EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL.

Der Raudal von Garcita. -- Maypures. -- Die Katarakten von Quittuna. -- Der Einfluß des Vichada und Zama. -- Der Fels Aricagua. -- Siquita.

Unsere Pirogue lag im *Puerto de arriba*, oberhalb des Katarakts von Atures, dem Einfluß des Rio Cataniapo gegenüber; wir brachen dahin auf. Auf dem schmalen Wege, der zum Landungsplatze führt, sahen wir den Pic Uniana zum letztenmal. Er erschien wie eine über dem Horizont der Ebenen aufsteigende Wolke. Die Guahibos-Indianer ziehen am Fuß dieser Gebirge umher und gehen bis zum Rio Vichada. Man zeigte uns von weitem rechts vom Fluß die Felsen bei der Höhle von Ataruipe; wir hatten aber nicht Zeit, diese Grabstätte des ausgestorbenen Stammes der Atures zu besuchen. Wir bedauerten dieß um so mehr, da Pater Zea nicht müde wurde, uns von den mit Onoto bemalten Skeletten in der Höhle, von den großen Gefäßen aus gebrannter Erde, in welchen je die Gebeine einer Familie zu liegen scheinen, und von vielen andern merkwürdigen Dingen zu erzählen, so daß wir uns vornahmen, dieselben auf der Rückreise vom Rio Negro in Augenschein zu nehmen. »Sie werden es kaum glauben,« sagte der Missionär, »daß diese Gerippe, diese bemalten Töpfe, diese Dinge, von denen wir meinten, kein Mensch in der Welt wisse davon, mir und meinem Nachbar, dem Missionär von Carichana, Unglück gebracht haben. Sie haben gesehen, wie elend ich in den Raudales lebe, von den Moskitos gefressen, oft nicht einmal Bananen und Manioc im Hause! Und dennoch habe ich Neider in diesem Lande gefunden. Ein Weißer, der auf den Weiden zwischen dem Meta und dem Apure lebt, hat kürzlich der *Audiencia* in Caracas die Anzeige gemacht, ich habe einen Schatz, den ich mit dem Missionär von Carichana gefunden, unter den Gräbern der Indianer versteckt. Man behauptet, die Jesuiten in Santa Fe de Bogota haben zum voraus gewußt, daß die Gesellschaft werde aufgehoben werden; da haben sie ihr Geld und ihre kostbaren Gefäße bei Seite schaffen wollen und dieselben auf dem Rio Meta oder auf dem Vichada an den Orinoco geschickt, mit dem Befehl, sie auf den Inseln mitten in den Raudales zu Verstecken. Diesen Schatz nun soll ich ohne Wissen meiner Obern mir zugeeignet haben. Die Audiencia von Caracas führte beim Statthalter von Guyana Klage, und wir erhielten Befehl, persönlich zu erscheinen. Wir mußten ganz umsonst eine Reise von hundert fünfzig Meilen machen, und es half nichts, daß wir erklärten, wir haben in den Höhlen nichts gefunden als Menschengebeine, Marder und vertrocknete Fledermäuse; man ernannte mit großer Wichtigkeit Commissäre, die sich hieher begeben und an Ort und Stelle inspiciren sollen, was noch vom Schatze der Jesuiten vorhanden sey. Aber wir können lange auf die Commissäre warten. Wenn sie auf dem Orinoco bis San Borja heraufkommen, werden sie vor den Moskitos Angst bekommen und nicht weiter gehen. In der Mückenwolke (nube de moscas), in der wir in den Raudales stecken, ist man gut geborgen.«

Diese Geschichte des Missionärs wurde uns später in Angostura aus dem Munde des Statthalters vollkommen bestätigt. Zufällige Umstände geben zu den seltsamsten Vermuthungen Anlaß. In den Höhlen, wo die Mumien und Skelette der Atures liegen, ja mitten in den Katarakten, auf den unzugänglichsten Inseln fanden die Indianer vor langer Zeit eisenbeschlagene Kisten mit verschiedenen europäischen Werkzeugen, Resten von Kleidungsstücken, Rosenkränzen und Glaswaaren. Man vermuthete, die Gegenstände haben portugiesischen Handelsleuten vom Rio Negro und Gran-Para angehört, die vor der Niederlassung der Jesuiten am Orinoco über Trageplätze und die Flußverbindungen im Innern nach Atures heraufkamen und mit den Eingeborenen Handel trieben. Die Portugiesen, glaubte man, seyen den Seuchen, die in den Raudales so häufig sind, erlegen und ihre Kisten den Indianern in die Hände gefallen, die, wenn sie wohlhabend sind, sich mit dem Kostbarsten, was sie im Leben besaßen, beerdigen lassen. Nach diesen zweifelhaften Geschichten wurde das Mährchen von einem versteckten Schätze geschmiedet. Wie in den Anden von Quito jedes in Trümmern liegende Bauwerk, sogar die Grundmauern der Pyramiden, welche die französischen Akademiker bei der Messung des Meridians errichtet, für ein Inca pilca, das heißt für ein Werk des Inca gilt, so kann am Orinoco jeder verborgene Schatz nur einem Orden gehört haben, der ohne Zweifel die Missionen besser verwaltet hat, als Kapuziner und Observanten, dessen Reichthum und dessen Verdienste um die Civilisation der Indianer aber sehr übertrieben worden sind. Als die Jesuiten in Santa Fe verhaftet wurden, fand man bei ihnen keineswegs die Haufen von Piastern, die Smaragde von Muzo, die Goldbarren von Choco, die sie den Widersachern der Gesellschaft zufolge besitzen sollten. Man zog daraus den falschen Schluß, die Schätze seyen allerdings vorhanden gewesen, aber treuen Indianern überantwortet und in den Katarakten des Orinoco bis zur einstigen Wiederherstellung des Ordens versteckt worden. Ich kann ein achtbares Zeugniß beibringen, aus dem unzweifelhaft hervorgeht, daß der Vicekönig von Neu-Grenada die Jesuiten vor der ihnen drohenden Gefahr nicht gewarnt hatte. Don Vicente Orosco, ein spanischer Genieofficier, erzählte mir in Angostura, er habe mit Don Manuel Centurion den Auftrag gehabt, die Missionäre in Carichana zu verhaften und dabei sey ihnen eine indianische Pirogue begegnet, die den Rio Meta herabkam. Da dieses Fahrzeug mit Indianern bemannt war, die keine der Landessprachen verstanden, so erregte sein Erscheinen Verdacht. Nach langem fruchtlosem Suchen fand man eine Flasche mit einem Briefe, in dem der in Santa Fe residirende Superior der Gesellschaft die Missionäre am Orinoco von den Verfolgungen benachrichtigte, welche die Jesuiten in Neu-Grenada zu erleiden gehabt. Der Brief forderte zu keinerlei Vorsichtsmaßregeln auf; er war kurz, unzweideutig und voll Respekt vor der Regierung, deren Befehle mit unnöthiger, unvernünftiger Strenge vollzogen wurden.

Acht Indianer von Atures hatten unsere Pirogue durch die Raudales geschafft; sie schienen mit dem mäßigen Lohne, der ihnen gereicht wurde [kaum 30 Sous der Mann], gar wohl zufrieden. Das Geschäft bringt ihnen wenig ein, und um einen richtigen Begriff von den jämmerlichen Zuständen und dem Darniederliegen des Handels in den Missionen am Orinoco zu geben, merke ich hier an, daß der Missionar in drei Jahren, außer den Fahrzeugen, welche der Commandant von San Carlos am Rio Negro jährlich nach Angostura schickt, um die Löhnung der Truppen zu holen, nicht mehr als fünf Piroguen vom obern Orinoco, die zur Schildkröteneierernte fuhren, und acht mit Handelsgut beladene Canoes sah.

Am 17. April. Nach dreistündigem Marsch kamen wir gegen eilf Uhr Morgens bei unserem Fahrzeug an. Pater Zea ließ mit unsern Instrumenten den wenigen Mundvorrath einschiffen, den man für die Reise, die er mit uns fortsetzen sollte, hatte auftreiben können: ein paar Bananenbüschel, Manioc und Hühner. Dicht am Landungsplatz fuhren wir am Einfluß des Cataniapo vorbei, eines kleinen Flusses, an dessen Ufern, drei Tagereisen weit, die Macos oder Piaroas hausen, die zur großen Familie der Salivas-Völker gehören. Wir haben oben Gelegenheit gehabt, ihre Gutmüthigkeit und ihre Neigung zur Landwirthschaft zu rühmen.

Im Weiterfahren fanden wir den Orinoco frei von Klippen, und nach einigen Stunden gingen wir über den Raudal von Garcita, dessen Stromschnellen bei Hochwasser leicht zu überwinden sind. Im Osten kommt die kleine Bergkette Cumadaminari zum Vorschein, die aus Gneiß, nicht aus geschichtetem Granit besteht. Auffallend war uns eine Reihe großer Löcher mehr als 180 Fuß über dem jetzigen Spiegel des Orinoco, die dennoch vom Wasser ausgewaschen scheinen. Wir werden später sehen, daß diese Erscheinung beinahe in derselben Höhe an den Felsen neben den Katarakten von Maypures und 50 Meilen gegen Ost beim Einfluß des Rio Jao vorkommt. Wir übernachteten im Freien am linken Stromufer unterhalb der Insel Tomo. Die Nacht war schön und hell, aber die Moskitoschicht nahe am Boden so dick, daß ich mit dem Nivellement des künstlichen Horizonts nicht fertig werden konnte und um die Sternbeobachtung kam. Ein Quecksilberhorizont wäre mir auf dieser Reise von großem Nutzen gewesen.

Am 18. April. Wir brachen um drei Uhr Morgens auf, um desto sicherer vor Einbruch der Nacht den unter dem Namen *Raudal de Guahibos* bekannten Katarakt zu erreichen. Wir legten am Einfluß des Rio Tomo an; die Indianer lagerten sich am Ufer, um ihr Essen zu bereiten und ein wenig zu ruhen. Es war gegen fünf Uhr Abends, als wir vor dem Raudal ankamen. Es war keine geringe Aufgabe, die Strömung hinaufzukommen und eine Wassermasse zu überwinden, die sich von einer mehrere Fuß hohen Gneißbank stürzt. Ein Indianer schwamm auf den Fels zu, der den Fall in zwei Hälften theilt; man band ein Seil an die Spitze desselben, und nachdem man die Pirogue nahe genug hingezogen, schiffte man mitten im Raudal unsere Instrumente, unsere getrockneten Pflanzen und die wenigen Lebensmittel, die wir in Atures hatten auftreiben können, aus. Zu unserer Ueberraschung sahen wir, daß auf dem natürlichen Wehr, über das sich der Strom stürzt, ein beträchtliches Stück Boden trocken liegt. Hier blieben wir stehen und sahen unsere Pirogue heraufschaffen.

Der Gneißfels hat kreisrunde Löcher, von denen die größten 4 Fuß tief und 18 Zoll weit sind. In diesen Trichtern liegen Quarzkiesel und sie scheinen durch die Reibung vom Wasser umhergerollter Körper entstanden zu seyn. Unser Standpunkt mitten im Katarakt war sonderbar, aber durchaus nicht gefährlich. Unser Begleiter, der Missionar, bekam seinen Fieberanfall. Um ihm den quälenden Durst zu löschen, kamen wir auf den Einfall, ihm in einem der Felslöcher einen kühlenden Trank zu bereiten. Wir hatten von Atures einen Mapire (indianischen Korb) mit Zucker, Citronen und Grenadillen oder Früchten der Passionsblumen, von den Spaniern Parchas genannt, mitgenommen. Da wir gar kein großes Gefäß hatten, in dem man Flüssigkeiten mischen konnte, so goß man mit einer Tutuma (Frucht der Crescentia Cujete) Flußwasser in eines der Löcher und that den Zucker und den Saft der sauren Früchte dazu. In wenigen Augenblicken hatten wir ein treffliches Getränke; es war das fast eine Schwelgerei am unwirthbaren Ort; aber der Drang des Bedürfnisses machte uns von Tag zu Tag erfinderischer.

Nachdem wir unsern Durst gelöscht, hatten wir große Lust zu baden. Wir untersuchten genau den schmalen Felsdamm, auf dem wir standen, und bemerkten, daß er in seinem obern Theile kleine Buchten bildete, in denen das Wasser ruhig und klar war, und so badeten wir denn ganz behaglich beim Getöse des Katarakts und dem Geschrei unserer Indianer. Ich erwähne dieser kleinen Umstände, einmal weil sie unsere Art zu reisen lebendig schildern, und dann weil sie allen, die große Reisen zu unternehmen gedenken, augenscheinlich zeigen, wie man unter allen Umständen im Leben sich Genuß verschaffen kann.

Nach einer Stunde Harrens sahen wir endlich die Pirogue über den Raudal heraufkommen. Man lud die Instrumente und Vorräthe wieder ein und wir eilten vom Felsen der Guahibos wegzukommen. Es begann jetzt eine Fahrt, die nicht ganz gefahrlos war. Der Fluß ist 800 Toisen breit, und wir mußten oberhalb des Katarakts schief darüber fahren, an einem Punkt, wo das Wasser, weil das Bett stärker fällt, dem Wehr zu, über das es sich stürzt, mit großer Gewalt hinunterzieht. Wir wurden von einem Gewitter überrascht, bei dem zum Glück kein starker Wind ging, aber der Regen goß in Strömen nieder. Man ruderte bereits seit zwanzig Minuten und der Steuermann behauptete immer, statt stroman kommen wir wieder dem Raudal näher. Diese Augenblicke der Spannung kamen uns gewaltig lang war. Die Indianer sprachen nur leise, wie immer, wenn sie in einer verfänglichen Lage zu seyn glauben. Indessen verdoppelten sie ihre Anstrengungen, und wir langten ohne Unfall mit Einbruch der Nacht im Hafen von Maypures an.

Die Gewitter unter den Tropen sind eben so kurz als heftig. Zwei Blitzschläge waren ganz nahe an unserer Pirogue gefallen, und der Blitz hatte dabei unzweifelhaft ins Wasser geschlagen. Ich führe diesen Fall an, weil man in diesen Ländern ziemlich allgemein glaubt, die Wolken, die auf ihrer Oberfläche elektrisch geladen sind, stehen so hoch, daß der Blitz seltener in den Boden schlage als in Europa. Die Nacht war sehr finster. Wir hatten noch zwei Stunden Wegs zum Dorfe Maypures, und wir waren bis auf die Haut durchnäßt. Wie der Regen nachließ, kamen auch die Zancudos wieder mit dem Heißhunger, den die Schnaken nach einem Gewitter immer zeigen. Meine Gefährten waren unschlüssig, ob wir im Hafen im Freien lagern oder trotz der dunkeln Nacht unsern Weg zu Fuß fortsetzen sollten. Pater Zea, der in beiden Raudales Missionär ist, wollte durchaus noch nach Hause kommen; Er hatte angefangen sich durch die Indianer in der Mission ein großes Haus von zwei Stockwerken bauen zu lassen. »Sie finden dort,« meinte er naiv, »dieselbe Bequemlichkeit wie im Freien. Freilich habe ich weder Tisch noch Bank, aber Sie hätten nicht so viel von den Mücken zu leiden; denn so unverschämt sind sie in der Mission doch nicht wie am Fluß.«

Wir folgten dem Rath des Missionärs und er ließ Copalfackeln anzünden, von denen oben die Rede war, drei Zoll dicke, mit Harz gefüllte Röhren von Baumwurzeln. Wir gingen anfangs über kahle, glätte Felsbänke und dann kamen wir in sehr dichtes Palmgehölz. Zweimal mußten wir auf Baumstämmen über einen Bach gehen. Bereits waren die Fackeln erloschen; dieselben sind wunderlich zusammengesetzt (der hölzerne Docht umgibt das Harz), geben mehr Rauch als Licht und gehen leicht aus. Unser Gefährte, Don Nicolas Soto, verlor das Gleichgewicht, als er auf einem runden Stamm über den Sumpf ging. Wir waren anfangs sehr besorgt um ihn, da wir nicht wußten, wie hoch er hinuntergefallen war. Zum Glück war der Grund nicht tief und er hatte sich nicht verletzt. Der indianische Steuermann, der sich ziemlich fertig auf spanisch ausdrückte, ermangelte nicht, davon zu sprechen, daß wir leicht von Ottern, Wasserschlangen und Tigern angegriffen werden könnten. Solches ist eigentlich die obligate Unterhaltung, wenn man Nachts mit den Eingeborenen unterwegs ist. Die Indianer glauben, wenn sie dem europäischen Reisenden Angst einjagen, sich nothwendiger zu machen und das Vertrauen des Fremden zu gewinnen. Der plumpste Bursche in den Missionen ist mit den Kniffen bekannt, wie sie überall im Schwange sind, wo Menschen von sehr verschiedenem Stand und Bildungsgrad mit einander verkehren. Unter dem absoluten und hie und da etwas quälerischen Regiment der Mönche sucht er seine Lage durch die kleinen Kunstgriffe zu verbessern, welche die Waffen der Kindheit und jeder physischen und geistigen Schwäche sind.

Da wir in der Mission *San Jose de Maypures* in der Nacht ankamen, fiel uns der Anblick und die Verödung des Orts doppelt auf. Die Indianer lagen im tiefsten Schlaf; man hörte nichts als das Geschrei der Nachtvögel und das ferne Tosen des Katarakts. In der Stille der Nacht, in dieser tiefen Ruhe der Natur hat das eintönige Brausen eines Wasserfalls etwas Niederschlagendes, Drohendes. Wir blieben drei Tage in Maypures, einem kleinen Dorfe, das von Don Jose Solano bei der Grenzexpedition gegründet wurde, und das noch malerischer, man kann wohl sagen wundervoller liegt als Atures.

Der Raudal von Maypures, von den Indianern *Quittuna* genannt, entsteht, wie alle Wasserfälle, durch den Widerstand den der Fluß findet, indem er sich durch einen Felsgrat oder eine Bergkette Bahn bricht. Wer den Charakter des Orts kennen lernen will, den verweise ich auf den Plan, den ich an Ort und Stelle aufgenommen, um dem Generalgouverneur von Caracas den Beweis zu liefern, daß sich der Raudal umgehen und die Schifffahrt bedeutend erleichtern ließe, wenn man zwischen zwei Nebenflüssen des Orinoco, in einem Thal, das früher das Strombett gewesen zu seyn scheint, einen Canal anlegte. Die hohen Berge Cunavami und Calitamini, zwischen den Quellen der Flüsse Cataniapo und Ventuari, laufen gegen West in eine Kette von Granithügeln aus. Von dieser Kette kommen drei Flüßchen herab, die den Katarakt von Maypures gleichsam umfassen, nämlich am östlichen Ufer der Sanariapo, am westlichen der Cameji und der Toparo. Dem Dorfe Maypures gegenüber ziehen sich die Berge in einem Bogen zurück und bilden, wie eine felsigte Küste, eine nach Südwest offene Bucht. Zwischen dem Einfluß des Toparo und dem des Sanariapo, am westlichen Ende dieses großartigen Amphitheaters, ist der Durchbruch des Stromes erfolgt.

Gegenwärtig fließt der Orinoco am Fuß der östlichen Bergkette. Vom westlichen Landstrich hat er sich ganz weggezogen, und dort, in einem tiefen Grunde, erkennt man noch leicht das alte Ufer. Eine Grasflur, kaum dreißig Fuß über dem mittleren Wasserstand, breitet sich von diesem trockenen Grunde bis zu den Katarakten aus. Hier steht aus Palmstämmen die kleine Kirche von Maypures und umher sieben oder acht Hütten. Im trockenen Grund, der in gerader Linie von Süd nach Nord läuft, vom Cameji zum Toparo, liegen eine Menge einzeln stehender Granithügel, ganz ähnlich denen, die als Inseln und Klippen im jetzigen Strombett stehen. Diese ganz ähnliche Gestaltung fiel mir auf, als ich die Felsen Keri und Oco im verlassenen Strombett westlich von Maypures mit den Inseln Ouvitari und Camanitamini verglich, die östlich von der Mission gleich alten Burgen mitten aus den Katarakten ragen. Der geologische Charakter der Gegend, das inselhafte Ansehen auch der vom gegenwärtigen Stromufer entlegensten Hügel, die Löcher, welche das Wasser im Felsen Oco ausgespült zu haben scheint, und die genau im selben Niveau liegen (25--30 Toisen hoch) wie die Höhlungen an der Insel Ouvitari gegenüber -- alle diese Umstände zusammen beweisen, daß diese ganze, jetzt trockene Bucht ehemals unter Wasser stand. Das Wasser bildete hier wahrscheinlich einen See, da es wegen des Dammes gegen Nord nicht abfließen konnte; als aber dieser Damm durchbrochen wurde, erschien die Grasflur um die Mission zuerst als eine ganz niedrige, von zwei Armen desselben Flusses umgebene Insel. Man kann annehmen, der Orinoco habe noch eine Zeitlang den Grund ausgefüllt, den wir nach dem Fels, der darin steht, den Keri-Grund nennen wollen; erst als das Wasser allmälig fiel, zog es sich ganz gegen die östliche Kette und ließ den westlichen Stromarm trocken liegen. Streifen, deren schwarze Farbe ohne Zweifel von Eisen- und Manganoxyden herrührt, scheinen die Richtigkeit dieser Ansicht zu beweisen. Man findet dieselben auf allem Gestein, weit weg von der Mission, und sie weisen darauf hin, daß hier einst das Wasser gestanden. Geht man den Fluß hinauf, so ladet man die Fahrzeuge am Einfluß des Toparo in den Orinoco aus und übergibt sie den Eingeborenen, die den Raudal so genau kennen, daß sie für jede Staffel einen besondern Namen haben. Sie bringen die Canoes bis zum Einfluß des Cameji, wo die Gefahr für überstanden gilt.

Der Katarakt von Quittuna oder Maypures stellt sich in den zwei Zeitpunkten, in denen ich denselben beim Hinab- und beim Hinauffahren beobachten konnte, unter folgendem Bilde dar. Er besteht, wie der von Mapara oder Atures, aus einem Archipel von Inseln, die auf einer Strecke von 3000 Toisen das Strombett verstopfen, und aus Felsdämmen zwischen diesen Inseln. Die berufensten unter diesen Dämmen oder natürlichen Wehren sind: *Purimarimi*, *Manimi* und der *Salto de la Sardina* (der Sardellensprung). Ich nenne sie in der Ordnung, wie ich sie von Süd nach Nord auf einander folgen sah. Die letztere dieser drei Staffeln ist gegen neun Fuß hoch und bildet, ihrer Breite wegen, einen prachtvollen Fall. Aber, ich muß das wiederholen: das Getöse, mit dem die Wasser niederstürzen, gegen einander stoßen und zerstäuben, hängt nicht sowohl von der absoluten Höhe jeder Staffel, jedes Querdammes ab, als vielmehr von der Menge der Strudel, von der Stellung der Inseln und Klippen am Fuß der Raudalitos oder partiellen Fälle, von der größeren oder geringeren Weite der Kanäle, in denen das Fahrwasser oft nur 20--30 Fuß breit ist. Die östliche Hälfte der Katarakten von Maypures ist weit gefährlicher als die westliche, weßhalb auch die indianischen Steuerleute die Canoes vorzugsweise am linken Ufer hinauf- und hinabschaffen. Leider liegt bei niedrigem Wasser dieses Ufer zum Theil trocken, und dann muß man die Piroguen *tragen*, das heißt auf Walzen oder runden Baumstämmen schleppen. Wir haben schon oben bemerkt, daß bei Hochwasser (aber nur dann) der Raudal von Maypures leichter zu passiren ist als der von Atures.

Um diese wilde Landschaft in ihrer ganzen Großartigkeit mit Einem Blicke zu umfassen, muß man sich auf den Hügel Manimi stellen, einen Granitgrat, der nördlich von der Missionskirche aus der Savane aufsteigt und nichts ist als eine Fortsetzung der Staffeln, aus denen der Raudalito Manimi besteht. Wir waren oft auf diesem Berge, denn man sieht sich nicht satt an diesem außerordentlichen Schauspiel in einem der entlegensten Erdwinkel. Hat man den Gipfel des Felsen erreicht, so liegt auf einmal, eine Meile weit, eine Schaumfläche vor einem da, aus der ungeheure Steinmassen eisenschwarz aufragen. Die einen sind, je zwei und zwei beisammen, abgerundete Massen, Basalthügeln ähnlich; andere gleichen Thürmen, Castellen, zerfallenen Gebäuden. Ihre düstere Färbung hebt sich scharf vom Silberglanze des Wasserschaums ab. Jeder Fels, jede Insel ist mit Gruppen kräftiger Bäume bewachsen. Vom Fuß dieser Felsen an schwebt, so weit das Auge reicht, eine dichte Dunstmasse über dem Strom, und über den weißlichen Nebel schießt der Wipfel der hohen Palmen empor. Diese großartigen Gewächse -- wie nennt man sie? Ich glaube es ist der Vadgiai, eine neue Art der Gattung Oreodoxa, deren Stamm über 80 Fuß hoch ist. Die einen Federbusch bildenden Blätter dieser Palme sind sehr glänzend und steigen fast gerade himmelan. Zu jeder Tagesstunde nimmt sich die Schaumfläche wieder anders aus. Bald werfen die hohen Eilande und die Palmen ihre gewaltigen Schatten darüber, bald bricht sich der Strahl der untergehenden Sonne in der feuchten Wolke, die den Katarakt einhüllt. Farbige Bogen bilden sich, verschwinden und erscheinen wieder, und im Spiel der Lüfte schwebt ihr Bild über der Fläche.

Solches ist der Charakter der Landschaft, wie sie auf dem Hügel Manimi vor einem liegt, und die noch kein Reisender beschrieben hat. Ich wiederhole, was ich schon einmal geäußert: weder die Zeit, noch der Anblick der Cordilleren und der Aufenthalt in den gemäßigten Thälern von Mexico haben den tiefen Eindruck verwischt, den das Schauspiel der Katarakten auf mich gemacht. Lese ich eine Beschreibung indischer Landschaften, deren Hauptreize strömende Wasser und ein kräftiger Pflanzenwuchs sind, so schwebt mir ein Schaummeer vor, und Palmen, deren Kronen über einer Dunstschicht emporragen. Es ist mit den großartigen Naturscenen, wie mit dem Höchsten in Poesie und Kunst: sie lassen Erinnerungen zurück, die immer wieder wach werden und sich unser Lebenlang in unsere Empfindung mischen, so oft etwas Großes und Schönes uns die Seele bewegt.

Die Stille in der Luft und das Toben der Wasser bilden einen Gegensatz, wie er diesem Himmelsstriche eigenthümlich ist. Nie bewegt hier ein Windhauch das Laub der Bäume, nie trübt eine Wolke den Glanz des blauen Himmelsgewölbes; eine gewaltige Lichtmasse ist durch die Luft verbreitet, über dem Boden, den Gewächse mit glänzenden Blättern bedecken, über dem Strom, der sich unabsehbar hinbreitet. Dieser Anblick hat für den Reisenden, der im Norden von Europa zu Hause ist, etwas ganz Befremdendes. Stellt er sich eine wilde Landschaft vor, einen Strom, der von Fels zu Fels niederstürzt, so denkt er sich auch ein Klima dazu, in dem gar oft der Donner aus dem Gewölk mit dem Donner der Wasserfälle sich mischt, wo am düstern, nebligten Tage die Wolken in das Thal herunter steigen und in den Wipfeln der Tannen hängen. In den Niederungen der Festländer unter den Tropen hat die Landschaft eine ganz eigene Physiognomie, eine Großartigkeit und eine Ruhe, die selbst da sich nicht verläugnet, wo eines der Elemente mit unüberwindlichen Hindernissen zu kämpfen hat. In der Nähe des Aequators kommen heftige Stürme und Ungewitter nur auf den Inseln, in pflanzenlosen Wüsten, kurz überall da vor, wo die Luft auf Flächen mit sehr abweichender Strahlung ruht.

Der Hügel Manimi bildet die östliche Grenze einer Ebene, aus der man dieselben, für die Geschichte der Vegetation, das heißt ihrer allmähligen Entwicklung auf nackten, kahlen Bodenstrecken wichtigen Erscheinungen beobachtet, wie wir sie oben beim Raudal von Atures beschrieben. In der Regenzeit schwemmt das Wasser Dammerde aus dem Granitgestein zusammen, dessen kahle Bänke wagerecht daliegen. Diese mit den schönsten, wohlriechendsten Gewächsen geschmückten Landeilande gleichen den mit Blumen bedeckten Granitblöcken, welche die Alpenbewohner Jardins oder Courtils nennen, und die in Savoyen mitten aus den Gletschern emporragen. Mitten in den Katarakten auf ziemlich schwer zugänglichen Klippen wächst die Vanille. Bonpland hat ungemein gewürzreiche und außerordentlich lange Schoten gebrochen.

