# taz.de -- Auf der MS Trollfjord: Sex und Seekrankheit
       
       > Wo sonst nichts ist, zeugen Japaner Nordlicht-Babys, buddeln Reisende
       > Steine aus dem Schnee - Reise von Oslo nach Bodö via Lofoten und Nordkap
       
 (IMG) Bild: Mitternachtssonne
       
       Das Schiff rollt, es stampft. Zwei Meter hoch, drei runter. Mein Gesicht
       ist grün, ich knie im Bad und tue, was die Norweger "einen Elch rufen"
       nennen: All die Miesmuscheln, der Dorsch und der Seewolf, die so prima
       geschmeckt hatten, lasse ich schwimmen. Kein schöner Anblick, und
       eigentlich will ich sterben. Doch so was geht vorbei. Kurz zuvor war der
       Himmel grün gewesen: Nordlicht, das erste in meinen 37 Jahren. Erst wie
       eine Wolke, dann heller, grüner. Backbord krönte ein smaragdfarbener
       Schweif die Küste, feine Linien fielen aufs Wasser - wenn man so will, als
       würden Elfen überm Fjord tanzen. Alles knipste, nur - Ausnahme! - die
       Japaner nicht, nein. Scheppert "Northern Light!" durch die Lautsprecher,
       rennen sie auf ihre Kabinen: Bei Aurora Borealis gezeugte Babys werden
       besonders groß, schön, klug. So was glauben die Japaner. Und solche Babys,
       sagt man, sind der Zweck vieler, die zu Nordlicht-schwangeren Jahreszeiten
       reisen. Viel Zeit hatten sie nicht, lang hat das Schauspiel nicht gedauert.
       
       Natürlich sollte eine Geschichte, die von der Schönheit einer Landschaft
       berichten will, nicht unbedingt mit Übelkeit und Sex beginnen. Doch so war
       es nun mal, und in Nordnorwegen gehört beides dazu. Jedenfalls, wenn man
       das Postschiff der Hurtigruten (sprich: Hurtigrüten) nimmt, die
       "Reichsstraße 1" der Norweger. Dann kann man Rentnerinnen mit gefönter
       Innenrolle sehen. Andere, die sich an Messing-Handläufe klammern und in
       fremden Sprachen beten. Oder rennen: auf Toiletten, Kabinen, Außendecks. An
       diesem Sonntag jedenfalls, den ich an Bord der "MS Trollfjord" (16.000
       Tonnen schwer, 135,75 Meter lang, 21,5 Meter breit, 45 Autostellplätze, 18
       Knoten Geschwindigkeit) verbringe, rufen selbst Besatzungsmitglieder Elche
       im Bad, und das Spektakel, das das Schiff knarzen lässt wie einen Schoner,
       der im Eismeer versenkt werden soll, fegt bis morgens mit neun, zehn
       Beaufort über Deck. Dann, endlich, ist Ruhe.
       
       Ich habe viel gesehen auf dieser Reise von Oslo nach Bodö via Lofoten und
       Nordkap rechts rum in Richtung russischer Grenze bis Kirkenes (das, richtig
       ausgesprochen, mit einem "Ch", fast schwyzerdütsch klingt). Ich habe den
       Mond bewundert, der als goldene Bilderbuch-Sichel am Himmel klebte: nichts,
       was jenem blassen Käse zu Hause ähnelt. Walfische habe ich gesehen. Und bei
       jeder Mahlzeit zu viel gegessen. Wie alle. Schiffskoch Robert spricht von
       "drei bis fünf Kilo Gewichtsgewinn pro Passagier und Reise". Er sagt
       wirklich: "Gewinn". Ich habe die Bewohner winziger Inseln bewundert, die
       ohne jeden Inneneinrichter Geschmack beweisen: Man möchte klingeln und
       einen Kakao mit den Menschen trinken, die hinter diesen Fenstern leben. Die
       Norweger haben ihren Öl-Reichtum gleichmäßig untereinander verteilt, legen
       gut was beiseite, anstatt zu prahlen, und das auch noch mit Stil.
       
