# taz.de -- 70.-71. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Aus dem Kongo nach Darfur
       
       > Ein erneut geladener ehemaliger FDLR-Kämpfer berichtet darüber, wie
       > Demobilisierte in Ruanda organisiert sind – und wird gebeten, bei den
       > Ermittlungen zu helfen.
       
 (IMG) Bild: Wer einmal im Kongo in der Ausbildung war, bleibt für immer Soldat und wird nie wieder Zivilist.
       
       Stuttgart taz | Erstmals ist am 15. und 18. April einer der demobilisierten
       Milizionäre der ruandischen FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung
       Ruandas), deren Präsident Ignace Murwanashyaka und Vizepräsident Straton
       Musoni in Stuttgart vor Gericht stehen, vom Oberlandesgericht Stuttgart
       erneut geladen wurden. Der Zeuge M, der Ende Februar und Anfang März
       bereits aussagte (siehe Bericht zu Tagen 62-64), wurde jetzt ausführlicher
       von der Verteidigung befragt.
       
       Den Grund für die unüblich schnelle erneute Ladung erfuhr die Verteidigung
       erst während dieser Befragung und war darüber leicht pikiert: M. wird
       mittlerweile in Ruanda erneut als Soldat ausgebildet, um zur
       UN-Blauhelmmission ins sudanesische Darfur geschickt zu werden.
       
       Darfur ist ein beliebtes Einsatzgebiet für ehemalige FDLR-Kämpfer geworden.
       „Man hat gesehen, dass demobilisierte Soldaten nicht einfach sitzenbleiben
       können, deswegen wurden sie mitgenommen, damit sie Auslandseinsätze
       mitmachen und etwas Geld verdienen können bevor sie dann ins normale zivile
       Leben zurückkehren“, erklärt M. Die Ausbildung finde mit Holzgewehren
       statt.
       
       Der Verteidigung ging es unter anderem darum, nachzuweisen, dass M. – und
       damit möglicherweise auch alle anderen ehemaligen FDLR-Kämpfer, die in
       Stuttgart als Zeugen aufgetreten sind – in Ruanda kontrolliert und
       überwacht werden und ihre Aussagen daher nicht zu gebrauchen sind, weil
       nach FDLR-Auffassung Ruanda ein totalitärer Staat ist und ehemalige FDLRer
       in Ruanda damit ein Rädchen im Getriebe, wie es einer der Anwälte
       formuliert. M schilderte daraufhin ausführlich, in welchen Strukturen sich
       ehemalige FDLR-Kämpfer in Ruanda bewegen, wies aber jede Mutmaßung zurück,
       seine Aussagen seien gesteuert.
       
       „Jeder, der Soldat war, wird demobilisierter Soldat und nicht ein Zivilist
       wie andere Zivilisten“, stellt M. klar. Sie sind alle Angehörige der
       Reserve. Die FDLR-Kämpfer, die aus dem Kongo zurückkommen, durchlaufen erst
       das Demobilisierungslager Mutobo mit seinen Wiedereingliederungskursen und
       gehen dann in ihre Dörfer, aber dort bleiben sie nicht sich selbst
       überlassen.
       
       ## Sein Vorgesetzter weiss nicht, dass er in Stuttgart ist
       
       M. selbst ist Kommandant einer Zelle – die unterste ruandische
       Verwaltungseinheit mit 100 Haushalten, wie er sagt – in der sich 28 bis 30
       demobilisierte Soldaten befinden, nicht nur FDLR sondern auch
       demobilisierte Soldaten der ruandischen Regierungsarmee. Er wurde von ihnen
       gewählt und ist Unteroffizier. „Ich muss ihre Probleme kennen“, beschreibt
       er seine Aufgabe als Zellenführer. „Ich kümmere mich um die Sicherheit, mit
       den Kameraden reden wir über Politik und unsere Angelegenheiten.“
       
       M. ist damit unterstes Glied in einer Hierarchie, das über den Sektor und
       den Distrikt zur Provinz West und dann bis ins Verteidigungsministerium in
       Kigali reicht. Sein Vorgesetzter wisse aber nicht, dass er jetzt in
       Stuttgart sei. „Er weiß, dass ich in der Ausbildung bin... Keiner weiß,
       dass ich hier bin, außer das höchste Gericht von Ruanda“.
       
       In einer kuriosen Wendung kommt schließlich die Verteidigung auf die Idee,
       M. als Zellenleiter könne vielleicht helfen, weitere Zeugen in Ruanda
       ausfindig zu machen. Da M. zuvor ausführlich berichtet hat, wie Funksprüche
       der FDLR-Führung innerhalb der FDLR-Militärhierarchie empfangen,
       abgeschrieben, archiviert, verteilt und weitergeleitet wurden, soll er
       einen Funker des FDLR-Militärchefs Mudacumura ausfindig machen, schlagen
       die Anwälte Murwanashyakas vor.
       
       Die Bundesanwaltschaft widerspricht: Es sei nicht Sache eines Zeugen,
       Ermittlungen in Ruanda durchzuführen. „Es ist nur eine Bitte“, sagt dazu
       der Vorsitzende Richter Hettich. „Er ist nicht verpflichtet, es zu machen,
       wir können nicht einschätzen, ob Konsequenzen für ihn möglich wären“. Er
       erklärt sich dazu bereit. Offensichtlich ist M. für die Verteidigung nach
       Beendigung ihrer Befragung jetzt kein „Rädchen im Getriebe“ mehr.
       
       Redaktion: Domic Johnson
       
       3 May 2012
       
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