# taz.de -- Skiwachs nicht vergessen!: Unendliches Gleiten in weißen Weiten
       
       > Treffen sich zwei Norweger im Wald: Blau oder Rot, das ist hier zumindest
       > im Winter die Frage. Langlaufen im nordnorwegischen Nordseter
       
 (IMG) Bild: Rondanegebirge
       
       Etwas verlegen lässt sich Fergus eine dritte Portion Elchgulasch in
       Sahnesoße auf den Teller schichten, umstandslos macht er sich darüber her.
       Am nächsten Vormittag sehen wir, wohin diese Kalorien bei dem jungen Mann
       wandern: ohne Umwege in reine Muskelmasse. Fergus unterrichtet uns im
       Langlaufen, und dazu trägt er hautenge Leggings, kein Gramm Fett zeichnet
       sich an seinem Körper ab. Fergus bringt staksigen Büromenschen bei, wie man
       Ski durch Loipen schiebt oder auf präparierten Wegen skatet. Seit sieben
       Wintern schon, das verwundert ein bisschen, denn der Schotte ist erst 21
       Jahre alt. Fergus verbringt sein Leben in Skischuhen, im Winter lebt er in
       Nordseter, einer Hüttensiedlung oberhalb von Lillehammer, und wenn dort der
       Schnee zu schmelzen beginnt, zieht er ihm hinterher, nach Neuseeland. Das,
       was uns als harte Trainingstouren durch die norwegische Hügellandschaft
       erscheint, ist für ihn schlicht nichts. Fergus möchte für Schottlands
       Wintersport-Kader Erfolge laufen, und so verabschiedet er sich nach unserem
       Trainingstag und fährt noch mal schnell in die Nachbarsiedlung Susjöen, um
       Freunde zu besuchen. für sein persönliches Training.
       
       Als Trainingscamp ist die Hochalm Nordseter historisch vorbelastet. Während
       des Zweiten Weltkriegs hausten hier in Baracken bis zu 5.000 deutsche
       Wehrmachtsangehörige, sie wurden für den Einsatz an der Ostfront gedrillt.
       Seit 2004 führt der Däne Andres mit seiner Frau zusammen die Nordseter
       Fjellstue, eine Feriensiedlung mit Lift, Skiverleih, Hütten und Apartments.
       Fergus arbeitet für ihn. Der 30-jährige Andres zog aus "downtown
       Kopenhagen" in die norwegischen Hügel. 1975, also noch vor Andres Geburt,
       war Nordseter eine der größten Skischulen Norwegens, doch seit auch in
       Skandinavien Skilifte gebaut wurden, ist sie nun eine der kleinsten. Andres
       erklärt, wenn sie "Skifahren" sagen, sei nie alpiner Skilauf gemeint, immer
       Langlauf. Das Gelände ist nicht steil, aber wegen der über 300 Kilometer
       gespurten Wege können sich auch sportliche Fahrer richtig austoben. "Wenn
       die Leute ankommen, das ist ein Tornado", sagt Andres. Aus dem hektischen
       Alltagsleben herausgeworfen, kämen sie erst nach ein paar Tagen runter.
       "Viele fahren dann nicht einmal nach Lillehammer, bleiben einfach jeden
       Abend in ihrer Hütte, vor dem Kaminfeuer."
       
       Am nächsten Tag nehmen uns Andres und Fergus auf eine Tour mit, weg von der
       Fjellstue, hinaus in die Natur. Echte Norweger kommen uns entgegen, dicke
       Wollpullis, weißer langer Bart, aber vielleicht sind es deutsche
       Stammgäste, die seit 30 Jahren hier Urlaub machen. Schließlich neigen
       gerade Deutsche dazu, einheimischer zu werden als Einheimische, sei es mit
       blauem Tuch um den Kopf in der Wüste oder Rentiermotiv-Strickpullovern
       draußen in der Natur.
       
