# taz.de -- Eine Weihnachtsgeschichte mit Schaf: Und alles wegen dir
       
       > Was macht man, wenn das liebste Schaf krank zu sein scheint? Alles. Eine
       > Weihnachtsgeschichte über hunderte Autobahnkilometer und tote Kühe im
       > Nebel.
       
 (IMG) Bild: Josh, wie er wirklich aussieht.
       
       Mein kleiner Josh war schon immer ein besonders liebes Schaf gewesen. Und
       am Anfang sogar wirklich noch ach so klein: der mickrigste in einem Wurf
       von dreien, „auf den musste achten, den musste mit der Flasche zufüttern“,
       sagte der Tierarzt. Das tat ich, und Josh wuchs heran, wurde der größte der
       Herde, 130 Kilo Gutmütigkeit, eingehüllt in drei Wollpullover. Wenn
       Besucher ihn kraulen, lehnt er sich bisweilen so kräftig an sie, dass sie
       umfallen; wenn Kinder kommen, hält er andächtig still. Eine Seele von
       Schaf, ein Teddybär!
       
       Und so brach mir schier das Herz, als ich letzten Dezember sah, dass mit
       dem kleinen Josh etwas nicht stimmte. Er trank und trank; nicht wie die
       anderen Schafe, nicht direkt aus dem Trog, sondern fuhr mit seiner langen
       Zunge zigmal den Rand entlang. Was konnte das heißen? Diabetes?
       Nierenversagen? Schließlich rief ich den Experten in der Tierärztlichen
       Hochschule Hannover an.
       
       Diabetes sei bei Schafen sehr selten. Doch wenn ich ganz sichergehen wolle,
       sagte man mir, dann müsse ich eine Blutprobe und eine Urinprobe
       vorbeibringen, gewonnen im Abstand weniger Stunden. Heute noch. Zwei Tage
       vor Heiligabend war das.
       
       Eine Bekannte von mir geht an den Weihnachtstagen immer mit ihren zahmen
       Gänsen im Ort spazieren. „Seht ihr, auch so kann man mit Gänsen umgehen,
       das ist doch viel schöner“, will sie den Nachbarn beim Festbraten
       demonstrieren. Auch ich habe zwei Gänse. Wenn Gäste zu Besuch kommen, mit
       all dem Stress oder irgendwelchen Bedrückungen der Liebe, bitte ich sie,
       abends die Gänse in den Stall zu treiben.
       
       ## Gänse sind Clowns
       
       Sie watscheln unbeholfen, blicken um sich, ob der Mensch auch
       hinterherkommt – dann sind sie empört; wenn er es nicht tut, sind sie noch
       empörter. Es gibt keinen Gast, den das nicht zumindest zum Schmunzeln
       gebracht hat. Ja, Gänse sind Clowns. In Deutschland darf man lebenden
       Gänsen keine Federn ausreißen, also was tut Deutschland? Es importiert
       Daunen aus anderen Ländern, zum Beispiel Polen. Das heißt dann
       „Lebendrupf“.
       
       Und wie gewinnt man nun Urin bei einem Schaf? „Im Grunde gibt es da zwei
       Methoden“, sagte der Professor. „Die erste wird Ihnen nicht gefallen. Man
       hält dem Schaf die Nasenlöcher zu, und nach 45 Sekunden sollte es anfangen
       zu urinieren.“ „Aus Todesangst?“, fragte ich. „So ungefähr.“ Ich fragte
       nach der zweiten Methode. „Sie nehmen eine Suppenkelle, stellen sich neben
       das Schaf und warten, bis es pinkelt.“
       
       ## Tape auf den Penis
       
       Ich holte eine Suppenkelle und ging in den Stall. Stellte mich neben Josh.
       Josh drehte kurz interessiert den Kopf zu mir um, dann kaute er seelenruhig
       weiter. Eine Suppenkelle hat keinerlei magnetischen Effekt auf die
       Schafsblase. Nach einer Weile wurde es mir zu blöd. Ich holte einen
       Latexhandschuh und etwas Silbertape und klebte Josh den Handschuh rund um
       den Penis.
       
       (Technische Info: Bei Schafen sitzt der Penis ungefähr da, wo bei uns der
       Bauchnabel ist. Und ich klebte das Tape natürlich nicht direkt auf den
       Penis, sondern an die Wolle, ganz zart. Dabei lag ich mit dem Oberkörper
       unterm Josh wie ein Mechaniker unterm Auto.) Ich ging ins Haus, kehrte nach
       einer halben Stunde zurück: Vor dem Stall stand, wie festgenagelt, ein nun
       höchst alarmiert dreinschauender Josh. Da war etwas geschehen, und er
       verstand nicht, was. Ein halb gefüllter Latexhandschuh hing ihm unten am
       Bauch.
       
       ## Todesschreie der Hühner
       
       Ein Tierarzt will dem Tier helfen, jagt ihm dabei aber Todesangst ein … und
       das ist die Standardmethode? Und dann erst die Angst der Schweine im
       Transporter, die Hühnchen, dicht gedrängt in 23 Zentimeter hohen Käfigen,
       wie sie in den Tod fahren … Neulich stand ich in Wietze bei Celle vor einem
       von Europas größten Geflügelschlachthöfen. Alle fünf bis zehn Minuten
       fuhren LKWs an, jeder mit etlichen tausend Hühnern beladen, man sah sie
       undeutlich zwischen den Gittern ihrer Käfige. Drinnen werden sie in
       Fließbänder gehängt, kopfüber, durchs Elektrobad gefahren, kriegen dann den
       Kopf abgesäbelt.
       
