgewässer; sie standen nach unserer Messung 42 Fuß hoch, und dieß ist doppelt so viel als durchschnittlich beim Nil. Aber dieses Maaß wurde an einem Ort genommen, wo das Strombett durch Felsen bedeutend eingeengt ist, und ich konnte mich nur an die Angabe der Indianer halten. Man sieht leicht, daß das Stromprofil, die Beschaffenheit der mehr oder weniger hohen Ufer, die Zahl der Nebenflüsse, die das Regenwasser hereinführen, und die Länge der vom Fluß zurückgelegten Strecke auf die Wirkungen der Hochgewässer und auf ihre Höhe von bedeutendem Einfluß seyn müssen. Unzweifelhaft ist, und es macht auf Jedermann im Lande einen starken Eindruck, daß man bei Carichana, San Borja, Atures und Maypures, wo sich der Strom durch die Berge Bahn gebrochen, hundert, zuweilen hundert dreißig Fuß über dem höchsten gegenwärtigen Wasserstand schwarze Streifen und Auswaschungen sieht, die beweisen, daß das Wasser einmal so hoch gestanden. So wäre denn dieser Orinocostrom, der uns so großartig und gewaltig erscheint, nur ein schwacher Rest der ungeheuren Ströme süßen Wassers, die einst, geschwellt von Alpenschnee oder noch stärkeren Regenniederschlägen als den heutigen, überall von dichten Wäldern beschattet, nirgends von flachen Ufern eingefaßt, welche der Verdunstung Vorschub leisten, das Land ostwärts von den Anden gleich Armen von Binnenmeeren durchzogen? In welchem Zustande müssen sich damals diese Niederungen von Guyana befunden haben, die jetzt alle Jahre die Ueberschwemmungen durchzumachen haben? Welch ungeheure Massen von Krokodilen, Seekühen und Boas müssen auf dem weiten Landstrich gelebt haben, der dann wieder aus Lachen stehenden Wassers bestand, oder ein ausgedörrter, von Sprüngen durchzogener Boden war! Der ruhigeren Welt, in der wir leben, ist eine ungleich stürmischere vorangegangen. Auf den Hochebenen der Anden finden sich Knochen von Mastodonten und amerikanischen eigentlichen Elephanten, und auf den Ebenen am Uruguay lebte das Megatherium. Gräbt man tiefer in die Erde, so findet man in hochgelegenen Thälern, wo jetzt keine Palmen und Baumfarn mehr vorkommen, Steinkohlenflötze, in denen riesenhafte Reste monocotyledonischer Gewächse begraben liegen. Es war also lange vor der Jetztwelt eine Zeit, wo die Familien der Gewächse anders vertheilt, wo die Thiere größer, die Ströme breiter und tiefer waren. Soviel und nicht mehr sagen uns die Naturdenkmale, die wir vor Augen haben. Wir wissen nicht, ob das Menschengeschlecht, das bei der Entdeckung von Amerika ostwärts von den Cordilleren kaum ein paar schwache Volksstämme aufzuweisen hatte, bereits auf die Ebenen herabgekommen war, oder ob die uralte Sage vom *großen Wasser*, die sich bei den Völkern am Orinoco, Erevato und Caura findet, andern Himmelsstrichen angehört, aus denen sie in diesen Theil des neuen Continents gewandert ist.

Am 11. April. Nach unserer Abfahrt von Carichana um 2 Uhr Nachmittags fanden wir im Bette immer mehr Granitblöcke, durch welche der Strom aufgehalten wird. Wir ließen den Caño Orupe westwärts und fuhren darauf am großen, unter dem Namen Pieda del Tigre bekannten Felsen vorbei. Der Strom ist hier so tief, daß ein Senkblei von 22 Faden den Grund nicht erreicht. Gegen Abend wurde der Himmel bedeckt und düster, Windstöße und dazwischen ganz stille Luft verkündeten, daß ein Gewitter im Anzug war. Der Regen fiel in Strömen und das Blätterdach, unter dem wir lagen, bot wenig Schutz. Zum Glück vertrieben die Regenströme die Moskitos, die uns den Tag über grausam geplagt, wenigstens auf eine Weile. Wir befanden uns vor dem Katarakt von Cariven, und der Zug des Wassers war so stark, daß wir nur mit Mühe ans Land kamen. Wir wurden immer wieder mitten in die Strömung geworfen. Endlich sprangen zwei Salivas, ausgezeichnete Schwimmer, ins Wasser, zogen die Pirogue mit einem Strick ans Ufer und banden sie an der Piedra de Carichana vieja fest, einer nackten Felsbank, auf der wir übernachteten. Das Gewitter hielt lange in die Nacht hinein an; der Fluß stieg bedeutend und man fürchtete mehreremale, die wilden Wogen möchten unser schwaches Fahrzeug vom Ufer losreißen.

