# taz.de -- Bodo Ramelow zur Thüringer Koalition: „Ich habe nicht so sehr viel Macht“
       
       > Nach 100 Tagen Rot-rot-grün in Thüringen: Bodo Ramelow über sein Amt,
       > Macht und einen missglückten Undercover-Spaziergang.
       
 (IMG) Bild: Mittlerweile 100 Tage im Amt: Bodo Ramelow
       
       taz: Herr Ramelow, haben die ersten 100 Tage als Ministerpräsident Sie
       verändert? 
       
       Bodo Ramelow: Eigentlich nicht. Ich musste allerdings lernen, langsamer zu
       werden.
       
       Wieso? 
       
       Als Oppositionsführer habe ich nach fünf Minuten angefangen zu handeln. Das
       geht nicht mehr. Jetzt muss ich fragen: Wer ist in der Staatskanzlei
       zuständig? Das zu lernen ist für mich neu.
       
       Sie müssen delegieren. 
       
       Das musste ich früher auch. Aber ein Regierungsapparat ist etwas anderes.
       Was früher fünf Minuten dauerte, dauert jetzt drei Tage. Dafür ist die
       Wirkung aber umso größer.
       
       Aber Sie müssen jetzt Entscheidungen vertreten, die Sie früher bekämpft
       haben. 
       
       Ja, bei der Stromtrasse zum Beispiel. Die war faktisch am Tag meiner
       Vereidigung genehmigungsfähig. Wir als Landesregierung müssen diese Trasse
       jetzt rechtsstaatlich auf den Weg bringen, obwohl ich persönlich das
       Projekt nach wie vor skeptisch sehe. Ich befasse mich aber trotzdem mit
       Details, rede mit Investoren und der Bundesnetzagentur. Und ich musste
       lernen, dass es in der Staatskanzlei Mitarbeiter gibt, die zuständig sind.
       Die mussten lernen, dass ich tief im Thema stecke. Da ist der Eindruck
       entstanden, dass ich im Detail mehr weiß.
       
       Ach. 
       
       Das ist so.
       
       Es ist schwierig, einen Chef zu haben, der immer alles besser weiß. 
       
       Ich weiß es nicht immer besser, aber in diesem Fall ist Sachverstand
       nützlich.
       
       Ist Macht auch ein Korsett? 
       
       Ich habe nicht so sehr viel Macht.
       
       Sie sind Ministerpräsident. 
       
       Ich vertrete das Land, leite die Regierung und eine Behörde.
       
       Sie sind mehr als ein Behördenleiter – sie repräsentieren die politische
       Macht. 
       
       Die ökonomische Macht haben in der Welt ganz andere. Gemessen an einem
       Hedgefonds, der ein Unternehmen zerlegt, ist meine Macht relativ gering. Es
       ist auch für Ministerpräsidenten schwierig, gegen
       Investitionsentscheidungen von Konzernen und Großbanken anzukommen.
       
       Welche Macht haben Sie dann? 
       
       Sie verstehen mich nicht. Sie haben eine Vorstellung von Macht, die ich
       nicht teile. Ich unterscheide zwischen politischer und wirtschaftlicher
       Macht. Ich bin als Ministerpräsident zuständig für die Rechtsstaatlichkeit,
       für Verlässlichkeit, für funktionierende Schulen. Und dafür, dass Thüringen
       zukunftsfähig ist.
       
       Bedauern Sie, dass Sie die entscheidenden Weichen nicht stellen können? 
       
       Ich kritisiere das als Politiker. Vor allem unter Gerhard Schröder hat die
       Politik viel aus der Hand gegeben, indem sie Hedgefonds erlaubt und
       Wohnungsgesellschaften und Renten zur Privatisierung freigegeben hat. Die
       Finanzmärkte sind abgekoppelt von der Realwirtschaft. Das ist keine gute
       Entwicklung. Ich neige nicht zu Verschwörungstheorie und setze mir keinen
       Aluhut auf. Aber ich fürchte: Wir werden dafür noch bitter bezahlen.
       
