# taz.de -- Historikerin Vanessa Erstmann über Hannovers Image: "Hannover war cooler als New York"
       
       > Hannover gilt seit dem 19. Jahrhundert als mittelmäßig, langweilig und
       > provinziell. Die Hannoveraner selbst sind daran nicht ganz unschuldig.
       
 (IMG) Bild: Mit den Nanas "cooler als New York": bunte Straßenkunst an der Leine.
       
       taz: Frau Erstmann, kann man von Hannover aus den Arsch der Welt sehen? 
       
       Vanessa Erstmann: Nein, definitiv nicht! Immerhin lag Hannover schon immer
       verkehrsgünstig im Zentrum Europas. Das mit dem Arsch der Welt hat Harald
       Schmidt gesagt, aber dazu gibt es eine Vorgeschichte. Schmidt war mal hier
       im Theater am Aegi und an dem Tag nicht so gut in Form – kann ja mal
       passieren. Das Publikum hat ihm gezeigt, dass es nicht so begeistert war.
       Das hat er wohl nicht verknusen können und dann fingen die Witze über
       Hannover an.
       
       Aber Schmidt ist ja nicht der einzige in den Medien, der Hannover ziemlich
       öde findet. Selbst die taz hat Hannover schon als langweiligste Stadt des
       Landes bezeichnet und die Süddeutsche Zeitung haut ebenfalls ordentlich
       drauf. 
       
       Es gibt über solche Presseartikel eine Studie des Kommunikations- und
       Marktforschungsinstituts Aserto. Dieser Negativmythos wurde demnach gerade
       von Journalisten verbreitet, die selbst gar keinen Bezug zu der Stadt haben
       oder noch nie hier in Hannover waren. Eigentlich können die das gar nicht
       beurteilen, aber sie greifen die Vorurteile trotzdem gerne auf und
       verbreiten sie.
       
       Und die Hannoveraner selbst denken aber anders über ihre Stadt? 
       
       Ja, viele schon. Ich bin das beste Beispiel. Aber der Hannoveraner an sich
       hat eine sehr bescheidene Art. Die Hannoveraner waren noch nie große
       Multiplikatoren der Stadt nach außen, haben nicht das Selbstbewusstsein der
       Hamburger. Deshalb sind die Menschen, die hier leben, selbst auch nicht
       ganz unschuldig daran, dass sich diese Vorurteile halten und das Bild der
       Stadt so schlecht ist.
       
       Warum hat Hannover denn überhaupt so einen schlechten Ruf? 
       
       Schon in Reiseberichten von mehr oder weniger bedeutenden Persönlichkeiten
       aus dem 19. Jahrhundert steht, dass die Stadt sauber und ordentlich sei,
       aber nicht viel los ist. Provinziell, rückständig und öde fällt in den
       Briefen oft, profillos dann erst später. Und es stimmt, ein bisschen
       rückständig war Hannover – zumindest wirtschaftlich. Und zur Provinz wurde
       die Stadt offiziell im Jahr 1866 mit der Annexion durch Preußen
       herabgestuft. Die Hannoveraner haben es damals als Sturz in die
       Durchschnittlichkeit empfunden, dass sie nicht länger ein Königreich waren.
       Das war schon ein Trauma, auch wenn der Begriff „Provinz“ damals nicht
       diesen negativen Beiklang hatte, sondern nur einen räumlichen Bereich, also
       eine Art Bundesland, meinte.
       
       Also ist der Glamour der Welfen schnell verblasst? 
       
       Nicht in den Köpfen der Hannoveraner, aber sonst natürlich schon. In der
       Stadt blieben zwar monumentale Bauten wie das Opernhaus erhalten, aber
       Hannover entwickelte sich immer mehr zu einer beschaulichen Beamten- und
       Garnisonsstadt. Das pulsierende Leben fand hier um 1900 nicht statt.
       
       Fast so lange wie es das Imageproblem gibt, versucht die Stadt nun schon
       ihren Ruf zu verbessern. 
       
       Genau, schon im 19. Jahrhundert fing Hannover an, Stadtwerbung zu
       betreiben. Ab 1850 herum wurden in vielen Städten Fremdenverkehrs- und
       Verschönerungsvereine gegründet. Die Initiative dazu ging am Anfang von
       Privatleuten und Vereinen aus. Die Kommunen haben sich insgesamt erst sehr
       spät, ab den 1920er-Jahren, mit der Imagepolitik beschäftigt, aber Hannover
       war von Anfang an dabei. Von 1972 bis 2004 war in Hannover sogar der
       bundesweit einzige städtische Imagepfleger angestellt.
       
       Der scheint aber einen ziemlich schlechten Job gemacht zu haben. 
       
