# taz.de -- Verena Becker vor Gericht: Ein RAF-Prozess als Farce
       
       > Seit 2009 läuft der Prozess gegen die Ex-RAF-Terroristin Verena Becker.
       > Nun wurde Bommi Baumann angehört, der sie in die "Bewegung 2. Juni"
       > aufnahm.
       
 (IMG) Bild: Zeigt keine Regung: Verena Becker im Gerichtssaal in Stuttgart.
       
       BERLIN taz | Der Sitzungssaal im Stuttgarter Oberlandesgericht war gut
       gefüllt. Auf seinen Auftritt als Zeuge im Prozess gegen die der Beteiligung
       am Buback-Attentat angeklagte Verena Becker hatten nicht wenige gewartet.
       
       Schließlich war mit Michael Baumann, in der Szene kurz "Bommi" genannt,
       jener Exterrorist vorgeladen, der Becker 1972 in die "Bewegung 2. Juni" und
       damit - drei Jahre bevor sie zur RAF überwechselte - in ihre erste
       terroristische Organisation aufnahm. Was wusste er über Beckers damalige
       Rolle und wie bewertete er sie als mutmaßliche Informantin des
       Verfassungsschutzes?
       
       Um das Ende vorwegzunehmen - an Baumanns Auftritt gab es nichts, was sich
       im Sinne der Aufklärung für das Verfahren irgendwie hätte verwerten lassen.
       Kaum eine seiner Behauptungen schien belastbar zu sein. Insbesondere
       Baumanns Aussagen über Beckers Verbindungen zum Verfassungsschutz wurden
       auf den Status bloßer Spekulationen herabgestuft.
       
       Anklage und Verteidigung unterließen zudem nichts, um den ehemaligen
       Terroristen als Zeugen völlig unglaubhaft erscheinen zu lassen. Die größte
       Keule wurde dabei vom Vertreter der Anklage, von Bundesanwalt Hemberger,
       geschwungen. Einer der Dialoge lautete sinngemäß:
       
       Frage: Herr Baumann, nehmen Sie Drogen?
       
       Antwort: Ja.
       
       Frage: Seit wann?
       
       Antwort: Ich nehme seit 1967 Opiate.
       
       Frage: Ununterbrochen?
       
       Antwort: Nee. 1993 habe ich 15 Jahre lang gar nichts mehr genommen.
       
       Frage: Und warum haben Sie mit Ihrem Drogenkonsum wieder begonnen?
       
       Antwort: Wegen meiner geringen Lebenserwartung habe ich mir gesagt, jetzt
       kommt es auch nicht mehr drauf an. Irgendn Hobby hat schließlich jeder.
       
       Zwei der Richter schlugen daraufhin die Hände vor ihrem Gesicht zusammen.
       Nicht etwa aus Empörung, sondern um zu vermeiden, dass man ihre entgleisten
       Gesichtszüge sah. Sie konnten sich vor Lachen nicht mehr halten und wollten
       offenbar verhindern, dass diese Schwäche vor aller Augen sichtbar geworden
       wäre. Bei einer Zeugenbefragung die Contenance zu verlieren, gehört sich
       schließlich nicht für ein deutsches Gericht.
       
       Auffällig war, dass die von Baumann weniger als drei Meter entfernt
       sitzende Angeklagte selbst auf einen solchen Brüller hin nicht reagierte.
       Beckers Gesichtsausdruck blieb wie immer auch in dieser Situation völlig
       versteinert. Sie grinste nicht, sie lachte nicht, sie machte den Eindruck,
       als verfüge sie nicht einmal über einen Lachmuskel.
       
       Ihre Sonnenbrille schien ein stoneface zu verbergen, das einem
       Stummfilmklassiker wie Buster Keaton zur Ehre gereicht hätte. Nur mit dem
       Unterschied, dass Keatons Gesicht eine tiefe Traurigkeit ausstrahlte,
       während Beckers Verzicht auf den geringsten Ansatz an Mimik im Gegensatz
       zum einstigen Hollywoodstar eher maskenhaft erstarrt wirkte.
       
