# taz.de -- Geschlecht und Gesundheit: „Harte Männer“ mit kranken Herzen
       
       > Männer werden im Schnitt nicht so alt wie Frauen. Der Grund dafür liegt
       > nicht, wie oftmals angenommen, in der genetischen Ausstattung.
       
 (IMG) Bild: Nicht die klügste Diät, wenn es um die Lebenserwartung geht: Schnaps und Tabak.
       
       Männer, die Wert auf Gleichberechtigung legen, gibt der amerikanische
       Soziologie Michael Kimmel seinem Geschlecht auf den Weg, seien glücklicher
       und gesünder, lebten länger und hätten besseren Sex. Dann, so ließe sich
       hinzufügen, müssten wir uns auch nicht mehr mit Debatten über abgestandene
       Herrenwitze oder larmoyanten Reden über männliche Benachteiligung
       herumschlagen.
       
       Wäre es denn doch so einfach, männliches Wohlsein zu verordnen! Eine
       emanzipierte Lebensgefährtin auf Krankenschein, mit der Mann sich fünfmal
       30 Minuten in der Woche auf erfreulichste Weise bewegt und ein moderates
       Quantum zufriedenstellender Arbeit – und schon wäre der Mann, soweit er
       denn heterosexuell ist, auf die Umlaufbahn umfassender Gesundung gesetzt.
       Klingt wie ein Comic, ist in den Umrissen aber gar nicht so falsch.
       Gesundheit ist nämlich tatsächlich viel stärker von lebensweltlichen
       Faktoren abhängig, als es das auf die Einwerbung von Patienten abgestellte
       Gesundheitssystem wahrhaben will.
       
       Und so legte die erste Tagung zu Männergesundheit, die die Bundeszentrale
       für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Kooperation mit dem
       Bundesgesundheitsministerium Ende Januar ausrichtete, weniger Wert auf das
       männliche Krankheitsgeschehen als auf die krankmachenden Verhaltensweisen
       und Bedingungen.
       
       ## Im Kloster steigt die Lebenserwartung
       
       Bekanntlich überleben Frauen Männer immer noch um fünf Jahre, auch wenn
       sich die Schere ganz langsam zu schließen beginnt. Denn unter
       vergleichbaren Bedingungen, wie etwa in einem Kloster, gleichen sich ihre
       Lebenserwartungen an. Nicht in erster Linie die Gene, sondern die erlernte
       männliche Risikokultur und die eingeprägten Rollenbilder entscheiden also
       darüber, wie lang uns „der Mann“ erhalten bleibt.
       
       Schon die Jungen spielen risikoreicher und leben gefährlicher; als
       Jugendliche und junge Erwachsene weisen sie die höchsten Suizidraten auf.
       Früh trainieren sie eine Wettbewerbshaltung, die sie später befähigen soll,
       immer auf Höchstleistung zu gehen. Bei allen Rollenverunsicherungen der
       letzten Jahrzehnte gehören Schmerzunempfindlichkeit und Härte nach wie vor
       zur habituellen Männerkultur mit ihren Trinkritualen und Rauchgewohnheiten.
       
       Zwar hat die Zahl der jugendlichen Raucher in den letzten zehn Jahren
       abgenommen, 2002 qualmten noch 31,2 Prozent der Jungmänner (Mädchen 33,7),
       2010 nur noch 14,2 (11,5) Prozent. Doch wenn das berufsfähige Alter
       erreicht wird, steigt die Kurve paffender Männer auf rund 40 Prozent an.
       
       ## Krebs und Tabak
       
       Der auf der Tagung in Ausschnitten vorgestellte und im Sommer zu erwartende
       Männergesundheitsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) belegt, dass ein
       Drittel aller Krebserkrankungen bei Männern in Zusammenhang mit Tabakkonsum
       stehen. Lungenkrebs ist nach wie vor die häufigste Krebstodesursache.
       Verletzlicher erweisen sich die „harten“ Männer höchstens noch am Herzen:
       Koronarerkrankungen erwischen sie rund fünfzehn Jahre früher als Frauen.
       