Der Granitfels, auf dem wir lagerten, ist einer von denen, auf welchen Reisende zu Zeiten gegen Sonnenaufgang unterirdische Töne, wie Orgelklang, vernommen haben. Die Missionare nennen dergleichen Steine 'laxas de musica'. »Es ist Hexenwerk« (cosa de bruxas) sagte unser junger indianischer Steuermann, der castilianisch sprach. Wir selbst haben diese geheimnißvollen Töne niemals gehört, weder in Carichana, noch am obern Orinoco; aber nach den Aussagen glaubwürdiger Zeugen läßt sich die Erscheinung wohl nicht in Zweifel ziehen, und sie scheint auf einem gewissen Zustand der Luft zu beruhen. Die Felsbänke sind voll feiner, sehr tiefer Spalten und sie erhitzen sich bei Tag auf 48--50 Grad. Ich fand oft ihre Temperatur bei Nacht an der Oberfläche 39°, während die der umgebenden Luft 28° betrug. Es leuchtet alsbald ein, daß der Temperaturunterschied zwischen der unterirdischen und der äußern Luft sein Maximum um Sonnenaufgang erreicht, welcher Zeitpunkt sich zugleich vom Maximum der Wärme am vorhergehenden Tage am weitesten entfernt. Sollten nun die Orgeltöne, die man hört, wenn man, das Ohr dicht am Gestein, auf dem Fels schläft, nicht von einem Luftstrom herrühren, der aus den Spalten dringt? Hilft nicht der Umstand, daß die Luft an die elastischen Glimmerblättchen stößt, welche in den Spalten hervorstehen, die Töne modificiren? Läßt sich nicht annehmen, daß die alten Egypter, die beständig den Nil auf und ab fuhren, an gewissen Felsen in der Thebais dieselbe Beobachtung gemacht, und daß 'die Musik der Felsen' Veranlassung zu den Gaukeleien gegeben, welche die Priester mit der Bildsäule Memnons trieben? Wenn die »rosenfingerige Eos ihrem Sohn, dem ruhmreichen Memnon, eine Stimme verlieh,«(23) so war diese Stimme vielleicht die eines unter dem Fußgestell der Bildsäule versteckten Menschen, aber die Beobachtung der Eingeborenen am Orinoco, von der hier die Rede ist, scheint ganz natürlich zu erklären, was zu dem Glauben der Egypter, ein Stein töne bei Sonnenaufgang, Anlaß gegeben.

Fast zur selben Zeit, da ich diese Vermuthungen einigen Gelehrten in Europa mittheilte, kamen französische Reisende, die Herrn JOMARD, JOLLOIS und DEVILLIERS, auf ähnliche Gedanken. In einem Denkmal aus Granit, mitten in den Tempelgebäuden von Karnak, hörten sie bei Sonnenaufgang ein Geräusch wie von einer reißenden Saite. Gerade denselben Vergleich brauchen aber die Alten, wenn von der Stimme Memnons die Rede ist. Die französischen Reisenden sind mit mir der Ansicht, das Durchstreichen der Luft durch die Spalten eines klingenden Steins habe wahrscheinlich die egyptischen Priester auf die Gaukeleien im Memnonium gebracht.

Am 12. April. Wir brachen um 4 Uhr Morgens auf. Der Missionär sah voraus, daß wir Noth haben würden, über die Stromschnellen und den Einfluß des Meta wegzukommen. Die Indianer ruderten zwölf und eine halbe Stunde ohne Unterlaß. Während dieser Zeit nahmen sie nichts zu sich als Manioc und Bananen. Bedenkt man, wie schwer es ist, die Gewalt der Strömung zu überwinden und die Katarakten hinauszufahren, und weiß man, daß die Indianer am Orinoco und Amazonenstrom auf zweimonatlichen Flußfahrten in dieser Weise ihre Muskeln anstrengen, so wundert man sich gleich sehr über die Körperkraft und über die Mäßigkeit dieser Menschen. Stärkmehl- und zuckerhaltige Stoffe, zuweilen Fische und Schildkröteneierfett ersetzen hier die Nahrung, welche die zwei ersten Thierklassen, Säugethiere und Vögel, Thiere mit rothem, warmem Blute, geben.

