# taz.de -- die wahrheit: Mandy, der Kampfhamster
       
       > Ein Besuch in der Akademie für Sommerlochtiere. Die
       > Wahrheit-Tierreportage
       
       Mit geübtem Handgriff lässt Ingo Kreuleidis die Kette herunter, bis die
       Rinderhälfte knapp über dem Boden des leeren Schwimmbeckens pendelt.
       Schlagartig verstummt das lebhafte Fiepen, Maunzen und Rülpsen in den
       Käfigen ringsum. Nichts außer dem sehnsuchtsvollen Quietschen der
       Kettenglieder ist zu hören, bis ein respekteinflößendes Trippeln und
       Scharren auf dem Fliesenboden die Stille zerreißt. Es ist Mandy, eine
       Meerschweinchendame aus dem Württembergischen, die von ihren ambitionierten
       Besitzern, der Familie Ortmann aus Wecklingen, in die Obhut Ingo Kreuleidis
       gegeben wurde.
       
       Mit angelegten Ohren nähert sich das Tier dem Kadaver, umrundet es zweimal
       gesenkten Hauptes und stößt schließlich einen schrillen Warnpfiff aus.
       "Jetzt", flüstert der Tiertrainer, der auf einem ehemaligen Militärgelände
       kurz vor der polnischen Grenze seine renommierte Akademie für
       Sommerlochtiere betreibt. Mit aller Kraft hängt sich Kreuleuidis in die
       Kette, versucht den Köder hochzureißen, doch mit einem gewaltigen Satz
       verbeißt sich die geschickte Jägerin in die Flanke ihrer Beute. Grässlich
       knacken die Knochen, als Kreuleidis vom Gewicht des wehrhaften Nagers am
       anderen Ende der Kette gegen das Eisengitter gezogen wird, und nur mit
       äußerster Mühe gelingt es dem Zwei-Doppelzentner-Mann, den eisernen
       Sicherheitsbolzen des Flaschenzugs einrasten zu lassen.
       
       "Mandy hat mit Sicherheit Potenzial", sagt Kreuleidis und begutachtet den
       Beinstumpf, den die hungrige Meersau übrig gelassen hat. "Sie ist
       hochaggressiv, eine reine Fressmaschine. Ich denke, in ein bis zwei Wochen
       können wir sie auswildern."
       
       Mandy soll nach dem Willen ihrer Besitzer und des Gewerbeverbandes
       Wecklingen in den ereignisarmen Sommerwochen ihre württembergische Heimat
       unsicher machen, auch das Fremdenverkehrsamt hat sich an Ausbildung des
       Meerschweinchens beteiligt. Die Erwartungen, die auf dem unscheinbaren
       Nager lasten, sind hoch.
       
       "Wir wollen mit Mandy völlig neue Wege gehen", erklärt Rasmus Wiedler vom
       Citymanagement. "Weg von den üblichen Mörderwelsgeschichten, der Trend geht
       ja ohnehin zu positiv konnotierten Tierarten, das erhört den Gruselfaktor.
       Erst ein paar übel zugerichtete Rinderkadaver, dann setzt die
       Mundpropaganda an Stammtischen und im Supermarkt ein. Damit die Geschichte
       ein bisschen hochkocht, wollen wir Gerüchte über Wolfsrudel oder illegale
       Einwanderer streuen, anschließend ein paar unscharfe Fotos in der
       Regionalpresse präsentieren und dann mit der kompletten Story an die
       bundesweiten Medien gehen." - "Da muss alles glattgehen", sagt Kreuleidis.
       "Immerhin soll Mandy die Besucherzahlen in der Region verdoppeln, außerdem
       ist das ganze Merchandise ja schon produziert."
       
       Der Markt der Sommerlochtiere ist heiß umkämpft. Fast jede ländliche Region
       präsentiert sich in den heißen Monaten mittlerweile mit spektakulären
       Sichtungen von riesenhaften Welsen oder Krokodilen in Badeseen. Doch allzu
       oft sind Amateure am Werk, sagt Kreuleidis. "Mit dem Aussetzen von ein paar
       flossenlahmen Piranhas im Baggersee ist es nicht getan", meint er und
       erzählt begeistert von den großen Erfolgen der Branche. Von der Bestie des
       Gévaudan, laut Kreuleidis ein fies abgerichteter Zwergpinscher, der die
       Boulevardpresse des ausgehenden 18. Jahrhunderts über Jahre hin
       beschäftigte, und natürlich vom Ungeheuer im Loch Ness. "In Drumnadrochit
       ist ja das ganze Jahr Sommerloch", berichtet Kreuleidis bewundernd über den
       souveränen Marktführer. "Und das ganz ohne Sommer."
       
       Der vierschrötige Hüne hat das Geschäft von der Pike auf gelernt, nach
       Lehr- und Wanderjahren im Himalaja und in Sasketchewan übernahm Kreuleidis
       die heruntergewirtschaftete Menagerie seines Vaters, der mit seinem weißen
       Beluga im Rhein 1966 einen Überraschungserfolg hatte landen können. "Neben
       dem Beluga hatten wir aber nur ein paar altersschwache Wolpertinger im
       Sortiment", erinnert er sich an die mühevolle Anfangszeit. "Heute ist alles
       viel professioneller", sagt er, trotzdem trauere er manchmal den Zeiten
       nach, in denen ein dackelverspeisender Wels als Weltsensation gehandelt
       wurde. Und so wirkt Kreuleidis etwas wehmütig, als er bei unserem nächsten
       Besuch das Meerschweinchen Mandy, mit dem er all die Monate gearbeitet hat,
       auf einen Tieflader verlädt, der es zu seinem Einsatzort bringen soll.
       
       Mandy ist zu diesem Zeitpunkt schon ein markenrechtlich geschütztes
       Produkt, mit deren Vermarktung sich die "Killermeerschwein Mandy GmbH"
       befassen wird. Der gewiefte Kaufmann Keuleidis freilich denkt schon an das
       nächste Projekt. Er hat einen Schock Buckelwale aus Altbeständen von
       Greenpeace aufgekauft. "Sie sind darauf abgerichtet, sich irgendwo stranden
       zu lassen, auf Rettung zu warten oder sich sprengen zu lassen." Mitte Juli
       sollen die Tiere den Rhein hochgetrieben werden.
       
       23 Jun 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
       
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