# taz.de -- Bergtourismus ohne Halligalli: Schneeschuh-Gehen hat Konjunktur
       
       > Das Sellraintal bei Innsbruck wirbt mit dem anerkannten Gütesiegel
       > Bergsteigerdorf. Hotelpaläste und Massen sind dort nicht gern gesehen.
       
 (IMG) Bild: Mit Schneeschuhen durch die winterliche Bergwelt.
       
       „Für uns hätt nix Besseres kommen können“, sagt Luis Melmer, wenn er
       erzählt, dass vor ein paar Jahren der Skilift in seinem Dorf Praxmar
       abgerissen wurde. Ein einziger Lift war in Zeiten von tälerübergreifenden
       Skischaukeln nicht mehr zeitgemäß.
       
       Vor die Alternative gestellt, in weitere Lifte zu investieren oder einen
       anderen Weg zu gehen, entschied sich die Dorfgemeinschaft für neue Wege.
       Die Touristen kommen jetzt zum Wandern, Bergsteigen, Rodeln oder gehen auf
       Skitouren.
       
       Melmer und seine Familie versuchen die Gratwanderung zwischen
       größtmöglicher Ursprünglichkeit und dem Bedienen gestiegener Anforderungen
       der Gäste. So ist WC in jedem Zimmer längst Standard. Das muss reichen.
       Praxmar im Tiroler Sellraintal ist ein knapp 1.700 Meter hoch gelegener
       Flecken mit 24 Einwohnern, der zur Gemeinde St. Sigmund gehört. Die hat
       immerhin 196 Einwohner.
       
       Vor der Tür des Praxmarer Hofs beginnt der Aufstieg des Lehrpfads für
       Skitouren-Geher. Bis über die Baumgrenze führt der Anstieg, der auch für
       Städter ohne große Bergerfahrung zu bewältigen ist. Die Felle, die unter
       die Skier geschnallt werden, haften auf der glatten Unterlage, als wäre sie
       eine ebene Wiese. Praxmar kommt ohne Schneekanonen aus. Von
       Alpinskifahrern, die schnell eine präparierte Piste hinuntercarven wollen,
       wird der Ort gemieden.
       
       Das Sellraintal ist das jüngste der 20 Gebiete zwischen Arlberg und
       Semmering, die vom Österreichischen Alpenverein (ÖAV) das Gütesiegel
       Bergsteigerdorf verliehen bekamen. Bergsteiger ist nach der Definition des
       österreichischen Alpenvereins nicht unbedingt jemand, der mit Pickel und
       Seil eine Felswand erklimmt, sondern „eine Person, die der Berge willen in
       die Berge geht“.
       
       Die Bergsteigerdörfer sind solche, die der Halligalli-Kultur in den Bergen
       eine Absage erteilen und sich „für eine nachhaltige, eigenständige und
       selbstbewusste Entwicklung entschieden haben“, sagt Christina Schwann vom
       ÖAV. Das harmonische Ortsbild ohne Hotelpaläste wird ebenso beurteilt wie
       die gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr, die alpine Geschichte,
       gelebte Traditionen und die Alpinkompetenz. Das heißt: Bergführer müssen
       zur Verfügung stehen, ein gut ausgeschildertes Wegenetz und Hütten sollen
       für Sicherheit sorgen.
       
       ## Künstlich erzeugter Schnee
       
       Tirols 93 Skigebiete breiten sich über mehr als 600 Quadratkilometer aus.
       Sie bedecken 4 Prozent der Landesfläche, von der nur 12 Prozent besiedelt
       ist. „85 Prozent aller Pisten werden beschneit“, sagt Fritz Kraft, Direktor
       von Innsbruck Tourismus. Mit dem in einer Saison künstlich erzeugten Schnee
       könnte man eine vierspurige Autobahn von Innsbruck bis Madrid einen Meter
       zudecken. Die Kosten sind enorm, bei zunehmend unsicherer Naturschneelage
       steigend.
       
       Der Pramstaller-Sepp, Inhaber des Wintersportgeschäfts Sport Seppl in St.
       Sigmund im Sellraintal, hat beobachtet, dass Verkauf und Verleih von
       Alpinskiern stagnieren und sogar rückläufig sind, während die Vermietung
       von Tourenskiern jeden Winter um 10 Prozent zulegt. 2014 wurden 700.000
       Skitourengeher in Österreich gezählt. Auch das Schneeschuhgehen hat
       Konjunktur.
       
       Der Pramstaller-Sepp, obwohl er inzwischen drei gut gehende Geschäfte im
       Sellraintal und im Kühtai betreibt, ist ein Bergbauer geblieben. „Nur das
       Gehen in der Natur macht den Kopf frei“, ist er überzeugt.
       
       Zweimal im Jahr muss er seine sechs Hektar Bergwiesen mähen. Das Heu dient
       ihm als Viehfutter. Aber die Mahd hat auch eine ökologische Funktion: „Wenn
       die Wiese nicht gemäht wird, dann erodiert der Boden. Und liegendes Gras
       wird zur Rutschfläche für Lawinen.“
       
       ## Tödliche Fallen
       
       Gerade in diesem Winter war das ein Thema. Der dünne, sulzige Schnee, der
       zu Beginn des Winters auf den Bergen lag, ist eine schlechte Unterlage.
       Weitere Schneeschichten sitzen darauf nicht fest. Auch scheinbar harmlose
       Hänge können zur tödlichen Falle werden. So viele Lawinentote wie in diesem
       Jahr hat es lange nicht mehr gegeben. Sogar ein Lawinenkommissar, der das
       Gelände bestens kennt, wurde Anfang Januar verschüttet.
       
       Klaus Kranebitter weiß, wie man sich gegen Lawinen schützen kann. Mit einem
       kleinen Team seiner Agentur SnowHow hält er gratis Kurse für Tourengeher.
       Wer sich richtig verhalte, könne das Restrisiko um 90 Prozent verringern.
       Deswegen rät er davon ab, eine Tour, die jemand im Internet empfiehlt,
       einfach nachzugehen: „Wetter und Schneelage können sich verändert haben.“
       
       Wenig Schnee bedeute hohe Gefahr. Und je nach Lawinenwarnstufe müsse man
       Hänge mit Neigungen über 30, 40 oder 45 Grad meiden. Wer die Hangneigung
       nicht mit freiem Auge einschätzen kann, soll zur Technik greifen. Die
       entsprechende App kann auf jedes Smartphone heruntergeladen werden. Ohne
       Handy geht auch der Naturbursch Klaus Kranebitter nie auf den Berg.
       
       28 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Österreich
       
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