# taz.de -- Wirtschaftsverbrechen und Literatur: Die schwarze Seherin
       
       > Dominique Manotti kennt das Milieu, über das sie schreibt, sehr gut: die
       > akademische Elite, die Politikerkaste, die Welt der Industriellen. Sie
       > ist schonungslos.
       
 (IMG) Bild: Krimi noir - Madame Manotti, die Meisterin des Genres in einem Hamburger Hotel.
       
       HAMBURG/ PARIS taz | Gut möglich, dass die Finanzkrise Dominique Manotti
       zum Durchbruch verholfen hat. Als Chronistin französischer
       Korruptionsskandale, Fällen von Subventionsbetrug und Steuerhinterziehung,
       der Verstrickungen von Industrie und Politik, der Verselbstständigung des
       Finanzsektors. „Frankreich ist ein sehr korruptes Land“, sagt sie. „Und
       niemanden stört das.“
       
       Neben Fred Vargas ist Dominique Manotti die zweite international berühmtere
       französische Krimiautorin, und wie ihre bekanntere Kollegin ist sie
       gelernte Historikerin. Spezialgebiet: Wirtschaftsgeschichte. Oder besser:
       Wirtschaftsverbrechen.
       
       Heutzutage ist die Wirtschaft kriminell, und die Organisation der
       Gesellschaft weitgehend auch. Der Anschein von Gesetzmäßigkeit ist das Erbe
       einer früheren Zeit.
       
       ## Schule des Marxismus
       
       Madame Manotti ist klein, die grauen Haare sind kurz geschnitten, sie hat
       einen schönen breiten Mund und etwas auseinanderstehende Augen. Im Hotel in
       Hamburg, wo sie am Abend liest, trägt sie Hose, karierte Bluse und darüber
       eine Strickjacke. Wenn sie spricht, unterstreicht sie das Gesagte mit den
       Händen. „C’est ça, l’histoire“, sagt sie dann etwa, „darum geht es.“ Ihr
       geht es um die Gesellschaft oder vielmehr um das, was von ihr „noch
       bleibt“.
       
       Ich bin durch die Schule des Marxismus gegangen, so hat mein Verstand zu
       funktionieren begonnen. Der bestimmende Faktor der Wirtschaft als letzter
       Instanz überzeugt mich noch immer. 
       
       Dominique Manotti ist Pariserin, Jahrgang 1942, aufgewachsen im vornehmen
       16. Arrondissement. „Ich hatte eine schöne Kindheit.“ Sie kennt das Milieu,
       über das sie schreibt, die akademische Elite, die Politikerkaste, die Welt
       der Industriellen – mit ihren habituellen Marotten, moralischen
       Entgleisungen, finanziellen Verstrickungen. Der Kriminalroman oder der
       „Polar noir“ ist für Manotti die zeitgemäße literarische Form, Geschichte
       zu erzählen.
       
       Im Krimi geht es um die Institutionalisierung des Verbrechens – nicht als
       soziale Abweichung, sondern als das, was die Gesellschaft am Laufen hält.
       
       ## 
       
       ## 
       
       Sie ist eine illusionslose Erzählerin, Manottis Romane enden selten gut.
       Die Sprache ist nüchtern, knapp. Keine Umschweife machen. Wer stirbt,
       stirbt. „Die junge Frau rutscht an der Wand nach unten, sofort tot.“ Ihre
       Orts- und Personenbeschreibungen gleichen Anweisungen für ein Drehbuch.
       Nicht die Psychologie der Figuren steht im Vordergrund. Umso markanter das
       kurze Aufscheinen körperlicher Signale sexuellen Begehrens, Sinn für Essen,
       Musik, Wein. Und Pferde. „Wäre ich eine Erfolgsschriftstellerin, würde ich
       mir ein Rennpferd kaufen.“ Vor vier Jahren hatte sie einen schweren
       Reitunfall. Danach zog sie mit ihrem Mann in den sechsten Stock einer
       schönen Neubauwohnung im Norden von Paris. Fahrstuhl vorhanden. Sohn und
       zwei Enkelkinder in der Nähe. Eine ganze Wand ihres geräumigen Wohnzimmers
       ist mit Büchern und DVDs bestückt, viele Krimiklassiker.
       
