# taz.de -- Griechenland und die Eurokrise: Aus der Not eine Tugend machen
       
       > Das Land braucht einen Schuldenschnitt. In Brüssel und Berlin denken
       > viele Akteure wegen des ungewissen Ausgangs der Wahl um.
       
 (IMG) Bild: Auf der Peloponnes ist es bitter kalt, in Brüssel rauchen die Köpfe.
       
       BRÜSSEL taz | Das dürfte der Bundesregierung gar nicht gefallen: Zwei
       Wochen vor den Wahlen in Griechenland kocht die Diskussion über einen
       möglichen Schuldenschnitt wieder hoch. Zwar hat sie noch nicht die
       offiziellen EU-Gremien in Brüssel erreicht, wie die Welt am Wochenende ohne
       Nennung von Quellen meldete. Die zuständige Eurogruppe hat sich mit dem
       Thema noch gar nicht befasst. Doch der Schuldenerlass schwebt im Raum,
       nicht zuletzt wegen eines alten EU-Versprechens.
       
       Ende 2012 hatten die EU-Finanzminister beschlossen, Athen weitere Schulden
       zu erlassen, wenn es einen Primärüberschuss (ein Plus im Staatsbudget vor
       Abzug des Schuldendienstes) erzielen sollte. Diese Vorgabe erfüllt Athen
       seit Monaten, doch die EU hat ihr Versprechen nicht eingelöst. Nun fordert
       es nicht nur der Chef der griechischen Linkspartei, Alexis Tsipras, ein.
       
       Auch in Berlin plädierte Regierungsberater Marcel Fratzscher dafür,
       Griechenland bei weiteren Reformzusagen die Hälfte der Staatsschulden zu
       erlassen. Der Chef des DIW schätzt, dass Deutschland „mit 40 bis 50
       Milliarden Euro dabei“ sein werde. In Brüssel meldete sich der frühere
       Wirtschaftsberater der EU-Kommission, Philippe Legrain, zu Wort. Ein
       Schuldenschnitt sei „nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern eine
       ökonomische Notwendigkeit“.
       
       Denn angesichts sinkender Preise steige die reale Schuldenlast von derzeit
       175 Prozent der Wirtschaftsleistung weiter. „Wenn Frau Merkel klug wäre,
       würde sie aus der Not eine Tugend machen und den Schuldenschnitt als Akt
       der Solidarität gewähren“, sagte Legrain. Wenn wegen der Griechenland-Krise
       der Euro scheitern sollte, würde man Deutschland dafür verantwortlich
       machen.
       
       ## „Grexit“ ist ein Bluff
       
       Ähnlich dramatisch beschreibt der Erfinder des „Grexit“, also des
       griechischen Austritts aus der Eurozone, Willem Buiter, die Lage. Die
       Eurokrise sei derzeit schlimmer als 2012, als Griechenland schon einmal
       kurz vor dem Kollaps stand, sagte der Citigroup-Experte. Die deutsche
       Drohung, Griechenland aus dem Euro zu schmeißen, sei nur ein „Bluff“, das
       Risiko sei viel zu groß.
       
       Für einen „schrittweisen Schuldenschnitt“ spricht sich auch Jens Bastian
       aus, der bis 2013 Mitglied der „Task Force“ der Kommission in Athen war.
       Griechenland könne unmöglich aus seinen Schulden „herauswachsen“, so
       Bastian im Deutschlandfunk. Nötig seien „europäische Lösungen“, die
       Griechenland und anderen verschuldeten Ländern wie Portugal oder Spanien
       helfen.
       
       Für solche Ansätze hatte sich zunächst auch der neue Kommissionschef
       Jean-Claude Juncker ausgesprochen. Er wollte sogar die umstrittene Troika
       absetzen, die Griechenland Spar- und Reformauflagen macht.
       
       Doch seit klar ist, dass es in Athen zu Neuwahlen kommt, schweigt er. In
       Brüssel geht man davon aus, dass hinter den Kulissen Notfallpläne
       erarbeitet werden – wie schon 2012. Diesmal geht es darum, die Folgen eines
       Wahlsiegs der Linken „beherrschbar“ zu machen, den Rauswurf aus dem Euro
       und damit eine neue Krise zu vermeiden. Ein Schuldenschnitt dürfte Teil der
       Pläne sein, auch wenn dies niemand offiziell zugibt. Die Frage ist wohl
       nicht mehr, ob er kommt – sondern wann.
       
       11 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
       
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