# taz.de -- Russischsprachige Ukrainer: Kein Verständnis für die Separatisten
       
       > Im ukrainischen Dnjepropetrowsk spricht man Russisch. Doch für die
       > Separatisten hat man nichts übrig. „Die sind doch bekloppt“, meint ein
       > Bewohner.
       
 (IMG) Bild: Nicht nur Separatisten in der Ostukraine: Frau beim Bügeln der Nationalflagge.
       
       DNJEPROPETROWSK taz | Langsam schaukelt der Zug von der ostukrainischen
       Metropole Donezk in die benachbarte Millionenstadt Dnjepropetrowsk. Über
       die Bildschirme der Großraumabteile flimmert der alte sowjetische Film
       „Liebe im Dienst“. Unmerklich verlässt man das vielleicht letzte
       sowjetische Biotop der Ukraine, den Donbass.
       
       Dnjepropetrowsk, 240 Kilometer und drei Zugstunden von Donezk entfernt, ist
       ebenfalls russischsprachig. Ukrainisch hört man, wenn überhaupt, nur im
       Radio. Doch damit hören die Gemeinsamkeiten der beiden großen Städte des
       Ostens der Ukraine schon auf. Überall an den Straßen, aus Autos und
       Wohnungen wehen ukrainische Fahnen.
       
       Die Stadt gilt als das „Chicago der Ukraine“ – und als eine der schönsten
       des Landes. Direkt neben dem Zirkus liegt das Bierrestaurant Bavarius, wo
       Ukrainerinnen im grünen Dirndl bei russischer Musik Sushi und
       Warsteiner-Pils servieren.
       
       Am Ufer des Dnjepr, der hier gefühlt drei mal so breit wie der Rhein in
       Düsseldorf ist, hoffen Angler schon am frühen Morgen auf einen dicken
       Fisch, Gruppen von Joggern schwitzen vorbei. Auf Stromverteilerkästen klebt
       der Slogan „Sport! Nüchterner Lebenswandel! Nation!“ Daneben trinken
       Liebespärchen ihr erstes Bier des Tages – oder das letzte der vergangenen
       Nacht. Wer fotografieren will, tut dies einfach, ohne lange zu überlegen,
       ob man sich damit vielleicht verdächtig machen könnte. Junge Frauen
       schlendern in ukrainischer Nationaltracht am Ufer entlang.
       
       Im Zentrum der Stadt kündigt ein Aushang vor einer schlichten katholischen
       Kirche tägliche Gottesdienste in ukrainischer, polnischer und russischer
       Sprache an. Wenige hundert Meter weiter lädt die evangelisch-lutherische
       Kirche in der Karl-Marx-Straße zu Bibelstunden, Sonntagsschule und
       Deutschunterricht ein. In der selben Straße versuchen Zeugen Jehovas mit
       Passanten ins Gespräch zu kommen. Und nicht nur die riesige Synagoge im
       Herzen der Stadt zeugt vom aktiven jüdischen Leben. Auch fast jeder
       Supermarkt hat koschere Lebensmittel im Angebot.
       
       ## Kaum Kontakte nach außen
       
       Die Bevölkerungen von Dnjepropetrowsk und Donezk seien sich schon immer
       fremd gewesen, meint Ella, die in einem Café sitzt. In Donezk, fügt sie
       etwas abschätzig hinzu, könne man ja nichts anderes als Kohle abbauen. Da
       sei man in Dnjepropetrowsk schon etwas schlauer. Hier verarbeite man Kohle,
       Metall, baue wichtige Bestandteile von Interkontinentalraketen. Wegen der
       militärisch-sensiblen Produktion sei Dnjepropetrowsk bis 1989 eine
       geschlossene Stadt gewesen, so Ella. Deswegen habe es lange Zeit kaum
       Kontakte mit anderen Städten der Sowjetunion gegeben. „Schon gar nicht mit
       Donezk.“
       
       Hinzu komme, dass Donezk schon immer de facto eine russische Stadt gewesen
       sei. Zahlreiche ehemalige Berufssoldaten hätten sich dort niedergelassen.
       Viele Verurteilte in der Sowjetunion seien vor die Alternative gestellt
       worden, in ein Arbeitslager nach Sibirien zu gehen oder in einem Schacht im
       Donbass zu arbeiten.
       
       Berühmtester Bergarbeiter des Donbass war Alexej Stachanow, der 1935 die
       vorgeschriebene Norm in einer Schicht um das 14-fache übererfüllte. In der
       Sowjetunion habe man ihn deswegen als Helden gefeiert. Doch in
       Dnjepropetrowsk habe man „diesen Alkoholiker“ nur verachtet, so Ella.
       
