# taz.de -- Hungerstreikende Kurden: Seit 40 Tagen ohne Nahrung
       
       > Rund 700 Gefangene protestieren gegen die Isolation von PKK-Chef Abdullah
       > Öcalan. Nun könnten sie irreversible gesundheitliche Schäden erleiden.
       
 (IMG) Bild: Türkischer Gefangener: Proteste für die Freilassung Öcalans gab es im September auch im Libanon.
       
       ISTANBUL taz | Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, bahnt sich in
       türkischen Gefängnissen eine humanitäre Katastrophe an. Rund 700 kurdische
       Gefangene befinden sich nach Mitteilung einer kurdischen Nachrichtenagentur
       derzeit in einem unbefristeten Hungerstreik. Einige haben die kritische
       Phase von 40 Tagen ohne Nahrungsaufnahme bereits erreicht und drohen in den
       kommenden Tagen irreversible gesundheitliche Schäden zu erleiden.
       
       Der türkische Ärzteverband hatte bereits am 15. Oktober in einem Brief an
       den Justizminister gefordert, Zugang zu den Hungerstreikenden zu bekommen.
       Eine Antwort steht immer noch aus. Der Ärzteverband warnte daraufhin die
       Öffentlichkeit, die Gefangenen würden sich – anders als bei früheren
       Hungerstreiks – dieses Mal weigern, Vitamin B zu schlucken.
       
       Deshalb müsse man auch mit Toten rechnen, wenn nicht bald etwas passiere.
       An diesem Wochenende schalteten sich erstmals auch Parlamentarier ein und
       forderten, dass sich der Parlamentsausschuss für Menschenrechte mit dem
       Thema befassen soll.
       
       Initiiert wurde der Hungerstreik am 12. September von 63 Gefangenen, die
       alle der PKK angehören. Nach und nach haben sich immer mehr kurdische
       Gefangene der Aktion angeschlossen. Mehrere tausend kurdische Politiker und
       Aktivisten sitzen derzeit unter dem Vorwurf in Haft, sie würden zum zivilen
       Arm der PKK gehören.
       
       ## Kontaktsperre für Öcalan
       
       Mittlerweile haben sich auch der Abgeordnete der kurdischen BDP, Faysal
       Sariyildiz, und der Bürgermeister der kurdischen Großstadt Van, Bekir Kaya,
       dem Hungerstreik angeschlossen. Beide sitzen ebenfalls als angebliche
       Sympathisanten der PKK im Gefängnis.
       
       Die Hauptforderung der Hungerstreikenden ist, die Isolation von Abdullah
       Öcalan, dem inhaftierten Chef der PKK, aufzuheben. Öcalan wird auf der
       Insel Imrali im Marmarameer gefangen gehalten und darf seit gut einem Jahr
       seine Anwälte nicht mehr treffen. Lediglich sein Bruder wurde in dieser
       Zeit einmal zu ihm gelassen. Zudem fordern die Hungerstreikenden, die
       kurdische Sprache auch offiziell zuzulassen, also bei Behörden, vor Gericht
       und in der Schule.
       
       Aktueller Anlass ist der so genannte KCK-Prozess. Dort werden die Vorwürfe
       gegen tausende BDP-Mitglieder, sie würden auf Anweisung der PKK in der
       kurdischen Region eine staatliche Parallelstruktur errichten, verhandelt.
       Die Beschuldigten fordern seit Monaten, dass sie in dem Prozess Kurdisch
       sprechen dürfen, was aber bislang nur sehr eingeschränkt zugelassen wird.
       
       ## Kurdisch erstmals Wahlfach in der Oberstufe
       
       Des Weiteren verlangen die Hungerstreikenden muttersprachlichen Unterricht
       in Kurdisch an den staatlichen Schulen. Sie reagieren damit darauf, dass in
       diesem Jahr erstmals für Kinder der Oberstufe Kurdisch als Wahlfach
       angeboten wird.
       
       Offiziell hat die Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan auf den
       Hungerstreik bislang nicht reagiert. Allerdings hatte Erdogan zu Beginn des
       Schuljahres in einer Rede vor seiner Fraktion erneut ausgeschlossen, dass
       Kurdisch reguläre Unterrichtssprache werden könnte.
       
       Ob die Isolation von Öcalan lange aufrechterhalten wird, ist dagegen eine
       andere Frage. Erdogan hat in letzter Zeit wiederholt angedeutet, dass ein
       2011 abgebrochener Dialog mit der PKK wieder aufgenommen werden könnte, in
       den auch Abdullah Öcalan einbezogen würde. Selahattin Demirtas, der Ko-Chef
       der BDP, sagte daraufhin, „für alle, die von Dialog sprechen, sei der
       Hungerstreik ein Lackmustest“.
       
       23 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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