       Von den Hügelkuppen fällt der Blick ins Weite. Es sieht aus, als würde
       diese Landschaft immer so weitergehen.Und das tut sie ja auch. Sieht man
       von den zwei regelrechten Gebirgszügen ab, die sich in den Blick schieben,
       Jotunheimen und Rondane. Im Nebel liegt die Hochebene der Hardangervidda.
       Dort sind im vergangenen Winter zwei junge Männer erfroren, es ist eine
       traurige Geschichte, aber die zeigt, dass der Winter im Norden nicht so
       harmlos ist, wie es auf den sonnigen Hügeln scheinen mag. Schotten waren
       sie, erzählt Fergus. Ein Vater ging mit seinem jugendlichen Sohn und seinem
       Freund auf Tour, erfahrene Skiläufer, doch das Wetter wurde grimmig, Freund
       und Sohn erfroren. Die Landschaft gibt sich gefällig, ein paar Hügel,
       Wintersonne, aber es kann schneidend kalt werden, und ein Schneesturm wäre
       sogar zwischen Bäumen kein Spaß.
       
       Wir schnüren weiter durch den Wald. Andres sagt: "Ihr sitzt wohl sonst mehr
       im Büro." Man sieht es wohl? Er habe das nicht negativ gemeint! Es sei nur
       eine Beobachtung. Umso schlimmer. Mit steifen Stuhlgliedern schieben wir
       uns durch die Spur. Erst allmählich findet sich ein Rhythmus, stellt sich
       das ein, was Fergus Autohypnose nennt, meditatives Schieben und Gleiten.
       Wir halten an, setzen uns auf graue, in der Sonne getrocknete Baumstämme,
       Andres packt riesige Thermoskannen aus, reicht zimt- und zuckerschweres
       Gebäck. Rund um ihn glühende Gesichter, pumpende Venen, Büro und Alltag
       sind nun schon sehr weit weg.
       
       Treffen sich zwei Norweger im Wald: "Und? Blau oder Grün?" So beginnt ein
       normales Gespräch zwischen zwei Menschen in der Loipe. "Blau extra" ist das
       Wachs für alle Temperaturen unter null, glücklicherweise passt es meistens.
       Aber im Frühjahr, wenn die Temperaturen steigen, bestimmt grünes, violettes
       oder blaues Wachs über Gehen oder Stehen. Beim Langlauf ist Wachs immer
       Steigwachs, also mehr oder wenig starker Kleber, der in der Mitte der Ski
       aufgetragen wird und das Abstoßen erleichtern oder überhaupt ermöglichen
       soll. Das entscheidet nicht nur bei Olympischen Spielen über Gold oder
       Silber, sondern an einem ganz normalen Nachmittag in Nordseter über die
       Frage, ob man überhaupt vom Fleck kommt.
       
       Eines Nachmittags schnallen wir vor den Hütten die Ski an, und sofort zieht
       die Gruppe davon, ich sehe nur noch wirbelnde Stöcke, während meine Ski bei
       jedem Schritt albern nach hinten wegrutschen. Fergus und Andres haben
       vergessen, wie sie sagen, meine Ski zu wachsen. So merke man einmal, sagte
       Andres, wie wichtig Wachs sei.
       
       Abends trinkt unser Sportler Fergus auch mal ein Bier mit. Erst in einer
       wirklich harten Trainingsphase solle man sich über Ernährung Gedanken
       machen. Bis dahin mache jeder sein Leben nur kompliziert, der keine
       Schokolade esse und nicht ab und zu ein Bier trinke, trage es doch so
       angenehm zur abendlichen Entspannung bei. Wir stimmen seinem Pragmatismus
       freudig zu. Wann er denn nun nach Neuseeland fahre, fragen wir ihn. Er
       wisse es noch nicht so genau, sagt Fergus. Neulich habe er einen Spielfilm
       gesehen, mit Sonnenuntergang und starken Rottönen über dem Strand. Da habe
       er gesagt: "Das ist doch total künstlich" - und dann gestutzt. Denn
       vielleicht sehe Sommer wirklich so aus, meinte er. Er könne sich gar nicht
       mehr richtig dran erinnern. Möglicherweise will er dieses Jahr einen
       schneefreien Monat einlegen.
       
       17 Jan 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Schaefer
       
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 (DIR) Reiseland Norwegen
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