# taz.de -- Leben mit der Gen-Diagnose: „Jede muss für sich entscheiden“
       
       > Andrea Hahne erkrankte im Alter von 39 Jahren an Brustkrebs. Bei der
       > Früherkennung durch die Gendiagnostik sieht sie auch Risiken.
       
 (IMG) Bild: Eizelle im Labor.
       
       taz: Frau Hahne, auffällig viele Frauen in Ihrer Familie sind an Brust-
       oder Eierstockkrebs gestorben. Erst nach ihrer Erkrankung 2005 wurde bei
       Ihnen ein Test gemacht, der feststellte, dass Ihr Brustkrebs genetische
       Ursachen hat. Warum so spät? 
       
       Andrea Hahne: Ich hatte ab Beginn des gebärfähigen Alters sehr regelmäßigen
       Kontakt zu Frauenärzten, stets habe ich mitgeteilt, dass meine beiden
       Tanten sowie meine Großmutter an Eierstockkrebs gestorben sind und meine
       Urgroßmutter an Brustkrebs. Keiner der Ärzte hat auf diese Information
       reagiert.
       
       Warum schauten die Ärzte weg? 
       
       Man kann das grob fahrlässig nennen, aber das allein trifft es nicht. Viele
       Ärzte sind unwissend. Oder sie nähern sich dem Thema nicht, weil es sie
       emotional überfordert. Wir brauchen eine Sensibilisierung bei den
       Betroffenen wie bei den Ärzten.
       
       Was wäre in Ihrem Leben anders gelaufen, wenn Sie die Diagnostik früher
       gemacht hätten? 
       
       Es ist im Nachhinein schwer zu sagen, ob ich mir mit diesem Wissen die
       Brustdrüse präventiv hätte entfernen lassen. In jedem Fall aber hätte eine
       positive genetische Testung zu einer intensivierten Früherkennung geführt,
       zu einer Beratung über Konsequenzen und zu einer Auseinandersetzung, auch
       in der Familie.
       
       Bei Debatten über Gendiagnostik ist oft die Rede von Risiken – im Umgang
       mit diesen Voraussagen. Molekulares Wissen allein, heißt es, dürfe nicht
       darüber entscheiden, ob ein Mensch verändert werden solle. 
       
       Wichtig ist, dass die Strukturen rund um diese Diagnostik unterstützend
       tätig sind, sei es therapeutisch im medizinischen oder im mentalen Sinn.
       Aber auch ich habe Bedenken. Denn es ist nicht auszuschließen, dass
       gesellschaftlicher Druck aufgebaut wird, diese oder jene Diagnostik zu
       machen. Und dass dann auch die therapeutischen Konsequenzen eingefordert
       werden.
       
       Inwiefern? 
       
       Es geht um prophylaktische Maßnahmen wie die Eierstock- oder
       Brustentfernung. Die Forderungen könnten aber auch früher ansetzen. In
       einer Diskussion neulich etwa fragte mich eine Studentin, weshalb ich
       Kinder hätte. Ich hätte doch die Möglichkeit gehabt, die Mutation erkennen
       zu lassen und dann erst gar nicht schwanger zu werden.
       
       Kann eine solche Information – ohne zu wissen, ob und wann die Krankheit
       ausbrechen wird – nicht tatsächlich belasten? 
       
       Jede Frau muss für sich selbst entscheiden können, was sie wissen will und
       was nicht. Das ängstliche Warten auf Erkrankung oder Nichterkrankung ist ja
       auch ohne Test da. Ich glaube, dass eine Klärung auch Entlastung bietet,
       sich auf das eventuell Kommende einzustellen.
       
       Wie hat Ihre Familie reagiert, nachdem Ihr Ergebnis vorlag? 
       
       Ich habe zwei Töchter und einen Sohn, und da die Erbgänge beim genetisch
       bedingten Brustkrebs nicht geschlechtsgebunden sind, Männer also auch
       Mutationsträger sind, ging das Thema alle an. Ich als Wissende stand dann
       vor der Aufgabe, dieses Wissen weitergeben zu müssen.
       
       Und? 
       
       Eine Tante und eine Cousine wollen sich weiterhin nicht mit dem Thema
       beschäftigen, was ich akzeptieren muss. Meine beiden jüngeren Kinder sind
       noch nicht volljährig, insofern kommt eine Testung derzeit nicht infrage.
       Aber meine große Tochter hat den Test gemacht, sie ist 20 Jahre alt, und
       eigentlich fand ich, das sei zu früh. Denn es hätte für sie noch keine
       Konsequenz gehabt, selbst wenn sie positiv getestet worden wäre.
       
       Nur dass sie jetzt Klarheit hat. 
       
       Ja, die hat sie jetzt. Meine Tochter hat die Mutation nicht geerbt. Sie ist
       die erste Frau in unserer Familie, die dank der Diagnostik raus kann aus
       dieser diffusen Angst.
       
       2 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
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