       Für Hemberger schien die Sache damit erledigt zu sein. In der zweiten
       Hälfte der Zeugenbefragung verzichtete er vollständig darauf, noch einmal
       das Wort zu ergreifen. Offenbar hatte er erreicht, was er wollte. Die
       Tatsache, dass sich Baumann in einem Drogenersatzprogramm befindet, war für
       ihn nicht der Erwähnung wert. Einen Unterschied zwischen Methadon und
       Heroin zu machen, kam ihm nicht in den Sinn.
       
       Hauptsache, der Eindruck hatte sich verfestigt, dass der Exterrorist in
       seiner Wahrnehmungsfähigkeit als eingeschränkt und insofern als
       unzuverlässig gelten musste. Nun konnte er sagen, was er wollte, jegliches
       Nachhaken erübrigte sich von selbst. Alles war durch das Bekenntnis zum
       Drogenkonsum zur Genüge diskreditiert. Der Zeuge Baumann - darin schien
       sein insgeheimes Resümee zu bestehen - konnte von der Staatsanwaltschaft
       unter den erledigten Fällen abgebucht werden.
       
       ## Zwei Kulturen
       
       Auffällig war wieder einmal, wie sehr sich Bundesanwalt Hemberger darauf
       konzentrierte, Zeugen nach allen Regeln anwaltlicher Kunst
       auseinanderzunehmen, geradezu zu demontieren. Angesichts dieser Einstellung
       drängte sich erneut der Eindruck auf, als sei er der wirkliche Verteidiger
       Verena Beckers. Jedenfalls wird bereits seit längerem von
       Prozessbeobachtern gemutmaßt, dass in diesem Verfahren der Staat die
       Angeklagte verteidigt. Das aber wäre eine Perversion des Rechtsstaats, wenn
       der Vertreter der Anklage insgeheim die Interessen der Angeklagten, in
       diesem Fall einer Exterroristin, vertritt.
       
       Baumann hatte Becker 1971 ebenfalls in einem Prozess, allerdings unter
       beinahe entgegengesetzten Vorzeichen kennengelernt. Damals war er zusammen
       mit Georg von Rauch angeklagt gewesen. Und Becker gehörte in dieser Zeit
       zur "Schwarzen Hilfe", die es sich zum Ziel gesetzt hatte, politische
       Gefangene zu unterstützen. Das letzte Mal gesehen haben will er sie im
       Sommer 1972, kurz vor Beckers eigener Verhaftung. Wenn er ihr heute auf der
       Straße begegnet wäre, wusste Baumann zu betonen, dann hätte er sie nicht
       wiedererkannt.
       
       Es waren vor allem zwei Punkte, die Baumann an Beckers später an den Tag
       gelegten Verhalten monierte. Erstens verstünde er nicht, wie man als
       Mitglied der "Bewegung 2. Juni", der sie schließlich ihre Freipressung im
       Zuge der Lorenz-Entführung zu verdanken hätte, zur RAF habe überwechseln
       können. Das sei undankbar. Und zweitens sei ihm schleierhaft, wieso sie vom
       Gefängnis aus mit dem Verfassungsschutz Kontakt aufgenommen habe. Wenn man
       etwas sagen wollte, dann hätte man sich doch an die Polizei oder die
       Staatsanwaltschaft wenden müssen und nicht an einen Geheimdienst.
       
       ## Baumann nicht ernst genommen
       
       Um zu unterstreichen, wie klar das alles für ihn war, schob Baumann auch
       dieses Mal wieder ein "Aber hallo" hinterher. Beide Gesichtspunkte
       erweckten in der Tat ein erhebliches Maß an Plausibilität, für das Gericht
       aber besaßen sie keinerlei Relevanz. Es war so, als wenn sie überhaupt
       nicht ausgesagt worden wären. Niemand hakte nach, auch Michael Bubacks
       Anwalt nicht.
       
       Baumanns Auslassungen waren mitunter so simpel, dass sich weitere
       Nachfragen erübrigten. Häufig kamen sie im Kleid einer lakonisch anmutenden
       Form der Selbstevidenz daher. Eine der lakonischen Feststellungen lautete:
       "Die RAF redet nicht und der Staat öffnet seine Akten nicht. Das versteh
       ich nicht. Da stimmt doch was nicht dran." So einfach stellt sich das für
       jemanden dar, der seine Erfahrungen schließlich mit beiden Seiten gemacht
       hat.
       
