# taz.de -- Ringen um Olympia: Kommando Luckenwalde
       
       > In der Ringerhochburg im Süden von Berlin erwarten sie mit sorgenvoller
       > Spannung die Entscheidung des IOC, ob Ringen olympisch bleibt.
       
 (IMG) Bild: Bald Historie? Ein Ringtkampf bei den Olympischen Spielen in London 2012.
       
       LUCKENWALDE taz | Gegenüber vom „Bade- und Saunaparadies“, wie die
       Fläming-Therme in Luckenwalde heißt, fühlt sich der 15-jährige Sebastian
       Nehls am wohlsten. Dort, im schmucklosen Backsteingebäude, steht Sebastian
       täglich auf der Matte, schweißüberströmt wie seine Mitstreiter, mit denen
       er hautnah, Körper an Körper, seine Kräfte misst. „So machen es auch die
       Naturvölker, die Kirgisen und Usbeken. Mann gegen Mann. Die spielen kein
       Squash“, sagt Reinhard Mehlhorn.
       
       Der 64-Jährige leitet ehrenamtlich die Geschäftsstelle am Bundesstützpunkt
       Ringen und wurde wie Sebastian schon als Jugendlicher in der
       brandenburgischen Kleinstadt zum Ringer ausgebildet. Er ist in Luckenwalde
       geblieben. Auch Sebastian würde hier gern Wurzeln schlagen. Seine Eltern
       wohnen in Rostock. Er belegt seit drei Jahren schon einen der 25
       Internatsplätze in der Sportschule. „Ich möchte nach dem Abitur bleiben und
       für das Bundesligateam ringen. Ich habe alle meine Freunde hier“, erklärt
       er.
       
       Die Tradition wird unter den Luckenwalder Ringern hochgehalten. Anrührend
       altbacken wirkt hier das Benehmen der hart trainierenden Jungathleten. Von
       nahezu allen Kindern wird man per Handschlag begrüßt. In den Gängen des
       Bundesstützpunkts hängen die großen Vorbilder aus. Die Ahnengalerie der
       erfolgreichen Lokalmatadoren soll den Jungen Ansporn sein, erklärt
       Mehlhorn. Das Spaßbad gegenüber ist für andere da. Den Alten nacheifern, so
       wie es diese anno dazumal auch gemacht haben – das ist das Luckenwalder
       Leitmotiv.
       
       Sebastian Nehls ist beseelt davon. Auch er träumt von einer Teilnahme an
       den Olympischen Spielen. Wobei man wieder bei den Kirgisen und Usbeken
       wäre, die kein Squash spielen. Denn dem Luckenwalder Ringerkosmos droht der
       Verlust seines Leitsterns. In wenigen Tagen könnte auf der
       Generalversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Buenos
       Aires Sebastians Traum enden.
       
       Nachdem im Februar das IOC-Exekutivkomitee zur allgemeinen Überraschung die
       Empfehlung aussprach, das Ringen 2020 aus dem olympischen Programm zu
       streichen, hat die traditionsreiche Sportart nun eine Art zweite Chance
       erhalten und kämpft im Wettstreit mit Squash und Baseball um den letzten
       freien Platz.
       
       ## Brandenburger Naturvolk
       
       Anfangs war die Aufregung in Luckenwalde groß. Die Bürgermeisterin
       Elisabeth Herzog von der Heide (SPD) zeigte sich fassungslos über den
       Angriff auf die „olympische Königsdisziplin“. Und der Landtagsabgeordnete
       Danny Eckermann (CDU), nebenbei auch noch Präsident des Ringerverbands
       Brandenburg, unterstützte auf der Straße eine Unterschriftenkampagne, die
       sich gegen die IOC-Empfehlung wandte.
       
       Für jedes Bürgerautogramm gab er eine Erbsensuppe aus. Er hätte auch ohne
       die warme Mahlzeit Erfolg gehabt. In der Bevölkerung sei die Verbundenheit
       mit den Ringern grundsätzlich groß, erzählt Reinhard Mehlhorn. Selbst in
       Arztpraxen der Stadt lagen die Listen der Unterschriftenkampagne aus. Wenn
       man so will, sind die Luckenwalder auch so ein Naturvolk wie die Kirgisen
       und Usbeken. Mehlhorn glaubt, dass in der Stadt nahezu alle über eine
       gewisse Praxiserfahrung verfügen: „Hier hat schon fast jeder einmal in den
       Ring geschnuppert.“
       
       Mittlerweile hat sich die allgemeine Erregung gelegt. Nicht nur in
       Luckenwalde, sondern auch in Schifferstadt und Köllerbach und in den
       sonstigen Ringerhochburgen Deutschlands. Auf internationaler Ebene hat die
       Ringergemeinde Unterstützung von ganz anderem Kaliber erhalten. Barack
       Obama, Wladimir Putin und Mahmud Ahmadinedschad, die Staatschefs der USA,
       Russlands und des Irans, wandten sich lautstark gegen den IOC-Angriff auf
       die Traditionssportart. Eine illustre Allianz. In New York kam es im Mai zu
       einem Showwettkampf zwischen den drei Nationen.
       