Wir fanden das Flußbett auf einer Strecke von 600 Toisen voll Granitblöcken; dieß ist der sogenannte *Raudal de Cariven*. Wir liefen durch Kanäle, die nicht fünf Fuß breit waren, und manchmal stak unsere Pirogue zwischen zwei Granitblöcken fest. Man suchte die Durchfahrten zu vermeiden, durch die sich das Wasser mit furchtbarem Getöse stürzt. Es ist keine ernstliche Gefahr vorhanden, wenn man einen guten indianischen Steuermann hat. Ist die Strömung nicht zu überwinden, so springen die Ruderer ins Wasser, binden ein Seil an die Felsspitzen und ziehen die Pirogue heraus. Dieß geht sehr langsam vor sich, und wir benützten zuweilen die Gelegenheit und kletterten auf die Klippen, zwischen denen wir staken. Es gibt ihrer von allen Größen; sie sind abgerundet, ganz schwarz, bleiglänzend und ohne alle Vegetation. Es ist ein merkwürdiger Anblick, wenn man auf einem der größten Ströme der Erde gleichsam das Wasser verschwinden sieht. Ja noch weit vom Ufer sahen wir die ungeheuern Granitblöcke aus dem Boden steigen und sich an einander lehnen. In den Stromschnellen sind die Kanäle zwischen den Felsen über 25 Faden tief, und sie sind um so schwerer zu finden, da das Gestein nicht selten nach unten eingezogen ist und eine Wölbung über dem Flußspiegel bildet. Im Raudal von Cariven sahen wir keine Krokodile; die Thiere scheinen das Getöse der Katarakten zu scheuen.

Von Cabruta bis zum Einfluß des Rio Sinaruco, aus einer Strecke von fast zwei Breitegraden, ist das linke Ufer des Orinoco völlig unbewohnt; aber westlich vom Raudal de Cariven hat ein unternehmender Mann, Don Felix Relinchon, Jaruros- und Otomacos-Indianer in einem kleinen Dorfe zusammengebracht. Auf diesen Civilisationsversuch hatten die Mönche unmittelbar keinen Einfluß. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß Don Felix mit den Missionären am rechten Ufer des Stroms in offener Fehde lebt. Wir werden anderswo die wichtige Frage besprechen, ob, unter den gegenwärtigen Verhältnissen in spanisch Amerika, dergleichen 'Capitanes pobladores' und 'fundadores' an die Stelle der Mönche treten können, und welche der beiden Regierungsarten, die gleich launenhaft und willkürlich. sind, für die armen Indianer die schlimmste ist.

Um 9 Uhr langten wir an der Einmündung des Meta an, gegenüber dem Platze, wo früher die von den Jesuiten gegründete Mission Santa Teresa gestanden. Der Meta ist nach dem Guaviare der bedeutendste unter den Nebenflüssen des Orinoco. Man kann ihn der Donau vergleichen, nicht nach der Länge des Laufs, aber hinsichtlich der Wassermasse. Er ist durchschnittlich 34, oft bis zu 84 Fuß tief. Die Vereinigung beider Ströme gewährt einen äußerst großartigen Anblick. Am östlichen Ufer steigen einzelne Felsen empor, und aufeinander gethürmte Granitblöcke sehen von ferne wie verfallene Burgen aus. Breite sandigte Ufer legen sich zwischen den Strom und den Saum der Wälder, aber mitten in diesen sieht man am Horizont auf den Berggipfeln einzelne Palmen sich vom Himmel abheben.

Wir brachten zwei Stunden auf einem großen Felsen mitten im Orinoco zu, auf der *Piedra de paciencia* so genannt, weil die Piroguen, die den Fluß hinauf gehen, hier nicht selten zwei Tage brauchen, um aus dem Strudel herauszukommen, der von diesem Felsen herrührt. Es gelang mir meine Instrumente darauf aufzustellen. Nach den Sonnenhöhen, die ich aufnahm, liegt der Einfluß des Meta unter 70° 4{~PRIME~} 29{~DOUBLE PRIME~} der Länge. Nach dieser chronometrischen Beobachtung ist D'ANVILLEs Karte von Südamerika, was diesen Punkt betrifft, in der Länge fast ganz richtig, während der Fehler in der Breite einen ganzen Grad beträgt.

