# taz.de -- Schade, arme, kleine Seejungfrau
       
       > ■ Dämons are girls best friend: die Comic-Zeichnerin Anke Feuchtenberger
       > im Privat Art Museum
       
       Die kleine Seejungfrau hat Kummer: Ihrem schuppigen Schwanz fehlt der
       Spalt, der allein sie zur Frau macht. Keine Öffnung hält ihr Körper parat,
       aus der das heißersehnte Monatsblut ausfließen könnte. Voller Sehnsucht
       nach echtem Empfinden zerreißt sie sich endlich gewaltsam die Flosse – und
       verblutet. Schade, kleine Seejungfrau: „Niemals wird sie eine Frau werden
       können.“
       
       Alptraum? Lustbild? Kunstgeschichte? „Dämons are girl's best friend“, so
       die Hamburger Comic-Zeichnerin Anke Feuchtenberger über das Leitmotiv ihrer
       Arbeit. Die Dämonen der Girls, das sind die alten Allegorien der
       Weiblichkeit, die in Feuchtenbergers Comics zu einem unheimlichen
       Eigenleben wiederauferstehen: unheimlich dank der nie aufgehobenen Spannung
       zwischen Bildern und Texten. Denn so erratisch asexuel Feuchtenbergers
       Frauenfiguren gebaut sind – karpfen- und knabenhaft, kindlich und androgyn
       –, so sehnsüchtig irren sie einem authentisch „weiblichen“Sex hinterher,
       als unerreichbarem Wunschbild einer Identität, von der doch die
       Ich-zerissenen Zwitterwesen nie wissen können, ob es wirklich die eigene
       ist.
       
       So bebildert Feuchtenberger meist mißlingende Selbstfindungsprozesse.
       Exemplarisch in Die Hure H, einer Trilogie der unerfüllten Wünsche, die sie
       letztes Jahr zusammen mit der Autorin Katrin de Vries vorgelegt hat: Um das
       rare Glück der echten Frauen zu finden, zieht die Hure H in die Welt
       hinaus. Doch der namenlose Mann, von dem sie das „Begehren“lernen will,
       bleibt blöder Narziß. Als sie auf einer Party nach einem Phallus sucht,
       findet sie bloß einen Wurm; als sie endlich ins Haus der Geburten kommt,
       erträgt sie den stickigen Blutgeruch nicht und flieht.
       
       Kein Liebes-, kein Sex-, kein Mutterglück: solche Pechsträhnen beim Versuch
       der Individuierung zwängt Feuchtenberger in geduckte, fliehende Räume.
       Deren schwirrende Schraffuren bleiben dem Blick so ungreifbar wie die
       Wünsche, die sie ein- und wegschließen. In dieser seltenen Kunstfertigkeit
       bei der bildlichen Verdichtung von Fremdheit wirkt Feuchtenbergers Zeit am
       Theater nach. Bevor sie begann, Bildergeschichten zu zeichnen, gestaltete
       sie Poster und Programmhefte für die Berliner Volksbühne. Noch heute läßt
       sie sich nur ungern als Comic-Zeichnerin rubrizieren – am ehesten schätzt
       sie Künstler wie Mark Beyer und Debbie Drechsler, die, ähnlich wie sie,
       Text und Illustration auseinandertreiben, um dann „Moral“und
       „Geschichte“aus den Bruchstellen zu quetschen.
       
       Ganz folgerichtig hat sie in neueren Arbeiten ihren ornamentalen Stil bis
       nahe an die Abstraktion fortentwickelt: auf grob getuschten, großformatigen
       Bildern. So zu sehen in dem gerade erschienenen Buch Die kleine Dame (in
       dem sich die Geschichte von der traurigen Seejungfrau findet); aber auch im
       Privat Art Museum. Hier wird ab Donnerstag eine Auswahl ihrer Arbeiten
       präsentiert – in einer ausgesprochen eigentümlichen Gruppenschau, die sich
       ansonsten noch den öden Yuppie-Sex-Phantasien von Jacques de Loustal
       widmet, sowie Guido Siebers epigonalen Schleim-und-Sperma-Machismen.
       Welches irre Hirn für diese Zusammenstellung verantwortlich zeigt, war
       nicht zu erfahren. Egal: Anke Feuchtenbergers wunderbare Bilder allein
       lohnen den Besuch.
       
       Jens Balzer 
       
       Katrin de Vries/Anke Feuchtenberger, „Die Hure H.“, Jochen Enterprises,
       Berlin 1996, 19,90 Mark/ „Die kleine Dame“, Jochen Enterprises Berlin 1997,
       19,90 Mark 
       
       Ausstellung: „Kunst/Comic: Feuchtenberger-Sieber-Loustal“, Privat Art
       Museum, Bernhard –Nocht-Str. 69, 4. September- 2. November
       
       2 Sep 1997
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Balzer
       
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