An einem Platz, wo wir Tags zuvor gebadet hatten, am Fuß des Felsen Manimi, schlugen die Indianer eine sieben und einen halben Fuß lange Schlange todt, die wir mit Muße untersuchen konnten. Die Macos nannten sie Camudu; der Rücken hatte auf schön gelbem Grunde theils schwarze, theils braungrüne Querstreifen, am Bauch waren die Streifen blau und bildeten rautenförmige Flecken. Es war ein schönes, nicht giftiges Thier, das, wie die Eingeborenen behaupten, über 15 Fuß lang wird. Ich hielt den Camudu Anfangs für eine Boa, sah aber zu meiner Ueberraschung, daß bei ihm die Platten unter dem Schwanze in zwei Reihen getheilt waren. Es war also eine Natter, vielleicht ein *Python* des neuen Continents; ich sage vielleicht, denn große Naturforscher (CUVIER) scheinen anzunehmen, daß alle Pythons der alten, alle Boas der neuen Welt angehören. Da die Boa des Plinius(47) eine afrikanische und südeuropäische Schlange war, so hätte DAUDIN wohl die amerikanischen Boas Pythons und die indischen Pythons Boas nennen sollen. Die erste Kunde von einem ungeheuern Reptil, das Menschen, sogar große Vierfüßer packt, sich um sie schlingt und ihnen so die Knochen zerbricht, das Ziegen und Rehe verschlingt, kam uns zuerst aus Indien und von der Küste von Guinea zu. So wenig an Namen gelegen ist, so gewöhnt man sich doch nur schwer daran, daß es in der Halbkugel, in der Virgil die Qualen Laokoons besungen hat (die asiatischen Griechen hatten die Sage weit südlicheren Völkern entlehnt), keine Boa constrictor geben soll. Ich will die Verwirrung in der zoologischen Nomenclatur nicht durch neue Vorschläge zur Abänderung vermehren, und bemerke nur, daß, wo nicht der große Haufen der Colonisten in Guyana, doch die Missionäre und die *latinisirten* Indianer in den Missionen [S. Bd. II. Seite 24] ganz gut die Traga Venadas (Zauberschlangen, ächte Boas mit einfachen Afterschuppen) von den Culebras de agua, den dem Camudu ähnlichen Wasserottern (Pythons mit doppelten Afterschuppen), unterscheiden. Die Traga Venadas haben auf dem Rücken keine Querstreifen, sondern eine Kette rautenförmiger oder sechseckiger Flecken. Manche Arten leben vorzugsweise an ganz trockenen Orten, andere lieben das Wasser, wie die Pythons oder Culebras de agua.

Geht man nach Westen, so sieht man die runden Hügel oder Eilande im verlassenen Orinocoarm mit denselben Palmen bewachsen, die auf den Felsen in den Katarakten stehen. Einer dieser Felsen, der sogenannte Keri, ist im Lande berühmt wegen eines weißen, weithin glänzenden Flecks, in dem die Eingeborenen ein Bild des Vollmonds sehen wollen. Ich konnte die steile Felswand nicht erklimmen, wahrscheinlich aber ist der weiße Fleck ein mächtiger Quarzknoten, wie zusammenscharende Gänge sie im Granit, der in Gneiß übergeht, häufig bilden. Gegenüber dem Keri oder *Mondfelsen*, am Zwillingshügel Ouivitari, der ein Eiland mitten in den Katarakten ist, zeigen einem die Indianer mit geheimnißvoller Wichtigkeit einen ähnlichen weißen Fleck. Derselbe ist scheibenförmig, und sie sagen, es sey das Bild der Sonne, Camosi. Vielleicht hat die geographische Lage dieser beiden Dinge Veranlassung gegeben, sie so zu benennen; Keri liegt gegen Untergang, Camosi gegen Aufgang. Da die Sprachen die ältesten geschichtlichen Denkmäler der Völker sind, so haben die Sprachforscher die Aehnlichkeit des amerikanischen Wortes Camosi mit dem Worte Camosch, das in einem semitischen Dialekt ursprünglich Sonne bedeutet zu haben scheint, sehr auffallend gefunden. Diese Aehnlichkeit hat zu Hypothesen Anlaß gegeben, die mir zum wenigsten sehr gewagt scheinen.(48) Der Gott der Moabiter, Chamos oder Camosch, der den Gelehrten so viel zu schaffen gemacht hat, der Apollo Chomeus, von dem Strabo und Ammianus Marcellinus sprechen, Beelphegor, Amun oder Hamon und Adonis bedeuten ohne Zweifel alle die Sonne im Wintersolstitium; was will man aber aus einer einzelnen, zufälligen Lautähnlichkeit in Sprachen schließen, die sonst nichts mit einander gemein haben?

Betrachtet man die Namen der von den spanischen Mönchen gestifteten Missionen, so irrt man sich leicht hinsichtlich der Bevölkerungselemente, mit denen sie gegründet worden. Nach Encaramada und Atures brachten die Jesuiten, als sie diese Dörfer erbauten, Maypures-Indianer, aber die Mission Maypures selbst wurde nicht mit Indianern dieses Namens gegründet, vielmehr mit Guipunabis-Indianern, die von den Ufern des Irinida stammen und nach der Sprachverwandtschaft, sammt den Maypures, Cabres, Avani und vielleicht den Parent, demselben Zweig der Orinocovölker angehören. Zur Zeit der Jesuiten war die Mission am Raudal von Maypures sehr ansehnlich; sie zählte 600 Einwohner, darunter mehrere weiße Familien. Unter der Verwaltung der Observanten ist die Bevölkerung auf weniger als 60 herabgesunken. Man kann überhaupt annehmen, daß in diesem Theile von Südamerika die Cultur seit einem halben Jahrhundert zurückgegangen ist, während wir jenseits der Wälder, in den Provinzen in der Nähe der See, Dörfer mit 2000--3000 Indianern finden. Die Einwohner von Maypures sind ein sanftmüthiges, mäßiges Volk, das sich auch durch große Reinlichkeit auszeichnet. Die meisten Wilden am Orinoco haben nicht den wüsten Hang zu geistigen Getränken, dem man in Nordamerika begegnet. Die Otomacos, Jaruros, Achaguas und Caraiben berauschen sich allerdings oft durch den übermäßigen Genuß der Chiza und so mancher andern gegohrenen Getränke, die sie aus Manioc, Mais und zuckerhaltigen Palmfrüchten zu bereiten wissen; die Reisenden haben aber, wie gewöhnlich, für allgemeine Sitte ausgegeben, was nur einzelnen Stämmen zukommt. Sehr oft konnten wir Guahibos oder Macos-Piaroas, die für uns arbeiteten und sehr erschöpft schienen, nicht vermögen, auch nur ein wenig Branntwein zu trinken. Die Europäer müssen erst länger in diesen Ländern gesessen haben, ehe sich die Laster ausbreiten, die unter den Indianern an den Küsten bereits so gemein sind. In Maypures fanden wir in den Hütten der Eingeborenen eine Ordnung und eine Reinlichkeit, wie man denselben in den Häusern der Missionäre selten begegnet.

Sie bauen Bananen und Manioc, aber keinen Mais. Siebzig bis achtzig Pfund Manioc in Kuchen oder dünnen Scheiben, das landesübliche Brod, kosten sechs Silberrealen, ungefähr vier Franken. Wie die meisten Indianer am Orinoco haben auch die in Maypures Getränke, die man nahrhafte nennen kann. Eines dieser Getränke, das im Lande sehr berühmt ist, wird von einer Palme gewonnen, die in der Nähe der Mission, am Ufer des Auvana wild wächst. Dieser Baum ist der Seje; ich habe an Einer Blüthentraube 44,000 Blüthen geschätzt; der Früchte, die meist unreif abfallen, waren 8000. Es ist eine kleine fleischigte Steinfrucht. Man wirft sie ein paar Minuten lang in kochendes Wasser, damit sich der Kern vom Fleische trennt, das zuckersüß ist, und sofort in einem großen Gefäß mit Wasser zerstampft und zerrieben wird. Der kalte Aufguß gibt eine gelblichte Flüssigkeit, die wie Mandelmilch schmeckt. Man setzt manchmal Papelon oder Rohzucker zu. Der Missionar versichert, die Eingeborenen werden in den zwei bis drei Monaten, wo sie Seje-Saft trinken, sichtlich fetter; sie brocken Cassavekuchen hinein. Die Piaches, oder indianischen Gaukler, gehen in die Wälder und blasen unter der Sejepalme auf dem Botuto (der heiligen Trompete). »Dadurch«, sagen sie, »wird der Baum gezwungen im folgenden Jahr reichen Ertrag zu geben.« Das Volk bezahlt für diese Ceremonie, wie man bei den Mongolen, Mauren, und manchen Völkern noch näher bei uns, Schamanen, Marabouts und andere Arten von Priestern dafür bezahlt, daß sie mit Zaubersprüchen oder Gebeten die weißen Ameisen und die Heuschrecken vertreiben, oder lang anhaltendem Regen ein Ende machen und die Ordnung der Jahreszeiten verkehren.

»Tengo en mi pueblo la fabrica de loza.« (ich habe in meinem Dorfe eine Steingutfabrik), sprach Pater Zea und führte uns zu einer indianischen Familie, die beschäftigt war, unter freiem Himmel an einem Feuer von Strauchwerk große, zwei und einen halben Fuß hohe Thongefäße zu brennen. Dieses Gewerbe ist den verschiedenen Zweigen des großen Volksstamms der Maypures eigenthümlich und sie scheinen dasselbe seit unvordenklicher Zeit zu treiben. Ueberall in den Wäldern, weit von jedem menschlichen Wohnsitz, stößt man, wenn man den Boden aufgräbt, auf Scherben von Töpfen und bemaltem Steingut. Die Liebhaberei für diese Arbeit scheint früher unter den Ureinwohnern Nord- und Südamerikas gleich verbreitet gewesen zu seyn. Im Norden von Mexico, am Rio Gila, in den Trümmern einer aztekischen Stadt, in den Vereinigten Staaten bei den Grabhügeln der Miamis, in Florida und überall, wo sich Spuren einer alten Cultur finden, birgt der Boden Scherben von bemalten Geschirren. Und höchst auffallend ist die durchgängige große Aehnlichkeit der Verzierungen. Die wilden und solche civilisirten Völker, die durch ihre staatlichen und religiösen Einrichtungen dazu verurtheilt sind, immer nur sich selbst zu copiren, (49) treibt ein gewisser Instinkt, immer dieselben Formen zu wiederholen, an einem eigenthümlichen Typus oder Styl festzuhalten, immer nach denselben Handgriffen und Methoden zu arbeiten, wie schon die Vorfahren sie gekannt. In Nordamerika wurden Steingutscherben an den Befestigungslinien und in den Ringwällen gefunden, die von einem unbekannten, gänzlich ausgestorbenen Volke herrühren. Die Malereien auf diesen Scherben haben die auffallendste Aehnlichkeit mit denen, welche die Eingeborenen von Louisiana und Florida noch jetzt auf gebranntem Thon anbringen. So malten denn auch die Indianer in Maypures unter unsern Augen Verzierungen, ganz wie wir sie in der Höhle von Ataruipe auf den Gefäßen gesehen, in denen menschliche Gebeine aufbewahrt sind. Es sind wahre »'Grecques'« Mäanderlinien, Figuren von Krokodilen, von Affen, und von einem großen vierfüßigen Thier, von dem ich nicht wußte, was es vorstellen soll, das aber immer dieselbe plumpe Gestalt hat. Ich könnte bei dieser Gelegenheit eines Kopfs mit einem Elephantenrüssel gedenken, den ich im Museum zu Velletri auf einem alten mexicanischen Gemälde gefunden; ich könnte keck die Hypothese aufstellen, das große vierfüßige Thier auf den Töpfen der Maypures gehöre einem andern Lande an und der Typus desselben habe sich auf der großen Wanderung der amerikanischen Völker von Nordwest nach Süd und Südost in der Erinnerung erhalten; wer wollte sich aber bei so schwankenden, auf nichts sich stützenden Vermuthungen aufhalten? Ich möchte vielmehr glauben, die Indianer am Orinoco haben einen Tapir vorstellen wollen, und die verzeichnete Figur eines einheimischen Thiers sey einer der Typen geworden, die sich forterben. Oft hat nur Ungeschick und Zufall Figuren erzeugt, über deren Herkunft wir gar ernsthaft verhandeln, weil wir nicht anders glauben, als es liege ihnen eine Gedankenverbindung, eine absichtliche Nachahmung zu Grunde.

Am geschicktesten führen die Maypures Verzierungen aus geraden, mannigfach combinirten Linien aus, wie wir sie auf den großgriechischen Vasen, auf den mexicanischen Gebäuden in Mitla und auf den Werken so vieler Völker sehen, die, ohne daß sie mit einander in Verkehr gestanden, eben gleiches Vergnügen daran finden, symmetrisch dieselben Formen zu wiederholen. Die Arabesken, die Mäander vergnügen unser Auge, weil die Elemente, aus denen die Bänder bestehen, in rhythmischer Folge an einander gereiht sind. Das Auge verhält sich zu dieser Anordnung, zu dieser periodischen Wiederkehr derselben Formen wie das Ohr zur taktmäßigen Aufeinanderfolge von Tönen und Accorden. Kann man aber in Abrede ziehen, daß beim Menschen das Gefühl für den Rhythmus schon beim ersten Morgenroth der Cultur, in den rohesten Anfängen von Gesang und Poesie zum Ausdruck kommt?

Die Eingeborenen in Maypures (und besonders die Weiber verfertigen das Geschirr) reinigen den Thon durch wiederholtes Schlemmen, kneten ihn zu Cylindern und arbeiten mit den Händen die größten Gefäße aus; Der amerikanische Indianer weiß nichts von der Töpferscheibe, die sich bei den Völkern des Orients aus dem frühesten Alterthum herschreibt. Man kann sich nicht wundern, daß die Missionäre die Eingeborenen am Orinoco nicht mit diesem einfachen, nützlichen Werkzeug bekannt gemacht haben, wenn man bedenkt, daß es nach drei Jahrhunderten noch nicht zu den Indianern auf der Halbinsel Araya, dem Hafen von Cumana gegenüber, gedrungen ist.[S. Bd. I. Seite 273] Die Farben der Maypures sind Eisen- und Manganoxyde, besonders gelber und rother Ocker, der in Höhlungen des Sandsteins vorkommt. Zuweilen wendet man das Satzmehl der Bignonia Chica an, nachdem das Geschirr einem ganz schwachen Feuer ausgesetzt worden. Man überzieht die Malerei mit einem Firniß von Algarobo, dem durchsichtigen Harz der Hymenaea Courbaril. Die großen Gefäße zur Aufbewahrung der Chiza heißen Ciamacu, die kleineren Mucra, woraus die Spanier an der Küste Murcura gemacht haben. Uebrigens weiß man am Orinoco nicht allein von den Maypures, sondern auch von den Guaypunabis, Caraiben, Otomacos und selbst von den Guamos, daß sie Geschirr mit Malereien verfertigen. Früher war dieses Gewerbe bis zum Amazonenstrom hin verbreitet. Schon ORELLANA fielen die gemalten Verzierungen auf dem Geschirr der Omaguas aus, die zu seiner Zeit ein zahlreiches, handeltreibendes Volk waren.

Ehe ich von diesen Spuren eines keimenden Gewerbfleißes bei Völkern, die wir ohne Unterschied als Wilde bezeichnen, zu etwas Anderem übergehe, mache ich noch eine Bemerkung, die über die Geschichte der amerikanischen Civilisation einiges Licht verbreiten kann. In den Vereinigten Staaten, ostwärts von den Alleghanis, besonders zwischen dem Ohio und den großen canadischen Seen, findet man im Boden fast überall bemalte Topfscherben und daneben kupferne Werkzeuge. Dieß erscheint auffallend in einem Lande, wo die Eingeborenen bei der Ankunft der Europäer mit dem Gebrauch der Metalle unbekannt waren. In den Wäldern von Südamerika, die sich vom Aequator bis zum achten Grad nördlicher Breite, das heißt vom Fuße der Anden bis zum atlantischen Meer ausdehnen, findet man dasselbe bemalte Töpfergeschirr an den einsamsten Orten; aber es kommen damit nur künstlich durchbohrte Aexte aus Nephrit und anderem hartem Stein vor. Niemals hat man dort im Boden Werkzeuge oder Schmucksachen aus Metall gefunden, obgleich man in den Gebirgen an der Küste und auf dem Rücken der Cordilleren Gold und Kupfer zu schmelzen und letzteres mit Zinn zur Verfertigung von schneidenden Werkzeugen zu legiren verstand. Woher rührt dieser scharfe Gegensatz zwischen der gemäßigten und der heißen Zone? Die peruanischen Incas hatten ihre Eroberungen und Religionskriege bis an den Napo und den Amazonenstrom ausgedehnt, und dort hatte sich auch ihre Sprache auf einem beschränkten Landstrich verbreitet; aber niemals scheint die Cultur der Peruaner, der Bewohner von Quito und der Muyscas in Neu-Grenada auf den moralischen Zustand der Völker von Guyana irgend einen merklichen Einfluß geäußert zu haben. Noch mehr: in Nordamerika, zwischen dem Ohio, dem Miami und den Seen, hat ein unbekanntes Volk, das die Systematiker von den Tolteken und Azteken abstammen lassen möchten, aus Erde, zuweilen sogar aus Steinen(50) ohne Mörtel zehn bis fünfzehn Fuß hohe und sieben bis achttausend Fuß lange Mauern gebaut. Diese räthselhaften Ringwälle und Ringmauern umschließen oft gegen 150 Morgen Land. Bei den Niederungen am Orinoco, wie bei den Niederungen an der Marietta, am Miami und Ohio liegt der Mittelpunkt einer alten Cultur westwärts auf dem Rücken der Gebirge; aber der Orinoco und die Länder zwischen diesem großen Fluß und dem Amazonenstrom scheinen niemals von Völkern bewohnt gewesen zu seyn, deren Bauten dem Zahn der Zeit widerstanden hätten. Sieht man dort auch symbolische Figuren ins härteste Felsgestein eingegraben, so hat man doch südlich vom achten Breitengrade bis jetzt nie weder einen Grabhügel, noch einen Ringwall, noch Erddämme gefunden, wie sie weiter nordwärts auf den Ebenen von Barinas und Canagua vorkommen. Solches ist der Gegensatz zwischen den östlichen Stücken der beiden Amerika, zwischen denen, die sich von der Hochebene von Cundinamarca und den Gebirgen von Cayenne gegen das atlantische Meer ausbreiten, und denen, die von den Anden von Neu-Spanien gegen die Alleghanis hinstreichen. In der Cultur vorgeschrittene Völker, deren Spuren uns am Ufer des Sees Teguyo und in den *Casas grandes* am Rio Gila entgegen treten, mochten einzelne Stämme gegen Ost in die offenen Fluren am Missouri und Ohio vorschieben, wo das Klima nicht viel anders ist als in Neu-Mexico; aber in Südamerika, wo die große Völkerströmung von Nord nach Süd ging, konnten Menschen, die schon so lange auf dem Rücken der tropischen Cordilleren einer milden Temperatur genossen, keine Lust haben, in die glühend heißen, mit Urwald bedeckten, periodisch von den Flüssen überschwemmten Ebenen niederzusteigen. Man sieht leicht, wie in der heißen Zone die Ueberfülle des Pflanzenwuchses, die Beschaffenheit von Boden und Klima die Wanderungen der Eingeborenen in starken Haufen beschränkten, Niederlassungen, die eines weiten freien Raumes bedürfen, nicht aufkommen ließen, das Elend und die Versunkenheit der vereinzelten Horden verewigten.

Heutzutage geht die schwache Cultur, wie die spanischen Mönche sie eingeführt, wieder rückwärts. PATER GILI berichtet, zur Zeit der Grenzexpedition habe der Ackerbau am Orinoco angefangen Fortschritte zu machen; das Vieh, besonders die Ziegen hatten sich in Maypures bedeutend vermehrt. Wir haben weder in dieser Mission, noch sonst in einem Dorfe am Orinoco mehr welche angetroffen; die Tiger haben die Ziegen gefressen. Nur die schwarzen und weißen Schweine (letztere heißen französische Schweine, puercos franceses weil man glaubt, sie seyen von den Antillen gekommen) haben trotz der reißenden Thiere ausgedauert. Mit großem Interesse sahen wir um die Hütten der Indianer 'Guacamayas' oder zahme Aras, die auf den Feldern herumflogen wie bei uns die Tauben. Es ist dieß die größte und prächtigste Papagaienart mit nicht befiederten Wangen, die wir aus unsern Reisen angetroffen. Sie mißt mit dem Schwanz 2 Fuß 3 Zoll, und wir haben sie auch am Atabapo, Temi und Rio Negro gefunden. Das Fleisch des Cahuei -- so heißt hier der Vogel -- das häufig gegessen wird, ist schwarz und etwas hart. Diese Aras, deren Gefieder in den brennendsten Farben, purpurroth, blau und gelb, schimmert, sind eine große Zierde der indianischen Hühnerhöfe. Sie stehen an Pracht den Pfauen, Goldfasanen, Pauxis und Alectors nicht nach. Die Sitte, Papagaien, Vögel aus einer dem Hühnergeschlecht so ferne stehenden Familie aufzuziehen, war schon CHRISTOPH COLUMBUS aufgefallen. Gleich bei der Entdeckung Amerikas hatte er beobachtet, daß die Eingeborenen auf den Antillen statt Hühner Aras oder große Papagaien aßen.

Beim kleinen Dorfe Maypures wächst ein prächtiger, über 60 Fuß hoher Baum, den die Colonisten 'Frutta de Burro' nennen. Es ist eine neue Gattung Unona, die den Habitus von AUBLETs Uvaria Zeylandica hat und die ich früher Uvaria febrifuga benannt hatte. Ihre Zweige sind gerade und stehen pyramidalisch aufwärts, fast wie bei der Pappel vom Mississippi, fälschlich italienische Pappel genannt. Der Baum ist berühmt, weil seine aromatischen Früchte, als Ausguß gebraucht, ein wirksames Fiebermittel sind. Die armen Missionare am Orinoco, die den größten Theil des Jahres am dreitägigen Fieber leiden, reisen nicht leicht, ohne ein Säckchen mit fruttas de Burro bei sich zu führen. Unter den Tropen braucht man meist lieber aromatische Mittel, z. B. sehr starken Kaffee, Croton Cascarilla oder die Fruchthülle unserer Unona, als die adstringirenden Rinden der Cinchona und der Bonplandia trifoliata welch letztere die China von Angostura ist. Das amerikanische Volk hat ein tief wurzelndes Vorurtheil gegen den Gebrauch der verschiedenen Chinaarten, und in dem Lande, wo dieses herrliche Heilmittel wächst, sucht man die Fieber durch Aufgüsse von Scoparia dulcis 'abzuschneiden', oder auch durch warme Limonade aus Zucker und der kleinen wilden Citrone, deren Rinde öligt und aromatisch zugleich ist.

Das Wetter war astronomischen Beobachtungen nicht günstig; indessen erhielt ich doch am 20. April eine gute Reihe eorrespondirender Sonnenhöhen, nach denen der Chronometer für die Mission Maypures 70° 37{~PRIME~} 33{~DOUBLE PRIME~} Länge ergab; die Breite wurde durch Beobachtung eines Sterns gegen Norden gleich 59° 13{~PRIME~} 57{~DOUBLE PRIME~} gefunden. Die neuesten Karten sind in der Länge um 1/2 Grad, in der Breite um 1/4 Grad unrichtig. Wie mühsam und qualvoll diese nächtlichen Beobachtungen waren, vermöchte ich kaum zu beschreiben. Nirgends war die Moskitowolke so dick wie hier. Sie bildete ein paar Fuß über dem Boden gleichsam eine eigene Schicht und wurde immer dichter, je näher man gegen den künstlichen Horizont hinleuchtete. Die meisten Einwohner von Maypures gehen aus dem Dorf und schlafen auf den Inseln mitten in den Katarakten, wo es weniger Insekten gibt; andere machen aus Strauchwerk Feuer in ihren Hütten an und hängen ihre Matten mitten in den Rauch. Der Thermometer stand bei Nacht auf 27 und 29°, bei Tag auf 30°. Am 19. April fand ich um zwei Uhr Nachmittags einen losen, grobkörnigen Granitsand 60°,3 [48°,2 Reaumur, Gräser von frischestem Grün wuchsen in diesem Sand], einen gleichfalls weißen, aber feinkörnigen und dichteren Granitsand 52°,5 heiß; die Temperatur eines kahlen Granitfelsen war 47°,6. Zu derselben Stunde zeigte der Thermometer 8 Fuß über dem Boden im Schatten 29°,6, in der Sonne 36°,2. Eine Stunde nach Sonnenuntergang zeigte der grobe Sand 32°, der Granitfels 38°,8, die Luft 28°,6, das Wasser des Orinoco im Raudal, an der Oberfläche, 27°,6, das Wasser einer schönen Quelle, die hinter dem Haus der Missionare aus dem Granit kommt, 27°,8. Es ist dieß vielleicht etwas weniger als die mittlere Jahrestemperatur der Luft in Maypures. Die Inclination der Magnetnadel in Maypures betrug 31°,10, also 1°,15 weniger als im Dorfe Atures, das um 25 Minuten der Breite weiter nach Norden liegt.

Am 21. April. Nach einem Aufenthalt von zwei und einem halben Tag im kleinen Dorfe Maypures neben dem obern großen Katarakt schifften wir uns um zwei Uhr Nachmittags in derselben Pirogue wieder ein, die der Missionär von Carichana uns überlassen; sie war vom Schlagen an die Klippen und durch die Unvorsichtigkeit der indianischen Schiffsleute ziemlich beschädigt; aber ihrer warteten noch größere Fahrlichkeiten. Sie mußte vom Rio Tuamini zum Rio Negro über eine Landenge 36,000 Fuß weit geschleppt werden, sie mußte über den Cassiquiare wieder in den Orinoco herauf und zum zweitenmal durch die beiden Raudales. Man untersuchte Boden und Seitenwände der Pirogue und meinte, sie sey stark genug, die lange Reise auszuhalten.

Sobald man über die großen Katarakten weg ist, befindet man sich in einer neuen Welt; man fühlt es, man hat die Schranke hinter sich, welche die Natur selbst zwischen den cultivirten Küstenstrichen und den wilden, unbekannten Ländern im Innern gezogen zu haben scheint. Gegen Ost in blauer Ferne zeigte sich zum letztenmale die hohe Bergkette des Cunavami; ihr langer wagerechter Kamm erinnert an die Gestalt der Mesa im Bergantin bei Cumana, nur endigt sie mit einem abgestutzten Kegel. Der Pic Calitamini (so heißt dieser Gipfel) ist bei Sonnenuntergang wie von röthlichem Feuer bestrahlt, und zwar einen Tag wie den andern. Kein Mensch ist je diesem Berge nahe gekommen, der nicht über 600 Toisen hoch ist.(51) Ich glaube, dieser gewöhnlich röthliche, zuweilen silberweiße Schimmer ist ein Reflex von großen Talgblättern oder von Gneiß, der in Glimmerschiefer übergeht. Das ganze Land besteht hier aus Granitgestein, dem da und dort, auf kleinen Ebenen, unmittelbar ein thonigter Sandstein mit Quarztrümmern und Brauneisenstein aufgelagert ist.

Auf dem Wege zum Landungsplatz fingen wir auf einem Heveastamm [Einer der Bäume, deren Milch Cautschuc gibt.] eine neue, durch ihre schöne Färbung ausgezeichnete Froschart. Der Bauch war gelb, Rücken und Kopf schön sammtartig purpurfarb; ein einziger ganz schmaler weißer Streif lief von der Spitze des Mauls zu den Hinterbeinen. Der Frosch war zwei Zoll lang, nahe verwandt der Rana tinctoria, deren Blut (wie man behauptet), wenn man es Papagaien da, wo man ihnen Federn ausgerauft, in die Haut einreibt, macht, daß die neuen gelben oder rothen Federn scheckigt werden. Den Weg entlang zeigten uns die Indianer etwas, was hier zu Land allerdings sehr merkwürdig ist, Räderspuren im Gestein. Sie sprachen, wie von einem unbekannten Geschöpf, von den Thieren mit großen Hörnern, welche zur Zeit der Grenzexpedition die Fahrzeuge durch das Thal des Keri vom Rio Toparo zum Rio Cameji gezogen, um die Katarakten zu umgehen und die Mühe des Umladens zu ersparen. Ich glaube, diese armen Einwohner von Maypures wunderten sich jetzt beim Anblick eines Ochsen von castilischer Race, wie die Römer über die 'lucanischen Ochsen' (die Elephanten im Heere des Pyrrhus).