       Eine Ministerin in Ihrem Kabinett hat uns gesagt, dass Sie manchmal noch in
       die Rolle als Oppositionspolitiker zurückfallen. Sehen Sie das auch so? 
       
       Ich bin nicht gewillt, eine Stromtrasse, die ein ökologisch empfindliches
       Gebiet zerschneidet, gut zu finden, nur weil ich jetzt Ministerpräsident
       bin. Sie bleibt eine Trasse, die ich ablehne. Wenn ich dafür als
       Oppositionspolitiker bezeichnet werde, nehme ich das lächelnd zur Kenntnis.
       Aber ich werde mich schützend vor die Behörde stellen, wenn sie die
       Entscheidung umsetzt, die rechtsstaatlich korrekt getroffen wurde.
       
       Die Ministerin meinte damit auch, dass Sie sich als Ministerpräsident noch
       spätabends per Twitter Duelle mit CDU-Hinterbänklern liefern … 
       
       Komisch, andere Journalisten sagen mir, dass ich kaum noch twittere.
       
       Wir haben einige Tweets gefunden. Sich nach 22 Uhr auf Twitter zu zanken –
       passt das zu einem Ministerpräsidenten? 
       
       Falls Sie wissen wollen, ob ich nach 22 Uhr noch arbeite – da muss ich
       lachen. Ja, ich twittere. Außerdem bin ich Legastheniker und mache
       Rechtschreibfehler. Wenn manche meinen, dass passe nicht zum präsidialen
       Gestus – bitte, sollen Sie. Das ist mir egal.
       
       Ist das Amt auch eine Last? 
       
       Vier Polizisten, alles nette Leute, bewachen mich von morgens bis abends.
       Das ist nicht lustig.
       
       Weil es Ihre Freiheit einschränkt. 
       
       Klar. Ich habe versucht, getarnt mit Kappe und Schal meinen Hund Attila
       auszuführen. Das ist leider gescheitert. Die Leute haben den Hund gesehen
       und geschlussfolgert: Wenn das Attila ist, wird der andere der
       Ministerpräsident sein.
       
       Viele sagen nach 100 Tagen: Man merkt gar nicht, dass Rot-Rot-Grün regiert. 
       
       Das ist ein Ritterschlag.
       
       Sie finden es auch noch gut, dass sie so unauffällig regieren? 
       
       Genau. Solange wir keine negativen Schlagzeilen produzieren, sind wir auf
       dem richtigen Weg. Wir probieren hier etwas, was es noch nie gab: drei
       Parteien, die auf Augenhöhe regieren und zusammen erfolgreich Probleme
       lösen. Das klappt nur, wenn wir einander vertrauen.
       
       Der DGB hat Rot-Rot-Grün nach 100 Tagen nur die Note Drei gegeben, die
       Unternehmer sind zufrieden. Was machen Sie falsch? 
       
       Das zeigt, dass wir etwas richtig machen.
       
       Warum? 
       
       Erst mal: Das sagt nicht der DGB, sondern ein Gewerkschafter, der sich zu
       Recht über ein Detail des Bildungsfreistellungsgesetzes geärgert hat. Eine
       Drei ist, gemessen an meinem Abschlusszeugnis der Hauptschule, übrigens
       hervorragend. Und wir reden viel mit den Gewerkschaften, aber ich bin nicht
       deren Vollzugsbeamter. Ich sitze hier auch nicht für die Linkspartei,
       sondern für Rot-Rot-Grün. Was zählt, ist das, was wir am Kabinettstisch
       vereinbaren.
       
       Ist lautloses Regieren nicht allzu bescheiden? 
       
       Anfang Dezember gab es eine Demo gegen Rot-Rot-Grün. Damals standen Nazis
       bei mir vor der Tür. Meine Frau ist mit Morddrohungen drangsaliert worden.
       Gemessen daran, ist „Man hört von euch nichts“ ganz erleichternd. Der
       Hauptgeschäftsführer des Bauernverbandes ist ein richtiger CDU-Mann und
       sagt heute, er sei von einer Landesregierung noch nie so schnell
       unterstützt worden. Ich halte das für ein gutes Zeichen.
       
