# taz.de -- HIV-Prävention in Uganda: Das Tabu
       
       > In Uganda wird nicht über Verhütung, Familienplanung und HIV gesprochen.
       > Zwei junge Menschen wagen es trotzdem – und legen sich mit den Männern
       > an.
       
 (IMG) Bild: Innocence Nagudi lässt sich von den nörgelnden Männern im Dorf nicht beeindrucken
       
       MUKUJU/KAMPALA taz | Innocence Nagudi und Joseph Ojore sind gekommen, um
       ein paar Tabus zu brechen. Es ist Donnerstagvormittag am ugandischen
       Nationalfeiertag. Ein Dorf weit im Osten, nahe der Grenze zu Kenia.
       Einfache flache Häuser säumen die sandigen Straße. Rote Erde, viel Grün.
       Kein Strom, kein fließend Wasser. Der Metzger hat seine Schlachtware auf
       einem Holzgestell ausgebreitet, gelangweilt wedelt er Fliegen fort. Eine
       Gruppe von sechs Männern sitzt vor der Dorfkneipe um einen großen Tonkrug
       mit Bier, das sie mit Bambusstrohhalmen trinken. Die Ruhe währt nicht mehr
       lange.
       
       Nagudi und Ojore, beide Anfang zwanzig, engagieren sich in einem Jugendklub
       und sind gerade aus der nahe gelegenen Kleinstadt Mukuju ins Dorf gefahren.
       Wenig später schart sich bereits ein gutes Dutzend kichernder Kinder um
       sie, barfuß und mit kurz geschorenen Haaren, der typischen
       Schulkinderfrisur. Die cooleren Jungs halten etwas Abstand, schauen aus der
       zweiten Reihe zu. Während Nagudi ein Plakat entrollt, lockt Joseph mit
       kräftiger Stimme sämtliche Dorfbewohner an.
       
       Drei ältere Damen schieben sich näher an das Geschehen auf dem Marktplatz
       heran. Sie tragen Festtagskleidung – bodenlange Kleider, ein Seidentuch um
       die Hüfte geschlungen, ein passendes Kopftuch, an den Füßen Flipflops. Dann
       reden die beiden auf dem Dorfplatz. Der Dorfvorsteher hat es erlaubt. Über
       Verhütungsmittel, über Familienplanung, HIV und Aids – Dinge, über die man
       in Uganda nicht mal in der Familie spricht, geschweige denn in der
       Öffentlichkeit.
       
       „Gerade für Frauen und Jugendliche gibt es Bildungs- und
       Gesundheitsprogramme, zu denen wir euch einladen wollen“, sagt Nagudi. Die
       Männer am Bierkrug reagieren ungehalten. „Und was wird für uns getan?“,
       fragt einer lautstark. „Genau“, gibt ihm ein anderer Recht, „diese ganzen
       Projekte, die sind ja nur was für die Frauen und Kinder.“
       
       ## Auch Männer sind eingeladen
       
       In Uganda haben traditionell die Männer das Sagen, nicht nur auf dem Land.
       Kommentarlos hören die drei Frauen aus dem Dorf der Diskussion zu.
       Schließlich wenden sie sich ab und gehen. Nagudi aber, selbstbewusst in
       einer kurzärmligen, gestreiften Bluse und schmalem blauem Rock lässt sich
       nicht verunsichern.
       
       Auch der Dorfvorsteher springt ihnen bei, beschwichtigt das Genöle der
       Männer. „Wir schließen niemanden aus“, sagt Ojore, der junge Mann im roten
       T-Shirt, „wir laden auch euch Männer ein, die verschiedenen Projekte
       anzusehen.“ Die Themen Familienplanung und Verhütung sind tabu. Kinder sind
       wichtig im überwiegend christlichen Uganda. Das Durchschnittsalter liegt
       bei 15,5 Jahren – damit hat das Land die jüngste Bevölkerung der Welt. Im
       Schnitt bekommt jede Frau sechs Kinder, laut Erhebungen zwei mehr als
       gewünscht.
       
       Die Menschen in Uganda haben ein weiteres erdrückendes Problem – wieder:
       Aids. Lange galt der Staat in der Region als Vorzeigeland im Kampf gegen
       die Immunschwächekrankheit. Mit intensiven Aufklärungskampagnen hat die
       Regierung es geschafft, die HIV-Ansteckungsrate von 18 Prozent in den
       Neunzigerjahren auf fünf Prozent im Jahr 2000 zu senken.
       
