# taz.de -- PorYes-Award: „Ja, bitte! Mehr Schwänze!“
       
       > Große, kleine, dicke, dünne: Die Verleihung des Feministischen
       > Pornofilmpreises „PorYes-Award“ steht bevor. Ein Besuch bei Initiatorin
       > Laura Méritt.
       
 (IMG) Bild: „Es gibt einen Paradigmenwechsel, weg von der überdimensionierten Fickmaschine, hin zu realistischem Porno", sagt Laura Méritt.
       
       Freitagnachmittag in Kreuzberg. In der Dachgeschosswohnung eines Altbaus in
       der Fürbringerstraße steht die Tür nicht still, Telefone klingeln. Ein
       halbes Dutzend Frauen sitzt oder steht in dem lichten kleinen Arbeitszimmer
       von Laura Méritt. Jede von ihnen hat entweder einen Laptop auf dem Schoß
       oder ein Smartphone in der Hand. Vielsprachiges Stimmengewirr klingt durch
       die Wohnung. Im größten Raum ein Regal mit Büchern und DVDs. Viel Haut
       ziert die Cover. Auf einem kleinen Beistelltischchen steht hübsch drapiert
       ein kleiner Wald aus Dildos, große, kleine, dicke, dünne, alle hautfarben.
       
       „Das ist für die Transleute“, erklärt Laura Méritt, „die wollen ihre
       Spielzeuge im Moment so authentisch wie möglich. Eine Zeit lang waren
       Schwänze völlig out. Aber jetzt sagen alle: Ja, bitte! Mehr Schwänze!“
       
       Laura Méritt ist eine zierliche Frau Anfang fünfzig. Sie trägt grüne Jeans
       und hat ein breites Lachen. Seit 25 Jahren ist die promovierte Soziologin
       und Feministin als Sexaufklärerin aktiv. Sie betreibt einen Onlinesexshop
       und lädt jeden Freitag in den offenen Salon zu sich nach Hause, in dem wir
       gerade sitzen. Würde man das Sexspielzeug wegräumen, könnte man auch
       denken, man säße im gemütlichen Wohnzimmer einer Literaturprofessorin mit
       Ethnofaible. Dies jedoch ist der Raum, in dem alle Fragen zum Thema
       Sexualität und Körperlichkeit geklärt werden, die sonst selten jemand zu
       fragen wagt. „Dr. Sommer“ live, sozusagen.
       
       Aber braucht man so was heute noch? Reden wir nicht sowieso schon alle die
       ganze Zeit über nichts anderes?
       
       ## Schweigen über Sex
       
       Laura Méritt schüttelt den Kopf. „Die Hälfte der Menschen hat
       Schwierigkeiten, über Sex zu reden. Bei aller Pornografisierung, bei allem
       Gequatsche über Sex, das durch die Medien geht.“ Diese Schwierigkeiten
       seien keineswegs nur ein Phänomen der Generation 60 plus, sagt Méritt. „Die
       Art und Weise, wie über Sex geredet wird, verrät, wie wenig Wissen da ist,
       wie wenig Reflexion.“ Wenn wir über Sex sprechen, habe das oft einen
       Wettbewerbscharakter. Wie viel? Wie oft? Wie groß? Doch Prahlerei und Dirty
       Talk ersetzen eben keinen aufklärenden Austausch. Dafür hat Méritt den
       Salon erfunden.
       
       Momentan ist sie ein wenig erschöpft. Die PorYes-Awards stehen bevor: Am
       heutigen Samstag findet in den Hackeschen Höfen in Mitte die Verleihung des
       Feministischen Pornofilmpreises Europa statt. Laura Méritt gehört zu den
       Initiatorinnen, eine Woche vorher ist noch sehr viel zu tun.
       
       Die Deutschen seien die Weltmeister im Pornogucken, hieß es in einer Studie
       des Marktforschungsunternehmens SimilarWeb vom Juli diesen Jahres. 12,47
       Prozent des Internettraffics, der von Deutschland ausgeht, führt auf
       Pornowebsites. Das sind mehr Klicks, als Facebook oder Twitter jeweils
       bekommen.
       