       Männer essen und trinken, bewegen sich und arbeiten anders als Frauen, mit
       Folgen für die Gesundheit, resümierte der in Weiden tätige Androloge
       Theodor Klotz. Doch Anne Starker vom RKI wies nachdrücklich darauf hin,
       dass der übliche Vergleich von männlichem und weiblichem Gesundheitsstatus
       und Gesundheitsverhalten nicht wirklich weiterführt. Deshalb nimmt der
       Bericht Männer nach sozialer Schicht, Alter und kulturellem Milieu in den
       Blick.
       
       Meldepflichtige Arbeitsunfälle etwa treffen fast ausschließlich Männer;
       doch beim genaueren Hinsehen kommen die Unfallopfer meist aus den weniger
       gut bezahlten Schichten; Freizeitunfälle hingegen gehen eher auf das Konto
       besser situierter Geschlechtsgenossen.
       
       Angehörige aus letzterer Gruppe haben übrigens die Chance, über 80 Jahre
       alt zu werden; „Malocher“, die ihr Leben lang weniger als 60 Prozent des
       Durchschnittseinkommens verdient haben, erreichen statistisch gesehen
       gerade mal das 70. Lebensjahr.
       
       ## Fokussierung auf die Mittelschicht
       
       Jüngere Männer wiederum sind eher „Gesundheitsmuffel“ als die älteren, die
       sich für Präventionsmaßnahmen aufgeschlossener zeigen und an
       Vorsorgeprogrammen kaum weniger teilnehmen als Frauen.
       
       Einmal davon abgesehen, dass Vorsorgeuntersuchungen ohnehin umstritten
       sind, orientieren sich fast alle Präventionsangebote an der Mittelschicht
       und erreichen so ausgerechnet diejenigen, die ohnehin die Sorge um sich
       selbst umtreibt.
       
       Einig sind sich die Experten darin, dass man Männer dort abholen muss, wo
       sie sind: Deshalb setzt die Aufklärung insbesondere bei niedrigschwelligen
       Internetportalen an.
       
       Das in der Presse vielfach kolportierte Bild vom „Gesundheitsmuffel Mann“,
       sagt der Stuttgarter Medizinhistoriker Martin Dinges, muss aus historischer
       Perspektive allerdings relativiert werden. Schon ein Blick in die
       Hypochonderliteratur vergangener Jahrhunderte oder in die Tagebücher von
       Thomas Mann widerlegt die Vorstellung, dass Gesundheit „kein Thema“ für
       Männer ist.
       
       Aber auch werktätige Männer tauschten sich schon in früheren Zeiten über
       ihr Wohlbefinden aus – wenn auch nicht unbedingt gegenüber ihren Frauen.
       
       ## Medikalisierung des weiblichen Körpers
       
       Was sich in den letzten beiden Jahrhunderten verändert hat, ist der Konnex
       von Frau und Gesundheit. Die Medikalisierung des weiblichen Körpers und die
       scheinbar selbstverständliche Zuständigkeit von Frauen für die Gesundheit
       könnten gerade für männliche Jugendliche eine gewisse Hemmschwelle sein,
       sich mit ihrem körperlichen und seelischen Befinden auseinanderzusetzen.
       
       Dinges warnt allerdings davor, den Mann nun seitens der Ärzte ebenso
       „krankzureden“, wie das Frauen in den letzten 200 Jahren erfahren haben.
       
       Also doch lieber der engagierte Patient, der sich um sich selbst kümmert?
       
       Auch wenn Elisabeth Pott von der Bundeszentrale für gesundheitliche
       Aufklärung beauftragt ist, unablässig „Eigenverantwortung“ anzumahnen: Der
       Präventionsfuror und die Pflicht des mündigen Bürgers, sich in
       vorauseilendem Gehorsam jedem offerierten Gesundheitsdiktat zu unterwerfen,
       hat auch bedrohliche Aspekte.
       
       Wer bestimmt eigentlich, was „gesund“ ist und wer entscheidet über den
       Zugang zu den Ressourcen? Gesundheit, sagte Romeo Bissuti mit Blick auf die
       im Wiener Männergesundheitszentrum betreuten afrikanischen Flüchtlinge, ist
       ein „viel politischerer Begriff, als es uns angenehm sein kann“.
       
       Dass er manchmal anderen politischen Opportunitäten zum Opfer fällt, erwies
       sich in der zurückliegenden Beschneidungsdebatte. Da konnten die
       betroffenen Jungen nur auf wenig Schutz hoffen.
       
       3 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Baureithel
       
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