Wenn man durch das Thal des Keri einen Canal zöge, der die kleinen Flüsse Cameji und Toparo vereinigte, brauchten die Piroguen nicht mehr durch die Raudales zu gehen. Auf diesem ganz einfachen Gedanken beruht der Plan, den ich im ersten Entwurf durch den Generalcapitän von Caracas, Guevara Basconzelos, der spanischen Regierung habe vorlegen lassen. Beim Katarakt von Maypures sind die Bodenverhältnisse so günstig, wie man sie bei Atures vergeblich suchte. Der Canal würde 2850 oder 1360 Toisen lang, je nachdem man ihn nahe an der Mündung der beiden Flüßchen oder weiter ihren Quellen zu anfangen ließe. Das Terrain scheint im Durchschnitt von Süd Süd Ost nach Nord Nord West um 6--7 Toisen zu fallen, und im Thal des Keri ist der Boden ganz eben, mit Ausnahme eines kleinen Kamms oder einer Wasserscheide, welche im Parallel der Kirche von Maypures die beiden Nebenflüsse des Stromes nach entgegengesetzten Seiten laufen läßt. Die Ausführung dieses Plans wäre durchaus nicht kostspielig, da die Landenge größtentheils aus angeschwemmtem Boden besteht, und Pulver hätte man dabei gar nicht nöthig. Dieser Canal, der nicht über zehn Fuß breit zu seyn brauchte, wäre als ein schiffbarer Arm des Orinoco zu betrachten. Es bedürfte keiner Schleuße, und die Fahrzeuge, die in den obern Orinoco gehen, würden nicht mehr wie jetzt durch die Reibung an den rauhen Klippen im Raudal beschädigt; man zöge sie hinauf, und da man die Waaren nicht mehr auszuladen brauchte, würde viel Zeit erspart. Man hat die Frage erörtert, wozu der von mir in Vorschlag gebrachte Canal dienen sollte. Hier ist die Antwort, die ich im Jahr 1801 auf meiner Reise nach Quito dem Ministerium ertheilt habe: »Auf den Bau eines Canals bei Maypures und eines andern, von dem in der Folge die Rede seyn wird, lege ich nur in der Voraussetzung Gewicht, daß die Regierung sich mit Handel und Gewerbfleiß am obern Orinoco ernstlich beschäftigen wollte. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen, da, wie es scheint, die Ufer des majestätischen Stromes gänzlich vernachlässigt bleiben sollen, wären Canäle allerdings so gut wie überflüssig.«

Nachdem wir uns im *Puerto de arriba* eingeschifft, gingen wir mit ziemlicher Beschwerde über den Raudal de Cameji; diese Stelle gilt bei sehr hohem Wasserstand für gefährlich. Jenseits des Raudals fanden wir den Strom spiegelglatt. Wir übernachteten auf einer felsigten Insel, genannt Piedra Raton; sie ist gegen dreiviertel Meilen lang, und auch hier wiederholt sich die interessante Erscheinung einer in der Entwicklung begriffenen Vegetation, jener zerstreuten Gruppen von Buschwerk auf ebenem Felsboden, wovon schon öfters die Rede war. Ich konnte in der Nacht mehrere Sternbeobachtungen machen und fand die Breite der Insel gleich 5° 4{~PRIME~} 51{~DOUBLE PRIME~}, ihre Länge gleich 70° 57{~PRIME~}. Ich konnte die im Strom reflektirten Sternbilder benützen; obgleich wir uns mitten im Orinoco befanden, war die Moskitowolke so dick, daß ich nicht die Geduld hatte, den künstlichen Horizont zu richten.

Am 22. April. Wir brachen anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang auf. Der Morgen war feucht, aber herrlich; kein Lüftchen ließ sich spüren, denn südlich von Atures und Maypures herrscht beständig Windstille. Am Rio Negro und Cassiquiare, am Fuß des Cerro Duida in der Mission Santa Barbara hörten wir niemals das Rauschen des Laubs, das in heißen Ländern einen ganz eigenthümlichen Reiz hat. Die Krümmungen des Stroms, die schützenden Berge, die undurchdringlichen Wälder und der Regen, der einen bis zwei Grade nördlich vom Aequator fast gar nicht aussetzt, mögen diese Erscheinung veranlassen, die den Missionen am Orinoco eigenthümlich ist.

In dem unter südlicher Breite, aber eben so weit vom Aequator gelegenen Thal des Amazonenstroms erhebt sich alle Tage, zwei Stunden nach der Culmination der Sonne, ein sehr starker Wind. Derselbe weht immer gegen die Strömung und wird nur im Flußbett selbst gespürt. Unterhalb San Borja ist es ein Ostwind; in Tomependa fand ich ihn zwischen Nord und Nord Nord Ost. Es ist immer die Brise, der von der Umdrehung der Erde herrührende Wind, der aber durch kleine örtliche Verhältnisse bald diese, bald jene Richtung bekommt. Mit diesem beständigen Wind segelt man von Gran Para bis Tefe, 750 Meilen weit, den Amazonenstrom hinauf. In der Provinz Jaen de Bracamoros, am Fuß des Westabhangs der Cordilleren, tritt dieser vom atlantischen Meere herkommende Wind zuweilen als ein eigentlicher Sturm auf. Wenn man auf das Flußufer zugeht, kann man sich kaum auf den Beinen halten; so auffallend anders sind die Verhältnisse am obern Orinoco und am obern Amazonenstrom.

Sehr wahrscheinlich ist es diesem beständig wehenden Winde zuzuschreiben, daß der Amazonenstrom so viel gesunder ist. In der stockenden Luft am obern Orinoco sind die chemischen Affinitäten eingreifender und es entwickeln sich mehr schädliche Miasmen. Die bewaldeten Ufer des Amazonenstroms wären eben so ungesund, wenn nicht der Fluß, gleich dem Niger, seiner ungeheuren Länge nach von West nach Ost, also in der Richtung der Passatwinde, gerade fortliefe. Das Thal des Amazonenstroms ist nur an seinem westlichen Ende, wo es der Cordillere der Anden nahe rückt, geschlossen. Gegen Ost, wo der Seewind auf den neuen Continent trifft, erhebt sich das Gestade kaum ein paar Fuß über den Spiegel des atlantischen Meeres. Der obere Orinoco läuft Anfangs von Ost nach West, und dann von Nord nach Süd. Da wo sein Lauf dem des Amazonenstroms ziemlich parallel ist, liegt zwischen ihm und dem atlantischen Meer ein sehr gebirgiges Land, der Gebirgsstock der Parime und des holländischen und französischen Guyana, und läßt den Rotationswind nicht nach Esmeralda kommen; erst vom Einfluß des Apure an, von wo der untere Orinoco von West nach Ost über eine weite, dem atlantischen Meer zu offene Ebene läuft, fängt der Wind an kräftig aufzutreten; dieses Stromstück ist daher auch nicht so ungesund als der obere Orinoco.

Als dritten Vergleichungspunkt führe ich das Thal des Magdalenenstromes an. Derselbe behält, wie der Amazonenstrom, immer dieselbe Richtung, aber sie ist ungünstig, weil sie nicht mit der des Seewinds zusammenfällt, sondern von Süd nach Nord geht. Obgleich im Striche der Passatwinde gelegen, hat der Magdalenenstrom eine so stockende Luft wie der obere Orinoco. Vom Canal Mahates bis Honda, namentlich südlich von der Stadt Mompox, spürten wir niemals etwas von Wind, außer beim Anzug nächtlicher Gewitter. Kommt man dagegen auf dem Fluß über Honda hinauf, so findet man die Luft ziemlich oft in Bewegung. Die sehr starken Winde, die sich im Thale des Neiva verfangen, sind als ungemein heiß weit berufen. Man mag es anfangs auffallend finden, daß die Windstille aufhört, wenn man im obern Stromlauf dem Gebirge näher kommt; aber es erscheint erklärlich, wenn man bedenkt, daß die trockenen heißen Winde in den Llanos am Neiva von niedergehenden Luftströmungen herrühren. Kalte Luftsäulen stürzen von den *Nevadas* von Quindiu und Guanacas in das Thal nieder und jagen die untern Luftschichten vor sich her. Ueberall unter den Tropen, wie in der gemäßigten Zone, entstehen durch die ungleiche Erwärmung des Bodens und durch die Nähe schneebedeckter Gebirge örtliche Luftströmungen. Jene sehr starken Winde am Neiva kommen nicht daher, daß die Passatwinde zurückgeworfen würden; sie entstehen vielmehr da, wohin der Seewind nicht gelangen kann, und wenn die meist ganz mit Bäumen bewachsenen Berge am obern Orinoco höher wären, so würden sie in der Luft dieselben raschen Gleichgewichtsstörungen hervorbringen, wie wir sie in den Gebirgen von Peru, Abyssinien und Tibet beobachten. Dieser genaue ursachliche Zusammenhang zwischen der Richtung der Ströme, der Höhe und Stellung der anliegenden Gebirge, den Bewegungen der Atmosphäre und der Salubrität des Klima verdient die größte Aufmerksamkeit. Wie ermüdend und unfruchtbar wäre doch das Studium der Erdoberfläche und ihrer Unebenheiten, wenn es nicht aus allgemeinen Gesichtspunkten aufgefaßt würde!

Sechs Meilen von der Insel Piedra Raton kam zuerst ostwärts die Mündung des Rio Sipapo, den die Indianer Tipapu nennen, dann westwärts die Mündung des Rio Vichada. In der Nähe der letzteren bilden Felsen ganz unter Wasser einen kleinen Fall, einen 'Raudalito'. Der Rio Sipapo, den PATER GILI im Jahr 1757 hinauffuhr und der nach ihm zweimal breiter ist als der Tiber, kommt aus einer ziemlich bedeutenden Bergkette. Im südlichen Theil trägt dieselbe den Namen des Flusses und verbindet sich mit dem Bergstock des Calitamini und Cunavami. Nach dem Pic von Duida, der über der Mission Esmeralda aufsteigt, schienen mir die Cerros de Sipapo die höchsten in der ganzen Cordillere der Parime. Sie bilden eine ungeheure Felsmauer, die schroff aus der Ebene aussteigt und deren von Süd Süd Ost nach Nord Nord West gerichteter Kamm ausgezackt ist. Ich denke, aufgethürmte Granitblöcke bringen diese Einschnitte, diese Auszackung hervor, die man auch am Sandstein des Montserrat in Catalonien beobachtet. Jede Stunde war der Anblick der Cerros de Sipapo wieder ein anderer. Bei Sonnenaufgang gibt der dichte Pflanzenwuchs den Bergen die dunkelgrüne, ins Bräunlichte spielende Farbe, wie sie Landstrichen eigen ist, wo Bäume mit lederartigen Blättern vorherrschen. Breite, scharfe Schatten fallen über die anstoßende Ebene und stechen ab vom glänzenden Licht, das auf dem Boden, in der Luft und auf der Wasserfläche verbreitet ist. Aber um die Mitte des Tages, wenn die Sonne das Zenith erreicht, verschwinden diese kräftigen Schatten allmählig und die ganze Kette hüllt sich in einen leisen Dust, der weit satter blau ist als der niedrige Strich des Himmelsgewölbes. In diesem um den Felskamm schwebenden Dust verschwimmen halb die Umrisse, werden die Lichteffekte gedämpft, und so erhält die Landschaft das Gepräge der Ruhe und des Friedens, das in der Natur, wie in den Werken CLAUDE LORRAINs und POUSSINs, aus der Harmonie zwischen Form und Farbe entspringt.

Hinter diesen Bergen am Sipapo lebte lange Cruzero, der mächtige Häuptling der Guaypunabis, nachdem er mit seiner kriegerischen Horde von den Ebenen zwischen dem Rio Irinida und dem Chamochiquini abgezogen war. Die Indianer versicherten uns, in den Wäldern am Sipapo wachse in Menge der 'Vehuco de Maimure'. Dieses Schlinggewächs ist den Indianern sehr wichtig, weil sie Körbe und Matten daraus verfertigen. Die Wälder am Sipapo sind völlig unbekannt, und die Missionäre versetzen hieher das Volk der 'Rayas',(52) »die den Mund am Nabel haben.« Ein alter Indianer, den wir in Carichana antrafen und der sich rühmte oft Menschenfleisch gegessen zu haben, hatte diese kopflosen Menschen »mit eigenen Augen« gesehen. Diese abgeschmackten Mährchen haben sich auch in den Llanos verbreitet, und dort ist es nicht immer gerathen, die Existenz der Rayas-Indianer in Zweifel zu ziehen. In allen Himmelsstrichen ist Unduldsamkeit die Gefährtin der Leichtgläubigkeit, und man könnte meinen, die Hirngespinnste der alten Erdbeschreiber seyen aus der einen Halbkugel in die andere gewandert, wenn man nicht wüßte, daß die seltsamsten Ausgeburten der Phantasie, gerade wie die Naturbildungen, überall in Aussehen und Gestaltung eine gewisse Aehnlichkeit zeigen.

Bei der Mündung des Rio Vichada oder Visata stiegen wir aus, um die Pflanzen des Landstrichs zu untersuchen. Die Gegend ist höchst merkwürdig; der Wald ist nicht sehr dicht und eine Unzahl kleiner Felsen steht frei auf der Ebene. Es sind prismatische Steinmassen und sie sehen wie verfallene Pfeiler, wie einzeln stehende fünfzehn bis zwanzig Fuß hohe Thürmchen aus. Die einen sind von den Bäumen des Waldes beschattet, bei andern ist der Gipfel von Palmen gekrönt. Die Felsen sind Granit, der in Gneiß übergeht. Befände man sich hier nicht im Bereich des Urgebirgs, man glaubte sich in die Felsen von Adersbach in Böhmen oder von Streitberg und Fantasie in Franken versetzt. Sandstein und secundärer Kalkstein können keine groteskeren Formen annehmen. An der Mündung des Vichada sind die Granitfelsen, und was noch weit auffallender ist, der Boden selbst mit Moosen und Flechten bedeckt. Letztere haben den Habitus von Cladonia pyxidata und Lichen rangiferinus, die im nördlichen Europa so häufig vorkommen. Wir konnten kaum glauben, daß wir uns keine hundert Toisen über dem Meer, unter dem fünften Breitegrad mitten in der heißen Zone befanden, von der man so lange glaubte, daß keine kryptogamischen Gewächse in ihr vorkommen. Die mittlere Temperatur dieses schattigen feuchten Ortes beträgt wahrscheinlich über 26 Grad des hunderttheiligen Thermometers. In Betracht des wenigen Regens, der bis jetzt gefallen war, wunderten wir uns über das schöne Grün der Wälder. Dieser Umstand ist für das obere Orinocothal charakteristisch; an der Küste von Caracas und in den Llanos werfen die Bäume ihr Laub im Winter(53) ab und man sieht am Boden nur gelbes, vertrocknetes Gras. Zwischen den eben beschriebenen freistehenden Felsen wuchsen mehrere große Stämme Säulencactus (Cactus septemangularis), was südlich von den Katarakten von Atures und Maypures eine große Seltenheit ist.

Am selben malerischen Ort hatte Bonpland das Glück, mehrere Stämme von Laurus cinnamomoides anzutreffen, eines sehr gewürzreichen Zimmtbaumes, der am Orinoco unter dem Namen 'Varimacu' und 'Canelilla' bekannt ist.(54) Dieses kostbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie bei Esmeralda und östlich von den großen Katarakten vor. Der Jesuit FRANCISCO DE OLMA scheint die Canelilla im Lande der Piaroas bei den Quellen des Cataniapo entdeckt zu haben. Der Missionar GILI, der nicht bis in die Gegend kam, von der hier die Rede ist, scheint den *Varimacu* oder *Guarimacu* mit der Myristica oder dem amerikanischen Muskatbaum zu verwechseln. Diese gewürzhaften Rinden und Früchte, der Zimmt, die Muskatnuß, Myrtus Pimenta und Laurus pucheri wären wichtige Handelsartikel geworden, wenn nicht Europa bei der Entdeckung von Amerika bereits an die Gewürze und Wohlgerüche Ostindiens gewöhnt gewesen wäre. Der Zimmt vom Orinoco und der aus den Missionen der Andaquies, dessen Anbau Mutis in Mariquita in Neu-Grenada eingeführt hat, sind übrigens weniger gewürzhaft als der Ceylonzimmt, und wären solches selbst dann, wenn sie ganz so getrocknet und zubereitet würden.

Jede Halbkugel hat ihre eigenen Arten von Gewächsen, und es erklärt sich keineswegs aus der Verschiedenheit der Klimate, warum das tropische Afrika keine Laurineen, die neue Welt keine Heidekräuter hervorbringt, warum es in der südlichen Halbkugel keine Calceolarien gibt, warum auf dem indischen Festlande das Gefieder der Vögel nicht so glänzend ist wie in den heißen Landstrichen Amerikas, endlich warum der Tiger nur Asien, das Schnabelthier nur Neuholland eigen ist? Die Ursachen der Vertheilung der Arten im Pflanzen- wie im Thierreich gehören zu den Räthseln, welche die Naturphilosophie nicht zu lösen im Stande ist. Mit dem Ursprung der Wesen hat diese Wissenschaft nichts zu thun, sondern nur mit den Gesetzen, nach denen die Wesen über den Erdball vertheilt sind. Sie untersucht das, was ist, die Pflanzen- und Thierbildungen, wie sie unter jeder Breite, in verschiedenen Höhen und bei verschiedenen Wärmegraden neben einander vorkommen; sie erforscht die Verhältnisse, unter denen sich dieser oder jener Organismus kräftiger entwickelt, sich vermehrt oder sich umwandelt; aber sie rührt nicht an Fragen, die unmöglich zu lösen sind, weil sie mit der Herkunft, mit dem Uranfang eines Lebenskeimes zusammenhängen. Ferner ist zu bemerken, daß die Versuche, die Vertheilung der Arten auf dem Erdball allein aus dem Einfluß der Klimate zu erklären, einer Zeit angehören, wo die physische Geographie noch in der Wiege lag, wo man fortwährend an vermeintlichen Gegensätzen beider Welten festhielt und sich vorstellte, ganz Afrika und Amerika gleichen den Wüsten Egyptens und den Sümpfen Cayennes. Seit man den Sachverhalt nicht nach einem willkührlich angenommenen Typus, sondern nach positiven Kenntnissen beurtheilt, weiß man auch, daß die beiden Continente in ihrer unermeßlichen Ausdehnung Bodenstücke mit völlig übereinstimmenden Naturverhältnissen aufzuweisen haben. Amerika hat so dürre und glühend heiße Landstriche als das innere Afrika. Die Inseln, welche die indischen Gewürze erzeugen, zeichnen sich keineswegs durch Trockenheit aus, und die Feuchtigkeit des Klimas ist durchaus nicht, wie in neueren Werken behauptet wird, die Ursache, warum auf dem neuen Continent die schönen Laurineen- und Myristiceenarten nicht vorkommen, die im indischen Archipel in einem kleinen Erdwinkel neben einander wachsen. Seit einigen Jahren wird in mehreren Ländern des neuen Continents der ächte Zimmtbaum mit Erfolg gebaut, und ein Landstrich, auf dem der Coumarouna (die Tongabohne), die Vanille, der Pucheri, die Ananas, Myrtus pimenta, der Tolubalsam, Myroxylon peruvianum, die Crotonarten, die Citrosmen, der Pejoa (Gaultheria odorata), der Incienso der Silla von Caracas [Trixis nereifolia. S. Bd. II Seite 183], der Quereme, die Pancratium-Arten und so viele herrliche Lilienarten wachsen, kann nicht für einen gelten, dem es an Aromen fehlt. Zudem ist Trockenheit der Luft der Entwicklung aromatischer und reizender Eigenschaften nur bei gewissen Pflanzenarten förderlich. Die heftigsten Gifte werden im feuchtesten Landstrich Amerikas erzeugt, und gerade unter dem Einfluß der anhaltenden tropischen Regen gedeiht der amerikanische Pfeffer (capsicum baccatum) am besten, dessen Frucht häufig so scharf und beißend ist als der ostindische Pfeffer. Aus diesen Betrachtungen geht Folgendes hervor: 1) Der neue Continent besitzt sehr starke Gewürze, Arome und vegetabilische Gifte, die ihm allein angehören, sich aber specifisch von denen der alten Welt unterscheiden; 2) die ursprüngliche Vertheilung der Arten in der heißen Zone ist allein aus dem Einfluß des Klimas, aus der Vertheilung der Wärme, wie sie im gegenwärtigen Zustand unseres Planeten stattfindet, nicht zu erklären, aber diese Verschiedenheit der Klimate macht es uns begreiflich, warum ein gegebener organischer Typus sich an der einen Oertlichkeit kräftiger entwickelt als an der andern. Wir begreifen von einigen wenigen Pflanzenfamilien, wie von den Musen und Palmen, daß sie wegen ihres innern Baus und der Wichtigkeit gewisser Organe unmöglich sehr kalten Landstrichen angehören können; wir vermögen aber nicht zu erklären, warum keine Art aus der Familie der Melastomeen nördlich vom dreißigsten Breitegrad wächst, warum keine einzige Rosenart der südlichen Halbkugel angehört. Häufig sind auf beiden Continenten die Klimate analog, ohne daß die Erzeugnisse gleichartig wären.

Der Rio Vichada (Vichada), der bei seinem Zusammenfluß mit dem Orinoco einen kleinen Raudal hat, schien mir nach dem Meta und dem Guaviare der bedeutendste unter den aus Westen kommenden Flüssen. Seit vierzig Jahren hat kein Europäer den Vichada befahren. Ueber seine Quellen habe ich nichts in Erfahrung bringen können; ich vermuthe sie mit denen des Tomo auf den Ebenen südwärts von Casimena. Wenigstens ist wohl nicht zweifelhaft, daß die frühesten Missionen an den Ufern des Vichada von Jesuiten aus den Missionen am Casanare gegründet worden sind. Noch in neuester Zeit sah man flüchtige Indianer von Santa Rosalia de Cabapuna, einem Dorf am Meta, über den Rio Vichada an den Katarakt von Maypures kommen, was darauf hinweist, daß die Quellen desselben nicht sehr weit vom Meta seyn können. Pater GUMILLA hat uns die Namen mehrerer deutscher und spanischer Jesuiten aufbewahrt, die im Jahr 1734 an den jetzt öden Ufern des Vichada von der Hand der Caraiben als Opfer ihres religiösen Eifers fielen.

Nachdem wir zuerst gegen Ost am Caño Pirajavi, sodann gegen West an einem kleinen Fluß vorübergekommen, der nach der Aussage der Indianer aus einem See Namens Nao entspringt, übernachteten wir am Ufer des Orinoco, beim Einfluß des Zama, eines sehr ansehnlichen Flusses, der so unbekannt ist als der Rio Vichada. Trotz des schwarzen Wassers des Zama hatten wir viel von den Insekten auszustehen. Die Nacht war schön; in den niedern Luftregionen wehte kein Lüftchen, aber gegen zwei Uhr sahen wir dicke Wolken rasch von Ost nach West durch das Zenith gehen. Als sie beim Niedergehen gegen den Horizont vor die großen Nebelflecken im Schützen oder im Schiff traten, erschienen sie schwarzblau. Die Nebelflecken sind nie lichtstärker, als wenn sie zum Theil von Wolkenstreifen bedeckt sind. Wir beobachten in Europa dieselbe Erscheinung an der Milchstraße, beim Nordlicht, wenn es im Silberlicht strahlt, endlich bei Sonnenauf- und Untergang an dem Stück des Himmels, das weiß wird aus Ursachen, welche die Physik noch nicht gehörig ermittelt hat.

Kein Mensch kennt den weiten Landstrich zwischen Meta, Vichada und Guaviare weiter als auf eine Meile vom Ufer. Man glaubt, daß hier wilde Indianer vom Stamm der Chiricoas hausen, die glücklicherweise keine Canoes bauen. Früher, als noch die Caraiben und ihre Feinde, die Cabres, mit ihren Geschwadern von Flößen und Piroguen hier umherzogen, wäre es unvorsichtig gewesen, an der Mündung eines Flusses zu übernachten, der aus Westen kommt. Gegenwärtig, da die kleinen Niederlassungen der Europäer die unabhängigen Indianer von den Ufern des obern Orinoco verdrängt haben, ist dieser Landstrich so öde, daß uns von Carichana bis Javita und von Esmeralda bis San Fernando de Atabapo auf einer Stromfahrt von 180 Meilen nicht ein einziges Fahrzeug begegnete.

Mit der Mündung des Rio Zama betraten wir ein Flußsystem, das große Aufmerksamkeit verdient. Der Zama, der Mataveni, der Atabapo, der Tuamini, der Temi, der Guainia haben *schwarzes Wasser* (aguas negras), das heißt, ihr Wasser, in großen Massen gesehen, erscheint kaffeebraun oder grünlich schwarz, und doch sind es die schönsten, klarsten, wohlschmeckendsten Wasser. Ich habe schon oben erwähnt, daß die Krokodile und, wenn auch nicht die Zancudos, doch die Moskitos fast überall die schwarzen Wasser meiden. Das Volk behauptet ferner, diese Wasser bräunen das Gestein nicht, und die weißen Flüsse haben schwarze, die schwarzen Flüsse weiße Ufer. Und allerdings sieht man am Gestade des Guainia, den die Europäer unter dem Namen *Rio Negro* kennen, häufig blendend weiße Quarzmassen aus dem Granit hervorstehen. Im Glase ist das Wasser des Mataveni ziemlich weiß, das des Atabapo aber behält einen braungelblichen Schein. Wenn ein gelinder Wind den Spiegel dieser 'schwarzen Flüsse' kräuselt, so erscheinen sie schön wiesengrün wie die Schweizer Seen. Im Schatten sind der Zama, der Atabapo, der Guainia schwarz wie Kaffeesatz. Diese Erscheinungen sind so auffallend, daß die Indianer aller Orten die Gewässer in schwarze und weiße eintheilen. Erstere haben mir häufig als künstlicher Horizont gedient; sie werfen die Sternbilder wunderbar scharf zurück.

Die Farbe des Quellwassers, Flußwassers und Seewassers gehört zu den physikalischen Problemen, die durch unmittelbare Versuche schwer oder gar nicht zu lösen sind. Die Farben bei reflektirtem Licht sind meist ganz andere als bei durchgehendem, besonders wenn es durch eine große Masse Flüssigkeit durchgeht. Fände keine Absorption der Strahlen statt, so hätte das durchgehende Licht immer die Farbe, welche die complementäre des reflektirten Lichtes wäre, und meist beurtheilt man bei einem Wasser in einem nicht tiefen Glase mit enger Oeffnung das durchgehende Licht falsch. Bei einem Flusse gelangt das reflektirte farbige Licht immer von den innern Schichten der Flüssigkeit zu uns, nicht von der obersten Schicht derselben.

Berühmte Physiker, welche das reinste Gletscherwasser untersucht haben, so wie das, welches aus mit ewigem Schnee bedeckten Bergen entspringt, wo keine vegetabilischen Reste sich in der Erde finden, sind der Meinung, die eigenthümliche Farbe des Wassers möchte blau oder grün seyn. In der That ist durch nichts erwiesen, daß das Wasser von Natur weiß ist und immer ein Farbstoff im Spiele seyn muß, wenn dasselbe, bei reflektirtem Licht gesehen, eine Färbung zeigt. Wo Flüsse wirklich einen färbenden Stoff enthalten, ist derselbe meist in so geringer Menge, daß er sich jeder chemischen Untersuchung entzieht. Die Färbung des Meeres scheint häufig weder von der Beschaffenheit des Grundes, noch vom Reflex des Himmels und der Wolken abzuhängen. Ein großer Physiker, DAVY, soll der Ansicht seyn, die verschiedene Färbung der Meere könnte daher rühren, daß das Jod in verschiedenen Verhältnissen darin enthalten ist.

