# taz.de -- 50 Jahre Militärputsch in Brasilien: Das Erbe der Gewalt
       
       > Zum 50. Jahrestag des Militärputsches in Brasilien fordern Opferverbände
       > die Aufarbeitung der Geschichte. Doch viele Menschen schweigen lieber.
       
 (IMG) Bild: Am 1. April 1964 stürzten Militärs den gewählten linken Präsidenten. In Rio de Janeiro rollten die Panzer.
       
       RIO DE JANEIRO taz | Nicht einmal über das Datum herrscht Einigkeit. Für
       die Militärs fand die „Revolution von 1964“, die Brasilien vor „Chaos und
       Kommunismus“ rettete, am 31. März statt. Doch Präsident João Goulart war an
       diesem Tag noch im Amt. Erst am 1. April konnten sich die Putschisten
       durchsetzen. So gedenken die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer
       erst am Dienstag des Staatsstreichs, der 21 Jahre Diktatur einleitete.
       
       Auch der Streit über die Begriffe hält bis heute an. „Machtübernahme“ statt
       „Putsch“ ist die Version vieler rechter Politiker; deren Bezeichnung
       „Revolution“ findet sich noch in vielen Schulbüchern, auf offiziellen
       Websites und wird wie selbstverständlich von Rednern im Kongress verwendet.
       
       Die Linke dagegen spricht vom Beginn einer „zivil-militärischen“ Diktatur.
       In ihrer Lesart waren die Streitkräfte ausführendes Organ einer breiten
       Koalition von rechten Parteien, Unternehmern und Medien, die mit
       Unterstützung von Kirchenleuten und den USA die Demokratie in Brasilien
       beendeten.
       
       Der Streit über die Interpretation und den Umgang mit der Vergangenheit ist
       unterschwellig. Die Mehrheit in Brasilien bevorzugt das Schweigen, immer
       wieder ist zu hören, dass „alte Wunden besser nicht aufgerissen werden
       sollen“.
       
       Hinzu kommt der politische Unwille zur Aufarbeitung. Erst im Jahr 2012
       wurde eine Wahrheitskommission ins Leben gerufen, allerdings ohne
       juristisches Mandat. Ein Amnestiegesetz von 1979, also noch aus der Zeit
       der Diktatur, schützt die damaligen Täter in Uniform, aber auch die
       Guerilleros im Widerstand vor Strafverfolgung. Nach einer Entscheidung des
       Obersten Gerichts bleibt es unantastbar, obwohl internationale Instanzen
       wie der Interamerikanische Gerichtshof fordern, es zu annullieren.
       
       ## Zellengenossin Dilma
       
       „Noch bis vor Kurzem wurde der Jahrestag in den Kasernen als glorreiche
       Revolution gefeiert“, klagt Ana Bursztyn Miranda. Die ehemalige
       Widerstandskämpferin sieht die Aufarbeitung der Diktatur noch ganz am
       Anfang. Nachbarländer wie Argentinien oder Chile seien viel weiter. Dort
       gebe es bereits Gedenkstätten und die Täter von damals würden juristisch
       verfolgt.
       
       Militärische Feiern zum 50. Jahrestag des Putsches soll es nicht geben.
       Präsidentin Dilma Rousseff wies die Streitkräfte an, auf Äußerungen und
       Festakte zu verzichten. Unwahrscheinlich, dass sich Rousseff, die selbst im
       Widerstand aktiv war, die festgenommen und gefoltert wurde, zu dem Thema
       äußern wird. Sie will es sich mit keiner Seite verscherzen, zumal sie im
       Oktober für eine zweite Amtszeit kandidieren wird.
       
       Selbst ihr wortgewandter Vorgänger, der ehemalige Gewerkschafter Lula da
       Silva, gibt sich defensiv: „Wir müssen der tragischen Vergangenheit
       gedenken und heute für mehr Demokratie kämpfen.“ Ana Miranda schüttelt
       nachdenklich den Kopf: „Es wäre schön, wenn meine frühere Zellengenossin
       Dilma Rousseff deutliche Worte sprechen würde.“
       
       Miranda war dabei, als vor neun Tagen ein ehemaliges Folterzentrum im
       Zentrum von Rio de Janeiro besetzt wurde. Gut hundert Menschen versammelten
       sich vor der einstigen Polizeizentrale DOPS (Departamento de Ordem Política
       e Social), befestigten Transparente an der Fassade und besprühten den
       Bauzaun davor. Die zweitägige Besetzung mit Seminaren und
       Kulturveranstaltungen war Teil der Aktionswochen, mit der Gruppen von
       Angehörigen und soziale Bewegungen eine aktive Auseinandersetzung mit der
       Diktatur fordern. Unter dem Motto „Nunca Mais“ („Nie wieder“) werden auch
       in anderen Ländern, in die viele Aktivisten damals ins Exil flohen,
       Aktionstage veranstaltet.
       
       ## Symbole der Gewalt
       
       Eine Widerstandskämpferin verlas die Namen derjenigen, die die Folter an
       diesem Ort nicht überlebten. Dann zählte sie die namentlich bekannten Täter
       auf, die bis heute unbehelligt leben. Die Demonstranten fordern eine
       Gedenkstätte für die Opfer der Diktatur in dem monumentalen Bau.
       
       Die Zivilpolizei aber, die das Gebäude verwaltet, will es in ein
       Polizeimuseum umwandeln. Die 1910 eingeweihte Polizeizentrale gilt als
       historisches Symbol der Unterdrückung durch brasilianische
       Sicherheitskräfte. 1936 saß dort auch die deutsch-jüdische Kommunistin Olga
       Benario ein, bevor sie an Nazi-Deutschland ausgeliefert wurde.
       
       Der Mangel an Aufarbeitung der Diktatur ist nach Ansicht von Ana Miranda
       auch Grund für viele Missstände in heutiger Zeit. „Die brasilianische
       Polizei ist extrem gewalttätig.“ Immer wieder würden Unschuldige
       erschossen, zumeist Menschen in den Armenvierteln. „Hätte es nach der
       Rückkehr zur Demokratie 1985 eine Reform der Sicherheitskräfte gegeben,
       gäbe es in unserem Land viel weniger Gewalttaten und die Demokratie wäre
       gefestigt“, glaubt Miranda.
       
       1 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Behn
       
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