       Einmal im Leben habe ich die Todesschreie von Hühnern gehört. Das vergesse
       ich nie wieder. Wenn irgendwas dran wäre an dem ganzen Fantasy- und
       Esoquatsch, dann wäre rund um Wietze die Atmosphäre energetisch dermaßen
       höllisch aufgeladen – uns Menschen müssten Zähne und Haare ausfallen,
       sobald wir uns diesem Ort nähern. Geschieht aber nicht.
       
       Wenige Stunden nach der Urinprobe musste auch das Blut entnommen werden,
       das entpuppte sich als noch schwieriger. Der Landtierarzt hatte Notfälle
       bis tief in die Nacht (dass es um meinen Josh ging, zählte er wohl nicht
       als Notfall, pah!). Ich telefonierte überall herum und überredete
       schließlich einen befreundeten Kleintierarzt zum Hausbesuch. „Das letzte
       Mal, dass ich bei einem Schaf Blut abgenommen habe, war während des
       Studiums“, sagte er skeptisch, als er den 130-Kilo-Hammel erblickte. „Aber
       das wird schon.“
       
       ## Blut und Urin in der Kühlbox
       
       Der Tierarzt piekste in Hals, Schwanz, Hinterbein – sogar der gutmütige
       Josh wurde langsam hibbelig. Da sprudelte endlich Blut ins Stroh wie ein
       kleiner Quell. Alhamdulillah! Es war schon dunkel, es wurde neblig, die
       Straße war nass, die Temperatur um die null Grad. Ich packte Blut und Urin
       in eine Kühlbox. Knappe zwei Stunden Autofahrt waren es nach Hannover.
       
       Vielen Lämmern kupiert man den Schwanz. Man streift ihnen Gummiringe über,
       die klemmen Nerven und die Blutgefäße ab. Der Schwanz stirbt ab und fällt
       runter, totes Gewerbe. „Das ist keine grausame Methode“, sagte mir ein
       Schafzüchter, „laut Untersuchungen dauert der Schmerz nur zwei Stunden!“ –
       „Zwei Stunden?“, fragte ich. „Wenn Sie beim Zahnarzt sind, lassen Sie sich
       auch eine Spritze geben, dabei geht das schneller als zwei Stunden.“
       
       Die Tierärztliche Hochschule lag in der Dunkelheit wie London im Nebel. Ich
       irrte mit meiner Kühlbox durch die Gässchen zwischen den vielen kleinen und
       langen Gebäuden und fühlte mich wie in einer Verfilmung von Sherlock
       Holmes. Dort drüben war Licht. Waren das etwa Ochs und Esel? Nein, eine Art
       Garage, darin eine tote Kuh. Mir war nicht klar gewesen, wie groß tote Kühe
       sind. Lebende vermutlich genauso. Die vier Beine reglos, da lag sie nun.
       Ein tolles Omen ist das ja nicht, wenn man ein Krankenhaus aufsucht …
       Seuche? Fehlgeschlagene OP? Tierversuch?
       
       ## Blasenentzündung
       
       In der Nähe von Hamburg habe ich einmal ein „Labor und Sammellager“ für
       Tierversuche angeschaut. Ringsum Natozaun, doch wenn man sich vom Feldweg
       her nähert, sieht man die Zwinger mit den Beagles. Unentwegt springen sie
       an ihren Käfigwänden auf und nieder und bellen. Viele Anwohner hatten
       jahrelang gedacht, es handele sich um eine Hundezucht! Jetzt, wo sie’s
       besser wissen, engagieren sich viele in einer Bürgerinitiative.
       
       Diese Firma testet Giftstoffe im Auftrag anderer Firmen, auf ihrer Website
       bietet sie folgende Testvarianten an: oral, intraperitoneal (Injektion ins
       Bauchfell), intravenös, per Infusion, dermal, per Inhalation, intravaginal,
       intrathekal (ins Rückenmark), rektal und per Eingabe in den Augenlidsack.
       Was sind das für Menschen, die hier arbeiten? Angeblich teilt man
       Tierpflegern in Laboren jeweils ein Tier zu, das sie dauerhaft betreuen
       dürfen, das nicht „verwendet“ wird. Weil sie es sonst nicht aushalten.
       
       Endlich fand ich das Labor und gab Joshs diverse Flüssigkeiten ab. Am
       nächsten Morgen rief ich den Professor an und erkundigte mich beiläufig, ob
       die Proben angekommen waren. Ja, sie waren. Mittags rief ich an, ich sei
       kurz draußen gewesen, ob man inzwischen bei mir angerufen habe? Nein. Ich
       wartete weiter wie ein Vater vorm Kreißsaal.
       
       ## Viel trinken
       
       Um drei klingelte endlich das Telefon. „Ihr Schaf hat nichts“, sagte der
       Schafexperte. „Kann sein, dass er kürzlich eine Blasenentzündung hatte.
       Aber eigentlich würde ich sagen: Das ist ein Schaf, das einfach viel
       trinkt. Und auf sonderbare Weise, das dauert halt länger.“
       
       Ich legte auf, ging zum Stall hinüber. Josh stand schon wieder an der
       Tränke. „Alles wegen dir: hunderte von Autobahnkilometern und tote Kühe im
       Nebel“, schimpfte ich. „Bloß weil du dir dieses bekloppte Trinken angewöhnt
       hast!“ Josh guckte kurz hoch, fuhr die lange Zunge aus und mit ihr noch
       ungefähr hundert Mal am Rand der Tränke entlang. Erst als ich ihm in die
       dicke Wolle langte und ihn kraulte, hielt er inne und schloss genüsslich
       die Augen.
       
       ## ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie lebt in der Lüneburger Heide.
       Zuletzt erschien von Hilal Sezgin das Buch: "Landleben. Von einer, die raus
       zog" (DuMont Verlag).
       
       24 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hilal Sezgin
       
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