# taz.de -- Geschäfte mit der Bildung: Industrielobby erobert Schulen
       
       > Gesponserte Ausflüge und bezahltes Lernmaterial – dank der Industrie.
       > Eine Initiative kämpft gegen Lobbyismus an Schulen. Aber die Politik
       > sieht keinen Handlungsbedarf.
       
 (IMG) Bild: Tagebau in Garzweiler: Die Industrie preist Braunkohle an Schulen als „idealen Partner der erneuerbaren Energien“ an
       
       BERLIN taz | Auf 34 Seiten erfahren Schüler alles über Braunkohle, wie sie
       entsteht, auf Seite 16. Ein buntes Schaubild erläutert das „modernste
       Braunkohlekraftwerk der Welt“ nahe Köln, die nächste Doppelseite erklärt,
       Braunkohle sei der „ideale Partner der erneuerbaren Energien“.
       Herausgegeben wurde das Unterrichtsmaterial vom Zeitbild-Verlag – gemeinsam
       mit dem Deutschen Braunkohlen-Industrie-Verein.
       
       Es ist nur ein Beispiel von vielen. 16 der 20 umsatzstärksten Unternehmen
       bieten kostenloses Lehrmaterial an, zeigten kürzlich Forscher der Uni
       Augsburg. Sogar die Pisa-Studie hatte Hinweise darauf geliefert, dass der
       Einfluss von Industrie und Wirtschaft in deutschen Klassenzimmern
       überdurchschnittlich hoch ist. 87,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler
       besuchen demnach eine Schule, deren Leiter das Unterrichtscurriculum durch
       Wirtschaftsinteressen beeinflusst sieht.
       
       Der Schnitt der OECD-Länder liegt bei 63,7 Prozent. Der Verein
       [1][LobbyControl] hat die Bildungspolitik kürzlich in einem offenen Brief
       zum Handeln aufgefordert [2][(taz berichtete)]: Mehr als 9.500 Menschen
       haben den Aufruf im Internet inzwischen unterzeichnet – ein Riesenerfolg,
       findet Felix Kamella, der das Thema bei der Initiative betreut. „Das Thema
       bewegt die Leute“, sagt er. „Es ist klar: Die bestehenden Regeln reichen
       nicht aus.“
       
       Das Problem: Die Kultusminister sehen weiterhin kaum Handlungsbedarf.
       Sachsen-Anhalts Schulminister Stephan Dorgerloh (SPD) nahm die
       Unterschriften der Aktivisten kürzlich im Namen der Kultusministerkonferenz
       entgegen und versprach, das Thema unter den Kollegen noch einmal
       anzusprechen. Die Forderung von LobbyControl nach Einrichtung einer
       Monitoringstelle, die externes Unterrichtsmaterial prüft und Schulen berät,
       wies er aber zurück: „Nach meiner Einschätzung sind unsere Lehrkräfte
       selbstständig und eigenverantwortlich genug, um Versuche von Lobbyismus zu
       erkennen und ihm einen Riegel vorzuschieben“, sagte er der taz. „Eine
       Monitoringstelle scheint mir da über das Ziel hinauszuschießen.“
       
       Zurückhaltend bis abweisend reagierten auch die meisten Bildungsminister
       der Länder, bemängelt Lobbyismus-Wächter Kamella. Hamburgs Schulsenator
       Ties Rabe (SPD) ließ ausrichten, dass man auf offene Briefe generell nicht
       antworte. „Diese Praxis begründet sich in der jahrelangen Erfahrung, dass
       bei ’Offenen Briefen‘ die Absender in der Regel eine öffentliche
       Auseinandersetzung u. a. über Medien suchen und diesen Weg einem direkten
       und konstruktiven Gespräch mit den konkreten Gesprächspartnern in den
       jeweiligen Behörden vorziehen“, schreibt die Behörde.
       
       ## Lobbyismus-Leitfaden für Lehrkräfte
       
       Ähnlich soll Kamella zufolge zunächst auch Niedersachsen reagiert haben,
       kündigte inzwischen aber an, einen Lobbyismus-Leitfaden für die Lehrkräfte
       des Landes entwickeln zu wollen. „Wir nehmen die Anregung von LobbyControl
       ernst“, sagte eine Ministeriumssprecherin der taz. Kooperationen mit
       Unternehmen dürften nur eingegangen werden, wenn der pädagogische Nutzen
       den Werbeeffekt überwiege.
       
       Wie schmal dieser Grat mitunter ist, zeigt die Kooperation von Erdöl- und
       Erdgasunternehmen mit fünf Gymnasien in Niedersachsen. Schüler
       recherchieren dabei in den Betrieben, Erdgasförderung ist Thema im
       Unterricht, die Unternehmen sponsern Klassenfahrten. Die Verbesserung der
       Reputation der Branche wird vom Wirtschaftsverband Erdöl- und
       Erdgasgewinnung explizit als ein Ziel der Kooperation genannt.
       
       Eine Schülerbefragung zeigt, dass das durchaus klappt: „57 Prozent bewerten
       das Partnerunternehmen mit ’sehr gut‘ und ’gut‘“, stellt der Verband fest.
       „Für 45 Prozent der Schülerinnen und Schüler hat sich die Bewertung des
       Partnerunternehmens verbessert.“
       
       Das niedersächsische Kultusministerium sieht keinen Handlungsbedarf, wie
       eine Sprecherin der taz sagte. Eine Haltung, die Lobbyismus-Kritiker
       Kamella empört: „In diesem Fall ist die Grenze klar überschritten.“
       
       24 Jun 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.lobbycontrol.de/?s=schulen
 (DIR) [2] /!111697/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Kramer
       
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