Der Rio Meta durchzieht die weiten Ebenen von Casanare; er ist fast bis zum Fuß der Anden von Neu-Grenada schiffbar und muß einmal für die Bevölkerung von Guyana und Venezuela politisch von großer Bedeutung werden. Aus dem *Golfo triste* und der *Boca del Dragon* kann eine Flottille den Orinoco und Meta bis auf 15--20 Meilen von Santa Fe de Bogota herauffahren. Auf demselben Wege kann das Mehl aus Neu-Grenada hinunterkommen. Der Meta ist wie ein Schiffsahrtskanal zwischen Ländern unter derselben Breite, die aber ihren Produkten nach so weit auseinander sind als Frankreich und der Senegal. Durch diesen Umstand wird es von Belang, daß man die Quellen des Flusses, der auf unsern Karten so schlecht gezeichnet ist, genan kennen lernt. Der Meta entsteht durch die Vereinigung zweier Flüsse, die von den Paramos von Chingasa und Suma Paz herabkomrnen. Ersterer ist der Rio Negro, der weiter unten den Pachaquiaro aufnimmt; der zweite ist der Rio de aguas blancas oder Umadea. Sie vereinigen sich in der Nähe des Hafens von Marayal. Vom Passo de la Cabulla, wo man den Rio Negro verläßt, bis zur Hauptstadt Santa Fe sind es nur 8--10 Meilen. Ich habe diese interessanten Notizen, wie ich sie aus dem Munde von Augenzeugen erhalten, in der ersten Ausgabe meiner Karte vom Rio Meta benützt. Die Reisebeschreibung des Canonicus DON JOSEF CORTES MADARIAGA hat nicht allein meine erste Ansicht vom Laufe des Meta bestätigt, sondern mir auch schätzbares Material zur Berichtigung meiner Arbeit geliefert. Von den Dörfern Xiramena und Cabullaro bis zu den Dörfern Guanapalo und Santa Rosalia de Cabapuna, auf einer Strecke von 60 Meilen, sind die Ufer des Meta stärker bewohnt als die des Orinoco. Es sind dort vierzehn zum Theil stark bevölkerte christliche Niederlassungen, aber vom Einfluß des Pauto und des Casanare an, über 50 Meilen weit, machen die wilden Guahibos den Meta unsicher.

Zur Jesuitenzeit, besonders aber zur Zeit von ITURIAGAs Expedition im Jahr 1756 war die Schifffahrt auf dem Strom weit stärker als jetzt. Missionäre aus Einem Orden waren damals Herrn an den Ufern des Meta und des Orinoco. Die Dörfer Macuco, Zurimena, Casimena einerseits, andererseits Uruana, Encaramada, Carichana waren von den Jesuiten gegründet. Die Patres gingen damit um, vom Einfluß des Casanare in den Meta bis zum Einfluß des Meta in den Orinoco eine Reihe von Missionen zu gründen, so daß ein schmaler Streif bebauten Landes über die weite Steppe zwischen den Wäldern von Guyana und den Anden von Neu-Grenada gelaufen wäre. Außer dem Mehl von Santa Fe gingen damals zur Zeit der »Schildkröteneierernte« das Salz von Chita, die Baumwollenzeuge von San Gil und die gedruckten Decken von Socorro den Fluß herunter. Um den Krämern, die diesen Binnenhandel trieben, einigermaßen Sicherheit zu verschaffen, machte man vom *Castillo* oder Fort Carichana aus von Zeit zu Zeit einen Angriff auf die Guahibos-Indianer.