Aus den alten Erdbeschreibern ersehen wir, daß bereits den Griechen die blauen Wasser der Thermopylen, die rothen bei Joppe, die schwarzen der heißen Bäder von Astyra, Lesbos gegenüber, aufgefallen waren. Manche Flüsse, z. B. die Rhone bei Genf, haben eine entschieden blaue Farbe. Das Schneewasser in den Schweizeralpen soll zuweilen smaragdgrün seyn, in wiesengrün übergehend. Mehrere Seen in Savoyen und Peru sind bräunlich, ja fast schwarz. Die meisten dergleichen Farbenerscheinungen kommen bei Gewässern vor, welche für die reinsten gelten, und man wird sich vielmehr an auf Analogien gegründete Schlüsse als an die unmittelbare Analyse halten müssen, um über diesen noch sehr dunkeln Punkt einiges Licht zu verbreiten. In dem weit ausgedehnten Flußsystem, das wir bereist -- und dieser Umstand scheint mir sehr auffallend -- kommen die 'schwarzen Wasser' vorzugsweise nur in dem Strich in der Nähe des Aequators vor. Um den fünften Grad nördlicher Breite fängt man an sie anzutreffen, und sie sind über den Aequator hinaus bis gegen den zweiten Grad südlicher Breite sehr häufig. Die Mündung des Rio Negro liegt sogar unter dem 3° 9{~PRIME~} der Breite; aber auf diesem ganzen Landstrich kommen in den Wäldern und auf den Grasfluren weiße und schwarze Wasser dergestalt unter einander vor, daß man nicht weiß, welcher Ursache man die Färbung des Wassers zuschreiben soll. Der Cassiquiare, der sich in den Rio Negro ergießt, hat weißes Wasser wie der Orinoco, aus dem er entspringt. Von zwei Nebenflüssen des Cassiquiare nahe bei einander, Siapa und Pacimony, ist der eine weiß, der andere schwarz.

Fragt man die Indianer nach den Ursachen dieser sonderbaren Färbung, so lautet ihre Antwort, wie nicht selten auch in Europa, wenn es sich von physischen und physiolologischen Fragen handelt: sie wiederholen das Faktum mit andern Worten. Wendet man sich an die Missionäre, so sprechen sie, als hätten sie die strengsten Beweise für ihre Behauptung, »das Wasser färbe sich, wenn es über Sarsaparillewurzeln laufe.« Die Smilaceen sind allerdings am Rio Negro, Pacimony und Cababury sehr häufig, und ihre Wurzeln geben in Wasser eingeweicht einen braunen, bittern, schleimigten Extraktivstoff; aber wie viele Smilaxbüsche haben wir an Orten gesehen, wo die Wasser ganz weiß sind! Wie kommt es, daß wir im sumpfigten Wald, durch den wir unsere Pirogue vom Rio Tuamini zum Caño Pimichin und an den Rio Negro schleppen mußten, auf demselben Landstrich jetzt durch Bäche mit weißem, jetzt durch andere mit schwarzem Wasser wateten? Warum hat man niemals einen Fluß gefunden, der seiner Quelle zu weiß und im untern Stück seines Laufes schwarz war? Ich weiß nicht, ob der Rio Negro seine braungelbe Farbe bis zur Mündung behält, obgleich ihm durch den Cassiquiare und den Rio Blanco sehr viel weißes Wasser zufließt. Da LA CONDAMINE den Fluß nordwärts vom Aequator nicht sah, konnte er vom Unterschied in der Farbe nicht urtheilen.

Die Vegetation ist wegen der Regenfülle ganz in der Nähe des Aequators allerdings kräftiger als 8--10 Grad gegen Nord und gegen Süd; es läßt sich aber keineswegs behaupten, daß die Flüsse mit schwarzem Wasser vorzugsweise in den dichtesten, schattigsten Wäldern entspringen. Im Gegentheil kommen sehr viele aguas negras aus den offenen Grasfluren, die sich vom Meta jenseits des Guaviare gegen den Caqueta hinziehen. Auf einer Reise, die ich zur Zeit der Ueberschwemmung mit Herrn von Montufar vom Hafen von Guyaquil nach den Bodegas de Babaojo machte, fiel es mir auf, daß die weiten Savanen am *Invernadero del Carzal* und am *Lagartero* ganz ähnlich gefärbt waren wie der Rio Negro und der Atabapo. Diese zum Theil seit drei Monaten unter Wasser stehenden Grasfluren bestehen aus Paspalum, Eriochloa und mehreren Cyperaceen. Wir fuhren in vier bis fünf Fuß tiefem Wasser; dasselbe war bei Tag 33--34 Grad warm; es roch stark nach Schwefelwasserstoff, was ohne Zweifel zum Theil von den faulenden Arum- und Heliconienstauden herrührte, die auf den Lachen schwammen. Das Wasser des Lagartero sah bei durchgehendem Licht goldgelb, bei reflektirtem kaffeebraun aus. Die Farbe rührt ohne Zweifel von gekohltem Wasserstoff her. Man sieht etwas Aehnliches am Düngerwasser, das unsere Gärtner bereiten, und am Wasser, das aus Torfgruben abfließt. Läßt sich demnach nicht annehmen, daß auch die schwarzen Flüsse, der Atabapo, der Zama, der Mataveni, der Guainia, von einer Kohlen- und Wasserstoffverbindung, von einem Pflanzenextraktivstoff gefärbt werden? Der starke Regen unter dem Aequator trägt ohne Zweifel zur Färbung bei, indem das Wasser durch einen dichten Grasfilz sickert. Ich gebe diese Gedanken nur als Vermuthung. Die färbende Substanz scheint in sehr geringer Menge im Wasser enthalten; denn wenn man Wasser aus dem Guainia oder Rio Negro sieden läßt, sah ich es nicht braun werden wie andere Flüssigkeiten, welche viel Kohlenwasserstoff enthalten.

Es erscheint übrigens sehr merkwürdig, daß diese 'schwarzen Wasser', von denen man glauben sollte, sie seyen auf die Niederungen der heißen Zone beschränkt, gleichfalls, wenn auch sehr selten, auf den Hochebenen der Anden vorkommen. Wir fanden die Stadt Cuenca im Königreich Quito von drei Bächen umgeben, dem Machangara, dem Rio del Matadero und dem Yanuncai. Die zwei ersteren sind weiß, letzterer hat schwarzes Wasser. Dasselbe ist, wie das des Atabapo, kaffeebraun bei reflektirtem, blaßgelb bei durchgehendem Licht. Es ist sehr schön, und die Einwohner von Cuenca, die es vorzugsweise trinken, schreiben die Farbe ohne weiteres der Sarsaparille zu, die am Rio Yanuncai sehr häufig wachsen soll.

Am 23. April. Wir brachen von der Mündung des Zama um drei Uhr Morgens auf. Auf beiden Seiten lief fortwährend dicker Wald am Strom hin. Die Berge im Osten schienen immer weiter wegzurücken. Wir kamen zuerst am Einfluß des Rio Mataveni, und dann an einer merkwürdig gestalteten Insel vorbei. Ein viereckigter Granitfels steigt wie eine Kiste gerade aus dem Wasser empor; die Missionäre nennen ihn el Castillito. Aus schwarzen Streifen daran sollte man schließen, daß der Orinoco, wenn er anschwillt, an dieser Stelle nicht über 8 Fuß steigt, und daß die hohen Wasserstände, die wir weiter unten beobachtet, von den Nebenflüssen herrühren, die nördlich von den Katarakten von Atures und Maypures hereinkommen. Wir übernachteten am rechten Ufer, der Mündung des Rio Siucurivapu gegenüber, bei einem Felsen, der Aricagua heißt. In der Nacht kamen zahllose Fledermäuse aus den Felsspalten und schwirrten um unsere Hängematten. Ich habe früher von dem Schaden gesprochen, den diese Thiere unter den Heerden anrichten. Sie vermehren sich besonders stark in sehr trockenen Jahren.

Am 24. April. Ein starker Regen zwang uns, schon sehr früh Morgens die Pirogue wieder zu besteigen. Wir fuhren um zwei Uhr ab und mußten einige Bücher zurücklassen, die wir in der finstern Nacht auf dem Felsen Aricagua nicht finden konnten. Der Strom läuft ganz gerade von Süd nach Nord; die Ufer sind niedrig und zu beiden Seiten von dichten Wäldern beschattet. Wir kamen an den Mündungen des Ucata, des Arapa und des Caranaveni vorüber. Gegen vier Uhr Abends stiegen wir bei den 'Conucos de Siquita' aus, Pflanzungen von Indianern aus der Mission San Fernando. Die guten Leute hätten uns gern behalten, aber wir fuhren weiter gegen den Strom, der in der Secunde fünf Fuß zurücklegt. Dieß ist das Ergebniß einer Messung, bei der ich die Zeit schätzte, die ein schwimmender Körper braucht, um eine gegebene Strecke zurückzulegen. Wir liefen bei finsterer Nacht in die Mündung des Guaviare ein, fuhren über den Zusammenfluß des Atabapo mit dem Guaviare hinaus und langten nach Mitternacht in der Mission an. Wir erhielten unsere Wohnung, wie immer, im Kloster, das heißt im Hause des Missionärs, der von unserem unerwarteten Besuch höchlich überrascht war, uns aber nichts desto weniger mit der liebenswürdigsten Gastlichkeit aufnahm.

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47 War es Coluber Elaphis oder Coluber Aesculapii oder ein Python, ähnlich dem, der vom Heere des Regulus getödtet worden?

48 Im Jahr 1806 erschien in Leipzig ein Buch unter dem Titel: Untersuchungen, über die von Humboldt am Orinoco entdeckten Spuren der phönicischen Sprache.

49 Die Hindus, die Tibetaner, die Chinesen, die alten Egypter, die Azteken, die Peruaner, bei denen der Trieb zur Massencultur die freie Entwicklung der Geistesthätigkeit in den Individuen niederhielt.

50 Aus kieselhaltigem Kalkstein in Pique am großen Miami, aus Sandstein am Paint Creek zehn Meilen von Chillicothe, wo die Mauer 1500 Toisen lang ist.

51 Er erscheint in Maypures unter einem Winkel von 1 Grad 27 Minuten.

* 52 Rochen*, wegen der angeblichen Aehnlichkeit mit dem Fisch dieses Namens, bei dem der Mund am Körper herabgerückt scheint.

53 In der Jahreszeit, die man in Südamerika nördlich vom Aequator Sommer heißt.

54 Diminutiv des spanischen Worts Canela, das Cinnamomum (Kinnamomon der Griechen) bedeutet. Letzteres Wort gehört zu den wenigen, die seit dem höchsten Alterthum aus dem Phönicischen (einer semitischen Sprache) in die abendländischen Sprachen übergegangen sind.


ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL.

San Fernando de Atabapo. -- San Baltasar. -- Die Flüsse Temi und Tuamini. -- Javita. -- Trageplatz zwischen dem Tuamini und dem Rio Negro.

Wir hatten in der Nacht fast unvermerkt die Gewässer des Orinoco verlassen und sahen uns bei Sonnenaufgang wie in ein anderes Land versetzt, am Ufer eines Flusses, dessen Namen wir fast noch nie hatten aussprechen hören, und auf dem wir über den Trageplatz am Pimichin zum Rio Negro an der Grenze Brasiliens gelangen sollten. »Sie müssen,« sagte uns der Präsident der Missionen, der in San Fernando seinen Sitz hat, »zuerst den Atabapo, dann den Temi, endlich den Tuamini hinauffahren. Können Sie bei der starken Strömung der *schwarzen Wasser* nicht mehr weiter kommen, so führt man Sie vom Flußbett weg durch die Wälder, die Sie unter Wasser finden werden. Auf diesem wüsten Landstrich zwischen Orinoco und Rio Negro leben nur zwei Mönche, aber in Javita finden Sie die Mittel, um Ihre Pirogue vier Tagereisen weit über Land zum Caño Pimichin ziehen zu zu lassen. Zerbricht sie nicht, so fahren Sie ohne Anstand den Rio Negro (von Nordwest nach Südost) hinunter bis zur Schanze San Carlos, sodann den Cassiquiare (von Süd nach Nord) herauf und kommen in Monatsfrist über den obern Orinoco (von Ost nach West) wieder nach San Fernando.« Diesen Plan entwarf man uns für unsere Flußfahrt, und wir führten ihn, nicht ohne Beschwerden, aber immer leicht und ohne Gefahr in drei und dreißig Tagen aus. Die Krümmungen in diesem Flußlabyrinth sind so stark, daß man sich ohne die Reisekarte, die ich entworfen, vom Wege, auf dem wir von der Küste von Caracas durch das innere Land an die Grenzen der Capitania General von Gran-Para gelangt sind, so gut als keine Vorstellung machen könnte. Für diejenigen, welche nicht gerne in Karten blicken, auf denen viele schwer zu behaltende Namen stehen, bemerke ich nochmals, daß der Orinoco von seinen Quellen, oder doch von Esmeralda an von Ost nach West, von San Fernando, also vom Zusammenfluß des Atabapo und des Guaviare an, bis zum Einfluß des Apure von Süd nach Nord fließt und auf dieser Strecke die großen Katarakten bildet, daß er endlich vom Einfluß des Apure bis Angostura und zur Seeküste von West nach Ost läuft. Auf der ersten Strecke, auf dem Lauf von Ost nach West, bildet er die berühmte Gabelung, welche die Geographen so oft in Abrede gezogen und deren Lage ich zuerst durch astronomische Beobachtungen bestimmen konnte. Ein Arm des Orinoco, der Cassiquiare, der von Nord nach Süd fließt, ergießt sich in den Guainia oder Rio Negro, der seinerseits in den Maragnon oder Amazonenstrom fällt. Der natürlichste Weg zu Wasser von Angostura nach Gran-Para wäre also den Orinoco hinauf bis Esmeralda, und dann den Cassiquiare, Rio Negro und Amazonenstrom hinunter; da aber der Rio Negro auf seinem oberen Lauf sich sehr den Quellen einiger Flüsse nähert, die sich bei San Fernando de Atabapo in den Orinoco ergießen (am Punkte, wo der Orinoco aus der Richtung von Ost nach West rasch in die von Süd nach Nord umbiegt), so kann man in den Rio Negro gelangen, ohne die Flußstrecke zwischen San Fernando und Esmeralda hinaufzufahren. Man geht bei der Mission San Fernando vom Orinoco ab, fährt die zusammenhängenden kleinen schwarzen Flüsse (Atabapo, Temi und Tuamini) hinauf, und läßt die Pirogue über eine 6000 Toisen breite Landenge an das Ufer eines Baches (Caño Pimichin) tragen, der in den Rio Negro fällt. Dieser Weg, den wir einschlugen, und der besonders seit der Zeit, da Don Manuel Centurion Statthalter von Guyana war, gebräuchlich geworden, ist so kurz, daß jetzt ein Bote von San Carlos am Rio Negro nach Angostura Briefschaften in 24 Tagen bringt, während er früher über den Cassiquiare herauf 50--60 brauchte. Man kann also über den Atabapo aus dem Amazonenstrom in den Orinoco kommen, ohne den Cassiquiare herauf zu fahren, der wegen der starken Strömung, des Mangels an Lebensmitteln und der Moskitos gemieden wird. Für französische Leser führe ich hier ein Beispiel aus der hydrographischen Karte Frankreichs an. Wer von Nevers an der Loire nach Montereau an der Seine will, könnte, statt auf dem Canal von Orleans zu fahren, der, wie der Cassiquiare, zwei Flußsysteme verbindet, von den Zuflüssen der Loire zu denen der Seine sein Fahrzeug tragen lassen; er könnte die Nièvre hinauffahren, über eine Landenge beim Dorfe Menou gehen und sofort die Yonne hinab in die Seine gelangen.

Wir werden bald sehen, welche Vortheile es hätte, wenn man über den sumpfigten Landstrich zwischen dem Tuamini und dem Pimichin einen Canal zöge. Käme dieser Plan einmal zur Ausführung, so hätte die Fahrt vom Fort San Carlos nach Angostura, der Hauptstadt von Guyana, nur noch den Rio Negro herauf bis zur Mission Maroa einige Schwierigkeit; von da ginge es auf dem Tuamini, dem Temi, Atabapo und Orinoco abwärts. Ueber den Cassiquiare ist der Weg von San Carlos nach San Fernando am Atabapo weit unangenehmer und um die Hälfte länger als über Javita und den Caño Pimichin. Auf diesem Landstrich, in den zur Zeit der Grenzexpedition kein astronomisches Werkzeug gekommen war, habe ich mit Louis Berthouds Chronometer und durch Meridianhöhen von Gestirnen Länge und Breite von San Balthasar am Atabapo, Javita, San Carlos am Rio Negro, des Felsen Culimacari und der Mission Esmeralda bestimmt; die von mir entworfene Karte hat somit die Zweifel über die gegenseitigen Entfernungen der christlichen Niederlassungen gehoben. Wenn es keinen andern Weg gibt, als auf vielgekrümmten, verschlungenen Gewässern, wenn in dichten Wäldern nur kleine Dörfer stecken, wenn auf völlig ebenem Lande kein Berg, kein erhabener Gegenstand von zwei Punkten zugleich sichtbar ist, kann man nur am Himmel lesen, wo man sich auf Erden befindet. In den wildesten Ländern der heißen Zone fühlt man mehr als anderswo das Bedürfniß astronomischer Beobachtungen. Dieselben sind dort nicht allein nützliche Hülfsmittel, um Karten zu vollenden und zu verbessern: sie sind vielmehr zur Aufnahme des Terrains von vorne herein unerläßlich.

Der Missionär von San Fernando, bei dem wir zwei Tage verweilten, führt den Titel eines Präsidenten der Missionen am Orinoco. Die sechs und zwanzig Ordensgeistlichen, die am Rio Negro, Cassiquiare, Atabapo, Caura und Orinoco leben, stehen unter ihm und er seinerseits steht unter dem Gardian des Klosters in Nueva Barcelona, oder, wie man hier sagt, des 'Colegio de la purissima Conception de Propaganda Fide'. Sein Dorf sah etwas wohlhabender aus, als die wir bis jetzt auf unserem Wege angetroffen, indessen hatte es doch nur 266 Einwohner. Ich habe schon öfters bemerkt, daß die Missionen in der Nähe der Küsten, die gleichfalls unter den Observanten stehen, z. B. Pilar, Caigua, Huere und Cupapui, zwischen 800 und 2000 Einwohnern zählen. Es sind größere und schönere Dörfer als in den cultivirtesten Ländern Europas. Man versicherte uns, die Mission San Fernando habe unmittelbar nach der Gründung eine stärkere Bevölkerung gehabt als jetzt. Da wir auf der Rückreise vom Rio Negro noch einmal an den Ort kamen, so stelle ich hier die Beobachtungen zusammen, die wir an einem Punkte des Orinoco gemacht, der einmal für den Handel und die Gewerbe der Colonien von großer Bedeutung werden kann.

San Fernando de Atabapo liegt an der Stelle, wo drei große Flüsse, der Orinoco, der Guaviare und der Atabapo sich vereinigen. Die Lage ist ähnlich wie die von St. Louis oder Neu-Madrid am Einfluß des Missouri und des Ohio in den Mississippi. Je größeren Aufschwung der Handel in diesen von ungeheuren Strömen durchzogenen Ländern nimmt, desto mehr werden die Städte, die an zwei Flüssen liegen, von selbst Schiffsstationen, Stapelplätze für die Handelsgüter, wahre Mittelpunkte der Cultur. Pater GUMILLA gesteht, daß zu seiner Zeit kein Mensch vom Laufe des Orinoco oberhalb des Einflusses des Guaviare etwas gewußt habe. Er sagt ferner sehr naiv, er habe sich an Einwohner von Timana und Pasto um einige, noch dazu unsichere Auskunft über den obern Orinoco wenden müssen. Heutzutage erkundigt man sich allerdings nicht in den Anden von Popayan nach einem Flusse, der am Westabhang der Gebirge von Cayenne entspringt. Pater Gumilla verwechselte zwar nicht, wie man ihm Schuld gegeben, die Quellen des Guaviare und die des Orinoco; da er aber das Stück des letzteren Flusses, das von Esmeralda San Fernando zu von Ost nach West gerichtet ist, nicht kannte, so setzt er voraus, man müsse, um oberhalb der Katarakten und der Einmündungen des Vichada und Guaviare den Orinoco weiter hinaufzukommen, sich nach Südwest wenden. Zu jener Zeit hatten die Geographen die Quellen des Orinoco in die Nähe der Quellen des Putumayo und Caqueta an den östlichen Abhang der Anden von Pasto und Popayan gesetzt, also nach meinen Längenbestimmungen auf dem Rücken der Cordilleren und in Esmeralda, 240 Meilen vom richtigen Punkt. Unrichtige Angaben LA CONDAMINEs über die Verzweigungen des Caqueta, wodurch SANSONs Annahmen Bestätigung zu finden schienen, haben Irrthümer verbreiten helfen, die sich Jahrhunderte lang erhalten haben. In der ersten Ausgabe seiner großen Karte von Südamerika (eine sehr seltene Ausgabe, die ich auf der großen Pariser Bibliothek gefunden habe) zeichnete D'ANVILLE den Rio Negro als einen Arm des Orinoco, der vom Hauptstrom zwischen den Einflüssen des Meta und des Vichada, in der Nähe des Katarakts von *los Astures* (Atures) abgeht. Diesem großen Geographen war damals die Existenz des Cassiquiare und des Atabapo ganz unbekannt, und er ließ den Orinoco oder Rio Paragua, den Japura und den Putumayo aus drei Zweigen des Caqueta entspringen. Erst durch die Grenzexpedition unter dem Befehl Ituriagas und SOLANOs wurde das wahre Verhältniß bekannt. Solano war als Ingenieur bei der Expedition und ging im Jahr 1756 über die großen Katarakten bis zum Einfluß des Guaviare hinauf. Er sah, daß man, um auf dem Orinoco weiter hinaufzukommen, sich ostwärts wenden müsse, und daß die Wasser des Guaviare, der zwei Meilen weiter oben den Atabapo aufgenommen hat, da hereinkommen, wo der Strom unter 4° 4{~PRIME~} der Breite die große Wendung macht. Da Solano daran gelegen war, den portugiesischen Besitzungen so nahe als möglich zu kommen, so entschloß er sich, gegen Süd vorzudringen. Er fand am Zusammenfluß des Atabapo und Guaviare Indianer von der kriegerischen Nation der Guaypunabis angesiedelt. Er lockte sie durch Geschenke an sich und gründete mit ihnen die Mission San Fernando, die er, in der Hoffnung sich beim Ministerium in Madrid wichtig zu machen, emphatisch *Villa* betitelte.

Um die politische Bedeutung dieser Niederlassung zu würdigen, muß man die damaligen Machtverhältnisse zwischen den kleinen Indianerstämmen in Guyana ins Auge fassen. Die Ufer des untern Orinoco waren lange der Schauplatz der blutigen Kämpfe zwischen zwei mächtigen Völkern, den Cabres und den Caraiben, gewesen. Letztere, deren eigentliche Wohnsitze seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts zwischen den Quellen des Carony, des Esquibo, des Orinoco und des Rio Parime liegen, waren nicht allein bis zu den großen Katarakten Herren des Landes, sie machten auch Einfälle in die Länder am obern Orinoco, und zwar über die *Trageplätze* zwischen dem Paruspa und dem Caura, dem Eredato und dem Ventuari, dem Conorichite und dem Atacavi. Niemand wußte so gut, wie sich die Flüsse verzweigen, wo die Nebenflüsse zur Hand sind, wie man auf dem kürzesten Wege ans Ziel kommt. Die Caraiben hatten die Cabres geschlagen und beinahe ausgerottet; waren sie jetzt aber Herren am untern Orinoco, so stießen sie auf Widerstand bei den Guaypunabis, die sich am obern Orinoco die Herrschaft errungen hatten und neben den Cabres, Manitivitanos und Parenis die ärgsten Anthropophagen in diesem Landstrich sind. Sie waren ursprünglich am großen Fluß Inirida bei seiner Vereinigung mit dem Chamochiquini und im Gebirgslande von Mabicore zu Hause. Um das Jahr 1744 hieß ihr Häuptling oder, wie die Eingeborenen sagen, ihr 'Apoto' (König), Macapu, ein Mann durch Geisteskraft und Muth gleich ausgezeichnet. Er war mit einem Theil seiner Nation an den Atabapo gekommen, und als der Jesuit Roman seinen merkwürdigen Zug vom Orinoco an den Rio Negro machte, gestattete Macapu, daß der Missionar einige Familien Guaypunabis mitnahm, um sie in Uriana und beim Katarakt von Maypures anzusiedeln. Diese Nation gehört der Sprache nach dem großen Volksstamm der Maypures an; sie ist gewerbfleißiger, man könnte beinahe sagen, civilisirter als die andern Völker am obern Orinoco. Nach dem Bericht der Missionäre waren die Guaypunabis, als sie in diesen Ländern die Herren spielten, fast alle bekleidet und besaßen ansehnliche Dörfer. Nach Macapus Tode ging das Regiment auf einen andern Krieger über, auf Cuseru, von den Spaniern Capitän Cruzero genannt. Er hatte am Inirida Vertheidigungslinien und eine Art Fort aus Erde und Holz angelegt. Die Pfähle waren über sechzehn Fuß hoch und umgaben das Haus des Apoto, sowie eine Niederlage von Bogen und Pfeilen. Pater FORNERI beschreibt diese in einem sonst so wilden Lande merkwürdigen Anlagen.

Am Rio Negro waren die Stämme der Marepizanas und Manitivitanos die mächtigsten. Die Häuptlinge der ersteren waren ums Jahr 175O zwei Krieger Namens Imu und Cajamu; der König der Manitivitanos war Cocuy, vielberufen wegen seiner Grausamkeit und seiner raffinirten Schwelgerei. Zu meiner Zeit lebte noch seine Schwester in der Nähe der Mission Maypure. Man lächelt, wenn man hört, daß Männer wie Cuseru, Imu und Cocuy hier zu Lande so berühmt sind, wie in Indien die Holkar, Tippo und die mächtigsten Fürsten. Die Häuptlinge der Guaypunabis und Manitivitanos fochten mit kleinen Haufen von zwei bis dreihundert Mann; aber in der langen Fehde verwüsteten sie die Missionen, wo die armen Ordensleute nur fünfzehn bis zwanzig spanische Soldaten zur Verfügung hatten. Horden, wegen ihrer Kopfzahl und ihrer Vertheidigungsmittel gleich verächtlich, verbreiteten einen Schrecken, als wären es Heere. Den Patres Jesuiten gelang es nur dadurch, ihre Missionen zu retten, daß sie List wider Gewalt setzten. Sie zogen einige mächtige Häuptlinge in ihr Interesse und schwächten die Indianer durch Entzweiung. Als Ituriaga und Solano auf ihrem Zuge an den Orinoco kamen, hatten die Missionen von den Einfällen der Caraiben nichts mehr zu befürchten. Cusaru hatte sich hinter den Granitbergen von Sipapo niedergelassen; er war der Freund der Jesuiten; aber andere Völker vom obern Orinoco und Rio Negro, die Matepizanos, Amuizanos und Manitivitanos, fielen unter Imus, Cajamus und Cocuys Führung von Zeit zu Zeit in das Land nordwärts von den großen Katarakten ein. Sie hatten andere Beweggründe zur Feindseligkeit als Haß. Sie trieben *Menschenjagd*, wie es früher bei den Caraiben Brauch gewesen und wie es in Afrika noch Brauch ist. Bald lieferten sie Sklaven (poitos) den Holländern oder Paranaquiri (*Meerbewohner*); bald verkauften sie dieselben an die Portugiesen oder Jaranavi (*Musikantensöhne*.)(55) In Amerika wie in Afrika hat die Habsucht der Europäer gleiches Unheil gestiftet; sie hat die Eingebornen gereizt, sich zu bekriegen, um Gefangene zu bekommen [S. Bd. I. Seite 251] Ueberall führt der Verkehr zwischen Völkern auf sehr verschiedenen Bildungsstufen zum Mißbrauch der physischen Gewalt und der geistigen Ueberlegenheit. Phönizien und Karthago suchten einst ihre Sklaven in Europa; heutzutage liegt dagegen die Hand Europas schwer auf den Ländern, wo es die ersten Keime seines Wissens geholt, wie auf denen, wo es dieselben, so ziemlich wider Willen, verbreitet, indem es ihnen die Erzeugnisse seines Gewerbfleißes zuführt.

