# taz.de -- Kriegsfotografin über ihren Beruf: „Immer ein Außenseiter“
       
       > Als Frau in Afghanistan habe sie Zugang zu einer Lebenswelt, die ihren
       > Kollegen verwehrt bleibe, sagt die Kriegsfotografin Andrea Bruce.
       
 (IMG) Bild: Andrea Bruce: „Meine Angst nimmt zu.“
       
       taz: Frau Bruce, Glückwunsch zum „World Press Photo Award“ für Ihre
       Fotografie aus Syrien. Sie berichten seit zehn Jahren aus Kriegsgebieten,
       vorwiegend aus dem Irak und Afghanistan. Was hat Sie motiviert,
       Kriegsfotografin zu werden? 
       
       Andrea Bruce: Zum ersten Mal zog ich los, weil ich einen Auftrag bekommen
       hatte. Ich hatte bis dato nur Lokalberichterstattung gemacht. Ich
       fotografierte das Alltagsleben in den USA. Nach dem 11. September wurde ich
       in den Irak und nach Afghanistan geschickt, wie so viele amerikanische
       Fotojournalisten, die beauftragt wurden, über den Krieg zu berichten.
       
       Wie sind Sie vorgegangen? 
       
       Ich begriff schnell, dass es wichtig war, eine Brücke zwischen den
       unterschiedlichen Kulturen zu schlagen, zwischen der Kultur der USA und der
       des Irak. Ich wollte den Alltag der Menschen in Kriegsgebieten
       dokumentieren. Selbstverständlich musste ich auch über das heftige
       Blutvergießen berichten, über die Traumata des Krieges. Aber ich fand es
       wichtig, eine Balance zu finden zwischen der Lokalberichterstattung, wie
       ich sie zuvor in den USA betrieben hatte, und der notwendigen
       Kriegsberichterstattung.
       
       Kriegsfotografen sind fast ausschließlich Männer. Und sie fotografieren
       meist in von Männern dominierten Gesellschaften. Wie ist es für Sie als
       Frau, in einem solchen Kontext zu arbeiten? 
       
       Im Irak, in Afghanistan, im Nahen Osten, in Asien werde ich mit Respekt
       behandelt. In mancher Hinsicht ist es sogar einfacher für mich, über
       gewisse Themen zu berichten, als für männliche Kollegen. Man betrachtet
       mich als eine Art ehrenwerter Mann. Zugleich komme ich den Menschen oft
       vor, wie ein Alien aus einem fremden Universum.
       
       Bei welchen Themen hatten Sie es als Frau leichter? 
       
       Die Afghanen gestatten mir Zugang zu einer Lebenswelt, die den afghanischen
       Frauen verwehrt bleibt. Und gleichzeitig habe ich die Möglichkeit, den
       Frauen eine Stimme zu verleihen. Mein Geschlecht ermöglicht mir einen
       Zugang zu den Afghaninnen, den meine männlichen Kollegen nicht haben. Es
       ist sehr wichtig, in Afghanistan und dem Nahen Osten Journalistinnen zu
       haben.
       
       Sie waren auch embedded bei der US-Armee, als eine
       Kriegsberichterstatterin, die einer Einheit zugewiesen wurde. Wie sahen
       Ihre Arbeitsbedingungen in diesen Phasen aus? 
       
       Sie waren viel härter. Es war schwieriger für mich, in die Kultur der
       Soldaten einzudringen als in die mir fremden Kulturen Afghanistans oder des
       Irak. Das mag seltsam klingen, ist aber so. Denn die einzige Frau in einem
       Militärcamp zu sein, in dem Männer sechs Monate lang keine Frau gesehen
       haben, und dann professionellen Kontakt mit den Soldaten herzustellen, das
       ist eine harte Aufgabe. In diesem Kontext ist ein Journalist ohnehin immer
       ein Außenseiter. Aber eine Frau wird noch viel stärker als Außenstehende
       wahrgenommen. Man ist extrem isoliert. Dann muss man die Kraft haben, einen
       professionellen Kontakt zu den Soldaten herzustellen und den Soldaten näher
       zu kommen, in dem man etwa über persönliche Dinge spricht. Manchmal gelang
       mir das. Aber ich brauchte Monate dafür, diese Nähe herzustellen und
       Soldaten dazu zu bringen, mir zu vertrauen. In einem militärischen Umfeld
       zurechtzukommen, ist beinhart.
       
       Welche Sicherheitsmaßnahmen treffen Sie in Kriegsgebieten, in Afghanistan
       und im Irak? 
       