Da auf demselben Wege, der den Handel mit den Produkten von Neu-Grenada förderte, das geschmuggelte Gut von der Küste von Guyana ins Land ging, so setzte es der Handelsstand von Carthagena de Indias bei der Regierung durch, daß der freie Handel auf dem Meta bedeutend beschränkt wurde. Derselbe Geist des Monopols schloß den Meta, den Rio Atracto und den Amazonenstrom. Es ist doch eine wunderliche Politik von Seiten der Mutterländer, zu glauben, es sey vortheilhaft, Länder, wo die Natur Keime der Fruchtbarkeit mit vollen Händen ausgestreut, unangebaut liegen zu lassen. Daß das Land nicht bewohnt ist, haben sich nun die wilden Indianer aller Orten zu Nutze gemacht. Sie sind an die Flüsse herangerückt, sie machen Angriffe auf die Vorüberfahrenden, sie suchen *wiederzuerobern*, was sie seit Jahrhunderten verloren. Um die Guahibos im Zaume zu halten, wollten die Kapuziner, welche als Leiter der Missionen am Orinoco auf die Jesuiten folgten, an der Ausmündung des Meta unter dem Namen Villa de San Carlos eine Stadt bauen. Trägheit und die Furcht vor dem dreitägigen Fieber ließen es nicht dazu kommen, und ein sauber gemaltes Wappen auf einem Pergament und ein ungeheures Kreuz am Ufer des Meta ist Alles, was von der Villa de San Carlos bestanden hat. Die Guahibos, deren Kopfzahl, wie man behauptet, einige Tausende beträgt, sind so frech geworden, daß sie, als wir nach Carichana kamen, dem Missionär hatten ankündigen lassen, sie werden auf Flößen kommen und ihm sein Dorf anzünden. Diese Flöße (valzas), die wir zu sehen Gelegenheit hatten, sind kaum 3 Fuß breit und 12 lang. Es fahren nur zwei bis drei Indianer darauf, aber 15 bis 16 Flöße werden mit den Stengeln von Paulinia, Dolichos und andern Rankengewächsen aneinander gebunden. Man begreift kaum, wie diese kleinen Fahrzeuge in den Stromschnellen beisammen bleiben können. Viele aus den Dörfern am Casanare und Apure entlaufene Indianer haben sich den Guahibos angeschlossen und ihnen Geschmack am Rindfleisch und den Gebrauch des Leders beigebracht. Die Höfe San Vicente, Rubio und San Antonio haben durch die Einfälle der Indianer einen großen Theil ihres Hornviehs eingebüßt. Ihretwegen können auch die Reisenden, die den Meta hinaufgehen, bis zum Einfluß des Casanare die Nacht nicht am Ufer zubringen. Bei niedrigem Wasser kommt es ziemlich häufig vor, daß Krämer aus Neu-Grenada, die zuweilen noch das Lager bei Pararuma besuchen, von den Guahibos mit vergifteten Pfeilen erschossen werden.

Vom Einfluß des Meta an erschien der Orinoco freier von Klippen und Felsmassen. Wir fuhren auf einer 500 Toisen breiten offenen Stromstrecke. Die Indianer ruderten fort, ohne die Pirogue zu schieben und zu ziehen und uns dabei mit ihrem wilden Geschrei zu belästigen. Gegen West lagen im Vorbeifahren die Caños Uita und Endava, und es war bereits Nacht, als wir vor dem *Raudal de Tabaje* hielten. Die Indianer wollten es nicht mehr wagen, den Katarakt hinaufzufahren, und wir schliefen daher am Lande, an einem höchst unbequemen Ort, auf einer mehr als 18 Grad geneigten Felsplatte, in deren Spalten Schaaren von Fledermäusen staken. Die ganze Nacht über hörten wir den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und unser großer Hund antwortete darauf mit anhaltendem Geheul. Umsonst wartete ich, ob nicht die Sterne zum Vorschein kämen; der Himmel war grauenhaft schwarz. Das dumpfe Tosen der Fälle des Orinoco stach scharf ab vom Donner, der weit weg, dem Walde zu, sich hören ließ.