Ich habe hier treu berichtet, was ich über die Zustände eines Landes in Erfahrung bringen konnte, wo die besiegten Völker nach und nach absterben und keine andere Spur ihres Daseyns hinterlassen, als ein paar Worte ihrer Sprache, welche die siegenden Völker in die ihrige aufnehmen. Wir haben gesehen, daß im Norden, jenseits der Katarakten, die Caraiben und die Cabres, südwärts am obern Orinoco die Guaypunabis, am Rio Negro die Marepizanos und Manitivitanos die mächtigsten Nationen waren. Der lange Widerstand, den die unter einem tapfern Führer vereinigten Cabres den Caraiben geleistet, hatte jenen nach dem Jahr 1720 zum Verderben gereicht. Sie hatten ihre Feinde an der Mündung des Rio Caura geschlagen; eine Menge Caraiben wurden auf ihrer eiligen Flucht zwischen den Stromschnellen des Torno und der Isla del Infierno erschlagen. Die Gefangenen wurden verzehrt; aber mit jener raffinirten Verschlagenheit und Grausamkeit, wie sie den Völkern Süd- wie Nordamerikas eigen ist, ließen sie Einen Caraiben am Leben, der, um Zeuge des barbarischen Auftritts zu seyn, auf einen Baum steigen und sofort den Geschlagenen die Kunde davon überbringen mußte. Der Siegesrausch Teps, des Häuptlings der Cabres, war von kurzer Dauer. Die Caraiben kamen in solcher Masse wieder, daß nur kümmerliche Reste der menschenfressenden Cabres am Rio Cuchivero übrig blieben.

Am obern Orinoco lagen Cocuy und Cuseru im erbittertsten Kampf gegen einander, als Solano an der Mündung des Guaviare erschien. Ersterer hatte für die Portugiesen Partei ergriffen; der letztere, ein Freund der Jesuiten, that es diesen immer zu wissen, wenn die Manitivitanos gegen die christlichen Niederlassungen in Atures und Carichana im Anzug waren. Cuseru wurde erst wenige Tage vor seinem Tode Christ; er hatte aber im Gefecht an seine linke Hüfte ein Crucifix gebunden, das die Missionäre ihm geschenkt und mit dem er sich für unverletzlich hielt. Man erzählte uns eine Anekdote, in der sich ganz seine wilde Leidenschaftlichkeit ausspricht. Er hatte die Tochter eines indianischen Häuptlings vom Rio Temi geheirathet. Bei einem Ausbruch von Groll gegen seinen Schwiegervater erklärte er seinem Weibe, er ziehe aus, sich mit ihm zu messen. Das Weib gab ihm zu bedenken, wie tapfer und ausnehmend stark ihr Vater sey; da nahm Cuseru, ohne ein Wort weiter zu sprechen, einen vergifteten Pfeil und schoß ihr ihn durch die Brust. Im Jahr 1756 versetzte die Ankunft einer kleinen Abtheilung spanischer Truppen unter Solanos Befehl diesen Häuptling der Guaypunabis in üble Stimmung. Er stand im Begriff, es auf ein Gefecht ankommen zu lassen, da gaben ihm die Patres Jesuiten zu verstehen, wie es sein Vortheil wäre, sich mit den Christen zu vertragen. Cuseru speiste am Tisch des spanischen Generals; man köderte ihn mit Versprechungen, namentlich mit der Aussicht, daß man nächstens seinen Feinden den Garaus machen werde. Er war König gewesen, nunmehr ward er Dorfschulze und ließ sich dazu herbei, sich mit den Seinigen in der neuen Mission San Fernando de Atabapos niederzulassen. Ein solch trauriges Ende nahmen meist jene Häuptlinge, welche bei Reisenden und Missionären indianische Fürsten heißen. »In meiner Mission,« sagt der gute Pater GILI, »hatte ich fünf 'Neyecillos' (kleine Könige) der Tamanacos, Avarigotos, Parecas, Quaquas und Maypures. In der Kirche setzte ich alle neben einander auf Eine Bank, ermangelte aber nicht, den ersten Platz Monaiti, dem Könige der Tamanacos, anzuweisen, weil er mich bei der Gründung des Dorfs unterstützt hatte. Er schien ganz stolz auf die Auszeichnung.« Wir sind auch Pater Gili's Meinung, daß ehemalige, von ihrer Höhe herabgesunkene Gewalthaber selten mit so Wenigem zufrieden zu stellen sind.

Als Cuseru, der Häuptling der Guaypunabis, die spanischen Truppen durch die Katarakten ziehen sah, rieth er Don Jose Solano, die Niederlassung am Atabapo noch ein ganzes Jahr aufzuschieben; er prophezeite Unheil, das denn auch nicht ausblieb. »Laßt mich,« sagte Cuseru zu den Jesuiten, »mit den Meinigen arbeiten und das Land umbrechen; ich pflanze Manioc, und so habt ihr später mit so vielen Leuten zu leben.« Solano, in seiner Ungeduld, weiter vorzudringen, hörte nicht auf den Rath des indianischen Häuptlings. Die neuen Ansiedler in San Fernando verfielen allen Schrecknissen der Hungersnoth. Man ließ mit großen Kosten zu Schiff auf dem Meta und dem Vichada Mehl aus Neu-Grenada kommen. Die Vorräthe langten aber zu spät an, und viele Europäer und Indianer erlagen den Krankheiten, die in allen Himmelsstrichen Folgen des Mangels und der gesunkenen moralischen Kraft sind.

Man sieht in San Fernando noch einige Spuren von Anbau; jeder Indianer hat eine kleine Pflanzung von Cacaobäumen. Die Bäume tragen vom fünften Jahr an reichlich, aber sie hören damit früher auf als in den Thälern von Aragua. Die Bohne ist klein und von vorzüglicher Güte. Gin Almuda, deren zehn auf eine Fanega gehen, kostet in San Fernando 6 Realen, etwa 4 Franken, an den Küsten wenigstens 20--25 Franken; aber die ganze Mission erzeugt kaum 80 Fanegas im Jahr, und da, nach einem alten Mißbrauch, die Missionäre am Orinoco und Rio Negro allein mit Cacao Handel treiben, so wird der Indianer nicht aufgemuntert, einen Culturzweig zu erweitern, von dem er so gut wie keinen Nutzen hat. Es gibt bei San Fernando ein paar Savanen und gute Weiden; man sieht aber kaum sieben oder acht Kühe darauf, Ueberbleibsel der ansehnlichen Heerde, welche die Grenzexpedition ins Land gebracht. Die Indianer sind etwas civilisirter als in den andern Missionen. Zu unserer Ueberraschung trafen wir einen Schmied von der eingeborenen Race.

Was uns in der Mission San Fernando am meisten auffiel und was der Landschaft einen eigenthümlichen Charakter gibt, das ist die 'Pihiguao'- oder 'Pirijao'-Palme. Der mit Stacheln bewehrte Stamm ist über sechzig Fuß hoch; die Blätter sind gefiedert, sehr schmal, wellenförmig und an den Spitzen gekräuselt. Höchst merkwürdig sind die Früchte des Baumes; jede Traube trägt 50 bis 80; sie sind gelb wie Apfel, werden beim Reifen roth, sind zwei bis drei Zoll dick und der Fruchtkern kommt meist nicht zur Entwicklung. Unter den 80--90 Palmenarten, die ausschließlich der neuen Welt angehören und die ich in den nova genera plantarum aequinoctialium aufgezählt, ist bei keiner das Fruchtfleisch so außerordentlich stark entwickelt. Die Frucht des Pirijao enthält einen mehligten, eigelben, nicht stark süßen, sehr nahrhaften Stoff. Man ißt sie wie die Banane und die Kartoffel, gesotten oder in der Asche gebraten; es ist ein eben so gesundes als angenehmes Nahrungsmittel. Indianer und Missionäre erschöpfen sich im Lobe dieser herrlichen Palme, die man die 'Pfirsichpalme' nennen könnte und die in San Fernando, San Balthasar, Santa Barbara, überall, wohin wir nach Süd und Ost am Atabapo und obern Orinoco kamen, in Menge angebaut fanden. In diesen Landstrichen erinnert man sich unwillkührlich der Behauptung LINNÉs, die Palmenregion sey die ursprüngliche Heimath unseres Geschlechts, der Mensch sey eigentlich ein 'Palmfruchtesser'.(56) Mustert man die Vorräthe in den Hütten der Indianer, so sieht man, daß mehrere Monate im Jahr die mehligte Frucht des Pirijao für sie so gut ein Hauptnahrungsmittel ist als der Manioc und die Banane. Der Baum trägt nur einmal im Jahr, aber oft drei Trauben, also 150--200 Früchte.

San Fernando de Atabapo, San Carlos und San Francisco Solano sind die bedeutendsten Missionen am obern Orinoco. In San Fernando, wie in den benachbarten Dörfern San Balthasar und Javita, fanden wir hübsche Pfarrhäuser, mit Schlingpflanzen bewachsen und mit Gärten umgeben. Die schlanken Stämme der Pirijaopalme waren in unsern Augen die Hauptzierde dieser Pflanzungen. Auf unsern Spaziergängen erzählte uns der Pater Präsident sehr lebhaft von seinen Fahrten auf dem Rio Guaviare. Er sprach davon, wie sehr sich die Indianer auf Züge »zur Eroberung von Seelen« freuen; jedermann, selbst Weiber und Greise wollen daran Theil nehmen. Unter dem nichtigen Vorwand, man verfolge Neubekehrte, die aus dem Dorf entlaufen, schleppt man dabei acht- bis zehnjährige Kinder fort und vertheilt sie an die Indianer in den Missionen als Leibeigene oder Poitos. Die Reisetagebücher, die Pater BARTHOLOMEO MANCILLA uns gefällig mittheilte, enthalten sehr wichtiges geographisches Material. Weiter unten, wenn von den Hauptnebenflüssen des Orinoco die Rede wird, vom Guaviare, Ventuari, Meta, Caura und Carony, gebe ich eine Uebersicht dieser Entdeckungen. Hier nur soviel, daß es, nach meinen astronomischen Beobachtungen am Atabapo und auf dem westlichen Abhang der Cordillere der Anden beim Paramo de la Suma Paz, von San Fernando bis zu den ersten Dörfern in den Provinzen Caguan und San Juan de los Llanos nicht mehr als 107 Meilen ist. Auch versicherten mich Indianer, die früher westlich von der Insel Amanaveni, jenseits des Einflusses des Rio Supavi, gelebt, sie haben auf einer Lustfahrt im Canoe (was die Wilden so heißen) auf dem Guaviare bis über die Angostura (den Engpaß) und den Hauptwasserfall hinauf, in drei Tagereisen Entfernung bärtige und bekleidete Männer getroffen, welche Eier der Terekey-Schildkröte suchten. Darüber waren die Indianer so erschrocken, daß sie in aller Eile umkehrten und den Guaviare wieder hinunterfuhren. Wahrscheinlich kamen diese weißen, bärtigen Männer aus den Dörfern Aroma und San Martin, da sich die zwei Flüsse Ariari und Guayavero zum Guaviare vereinigen. Es ist nicht zu verwundern, daß die Missionare am Orinoco und Atabapo fast keine Ahnung davon haben, wie nahe sie bei den Missionären von Mocoa, am Rio Fragua und Caguan leben. In diesen öden Landstrichen kann man nur durch Längenbeobachtungen die wahren Entfernungen kennen lernen, und nur nach astronomischen Ermittlungen und den Erkundigungen, die ich in den Klöstern zu Popayan und Pasto westwärts von den Cordilleren der Anden eingezogen, erhielt ich einen richtigen Begriff von der gegenseitigen Lage der christlichen Niederlassungen am Atabapo, Guayavero und Caqueta.

So bald man das Bett des Atabapo betritt, ist Alles anders, die Beschaffenheit der Luft, die Farbe des Wassers, die Gestalt der Bäume am Ufer. Bei Tage hat man von den Moskitos nicht mehr zu leiden; die Schnaken mit langen Füßen (zancudos) werden bei Nacht sehr selten, ja oberhalb der Mission San Fernando verschwinden diese Nachtinsekten ganz. Das Wasser des Orinoco ist trübe, voll erdigter Stoffe, und in den Buchten hat es wegen der vielen todten Krokodile und anderer faulender Körper einen bisamartigen, süßlichten Geruch. Um dieses Wasser trinken zu können, mußten wir es nicht selten durch ein Tuch seihen. Das Wasser des Atabapo dagegen ist rein, von angenehmem Geschmack, ohne eine Spur von Geruch, bei reflektirtem Licht bräunlich, bei durchgehendem gelblich. Das Volk nennt dasselbe »leicht,« im Gegensatz zum trüben, schweren Orinocowasser. Es ist meist um 2°, der Einmündung des Rio Temi zu um 3° kühler als der obere Orinoco. Wenn man ein ganzes Jahr lang Wasser von 27--28 Grad [22°,4--22°,8 Reaumur] trinken muß, hat man schon bei ein paar Graden weniger ein äußerst angenehmes Gefühl. Diese geringere Temperatur rührt wohl daher, daß der Fluß nicht so breit ist, daß er keine sandigten Ufer hat, die sich am Orinoco bei Tag auf 50 Grad erhitzen, und daß der Atabapo, Temi, Tuamini und der Rio Negro von dichten Wäldern beschattet sind.

Daß die schwarzen Wasser ungemein rein seyn müssen, das zeigt ihre Klarheit und Durchsichtigkeit und die Deutlichkeit, mit der sich die umgebenden Gegenstände nach Umriß und Färbung darin spiegeln. Auf 20--30 Fuß tief sieht man die kleinsten Fische darin und meist blickt man bis auf den Grund des Flusses hinunter. Und dieser ist nicht etwa Schlamm von der Farbe des Flusses, gelblich oder bräunlich, sondern blendend weißer Quarz- und Granitsand. Nichts geht über die Schönheit der Ufer des Atabapo; ihr üppiger Pflanzenwuchs, über den Palmen mit Federbuschlaub hoch in die Luft steigen, spiegelt sich im Fluß. Das Grün am reflektirten Bilde ist ganz so satt als am direkt gesehenen Gegenstand, so glatt und eben ist die Wasserfläche, so frei von suspendirtem Sand und organischen Trümmern, die auf der Oberfläche minder heller Flüsse Streifen und Unebenheiten bilden.

Wo man vom Orinoco abfährt, kommt man, aber ohne alle Gefahr, über mehrere kleine Stromschnellen. Mitten in diesen Raudalitos ergießt sich, wie die Missionäre annehmen, der Atabapo in den Orinoco. Nach meiner Ansicht ergießt sich aber der Atabapo vielmehr in den Guaviare, und diesen Namen sollte man der Flußstrecke vom Orinoco bis zur Mission San Fernando geben. Der Rio Guaviare ist weit breiter als der Atabapo, hat weißes Wasser und der ganze Anblick seiner Ufer, seine gefiederten Fischsänger, seine Fische, die großen Krokodile, die darin hausen, machen, daß er dem Orinoco weit mehr gleicht als der Theil dieses Flusses, der von Esmeralda herkommt. Wenn sich ein Strom durch die Vereinigung zweier fast gleich breiten Flüsse bildet, so ist schwer zu sagen, welchen derselben man als die Quelle zu betrachten hat. Die Indianer in San Fernando haben noch heute eine Anschauung, die der der Geographen gerade zuwider läuft. Sie behaupten, der Orinoco entspringe aus zwei Flüssen, aus dem Guaviare und dem Rio Paragua. Unter letzterem Namen verstehen sie den obern Orinoco von San Fernando und Santa Barbara bis über Esmeralda hinauf. Dieser Annahme zufolge ist ihnen der Cassiquiare kein Arm des Orinoco, sondern des Rio Paragua. Ein Blick auf die von mir entworfene Karte zeigt, daß diese Benennungen völlig willkührlich sind. Ob man dem Rio Paragua den Namen Orinoco abstreitet, daran ist wenig gelegen, wenn man nur den Lauf der Flüsse naturgetreu zeichnet, und nicht, wie man vor meiner Reise gethan, Flüsse, die unter einander zusammenhängen und Ein System bilden, durch eine Gebirgskette getrennt seyn läßt. Will man einen der beiden Zweige, die einen großen Fluß bilden, nach dem letzteren benennen, so muß man den Namen dem wasserreichsten derselben beilegen. In den beiden Jahreszeiten, wo ich den Guaviare und den obern Orinoco oder Rio Paragua (zwischen Esmeralda und San Fernando) gesehen, kam es mir nun aber vor, als wäre letzterer nicht so breit als der Guaviare. Die Vereinigung des obern Mississippi mit dem Missouri und Ohio, die des Maragnon mit dem Guallaga und Ucayale, die des Indus mit dem Chumab und Gurra oder Sutledge haben bei den reisenden Geographen ganz dieselben Bedenken erregt. Um die rein willkührlich angenommene Flußnomenclatur nicht noch mehr zu verwirren, schlage ich keine neuen Venennungen vor. Ich nenne mit Pater CAULIN und den spanischen Geographen den Fluß bei Esmeralda auch ferner Orinoco oder obern Orinoco, bemerke aber, daß, wenn man den Orinoco von San Fernando de Atabapo bis zum Delta, das er der Insel Trinidad gegenüber bildet, als eine Fortsetzung des Rio Guaviare und das Stück des obern Orinoco zwischen Esmeralda und der Mission San Fernando als einen Nebenfluß betrachtete, der Orinoco von den Savanen von San Juan de los Llanos und dem Ostabhang der Anden bis zu seiner Mündung eine gleichförmigere und natürlichere Richtung von Südwest nach Nordost hätte.

Der Rio Paragua, oder das Stück des Orinoco, auf dem man ostwärts von der Mündung des Guaviare hinauffährt, hat klareres, durchsichtigeres und reineres Wasser als das Stück unterhalb San Fernando. Das Wasser des Guaviare dagegen ist weiß und trüb; es hat, nach dem Ausspruch der Indianer, deren Sinne sehr scharf und sehr geübt sind, denselben Geschmack wie das Wasser des Orinoco in den großen Katarakten. »Gebt mir,« sagte ein alter Indianer aus der Mission Javita zu uns, »Wasser aus drei, vier großen Flüssen des Landes, so sage ich euch nach dem Geschmack zuverlässig, wo das Wasser geschöpft worden, ob aus einem weißen oder einem schwarzen Fluß, ob aus dem Orinoco oder dem Atabapo, dem Paragua oder dem Guaviare.« Auch die großen Krokodile und die Delphine (Toninas) haben der Guaviare und der untere Orinoco mit einander gemein; diese Thiere kommen, wie man uns sagte, im Rio Paragua (oder obern Orinoco zwischen San Fernando und Esmeralda) gar nicht vor. Dieß sind doch sehr auffallende Verschiedenheiten hinsichtlich der Beschaffenheit der Gewässer und der Vertheilung der Thiere. Die Indianer verfehlen nicht, sie aufzuzählen, wenn sie den Reisenden beweisen wollen, daß der obere Orinoco östlich von San Fernando ein eigener, sich in den Orinoco ergießender Fluß, und der wahre Ursprung des letzteren in den Quellen des Guaviare zu suchen sey. Die europäischen Geographen haben sicher unrecht, daß sie die Anschauung der Indianer nicht theilen, welche die natürlichen Geographen ihres Landes sind; aber bei Nomenclatur und Orthographie thut man nicht selten gut, eine Unrichtigkeit, auf die man aufmerksam gemacht, dennoch selbst beizubehalten.

Meine astronomischen Beobachtungen in der Nacht des 25. April gaben mir die Breite nicht so bestimmt, als zu wünschen war. Der Himmel war bewölkt und ich konnte nur ein paar Höhen von {~GREEK SMALL LETTER ALPHA~} im Centaur und dem schönen Stern am Fuß des südlichen Kreuzes nehmen. Nach diesen Höhen schien mir die Breite der Mission San Fernando gleich 4° 2{~PRIME~} 48{~DOUBLE PRIME~}; Pater CAULIN gibt auf der Karte, die SOLANOs Beobachtungen im Jahr 1756 zu Grunde legt, 4° 4{~PRIME~} an. Diese Uebereinstimmung spricht für die Richtigkeit meiner Beobachtung, obgleich sich dieselbe nur auf Höhen ziemlich weit vom Meridian gründet. Eine gute Sternbeobachtung in Guapasoso ergibt mir für San Fernando 4° 2{~PRIME~}. (GUMILLA setzte den Zusammenfluß des Atabapo und Guaviare unter 0° 30{~PRIME~}, D'ANVILLE unter 2° 51{~PRIME~}). Die Länge konnte ich auf der Fahrt zum Rio Negro und auf dem Rückweg von diesem Fluß sehr genau bestimmen: sie ist 70° 30{~PRIME~} 46{~DOUBLE PRIME~} (oder 4° 0{~PRIME~} westlich vom Meridian von Cumana). Der Gang des Chronometers war während der Fahrt im Canoe so regelmäßig, daß er vom 16. April bis 9. Juli nur um 27,9 bis 28,5 Secunden abwich. In San Fernando fand ich die sehr sorgfältig rectificirte Inclination der Magnetnadel gleich 29° 70, die Intensität der Kraft 219. Der Winkel und die Schwingungen waren also seit Maypures bei einem Breitenunterschied von 1° 11{~PRIME~} beträchtlich kleiner und weniger geworden. Das anstehende Gestein war nicht mehr eisenschüssiger Sandstein, sondern Granit, in Gneiß übergehend.

Am 26. April. Wir legten nur zwei oder drei Meilen zurück und lagerten zur Nacht auf einem Felsen in der Nähe der indianischen Pflanzungen oder Conucos von Guapasoso. Da man das eigentliche Ufer nicht sieht, und der Fluß, wenn er anschwillt, sich in die Wälder verläuft, kann man nur da landen, wo ein Fels oder ein kleines Plateau sich über das Wasser erhebt. Der Atabapo hat überall ein eigenthümliches Ansehen; das eigentliche Ufer, das aus einer acht bis zehn Fuß hohen Bank besteht, sieht man nirgends; es versteckt sich hinter einer Reihe von Palmen und kleinen Bäumen mit sehr dünnen Stämmen, deren Wurzeln vom Wasser bespült werden. Vom Punkt, wo man vom Orinoco abgeht, bis zur Mission San Fernando gibt es viele Krokodile, und dieser Umstand beweist, wie oben bemerkt, daß dieses Flußstück zum Guaviare, nicht zum Atabapo gehört. Im eigentlichen Bett des letzteren oberhalb San Fernando gibt es keine Krokodile mehr; man trifft hie und da einen *Bava* an und viele *Süßwasser-Delphine*, aber keine Seekühe. Man sucht hier auch vergeblich den Chiguire, die Araguatos oder großen Brüllaffen, den Zamuro oder Vultur aura und den Fasanen mit der Haube, den sogenannten 'Guacharaca'. Ungeheure Wassernattern, im Habitus der *Boa* gleich, sind leider sehr häufig und werden den Indianern beim Baden gefährlich. Gleich in den ersten Tagen sahen wir welche neben unserer Pirogue herschwimmen, die 12--14 Fuß lang waren. Die Jaguars am Atabapo und Temi sind groß und gut genährt, sie sollen aber lange nicht so keck seyn als die am Orinoco.

Am 27. April. Die Nacht war schön, schwärzlichte Wolken liefen von Zeit zu Zeit ungemein rasch durch das Zenith. In den untern Schichten der Atmosphäre regte sich kein Lüftchen, der allgemeine Ostwind wehte erst in tausend Toisen Höhe. Ich betone diesen Umstand: die Bewegung, die wir bemerkten, war keine Folge von Gegenströmungen (von West nach Ost), wie man sie zuweilen in der heißen Zone auf den höchsten Gebirgen der Cordilleren wahrzunehmen glaubt, sie rührte vielmehr von einer eigentlichen Brise, vom Ostwind her. Ich konnte die Meridianhöhe von {~GREEK SMALL LETTER ALPHA~} im südlichen Kreuz gut beobachten; die einzelnen Resultate schwankten nur um 8--10 Secunden um das Mittel. Die Breite von Guapasoso ist 3° 53{~PRIME~} 55{~DOUBLE PRIME~}. Das schwarze Wasser des Flusses diente mir als Horizont, und diese Beobachtungen machten mir desto mehr Vergnügen, als wir auf den Flüssen mit weißem Wasser, auf dem Apure und Orinoco von den Insekten furchtbar zerstochen worden waren, während Bonpland die Zeit am Chronometer beobachtete und ich den Horizont richtete. Wir brachen um zwei Uhr von den Conucos von Guapasoso aus. Wir fuhren immer nach Süden hinauf und sahen den Fluß oder vielmehr den von Bäumen freien Theil seines Bettes immer schmaler werden. Gegen Sonnenaufgang fing es an zu regnen. Wir waren an diese Wälder, in denen es weniger Thiere gibt als am Orinoco, noch nicht gewöhnt, und so wunderten wir uns beinahe, daß wir die Araguatos nicht mehr brüllen hörten. Die Delphine oder Toninas spielten um unser Canoe. Nach COLEBROOKE begleitet der Delphinus gangetius, der Süßwasser-Delphin der alten Welt, gleichfalls die Fahrzeuge, die nach Benares hinaufgehen; aber von Benares bis zum Punkt, wo Salzwasser in den Ganges kommt, sind es nur 200 Meilen, von Atabapo aber an die Mündung des Orinoco über 320.

Gegen Mittag lag gegen Ost die Mündung des kleinen Flusses Ipurichapano, und später kamen wir am Granithügel vorbei, der unter dem Namen *piedra del Tigre* bekannt ist. Dieser einzeln stehende Fels ist nur 60 Fuß hoch und doch im Lande weit berufen. Zwischen dem vierten und fünften Grad der Breite, etwas südlich von den Bergen von Sipapo, erreicht man das südliche Ende der *Kette der Katarakten*, für die ich in einer im Jahr 1800 veröffentlichten Abhandlung den Namen 'Kette der Parime' in Vorschlag gebracht habe. Unter 4° 20{~PRIME~} streicht sie vom rechten Orinocoufer gegen Ost und Ost-Süd-Ost. Der ganze Landstrich zwischen den Bergen der Parime und dem Amazonenstrom, über den der Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro ziehen, ist eine ungeheure, zum Theil mit Wald, zum Theil mit Gras bewachsene Ebene. Kleine Felsen erheben sich da und dort, wie feste Schlösser. Wir bereuten es, unser Nachtlager nicht beim Tigerfelsen aufgeschlagen zu haben; denn wir fanden den Atabapo hinauf nur sehr schwer ein trockenes, freies Stück Land, groß genug, um unser Feuer anzünden und unsere Instrumente und Hängematten unterbringen zu können.

Am 28. April. Der Regen goß seit Sonnenuntergang in Strömen; wir fürchteten unsere Sammlungen möchten beschädigt werden. Der arme Missionär bekam seinen Anfall von Tertianfieber und bewog uns, bald nach Mitternacht weiter zu fahren. Wir kamen mit Tagesanbruch an die Piedra und den Raudalito von Guarinuma. Der Fels, auf dem östlichen Ufer, ist eine kahle, mit Psora, Cladonia und andern Flechten bedeckte Granitbank. Ich glaubte mich in das nördliche Europa versetzt, auf den Kamm der Gneiß- und Granitberge zwischen Freiberg und Marienberg in Sachsen. Die Cladonien schienen mir identisch mit dem Lichen rangiferinus, dem L. pyxidatus und L. polymorphus Linnés. Als wir die Stromschnellen von Guarinuma hinter uns hatten, zeigten uns die Indianer mitten im Wald zu unserer Rechten die Trümmer der seit lange verlassenen Mission Mendaxari. Auf dem andern, östlichen Ufer, beim kleinen Felsen Kemarumo, wurden wir auf einen riesenhaften Käsebaum (Bombax Ceiba) aufmerksam, der mitten in den Pflanzungen der Indianer stand. Wir stiegen aus, um ihn zu messen: er war gegen 120 Fuß hoch und hatte 14--15 Fuß Durchmesser. Ein so außerordentliches Wachsthum fiel uns um so mehr auf, da wir bisher am Atabapo nur kleine Bäume mit dünnem Stamm, von weitem jungen Kirschbäumen ähnlich, gesehen hatten. Nach den Aussagen der Indianer bilden diese kleinen Bäume eine nur wenig verbreitete Gewächsgruppe. Sie werden durch das Austreten des Flusses im Wachsthum gehemmt; auf den trockenen Strichen am Atabapo, Temi und Tuamini wächst dagegen vortreffliches Bauholz. Diese Wälder (und dieser Umstand ist wichtig, wenn man sich von den *Ebenen unter dem Aequator am Rio Negro und Amazonenstrom* eine richtige Vorstellung machen will), diese Wälder erstrecken sich nicht ohne Unterbrechung ostwärts und westwärts bis zum Cassiquiare und Guaviare: es liegen vielmehr die kahlen Savanen von Manuteso und am Rio Inirida dazwischen. Am Abend kamen wir nur mit Mühe gegen die Strömung vorwärts, und wir übernachteten in einem Gehölz etwas oberhalb Mendaxari. Hier ist wieder ein Granitfels, durch den eine Quarzschicht läuft; wir fanden eine Gruppe schöner schwarzer Schörlkrystalle darin.

