# taz.de -- Klimawandel vor der Haustür: Wenig Eis, viel Schnee und Kälte
       
       > Klimaforscher wollen Zusammenhänge zwischen der arktischen Eisbedeckung
       > und dem kalten März entdeckt haben. Deutsche Experten sind skeptisch.
       
 (IMG) Bild: Weniger Eis in der Arktis.
       
       BERLIN taz | Schnee zu Ostern! Viele Kinder in Nord- und Ostdeutschland
       werden an Ostern das Vergnügen haben, Eier und Süßigkeiten im Schnee zu
       suchen. Schnee zu Ostern ist dabei nicht ungewöhnlich, zuletzt gab es das
       im Jahr 2008. Sehr ungewöhnlich aber ist die lang anhaltende Kälte, die im
       März dieses Jahres weite Teile Deutschlands und Europas erfasst hat.
       Wissenschaftler sagen nun: Daran könnte der Klimawandel schuld sein, also
       die globale Erwärmung.
       
       Wie kann das sein? Durch die globale Erwärmung geht die von Eis bedeckte
       Fläche in der Arktis zurück; im September vorigen Jahres gab es einen
       Negativrekord, und aktuell liegt der Wert unter dem zu dieser Jahreszeit
       üblichen.
       
       Dies führt zu wärmerem Wasser und damit zu wärmerer Luft im nördlichen
       Polargebiet, wodurch sich der jet stream, zu deutsch Strahlstrom, verlagern
       kann. Das ist das vorherrschende Starkwindband in höheren Luftschichten,
       das das Wetter in den mittleren Breiten auf der Nordhalbkugel wesentlich
       beeinflusst. Verschiebt sich der jet stream nach Süden, kann arktische
       Kaltluft ebenfalls weit nach Süden vordringen.
       
       „Das führt zu dem extremen Wetter, das wir in den mittleren Breiten
       beobachten“, sagt Jennifer Francis, Wissenschaftlerin an der
       Rutgers-Universität in den USA, dem Guardian. Bereits im vergangenen Jahr
       warnte sie davor, dass der Negativrekord bei der arktischen Eisausdehnung
       zu einem kalten Winter in Großbritannien und Nordeuropa führen könnte.
       
       ## Veränderte Luftströmungen
       
       Vladimir Petoukhov, Physiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung,
       unterstützt diese These. „Im vergangenen Jahr gab es einen Negativrekord
       bei der Eisausdehnung, und im Moment ist sie in einigen Gebieten wie der
       Labradorsee und der Grönlandsee außergewöhnlich gering.“ Dies könnte ein
       Grund dafür sein, dass sich Tiefdruckgebiete entwickeln.
       
       Bereits 2010 hat Petoukhov in einer Simulationsstudie dargelegt, dass ein
       Rückgang des Arktiseises zu kalten Wintern in Europa führen könnte.
       Schrumpft das Eis auf dem Meer, führt die Erwärmung zu veränderten
       Luftströmungen. Die Folge: Kalte Luftmassen könnten verstärkt aus
       nordöstlichen Richtungen nach Europa gelangen.
       
       Zwar war der meteorologische Winter 2012/13 – das sind die Monate Dezember
       bis Februar – in Deutschland nicht besonders kalt, sondern
       durchschnittlich. Allerdings gab es häufige Temperaturschwankungen und
       reichlich Schnee. Große Schneemengen könnten dabei auch durch den
       Lake-Effekt entstehen, indem kalte Luft über warme Wasserflächen streiche
       und dabei Feuchtigkeit aufnehme, sagt der Potsdamer Forscher Stephan
       Rahmstorf. „Kaltlufteinbrüche aus Nordosten, die über die immer öfter
       eisfreie Ostsee strömen, eignen sich dazu bestens.“
       
       ## Komplexe Prozesse
       
       Liegt, wie derzeit in weiten Teilen Deutschlands, viel Schnee, beeinflusst
       dies auch die Temperaturen. Nachts kühlt es sich stark ab, und tagsüber
       wird ein Teil der Sonnenwärme reflektiert, anstatt den Boden und damit die
       unteren Luftschichten zu erwärmen. Anders gesagt: Bei gleicher Luftmasse
       aus Nordosteuropa wäre es bei uns derzeit deutlich wärmer, wenn zuvor nicht
       so viel Schnee gefallen wäre. Immerhin steht die Sonne schon so hoch wie
       Mitte September, wenn immer noch Temperaturen von über 30 Grad erreicht
       werden können.
       
       Auch das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung sieht
       Zusammenhänge zwischen dem Meereis und dem europäischen Winterwetter: „Die
       Wahrscheinlichkeit für kalte, schneereiche Winter in Mitteleuropa steigt,
       wenn die Arktis im Sommer von wenig Meereis bedeckt ist.“ Durch die
       bodennahe Erwärmung der Luft über der Arktis komme es zu auftsteigenden
       Bewegungen, die Atmosphäre werde instabiler. „Wir haben die komplexen
       Prozesse analysiert, die hinter dieser Destabilisierung stecken“, sagt
       Institutsforscher Ralf Jaiser. „Wir haben gezeigt, wie sich die so
       veränderten Bedingungen in der Arktis auf typische Zirkulations- und
       Luftdruckmuster auswirken.“
       