       Nach UN-Angaben steigt sie jetzt wieder. Ein Grund sind die mittlerweile
       auch auf dem Land relativ leicht erhältlichen antiretroviralen Medikamente.
       Früher starben die Menschen abgemagert und stigmatisiert. Jetzt fühlen sich
       viele offenbar wieder sicher. Der Irrglaube, dass die Therapie, die den
       Ausbruch von Aids unterdrückt, die Infektion tatsächlich heilt, ist weit
       verbreitet.
       
       ## Eine Theateraufführung gegen den Tabu
       
       Zurück in Mukuju. Auf dem Gelände des Primary Teachers’ College tragen
       Dutzende junge Leute Hocker und Stühle auf dem großen Hof. Sie gruppieren
       sie im Kreis um die improvisierte Bühne. Nagudi, Ojore und zwölf andere
       junge Frauen und Männer vom Jugendklub werden gleich ein Theaterstück
       aufführen. Ein Drama in mehreren Akten – der Konflikt mit den Eltern, die
       Lügen, um das Tabu zu wahren, Schwangerschaft, HIV. Das Stück behandelt
       harte Themen – und damit das alltägliche Leben gerade auf dem Land.
       
       Die hundert Zuschauer sind angehende Grundschullehrer. Die Stimmung ist
       gut. Ojore spielt die Hauptrolle. Beim Publikum kommt er gut an. Das Stück
       endet mit einem Happy End: Mithilfe von Medikamenten kann das junge Paar
       ein nahezu normales Leben führen. Das stimmt zwar – aber es transportiert
       auch eine fatale Botschaft. Vor allem Männer schließen aus den neuen
       Behandlungsmöglichkeiten, dass die ungeliebten Kondome nicht mehr nötig
       sind.
       
       Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung engagiert sich seit Mitte der 90er
       Jahre in Uganda. Die Organisation mit Sitz in Hannover versteht sich auch
       als Partner der Regierung und fördert den Ausbau eines Netzwerks aus
       Jugendklubs zur Sexualaufklärung und Aids-Prävention – Nagudi und Ojore
       sind sozusagen im Dienst der Stiftung unterwegs. In erster Linie geht es um
       die Mädchen. Denn sie haben in der patriarchalen ugandischen Gesellschaft
       keine Priorität.
       
       „Nur männliche Kinder sind echte Kinder“, sagt die konservative
       Parlamentarierin Sylvia Namabidde Ssinabulya. Diese Ansicht verschafft den
       Männern bis heute das Recht auf eine Zweitfrau, wenn die erste nur Mädchen
       gebiert. Auch eins der Tabus, über die man nicht spricht. Stattdessen
       treiben viele Frauen ab, auch wenn Schwangerschaftsabbrüche in Uganda
       verboten sind. Jede vierte Frau ist betroffen.
       
       ## Veränderung durch Bildung und Aufklärung
       
       In Kampala, der Hauptstadt Ugandas, finden diese Mädchen Zuflucht. „Bei uns
       wird niemand zurückgewiesen“, sagt Rose Omega Aliru. Die Hebamme arbeitet
       seit vier Jahren für das Naguru Center, das die deutsche Stiftung gemeinsam
       mit der schwedischen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit unterstützt.
       „Auch nicht die Mädchen, die nach einer Abtreibung herkommen.“
       
       „Eltern können unsere Arbeit sabotieren“, erklärt Peter Mpinga, der
       Direktor, „wir müssen bei allen Beteiligten viel Überzeugungsarbeit
       leisten.“ Gerade weil es in den Familien verpönt ist, über Sex oder
       Verhütung zu sprechen. Offiziell propagiert Präsident Yoweri Museveni eine
       Vierkindpolitik. Hinter vorgehaltener Hand jedoch machen sich die Ugander
       über die Lippenbekenntnisse des Präsidenten lustig. Museveni soll, so das
       Gerücht, neben seinen vier ehelichen Kindern noch mindestens zehn weitere
       haben. Warum etwas umsetzten, woran selbst der Präsident nicht wirklich
       glaubt?
       
