# taz.de -- Gentrifizierung in Hamburg: Künstler als Entwickler
       
       > Vor drei Jahren haben 200 Kreative das Gängeviertel im Zentrum Hamburgs
       > besetzt. Damit schrieben sie eine Erfolgsgeschichte gegen die
       > Gentrifizierung.
       
 (IMG) Bild: Ein Motto gegen Gentrifizierung: Vorbild auch für andere Städte?
       
       HAMBURG taz | Es hätte wie überall sonst laufen können: Ein Investor wollte
       auf einem runtergerockten Rest maroder altstädtischer Bauten bauen. Doch
       dann nisteten sich im Hamburger Gängeviertel rund 200 Hamburger Künstler
       ein – und retteten den Kiez in bester Innenstadtlage vor dem Abriss.
       
       Mit friedlichem Protest erreichten sie, dass die Stadt das historische
       Areal – bestehend aus zwölf Gebäuden, darunter eine Fabrik und eine
       Druckerei – zurückkaufte. Seit 2011 steht das Viertel unter Denkmalschutz,
       nun soll es für 20 Millionen Euro saniert werden. Die Künstler haben eine
       Genossenschaft gegründet und verwalten die Häuser selbst. Genau drei Jahre
       ist das jetzt her.
       
       Deshalb wird in dieser Woche richtig groß gefeiert. „Es wird in allen
       Gängen und auf allen Plätzen neue Installationen zu sehen geben“, sagt die
       Sprecherin der Initiative „Komm in die Gänge“, Christine Ebeling.
       
       ## Selbst Springer in der Tasche
       
       Das Gängeviertel gilt heute bundesweit als Prototyp für den Kampf gegen
       Gentrifizierung und nachhaltige Stadtentwicklungspolitik. Selbst die
       Springer-Lokalzeitung Hamburger Abendblatt, die ihre Dependance in direkter
       Nachbarschaft hat, schlug sich damals auf die Seite der Künstler: „Seit dem
       22. August 2009 ist Hamburg mehr als eine Hauptstadt der Musicals,
       Fischbrötchen, Hafengeburtstage und Cruise Days. Hamburg ist jetzt auch ein
       kleines, unbeugsames hanseatisches Stadtquartier, das ein roter Punkt
       ziert.“ Die damalige Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) beteuerte,
       die Besetzer hätten der ganzen Stadt die Augen geöffnet.
       
       In einer Vereinbarung haben sich die Künstler inzwischen darauf
       verständigt, dass die Häuser „dauerhaft mit preiswerten Wohn-, Gewerbe- und
       soziokulturellen Räumen einer möglichst breiten Öffentlichkeit zur
       Verfügung stehen“ sollen.
       
       Drei Jahre nach der Aktion blicken die Kreativen neuen Herausforderungen
       entgegen. „Wir stehen an einer Art Wendepunkt des Projekts“, sagte Ebeling.
       Erfreulicherweise erfahre die Genossenschaft viel Zuspruch. Das Projekt
       habe jedoch einen Grad der Professionalisierung erreicht, der es den
       beteiligten Künstlern äußerst schwer mache, die Arbeit ehrenamtlich
       weiterzuführen.
       
       ## Harte Auseinandersetzungen hinter den Kulissen
       
       „Wir brauchen feste Stellen“, sagte Ebeling. Wer diese Stellen bezahlen
       soll und wie sich die künftige Finanzierung, insbesondere der Fabrik als
       offenes Kulturzentrum, gestalten wird, ist unklar. Die Genossenschaft hat
       sich bereits um Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds beworben, auch von
       der Stadt Hamburg erhoffen sie Unterstützung. Fest steht nur, dass nach der
       Sanierung 73 Wohnungen für etwa 200 bis 250 Bewohner im Gängeviertel
       entstehen sollen.
       
       Natürlich gibt und gab es auch Konflikte. Hinter den Kulissen liefen in den
       drei Jahren harte Auseinandersetzungen ab: Etliche Aktivisten haben dem
       Viertel inzwischen den Rücken gekehrt.
       
       Die Stadt, inzwischen nicht mehr von Schwarz-Grün, sondern von den
       Sozialdemokraten regiert, verkaufte das Gängeviertel stets als Ausweis für
       ihre fortschrittliche, der kreativen Szene gegenüber offene Politik.
       Gleichzeitig signalisierte sie der kreativen Szene: Ein zweites
       Gängeviertel wird es nie geben. Im Gegenteil: Die Bereitschaft der Stadt,
       Künstlern an anderen Orten entgegenzukommen, hat seit der Einigung mit dem
       Gängeviertel rapide abgenommen.
       
       Die Künstler und Aktivisten haben hier ihren Platz gefunden, woanders haben
       andere Projekte schlechte Karten. Mit dem neuen Kiez hat sich die
       kulturpolitische Debatte in Hamburg auf die Frage nach bezahlbaren Mieten
       und Atelierräumen für Künstler verschoben. Außerhalb des Gängeviertels wird
       es für viele immer schwerer, auf Dauer etwas Neues und Kreatives in Hamburg
       zu unternehmen.
       
       Die Gängeviertel-Initiative bekam derweil eine Rolle als Denkmalschützer
       zugewiesen. Unzählige unbezahlte Arbeitsstunden haben sie bereits in die
       Instandhaltung der Gebäude gesteckt.
       
       24 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Kaiser
       
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