       Sie mag den Franzosen Didier Daeninckx und den Amerikaner James Ellroy. Und
       sie verehrt Balzac. „Er hat den ’Roman noir‘ des 19. Jahrhunderts
       geschrieben.“ Ist es nicht ein bisschen verwegen, sich mit dem großen
       Romancier zu vergleichen? „Ich halte mich nicht für Balzac.“ Sie lacht,
       keineswegs verunsichert. „Aber er hat diese Welt gut gekannt, die er
       beschrieben hat.“ Die kleinen Leute, die Banker, die Journalisten, die
       Theater. Nie käme sie auf die Idee, über die chinesische Mafia in Paris zu
       schreiben. „Ich schreibe nur über das, wozu ich Bezug habe.“
       
       Dominique Manotti kam Anfang der 90er Jahre zum Schreiben, aus Frustration
       über den politischen Stillstand, seit der Sozialist François Mitterrand
       1981 die Präsidentenwahl gewonnen hatte. Da war sie Anfang 50. Hatte an
       einem Gymnasium unterrichtet, Studenten die Wirtschaftsgeschichte des 19.
       Jahrhunderts nähergebracht. Politisch aktiv war sie seit jeher, seit dem
       Algerienkrieg. 1968 kamen dann der Generalstreik, die Studentenunruhen.
       „Wir haben für eine Bildungsreform gekämpft. Zwei Jahre lang hatten wir
       alle Mittel in der Hand und haben es einfach nicht hingekriegt.“
       
       1968 – gescheitert. Eine Generation, die geträumt hat. Großspurig, ohne
       Realitätssinn. „Alle meine Romane kreisen um die Geschichte meiner
       Generation.“ Einer beschädigten Generation.
       
       ## Anderthalb Jahre Recherche
       
       „Ich war diesem Traum nie verfallen“, stellt sie klar. „Das verdanke ich
       meiner Familie. Als Unternehmer waren sie in der Realität verankert.“ Neben
       Job und Familie arbeitete sie als Gewerkschaftssekretärin der christlichen
       CFDT und verhandelte für die streikenden türkischen Textilarbeiter im
       Pariser Viertel Sentier die Legalisierung ihres Status. Das Material floss
       später in ihren ersten Roman, „Hartes Pflaster“ („Sombre Sentier“), ein.
       
       Das war eine einzigartige Erfahrung. Männer unter sich. In den Ateliers
       arbeiteten nur Männer. Für sie war ich keine Frau. Ich war die
       Gewerkschaft, die Institution. Und damit elementar. Denn außer dem
       Gewerkschaftsausweis besaßen sie keine Papiere. 
       
       Auf die Erfahrung in dieser Männerwelt geht auch der homosexuelle Kommissar
       Daquin in „Hartes Pflaster“ zurück. Zwei Romane gibt es mit Daquin, zwei
       mit Noria Gozhali, Polizeiermittlerin maghrebinischer Herkunft. Ja nicht
       langweilen. Während Dominique Manotti recherchiert, in der Regel anderthalb
       Jahre, schreibt sie nicht. Sie nutzt Studien und andere Quellen, führt
       Interviews, schröpft ihr Gedächtnis. Der Roman „Ausbruch“ über die
       italienische Exilantenszene der Rotbrigadisten in Frankreich speist sich
       aus eigener Anschauung, erzählt sie bei der Buchvorstellung in Hamburg.
       Manottis Mann arbeitete jahrelang als Korrespondent der italienischen
       Tageszeitung il manifesto in Paris. Heute assistiert er ihr bei den
       Recherchen – und klappert im Nebenraum mit den Kochtöpfen. Es gibt
       Schnitzel, grüne Bohnen und Steinpilze, danach Käse und selbst gebackenen
       Schokoladenkuchen.
       
       ## Sie hört ihre Charaktere
       
       Ihre Protagonisten entwickelt Manotti während der Recherche – oder vielmehr
       sie entwickeln sich. „Es gibt einen Moment, bevor ich zu schreiben beginne,
       da fangen die Figuren an, mit mir zu reden.“ Sie hört ihre Charaktere
       reden, vielleicht macht das die Lebendigkeit ihrer Dialoge aus. „Eine gute
       Geschichte macht noch keinen guten Roman“, sagt sie. Zum Niederschreiben
       benötigt sie dann etwa sechs Monate.
       
       Dominique Manottis Bücher, mit Preisen ausgezeichnet, verkaufen sich in
       Deutschland besser als in Frankreich. „Für uns war es genau das richtige
       Timing“, sagt die Verlegerin Else Laudan vom kleinen Hamburger Argument
       Verlag. Sie nennt drei Gründe: die Wirtschaftskrise, ihr Roman „Roter
       Glamour“ („Nos fantastiques années fric“), der auf Deutsch erschien, als
       der Strauss-Kahn-Skandal ruchbar wurde. Und eine Literaturkritik, die den
       Krimi in Deutschland „aus der Schmuddelecke“ geholt hat.
       
