# taz.de -- Die Wahrheit: Brodelndes Berlin
       
       > Die Hauptstadt feiert verfrüht das Reinheitsgebot des Biers. Dem
       > Ideenreichtum sind hierbei keine Grenzen gesetzt.
       
 (IMG) Bild: Feucht, fröhlich und viel zu viel – so vergeht die Wartezeit bis zum Crystal-Meth-Jubiläum wie im Flug.
       
       Millionen Berliner prosten sich fröhlich zu, donnern volle Bierpullen
       gegeneinander, hebeln die Krüge, tanken hektoliterweise Pils, Weizen oder
       schwarz-gärige Klosterpampe, rülpsen, grölen, pöbeln oder kotzen freudig
       bis in bierseligste Bewusstlosigkeit, um dann – nach tiefstem Koma –
       haltlos das Zeug weiter in sich hineinzuschütten.
       
       Denn es gibt mal wieder was Ordentliches zu feiern: 500 Jahre
       Reinheitsgebot beim deutschen Bier! Das Jubiläum ist zwar eigentlich erst
       2016, aber der Berliner kann sowieso nicht rechnen, und Jahrestage sind ihm
       schnurzpiepe.
       
       Warum damals die Herzöge von Bayern als Landesverordnung erließen, dass
       Bier nur Hopfen, Malz, Hefe und Wasser enthalten darf, weiß keiner so
       genau. Vage Stimmen munkeln aber, dass bis dahin verwendete Zusätze wie
       Tollkirsche, Bilsenkraut oder Schlafmohn zu massenhaften Entgleisungen wild
       besessener Bajuwaren führten, die ständig besoffen durch ihre Wälder
       streiften und sämtliche Bäume grunzend in Angst und Schrecken versetzten.
       
       Aber den Berliner scheren keine Einzelheiten: Schon lange vor Jahresbeginn
       2015 starteten die ersten Brummikolonnen aus allen Ecken
       Provinzdeutschlands ihren Dauerstrom donnernder Tanklastzüge, um die
       Hauptstadt pünktlich ab Silvester ganzjährig mit Gerstensaft-Tsunamis zu
       überrollen.
       
       Schaumig brodelnd füllen sie sämtliche Berliner Bierhimmel, Bierhähne,
       Biermeilen, Bierinseln, Bierpinsel und sonstige Oasen gärigen Glücks, um
       örtliche Angriller, Schrankwandbesitzer oder Raufaserpatriarchen dauerhaft
       mit ober- und untergärigem Stoff zu versorgen.
       
       Kirmes jeden Tag, johlende Alt-Vater-Junkies, Bäuche, die sich wie
       schwappende Kugeln durch die Menge schieben, füllige Presswürste in engen
       T-Shirts mit Aufdrucken wie „Ick will Hopfen stopfen!“ oder „Erst die
       Molle, dann die Olle!“ oder „Je suis Bier!“ als Ausdruck besonders
       deutscher Reinheit.
       
       Ständig verspätete Busse und U-Bahnen, weil Wänste dauernd in Türen stecken
       bleiben oder deren Besitzer besoffen auf die Gleise stürzen. Partys an
       allen Ecken und Enden sowie massenweise Straßenfeste mit den erlesenen
       Düften aus Bratwurst, Fahne, Schweiß oder frisch Übergebenem.
       
       ## Intravenöse Direktinfusionen
       
       Einfallsreich ist der Berliner ja: Der Renner ist gerade auf Pulver
       runtergebratenes Bier, das direkt durch die Nase gezogen wird. Auch
       beliebt: intravenöse Direktinfusionen, die man im Rollwagen neben sich
       herschieben kann oder Rückentanks mit dicken Mundschläuchen oder Dreiräder
       mit Platz für mindestens sechs Bierkisten oder riesige Dachbehälter auf
       Pkws und Wohnmobilen zur Rundumversorgung der ganzen Familie. Dem
       Ideenreichtum des Bierhauptstädters sind hierbei keine Grenzen gesetzt.
       
       So bleibt am Ende, dass dieses Ereignis schlimmer als der Zweite Weltkrieg
       auch nicht werden kann, zumal man durch Maueröffnung und permanente
       Touristenströme psychisch bestens trainiert ist. Und 2016 und 2017 kann
       sich der Berliner schließlich richtig ausschlafen.
       
       Die zwei Jahre braucht er auch, denn 2018 gilt es, das nächste Jubiläum
       wahnhaft-rauschend wegzuballern: 125 Jahre Crystal Meth! 1893 erstmalig in
       Japan flüssig synthetisiert, wird es auch heute noch gern in blubbernden
       Glaskolben östlicher Privatküchenlabors auf kleine, niedliche Diamanten
       heruntergekocht, um den europäischen Markt mit gesichtshautzerfressenden
       Junkiepartys zu beleben.
       
       Freuen wir uns schon jetzt auf eine Berliner S-Bahn im Jahr 2018, die im
       Dreißig-Sekunden-Takt funkensprühend um den Innenstadtring donnert, und auf
       Bauarbeiter, die mit gefährlich hohem Blutdruck zwanghaft Turnhallen für
       Olympia in die Gegend mauern, und vor allem auf einen Großflughafen, der
       dann in nur wenigen Tagen endlich fertig genagelt wird!
       
       23 Feb 2015
       
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