       Dnjepropetrowsk unterstützt die Kiewer Übergangsregierung. Die
       prorussischen Separatisten weiter im Osten versteht man hier nicht. „Die
       sind doch bekloppt, die Donezker, Lugansker und Slawjansker“, meint ein
       Taxifahrer. „Jetzt müssen wir das auslöffeln, was die uns eingebrockt
       haben“, schimpft der Mann, während er gleichzeitig mit seiner Freundin am
       Telefon streitet – auf Russisch.
       
       Wer das Büro der Organisation Friends of the Earth in der Moskauer Straße
       betritt, fühlt sich wie in einem Treffpunkt der Anti-AKW-Bewegung.
       Aufkleber gegen genmanipulierte Nahrung, „Stoppt AKW“-Plakate, Sticker für
       klugen Energieverbrauch und Informationen gegen Fracking schmücken das
       Büro. Am Eingang zwei Fahrräder.
       
       ## Ruf nach der Nato
       
       Büroleiter ist Pavlo Chasan, ein aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde.
       Er spricht, wie er sagt, mit seiner Frau Russisch, und mit seinen Kindern
       Ukrainisch. Überhaupt sei die Stadt zu mindestens 90 Prozent
       russischsprachig, so Chasan. Bei der ukrainischen Sektion von Friends of
       the Earth ist er als „Energy Campaigner“ zuständig für „nachhaltige
       Entwicklung“.
       
       Man habe natürlich gerade in ökologischen Fragen regelmäßig
       Meinungsverschiedenheiten mit den Machthabern, so Chasan, der von Anfang an
       regelmäßig auf dem Maidan war. Doch im aktuellen Konflikt unterstütze man
       die Regierung und den von Kiew eingesetzten Gouverneur Igor Kolomojskij.
       
       Was östlich von der Stadt passiere, so Chasan, sei nichts anderes als eine
       „russische Aggression“. Dort müsste die internationale Gemeinschaft
       konsequenter handeln, die Nato müsse sich militärisch einmischen, ihre
       Luftwaffe zu den „von den Russen besetzten Gebäuden entsenden“. Der
       „eigentliche Aggressor Russland“, sagt Chasan, müsse aus dem Osten des
       Landes vertrieben werden, die Partei der Regionen des im Februar
       abgesetzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch und die mit ihnen verbündeten
       Kommunisten gehörten endlich verboten.
       
       Eine Forderung, die trotz der allgemeinen Unterstützung für die
       Übergangsregierung, in Dnjepropetrowsk umstritten ist. „Warum die Partei
       der Regionen verbieten?“, meint Elena, eine Angestellte in einem Hotel.
       „Solange sie ohne Waffengewalt und separatistische Forderungen die
       Interessen des Ostens vertritt, sollte man sie gewähren lassen. Im Falle
       eines Verbot wäre der Osten ja noch mehr unterrepräsentiert.“
       
       „Ich werde nie in meinem Leben die Janukowitsch-Partei wählen“, meint ein
       Taxifahrer. „Aber vielleicht ist es nicht schlecht, eine politische Kraft
       zu haben, die zwischen der Macht in Kiew und den Aufständischen im Osten
       vermitteln könnte.“
       
       Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl am Sonntag ist auch in
       Dnjepropetrowsk der Wahlkampf nicht mehr zu übersehen. Die Stände der
       Parteien stehen vielerorts einträchtig nebeneinander. Man kennt sich und
       macht eher Wahlkampf nach Vorschrift. Die Aktivisten unterhalten sich mehr
       untereinander als mit den Passanten.
       
       Als einzige wirbt ausgerechnet die Partei der Regionen mit ukrainischen
       Fahnen an ihrem Stand. Eine ältere Dame sitzt introvertiert vor einem Berg
       von Parteiprogrammen. Offensichtlich wird sie für ihre Zeit bezahlt.
       Erfreut überreicht sie auf Nachfrage ein Programm. Das scheint nicht jeden
       Tag vorzukommen, dass jemand darum bittet. Sieger sehen anders aus.
       
       Bei der Partei der Regionen macht man sich keine Illusionen über den
       Ausgang der Präsidentschaftswahl. Noch immer gilt sie als
       Janukowitsch-Partei. Doch nun ist die Krim weggefallen, die immer eine
       Hochburg der Partei war. In ihrer zweiten Hochburg, dem Donbass, wird die
       Abstimmung weitgehend boykottiert werden. Und seit dem Austritt bekannter
       Politiker in jüngster Zeit erwartet niemand in der Partei mehr einen
       Wahlsieg.
       
       23 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
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