       „Ich weiß, dass meine Romane komplex sind. Ich versuche jedes Mal, das zu
       vereinfachen. Aber im Lauf der Arbeit verkomplexifiziert sich alles.“
       Manotti beugt sich über den Tisch und zeichnet drei Stränge auf. Beispiel:
       das Quartier Sentier aus „Hartes Pflaster“. Ein Strang sind die
       Nähateliers, einer weiterer der Drogenschmuggel, der dritte die Polizei.
       „Jeder Strang muss in sich stimmen. Erst dann kreuze ich die Stränge, sind
       die Dinge im Fluss.“ Die erste und die letzte Szene ändert sie nie.
       
       ## Die Chronologie ist wichtig
       
       Ohnehin folgen ihre Bücher stets einer chronologischen Ordnung. Bei „Hartes
       Pflaster“ sind es die sechs Monate des Streiks. „Das Schwarze Korps“, ihr
       einziger „historischer“ Roman, spielt in den Tagen nach dem 6. Juni 1944,
       der Landung der Alliierten in Frankreich. „Als Historikerin habe ich ein
       starkes Gespür für den Einfluss der Zeit auf die Menschen. Daten sind
       wichtig. Die Menschen leben konkret in einer Zeit.“ Sie hat versucht, ohne
       auszukommen: „Funktioniert nicht.“ Manottis Bücher verhandeln die jüngere
       Zeitgeschichte Frankreichs, vor alle
       
       m jene „fantastischen Jahre des Geldes“ („Roter Glamour“) in den 80ern, die
       mit Mitterand Einzug gehalten haben. „Wir haben nicht verstanden, was sich
       wirklich abgespielt hat. Die Globalisierung, der Neoliberalismus. Wir haben
       den Wandel nicht kommen sehen“, sagt Manotti. Ihre Protagonisten
       repräsentieren oft ein Milieu, in dem Geld, Sex, Drogen eine große Rolle
       spielen. Zu klischeehaft? „Nein“, sagt Manotti, „das sind Sitten, die mit
       der Macht verbunden sind.“ Riten der Selbstvergewisserung. „Diese Männer
       haben nicht das Gefühl, irgendetwas Schlimmes zu tun. Sie glauben, sie
       hätten das Recht dazu.“
       
       Manottis Personal sind Menschen, die sich in Hierarchien, in Institutionen
       bewegen – Einzelgänger findet man nicht bei ihr, Einzelkämpfer schon. Es
       gibt Intrigen, Rivalitäten zwischen den einzelnen Ermittlungsbehörden. „Die
       französische Gesellschaft ist sehr korporatistisch“, sagt Manotti.
       Geschützte Berufe, ständisches Denken, Eigeninteressen, nicht nur bei der
       Polizei. Die Klassenunterschiede seien seit Kriegsende verblasst, „desto
       wichtiger sind heutzutage diese Überbleibsel – in Form der Verteidigung der
       ständischen Interessen. Der Korporatismus geht durch alle Schichten.“ Er
       macht die französische Spielart der Korruption und Manipulation aus.
       
       ## Respekt vor der Geschichte
       
       Ihr nächster Roman wird in Marseille spielen. Die Anfänge des Ölhandels
       nach der Ölkrise 1973, die CIA in Frankreich. Sie schreibt gerade. Wenn
       Zeit so wichtig ist, hat sie dann einen regelmäßigen Arbeitsrhythmus? Nö.
       „Ich habe doch Zeit.“ Morgens läuft sie am Kanal vor ihrer Haustür im
       früher verrufenen 19. Arrondissement, heute ein gemischtes Viertel. Seit
       sie hier lebe, habe sie keine Auseinandersetzungen erlebt. „Wir glauben,
       das liegt am Wasser. Das beruhigt.“ An der aufgehübschten Uferpromenade
       spielen zwei Gruppen Boule. Ein Trupp älterer Franzosen. Und eine Gruppe
       junger Maghrebiner. „Als ich sie das erste Mal sah, dachte ich, ’on y est‘
       – endlich!“
       
       Der Weg am Kanal führt zur Rotonde de la Villette, dem ehemaligen Zollhaus
       am einstigen Industriehafen von Paris, heute ein Café. Wo jetzt überirdisch
       die Metro von Jaurès nach Stalingrad fährt, war früher die Stadtgrenze,
       erklärt Manotti. „Als Expertin fürs 19. Jahrhundert freue ich mich jedes
       Mal über diesen Anblick. Vorn die Rotonde aus dem 18. Jahrhundert, dahinter
       die Metro auf den hohen Stahlträgern, die extra in einer Kurve um die
       Rotonde herumführt.“ Aus Respekt vor der Geschichte.
       
       28 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine Seifert
       
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