Am 29. April. Die Luft war kühler; keine Zancudos, aber der Himmel fortwährend bedeckt und sternlos. Ich fing an mich wieder auf den untern Orinoco zu wünschen. Bei der starken Strömung kamen wir wieder nur langsam vorwärts. Einen großen Theil des Tages hielten wir an, um Pflanzen zu suchen, und es war Nacht, als wir in der Mission San Balthasar ankamen, oder, wie die Mönche sagen (da Balthasar nur der Name eines indianischen Häuptlings ist), in der Mission 'la divina Pastora de Balthasar de Atabapo'. Wir wohnten bei einem catalonischen Missionär, einem muntern liebenswürdigen Mann, der hier in der Wildniß ganz die seinem Volksstamm eigenthümliche Thätigkeit entwickelte. Er hatte einen schönen Garten angelegt, wo der europäische Feigenbaum der Persea, der Citronenbaum dem Mamei zur Seite stand. Das Dorf war nach einem regelmäßigen Plan gebaut, wie man es in Norddeutschland und im protestantischen Amerika bei den Gemeinden der mährischen Brüder sieht. Die Pflanzungen der Indianer schienen uns besser gehalten als anderswo. Hier sahen wir zum erstenmal den weißen, schwammigten Stoff, den ich unter dem Namen 'Dapicho' und 'Zapis' bekannt gemacht habe. Wir sahen gleich, daß derselbe mit dem »elastischen Harz« Aehnlichkeit hat; da uns aber die Indianer durch Zeichen bedeuteten, man finde denselben in der Erde, so vermutheten wir, bis wir in die Mission Javita kamen, das *Dapicho* möchte ein *fossiles Cautschuc* seyn, wenn auch abweichend vom *elastischen Bitumen* in Derbyshire. In der Hütte des Missionärs saß ein Poimisano-Indianer an einem Feuer und verwandelte das Dapicho in schwarzes Cautschuc. Er hatte mehrere Stücke auf ein dünnes Holz gespießt und briet dieselben wie Fleisch. Je weicher und elastischer das Dapicho wird, desto mehr schwärzt es sich. Nach dem harzigen, aromatischen Geruch, der die Hütte erfüllte, rührt dieses Schwarzwerden wahrscheinlich davon her, daß eine Verbindung von Kohlenstoff und Wasserstoff zersetzt und der Kohlenstoff frei wird, während der Wasserstoff bei gelinder Hitze verbrennt. Der Indianer klopfte die erweichte schwarze Masse mit einem vorne keulenförmigen Stück Brasilholz, knetete dann den Dapicho zu Kugeln von 3--4 Zoll Durchmesser und ließ ihn erkalten. Diese Kugeln gleichen vollkommen dem Cautschuc, wie es in den Handel kommt, sie bleiben jedoch außen meist etwas klebrig. Man braucht sie in San Balthasar nicht zum indianischen Ballspiel, das bei den Einwohnern von Uruana und Encaramada in so hohem Ansehen steht; man schneidet sie cylindrisch zu, um sie als Stöpsel zu gebrauchen, die noch weit besser sind als Korkstöpsel. Diese Anwendung des Cautschuc war uns desto interessanter, da uns der Mangel europäischer Stöpsel oft in große Verlegenheit gesetzt hatte. Wie ungemein nützlich der Kork ist, fühlt man erst in Ländern, wohin er durch den Handel nicht kommt. In Südamerika kommt nirgends, selbst nicht auf dem Rücken der Anden, eine Eichenart vor, die dem Quercus suber nahe stände, und weder das leichte Holz der Bombax- und Ochroma-Arten und anderer Malvaceen, noch die Maisspindeln, deren sich die Indianer bedienen, ersetzen unsere Stöpsel vollkommen. Der Missionär zeigte uns vor der 'Casa de los Solteros' (Haus, wo sich die jungen, nicht verheiratheten Leute versammeln) eine Trommel, die aus einem zwei Fuß langen und achtzehn Zoll dicken hohlen Cylinder bestand. Man schlug dieselbe mit großen Stücken Dapicho, wie mit Trommelschlägeln; sie hatte Löcher, die man mit der Hand schließen konnte, um höhere oder tiefere Töne hervorzubringen, und hing an zwei leichten Stützen. Wilde Völker lieben rauschende Musik. Die Trommel und die Botutos oder Trompeten aus gebrannter Erde, 3--4 Fuß lange Röhren, die sich an mehreren Stellen zu Hohlkugeln erweitern, sind bei den Indianern unentbehrliche Instrumente, wenn es sich davon handelt, mit Musik Effekt zu machen.

Am 30. April. Die Nacht war ziemlich schön, so daß ich die Meridianhöhen des {~GREEK SMALL LETTER ALPHA~} im südlichen Kreuz und der zwei großen Sterne in den Füßen des Centauren beobachten konnte. Ich fand für San Balthasar eine Breite von 3° 14{~PRIME~} 23{~DOUBLE PRIME~}. Als Länge ergab sich aus Stundenwinkeln der Sonne nach dem Chronometer 70° 14{~PRIME~} 21{~DOUBLE PRIME~}. Die Inclination der Magnetnadel war 27{~PRIME~} 80. Wir verließen die Mission Morgens ziemlich spät und fuhren den Atabapo noch fünf Meilen hinauf; statt ihm aber weiter seiner Quelle zu gegen Osten, wo er Atacavi heißt, zu folgen, liefen wir jetzt in den Rio Temi ein. Ehe wir an die Mündung desselben kamen, beim Einfluß des Guasacavi, wurden wir auf eine Granitkuppe am westlichen Ufer aufmerksam. Dieselbe heißt der *Fels der Guahiba-Indianerin*, oder der Fels der Mutter, Piedra de la madre. Wir fragten nach dem Grund einer so sonderbaren Benennung. Pater Zea konnte unsere Neugier nicht befriedigen, aber einige Wochen später erzählte uns ein anderer Missionär einen Vorfall, den ich in meinem Tagebuch aufgezeichnet und der den schmerzlichsten Eindruck auf uns machte. Wenn der Mensch in diesen Einöden kaum eine Spur seines Daseyns hinter sich läßt, so ist es für den Europäer doppelt demüthigend, daß durch den Namen eines Felsen, durch eines der unvergänglichen Denkmale der Natur, das Andenken an die sittliche Verworfenheit unseres Geschlechts, an den Gegensatz zwischen der Tugend des Wilden und der Barbarei des civilisirten Menschen verewigt wird.

Der Missionär von San Fernando(57) war mit seinen Indianern an den Guaviare gezogen, um einen jener feindlichen Einfälle zu machen, welche sowohl die Religion als die spanischen Gesetze verbieten. Man fand in einer Hütte eine Mutter vom Stamme der Guahibos mit drei Kindern, von denen zwei noch nicht erwachsen waren. Sie bereiteten Maniocmehl. An Widerstand war nicht zu denken; der Vater war auf dem Fischfang, und so suchte die Mutter mit ihren Kindern sich durch die Flucht zu retten. Kaum hatte sie die Savane erreicht, so wurde sie von den Indianern aus der Mission eingeholt, die auf die *Menschenjagd* gehen, wie die Weißen und die Neger in Afrika. Mutter und Kinder wurden gebunden und an den Fluß geschleppt. Der Ordensmann saß in seinem Boot, des Ausgangs der Expedition harrend, die für ihn sehr gefahrlos war. Hätte sich die Mutter zu stark gewehrt, so wäre sie von den Indianern umgebracht worden; Alles ist erlaubt, wenn man auf die conquista espiritual auszieht, und man will besonders der Kinder habhaft werden, die man dann in der Mission als Poitos oder Sklaven der Christen behandelt. Man brachte die Gefangenen nach San Fernando und meinte, die Mutter könnte zu Land sich nicht wieder in ihre Heimath zurückfinden. Durch die Trennung von den Kindern, die am Tage ihrer Entführung den Vater begleitet hatten, gerieth das Weib in die höchste Verzweiflung. Sie beschloß, die Kinder, die in der Gewalt des Missionärs waren, zur Familie zurückzubringen; sie lief mit ihnen mehrere male von San Fernando fort, wurde aber immer wieder von den Indianern gepackt, und nachdem der Missionär sie unbarmherzig hatte peitschen lassen, faßte er den grausamen Entschluß, die Mutter von den beiden Kindern, die mit ihr gefangen worden, zu trennen. Man führte sie allein den Atabapo hinauf, den Missionen am Rio Negro zu. Leicht gebunden saß sie auf dem Vordertheil des Fahrzeugs. Man hatte ihr nicht gesagt, welches Loos ihrer wartete, aber nach der Richtung der Sonne sah sie wohl, daß sie immer weiter von ihrer Hütte und ihrer Heimath wegkam. Es gelang ihr, sich ihrer Bande zu entledigen, sie sprang in den Fluß und schwamm dem linken Ufer des Atabapo zu. Die Strömung trug sie an eine Felsbank, die noch heute ihren Namen trägt. Sie ging hier ans Land und lief ins Holz; aber der Präsident der Missionen befahl den Indianern, ans Ufer zu fahren und den Spuren der Guahiba zu folgen. Am Abend wurde sie zurückgebracht, auf den Fels (piedra de la madre) gelegt und mit einem Seekuhriemen, die hier zu Lande als Peitschen dienen und mit denen die Alcaden immer versehen sind, unbarmherzig gepeitscht. Man band dem unglücklichen Weibe mit starken Mavacureranken die Hände aus den Rücken und brachte sie in die Mission Javita.

Man sperrte sie hier in eines der Caravanserais, die man Cases del Rey nennt. Es war in der Regenzeit und die Nacht ganz finster. Wälder, die man bis da für undurchdringlich gehalten, liegen, 25 Meilen in gerader Linie breit, zwischen Javita und San Fernando. Man kennt keinen andern Weg als die Flüsse. Niemals hat ein Mensch versucht zu Land von einem Dorf zum andern zu gehen, und lägen sie auch nur ein paar Meilen aus einander. Aber solche Schwierigkeiten halten eine Mutter, die man von ihren Kindern getrennt, nicht auf. Ihre Kinder sind in San Fernando am Atabapo; sie muß zu ihnen, sie muß sie aus den Händen der Christen befreien, sie muß sie dem Vater am Guaviare wieder bringen. Die Guahiba ist im Caravanserai nachläßig bewacht, und da ihre Arme ganz blutig waren, hatten ihr die Indianer von Javita ohne Vorwissen des Missionärs und des Alcaden die Bande gelockert. Es gelingt ihr, sie mit den Zähnen vollends loszumachen, und sie verschwindet in der Nacht. Und als die Sonne zum vierten mal aufgeht, sieht man sie in der Mission San Fernando um die Hütte schleichen, wo ihre Kinder eingesperrt sind. »Was dieses Weib ausgeführt«, sagte der Missionär, der uns diese traurige Geschichte erzählte, »der kräftigste Indianer hätte sich nicht getraut es zu unternehmen.« Sie ging durch die Wälder in einer Jahreszeit, wo der Himmel immer mit Wolken bedeckt ist und die Sonne Tage lang nur auf wenige Minuten zum Vorschein kommt. Hatte sie sich nach dem Lauf der Wasser gerichtet? Aber da Alles überschwemmt war, mußte sie sich weit von den Flußufern, mitten in den Wäldern halten, wo man das Wasser fast gar nicht laufen sieht. Wie oft mochte sie von den stachligten Lianen aufgehalten worden sehn, welche um die von ihnen umschlungenen Stämme ein Gitterwerk bilden! Wie oft mußte sie über die Bäche schwimmen, die sich in den Atabapo ergießen! Man fragte das unglückliche Weib, von was sie sich vier Tage lang genährt; sie sagte, völlig erschöpft habe sie sich keine andere Nahrung verschaffen können als die großen schwarzen Ameisen, Vachacos genannt, die in langen Zügen an den Bäumen hinaufkriechen, um ihre harzigten Nester daran zu hängen. Wir wollten durchaus vom Missionär wissen, ob jetzt die Guahiba in Ruhe des Glückes habe genießen können, um ihre Kinder zu seyn, ob man doch endlich bereut habe, daß man sich so maßlos vergangen? Er fand nicht für gut, unsere Neugierde zu befriedigen; aber auf der Rückreise vom Rio Negro hörten wir, man habe der Indianerin nicht Zeit gelassen, von ihren Wunden zu genesen, sondern sie wieder von ihren Kindern getrennt und in eine Mission am obern Orinoco gebracht. Dort wies sie alle Nahrung von sich und starb, wie die Indianer in großem Jammer thun.

Dieß ist die Geschichte, deren Andenken an diesem unseligen Gestein, an der Piedra de la madre haftet. Es ist mit in dieser meiner Reisebeschreibung nicht darum zu thun, bei der Schilderung einzelner Unglücksscenen zu verweilen. Dergleichen Jammer kommt überall vor, wo es Herren und Sklaven gibt, wo civilisirte Europäer unter versunkenen Völkern leben, wo Priester mit unumschränkter Gewalt über unwissende, wehrlose Menschen herrschen. Als Geschichtschreiber der Länder, die ich bereist, beschränke ich mich meist darauf, anzudeuten, was in den bürgerlichen und religiösen Einrichtungen mangelhaft oder der Menschheit verderblich erscheint. Wenn ich beim *Fels der Guahiba* länger verweilt habe, geschah es nur, um ein rührendes Beispiel von Mutterliebe bei einer Menschenart beizubringen, die man so lange verläumdet hat, und weil es mir nicht ohne Nutzen schien, einen Vorfall zu veröffentlichen, den ich aus dem Munde von Franciskanern habe, und der beweist, wie nothwendig es ist, daß das Auge des Gesetzgebers über dem Regiment der Missionäre wacht.

Oberhalb dem Einfluß des Guasacavi liefen wir in den Rio Temi ein, der von Süd nach Nord läuft. Wären wir den Atabapo weiter hinaufgefahren, so wären wir gegen Ost-Süd-Ost vom Guainia oder Rio Negro abgekommen. Der Temi ist nur 80--90 Toisen breit, und in jedem andern Lande als Guyana wäre dieß noch immer ein bedeutender Fluß. Das Land ist äußerst einförmig, nichts als Wald auf völlig ebenem Boden. Die schöne Pirijaopalme mit Früchten wie Pfirsiche, und eine neue Art *Bache* oder Mauritia mit stachlichtem Stamm ragen hoch über den kleineren Bäumen, deren Wachsthum, wie es scheint, durch das lange Stehen unter Wasser niedergehalten wird. Diese Mauritia aculeata heißt bei den Indianern Juria oder Cauvaja. Sie hat fächerförmige, gegen den Boden gesenkte Blätter; auf jedem Blatte sieht man gegen die Mitte, wahrscheinlich in Folge einer Krankheit des Parenchyms, concentrische, abwechselnd gelbe und blaue Kreise; gegen die Mitte herrscht das Gelb vor. Diese Erscheinung fiel uns sehr auf. Diese wie ein Pfauenschweif gefärbten Blätter sitzen auf kurzen, sehr dicken Stämmen. Die Stacheln sind nicht lang und dünn, wie beim Corozo und andern stachligten Palmen; sie sind im Gegentheil stark holzigt, kurz, gegen die Basis breiter, wie die Stacheln der Hura crepitans. An den Ufern des Atabapo und Temi steht diese Palme in Gruppen von zwölf bis fünfzehn Stämmen, die sich so nah an einander drängen, als kämen sie aus Einer Wurzel. Im Habitus, in der Form und der geringen Zahl der Blätter gleichen diese Bäume den Fächerpalmen und Chamärops der alten Welt. Wir bemerkten, daß einige Juriastämme gar keine Früchte trugen, während andere davon ganz voll hingen; dieß scheint auf eine Palme mit getrennten Geschlechtern zu deuten.

Ueberall wo der Temi Schlingen bildet, steht der Wald über eine halbe Quadratmeile weit unter Wasser. Um die Krümmungen zu vermeiden und schneller vorwärts zu kommen, wird die Schifffahrt hier ganz seltsam betrieben. Die Indianer bogen aus dem Flußbett ab, und wir fuhren südwärts durch den Wald auf sogenannten 'Sendas', das heißt vier bis fünf Fuß breiten, offenen Canälen. Das Wasser ist selten über einen halben Faden tief. Diese *Sendas* bilden sich im überschwemmten Wald, wie auf trockenem Boden die Fußsteige. Die Indianer schlagen von einer Mission zur andern mit ihren Canoes wo möglich immer denselben Weg ein; da aber der Verkehr gering ist, so stößt man bei der üppigen Vegetation zuweilen unerwartet auf Hindernisse. Deßhalb stand ein Indianer mit einem Machette (ein großes Messer mit vierzehn Zoll langer Klinge) vorne auf unserem Fahrzeug und hieb fortwährend die Zweige ab, die sich von beiden Seiten des Canals kreuzten. Im dicksten Walde vernahmen wir mit Ueberraschung einen sonderbaren Lärm. Wir schlugen an die Büsche, und da kam ein Schwarm vier Fuß langer *Toninas* (Süßwasserdelphine) zum Vorschein und umgab unser Fahrzeug. Die Thiere waren unter den Aesten eines Käsebaums oder Bombax Ceiba versteckt gewesen. Sie machten sich durch den Wald davon und warfen dabei die Strahlen Wasser und comprimirter Luft, nach denen sie in allen Sprachen Blasefische oder Spritzfische, souffleurs u. s. w. heißen. Ein sonderbarer Anblick mitten im Lande, drei- und vierhundert Meilen von den Mündungen des Orinoco und des Amazonenstroms! Ich weiß wohl, daß Fische von der Familie Pleuronectes [Limanda] aus dem atlantischen Meer in der Loire bis Orleans heraufgehen; aber ich bin immer noch der Ansicht, daß die Delphine im Temi, wie die im Ganges und wie die Rochen im Orinoco, von den Seerochen und Seedelphinen ganz verschiedene Arten sind. In den ungeheuren Strömen Südamerikas und in den großen Seen Nordamerikas scheint die Natur mehrere Typen von Seethieren zu wiederholen. Der Nil hat keine Delphine;(58) sie gehen aus dem Meer im Delta nicht über Biana und Metonbis, Selamoun zu, hinauf.

Gegen fünf Uhr Abends gingen wir nicht ohne Mühe in das eigentliche Flußbett zurück. Unsere Pirogue blieb ein paar Minuten lang zwischen zwei Baumstämmen stecken. Kaum war sie wieder losgemacht, kamen wir an eine Stelle, wo mehrere Wasserpfade oder kleine Canäle sich kreuzten, und der Steuermann wußte nicht gleich, welches der befahrenste Weg war. Wir haben oben gesehen, daß man in der Provinz Varinas im Canoe über die offenen Savanen von San Fernando am Apure bis an den Arauca fährt; hier fuhren wir durch einen Wald, der so dicht ist, daß man sich weder nach der Sonne noch nach den Sternen orientiren kann. Heute fiel es uns wieder recht auf, daß es in diesem Landstrich keine baumartigen Farn mehr gibt. Sie nehmen vom sechsten Grad nördlicher Breite an sichtbar ab, wogegen die Palmen dem Aequator zu ungeheuer zunehmen. Die eigentliche Heimath der baumartigen Farn ist ein nicht so heißes Klima, ein etwas bergigter Boden, Plateaus von 300 Toisen Höhe. Nur wo Berge sind, gehen diese prachtvollen Gewächse gegen die Niederungen herab; ganz ebenes Land, wie das, über welches der Cassiquiare, der Temi, der Inirida und der Rio Negro ziehen, scheinen sie zu meiden. Wir übernachteten an einem Felsen, den die Missionäre Piedra de Astor nennen. Von der Mündung des Guaviare an ist der geologische Charakter des Bodens derselbe. Es ist eine weite aus Granit bestehende Ebene, auf der jede Meile einmal das Gestein zu Tage kommt und keine Hügel, sondern kleine senkrechte Massen bildet, die Pfeilern oder zerfallenen Gebäuden gleichen.

Am ersten Mai. Die Indianer wollten lange vor Sonnenaufgang aufbrechen. Wir waren vor ihnen auf den Beinen, weil ich vergeblich auf einen Stern wartete, der im Begriff war durch den Meridian zu gehen. Auf diesem nassen, dicht bewaldeten Landstrich wurden die Nächte immer finsterer, je näher wir dem Rio Negro und dem innern Brasilien kamen. Wir blieben im Flußbett, bis der Tag anbrach; man hätte besorgen müssen, sich unter den Bäumen zu verirren. Sobald die Sonne aufgegangen war, ging es wieder, um der starken Strömung auszuweichen, durch den überschwemmten Wald. So kamen wir an den Zusammenfluß des Temi mit einem andern kleinen Fluß, dem Tuamini, dessen Wasser gleichfalls schwarz ist, und gingen den letzteren gegen Südwest hinauf. Damit kamen wir auf die Mission Javita zu, die am Tuamini liegt. In dieser christlichen Niederlassung sollten wir die erforderlichen Mittel finden, um unsere Pirogue zu Land an den Rio Negro schaffen zu lassen. Wir kamen in *San Antonio de Javita* erst um elf Uhr Vormittags an. Ein an sich unbedeutender Vorfall, der aber zeigt, wie ungemein furchtsam die kleinen Sagoins sind, hatte uns an der Mündung des Tuamini eine Zeitlang aufgehalten. Der Lärm, den die Spritzfische machen, hatte unsere Affen erschreckt, und einer war ins Wasser gefallen. Da diese Affenart, vielleicht weil sie ungemein mager ist, sehr schlecht schwimmt, so kostete es Mühe, ihn zu retten.

Zu unserer Freude trafen wir in Javita einen sehr geisteslebendigen, vernünftigen und gefälligen Mönch. Wir mußten uns vier bis fünf Tage in seinem Hause aufhalten, da so lange zum Transport unseres Fahrzeugs über den *Trageplatz* am Pimichin erforderlich war; wir benützten diese Zeit nicht allein, um uns in der Gegend umzusehen, sondern auch um uns von einem Uebel zu befreien, an dem wir seit zwei Tagen litten. Wir hatten sehr starkes Jucken in den Fingergelenken und auf dem Handrücken. Der Missionär sagte uns, das seyen aradores (Ackerer), die sich in die Haut gegraben. Mit der Loupe sahen wir nur Streifen, parallele weißlichte Furchen. Wegen der Form dieser Furchen heißt das Insekt der *Ackerer*. Man ließ eine Mulattin kommen, die sich rühmte, all die kleinen Thiere, welche sich in die Haut des Menschen graben, die *Nigua*, den *Nuche*, die *Coya* und den *Ackerer*, aus dem Fundament zu kennen; es war die 'Curandera', der Dorfarzt. Sie versprach uns die Insekten, die uns so schreckliches Jucken verursachten, eines um das andere herauszuholen. Sie erhitzte an der Lampe die Spitze eines kleinen Splitters sehr harten Holzes und bohrte damit in den Furchen, die auf der Haut sichtbar waren. Nach langem Suchen verkündete sie mit dem pedantischen Ernst, der den Farbigen eigen ist, da sey bereits ein Arador. Ich sah einen kleinen runden Sack, der mir das Ei einer Milbe schien. Wenn die Mulattin einmal drei, vier solche Aradores heraus hätte, sollte ich mich erleichtert fühlen. Da ich an beiden Händen die Haut voll Acariden hatte, ging mir die Geduld über der Operation aus, die bereits bis tief in die Nacht gedauert hatte. Am andern Tag heilte uns ein Indianer aus Javita radical und überraschend schnell. Er brachte uns einen Zweig von einem Strauch, genannt *Uzao*, mit kleinen, denen der Cassia ähnlichen, stark lederartigen, glänzenden Blättern. Er machte von der Rinde einen kalten Aufguß, der bläulich aussah und wie Süßholz (Glycyrrhiza) schmeckte und geschlagen starken Schaum gab. Auf einfaches Waschen mit dem Uzaowasser hörte das Jucken von den Aradores auf. Wir konnten vom Uzao weder Blüthe noch Frucht auftreiben. Der Strauch scheint der Familie der Schotengewächse anzugehören, deren chemische Eigenschaften so auffallend ungleichartig sind. Der Schmerz, den wir auszustehen gehabt, hatte uns so ängstlich gemacht, daß wir bis San Carlos immer ein paar Uzaozweige im Canoe mitführten; der Strauch wächst am Pimichin in Menge. Warum hat man kein Mittel gegen das Jucken entdeckt, das von den Stichen der Zancudos herrührt, wie man eines gegen das Jucken hat, das die Aradores oder mikroskopischen Acariden verursachen?

Im Jahr 1755, vor der Grenzexpedition, gewöhnlich Solanos Expedition genannt, wurde dieser Landstrich zwischen den Missionen Javita und San Balthasar als zu Brasilien gehörig betrachtet. Die Portugiesen waren vom Rio Negro über den Trageplatz beim Caño Pimichin bis an den Temi vorgedrungen. Ein indianischer Häuptling, Javita, berühmt wegen seines Muthes und seines Unternehmungsgeistes, war mit den Portugiesen verbündet. Seine Streifzüge gingen vom Rio Jupura oder Caqueta, einem der großen Nebenflüsse des Amazonenstromes über den Rio Uaupe und Xie, bis zu den schwarzen Gewässern des Temi und Tuamini, über hundert Meilen weit. Er war mit einem Patent versehen, das ihn ermächtigte, »Indianer aus dem Wald zu holen, zur Eroberung der Seelen.« Er machte von dieser Befugniß reichlichen Gebrauch; aber er bezweckte mit seinen Einfällen etwas, das nicht so ganz geistlich war, Sklaven (poitos) zu machen und sie an die Portugiesen zu verkaufen. Als Solano, der zweite Befehlshaber bei der Grenzexpedition, nach San Fernando de Atabapo kam, ließ er Capitän Javita aus einem seiner Streifzüge am Temi festnehmen. Er behandelte ihn freundlich und es gelang ihm, ihn durch Versprechungen, die nicht gehalten wurden, für die spanische Regierung zu gewinnen. Die Portugiesen, die bereits einige feste Niederlassungen im Lande gegründet hatten, wurden bis an den untern Rio Negro zurückgedrängt, und die Mission San Antonio, die gewöhnlich nach ihrem indianischen Gründer Javita heißt, weiter nördlich von den Quellen des Tuamini, dahin verlegt, wo sie jetzt liegt. Der alte Capitän Javita lebte noch, als wir an den Rio Negro gingen. Er ist ein Indianer von bedeutender Geistes- und Körperkraft. Er spricht geläufig spanisch und hat einen gewissen Einfluß auf die benachbarten Völker behalten. Er begleitete uns immer beim Botanisiren und ertheilte uns mancherlei Auskunft, die wir desto mehr schätzten, da die Missionäre ihn für sehr zuverlässig halten. Er versichert, er habe in seiner Jugend fast alle Indianerstämme, welche auf dem großen Landstrich zwischen dem obern Orinoco, dem Rio Negro, dem Irinida und Jupura wohnen, Menschenfleisch essen sehen. Er hält die Daricavanas, Puchirinavis und Manitibitanos für die stärksten Anthropophagen. Er hält diesen abscheulichen Brauch bei ihnen nur für ein Stück systematischer Rachsucht: sie essen nur Feinde, die im Gefecht in ihre Hände gefallen. Die Beispiele, wo der Indianer in der Grausamkeit so weit geht, daß er seine Nächsten, sein Weib, eine ungetreue Geliebte verzehrt, sind, wie wir weiter unten sehen werden, sehr selten. Auch weiß man am Orinoco nichts von der seltsamen Sitte der scythischen und massagetischen Völker, der Capanaguas am Rio Ucayale und der alten Bewohner der Antillen, welche dem Todten zu Ehren die Leiche zum Theil aßen. Auf beiden Continenten kommt dieser Brauch nur bei Völkern vor, welche das Fleisch eines Gefangenen verabscheuen. Der Indianer auf Haiti (St. Domingo) hätte geglaubt dem Andenken eines Angehörigen die Achtung zu versagen, wenn er nicht ein wenig von der gleich einer Guanchenmumie getrockneten und gepulverten Leiche in sein Getränk geworfen hätte. Da kann man wohl mit einem orientalischen Dichter sagen, »am seltsamsten in seinen Sitten, am ausschweifendsten in seinen Trieben sey von allen Thieren der Mensch.«

Das Klima in San Antonio de Javita ist ungemein regnerisch. Sobald man über den dritten Breitegrad hinunter dem Aequator zu kommt, findet man selten Gelegenheit Sonne und Gestirne zu beobachten. Es regnet fast das ganze Jahr und der Himmel ist beständig bedeckt. Da in diesem unermeßlichen Urwald von Guyana der Ostwind nicht zu spüren ist und die Polarströme nicht hieher reichen, so wird die Luftsäule, die auf dieser Waldregion liegt, nicht durch trockenere Schichten ersetzt. Der Wasserdunst, mit dem sie gesättigt ist, verdichtet sich zu äquatorialen Regengüssen. Der Missionär versicherte uns, er habe hier oft vier, fünf Monate ohne Unterbrechung regnen sehen. Ich maß den Regen, der am ersten Mai innerhalb fünf Stunden fiel: er stand 21 Linien hoch, und am dritten Mai bekam ich sogar 14 Linien in drei Stunden Und zwar, was wohl zu beachten, wurden diese Beobachtungen nicht bei starkem, sondern bei ganz gewöhnlichem Regen angestellt. Bekanntlich fallen in Paris in ganzen Monaten, selbst in den nassesten, März, Juli und September, nur 28 bis 30 Linien Wasser. Allerdings kommen auch bei uns Regengüsse vor, bei denen in der Stunde über einen Zoll Wasser fällt, man darf aber nur den mittleren Zustand der Atmosphäre in der gemäßigten und in der heißen Zone vergleichen. Aus den Beobachtungen, die ich hinter einander im Hafen von Guayaquil an der Südsee und in der Stadt Quito in 1492 Toisen Meereshöhe angestellt, scheint hervorzugehen, daß gewöhnlich auf dem Rücken der Anden in der Stunde zwei- bis dreimal weniger Wasser fällt als im Niveau des Meeres. Es regnet im Gebirge öfter, dabei fällt aber in einer gegebenen Zeit weniger Wasser. Am Rio Negro in Maroa und San Carlos ist der Himmel bedeutend heiterer als in Javita und am Temi. Dieser Unterschied rührt nach meiner Ansicht daher, daß dort die Savanen am untern Rio Negro in der Nähe liegen, über die der Ostwind frei wehen kann, und die durch ihre Strahlung einen stärkeren aufsteigenden Luftstrom verursachen als bewaldetes Land.