       Das kann man so nicht sagen. Wir waren die erste Stadt, in der unter der
       Ägide des Stadtimagepflegers Mike Gehrke Altstadtfeste und Flohmärkte
       veranstaltet hat. Wir haben ganz viel bunte Kunst im Straßenraum, wie die
       Nanas von Niki de Saint Phalle. Eine Zeit lang hieß es, Hannover sei cooler
       als New York, weil hier mehr innovative Kunstaktionen stattfanden als dort.
       Hannover ist wegen seiner Fest- und Kunstkultur auch von anderen Städten
       kopiert worden. Spätestens ab den 70er-Jahren war hier kulturell eine Menge
       los. Man darf aber auch nicht vergessen, dass es Jahrzehnte dauert, bis
       sich ein Image in den Köpfen der Leute festgesetzt hat und Imagearbeit hört
       ja nie auf.
       
       Hat die Weltausstellung Expo das Image der Stadt denn verändert? 
       
       Bei anderen Städten gab es da einen großen Neidfaktor. Die hätten die Expo
       ebenfalls gerne zu sich geholt. Trotzdem wurde berichtet, wie weltoffen
       Hannover ist. Hannover ist schon seit dem Jahr 1947 Messestadt. Das gehört
       fest zum Image. Dabei wollte Hannover nicht nur mit so rationalen Themen
       wie den Messen assoziiert werden, sondern auch mit einer guten
       Lebensqualität. Die Stadtwerbung hat schon sehr früh versucht, das zu
       betonen: Hannover die Großstadt im Grünen.
       
       Dann hat sich nicht viel geändert. Das Image als mittelgroße Messestadt mit
       viel Grün pflegt Hannover heute noch. 
       
       Ein Image muss eben immer mit den tatsächlichen Inhalten übereinstimmen,
       die man in einer Stadt hat. Und wenn eine Stadt nun mal die grünste Stadt
       ist, dann ist das ein tolles Aushängeschild und dann muss man das auch
       nutzen.
       
       Besonders großstädtisch wirkt der Fokus auf das Stadtgrün aber nicht. Das
       könnte doch ein Grund dafür sein, dass Hannover noch immer als provinziell
       gilt. 
       
       Nur, wenn man es negativ bewertet. In Städterankings ist Hannover immer
       ganz weit oben, weil das, was Hannover bietet, genau das ist, was die
       Menschen eigentlich wollen. Die wollen nicht in einer Riesenmetropole
       wohnen. Die wollen eigentlich eine kleine Großstadt haben mit viel Grün, wo
       sie alles schnell erreichen können. Eigentlich müsste Hannover die
       Traumstadt sein.
       
       Wenn man davon absieht, dass die Stadt hässlich ist. 
       
       Das sagen viele, die außer dem Bahnhof die Stadt nicht kennen. Ich sehe das
       anders. Man kann eine Stadt nicht auf ihre Innenstadt reduzieren. Hannovers
       Zentrum war nach dem Zweiten Weltkrieg stark zerstört und dann ging in den
       50er-Jahren auch noch viel alte Bausubstanz verloren, um eine autogerechte
       Stadt zu schaffen. Das trägt ja alles nicht dazu bei, die Stadt zu
       verschönern. Dazu kamen die typischen 70er-Jahre-Betonbauten. Die haben
       andere Städte aber auch. Ich weiß nicht, was an Hannover hässlicher sein
       soll als an anderen Städten. Wenn man aus dem Bahnhof tritt, ist es in
       Braunschweig, Bremen oder Wolfsburg auch nicht hübscher.
       
       Was hat Hannover denn zu bieten? 
       
       Die hohe Lebensqualität. Die vielen Grünflächen sind einfach toll. 50
       Prozent der Stadt sind städtisches Grün. Der Stadtwald Eilenriede ist
       größer als der Hyde-Park! Dann gibt es noch den Maschsee, das Neue Rathaus,
       die Herrenhäuser Gärten, eine rege Kultur- und Musikszene und die
       Hannoveraner selbst sind auch sehr nett.
       
       Warum ist es Ihnen so wichtig, Hannovers Ruf zu verteidigen? 
       
       Irgendwie bin ich sicher Lokalpatriotin, aber ich habe mir mein
       Forschungsthema nicht ausgesucht, um Hannover zu verteidigen. Ich habe mich
       selbst oft gefragt, warum es mit dem Image von Hannover immer noch ein
       Problem gibt. Vielleicht kann ich dem Stadtmarketing am Ende einen Hinweis
       geben, woran der schlechte Ruf liegt.
       
       Steckt vielleicht Braunschweig dahinter? 
       
       Dafür habe ich keine Belege gefunden.
       
       Mehr über die Stadt Hannover und ihr Imageproblem finden Sie in Hamburg,
       Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen in der gedruckten Ausgabe der
       taz oder am [1][eKiosk].
       
       27 Feb 2015
       
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