       Bildung und Aufklärung seien der Schlüssel zur Veränderung, sagt die
       Parlamentarierin Ssinabulya. Aber die Zusammenarbeit mit den Schulen ist
       mühsam. Katholische Schulen verwahren sich völlig gegen Sexualkunde, aber
       auch staatliche Einrichtungen bieten kaum Aufklärungsunterricht an. Zudem
       können längst nicht alle Kinder zur Schule gehen. Zwar ist der Schulbesuch
       seit 1997 kostenlos, dennoch können es sich viele Familien schlicht nicht
       leisten: Schuluniformen, Bücher, Hefte, Stifte, Mittagessen. Nur ein
       Drittel der Kinder beendet die Grundschule. Meistens müssen vor allem die
       Mädchen die Schule vorzeitig verlassen. Gerade die, die von Bildung am
       meisten profitieren könnten.
       
       In Mukuju ist die Theatervorführung inzwischen zu Ende. Nach der
       Vorstellung erzählt auch Joseph Ojore, dass er nicht lange zur Schule gehen
       konnte. Er musste mithelfen, zum Familieneinkommen dazuverdienen. Der junge
       Mann sieht dennoch zufrieden aus. „Nein, eine Ausbildung war leider nicht
       drin“, sagt er bedauernd. Heute bewirtschaftet er ein kleines Stück Land –
       und spielt Theater.
       
       Die Reise nach Uganda wurde von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung
       finanziert.
       
       27 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marie-Claude Bianco
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Uganda
 (DIR) Aufklärung
 (DIR) Schwerpunkt HIV und Aids
 (DIR) Prävention
 (DIR) Verhütung
 (DIR) Uganda
 (DIR) Schwerpunkt HIV und Aids
 (DIR) Gesundheit
 (DIR) Uganda
 (DIR) Homosexualität
 (DIR) Knesset
 (DIR) Pop
 (DIR) Kinder der sexuellen Revolution
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte Männer und Verhütung: Der Club der harten Kerle
       
       Auch Verhütung ist eine Frage der Gleichberechtigung. Aber warum tun Männer
       sich bei solchen Themen so verdammt schwer?
       
 (DIR) Kommentar Kampf um die Binde: Was Afrikas junge Generation braucht
       
       Beim Kampf um die Binde für Schulmädchen in Uganda geht es auch um
       Mädchenbildung und geschlechtergerechte Bildungschancen.
       
 (DIR) HIV-Infektionen nehmen zu: Viele wissen nichts über ihre Infektion
       
       Schätzungsweise rund 80.000 Menschen lebten Ende 2013 in Deutschland mit
       dem Aids-Erreger HIV im Blut. Tausende haben keine Ahnung, dass sie
       infiziert sind.
       
 (DIR) Therapie von HIV-Positiven: Keine Angst vor Aids
       
       Als HIV-Infizierter Sex ohne Kondom? Unvorstellbar! Was kaum jemand weiß:
       Medikamente sind für Positive die sicherste Safer-Sex-Methode.
       
 (DIR) Fürs Schulgeld ins Wettbüro: Spiel ohne Grenzen in Uganda
       
       Jeden Samstag setzt Jimmy in einem der zwielichtigen Wettbüros von Kampala
       sein Erspartes, um endlich wieder das Schulgeld zahlen zu können.
       
 (DIR) Schwulen-und-Lesben-Gesetz in Uganda: „Homosexualität ist ein Verbrechen“
       
       Ein ugandische Parlamentsbeschluss sieht schwere Strafen für Homosexuelle
       vor. Menschen in deren Umfeld sollen zur Denunziation gezwungen werden.
       
 (DIR) Blutspende-Vorgaben in Israel: Afrikaner unerwünscht
       
       Einer in Äthiopien geborenen Knesset-Abgeordneten wird mit dem Hinweis auf
       ihre Herkunft untersagt, Blut zu spenden. Die entsprechende Vorschrift wird
       nun geprüft.
       
 (DIR) Wie Mandela zum Pop-Phänomen wurde: Ein Name, der nachklingen wird
       
       Kein anderer Politiker ist so oft besungen worden wie Nelson Mandela. Das
       ließ ihn schon zu Lebzeiten zu einer Pop-Ikone werden.
       
 (DIR) Sexuelle Revolution in den Medien: Die Zeit der bösen Onkel
       
       Freiheit wurde in den 70ern und 80ern am Körperbild von Jugendlichen
       verhandelt. Mit Lolita-Filmen im Mainstream und Schamlosem in der
       Gegenkultur.