Es ist in Javita kühler als in Maypures, aber bedeutend heißer als am Rio Negro. Der hunderttheilige Thermometer stand bei Tag auf 26--27°, bei Nacht auf 21°; nördlich von den Katarakten, besonders nördlich von der Mündung des Meta, war die Temperatur bei Tag meist 28--30°, bei Nacht 25--26°. Diese Abnahme der Wärme am Atabapo, Tuamini und Rio Negro rührt ohne Zweifel davon her, daß bei dem beständig bedeckten Himmel die Sonne so wenig scheint und die Verdunstung aus dem nassen Boden so stark ist. Ich spreche nicht vom erkältenden Einfluß der Wälder, wo die zahllosen Blätter eben so viele dünne Flächen sind, die sich durch Strahlung gegen den Himmel abkühlen. Bei dem mit Wolken umzogenen Himmel kann dieses Moment nicht viel ausmachen. Auch scheint die Meereshöhe von Javita etwas dazu beizutragen, daß die Temperatur niedriger ist. Maypures liegt wahrscheinlich 60--70, San Fernando de Atabapo 122, Javita 166 Toisen über dem Meer. Da die kleine atmosphärische Ebbe und Fluth an der Küste (in Cumana) von einem Tag zum andern um 0,8 bis 2 Linien variirt, und ich das Unglück hatte, das Instrument zu zerbrechen, ehe ich wieder an die See kam, so sind diese Resultate nicht ganz zuverlässig. Als ich in Javita die stündlichen Variationen des Luftdrucks beobachtete, bemerkte ich, daß eine kleine Luftblase die Quecksilbersäule zum Theil sperrte(59) und durch ihre thermometrische Ausdehnung auf das Steigen und Fallen Einfluß äußerte. Auf den elenden Fahrzeugen, in die wir eingezwängt waren, ließ sich der Barometer fast unmöglich senkrecht oder doch stark aufwärts geneigt halten. Ich benützte unsern Aufenthalt in Javita, um das Instrument auszubessern und zu berichtigen. Nachdem ich das Niveau gehörig rertificirt, stand der Thermometer bei 23°,4 Temperatur Morgens 11 1/2 Uhr 325,4 Linien hoch. Ich lege einiges Gewicht auf diese Beobachtung, da es für die Kenntniß der Bodenbildung eines Continents von größerem Belang ist, die Meereshöhe der Ebenen zwei- bis dreihundert Meilen von der Küste zu bestimmen, als die Gipfel der Cordilleren zu messen. Barometrische Beobachtungen in Sego am Niger, in Bornou oder auf den Hochebenen von Khoten und Hami wären für die Geologie wichtiger als die Bestimmung der Höhe der Gebirge in Abyssinien und im Musart. Die stündlichen Variationen des Barometers treten in Javita zu denselben Stunden ein wie an den Küsten und im Hof Antisana, wo mein Instrument in 2104 Toisen Meereshöhe hing. Sie betrugen von 9 Uhr Morgens bis 4 Uhr Abends 1,6 Linien, am vierten Mai sogar fast 2 Linien. Der Deluc'sche auf den Saussure'schen reducirte Hygrometer stand fortwährend im Schatten zwischen 84 und 92°, wobei nur die Beobachtungen gerechnet sind, die gemacht wurden, so lange es nicht regnete. Die Feuchtigkeit hatte somit seit den großen Katarakten bedeutend zugenommen: sie war mitten in einem stark beschatteten, von Aequatorialregen überflutheten Lande fast so groß wie auf der See.

Vom 29. April bis 4. Mai konnte ich keines Sterns im Meridian ansichtig werden, um die Länge zu bestimmen. Ich blieb ganze Nächte wach, um die Methode der doppelten Höhen anzuwenden; all mein Bemühen war vergeblich. Die Nebel im nördlichen Europa sind nicht anhaltender, als hier in Guyana in der Nähe des Aequators. Am 4. Mai kam die Sonne auf einige Minuten zum Vorschein. Ich fand mit dem Chronometer und mittelst Stundenwinkeln die Länge von Javita gleich 70° 22{~PRIME~} oder 1° 1{~PRIME~} 5{~DOUBLE PRIME~} weiter nach West als die Länge der Einmündung des Apure in den Orinoco. Dieses Ergebniß ist von Bedeutung, weil wir damit aus unsern Karten die Lage des gänzlich unbekannten Landes zwischen dem Xie und den Quellen des Issana angeben können, die auf demselben Meridian wie die Mission Javita liegen. Die Inclination der Magnetnadel war in der Mission 26°,40; sie hatte demnach seit dem großen nördlichen Katarakt, bei einem Breitenunterschied von 3° 50{~PRIME~}, um 5° 85 abgenommen. Die Abnahme der Intensität der magnetischen Kraft war ebenso bedeutend. Die Kraft entsprach in Atures 223, in Javita nur 218 Schwingungen in 10 Zeitminuten.

Die Indianer in Javita, 160 an der Zahl, sind gegenwärtig größtentheils Poimisanos, Echinavis und Paraginis, und treiben Schiffbau. Man nimmt dazu Stämme einer großen Lorbeerart, von den Missionären 'Sassafras'(60) genannt, die man mit Feuer und Axt zugleich aushöhlt. Diese Bäume sind über hundert Fuß hoch; das Holz ist gelb, harzigt, verdirbt fast nie im Wasser und hat einen sehr angenehmen Geruch. Wir sahen es in San Fernando, in Javita, besonders aber in Esmeralda, wo die meisten Piroguen für den Orinoco gebaut werden, weil die benachbarten Wälder die dicksten Sassafrasstämme liefern. Man bezahlt den Indianern für die halbe Toise oder *Vara* vom Boden der Pirogue, das heißt für den untern, hauptsächlichen Theil (der aus einem ausgehöhlten Stamm besteht), einen harten Piaster, so daß ein 16 Varas langes Canoe, Holz und Arbeitslohn des Zimmerers, nur 16 Piaster kostet; aber mit den Nägeln und den Seitenwänden, durch die man das Fahrzeug geräumiger macht, kommt es doppelt so hoch. Auf dem obern Orinoco sah ich 40 Piaster oder 200 Franken für eine 48 Fuß lange Pirogue bezahlen.

Im Walde zwischen Javita und dem Caño Pimichin wächst eine erstaunliche Menge riesenhafter Baumarten, Ocoteen und ächte Lorbeeren (die dritte Gruppe der Laurineen, die Persea, ist wild nur in mehr als 1000 Toisen Meereshöhe gefunden worden), die Amasonia arborea, das Retiniphyllum secundiflorum der Curvana, der Jacio, der Jacifate, dessen Holz roth ist wie Brasilholz, der Guamufate mit schönen, 7--8 Zoll langen, denen des Calophyllum ähnlichen Blättern, die Amyris Caranna und der Mani. Alle diese Bäume (mit Ausnahme unserer neuen Gattung Retiniphyllum) waren hundert bis hundert zehn Fuß hoch. Da die Aeste erst in der Nähe des Wipfels vom Stamme abgehen, so kostete es Mühe, sich Blätter und Blüthen zu verschaffen. Letztere lagen häufig unter den Bäumen am Boden; da aber in diesen Wäldern Arten verschiedener Familien durch einander wachsen und jeder Baum mit Schlingpflanzen bedeckt ist, so schien es bedenklich, sich allein auf die Aussage der Indianer zu verlassen, wenn diese uns versicherten, die Blüthen gehören diesem oder jenem Baum an. In der Fülle der Naturschätze machte uns das Botanisiren mehr Verdruß als Vergnügen. Was wir uns aneignen konnten, schien uns von wenig Belang gegen das, was wir nicht zu erreichen vermochten. Es regnete seit mehreren Monaten unaufhörlich und Bonpland gingen die Exemplare, die er mit künstlicher Wärme zu trocknen suchte, größtentheils zu Grunde. Unsere Indianer kauten erst, wie sie gewöhnlich thun, das Holz, und nannten dann den Baum. Die Blätter wußten sie besser zu unterscheiden als Blüthen und Früchte. Da sie nur Bauholz (Stämme zu Piroguen) suchen, kümmern sie sich wenig um den Blüthenstand. »Alle diese großen Bäume tragen weder Blüthen noch Früchte,« so lautete fortwährend ihr Bescheid. Gleich den Kräuterkennern im Alterthum ziehen sie in Abrede, was sie nicht der Mühe werth gesunden zu untersuchen. Wenn unsere Fragen sie langweilten, so machten sie ihrerseits uns ärgerlich.

Wir haben schon oben die Bemerkung gemacht, daß zuweilen dieselben chemischen Eigenschaften denselben Organen in verschiedenen Pflanzenfamilien zukommen, so daß diese Familien in verschiedenen Klimaten einander ersetzen. Die Einwohner des tropischen Amerika und Afrika gewinnen von mehreren Palmenarten das Oel, das uns der Olivenbaum gibt. Was die Nadelhölzer für die gemäßigte Zone, das sind die Terebenthaceen und Guttiferen für die heiße. In diesen Wäldern des heißen Erdstrichs, wo es keine Fichte, keine Tuya, kein Taxodium, nicht einmal einen Podocarpus gibt, kommen Harze, Balsame, aromatisches Gummi von den Maronobea-, Icica-, Amyrisarten. Das Einsammeln dieser Gummi und Harze ist ein Erwerbszweig für das Dorf Javita. Das berühmteste Harz heißt *Mani*; wir sahen mehrere Centner schwere Klumpen desselben, die Colophonium oder Mastix glichen. Der Baum, den die Paraginis-Indianer *Mani* nennen, und den Bonpland für die Moronobea coccinea hält, liefert nur einen sehr kleinen Theil der Masse, die in den Handel von Angostura kommt. Das meiste kommt vom *Mararo* oder *Caragna*, der eine Amyris ist. Es ist ziemlich auffallend, daß der Name *Mani*, den AUBLET aus dem Munde der Galibis-Indianer in Cayenne gehört hat, uns in Javita, 300 Meilen von französisch Guyana, wieder begegnete. Die Moronobea oder Symphonia bei Javita gibt ein gelbes Harz, der *Caragna* ein stark riechendes, schneeweißes Harz, das gelb wird, wo es innen an alter Rinde sitzt.

Wir gingen jeden Tag in den Wald, um zu sehen, ob es mit dem Transport unseres Fahrzeugs zu Land vorwärts ging. Drei und zwanzig Indianer waren angestellt, dasselbe zu schleppen, wobei sie nach einander Baumäste als Walzen unterlegten. Ein kleines Canoe gelangt in einem oder anderthalb Tagen aus dem Tuamini in den Caño Pimichin, der in den Rio Negro fällt; aber unsere Pirogue war sehr groß, und da sie noch einmal durch die Katarakten mußte, bedurfte es besonderer Vorsichtsmaßregeln, um die Reibung am Boden zu vermindern. Der Transport währte auch über vier Tage. Erst seit dem Jahr 1795 ist ein Weg durch den Wald angelegt. Die Indianer in Javita haben denselben zur Hälfte vollendet, die andere Hälfte haben die Indianer in Maroa, Davipe und San Carlos herzustellen. Pater Eugenio Cereso maß den Weg mit einem hundert Varas [Eine Vara ist gleich 0,83 Meter] langen Strick und fand denselben 17,180 Varas lang. Legte man statt des »Trageplatzes« einen Canal an, wie ich dem Ministerium König Karls IV. vorgeschlagen, so würde die Verbindung zwischen dem Rio Negro und Angostura, zwischen dem spanischen Orinoco und den portugiesischen Besitzungen am Amazonenstrom ungemein erleichtert. Die Fahrzeuge gingen dann von San Carlos nicht mehr über den Cassiquiare, der eine Menge Krümmungen hat und wegen der starken Strömung gerne gemieden wird; sie gingen nicht mehr den Orinoco von seiner Gabeltheilung bis San Fernando de Atabapo hinunter. Die Bergfahrt wäre über den Rio Negro und den Caño Pimichin um die Hälfte kürzer. Vom neuen Canal bei Javita an ginge es über den Tuamini, Temi, Atabapo und Orinoco abwärts bis Angostura. Ich glaube, man könnte auf diese Weise von der brasilianischen Grenze in die Hauptstadt von Guyana leicht in 24--26 Tagen gelangen; man brauchte unter gewöhnlichen Umständen 10 Tage weniger und der Weg wäre für die Ruderer (Bogas) weniger beschwerlich, weil man nur halb so lang gegen die Strömung anfahren muß, als auf dem Cassiquiare. Fährt man aber den Orinoco herauf, geht man von Angostura an den Rio Negro, so beträgt der Unterschied in der Zeit kaum ein paar Tage; denn über den Pimichin muß man dann die kleinen Flüsse hinauf, während man auf dem alten Wege den Cassiquiare hinunter fährt. Wie lange die Fahrt von der Mündung des Orinoco nach San Carlos dauert, hängt begreiflich von mehreren wechselnden Umständen ab, ob die Brise zwischen Angostura und Carichana stärker oder schwächer weht, wie in den Katarakten von Atures und Maypures und in den Flüssen überhaupt der Wasserstand ist. Im November und December ist die Brise ziemlich kräftig und die Strömung des Orinoco nicht stark, aber die kleinen Flüsse haben dann so wenig Wasser, daß man jeden Augenblick Gefahr läuft aufzufahren. Die Missionäre reisen am liebsten im April, zur Zeit der Schildkröteneierernte, durch die an ein paar Uferstriche des Orinoco einiges Leben kommt. Man fürchtet dann auch die Moskitos weniger, der Strom ist halb voll, die Brise kommt einem noch zu gute und man kommt leicht durch die großen Katarakten.

Aus den Barometerhöhen, die ich in Javita und beim Landungsplatz am Pimichin beobachtet, geht hervor, daß der Canal im Durchschnitt von Nord nach Süd einen Fall von 30--40 Toisen hätte. Daher laufen auch die vielen Bäche, über die man die Piroguen schleppen muß, alle dem Pimichin zu. Wir bemerkten mit Ueberraschung, daß unter diesen Bächen mit schwarzem Wasser sich einige befanden, deren Wasser bei reflektirtem Licht so weiß war als das Orinocowasser. Woher mag dieser Unterschied rühren? Alle diese Quellen entspringen auf denselben Savanen, aus denselben Sümpfen im Walde. Pater Cereso hat bei seiner Messung nicht die gerade Linie eingehalten und ist zu weit nach Ost gekommen, der Canal würde daher nicht 6000 Toisen lang. Ich steckte den kürzesten Weg mittelst des Compasses ab und man hieb hie und da in die ältesten Waldbäume Marken. Der Boden ist völlig eben; auf fünf Meilen in der Runde findet sich nicht die kleinste Erhöhung. Wie die Verhältnisse jetzt sind, sollte man das »Tragen« wenigstens dadurch erleichtern, daß man den Weg besserte, die Piroguen auf Wagen führte und Brücken über die Bäche schlüge, durch welche die Indianer oft Tage lang aufgehalten werden.

In diesem Walde erhielten wir endlich auch genaue Auskunft über das vermeintliche fossile Cautschuc, das die Indianer *Dapicho* nennen. Der alte Kapitän Javita führte uns an einen Bach, der in den Tuamini fällt. Er zeigte uns, wie man, um diese Substanz zu bekommen, im sumpfigten Erdreich zwei, drei Fuß zwischen den Wurzeln zweier Bäume, des *Jacio* und des *Curvana* graben muß. Ersterer ist AUBLETs Hevea oder die Siphonia der neueren Botaniker, von der, wie man weiß, das Cautschuc kommt, das in Cayenne und Gran Para im Handel ist; der zweite hat gefiederte Blätter; sein Saft ist milchigt, aber sehr dünn und fast gar nicht klebrigt. Das Dapicho scheint sich nun dadurch zu bilden, daß der Saft aus den Wurzeln austritt, und dieß geschieht besonders, wenn die Bäume sehr alt sind und der Stamm hohl zu werden anfängt. Rinde und Splint bekommen Risse, und so erfolgt auf natürlichem Wege, was der Mensch künstlich thut, um den Milchsaft der Hevea, der Castilloa und der Cautschuc gehenden Feigenbäume in Menge zu sammeln. Nach AUBLETs Bericht machen die Galibis und Garipons in Cayenne zuerst unten am Stamm einen tiefen Schnitt bis ins Holz; bald darauf machen sie senkrechte und schiefe Einschnitte, so daß diese von oben am Stamm bis nahe über der Wurzel in jenen horizontalen Einschnitt zusammenlaufen. Alle diese Rinnen leiten den Milchsaft der Stelle zu, wo das Thongefäß steht, in dem das Cautschuc aufgefangen wird. Die Indianer in Carichana sahen wir ungefähr eben so verfahren.

Wenn, wie ich vermuthe, die Anhäufung und das Austreten der Milch beim *Jacio* und *Curvana* eine pathologische Erscheinung ist, so muß der Proceß zuweilen durch die Spitzen der längsten Wurzeln vor sich gehen; denn wir fanden zwei Fuß breite und vier Zoll dicke Massen Dapicho acht Fuß vom Stamm entfernt. Oft sucht man unter abgestorbenen Bäumen vergebens, andere male findet man Dapicho unter noch grünenden Hevea- oder Jaciostämmen. Die Substanz ist weiß, korkartig, zerbrechlich und gleicht durch die aufeinander liegenden Blätter und die gewellten Ränder dem Boletus igniarius. Vielleicht ist zur Bildung des Dapicho lange Zeit erforderlich; der Hergang dabei ist wahrscheinlich der, daß in Folge eines eigenthümlichen Zustandes des vegetabilischen Gewebes der Saft sich verdickt, austritt und im feuchten Boden ohne Zutritt von Licht gerinnt; es ist ein eigenthümlich beschaffenes, ich möchte fast sagen »vergeiltes« Cautschuc. Aus der Feuchtigkeit des Bodens scheint sich das welligte Ansehen der Ränder des Dapicho und seine Blätterung zu erklären.

Ich habe in Peru oft beobachtet, daß, wenn man den Milchsaft der Hevea oder den Saft der Carica langsam in vieles Wasser gießt, das Gerinsel wellenförmige Umrisse zeigt. Das Dapicho kommt sicher nicht bloß in dem Walde zwischen Javita und dem Pimichin vor, obgleich es bis jetzt nur hier gefunden worden ist. Ich zweifle nicht, daß man in französisch Guyana, wenn man unter den Wurzeln und alten Stämmen der Hevea nachsuchte, zuweilen gleichfalls solche ungeheure Klumpen von korkartigem Cautschuc fände, wie wir sie eben beschrieben. In Europa macht man die Beobachtung, daß, wenn die Blätter fallen, der Saft sich gegen die Wurzeln zieht; es wäre interessant zu untersuchen, ob etwa unter den Tropen die Milchsäfte der Urticeen, der Euphorbien, und der Apocyneen in gewissen Jahreszeiten gleichfalls abwärts gehen. Trotz der großen Gleichförmigkeit der Temperatur durchlaufen die Bäume in der heißen Zone einen Vegetationscyclus, unterliegen Veränderungen mit periodischer Wiederkehr. Das Dapicho ist wichtiger für die Pflanzenphysiologie als für die organische Chemie. Wir haben eine Abhandlung ALLENs über den Unterschied zwischen dem Cautschuc in seinem gewöhnlichen Zustande und der bei Javita gefundenen Substanz, von der ich Sir Joseph Banks gesendet hatte. Gegenwärtig kommt im Handel ein gelblich weißes Cautschuc vor, das man leicht vom Dapicho unterscheidet, da es weder trocken wie Kork, noch zerreiblich ist, sondern sehr elastisch, glänzend und seifenartig. Ich sah kürzlich in London ansehnliche Massen, die zwischen 6 und 15 Francs das Pfund im Preise standen. Dieses weiße, fett anzufühlende Cautschuc kommt aus Ostindien. Es hat den thierischen, nauseosen Geruch, den ich weiter oben von einer Mischung von Käsestoff und Eiweißstoff abgeleitet habe. Wenn man bedenkt, wie unendlich viele und mannigfaltige tropische Gewächse Cautschuc geben, so muß man bedauern, daß dieser so nützliche Stoff bei uns nicht wohlfeiler ist. Man brauchte die Bäume mit Milchsaft gar nicht künstlich zu pflanzen; allein in den Missionen am Orinoco ließe sich so viel Cautschuc gewinnen, als das civilisirte Europa immer bedürfen mag. Im Königreich Neu-Grenada ist hie und da mit Glück versucht worden, aus dieser Substanz Stiefeln und Schuhe ohne Nath zu machen. Unter den amerikanischen Völkern verstehen sich die Omaguas am Amazonenstrom am besten auf die Verarbeitung des Cautschuc.

Bereits waren vier Tage verflossen und unsere Pirogue hatte den Landungsplatz am Rio Pimichin immer noch nicht erreicht. »Es fehlt Ihnen an nichts in meiner Mission,« sagte Pater Cereso; »Sie haben Bananen und Fische, bei Nacht werden Sie nicht von den Moskitos gestochen, und je länger Sie bleiben, desto wahrscheinlicher ist es, daß Ihnen auch noch die Gestirne meines Landes zu Gesicht kommen. Zerbricht Ihr Fahrzeug beim »Tragen«, so geben wir Ihnen ein anderes, und mir wird es so gut, daß ich ein paar Wochen con gente blanca y de razon lebe.«(61) Trotz unserer Ungeduld, hörten wir die Schilderungen des guten Missionärs mit großem Interesse an. Er bestätigte Alles, was wir bereits über die sittlichen Zustände der Eingeborenen dieser Landstriche vernommen hatten. Sie leben in einzelnen Horden von 40 bis 50 Köpfen unter einem Familienhaupte; einen gemeinsamen Häuptling (apoto, sibierene) erkennen sie nur an, sobald sie mit ihren Nachbarn in Fehde gerathen. Das gegenseitige Mißtrauen ist bei diesen Horden um so stärker, da selbst die, welche einander zunächst hausen, gänzlich verschiedene Sprachen sprechen. Auf offenen Ebenen oder in Ländern mit Grasfluren halten sich die Völkerschaften gerne nach der Stammverwandtschaft, nach der Aehnlichkeit der Gebräuche und Mundarten zusammen. Auf dem tartarischen Hochland wie in Nordamerika sah man große Völkerfamilien in mehreren Marschcolonnen über schwach bewaldete, leicht zugängliche Länder fortziehen. Der Art waren die Züge der toltekischen und aztekischen Race über die Hochebenen von Mexiko vom sechsten bis zum eilften Jahrhundert unserer Zeitrechnung; der Art war vermuthlich auch die Völkerströmung, in der sich die kleinen Stämme in Canada, die Mengwe (Irokesen) oder fünf Nationen, die Algonkins oder Lenni-Lenapes, die Chikesaws und die Muskohgees vereinigten. Da aber der unermeßliche Landstrich zwischen dem Aequator und dem achten Breitengrad nur Ein Wald ist, so zerstreuten sich darin die Horden, indem sie den Flußverzweigungen nachzogen, und die Beschaffenheit des Bodens nöthigte sie mehr oder weniger Ackerbauer zu werden. So wirr ist das Labyrinth der Flüsse, daß die Familien sich niederließen, ohne zu wissen, welche Menschenart zunächst neben ihnen wohnte. In spanisch Guyana trennt zuweilen ein Berg, ein eine halbe Meile breiter Forst Horden, die zwei Tage zu Wasser fahren müßten, um zusammenzukommen. So wirken denn in offenen oder in der Cultur schon vorgeschrittenen Ländern Flußverbindungen mächtig auf Verschmelzung der Sprachen, der Sitten und der politischen Einrichtungen; dagegen in den undurchdringlichen Wäldern des heißen Landstrichs, wie im rohen Urzustand unseres Geschlechts, zerschlagen sie große Völker in Bruchstücke, lassen sie Dialekte zu Sprachen werden, die wie grundverschieden aussehen, nähren sie das Mißtrauen und den Haß unter den Völkern. Zwischen dem Caura und dem Padamo trägt Alles den Stempel der Zwietracht und der Schwäche. Die Menschen fliehen einander, weil sie einander nicht verstehen; sie hassen sich, weil sie einander fürchten.

Betrachtet man dieses wilde Gebiet Amerikas mit Aufmerksamkeit, so glaubt man sich in die Urzeit versetzt, wo die Erde sich allmählig bevölkerte; man meint die frühesten gesellschaftlichen Bildungen vor seinen Augen entstehen zu sehen. In der alten Welt sehen wir, wie das Hirtenleben die Jägervölker zum Leben des Ackerbauers erzieht. In der neuen sehen wir uns vergeblich nach dieser allmähligen Culturentwicklung um, nach diesen Ruhe- und Haltpunkten im Leben der Völker. Der üppige Pflanzenwuchs ist den Indianern bei ihren Jagden hinderlich; da die Ströme Meeresarmen gleichen, so hört des tiefen Wassers wegen der Fischfang Monate lang auf. Die Arten von Wiederkäuern, die der kostbarste Besitz der Völker der alten Welt sind, fehlen in der neuen; der Bison und der Moschusochse sind niemals Hausthiere geworden. Die Vermehrung der Llamas und Guanacos führte nicht zu den Sitten des Hirtenlebens. In der gemäßigten Zone, an den Ufern des Missouri wie auf dem Hochland von Neu-Mexico, ist der Amerikaner ein Jäger; in der heißen Zone dagegen, in den Wäldern von Guyana pflanzt er Manioc, Bananen, zuweilen Mais. Die Natur ist so überschwenglich freigebig, daß die Ackerflur des Eingeborenen ein Fleckchen Boden ist, daß das Urbarmachen darin besteht, daß man die Sträucher wegbrennt, das Ackern darin, daß man ein paar Samen oder Steckreiser dem Boden anvertraut. So weit man sich in Gedanken in der Zeit zurückversetzt, nie kann man in diesen dicken Wäldern die Völker anders denken als so, daß ihnen der Boden vorzugsweise die Nahrung lieferte; da aber dieser Boden auf der kleinsten Fläche fast ohne Arbeit so reichlich trägt, so hat man sich wiederum vorzustellen, daß diese Völker immer einem und demselben Gewässer entlang häufig ihre Wohnplätze wechselten: Und der Eingeborene am Orinoco wandert ja mit seinem Saatkorn noch heute, und legt wandernd seine Pflanzung (conuco) an, wie der Araber sein Zelt aufschlägt rund die Weide wechselt. Die Menge von Culturgewächsen, die man mitten im Walde wild findet, weisen deutlich auf ein ackerbauendes Volk mit nomadischer Lebensweise hin. Kann man sich wundern, daß bei solchen Sitten vom Segen der festen Niederlassung, des Getreidebaus, der weite Flächen und viel mehr Arbeit erfordert, so gut wie nichts übrig bleibt?

