# taz.de -- Proteste in Istanbul: „Das Ende der Toleranz“
       
       > Die Polizei stürmt am Morgen den Taksim Platz. Erdogan verteidigt das
       > Vorgehen. Die Menschen im Gezi Park sind entsetzt.
       
 (IMG) Bild: Gejagt von Wasserwerfern und Tränengas: Protestler auf dem Taksim Platz in Istanbul am Dienstagmorgen
       
       ISTANBUL taz/dpa | Der Istanbuler Taksim Platz, zehn Tage lang Zentrum des
       landesweiten Aufstandes gegen die Regierung Erdogan, ist am Dienstagmorgen
       von Polizeikräften gestürmt worden. Die Fahnen und Plakate der Revolte
       wurden von Wasserwerfern weggefegt, Spezialeinsatzkräfte haben die
       haushohen Transparente von dem durch Künstler besetzten
       Atatürk-Kulturzentrum heruntergerissen. Tränengas wabert über den Platz und
       Wasserwerfer vereiteln jeden Versuch einzelner Demonstranten sich der
       Polizeiinvasion entgegen zu stellen.
       
       Um 6.00 Uhr Morgens, als die Parkbesetzer im Gezi Park in ihren Zelten
       schliefen und auf dem Taksim Platz selbst kaum noch Demonstranten waren,
       rückte die Polizei mit schwerem Räumungsgerät, Wasserwerfern und
       Tausendschaften der berüchtigten Antiaufruhr-Polizei vom Bosporus aus gegen
       den Taksim Platz vor. Bulldozer räumten die noch Montagabend von den
       Besetzern neu aufgebauten Barrikaden zur Seite. Begleitet wurde der
       Vormarsch der Polizei von massivem Einsatz von Gasbomben, die nicht nur den
       Taksim Platz, sondern die gesamte Nachbarschaft, darunter auch das deutsche
       Konsulat einnebelte.
       
       Auf dem Platz selbst traf die Polizei zu dieser frühen Morgenstunde auf
       wenig Widerstand. Wenige Demonstranten versuchten sich ihnen in den Weg zu
       stellen, wurden aber mit Wasserwerfern brutal hinweggefegt. Vereinzelt
       flogen Molotow-Coktails, ein oder zwei der gepanzerter Wasserwerfern fingen
       Feuer, wurden aber von anderen Wasserwerfern umgehend gelöscht.
       
       Offensichtlich hat die Polizei den Befehl, den Gezi Park, der direkt hinter
       dem Taksim Platz liegt, nicht anzurühren. Tausende Parkbesetzer die durch
       den Polizeieinsatz unsanft aus dem Schlaf gerissen wurden, mussten vom Park
       aus zusehen, wie die Polizei auf den Platz vorrückte um dort „aufzuräumen“.
       Noch Stunden nach dem ersten Vorrücken wabern Tränengaswolken über den
       Taksim Platz.
       
       ## Weinende Leute im Gezi Park
       
       Obwohl die Besetzer des Gezi Parks zunächst nicht unmittelbar von der
       Polizei angegriffen wurden, werden sie von dem Tränengas stark
       beeinträchtigt. Der Park, bislang ein Platz des Miteinanders, der Toleranz
       und Kreativität, ist voller weinender Leute.
       
       Der Polizeiangriff auf den Taksim Platz steht in scharfem Gegensatz zu der
       Ankündigung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Bülent Arinc vom
       Abend zuvor, wo er im Anschluss an eine stundenlange Kabinettssitzung
       verkündet hatte, Ministerpräsident Erdogan sei bereit sich am Mittwoch mit
       Vertretern der Protestbewegung zu treffen.
       
       Allerdings war aus Kreisen der Protestbewegung zu hören, die Regierung
       hätte selbst einige Leute vorgeschlagen mit denen sie reden wolle. Ob
       dieses Gespräch jetzt noch zustande kommt und ob es irgendeine politische
       Wirkung entfalten kann, ist völlig unklar.
       
       Am Taksim Platz ist am Dienstagmorgen um 10 Uhr wieder eine traurige
       Normalität hergestellt. Die Polizei hat am geräumten Atatürk Kulturzentrum
       wieder eine riesige türkische Fahne aufgehängt. Da, wo am Montag noch die
       Stände der Zivilgesellschaft ihren Platz hatten, ist jetzt nur noch Polizei
       in voller Kampfmontur.
       
       ## Lage im Gezi Park wieder ruhig
       
       Am Mittag ist die Lage im Gezi-Park zunächst wieder ruhig. Mehrere tausend
       Menschen sind im Park, es brennt eine Barrikade. Verletzte werden
       abtransportiert, einige sind dem Anschein nach schwer verwundet. Bei der
       Stürmung des Taksim Platzes haben Demonstranten vereinzelt Steine auf
       Polizisten geworfen, diese haben Steine zurückgeworfen.
       
       Für kurze Zeit sah es so aus, als wolle die Polizei auch den Gezi Park
       stürmen. Doch die mehreren hundert Polizisten zogen sich wieder aus dem
       Park zurück.
       
       Am Nachmittag ist die Lage unverändert. Im Gezi Park funktioniert die
       Infrastruktur noch. In einem abgesperrten Bereich werden die Verletzten
       behandelt. Es sind mehrere Tausend Menschen im Park. Ab und an werden
       Tränengasgranaten von der Polizei in den Park geworfen.
       
       Es sieht derzeit nicht so aus, als wolle sie den Park räumen. Die Menschen
       im Park sind allerdings äußerst entsetzt über das massive gewalttätige
       Vorgehen der Polizei am Morgen. In den Augen der Demonstranten war das eine
       absolute Eskalation. Die Polizei muss fürchten, dass die Leute
       zurückschlagen werden.
       
       ## Erdogan dankte der Polizeiführung
       
       Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat das Vorgehen der
       Polizei gegen Demonstranten auf dem Taksim-Platz verteidigt. In einer Rede
       vor Abgeordneten seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP in
       Ankara dankte er der Polizeiführung am Dienstagmittag.
       
       Den Demonstranten warf er vor laufenden Fernsehkameras Vandalismus und
       erhebliche Zerstörungen bei den Protesten in den vergangenen zwei Wochen
       vor. Es gebe zudem einen Versuch, die Türkei wirtschaftlich in die Knie zu
       zwingen und Investoren einzuschüchtern. Er zeigte sich unnachgiebig
       gegenüber Forderungen der Protestbewegung.
       
       Nach seinen Angaben sei das Ende der Toleranz erreicht. „Diese Episode ist
       nun vorbei“, sagte er. „Wir werden keine Toleranz mehr zeigen.“
       
       Bisher sollen nach seinen Angaben landesweit in der Türkei vier Menschen
       getötet worden. Darunter seien drei junge Demonstranten und ein Polizist.
       
       11 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Deniz Yücel
 (DIR) Felix Dachsel
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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