       Die Tatsache, dass man es in Baumanns Person mit jemandem zu tun hatte, der
       sich im Unterschied zu den meisten anderen Ehemaligen glaubwürdig vom
       Terrorismus distanziert, war im Übrigen keinerlei Erwähnung wert. Als er
       zur RAF erklärte, dass deren Mitglieder ihn hassen würden "wie die Pest",
       wurde er gefragt, ob er Schutz von staatlicher Seite benötige. Doch wie
       nicht anders zu erwarten, verneinte er das.
       
       Wer die Befragung des Zeugen insgesamt verfolgt hat, der wird sich kaum des
       Eindrucks erwehren können, einem kulturellen Clash beigewohnt zu haben. Es
       war so, als seien im Stuttgarter Gerichtssaal zwei Welten
       aufeinandergeprallt. Man hatte fortwährend das Bild von einem strukturell
       bedingten Missverständnis vor Augen, ganz so als spräche man ständig
       aneinander vorbei.
       
       Vor 30 Jahren war man angesichts der wechselseitigen Sprachunfähigkeit
       zwischen der alten und der jungen Generation auf die Idee gekommen, von den
       "zwei Kulturen" zu reden. Damit sollte der lebensweltliche Abstand zwischen
       der Kultur der Aussteiger und der der sogenannten Normalos bestimmt werden.
       In Stuttgart schien es ganz so, als habe sich daran immer noch nichts
       geändert.
       
       Bei der dortigen Zeugenvernehmung konnte man auch eine Erklärung erhalten,
       wie Baumann einst an seinen Spitznamen "Bommi" gekommen war. Das Kürzel ist
       - wie sich herausstellte - sehr viel älter als gedacht. Es handelt sich bei
       ihm auch nicht - wie von manchem vermutet - um eine Verballhornung von
       "Bombe" oder "Bombenbauer". Der Name "Bommi" stammt von der Schnapsmarke
       "Bommerlunder". So hatte man ihn bereits 1960 während seiner Schulzeit
       genannt: "Und das bin ich dann nicht mehr losgeworden." Es scheint, als sei
       er auch später von dem, was mit ihm assoziiert wurde, so einiges nicht mehr
       losgeworden.
       
       7 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolfgang Kraushaar
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bewegung 2. Juni
 (DIR) Anarchismus
       
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 (DIR) Letztes Geleit für Bommi Baumann: Immer in der ersten Reihe
       
       Der Haschrebell wurde am Freitag beerdigt. Obwohl er nur zwei Jahre lang
       Aktivist der Bewegung 2. Juni war, wurde er immer darauf reduziert.
       
 (DIR) Nachruf auf Bommi Baumann: Wie alles endete
       
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       „Bewegung 2. Juni“. Ein Anarchist, der später wie ein englischer Lord
       auftrat.
       
 (DIR) Buback-Prozess in Stuttgart: Kam, sah und schwieg
       
       Der einstige RAF-Kämpfer Christian Klar hätte viel dazu beitragen können,
       den Mord an Siegfried Buback aufzuklären. Doch er verweigert die Aussage
       über dessen Mord.
       
 (DIR) Buback-Prozess: "Keine schützende Hand über Becker"
       
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 (DIR) Fall "Verena Becker": "Die Sola war es, die geballert hat"
       
       Das Hamburger Institut für Sozialforschung präsentiert einen neuen Zeugen
       zum Buback-Mord. Es ist der ehemalige Chefreporter der "Bild"-Zeitung, Nils
       von der Heyde.
       
 (DIR) RAF-Prozess in Stuttgart: Boock entlastet Becker
       
       Rückendeckung vom Ex-Kampfgenossen: Peter-Jürgen Boock sagt im Prozess
       gegen Verena Becker aus, sie habe bei der Planung des Buback-Mords nicht
       als Einpeitscherin gewirkt.