       Auf den meisten jener Websites werden, wie auch in herkömmlichen Sexshops
       und Videotheken, hauptsächlich Filme angeboten, in denen in Großaufnahme
       männliche und weibliche Geschlechtsorgane zu sehen sind, die in einer
       standardisierten Dramaturgie die stets gleichen Sexpraktiken vollführen.
       Erst blasen, dann Penetration in alle Löcher der Frau, schließlich
       abspritzen ins Gesicht. Frauen sind dabei meist passiv und willig, Männer
       werden zu gesichtslosen Dauerständern.
       
       ## Die Gegenrichtung
       
       „So etwas ist einfach nicht mehr gewünscht“, sagt Laura Méritt. Sie ist
       davon überzeugt: „Die Leute wollen Pornos, aber andere.“
       
       Darin sind sich jedoch nicht alle einig. Seit Ende der sechziger, Anfang
       der siebziger Jahre währt die Auseinandersetzung zwischen den sogenannten
       sexpositiven Feministinnen und dem antipornografischen Flügel der
       Frauenbewegung. Die prominenteste Vertreterin der Gegenrichtung ist
       Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer. Schwarzer war es auch, die 1987 die
       PorNo-Kampagne ins Leben rief, deren Ziel das gesetzliche Verbot von
       Pornografie in Deutschland war.
       
       Frauen wie Laura Méritt jedoch wollten sich nicht der Zensur unterwerfen –
       sie wollten eine andere Pornografie. Erotische Gebrauchskunst, die
       niemanden ausschließt. Jeder Mensch, so das Credo, sollte den Porno
       bekommen, auf den er Lust hat. „Wir wollten, dass alle mal in den Filmen
       vorkommen“, sagt Laura Méritt: „Ältere Frauen, Männer mit kleinem Schwanz,
       Dicke. Wir versuchen das aus den Nischen herauszuholen.“
       
       Drei Grundsätze gibt es dabei, die immer gelten müssen:
       
       1. Sexuelle Entfaltung ist Teil aller Freiheitsbestrebungen, sexuelle
       Materialien und Infos sollen allen frei zugänglich sein.
       
       2. Einvernehmlicher Sex zwischen Erwachsenen bedarf keiner Wertung von
       außen, auch keiner staatlichen.
       
       3. Sex ist wie Geschlecht und Identität konstruiert.
       
       Das ist PorYes.
       
       Eine Mitarbeiterin kommt aus dem Arbeitszimmer gelaufen. „Laura“, fragt
       sie, „haben wir den noch auf Lager?“ Sie hält einen kleinen dicken
       Kunstpenis hoch, der eigentlich ganz realistisch aussieht, abgesehen
       vielleicht von seiner violetten Farbe.
       
       ## Der Mainstream wird realistischer
       
       Laura Méritts Sexspielzeughandel war anfangs ausschließlich auf Frauen
       ausgerichtet. In den Achtzigern und Neunzigern sei das wichtig gewesen.
       „Man musste ja erst mal Basisarbeit leisten“, sagt Méritt. Mittlerweile
       habe sich jedoch auch im Mainstream einiges geändert. „Es gibt einen
       Paradigmenwechsel, weg von der überdimensionierten Fickmaschine, hin zu
       realistischem Porno.“
       
       Auch die Erwachsenenspielzeuge haben Farbe bekommen und einfallsreichere
       Formen. Es gibt Dildos, die aussehen wie kleine bunte Ostereier, und
       pinkfarbene Vibratoren in Wellenform. Laura Méritt bietet auch
       alltagspraktische Utensilien an, einen Kunstpenis etwa, durch den hindurch
       uriniert werden kann. Alle Produkte sind auf Verträglichkeit geprüft.
       
       „Es dauert nicht mehr lange, dann haben wir Regale in der Videothek, auf
       denen steht ’Gehobene Pornografie‘ oder ,PorYes‘ “, prophezeit Méritt und
       lacht.
       
       Der Arthouse-Porno von morgen kann heute schon bei den PorYes-Awards in den
       Hackeschen Höfen bewundert werden.
       
       19 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lea Streisand
       
       ## TAGS
       
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