Am 13. April. Wir fuhren am frühen Morgen die Stromschnellen von Tabaje hinauf, bis wohin Pater GUMILLA auf seiner Fahrt gekommen war,(24) und stiegen wieder aus. Unser Begleiter, Pater Zea, wollte in der neuen, seit zwei Jahren bestehenden Mission San Borja die Messe lesen. Wir fanden daselbst sechs von noch nicht catechisirten Guahibos bewohnte Häuser. Sie unterschieden sich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen schwarzen Augen verriethen mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Missionen. Vergeblich boten wir ihnen Branntwein an; sie wollten ihn nicht einmal kosten. Die Gesichter der jungen Mädchen waren alle mit runden schwarzen Tupfen bemalt; dieselben nahmen sich aus wie die Schönpflästerchen, mit denen früher die Weiber in Europa die Weiße ihrer Haut zu heben meinten. Am übrigen Körper waren die Guahibos nicht bemalt. Mehrere hatten einen Bart; sie schienen stolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu verstehen, sie seyen wie wir. Sie sind meist ziemlich schlank gewachsen. Auch hier, wie bei den Salivas und Macos, fiel mir wieder auf, wie wenig Aehnlichkeit die Indianer am Orinoco in der Gesichtsbildung mit einander haben. Ihr Blick ist düster, trübselig, aber weder streng noch wild. Sie haben keinen Begriff von den christlichen Religionsgebräuchen (der Missionär von Carichana liest in San Borja nur drei- oder viermal im Jahr Messe); dennoch benahmen sie sich in der Kirche durchaus anständig. Die Indianer lieben es, sich ein Ansehen zu geben; gerne dulden sie eine Weile Zwang und Unterwürfigkeit aller Art, wenn sie nur wissen, daß man auf sie sieht. Bei der Communion machten sie einander Zeichen, daß jetzt der Priester den Kelch zum Munde führen werde. Diese Geberde ausgenommen, saßen sie da, ohne sich zu rühren, völlig theilnahmlos.

Die Theilnahme, mit der wir die armen Wilden betrachtet hatten, war vielleicht Schuld daran, daß die Mission einging. Einige derselben, die lieber umherzogen als das Land bauten, beredeten die andern, wieder auf die Ebenen am Meta zu ziehen; sie sagten ihnen, die Weißen würden wieder nach San Borja kommen und sie dann in ihren Canoes fortschleppen und in Angostura als 'Poitos', als Sklaven verkaufen. Die Guahibos warteten, bis sie hörten, daß wir vom Rio Negro über den Cassiquiare zurückkamen, und als sie erfuhren, daß wir beim ersten großen Katarakt, bei Apures, angelangt seyen, liefen alle davon in die Savanen westlich vom Orinoco. Am selben Platz und unter demselben Namen hatten schon die Jesuiten eine Mission gegründet. Kein Stamm ist schwerer seßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben sie von faulen Fischen, Tausendfüßen und Würmern, als daß sie ein kleines Stück Land bebauen. Die andern Indianer sagen daher sprüchwörtlich: »Ein Guahibo ißt Alles auf der Erde und unter der Erde.«

Kommt man auf dem Orinoco weiter nach Süden, so nimmt die Hitze keineswegs zu, sondern wird im Gegentheil erträglicher. Die Lufttemperatur war bei Tag 26--27°,5 [20°,18--22° R], bei Nacht 23°,7 [19°6 R]. Das Wasser des Stroms behielt seine gewöhnliche Temperatur von 27°,7 [22°,2 R]. Aber trotz der Abnahme der Hitze nahm die Plage der Moskitos erschrecklich zu. Nie hatten wir so arg gelitten als in San Borja. Man konnte nicht sprechen oder das Gesicht entblößen, ohne Mund und Nase voll Insekten zu bekommen. Wir wunderten uns, daß wir den Thermometer nicht auf 35 oder 36 Grad stehen sahen; beim schrecklichen Hautreiz schien uns die Luft zu glühen. Wir übernachteten am Ufer bei Guaripo. Aus Furcht vor den kleinen Caraibenfischen badeten wir nicht. Die Krokodile, die wir den Tag über gesehen, waren alle außerordentlich groß, 22--24 Fuß lang.

Am 14. April. Die Plage der Zancudos veranlaßte uns, schon um fünf Uhr Morgens aufzubrechen. In der Luftschicht über dem Fluß selbst sind weniger Insekten als am Waldsaume. Zum Frühstück hielten wir an der Insel Guachaco, wo eine Sandsteinformation oder ein Conglomerat unmittelbar auf dem Granit lagert. Der Sandstein enthält Quarz-, sogar Feldspathtrümmer und das Bindemittel ist verhärteter Thon. Es befinden sich darin kleine Gänge von Brauneisenerz, das in liniendicken Schichten abblättert. Wir hatten dergleichen Blätter bereits zwischen Encaramada und dem Baraguan am Ufer gefunden, und die Missionäre hatten dieselben bald für Gold-, bald für Zinnerz gehalten. Wahrscheinlich ist diese secundäre Bildung früher ungleich weiter verbreitet gewesen. Wir fuhren an der Mündung des Rio Parueni vorüber, über welcher die Macos-Indianer wohnen, und übernachteten auf der Insel Panumana. Nicht ohne Mühe kam ich dazu, zur Bestimmung der Länge des Orts, bei dem der Fluß eine scharfe Wendung nach West macht, Höhenwinkel des Canopus zu messen. Die Insel Panumana ist sehr reich an Pflanzen. Auch hier findet man wieder die kahlen Felsen, die Melastomenbüsche, die kleinen Baumpartien, deren Gruppirung uns schon in der Ebene bei Carichana aufgefallen war. Die Berge bei den großen Katarakten begrenzten den Horizont gegen Südost. Je weiter wir hinauf kamen, desto großartiger und malerischer wurden die Ufer des Orinoco.

