# taz.de -- Bildungsministerin ohne Doktortitel: Schavans Fall
       
       > Jetzt entscheidet die Kanzlerin über die politische Zukunft Annette
       > Schavans. Dabei gilt: Machterhalt geht vor Freundschaft.
       
 (IMG) Bild: Bald Vergangenheit? Schavan redet als Ministerin im Bundestag
       
       BERLIN taz | Manchmal sind es gerade die trockenen Sätze, die große Gefühle
       ausdrücken. Kurz nachdem die Universität Düsseldorf ihr vernichtendes
       Urteil über Annette Schavan gefällt hatte, verschickten die Anwälte der
       Ministerin eine knappe, vorbereitete Mitteilung in Juristendeutsch. „Frau
       Prof. Dr. Schavan wird gegen die heute mitgeteilte Entscheidung […] Klage
       erheben.“ Frau Prof. Dr. Schavan. So sieht sie sich. Immer noch und
       weiterhin.
       
       Es gibt Tage im politischen Berlin, die nicht nur persönliche Schicksale
       wenden, sondern auch elementare Fragen aufwerfen. Annette Schavan, 57, als
       Bildungsministerin nach wie vor im Amt, hat am Mittwoch einen solchen Tag
       erlebt. Ihre Hochschule befindet sie der „vorsätzlichen Täuschung“ für
       schuldig. Die Opposition drängt auf ihren Rücktritt. Und Schavan weiß, dass
       sie ihr Amt ab jetzt mit einer schweren Hypothek ausüben wird. Wenn sie es
       denn überhaupt noch ausüben kann.
       
       Nun geht es um Grundsätzliches: Kann eine Frau Deutschlands
       Wissenschaftsbetrieb politisch verantworten, wenn sie selbst betrogen hat?
       Wie glaubwürdig ist Politik dann noch?
       
       Die Ministerin beantwortete all dies zunächst nicht. Die böse Nachricht
       ereilte Schavan am späten Dienstagabend in Südafrika, sie bereist fünf Tage
       lang das Land. Die Routine ging weiter, während der Fakultätsrat tagte,
       auch dies ein Signal.
       
       ## Zwei knappe Sätze, mehr nicht
       
       Sie werde die Entscheidung „nicht akzeptieren“, sagte Schavan gestern
       Morgen am Rande einer Veranstaltung in Johannesburg. Mit Blick auf die
       juristische Auseinandersetzung werde es an diesem Tag keinen weiteren
       Kommentar von ihr geben. Zwei knappe Sätze, mehr nicht. Entscheidend ist,
       was die Ministerin nicht sagte: Kein Wort darüber, ob ob sie im Amt bleiben
       will oder nicht. Schavan weiß, dass ihr Schicksal jetzt in den Händen ihrer
       Duzfreundin Angela Merkel liegt.
       
       Die beiden Frauen mögen und vertrauen einander, und sie ähneln sich auch.
       Die unprätentiöse Art, lieber abwarten als vorpreschen.
       
       Ganz in diesem Sinne lässt die vorsichtige Kanzlerin ihren Sprecher in der
       Berliner Bundespressekonferenz Stellung nehmen. Die Bundesregierung
       verstehe, dass Schavan ihre rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfe, sagte
       Steffen Seibert. „Die Kanzlerin hat volles Vertrauen in die
       Bildungsministerin und schätzt ihre Arbeit außerordentlich.“ Diese
       Formulierung verwendet Merkel gerne, wenn sie sich noch kein abschließendes
       Urteil gebildet hat. Karl-Theodor zu Guttenberg war zwei Wochen nach einem
       solchen Lob sein Amt los.
       
       Dann sagte Seibert zwei harmlos klingende, aber wichtige Sätze. Wenn
       Schavan aus Südafrika zurück sei, werde es die Gelegenheit geben, zu reden.
       Die Ministerin werde sich dann „sicher auch ausführlicher“ äußern. Dies
       darf man getrost als Aufforderung der Kanzlerin verstehen. Und als
       vorsichtige Distanzierung.
       
       ## Merkel geht auf Distanz
       
       Merkel will, dass Schavan selbst zu ihrer beschädigten Glaubwürdigkeit
       Stellung bezieht. Außerdem behält sie sich Konsequenzen vor. Deshalb ist
       enscheidend, wie Schavan agiert, wenn sie am Freitagabend aus Südafrika
       zurückkehrt. Beide wissen, dass in der Politik Machterhalt vor Freundschaft
       geht.
       
       Wie brutal die Kanzlerin durchgreift, wenn sie Schaden befürchtet, hat sie
       zuletzt bei Norbert Röttgen vorexerziert. Sie warf ihn nach dem erfolglosen
       Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen aus dem Kabinett, obwohl seine Verdienste
       als Umweltminister unbestritten waren.
       
       Wobei es für Schavan sowieso um mehr als ein schlichtes Amt geht. Sie
       kämpft deshalb so verbissen, weil ihr ganzer Lebensentwurf zur Disposition
       steht. Schavan hat der Wissenschaft ihr Leben gewidmet. Als Chefin des
       Cusanuswerks betreute sie hochbegabte Studierende, sie war zehn Jahre
       Kultusministerin in Baden-Württemberg, seit 2005 ist sie
       Bildungsministerin. Der Täuschungsvorwurf „hat mich bis ins Mark
       getroffen.“ So hat sie das einmal ausgedrückt.
       
       Auch ihr Glaube spielt bei der enormen Fallhöhe eine Rolle: Eine Frau, die
       den rheinischen Katholizismus als ihre geistige Heimat bezeichnet, eine
       schnöde Betrügerin? In der Tat ist ihre Doktorarbeit ein Grenzfall. Sie
       paraphrasiert oft nachlässig, ist unsauber in der Zitation, aber sie
       kupfert keinesfalls in dem Ausmaß ab, wie zu Guttenberg es tat.
       
       In der CDU glaubt deshalb kaum einer an Vorsatz. Die Ministerin wird
       geschätzt, die meisten halten sie für eine integre Persönlichkeit. Mehrere
       Unionspolitiker warfen sich in die Bresche. Fraktionsvize Michael
       Kretschmer griff die Uni an und nannte das Verfahren „fragwürdig.“
       
       Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Grömer lobte Schavan als „äußerst
       erfolgreiche Ministerin.“ Der CSU-Abgeordnete Florian Hahn, der im
       Forschungsausschuss des Bundestages sitzt, sagte: „Mein Wahlkreis München
       Land ist der mit der größten Forschungsdichte in Deutschland, ich kann mich
       mit ihr hier jederzeit sehen lassen.“
       
       Aber sind die Wähler auch so großmütig? Intern machen sich auch
       Unionsstrategen längst Gedanken, wie sehr Schavan im Wahlkampf schadet.
       Eine Ministerin, der in ihrem ureigenen Gebiet der Ruch des Betruges
       anhaftet, ist eine ständige Belastung. Zumal die Opposition, die Monate
       lang still blieb, nun die Demission fordert. Schavan könne „nicht mehr
       ernsthaft den Wissenschaftsstandort Deutschland vertreten“, sagte
       Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Ähnlich äußerten sich führende SPDler
       und Linke.
       
       Sicher ist: Die Kanzlerin stellt im Moment eine eigene Schadensanalyse an.
       Und wird entsprechend handeln.
       
       6 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
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