# taz.de -- Türkischer Pazifist: Der Mann, der seinen Frieden sucht
       
       > Osman Murat Ülke hat als Kriegsdienstverweigerer in der Türkei kaum
       > Rechte. Jetzt muss er auch noch eine Reststrafe wegen Wehrkraftzersetzung
       > absitzen. 
       
 (IMG) Bild: Murat Ülke: Als Kriegsdienstverweigerer hat er kein Wahlrecht
       
       Wenn am Sonntag die Türkinnen und Türken ein neues Parlament wählen, wird
       Osman Murat Ülke seine Stimme nicht abgeben können. "Ossi" darf nicht
       wählen, nicht ausreisen oder einer offiziellen Arbeit nachgehen. Selbst die
       Vaterschaft für seinen vierjährigen Sohn darf er nicht anerkennen lassen.
       Osman Murat Ülke lebt in der Illegalität.
       
       Dabei ist er nicht untergetaucht, sondern wohnt in Izmir und arbeitet als
       Übersetzer. Wer will, weiß, wo er ihn finden kann. In einem Land, das keine
       Alternativen zum Militärdienst kennt und in dem sich die Armee in
       politische Belange einmischt, dürfte es jemanden wie ihn gar nicht geben.
       Ülke ist Kriegsdienstverweigerer.
       
       Vor 13 Jahren verbrannte Ossi, damals 23, seine Einberufungspapiere und
       erklärte öffentlich, dass er aus politischen und ethischen Gründen Gewalt
       ablehne und nicht dienen werde. Vor ihm hatten einige junge Männer aus
       pazifistisch-anarchistischen Kreisen verweigert, Ossi war aber der Erste,
       der verhaftet wurde. Das war Ende 1996. "Distanzierung des Volkes vom
       Militär", Wehrkraftzersetzung und Befehlsverweigerung lauteten die
       Vorwürfe. Nach zwei Jahren im Militärgefängnis wurde er laufengelassen -
       seither lebt er im Ungewissen.
       
       Anfang 2006 sah es so aus, als ob sich daran etwas ändern könnte. Der
       Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die Türkei zur
       Zahlung von 11.000 Euro Schmerzensgeld, weil sie Ülke wegen derselben Tat
       mehrfach verurteilt hatte. Ankara zahlte, die gerichtlich verlangte
       Verpflichtungserklärung aber, die Strafverfolgung einzustellen und Ülke ein
       normales Leben zu ermöglichen, gab die Türkei nicht ab. Stattdessen erhielt
       Ülke am 9. Juli die Aufforderung, sich binnen zehn Tagen bei den Behörden
       einzufinden, um eine Reststrafe abzusitzen.
       
       Warum die Behörden jetzt tätig werden? "Vielleicht hat jemand einen alten
       Aktenstapel abgearbeitet, vielleicht hat es politische Gründe", sagt Ülkes
       Anwältin Hülya Ücpinar der taz. Und Ossi ergänzt: "Vielleicht wollen Kreise
       im Militär meinen Fall aufrollen, weil sie mit allen Mitteln die Annäherung
       an die EU zu sabotieren versuchen." Angesichts der nationalistischen
       Stimmung im Land sei es für ihn schwieriger als in den 90er Jahren,
       öffentliche Unterstützung zu bekommen.
       
       Und eigentlich will Ossi nicht mehr kämpfen. "Meine Verweigerung war nicht
       nur eine persönliche Sache. Ich wollte innerhalb eines politischen
       Zusammenhangs zur Demilitarisierung beitragen." Diesen Zusammenhang habe er
       verloren, sagt er. "Ich will nur meinen Frieden." Seinen Frieden mit den
       Verhältnissen machen und Soldat werden, will er aber auch nicht. "Das wäre
       Selbstaufgabe."
       
       20 Jul 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Deniz Yücel
       
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