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11 Die Sandflöhe (pulex penetrans, LINNÉ) die sich beim Menschen und Affen unter die Nägel der Zehen eingraben und daselbst ihre Eier legen.

12 Die Namen der Missionen in Südamerika bestehen sämmtlich aus zwei Worten, von denen das erste nothwendig ein Heiligenname ist (der Name des Schutzpatrons der Kirche), das zweite ein indianisches (der Name des Volks, das hier lebt, und der Gegend, wo die Mission liegt). So sagt man: San Jose de Maypures, Santa Cruz de Cachipo, San Juan-Nepomuceno de los Atures etc. Diese zusammengesetzten Namen kommen aber nur in der amtlichen Sprache vor; die Einwohner brauchen nur Einen, meist, wenn er wohlklingend ist, den indianischen. Benachbarten Orten kommen oft dieselben Heiligennamen zu, und dadurch entsteht in der Geographie eine heillose Verwirrung. Die Namen San Juan, San Pedro, San Diego sind wie auf Gerathewohl auf unsern Karten umhergestreut.

13 Der Begleiter des Diego de Ordaz.

14 Die Botija hält 25 französische Flaschen; sie hat 1000--1200 Cubikzoll Inhalt.

15 Kleine Wasserfälle, chorros, raudalitos.

16 Stricke aus den Blattstielen einer Palme mit gefiederten Blättern, von der unten die Rede seyn wird.

17 Das Fleisch des Rocou und auch der Chica sind adstringirend und leicht abführend.

18 Der schwarze, ätzende Farbstoff des *Caruto* (Genipa americana) widersteht dem Wasser länger, wie wir zu unserem großen Verdruß an uns selbst erfuhren. Wir scherzten eines Tags mit den Indianern und machten uns mit Caruto Tupfen und Striche ins Gesicht, und man sah dieselben noch, als wir schon wieder in Angostura, im Schooße europäischer Cultur waren.

19 Einen schönen Saïmiri oder Titi vom Orinoco kauft man in Paramara für 8 bis 9 Piaster; der Missionär bezahlt dem Indianer, der den Affen gefangen und gezähmt, 1-1/2 Piaster.

20 Ich führe bei dieser Gelegenheit an, daß ich niemals bemerkt habe, daß ein Gemälde, auf dem Hasen und Rehe in natürlicher Größe und vortrefflich abgebildet waren, auf Jagdhunde, bei denen doch der Verstand sehr entwickelt schien, den mindesten Eindruck gemacht hätte. Gibt es einen beglaubigten Fall, wo ein Hund das Porträt seines Herrn in ganzer Figur erkannt hätte? In allen diesen Fällen wird das Gesicht nicht vom Geruch unterstützt.

21 Cartas edificantes de la Compaña de Jesus, 1757

22 Die Stadt Socorro, südlich vom Rio Sogamoza und nord-nord-östlich von Santa Fe de Bogota, war der Hauptherd des Aufruhrs, der im Jahr 1781 im Königreich Neu-Grenada unter dem Erzbischof Vicekönig Gongora wegen der Plackereien ausbrach, denen das Volk in Folge der Einführung der Tabakspacht ausgesetzt gewesen. Viele fleißige Einwohner von Socorro wanderten damals in die Llanos am Meta aus, um sich den Verfolgungen zu entziehen, welche der vom Madrider Hof ertheilten allgemeinen Amnestie folgten. Diese Ausgewanderten heißen in den Missionen Socorreños refugiados.

23 So heißt es in einer Inschrift, die bezeugt, daß am 13. des Monats Pachon im zehnten Regierungsjahr Antonins die Töne vernommen worden.

24 Und doch will Gumilla auf dem Guaviare gefahren seyn. Nach ihm liegt der Raudal de Tabaje unter 1° 4{~PRIME~} der Breite, was um 5° 10{~PRIME~} zu wenig ist.