# taz.de -- Ein Sieg für die Geschichtsbücher: „Lass das keinen Traum sein“
       
       > Brasilien will Geschichte schreiben und erlebt die schlimmsten Minuten
       > seiner Fußballgeschichte. Der DFB-Elf gelingt hingegen alles.
       
 (IMG) Bild: Deutschland - Brasilien: spielerisch und gefühlsmäßig weit auseinander.
       
       BELO HORIZONTE taz | Sie haben ihre Nationalymne nicht gesungen, sie haben
       sie gebrüllt. Heiß gemacht haben sie sich gegenseitig, dass es einem von
       außen fast schon ein wenig bang zumute wurde, ob da in Belo Horizonte
       wirklich ein Fußballspiel oder nicht eher eine wilde Keilerei anstehen
       würde. Richtige Adrenalinjunkies standen da auf brasilianischer Seite vor
       dem Spielbeginn auf dem Platz.
       
       Eine halbe Stunde später waren all jene bejammernswerte Gestalten. Der
       Schock stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Ratlos trotteten sie mit
       hängenden Köpfen über das Feld. Auf den Tribünen flossen schon längst die
       Tränen. Khedira hatte soeben das 5:0 für die Deutschen erzielt. Am Ende
       stand es 7:1 gegen den Gastgeber und WM-Favoriten. Ein kaum glaubhaftes
       Ergebnis. Ein Jahrhundertspiel, über dass man noch ewig sprechen wird.
       
       Geschichte wollte die Seleção an diesem Tag schreiben. Und sie hat es auf
       eine Weise getan, mit der wirklich niemand gerechnet hat. Nach einer halben
       Stunde war dieses Halbfinale faktisch beendet. So etwas hat man noch nie
       erlebt. Und Felipe Scolari stellte sich in dieser schweren Stunde wie ein
       Prellbock vor die Manschaft: „Ich bin verantwortlich für dieses
       katastrophale Ergebnis, ich werde in die Geschichte eingehen als der
       Trainer, der für die schlimmste Niederlage aller Zeiten verantwortlich
       ist.“
       
       Er sprach vom „schlimmsten Moment in meinem Leben als Trainer“. Nach dem
       ersten Treffer von Thomas Müller knickte die Mannschaft von Felipe Scolari
       ein, als hätte man ihr mit Neymar das Rückgrat genommen. Von der zur Schau
       gestellten strotzenden Kraft, dass man es auch ohne den verletzten
       Ausnahmekönner schaffen kann, war von da an nichts mehr zu sehen. Im Grunde
       genommen fing die Misere schon damit an, wie die brasilianische Abwehr beim
       ersten Tor den Eckball von Toni Kroos verteidigte – nämlich gar nicht.
       Thomas Müller stand so wundersam frei, als müsse man auf ihn, der da gerade
       sein fünftes WM-Tor erzielte sowieso nicht aufpassen.
       
       Auf diesen Rückschlag vermochte die Seleção aber überhaupt nicht zu
       reagieren. Als ob die Möglichkeit eines Rückstand in den taktischen
       Vorgesprächen nie in Betracht gezogen wäre. Eins ums andere Mal ließ man
       sich ausspielen. Die Deutschen, die zunehmend immer weniger angegangen
       wurden, konnten kombinieren wie sie wollten.
       
       ## Sieben Minuten
       
       Es folgten die sieben schlimmsten Minuten der brasilianischen
       Fußballgeschichte. Miroslav Klose (23.), Toni Kroos (24. +26.) und Sami
       Khedira (29.) schossen die Brasilianer wie eine Kegeltruppe aus dem
       Turnier. Über die sieben schönsten Minuten des deutschen Fußball sagte Mats
       Hummels: „Ich habe schon mit Blick auf die Anzeigetafel gedacht: Lass das
       keinen Traum sein!“
       
       Mitleid empfinde er nicht für das brasilianische Team, aber Mitgefühl.
       „Jede Mannschaft kann einmal so zusammenbrechen. Deshalb war es wichtig,
       dass wir das seriös zu Ende spielen und nicht versuchen Faxen zu machen und
       Zauberfußball zu spielen.“ Als Torhüter Julio Cesar in die Kabine ging,
       schaute er verzweifelt in den Himmel. Als wäre da oben irgendwo die Antwort
       zu finden, was da unten auf dem Rasen passierte. Die Partie, die so aus der
       erwartbaren Dimension geraten war, hatte etwas Unwirkliches, fast schon
       Gespenstisches. Die ersten Zuschauer verließen bereits nach einer halben
       Stunde ihre Plätze.
       
