# taz.de -- Lech: Geläuterter Massenski
       
       > Der Arlberg ist verkehrsmäßig die Hölle. Dabei fahren wir in das Reich
       > der Fußgänger und Skifahrer
       
 (IMG) Bild: Weißer Ring Liftstation
       
       Natürlich ahnen wir Schlimmes: Das Skigebiet von Lech, unser Ferienziel,
       ist soeben als besonders umweltfreundlich ausgezeichnet worden. Wie aber
       soll das möglich sein bei den Massen an Skifahren, die ins Tal strömen?
       Unser Quartier liegt in Oberlech. Per Kabinenbahn geht es hinauf, das
       Gepäck haben wir einfach abgegeben, es wird per Lastengondel
       hinaufgeschafft und oben in einem unterirdischen Verbindungsgang direkt in
       unser Hotel gebracht. Fein! Kein Auto weit und breit. Noch besser! In
       weniger als fünf Minuten hat uns die Seilbahn in ein Reich der Fußgänger,
       Rodler und Skifahrer katapultiert. Fast sind wir erschrocken über die
       plötzliche Ruhe.
       
       Lech-Zürs ist nicht nur für die Weitläufigkeit seines Skigebiets bekannt,
       sondern auch für eine beispiellose Maßnahme: Sobald 14.000 Wintersportler
       die Zugangsschranken passiert haben, werden keine Tageskarten mehr
       verkauft. Leisten kann man sich diese freiwillige Selbstbeschränkung, weil
       Tagestouristen nur eine Nebenrolle spielen. In Lech findet die
       Wertschöpfung noch ganz traditionell in der Beherbungsbranche und in der
       Gastronomie statt. So wird der Übernachtungsgast an schönen Tagen nicht von
       der Welle der Tagestouristen überrollt, von denen sich die
       Bergbahngesellschaften überall sonst die Kassen füllen lassen.
       
       Erstaunlich weitsichtig waren die Lecher auch in Sachen Bebauungspolitik:
       Hochhausklötze gibt es ebenso wenig wie gesichtslose Appartementsilos. Ein
       kategorisches Verbot von Zweitwohnungen hat der Zersiedelung rechtzeitig
       Einhalt geboten. So kürte die Entente Florale die einstige Walsersiedlung
       vor wenigen Jahren zum "schönstes Dorf Europas", was einem nun doch
       ziemlich schmeichelhaft erscheint. Wenn damit aber nicht ein dörfliches
       Idyll gemeint sein soll, sondern die gelungene Schadensbegrenzung einer
       boomenden Wintersportdestination, so ist diese Auszeichnung mehr als
       berechtigt.
       
       Der typische Lech-Gast ist nach wie vor der passionierte Skifahrer. Kaum
       einer kehrt nach Hause zurück, ohne mindestens einmal den legendären
       "Weißen Ring" abgefahren zu haben. Die spektakuläre Runde beginnt mit der
       Auffahrt zum Rüfikopf, auf dessen Rückseite man talwärts schwingt, um sich
       dort von Lift zu Lift weiter zu hangeln. Am Ende dieser zweiundzwanzig
       Kilometer langen Skisafari hat man 5.500 Höhenmeter und vier Bergzüge
       überwunden, ist in mehrere Seitentäler abgefahren und hat dabei Lech
       weiträumig umkreist. Statt auf hoffnungslos überfüllten Tummelplätzen
       carven wir immer wieder auf schmaler Piste durch herrlich unerschlossenes
       Terrain. Dass die Lecher Bergwelt nicht zum großflächigen Freizeitpark
       planiert wurde, wissen die zahllosen Stammgäste zu würdigen.
       
       In Oberlech finden wir nach 23 Uhr ein offenes Lokal. Die reichste
       Feriengemeinde Österreichs ist nun mal eine Art Anti-Sölden, ein
       Wintersportplatz, in dem das Ski- und Snowboardfahren nicht als Vorwand für
       ganz andere Urlaubsvergnügungen dient. Lech bietet den sympathischen
       Kontrapunkt zur Ballermannisierung des Wintersports, für die Österreich zum
       Synonym geworden ist. Wer seine Schwünge zwischen Valluga und Mohnenfluh
       zieht, kann das alpine Skifahren noch für ein Kulturprodukt halten - für
       ein unschuldiges Freizeitvergnügen, das noch nicht in den Abgründen der
       Spaßgesellschaft versunken ist. Andererseits ist auch in Lech das 21.
       Jahrhundert angekommen.
       
