# taz.de -- Stress mit Bushido: Im Spiegel der anderen
       
       > In der Debatte um Bushido und seine Veröffentlichung geht es nicht nur um
       > den Rapper, sondern um die Gesellschaft und das Musikbusiness.
       
 (IMG) Bild: Im Blick auf Bushido mischt sich Sorge mit Scheinheiligkeit und Sorgfalt mit Stereotypen
       
       „Stress ohne Grund“ ist ein ziemlich genialer Titel, das muss man Bushido
       lassen. Auch wenn es gar nicht sein Track ist, der so heißt, sondern der
       seines Schützlings Shindy. Bushido tritt nur als Gastrapper auf. Auch wenn
       der Refrain „Männer lutschen keine Schwänze“ weltfremd ist: Doch, es gibt
       Männer, die machen das – was auch Bushido akzeptiert, wie er unlängst
       mitgeteilt hat. Sein Ding sei das halt nicht, aber es stehe in freien
       Gesellschaften jedem frei zu tun, was er wolle, hat er sinngemäß gesagt.
       „Stress ohne Grund“ ist aber auch ein Titel, der in die Irre führt.
       Bushidos Diss von Oliver Pocher, Serkan Tören und Claudia Roth ist alles
       andere als grundlos. Bushido ist beleidigt.
       
       Wie man im Focus-Interview nachlesen kann, will Bushido seine verbalen
       Ausfälle durch die Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt sehen. Er fühlt sich
       selbst angegriffen. Von Oliver Pocher, weil der Komiker Witze über das
       Steuerverfahren gegen Bushido twitterte. Von FDP-Politiker Serkan Tören,
       weil dieser sich hämisch darüber äußerte, dass der Rapper sich demnächst
       als Buchautor über gesellschaftspolitische Themen äußern wird: „Ich lach
       mich tot.“ Claudia Roth schließlich hat Bushido als Antisemiten bezeichnet.
       Er hatte auf Twitter eine Karte von Israel und den Palästinensergebieten
       veröffentlicht, die komplett in den Farben der Palästinenser eingefärbt
       ist. Dass Bushido nun darüber fantasiert, in Claudia Roth Löcher zu
       schießen, zeigt, was ihn am meisten getroffen hat.
       
       Im sozialen Universum der martialisch auftretenden Männergruppe, die man in
       Bushidos Videos immer wieder besichtigen kann, reagiert man auf
       Verunsicherung mit der Herabwürdigung von anderen, die man sich wahlweise
       als „schwul“, „Opfer“ oder „Schlampe“ zurechtfantasiert. Psychoanalytisch
       gesprochen wäre das eine Form von Kompensation und vielleicht auch
       Projektion eines vaterlosen, von als destabilisierend erfahrenen Wünschen
       bedrohten Ichs.
       
       Wenn die Gesellschaft den Ausländer, den Kriminellen oder eben das Klischee
       eines Gangstarappers ansieht, dann schaut sie auch in den Spiegel der
       eigenen Projektionen.
       
       ## Bushido im Wunderland
       
       Mit diesem Vorgang von Projektion und Spiegelung beschäftigt sich die
       Stern-Kulturredakteurin Sophie Albers in ihrem 2011 erschienenen Romandebüt
       „Wunderland“. Bei einer Recherche lernt die Protagonistin von „Wunderland“,
       die 35 Jahre alte und dennoch mädchenhafte Hanna, Tochter einer jüdischen
       Mutter, einen wilden Burschen namens Tamer kennen. Genaues weiß sie nicht,
       aber alles, was sie hört und sieht, scheint darauf hinzuweisen, dass Tamer
       seinen Lebensunterhalt als Drogendealer, Schutzgeldeintreiber und
       Auftragsschläger verdient. Der Mann besteht darauf, im Restaurant für sie
       zu bezahlen: „Bin ich schwul, oder was?“ Frauen sind für ihn entweder
       Schlampen, Huren, Ehefrauen oder Mütter. Für seine Freunde würde er alles
       geben.
       
       Hanna ist abgestoßen von den archaischen Überzeugungen Tamers. Zugleich
       bewundert sie seine Beobachtungsgabe. Sie fühlt sich durch ihn mit den
       emotionalen und moralischen Defiziten des eigenen sozialen Umfelds
       konfrontiert. Und sie stellt fest, dass Tamer und seine Freunde strikte
       Monotheisten sind, die zwar alle naslang irgendein antisemitisches Klischee
       auf der Zunge liegen haben, aber wenn es ernst wird, Juden, Christen und
       Muslime als Teil der großen Familie der Buchreligionen begreifen.
       
       Was Albers mit Bushido zu tun hat? Nun, Sophie Albers hatte für den Stern
       einige Geschichten über Bushido geschrieben. Romanfigur Hanna trägt
       autobiografische Züge. In die Figur des Protagonisten sind manche
       Eigenschaften Bushidos eingeflossen. Tamers Vater ist Araber, die Mutter
       Deutsche. Als Tamer neun ist, lässt der Vater die Familie sitzen. Er habe
       trotzdem eine schöne Kindheit gehabt, seine Mutter habe wohl für ihre Söhne
       auf vieles verzichten müssen, sagt die Romanfigur. Bushidos Mutter ist vor
       wenigen Monaten gestorben.
       