       Unterdessen reformierte sich der Internationale Ringerverband im Eiltempo.
       Der alte Chef, der Schweizer Raphael Martinetti, wurde wegen seiner
       mangelnden Lobbyarbeit als Hauptschuldiger ausgemacht und geschasst. Der
       neue Präsident, der Serbe Nenad Lalović, einte die Protestbewegung der
       Ringergemeinde und führte neue Regeln ein.
       
       Der Nachwuchs in Luckenwalde wird schon entsprechend trainiert.
       Regeländerungen hat es des Öfteren gegeben. Gut gemeint seien diese stets
       gewesen, sagt Reinhard Mehlhorn, aber sie hätten in die entgegengesetzte
       Richtung gewirkt. „Zuletzt war unser Ringen ja fast nur noch wie
       Sumo-Ringen. Immer nur dieses Rausgeschiebe.“ Die Regeln hätten selbst die
       Experten nicht immer komplett verstanden.
       
       Die nun eingeführten Änderungen zwingen die Ringer zu größerer Aktivität.
       Statt drei Runden (dreimal 2 Minuten) werden nur noch zwei gekämpft
       (zweimal 3). Es entscheidet nicht mehr die Anzahl der gewonnen Runden,
       sondern nur noch die Punkte. Techniken werden höher bewertet, Passivität
       früher bestraft und schnelle frühe Punktserien honoriert – wer 7:0 in
       Führung geht, hat bereits gewonnen.
       
       ## Der Schock wirkt nach
       
       Am Anfang sei das mit der Umstellung komisch gewesen, sagt Sebastian Nehls,
       der 15-Jährige, und meint: „Es ist konditionell anstrengender, aber
       besser.“ Die Regeln sind neu, das Pensum bleibt das Gleiche. Morgens ringt
       er im Rahmen des Unterrichts der Sportschule und abends dann, wenn der
       Sauerstoff in der Halle fast aufgebraucht zu sein scheint, oft zusammen mit
       den Athleten, die dem Bundesligateam des 1. Luckenwalder Sportclubs
       angehören.
       
       Dass sich daran etwas ändern könnte durch die IOC-Entscheidung in Buenos
       Aires, glaubt Sebastian nicht. „Ich kann mir das nicht vorstellen. Ringen
       gehört doch einfach dazu.“ Für den Standort Luckenwalde würde ein
       Ausschluss aus dem olympischen Programm fatale Folgen haben. Der
       Bundesstützpunkt würde eingestellt werden, die beiden hauptamtlichen
       Trainer arbeitslos, die Friedrich-Ludwig-Jahn-Oberschule den Status als
       Eliteschule verlieren, die Nachwuchsarbeit würde stark eingeschränkt und so
       auch das Bundesligateam gefährdet werden.
       
       Aber Geschäftsstellenleiter Mehlhorn ist optimistisch, dass es nicht so
       weit kommt. „Wir sind mit unseren Reformen auf dem richtigen Weg.
       Hoffentlich sehen das die hohen Herrn auch so.“ Eine gewisse Unsicherheit
       bleibt jedoch. Der Schock über die IOC-Empfehlung wirkt immer noch nach.
       Mehlhorn schimpft: „Ich fange doch eigentlich an, oben etwas wegzuschneiden
       und nicht unten.“
       
       ## Funktionäre wie Gutsherren
       
       Der frühere Junioreneuropameister Menzel warnt davor, sich nun auf den in
       Angriff genommenen Reformen auszuruhen. Es gehe nicht nur um die Regeln,
       erläutert er, die Funktionäre müssten sich ebenfalls ändern – auch in
       Deutschland. Die Öffentlichkeitsarbeit sei schlecht, unbequeme Athleten
       würden links liegen gelassen. „Die Funktionäre führen sich teilweise wie
       Gutsherren auf, bei denen man sich bedanken muss, dass man ringen darf.
       Dabei ist es ihre Aufgabe, die Ringer zu fördern.“
       
       Den Kindern in Luckenwalde, die sich im Training so quälen würden, dürfe
       ihr Traum nicht genommen werden, appelliert Menzel. Er selbst hat hier wie
       einst sein Vater an der Sportschule mit 25 Mitstreitern seine
       Ringerkarriere begonnen. Der Belastung konnte kaum einer stand halten. In
       der Abiturklasse gab es nur noch zwei Ringer. Menzel war einer davon. Wenn
       es der IOC denn will, wird der junge Sebastian Nehls es womöglich auch
       schaffen und eines Tages gar bei den Olympischen Spielen den Ring betreten.
       
       31 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Kopp
       
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