Die Völker am obern Orinoco, am Atabapo und Inirida verehren, gleich den alten Germanen und Persern, keine andern Gottheiten als die Naturkräfte. Das gute Princip nennen sie *Cachimana*; das ist der Manitu, der große Geist, der die Jahreszeiten regiert und die Früchte reifen läßt. Neben dem Cachimana steht ein böses Princip, der *Jolokiamo*, der nicht so mächtig ist, aber schlauer und besonders rühriger. Die Indianer aus den Wäldern, wenn sie zuweilen in die Missionen kommen, können sich von einem Tempel oder einem Bilde sehr schwer einen Begriff machen. »Die guten Leute,« sagte der Missionär, »lieben Processionen nur im Freien. Jüngst beim Fest meines Dorfpatrons, des heiligen Antonius, wohnten die Indianer von Inirida der Messe bei. Da sagten sie zu mir: »Euer Gott schließt sich in ein Haus ein, als wäre er alt und krank; der unsrige ist im Wald, auf dem Feld, auf den Sipapubergen, woher der Regen kommt.« Bei zahlreicheren und eben deßhalb weniger barbarischen Völkerschaften bilden sich seltsame religiöse Vereine. Ein paar alte Indianer wollen in die göttlichen Dinge tiefer eingeweiht seyn als die andern, und diese haben das berühmte *Botuto* in Verwahrung, von dem oben die Rede war, und das unter den Palmen geblasen wird, damit sie reichlich Früchte tragen. An den Ufern des Orinoco gibt es kein Götzenbild, wie bei allen Völkern, die beim ursprünglichen Naturgottesdienst stehen geblieben sind; aber der *Botuto*, die heilige Trompete, ist zum Gegenstand der Verehrung geworden. Um in die Mysterien des Botuto eingeweiht zu werden, muß man rein von Sitten und unbeweibt seyn. Die Eingeweihten unterziehen sich der Geißelung, dem Fasten und andern angreifenden Andachtsübungen. Dieser heiligen Trompeten sind nur ganz wenige und die altberühmteste befindet sich auf einem Hügel beim Zusammenfluß des Tomo mit dem Rio Negro. Sie soll zugleich am Tuamini und in der Mission San Miguel de Davipe, zehn Meilen weit, gehört werden. Nach Pater Ceresos Bericht sprechen die Indianer von diesem Botuto am Rio Tomo so, als wäre derselbe für mehrere Völkerschaften in der Nähe ein Gegenstand der Verehrung. Man stellt Früchte und berauschende Getränke neben die heilige Trompete. Bald bläst der Große Geist (Cachimana) selbst die Trompete, bald läßt er nur seinen Willen durch den kund thun, der das heilige Werkzeug in Verwahrung hat. Da diese Gaukeleien sehr alt sind (von den Vätern unserer Väter her, sagen die Indianer), so ist es nicht zu verwundern, daß es bereits Menschen gibt, die nicht mehr daran glauben; aber diese Ungläubigen äußern nur ganz leise, was sie von den Mysterien des Botuto halten. Die Weiber dürfen das wunderbare Instrument gar nicht sehen; sie sind überhaupt von jedem Gottesdienste ausgeschlossen. Hat eine das Unglück, die Trompete zu erblicken, so wird sie ohne Gnade umgebracht. Der Missionär erzählte uns, im Jahr 1798 habe er das Glück gehabt, ein junges Mädchen zu retten, der ein eifersüchtiger, rachsüchtiger Liebhaber Schuld gegeben, sie sey aus Vorwitz den Indianern nachgeschlichen, die in den Pflanzungen den Botuto bliesen. »Oeffentlich hätte man sie nicht umgebracht,« sagte Pater Cereso, »aber wie sollte man sie vor dem Fanatismus der Eingebornen schützen, da es hier zu Lande so leicht ist, einem Gift beizubringen? Das Mädchen äußerte solche Besorgniß gegen mich und ich schickte sie in eine Mission am untern Orinoco.« Wären die Völker in Guyana Herren dieses großen Landes geblieben, könnten sie, ungehindert von den christlichen Niederlassungen, ihre barbarischen Gebräuche frei entwickeln, « so erhielte der Botutodienst ohne Zweifel eine politische Bedeutung. Dieser geheimnißvolle Verein von Eingeweihten, diese Hüter der heiligen Trompete würden zu einer mächtigen Priesterkaste und das Orakel am Rio Tomo schlänge nach und nach ein Band um benachbarte Völker. Auf diese Weise sind durch gemeinsame Gottesverehrung (communia sacra), durch religiöse Gebräuche und Mysterien so viele Völker der alten Welt einander näher gebracht, mit einander versöhnt und vielleicht der Gesittung zugeführt worden.

Am vierten Mai Abends meldete man uns, ein Indianer, der beim Schleppen unserer Pirogue an den Pimichin beschäftigt war, sey von einer Natter gebissen worden. Der große starke Mann wurde in sehr bedenklichem Zustand in die Mission gebracht. Er war bewußtlos rücklings zu Boden gestürzt, und auf die Ohnmacht waren Uebligkeit, Schwindel, Congestionen gegen den Kopf gefolgt. Die Liane *Vejuco de Guaco*, die durch MUTIS so berühmt geworden, und die das sicherste Mittel gegen den Biß giftiger Schlangen ist, war hier zu Lande noch nicht bekannt. Viele Indianer liefen zur Hütte des Kranken und man heilte ihn mit dem Aufguß von *Raiz de Mato*. Wir können nicht mit Bestimmtheit angeben, von welcher Pflanze dieses Gegengift kommt. Der reisende Botaniker hat nur zu oft den Verdruß, daß er von den nutzbarsten Gewächsen weder Blüthe noch Frucht zu Gesicht bekommt, während er so viele Arten, die sich durch keine besondern Eigenschaften rauszeichnen, täglich mit allen Fructificationsorganen vor Augen hat. Die *Raiz de Mato* ist vermuthlich eine Apocynee, vielleicht die Cerbera thevetia welche die Einwohner von Cumana Lengua de Mato oder Contra-Culebra nennen und gleichfalls gegen Schlangenbiß brauchen. Eine der Cerbera sehr nahe stehende Gattung (Ophioxylon serpentinum) leistet in Indien denselben Dienst. Ziemlich häufig findet man in derselben Pflanzenfamilie vegetabilische Gifte und Gegengifte gegen den Biß der Reptilien. Da viele tonische und narkotische Mittel mehr oder minder wirksame Gegengifte sind, so kommen diese in weit auseinanderstehenden Familien vor, bei den Aristolochien, Apocyneen, Gentianen, Polygalen, Solaneen, Malvaceen, Drymyrhizeen, bei den Pflanzen mit zusammengesetzten Blüthen, und was noch auffallender ist, sogar bei den Palmen.

In der Hütte des Indianers, der von einer Natter gebissen worden, fanden wir 2--3 Zoll große Kugeln eines erdigten, unreinen Salzes, 'Chivi' genannt, das von den Eingeborenen sehr sorgfältig zubereitet wird. In Maypures verbrennt man eine Conferve, die der Orinoco, wenn er nach dem Hochgewässer in sein Bett zurückkehrt, auf dem Gestein sitzen läßt. In Javita bereitet man Salz durch Einäscherung des Blüthenkolbens und der Früchte der *Seje* oder *Chimupalme*. Diese schöne Palme, die am Ufer des Auvena beim Katarakt Guarinuma und zwischen Javita und dem Pimichin sehr häufig vorkommt, scheint eine neue Art Cocospalme zu seyn. Bekanntlich ist das in der gemeinen Cocosnuß eingeschlossene Wasser häufig salzigt, selbst wenn der Baum weit von der Meeresküste wächst. Auf Madagascar gewinnt man Salz aus dem Saft einer Palme Namens *Cira*. Außer den Blüthenkolben und den Früchten der Sejepalme laugen die Indianer in Javita auch die Asche des vielberufenen Schlinggewächses *Cupana* aus. Es ist dieß eine neue Art der Gattung Paullinia, also eine von LINNÉs Cupania sehr verschiedene Pflanze. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß ein Missionär selten auf die Reise geht, ohne den zubereiteten Samen der Liane Cupana mitzunehmen. Diese Zubereitung erfordert große Sorgfalt. Die Indianer zerreiben den Samen, mischen ihn mit Maniocmehl, wickeln die Masse in Bananenblätter und lassen sie im Wasser gähren, bis sie safrangelb wird. Dieser gelbe Teig wird an der Sonne getrocknet, und mit Wasser angegossen genießt man ihn Morgens statt Thee. Das Getränk ist bitter und magenstärkend, ich fand aber den Geschmack sehr widrig.

Am Niger und in einem großen Theile des innern Afrika, wo das Salz sehr selten ist, heißt es von einem reichen Mann: »Es geht ihm so gut, daß er Salz zu seinen Speisen ißt.« Dieses Wohlergehen ist auch im Innern Guyanas nicht allzu häufig. Nur die Weißen, besonders die Soldaten im Fort San Carlos, wissen sich reines Salz zu verschaffen, entweder von der Küste von Caracas oder von Chita, am Ostabhang der Cordilleren von Neu-Grenada, aus dem Rio Meta. Hier, wie in ganz Amerika, essen die Indianer wenig Fleisch und verbrauchen fast kein Salz. Daher trägt auch die Salzsteuer aller Orten, wo die Zahl der Eingeborenen bedeutend vorschlägt, wie in Mexico und Guatimala, der Staatskasse wenig ein. Der *Chivi* in Javita ist ein Gemenge von salzsaurem Kali und salzsaurem Natron, Aetzkalk und verschiedenen erdigten Salzen. Man löst ein ganz klein wenig davon in Wasser auf, füllt mit der Auflösung ein dütenförmig aufgewickeltes Heliconienblatt und läßt wie aus der Spitze eines Filtrums ein paar Tropfen auf die Speisen fallen.

Am 5. Mai machten wir uns zu Fuß aus den Weg, um unsere Pirogue einzuholen, die endlich über den Trageplatz im Caño Pimichin angelangt war. Wir mußten über eine Menge Bäche waten, und es ist dabei wegen der Nattern, von denen die Sümpfe wimmeln, einige Vorsicht nöthig. Die Indianer zeigten uns auf dem nassen Thon die Fährte der kleinen schwarzen Bären, die am Temi so häufig vorkommen. Sie unterscheiden sich wenigstens in der Größe vom Ursus americanus; die Missionäre nennen sie Osso carnicero zum Unterschied vom Osso palmero (Myrmecophaga jubata) und dem Osso hormigero oder Tamandua-Ameisenfresser. Diese Thiere sind nicht übel zu essen; die beiden erstgenannten setzen sich zur Wehr und stellen sich dabei auf die Hinterbeine. BUFFONs Tamanoir heißt bei den Indianern *Uaraca*; er ist reizbar und beherzt, was bei einem zahnlosen Thier ziemlich auffallend erscheint. Im Weitergehen kamen wir auf einige Lichtungen im Wald, der uns desto reicher erschien, je zugänglicher er wurde. Wir fanden neue Arten von Coffea (die amerikanische Gruppe mit Blüthen in Rispen bildet wahrscheinlich eine Gattung für sich), die Galega piscatorum, deren, sowie der Jacquinia und einer Pflanze mit zusammengesetzter Blüthe vom Rio Temi [Bailliera Barbasco], die Indianer sich als *Barbasco* bedienen, um die Fische zu betäuben, endlich die hier *Vejuco de Mavacure* genannte Liane, von der das vielberufene Gift *Curare* kommt. Es ist weder ein Phyllanthus, noch eine Coriaria wie WILLDENOW gemeint, sondern nach KUNTHs Untersuchungen sehr wahrscheinlich ein Strychnos. Wir werden unten Gelegenheit haben, von dieser giftigen Substanz zu sprechen, die bei den Wilden ein wichtiger Handelsartikel ist. Wenn ein Reisender, der sich gleich uns durch die Gastfreundschaft der Missionäre gefördert sähe, ein Jahr am Atabapo, Tuamini und Rio Negro, und ein weiteres Iahr in den Bergen bei Esmeralda und am obern Orinoco zubrächte, könnte er gewiß die Zahl der von AUBLET und RICHARD beschriebenen Gattungen verdreifachen.

Auch im Walde am Pimichin haben die Bäume die riesige Höhe von 80--120 Fuß. Es sind dieß die Laurineen und Amyris, die in diesen heißen Himmelsstrichen das schöne Bauholz liefern, das man an der Nordwestküste von Amerika, in den Bergen, wo im Winter der Thermometer auf 20 Grad unter Null fällt, in der Familie der Nadelhölzer findet. In Amerika ist unter allen Himmelsstrichen und in allen Pflanzenfamilien die Vegetationskraft so ausnehmend stark, daß unter dem 57 Grad nördlicher Breite, auf derselben Isotherme wie Petersburg und die Orkneyinseln, Pinus canadensis 150 Fuß hohe und 6 Fuß dicke Stämme hat.(62) Wir kamen gegen Nacht in einem kleinen Hofe an, dem *Puerto* oder Landungsplatz am Pimichin. Man zeigte uns ein Kreuz am Wege, das die Stelle bezeichnet, »wo ein armer Missionär, ein Kapuziner, von den Wespen umgebracht worden.« Ich spreche dieß dem Mönch in Javita und den Indianern nach. Man spricht hier zu Lande viel von giftigen Wespen und Ameisen; wir konnten aber keines von diesen beiden Insekten auftreiben. Bekanntlich verursachen im heißen Erdstrich unbedeutende Stiche nicht selten Fieberanfälle fast so heftig wie die, welche bei uns bei sehr bedeutenden organischen Verletzungen eintreten. Der Tod des armen Mönchs wird wohl eher eine Folge der Erschöpfung und der Feuchtigkeit gewesen seyn, als des Giftes im Stachel der Wespen, vor deren Stich die nackten Indianer große Furcht haben. Diese Wespen bei Javita sind nicht mit den Honigbienen zu verwechseln, welche die Spanier *Engelchen* nennen [S. Bd. II Seite 192] und die sich auf dem Gipfel der Silla bei Caracas uns haufenweise auf Gesicht und Hände setzten.

Der Landungsplatz am Pimichin liegt in einer kleinen Pflanzung von Cacaobäumen. Die Bäume sind sehr kräftig und hier wie am Altabapo und Rio Negro in allen Jahreszeiten mit Blüthen und Früchten bedeckt. Sie fangen im vierten Jahr an zu tragen, auf der Küste von Caracas erst im sechsten bis achten. Der Boden ist am Tuamini und Pimichin überall, wo er nicht sumpfigt ist, leichter Sandboden, aber ungemein fruchtbar. Bedenkt man, daß der Cacaobaum in diesen Wäldern der Parime, südlich vom sechsten Breitengrad, eigentlich zu Hause ist, und daß das nasse Klima am obern Orinoco diesem kostbaren Baume weit besser zusagt als die Luft in den Provinzen Caracas und Barcelona, die von Jahr zu Jahr trockener wird, so muß man bedauern, daß dieses schöne Stück Erde in den Händen von Mönchen ist, von denen keinerlei Cultur befördert wird. Die Missionen der Observanten allein könnten 50,000 Fanegas(63) Cacao in den Handel bringen, dessen Werth sich in Europa auf mehr als sechs Millionen Franken beliefe. Um die Conugos am Pimichin wächst wild der *Igua*, ein Baum, ähnlich dem Caryocar nuciferum den man in holländisch und französisch Guyana baut, und von dem neben dem Almendron von Mariquita (Caryocar amygdaliferum), dem Juvia von Esmeralda (Bertholletia excelsa) und der Geoffraea vom Amazonenstrom die gesuchtesten Mandeln in Südamerika kommen. Die Früchte des Igua kommen hier gar nicht in den Handel; dagegen sah ich an den Küsten von Terra Firma Fahrzeuge, die aus Demerary die Früchte des Caryocar tomentosum, AUBLETs Pecea tuberculosa, einführten. Diese Bäume werden hundert Fuß hoch und nehmen sich mit ihrer schönen Blumenkrone und ihren vielen Staubfäden prachtvoll aus. Ich müßte den Leser ermüden, wollte ich die Wunder der Pflanzenwelt, welche diese großen Wälder auszuweisen haben, noch weiter herzählen. Ihre erstaunliche Mannigfaltigkeit rührt daher, daß hier auf kleiner Bodenfläche so viele Pflanzenfamilien neben einander vorkommen, und daß bei dem mächtigen Reiz von Licht und Wärme die Säfte, die in diesen riesenhaften Gewächsen circuliren, so vollkommen ausgearbeitet werden.

Wir übernachteten in einer Hütte, welche erst seit kurzem verlassen stand. Eine indianische Familie hatte darin Fischergeräthe zurückgelassen, irdenes Geschirr, aus Palmblattstielen geflochtene Matten, den ganzen Hausrath dieser sorglosen, um Eigenthum wenig bekümmerten Menschenart. Große Vorräthe von *Mani* (eine Mischung vom Harz der Moronobea und der Amyris Caraña) lagen um die Hütte. Die Indianer bedienen sich desselben hier wie in Cayenne zum Theeren der Piroguen und zum Befestigen des knöchernen Stachels der Rochen an die Pfeile. Wir fanden ferner Näpfe voll vegetabilischer Milch, die zum Firnissen dient und in den Missionen als leche para pindar viel genannt wird. Man bestreicht mit diesem klebrichten Saft das Geräthe, dem man eine schöne weiße Farbe geben will. An der Luft verdickt er sich, ohne gelb zu werden, und nimmt einen bedeutenden Glanz an. Wie oben bemerkt worden [S. Bd. II. Seite 337], ist das Cautschuc der fette Theil, die Butter in jeder Pflanzenmilch. Dieses Gerinsel nun, diese weiße Haut, die glänzt, als wäre sie mit Copalfirniß überzogen, ist ohne Zweifel eine eigene Form des Cautschuc. Könnte man diesem milchigten Firniß verschiedene Farben geben, so hätte man damit, sollte ich meinen, ein Mittel, um unsere Kutschenkasten rasch, in Einer Handlung zu bemalen und zu firnissen. Je genauer man die chemischen Verhältnisse der Gewächse der heißen Zone kennen lernt, desto mehr wird man hie und da an abgelegenen, aber dem europäischen Handel zugänglichen Orten in den Organen gewisser Gewächse halbfertige Stoffe entdecken, die nach der bisherigen Ansicht nur dem Thierreich angehören, oder die wir auf künstlichem, zwar sicherem, oft aber langem und mühsamem Wege hervorbringen. So hat man bereits das Wachs gefunden, das den Palmbaum der Anden von Quindiu überzieht, die Seide der Mocoapalme, die nahrhafte Milch des Palo de Vaca, den afrikanischen Butterbaum, den käseartigen Stoff im fast animalischen Safte der Carica Papaya. Dergleichen Entdeckungen werden sich häufen, wenn, wie nach den gegenwärtigen politischen Verhältnissen in der Welt wahrscheinlich ist, die europäische Cultur großentheils in die Aequinoctialländer des neuen Continents überfließt.

Wie ich oben erwähnt, ist die sumpfigte Ebene zwischen Javita und dem Landungsplatz am Pimichin wegen ihrer vielen Nattern im Lande berüchtigt. Bevor wir von der verlassenen Hütte Besitz nahmen, schlugen die Indianer zwei große, 4--5 Fuß lange *Mapanare*-Schlangen todt. Sie schienen mir von derselben Art wie die vom Rio Magdalena, die ich beschrieben habe. Es ist ein schönes, aber sehr giftiges Thier, am Bauch weiß, auf dem Rücken braun und roth gefleckt. Da in der Hütte eine Menge Kraut lag und wir am Boden schliefen (die Hängematten ließen sich nicht befestigen), so war man in der Nacht nicht ohne Besorgniß; auch fand man Morgens, als man das Jaguarfell aushob, unter dem einer unserer Diener am Boden gelegen, eine große Natter. Wie die Indianer sagen, sind diese Reptilien langsam in ihren Bewegungen, wenn sie nicht verfolgt werden, und machen sich an den Menschen, weil sie der Wärme nachgehen. Am Magdalenenstrom kam wirklich eine Schlange zu einem unserer Reisebegleiter ins Bett und brachte einen Theil der Nacht darin zu, ohne ihm etwas zu Leide zu thun. Ich will hier keineswegs Nattern und Klapperschlangen das Wort reden, aber das läßt sich behaupten, wären diese giftigen Thiere so angriffslustig, als man glaubt, so hätte in manchen Strichen Amerikas, z. B. am Orinoco und in den feuchten Bergen von Choco, der Mensch ihrer Unzahl erliegen müssen.

Am 6. Mai. Wir schifften uns bei Sonnenaufgang ein, nachdem wir den Boden unserer Pirogue genau untersucht hatten. Er war beim »Tragen« wohl dünner geworden, aber nicht gesprungen. Wir dachten, das Fahrzeug könne die dreihundert Meilen, die wir den Rio Negro hinab, den Cassiquiare hinauf und den Orinoco wieder hinab bis Angostura noch zu machen hatten, wohl aushalten. Der Pimichin, der hier ein Bach (Caño) heißt, ist so breit wie die Seine, der Galerie der Tuilerien gegenüber, aber kleine, gerne im Wasser wachsende Bäume, Corossols (Anona) und Achras, engen sein Bett so ein, daß nur ein 15--20 Toisen breites Fahrwasser offen bleibt. Er gehört mit dem Rio Chagre zu den Gewässern, die in Amerika wegen ihrer Krümmungen berüchtigt sind. Man zählt deren 85, wodurch die Fahrt bedeutend verlängert wird. Sie bilden oft rechte Winkel und liegen auf einer Strecke von 2--3 Meilen hinter einander. Um den Längenunterschied zwischen dem Ladungsplatz und dem Punkt, wo wir in den Rio Negro einliefen, zu bestimmen, nahm ich mit dem Compaß den Lauf des Caño Pimichin auf und bemerkte, wie lange wir in derselben Richtung fuhren. Die Strömung war nur 2,4 Fuß in der Sekunde, aber unsere Pirogue legte beim Rudern 4,6 Fuß zurück. Meiner Schätzung nach liegt der Landungsplatz am Pimichin 1100 Toisen westwärts von seiner Mündung und 0° 2{~PRIME~} westwärts von der Mission Javita. Der Caño ist das ganze Jahr schiffbar; er hat nur einen einzigen *Raudal*, über den ziemlich schwer heraufzukommen ist; seine Ufer sind niedrig, aber felsigt. Nachdem wir fünftehalb Stunden lang den Krümmungen des schmalen Fahrwassers gefolgt waren, liefen wir endlich in den Rio Negro ein.

Der Morgen war kühl und schön. Sechs und dreißig Tage waren wir in einem schmalen Canoe eingesperrt gewesen, das so unstet war, daß es umgeschlagen hätte, wäre man unvorsichtig aufgestanden, ohne den Ruderern am andern Bord zuzurufen, sich überzulehnen und das Gleichgewicht herzustellen. Wir hatten vom Insektenstich furchtbar gelitten, aber das ungesunde Klima hatte uns nichts angehabt; wir waren, ohne umzuschlagen, über eine ganze Menge Wasserfälle und Flußdämme gekommen, welche die Stromfahrt sehr beschwerlich und oft gefährlicher machen als lange Seereisen. Nach allem, was wir bis jetzt durchgemacht, wird es mir hoffentlich gestattet seyn auszusprechen, wie herzlich froh wir waren, daß wir die Nebenflüsse des Amazonenstroms erreicht, daß wir die Landenge zwischen zwei großen Flußsystemen hinter uns hatten und nunmehr mit Zuversicht der Erreichung des Hauptzwecks unserer Reise entgegensehen konnten, der astronomischen Aufnahme jenes Arms des Orinoco, der sich in den Rio Negro ergießt, und dessen Existenz seit einem halben Jahrhundert bald bewiesen, bald wieder in Abrede gezogen worden. Ein Gegenstand, den man lange vor dem innern Auge gehabt, wächst uns an Bedeutung, je näher wir ihm kommen. Jene unbewohnten, mit Wald bedeckten, geschichtslosen Ufer des Cassiquiare beschäftigten damals meine Einbildungskraft, wie die in der Geschichte der Culturvölker hochberühmten Ufer des Euphrat und des Oxus. Hier, inmitten des neuen Continents, gewöhnt man sich beinahe daran, den Menschen als etwas zu betrachten, das nicht nothwendig zur Naturordnung gehört. Der Boden ist dicht bedeckt mit Gewächsen, und ihre freie Entwicklung findet nirgends ein Hinderniß. Eine mächtige Schicht Dammerde weist darauf hin, daß die organischen Kräfte hier ohne Unterbrechung fort und fort gewaltet haben. Krokodile und Boas sind die Herren des Stroms; der Jaguar, der Pecari, der Tapir und die Affen streifen durch den Wald, ohne Furcht und ohne Gefährde; sie hausen hier wie auf ihrem angestammten Erbe. Dieser Anblick der lebendigen Natur, in der der Mensch nichts ist, hat etwas Befremdendes und Niederschlagendes. Selbst auf dem Ocean und im Sande Afrika's gewöhnt man sich nur schwer daran, wenn einem auch da, wo nichts an unsere Felder, unsere Gehölze und Bäche erinnert, die weite Einöde, durch die man sich bewegt, nicht so stark auffällt. Hier, in einem fruchtbaren Lande, geschmückt mit unvergänglichem Grün, sieht man sich umsonst nach einer Spur von der Wirksamkeit des Menschen um; man, glaubt sich in eine andere Welt versetzt, als die uns geboren. Ein Soldat, der sein ganzes Leben in den Missionen am obern Orinoco zugebracht hatte, war einmal mit uns am Strome gelagert. Es war ein gescheiter Mensch, und in der ruhigen, heitern Nacht richtete er an mich Frage um Frage über die Größe der Sterne, über die Mondsbewohner, über tausend Dinge, von denen ich so viel wußte als er. Meine Antworten konnten seiner Neugier nicht genügen, und so sagte er in zuversichtlichem Tone: »Was die Menschen anlangt, so glaube ich, es gibt da oben nicht mehr, als ihr angetroffen hättet, wenn ihr zu Land von Javita an den Cassiquiare gegangen wäret. In den Sternen, meine ich, ist eben wie hier eine weite Ebene mit hohem Gras und ein Wald (mucho monte), durch den ein Strom fließt.« Mit diesen Worten ist ganz der Eindruck geschildert, den der eintönige Anblick dieser Einöde hervorbringt. Möchte diese Eintönigkeit nicht auch auf das Tagebuch unserer Flußfahrt übergehen! Möchten Leser, die an die Beschreibung der Landschaften und an die geschichtlichen Erinnerungen des alten Continents gewöhnt sind, es nicht ermüdend finden!

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55 Die wilden Völker bezeichnen jedes europäische Handelsvolk mit Beinamen, die ganz zufällig entstanden zu seyn scheinen. Ich habe schon oben bemerkt, daß die Spanier vorzugsweise *bekleidete Menschen*, gheme oder Uavemi heißen.

56 Homo habitat inter tropicos, vescitur Palmis, Lotophagus; hospitatur entre tropicos sub novercante Cerere, carnivorus.

57 Einer der Vorgänger des Geistlichen, den wir in San Fernando als Präsidenten der Missionen fanden.

58 Die Delphine, welche in die Nilmündung kommen, fielen indessen den Alten so auf, daß sie auf einer Büste des Flußgottes aus Syenit im Pariser Museum halb versteckt im wallenden Barte dargestellt sind.

59 Ich führe diesen geringfügigen Umstand hier an, um die Reisenden darauf aufmerksam zu machen, wie nöthig es ist, nur solche Barometer zu haben, bei denen die Röhre der ganzen Länge nach sichtbar ist. Eine ganz kleine Luftblase kann das Quecksilber zum Theil oder ganz sperren, ohne daß der Ton beim Anschlagen des Quecksllbers am Ende der Röhre sich veränderte.

60 Ocotea cymbarum, sehr verschieden vom Laurus Sassafras in Nordamerika.

61 »Mit weißen und vernünftigen Menschen.« Die europäische Eigenliebe stellt gemeiniglich die gente de razon und die gente parda einander gegenüber.

62 LANGSDORF sah bei den Bewohnern der Norfolkbucht Canoes aus Einem Stück 50 Fuß lang, 4 1/2 :breit und an den Rändern 3 Fuß hoch; sie faßten 30 Menschen. Auch Populus balsamifera wird auf den Bergen um Norfolkbucht ungeheuer hoch.

63 Die Fanega wiegt 110 spanische Pfund.