# taz.de -- Spurensuche in Wales: Dylans Stammlokal gibt es noch
       
       > Igor Strawinsky, Bob Dylan und die Beatles wurden von Dylan Thomas‘
       > Versen beeinflusst. In seiner südwalisischen Heimat huldigt man dem
       > Poeten.
       
 (IMG) Bild: Thomas Dylan und das Meer.
       
       Swansea, im Südwesten von Wales: Hier, in der Arbeiter- und Hafenmetropole,
       begegnet man überall dem berühmtesten Sohn der Stadt. Dylan Thomas und
       Swansea sind wie Shakespeare und Stratford. In der neuen Hafencity haben
       die Stadtväter extra ein Denkmal für Dylan errichten lassen.
       
       Das gebe „eine gewisse Aufmerksamkeit, denn sein Name ist wie ein Logo und
       gibt uns eine Identität“, sagt Peter Stead, Literaturprofessor an der
       Universität Wales. In Bronze gegossen sitzt Dylan auf der Kante eines
       Stuhls. So, als ob er gerade aufspringen wolle, um den Besuchern persönlich
       das Dylan-Thomas-Theatre hinter seinem Rücken zu zeigen.
       
       Swansea war seine Heimatstadt, und er hat die zweitgrößte walisische
       Metropole nach Cardiff immer wieder beschrieben. Dylans poetische Energie
       speiste sich aus der Hassliebe zu ihren Bewohnern und ihrer Lebensweise:
       „This ugly, beautiful town“, die sich an einer langen herrlich
       geschwungenen Küste ausbreitet, „wo Schulschwänzer, Strandläufer und alte
       Männer nach Standgut suchten, umhertrödelten, den Schiffen nachsahen“.
       
       Swansea ist mit seinen 200.000 Einwohnern bis heute eine Arbeiterstadt
       geblieben, die sich vom Schutt und vom schleichenden Gift ihres
       industriellen Erbes zu befreien versucht: Im 19. Jahrhundert gehörte die
       Gegend um Swansea zum größten Kupferverarbeitungszentrum der Welt. Hier, wo
       angeblich der Stein von König Artus steht, aus dem er das Schwert Excalibur
       herauszog, an den halbmondförmigen, sandigen Buchten und den grünen Heiden,
       vergisst man fast, dass die Stadt Mittelpunkt eines industriellen
       Ballungsgebietes ist.
       
       Von den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs fast völlig zerstört,
       beherrschen heute einstöckige Häuser das Bild, kleine Handwerksbetriebe,
       ein paar wunderschön renovierte klassizistische Villen und trostlose
       Backstein-Arbeitersiedlungen. Lange Zeit sei Dylan in Swansea überhaupt
       nicht gewürdigt worden, erzählt Jeff Towns. Der Buchhändler und
       Ehrenbotschafter des mit 30.000 britischen Pfund dotierten Dylan Thomas
       Prize 2011 ist eine Institution in Sachen Thomas: „Erst in den 1990er
       Jahren hat man ihm Beachtung geschenkt. In Wales gab es so eine Art
       puritanische Gegenbewegung.
       
       Den Leuten gefiel die Vorstellung nicht, dass ihr wertvollstes kulturelles
       Exportgut als Trunkenbold und Frauenheld bekannt war, als Bohemien und
       leichtlebiger Mensch.“ Aber mit der Zeit sei einigen Leuten in der
       Tourismusbranche und im Gemeinderat klar geworden, dass mit diesem Mann ein
       Geschäft zu machen war, so Towns.
       
       Anziehungspunkt für kulturbelesene Touristen will Swansea werden. Mit Hilfe
       der Europäischen Union haben die Stadtoberen dafür zahlreiche
       Kulturprojekte auf den Weg gebracht: Ein Hafenquartier mit eleganten
       Häusern und Eigentumswohnungen ist entstanden, neue Brücken und
       Busverbindungen wurden angelegt, der Straßenbau vorangetrieben. Rund um die
       zentrale St. Marys Church wimmelt es nur so von Kneipen, Restaurants und
       den überall gleichen Geschäften.
       
       Im Jahr 1995 wurde das Dylan Thomas Centre vom ehemaligen US-Präsidenten
       Jimmy Carter eröffnet, der sogar ein eigenes Gedicht über Dylan geschrieben
       hat (“Des Walisers schwermütige Kunst“). Seitdem bietet das Haus eine
       hervorragende Dauerausstellung mit Erstausgaben, Fotos und
       Erinnerungsstücken. Kein multimedialer Überwältigungsschnickschnack. Hier
       huldigt man dem Dichter und seiner Verskunst. Vom Hafen geht es schließlich
       einen steilen Berg hinauf. Nicht umsonst wird Swansea die Stadt auf sieben
       Hügeln genannt.
       