       Zwei Drittel der Pistenflächen werden künstlich beschneit und statt von
       rustikalen Zweiersesseln der älteren Generation wird man von superschnellen
       Vierern und Sechsern mit Windschutzhaube den Berg hinaufgeschaufelt.
       Absurder Komforthöhepunkt ist die hie und da vorhandene Sitzheizung -
       reiner Zynismus, wenn man an den Klimawandel denkt.
       
       Und doch ist Lech in Sachen "Ökologie" der Konkurrenz weit voraus. Als
       einziges Skiunternehmen Österreichs legen die Skilifte Lech seit 1999 immer
       wieder detaillierte Umweltberichte vor. Sie dokumentieren, dass man beim
       technischen Umweltschutz alle Register zieht. Folgerichtig hat das
       Unternehmen nun den erstmals ausgeschriebenen Umweltpreis der Stiftung "Pro
       natura - pro ski" bekommen. Gelobt wurden vor allem der Wille zur
       Transparenz und das Management einer hohen Anzahl von Skifahrern in einem
       kompakten Gebiet. Die Juroren legten indes auch den Finger in eine offene
       Wunde: die mangelnde Einbindung von Natur- und Umweltorganisationen. Für
       deren Blickwinkel hat Geschäftsführer Michael Manhart wenig Verständnis.
       "Wir gehen so schonend mit unserer Natur um, dass die Journalisten im
       Sommer immer wieder ungläubig fragen, wo denn hier im Winter eigentlich Ski
       gefahren wird", sagt er mit einem Selbstbewusstsein, das alle kritische
       Rückfragen im Keim ersticken lässt.
       
       Vom Expansionsideen mag man sich allerdings noch nicht verabschieden:
       "Unser Skigebiet schrumpft relativ, weil überall sonst sich die großen
       Skigebieten zu noch größeren zusammenschließen", sagt Manhart mit besorgter
       Miene. Deshalb brauche man die Verbindungen nach St. Anton und dem nahen
       Warth, das im Winter nicht einmal mit dem Auto erreichbar ist. In dieser
       Hinsicht redet er trotz Sorge um die Natur der Wachstumslogik das Wort.
       
       Paralysiert vom Kerngeschäft Skifahren hatte man auch den Trend zum
       Winterwandern lange Zeit verschlafen. Nach Gästebefragung ist jedoch klar
       geworden, welch hohen Stellenwert die sanften Wintervergnügungen heute hat.
       Mit der ortsüblichen Professionalität ersteht nun ein Winterwanderweg nach
       dem anderen, im nächsten Jahr soll auch die ärgerliche Lücke zwischen
       Kriegeralp und Balmalp geschlossen werden. In Richtung Warth wird seit
       dieser Saison eine Runde zur weltfernen Geißbühelalp gespurt, die ganz
       sicher zu den schönsten Winterwanderwegen Österreichs gehört.
       
       Klar, dass angesichts des Riesenerfolgs dieses Angebots mancher Hotelier am
       Sinn der Skigebietserweiterung zu zweifeln beginnt. Wie immer angepasst man
       den geplanten Verbindungslift nach Warth auch bauen würde, die
       Beschaulichkeit des Auenfelds wäre dahin. Und ein vergleichbares
       Landschaftsidyll gibt es in ganz Lech nicht mehr. Zudem hätte man nun eine
       Einfallschneise für die Massentouristen geschaffen, die man draußen halten
       will. Ein Imageschaden, von dem sich die Qualitätsdestination kaum erholen
       würde. Womöglich wird aber doch noch die Notbremse gezogen. Schließlich hat
       sich Lech das ehrgeizige Ziel gesetzt, auf allen Gebieten nur höchste
       Qualität zu liefern.
       
       20 Feb 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gerhard Fitzthum
       
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 (DIR) Reiseland Österreich
       
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