# taz.de -- Kolumne Landmänner: Sterben geht besser ohne Glauben
       
       > Warum die gütige Maria aus unserer Scheune verbannt wurde und
       > Glaxo-Smith-Kline besser ist als Weihwasser.
       
       So lange ist das noch nicht her, der Rausschmiss aus dem „Katholischen
       Krankenhaus“. Ein guter Freund war an Aids erkrankt, Vollbild, und hatte
       solche Todesangst, dass ich über Nacht einfach bei ihm geblieben bin. Und
       zwar in seinem Bett, an ihn gekuschelt, denn nur körperliche Nähe konnte
       ihn beruhigen.
       
       Am nächsten Morgen erschien dann der katholische Chefarzt und hielt dem zu
       diesem Zeitpunkt Sterbenden eine moralische Standpauke ob dieses
       skandalösen nächtlichen Vorgangs. Ich hatte danach sofort Himmel & Hölle
       zugleich in Bewegung gesetzt, und schon am übernächsten Tag konnte er den
       Ort christlicher Barmherzigkeit verlassen. Wir nahmen Abschied von der
       gütigen Maria aus Stein, die im Innenhof des Krankenhauses auf einem
       Brunnen thronte. Anschließend wurde er in die glücklicherweise gottlose
       Charité in Berlin-Mitte überführt. Er lebt dank GlaxoSmithKline bis heute,
       ganz ohne Gebete, Weihwasser & Rosenkranz.
       
       Die gütige Maria aus Gips flog dann am folgenden Wochenende aus der
       Scheune. Mein Mann ist mit dem Künstler befreundet, der die Skulptur für
       das Krankenhaus angefertigt hatte. Wir wollten die bei uns
       zwischengelagerte Gipskopie irgendwie nicht mehr haben.
       
       Wenn es im Leben bloß immer so einfach wäre, sich die Dinge vom Halse zu
       halten. Wenn man zum Beispiel einfach nur eine Kopie von Ratzingers roten
       Pantöffelchen in den Ofen werfen könnte, um fürderhin nicht mehr hören zu
       müssen, dass der „Heilige Vater“ mit dem „Naturrecht“ gegen die europäische
       Gleichbehandlungs-Gesetzgebung argumentiert. Und mit der Nummer sogar ernst
       genommen wird, anstatt unter der Rubrik „Buntes aus aller Welt“ zu landen,
       wie es noch in den Neunzigern üblich war.
       
       Noch bescheuerter ist nur, dass der Slogan „Wir sind Papst!“ eigentlich das
       Motto des nächsten CSD sein könnte, womit ich jetzt elegant eine direkte,
       zitierfähige Aussage vermeide. Religiöse Gefühle zu beleidigen ist ja
       mittlerweile lebensgefährlich.
       
       Gefährlich ist es laut dem renommierten Sportsoziologen Gunter A. Pilz
       auch, sich als schwuler Fußball-Profi zu outen: „Die Konsequenzen wären
       glasklar. Der Fußballer sähe sich einem Spießrutenlauf ausgesetzt.“ Und ja,
       alle sind ganz furchtbar neugierig, wer es denn bitte sein könnte? Das ist
       die nationale Variante des beliebten Party-Spiels „Wer von den Gästen ist
       denn wohl schwul“. Das macht ja so viel Spaß. Und wenn sich dann Gareth
       Thomas nach (!) dem Ende seiner Karriere als Rugby-Spieler outet, zeigt man
       ihn im Fernsehen immer bloß im hautengen Shirt – und noch besser: wie er
       einen kleinen Jungen an der Hand hält und mit ihm ins Stadion läuft.
       
       Unser ebenfalls schwuler Nachbar auf dem Dorfe lebt aus genau diesen
       Gründen in ständiger Angst davor, dass irgendwo in der Umgebung ein kleiner
       Junge verschwinden könnte. Dann nämlich, so fürchtet er, stünde der
       brandschatzende Mob in null Komma nix vor der Tür. Ob er recht hat? Ich
       will es lieber nicht ausprobieren.
       
       Mein Mann und ich waren neulich mal wieder in der Charité in Berlin-Mitte.
       Ein anderer Freund liegt dort, weil seine HIV-Medikamente gerade ihren
       Dienst versagen. Er ist seit Anfang der Achtziger positiv. Er erzählte, wie
       es als ehemaliger Schauspieler seine Art ist, mit gestützter,
       raumgreifender Stimme von Aids und seiner MUTTTER – mit diesen drei T, die
       nur Schwule draufhaben. Währenddessen beobachtete ich nervös den
       heterosexuellen, bildungsfern anmutenden Zimmernachbarn. Aber es war – Gott
       sei Dank – ein richtiger Berliner. Ich liebe diese Stadt.
       
       4 Feb 2010
       
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 (DIR) Martin Reichert
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