       Für die Mehrheitsgesellschaft ist Bushido, bürgerlich Anis Mohamed Youssef
       Ferchichi, zuerst der Araber aus Berlin-Tempelhof, dann der
       frauenverachtende Gangsta-Rapper gewesen, dann einen Moment lang der
       Vorzeigeausländer mit Burda-Bambi, der das schlechte Gewissen beruhigt über
       Hunderttausende Migrantenkinder, die man zurückgelassen hat, um
       gleichzeitig über Facharbeitermangel zu klagen. Inzwischen erscheint
       Bushido als Integrationsverweigerer. So zeichnet ihn der Stern, als Teil
       eines kriminellen libanesischen Clans.
       
       ## Bewusst desintegriert
       
       Es spricht nichts dagegen, das selbstgewählte Umfeld Bushidos zu
       durchleuchten, in dem sich Zuhälter tummeln und Leute, die im Knast saßen,
       weil sie Schuldner mit Gewalt eingeschüchtert haben. Ebenfalls im Stern
       erscheint Anis Ferchichi, die reale Person hinter der Kunstfigur Bushido,
       aber auch als einer, der sich bewusst desintegriert: Der Gymnasiast, dem
       alle Türen offenstehen, pflegt aus freien Stücken lieber mit Verbrechern
       Umgang und handelt noch dazu mit Immobilien, die billig saniert und
       überteuert vermietet werden, als wäre Letzteres im Jahr 2013 nicht der
       normale Gang der Dinge. Im Blick auf Bushido mischt sich auf kuriose Weise
       Sorge mit Scheinheiligkeit, Sorgfalt mit Stereotypen.
       
       Es ist schwer erträglich, Bushido dabei zuzuhören, wie er Todesdrohungen
       ausstößt, auch wenn sie nur symbolisch gemeint sind. Zugleich scheint diese
       Form Gangstarap, die aufs Geschichtenerzählen ganz verzichtet und nur noch
       Drohungen aneinanderreiht, aber auch die künstlerische Form zu sein, die
       adäquat den Zustand der Musikindustrie spiegelt. Bushidos Label
       Ersguterjunge verfolgt unnachgiebig Teenager per Abmahnung, die sich Titel
       von Bushido oder Fler aus dem Netz gezogen haben. Der Musikgigant Sony, der
       auch Bushidos Platten vertreibt, beauftragt Anwaltskanzleien damit, jeden
       Monat Tausende von Abmahnungen zu verschicken. Es ist ein einträgliches
       Geschäft für die durch das Internet destabilisierte Industrie und ihre
       Anwälte, für ein Produkt, das bei iTunes 99 Cent kostet, tausend zu
       verlangen, weil der Kunde beim Runterladen nicht bezahlt hat.
       
       Das Geschäftsmodell, unverhältnismäßig hohe Summen wegen einer
       geringfügigen Rechtsverletzung zu kassieren, basiert auf der blanken
       Drohung, der Stärkere werde sich vor Gericht schon durchsetzen. Missbrauch
       des Urheberrechts, gedeckt durch die bürgerliche Rechtsordnung, das ist in
       der Tat Stress ohne Grund.
       
       23 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bushido
 (DIR) Claudia Roth
 (DIR) Musikindustrie
 (DIR) Razzia
 (DIR) Bushido
 (DIR) Bushido
 (DIR) Index
 (DIR) Bushido
 (DIR) Bushido
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Zahl der Musik-Downloads nimmt ab: Streamen ist das neue Runterladen
       
       Die Musik-Industrie muss sich auf den nächsten Wandel ihres Geschäfts
       einstellen. Streaming-Dienste, die Musik im Abo anbieten, laufen
       Downloadplattformen den Rang ab.
       
 (DIR) Stress ohne Ende: Bushidos Büro von Polizei durchsucht
       
       Die Staatsanwaltschaft hat am Mittwoch eine Razzia in der Plattenfirma des
       Rappers durchgeführt. Auf Twitter hat Bushido den Verlauf der Durchsuchung
       kommentiert.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Sing, Kanzlerschlampe!
       
       Bushido ist nur ein harmloser Knuddelteddy. Nicht nur die „Kastelruther
       Fotzen“ und die „Söhne Hitlers“ haben da ganz andere Kaliber im Repertoire.
       
 (DIR) Bushido macht „Stress ohne Grund“: Die Geburt des Boulevardrap
       
       Die Mainstreamluft ist dünn. Bushido reagiert und feuert sinnbefreite
       Schnellschüsse auf beliebige Leute. Zu wem spricht er nur?
       
 (DIR) Ärger um Bushido: Stress mit dem Index
       
       Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat den Song „Stress ohne
       Grund“ vorläufig auf den Index gesetzt. Minderjährige können die CD nicht
       mehr kaufen.
       
 (DIR) Ärger um Bushido: Kein Killer, sondern Rapper
       
       Bushido ruft in einem Song zu Mord auf und zeigt wegen seiner Hasstiraden
       keine Reue. Sollte er aber auch gar nicht - denn auch schlechte Kunst muss
       erlaubt sein.
       
 (DIR) Ärger um neues Lied: Wowi und Heino stressen Bushido
       
       Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit zeigt Bushido an. Der Schlagersänger
       findet die Musik des Rappers „menschenverachtend“. Kommt der Song auf den
       Index?