       ## Dylan liebte Listen
       
       Uplands heißt das Viertel, die zungenbrecherische Straße Cwmdonkin Drive.
       Kleine Häuser, winzige Vorgärten, typisch für die britische Mittelschicht.
       Hier wurde Dylan Thomas am 9. November 1914 geboren. Nummer 5, Dylans
       Elternhaus: ein unauffälliges Reihenhaus. Würde nicht ein kleines Schild
       darauf aufmerksam machen, ginge man daran glatt vorbei, so bescheiden wirkt
       das 2008 wieder eröffnete Gästehaus von außen.
       
       Anne Haden und ihr Mann Geoff haben das historische Gebäude gepachtet und
       umfangreich restauriert. Alles wurde im viktorianischen Stil möbliert,
       dicke Polsterstühle, dunkle Hölzer, einige Betten mit Baldachin, die Wände
       in kräftigen roten und blauen Originalfarbtönen gestrichen, ganz so wie die
       Thomas-Familie 1914 gewohnt hat. Das Geburtshaus mit seinen vier Zimmern
       bietet Platz für sieben Personen und kann für Tage oder Wochen gemietet
       werden. Darunter auch Dylans Kinderzimmer, wo der Elfjährige bereits seine
       ersten Gedichte schrieb.
       
       Wie zu Dylans Lebzeiten müssen die Gäste auf die Errungenschaften unserer
       Moderne verzichten. Statt Mikrowelle, Wireless LAN, Telefon und Fernseher
       gibt es ein Grammofon, eine Bibliothek und vom ehemaligen
       Elternschlafzimmer aus einen herrlichen Panoramablick auf die Swansea Bay.
       5 Comdonkin Drive ist kein Museum, aber in der unvermieteten Zeit steht es
       Besuchern offen, die mehr über Dylan Thomas und die damalige Zeit erfahren
       möchten.
       
       Eine gute Autostunde von Swansea entfernt liegt das kleine Städtchen
       Laugharne (ausgesprochen „Laan“). In seinem kurzen Dichter- und Säuferleben
       hatte der walisische Nationaldichter zuletzt in Laugharne gelebt, dieser
       „verzaubernden Inselstadt“ am Meer. Hier in der Region Carmarthenshire
       entstanden „Unter dem Milchwald“, „Fern Hill“ und „Gedicht im Oktober“, die
       zu Dylans berühmtesten Werken gehören.
       
       Durch das beschauliche Dörflein führt eine kopfsteingepflastert
       Hauptstraße. Dicht an dicht stehen einstöckige, bunt bemalte Häuser,
       darunter „Browns Hotel“. Dylans Stammlokal gibt es noch immer. Allerdings
       ist es schon seit einigen Jahren geschlossen. Im Jahr 2012 soll es nach
       einer aufwendigen Renovierung wieder seine Türen und 15 Zimmer für Gäste
       aus aller Welt öffnen.
       
       Nicht weit vom Browns entfernt beginnt Dylans Walk. Gleich am Anfang des
       Spazierweges steht das „Seaview“. Seit Kurzem erstrahlt das ehemalige Haus,
       das der Familie Thomas gehörte, wieder in neuem Glanz. „Restaurant with
       rooms“ steht auf dem Willkommensschild. Britisches Understatement. Die vier
       hübschen, im viktorianischen Plüsch eingerichteten Zimmer sind keineswegs
       nur für jene gedacht, die nach einem köstlichen Dinner im exzellenten
       5-Sterne-Restaurant der walisischen Trinkfestigkeit Tribut zahlen müssen
       und zum Übernachten bleiben.
       
       Am Ende von Dylans Walk wartet der Höhepunkt eines jeden Laugharne Besuchs:
       das Boathouse, in dem die Thomas-Familie bis zu Dylans Tod gelebt hat und
       das heute als Museum dient. Ein paar Schritte davor liegt Dylans
       Schreibklause. Die ehemalige Autogarage hat einen frischen Außenanstrich
       bekommen: Das leuchtende Türkis wirkt exotisch gegen den grauen
       Wattenschlick. An der Vorderseite wurde eine Guckfenstertür eingebaut, die
       den Blick auf das Innere freigibt. Überall liegen Papierlisten herum. Dylan
       liebte Listen.
       
       Er hatte unzählige Reihen sich reimender Wörter zusammengestellt und von
       den Ereignissen, die in seinen Gedichten vorkommen sollten. Die
       Dichterwerkstatt will den Eindruck des Authentischen vermitteln: der
       eiserne Kohleofen, ein Holztisch, daneben Dylans Bücherbord. An der Wand
       hängen Fotos von Walt Withman, D. H. Lawrence und Thomas Hardy, Dylans
       Vorbildern. Zwei Bierflaschen stehen auf dem Schreibtisch, am Stuhl hängen
       Sakko und Schlips, so als sei Dylan nur kurz ein Pint im Browns trinken
       gegangen.
       
       12 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) M. Marek
 (DIR) S. Guntermann
       
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 (DIR) Bob Dylan
       
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