       Das hängt davon ab, für wen ich arbeite. Wenn ich für die New York Times
       arbeite, gibt es ein striktes Protokoll für Sicherheitsmaßnahmen. Ich muss
       mit den Mitarbeitern der New York Times zusammenarbeiten und Fahrer und
       Übersetzer nehmen, die mit der New York Times einen Vertrag haben. Man
       fährt in gepanzerten Fahrzeugen. Jede Bewegung, die man macht, ist mit dem
       Sicherheitsteam abgestimmt. Man darf, je nachdem, wie die aktuelle Lage vor
       Ort aussieht, nur 15 Minuten an einem Standort bleiben. Man darf einen Ort
       nicht täglich aufsuchen. Wenn möglich, arbeite ich aber lieber autonom.
       Dann arbeite ich mit Fahrern oder Übersetzern zusammen, denen ich vertraue,
       weil ich sie seit sehr vielen Jahren kenne.
       
       Was beachten Sie, wenn Sie unterwegs sind? 
       
       Ich versuche, mich möglichst unauffällig zu bewegen. Ich versuche, in der
       Gesellschaft aufzugehen. Als westliche Frau bin ich dafür ein wenig zu
       groß. Ich verschwinde nicht vollkommen in der Masse. Ich verschleiere mich,
       wenn ich im Auto fahre. In Afghanistan trage ich eine Burka, wenn ich
       außerhalb von Kabul arbeite. Ich trage immer Kleidung, die auch die Frauen
       in der Region tragen. Meine Hauptsorge allerdings ist nicht meine eigene
       Sicherheit, sondern die Sicherheit der Menschen, über die ich berichten
       will, und die meiner Mitarbeiter. Das sind die Menschen, für die meine
       Anwesenheit gefährlich ist. Im Verhältnis passiert es nicht so oft, dass
       Medienvertreter Opfer werden. Normalerweise trifft es Zivilisten. Aber
       manchmal sind auch Journalisten zur falschen Zeit am falschen Ort.
       
       Wie können Sie die Sicherheit von Zivilisten oder Ihren Mitarbeitern
       garantieren? 
       
       Die meisten Fotos mache ich bei den Einheimischen zu Hause. Auf der Straße
       fotografiere ich kaum. Ich will nicht, dass Passanten oder Nachbarn sehen,
       dass ich fotografiere.
       
       Sie haben sehr viel mitansehen müssen: Tote, Sterbende, Gewalt, Chaos. Wie
       gehen Sie damit um, permanent Zeugin zu sein? Wie bewältigen Sie diese
       Bilder, die Eindrücke? 
       
       Ich bin gerade aus Liberia zurückgekommen. Die Nachricht, dass Anja (Anja
       Niedringhaus, Anm. d. Red.) tot ist, hat mich dort erreicht. Ich war
       umgeben von Menschen, die 14 Jahre Krieg durchlebt hatten. Die meisten
       hatten ihre Eltern verloren sowie die gesamte Infrastruktur ihres Landes.
       Wenn man umgeben ist von Menschen, die außerordentlich stark sind, wie in
       Liberia oder Afghanistan, von denen viele ihre Angehörigen im Krieg
       verloren, dann verändert das den eigenen Blick. Gleichzeitig wird meine Wut
       auf den Krieg immer größer. Das verbindet mich mit den Menschen, die ich
       fotografiere. Ich begreife ihren Zorn.
       
       Was bedeutet das für Ihr eigenes Leben? 
       
       Das sind vor allem kleine Dinge: Ich mache Yoga, schreibe Tagebuch, ich
       bleibe immer in Kontakt mit Freunden und Familie. Ich weine viel. Weil ich
       eine Frau bin, fällt mir das leichter. Vielleicht ist es für die Männer
       noch härter, durch die Gesellschaft, in der wir aufgewachsen sind, die
       eigene Traurigkeit zu äußern. Vielleicht sammelt sich auch etwas Negatives
       in mir an. Es ist schwer, Zeugin zu sein. Aber es noch viel härter, in den
       Ländern zu leben, in denen ich arbeite.
       
       Haben Sie Angst, wenn Sie da draußen auf sich allein gestellt sind? 
       
       Ja, meine Angst nimmt zu. Es wird härter für mich. Ich glaube, dass gilt
       für viele Kriegsfotografen, die diese Arbeit bereits längere Zeit machen.
       Wenn ich vor Ort bin, ist es mehr die Antizipation Angst machender
       Situationen, die mich beunruhigt. Wenn ich fotografiere, mit Menschen
       spreche, dann bin ich nicht ängstlich. Die Gewalt, die passiert, ist so
       zufällig. Heute gehe ich nicht mehr so oft an die Frontlinie. Aber ebenso
       wie Anja hätte auch ich in diesem Auto sitzen können, um über die Wahlen in
       Afghanistan zu berichten. Ich werde auch weiterhin von Kriegen berichten.
       Es geht gar nicht anders. Wir müssen die Menschen informieren. Wir müssen
       diese Bilder sehen. Was geschieht, muss sichtbar sein.
       
       1 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gunda Schwantje
       
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