       Rot-Rot-Grün muss Flüchtlinge unterbringen – gegen Proteste. In
       Gera-Liebschwitz soll eine frühere Schule … 
       
       Ein voll ausgestattetes Internat!
       
       ... 500 Flüchtlinge aufnehmen ... 
       
       Bis zu 500!
       
       … was die Anwohner aufregt. 
       
       Das ist die Frage. Wir stellen uns aufgebrachten Bürgern. Dort leben 1.400
       Menschen, bei der Bürgerversammlung waren allerdings 2.000. Und ein paar
       Dutzend Schreihälse, die aggressiv skandierten: „Lügner, Lügner!“ Da sind
       Rechte dabei, die versuchen, Ängste zu schüren und dann auszunutzen.
       
       Die Leute in Liebschwitz haben das Gefühl, vor vollendete Tatsachen
       gestellt zu werden. 
       
       Das tun wir nicht. Der Mietvertrag für das Objekt ist noch nicht
       unterschrieben. Aber wir brauchen in Thüringen mehr Kapazitäten für die
       Erstaufnahme von Flüchtlingen. Die vorherigen Landesregierungen haben das
       auf Verschleiß gefahren. Die haben immer, wenn es Proteste gegen neue
       Standorte gab, den Kopf eingezogen. Das machen wir anders. Denn ich will
       nicht, dass Flüchtlinge in Sporthallen untergebracht werden müssen. Die
       Bilder aus Berlin und München sind bedrückend.
       
       Also besser Entscheidungen gegen Proteste durchziehen? 
       
       In Liebschwitz wurden reflexartig Unterschriften gegen das Flüchtlingsheim
       gesammelt. Wir müssen trotzdem mit dem Ortschaftsrat und den Leuten vor Ort
       reden. Wo ist eine Straße kaputt, hapert es an der Gesundheitsvorsorge?
       Also: Wo sind ihre eigentlichen Probleme? Und nicht: Wie kriegen wir die
       Fremden weg?
       
       Wenn Sie dem Druck nachgeben … 
       
       Moment! Wir weichen nicht aus.
       
       Gut, dann riskieren Sie die Eskalation des Konflikts. 
       
       Wir werden mit Stadtverwaltung, Stadträten und Ortschaftsrat reden. Und den
       Protest genau anschauen: Was ist rechte Propaganda, was sind echte Sorgen?
       
       Interessiert Ihre GenossInnen in Berlin eigentlich, was Sie in Erfurt so
       machen? 
       
       Doch, durchaus.
       
       Und wie? 
       
       Wir haben unlängst den roten Kamin eingeführt. Vor den Sitzungen des
       Bundesrates treffen sich Partei- und Fraktionschefs mit den Vertretern der
       Landesregierungen. Auch Sahra Wagenknecht unterstützt uns.
       
       Es gab linke Bundestagsabgeordnete, die nicht wollten, dass Sie
       Ministerpräsident werden. 
       
       Ja, Frau Höger, hörte man. Gut, dass Sie das mal erwähnt haben.
       
       Ihr grüner Kollege Winfried Kretschmann hat seine Partei vor eine
       Zerreißprobe gestellt – weil er im Bundesrat Ja zur Beschränkung des
       Rechtes auf Asyl gesagt hat. Wird Ihnen so etwas auch passieren? 
       
       Ich hoffe, dass ich nie in so eine Situation komme. Kretschmann hat in der
       Not eine Entscheidung aus landespolitischer Sicht getroffen, die ich
       eigentlich auch kritisiere. Ich zweifle, ob Serbien ein sicheres Land für
       Roma ist. Dafür hat Kretschmann durchgesetzt, das Flüchtlinge nach drei
       Monaten arbeiten dürfen, was dringend nötig war. Ich breche nicht den Stab.
       
       14 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
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