       ## Atmosphärische Laune
       
       Eines dieser Muster ist der Luftdruckgegensatz zwischen der Arktis und den
       mittleren Breiten. Ist er groß, bringen Westwinde milde Atlantikluft nach
       Europa; bleibt er aus, kann arktische Kaltluft nach Europa vordringen.
       Allerdings spielten viele weitere Faktoren eine Rolle für unser
       Winterwetter, so Jaiser. „Weitere Mechanismen hängen beispielsweise mit der
       Schneebedeckung Sibiriens oder tropischen Einflüssen zusammen.“
       
       Skeptisch zeigte sich der Deutsche Wetterdienst (DWD). „Der kalte März ist
       eine Laune im System Atmosphäre“, sagt DWD-Sprecher Andreas Friedrich. „Das
       muss man abgekoppelt von globalen Klimatrends betrachten, die sich über
       lange Zeiträume ergeben.“
       
       Derzeit gebe es eine Wetterlage mit einem stabilen Hoch über Island, die
       kalte Luft aus Nordosten bringe. „Warum das so ist, weiß keiner.“ Wenn es
       einen direkten Zusammenhang mit der Meereisbedeckung geben würde, hätte ja
       der gesamte Winter in Deutschland zu kalt sein müssen. Dies sei aber nicht
       der Fall gewesen. Irgendwann werde es einen Impuls geben, der die
       Großwetterlage ändere. „Vielleicht bekommen wir eine Südwestlage mit über
       25 Grad“, sagt Friedrich. „Sollen wir dann wieder über den Klimawandel als
       Ursache spekulieren?“
       
       27 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Richard Rother
 (DIR) Richard Rother
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Klima
 (DIR) Arktis
 (DIR) Globale Erwärmung
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Hawaii
 (DIR) Moor
 (DIR) Wahl
 (DIR) Alpen
 (DIR) USA
 (DIR) Grönland
 (DIR) Wirtschaft
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Klimakonferenz in Scharm al-Scheich
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Klimawandel bedroht Winterspiele: Der Spielraum schmilzt
       
       Die Anzahl möglicher Bewerber für die Olympischen Winterspiele wird sich
       drastisch reduzieren. Grund dafür ist die Erderwärmung.
       
 (DIR) Weltbank-Bericht über Klimafolgen: „Schmerzhaft“ wird der Klimawandel
       
       Dürre, Überschwemmungen, Stürme, zurückgehende Fischbestände: Die Liste der
       Folgen des Klimawandels vor allem für die armen Länder ist lang.
       
 (DIR) CO2-Konzentration auf Hawaii: Vor der Kipp-Grenze
       
       Eine CO2-Konzentration von 400 ppm gilt als nächster Schritt zum
       unumkehrbaren Klimawandel. Auf Hawaii wurden nun 399,72 ppm gemessen.
       
 (DIR) Importierte torfhaltige Gartenerde: Klimakiller Blumenbeet
       
       Der Abbau von Torf für Blumenerde und die weiten Transportwege schaden dem
       Ökosystem. Dabei gibt es genug Alternativen.
       
 (DIR) Kommentar Wahl Island: Auf Wiedersehen, Europa
       
       Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Isländer nun die
       Brandstifter, die das Land ins Unglück gesteuert hatten, wieder ans Ruder
       wählen.
       
 (DIR) Tourismus im Winter vor Problemen: Ski und Rodel nur ganz oben
       
       Der Klimawandel bedroht die Wintersportgebiete der bayrischen Alpen. Nur
       fünf Prozent könnten schneesicher sein – trotz künstlichem Schnee.
       
 (DIR) US-Politiker mit wirren Ansichten: Gottes Klimawandel
       
       Das Klima dreht durch, weil Gott zornig ist. Das zumindest meint Joe
       Barton, amerikanischer Kongressabgeordneter und Freund der Ölindustrie.
       
 (DIR) Frischer Wind in der Arktis: Vor Grönland wird nicht mehr gebohrt
       
       Ab Freitag hat die Insel eine neue Regierung. Und die steht für
       Naturschutz. Bohrlizenzen für's Meer gibt es nicht mehr. Und auch an Land
       geht es dann strenger zu.
       
 (DIR) Wetter und Wirtschaft: Winter? Welcher Winter?
       
       Ob Bauwirtschaft oder Gastronomie, die lang anhaltende Kälte macht vielen
       Branchen zu schaffen. Aber von einer Krise will kaum jemand reden.
       
 (DIR) Neue Klimakiller geplant: Die wilde Vierzehn
       
       Ein Boom von Kohle und Ölprojekten droht den Klimawandel zu zementieren.
       Greenpeace benennt weltweit 14 Großvorhaben, die das Zwei-Grad-Ziel
       unterlaufen.
       
 (DIR) Meeresspiegel steigt schneller an: Mehr Wasser als gedacht
       
       Um jedes Wort rang der Weltklimarat 2007. Sein Bericht sollte zeigen, wie
       sich das Klima zukünftig wandelt. Jetzt berichten Forscher, dass einiges
       noch schlimmer wird.
       
 (DIR) Bericht des UN-Weltklimarats: Apokalypse auf Akademisch
       
       Rechtzeitig zur Klimakonferenz schwarz auf weiß: der Nordpol im Sommer
       eisfrei, der Golfstrom kälter, Monsunregen länger, dafür kaum noch
       Permafrostböden.
       
 (DIR) Eis-Maximum am Südpol: Begeisterte Pinguine
       
       In der Antarktis gibt es mehr Eis als vor 30 Jahren. Ist die Erderwärmung
       womöglich doch nicht so schlimm? Ein Experte äußert eine klare Meinung:
       „Unsinn!“