# taz.de -- Schwuler Schiedsrichter: „Ich will meine Rechte zurück“
       
       > Halil Ibrahim Dincdag erzählt, warum er in der Türkei keine Fußballspiele
       > mehr pfeifen darf – und wie er die Chancen nach seiner Klage vor Gericht
       > einschätzt.
       
 (IMG) Bild: Nach einem Coming-Out würde ein Fußballer ganz schnell nicht mehr in der Süper Lig spielen, vermutet Halil Ibrahim Dincdag
       
       taz: Herr Dincdag, Sie dürfen seit 2009 keine offiziellen Spiele mehr in
       der Türkei pfeifen. Warum? 
       
       Halil Ibrahim Dincdag: Der Türkische Fußball-Verband (TTF) gab als Grund
       für die Entscheidung an, ich hätte keinen Militärdienst absolviert. In den
       Verbandsrichtlinien steht, dass man nur Schiedsrichter werden kann, wenn
       man Wehrdienst geleistet hat. Den habe ich angetreten, wurde aber wegen
       „psychosexueller Störungen“ ausgemustert.
       
       Der nicht geleistete Militärdienst wurde ihnen also zum Verhängnis? 
       
       Begründet hat der Verband meine Suspendierung damit, dass ich nur ein
       zweitklassiger Schiedsrichter sei. Daraufhin habe ich Beschwerde eingelegt.
       Die Antwort auf diese Beschwerde und die Gründe für die Ausmusterung kamen
       dann in die türkische Presse – irgendwann auch mein Name. Im Mai 2009 bin
       ich dann selbst vor die Presse getreten, um es zu bestätigen.
       
       Seither standen Sie nicht mehr als Schiedsrichter auf dem Platz? 
       
       Im März 2009 habe ich das letzte Spiel als Verbandsschiedsrichter
       gepfiffen, ein Spiel der ersten türkischen Frauenliga. Der eigentliche
       Grund für meine Suspendierung ist natürlich, dass ich homosexuell bin. Ein
       hoher Funktionär des TFF hat sogar vorgeschlagen, ich solle unter anderem
       Namen und anderer Identität pfeifen.
       
       Wie war es denn für Sie, hier in Berlin (bei Türkiyemspor Berlin III gegen
       Tennis Borussia Berlin II, d. Red.) mal wieder auf dem Platz zu stehen und
       ein Spiel zu pfeifen? 
       
       Ich war sehr gerührt, dass hier einige Fangruppen gekommen sind, um mich
       mit Bannern und Sprechchören zu unterstützen.
       
       Glauben Sie, dass Sie in der Türkei noch mal ein Spiel pfeifen werden? 
       
       Ja, ich glaube daran. Sonst würde ich nicht gerichtlich gegen den
       türkischen Fußballverband vorgehen. Ich habe gegen sie geklagt, weil sie
       meine Homosexualität öffentlich gemacht haben, und will meine Rechte als
       Schiedsrichter zurück.
       
       Mit welchem Erfolg? 
       
       Es gab bisher zwölf Verhandlungen, aber noch keine abschließende
       Entscheidung. Am 22. April soll die letzte Verhandlung sein.
       
       Wie ist die Stimmung gegenüber Homosexuellen im türkischen Fußball? 
       
       Die Fans sind positiver als etwa die Funktionäre oder die Spieler. Es gab
       18 Fan-Gruppierungen in der Türkei, die mich unterstützt haben.
       
       Können Sie sich vorstellen, dass in der Süper Lig ein Spieler-Coming-out
       möglich ist? 
       
       Nein, das würde kein Spieler machen. Und wenn, würde er wohl nicht
       weiterhin in der ersten Liga spielen.
       
       Haben Sie denn Unterstützung von schwul-lesbischen Organisationen in der
       Türkei bekommen? 
       
       Ja, ich bin häufiger zu Veranstaltungen eingeladen worden und konnte über
       meinen Fall berichten. Und die Gruppen haben mir in der für mich
       schwierigen persönlichen Situation und bei den daraus resultierenden
       psychischen Problemen geholfen.
       
       Glauben Sie, dass viele türkische Bürger Homosexualität tatsächlich für
       eine „psychosexuelle Störung“ halten? 
       
       Ich denke, da ist die Türkei sehr gespalten. Es gibt natürlich die
       Fundamentalisten, die Homosexualität für etwas Krankhaftes halten – ich
       glaube aber, dass die Hälfte der Türken es einfach für eine sexuelle
       Neigung hält.
       
       Nach den Gezipark-Protesten hatten viele gehofft, diese könnten das Klima
       gegenüber Schwulen und Lesben in der Türkei verbessern. Wie sehen sie die
       Lage derzeit, nach Erdogans Erfolg bei den Kommunalwahlen? 
       
       Die Situation von Schwulen, Lesben und Transsexuellen in der Türkei ist
       besser geworden, und sie wird auch nicht wieder schlechter werden. Auch
       Erdogan wird merken, dass die Homosexuellen bereit sind, für ihre Rechte zu
       kämpfen.
       
       Was kann Ihr Besuch in Deutschland bewirken? 
       
       Im Idealfall sorgt er für Öffentlichkeit in Deutschland und auch in der
       Türkei – und die Verantwortlichen des Verbands werden sich darüber bewusst,
       wie homophob sie eigentlich sind.
       
       12 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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