       Bundestrainer Joachim Löw schickte nach der Pause Per Mertesacker aufs
       Spielfeld, um Mats Hummels schon ein wenig fürs Finale zu schonen. Und die
       deutschen Fans sangen mit herzlosem Spott: „Ihr seid nur ein
       Karnevalsverein.“ Zumindest waren die Brasilianer offenbar in der zweiten
       Hälfte mit dem Vorsatz zurückgekehrt, sich wenigstens ein bisschen von dem
       verloren gegangenen Stolz zurückzuholen.
       
       ## Schürrles Doppelpack
       
       Der eingewechselte Paulinho etwa hatte sein kleines Privatduell mit
       Torhüter Manuel Neuer. Doch der Münchner parierte glänzend. Es sollte noch
       schlimmer kommen für die Seleção. Dafür sorgte der eingewechselte Andre
       Schürrle mit zwei Treffern. Beim 7:0 rauschte der Ball aus spitzestem
       Winkel ins Netz. Den DFB-Kickern, die verständlicherweise gar nicht mehr so
       auf Tempo drückten, gelang fast alles.
       
       Miroslav Klose erzielte übrigens sein insgesamt 16. WM-Tor und ist damit
       Rekordtorschütze. Ein historisches Ereignis, das an diesem so besonderen
       Abend eine Randnotiz bleiben musste, ebenso wie das 1:7 kurz vor Schluss
       durch Oscar. Die Deutschen stehen am Sonntag in Rio des Janeiro im Maracanã
       im Finale. Und Thomas Müller empfand dann doch so etwas wie Mitleid mit der
       Selecao. „Das haben sie nicht verdient, dass sie so untergehen. Sie haben
       so großartige Spieler.“
       
       9 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Kopp
       
       ## TAGS
       
 (DIR) WM 2014
 (DIR) Deutschland
 (DIR) Brasilien
 (DIR) Fußball
 (DIR) WM 2014
 (DIR) WM 2014
 (DIR) WM 2014
 (DIR) Fußball
 (DIR) WM 2014
 (DIR) WM 2014
 (DIR) WM 2014
 (DIR) Deutschland
 (DIR) WM 2014
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Miroslav Klose tritt aus DFB-Team zurück: Der Traum ist vorbei
       
       Beseelt vom WM-Sieg erklärt der deutsche Rekordtorschütze seine Rücktritt
       aus dem Nationalteam. Für Trainer Löw geht ein „Weltstar“.
       
 (DIR) Porträt Manuel Neuer: Humorlose Professionalität
       
       Argentinien hat Lionel Messi. Die Deutschen haben Manuel Neuer, den Messi
       unter den Torhütern. Ein Mann mit zwei Gesichtern.
       
 (DIR) Understatement im DFB-Team: Neue deutsche Sachlichkeit
       
       Nicht nur Joachim Löw spricht von Seriosität und Demut. Auch seine Spieler
       tun alles, um nicht abzuheben. Das ist schon fast gespenstisch.
       
 (DIR) Halbfinale stellt Twitter-Rekord auf: „Stop praying to Me, Brazil“
       
       Zum 7:1 zwischen Deutschland und Brasilien wurden weltweit über 35
       Millionen Tweets abgesetzt. Beliebt sind vor allem humorvolle Randnotizen.
       
 (DIR) Brasiliens Halbfinal-Debakel: Ein Land bricht ein
       
       In den Armenvierteln wurden nach dem Spiel gegen Deutschland Leuchtraketen
       gezündet. Einen nationalen Kollektivschock gibt es nicht.
       
 (DIR) Kommentar Deutschland - Brasilien: Löw? 7:1!
       
       Bundestrainer Joachim Löw lässt gegen Brasilien Jogi-Fußball spielen. Das
       Ergebnis ist eine Erniedrigung des Gastgebers.
       
 (DIR) Public Viewing an der Copacabana: Ostsee, Alter. Usedom!
       
       An der Copacabana betrachteten tausende Brasilianer bei Regen und Donner
       ihr großes Verderben. Es war so trist wie Usedom.
       
 (DIR) WM-Halbfinale Brasilien - Deutschland: Ein Spiel wie ein Autounfall
       
       Fünf Tore in 20 Minuten, nach einer halben Stunde war alles entschieden. In
       einem Jahrhundertspiel besiegt Deutschland den Gastgeber mit 7:1.
       
 (DIR) Ticker Deutschland - Brasilien: Letztes Tor entscheidet?
       
       Deutschland führt Brasilien vor und schießt insgesamt sieben Tore.
       Brasilien kommt kurz vor dem Schluss noch zum Ehrentreffer.
       
 (DIR) Taktik der deutschen Nationalmannschaft: Variabel mit hohem Risiko
       
       Einige aus dem DFB-Kader sind unverzichtbar – sonst hat der Trainer viele
       Möglichkeiten. Doch die taktische Flexibilität ist nicht ungefährlich.