       Am Nordkap buddeln Reisende Steine aus dem Schnee und stapeln sie: "Wir
       wollen wiederkommen", heißt das. Hierher? An diesem Ort, eine Busstunde vom
       Hafen entfernt, gibt es denselben hübschen Blick wie überall, Toiletten und
       einen Laden, wo man Schuhe aus Seehundfell und "Nordkap"-Tassen kaufen
       kann. Sonst nichts. Ich treffe eine Holländerin, Anna, die hierher gezogen
       ist. Sie hat Bäume neben ihre Hütte gepflanzt, die sie für gut zehn Monate
       im Jahr in Decken packt - in den restlichen sechs Wochen, sagt Anna, sollen
       die Bäume zwei Zentimeter wachsen. Menschen sind unterschiedlich. Ich habe
       Leute die Rezeptionistin fragen hören, ob das Nordlicht auch für diesen
       Abend geplant sei und wann dann genau. Deutsche stapeln
       Bildungsbürger-Reiseführer neben sich im "Panorama-Saal", pauken Namen von
       Wasserfällen, Fjorden, Vögeln. Ich konnte lauschen, wie sie einander Dinge
       fragten, die ARD-Quizsendungen schmücken würden: "Wie kalt ist es nun auf
       gleicher Höhe in Sibirien?" (Doch ist das tatsächlich interessant: In
       Sibirien ist es stets gut 20 Grad kälter, wieso dort eine Birke mitunter
       ein paar hundert Jahre zum Großwerden braucht, nicht aber in Norwegen, denn
       der Golfstrom spielt Zentralheizung. Die Klugscheißerei nahm ich gern in
       Kauf, auf einem auf Naturbeobachtung ausgelegten Dampfer wird man milde.
       
       Verbieten müsste man anderes: Ich habe Edvard Griegs Lyrische Stücke für
       Klavier als Aufzugsmusik gehört. Das Jakuzzi auf Deck neun konnte ich nicht
       nutzen, weil es a zu stürmisch, b zu kalt oder c zu voll war. Einer
       67-jährigen Doktorin der Archäologie schien ein Rettungsschiff vor ihrer
       Kajüte gleichbedeutend mit dem Untergang Trojas. Sie bockte, weinte, tobte
       laut. Männer, denen es an Attraktivität fehlte, nicht aber an Wappen auf
       Sakko und Socken, beobachtete ich bei hilf- und ehrlosen Versuchen, hübsche
       Frauen anzugraben. Marginalien. Und ich? Habe in der Sauna gesessen, nackt
       aufs Eismeer geblickt, mir die Hitze von der Stirn gewischt. Habe die Namen
       sämtlicher Hurtigruten-Schiffe seit 1893 samt Höchstgeschwindigkeit
       gelernt, weiß, wie viele Passagiere (bei Einzel- oder Doppelbelegung der
       Kabinen) sie aufnehmen können. Ich kenne den Betrag, mit dem der Staat die
       Schifffahrtslinie über den Winter bringt, damit auch die Bürger ganz oben
       Autos, Sitzlandschaften und ab und an Besuch bekommen (die Antwort lautet:
       22 Millionen Kronen). Ich weiß, wie viele Kubik Sahne die Kühlräume fassen
       und dass es der Besatzung erlaubt ist, den Aerobic-Raum zu nutzen, nicht
       aber die Bar oder gar die Kajüten der Passagiere.
       
       Bis hier habe ich mich durchgemogelt: Was genau habe ich da oben eigentlich
       getan? Ich war in Nordnorwegen unterwegs, mit einer Gruppe Journalisten,
       denen man beweisen wollte, wie schön es ist. Und? Ja, hat geklappt. Ich,
       die ich mit Bratäpfeln vorm Ofen auf den Sommer warte, erwäge Neustart in:
       Kirkenes. Kirkenes an der Grenze zu Russland (Osten) und Finnland (Süden)
       ist eines der Enden dieser Welt. Wir fischten dort noch einen Tag lang
       Königskrabben (das heißt: Wir ließen fischen. Lars, ein rotgesichtiger
       Norweger im Trockenanzug, kletterte für uns durch ein Eisloch ins Schwarz
       und kam mit sieben armlangen Riesenkrebsen wieder hoch. Ich habe mich ad
       hoc verliebt). Die Tiere, sonst unerschwinglich, schmecken - in Meerwasser
       gekocht, mit Aioli und Brot - unverschämt. (Übrigens: Die Japaner zahlen
       fürs Kilo 1.000 Dollar und essen die Genitalien der Tiere. Aber das konnte
       man sich ja denken.)
       
       Dann waren wir auf Motorschlitten unterwegs über die Fjorde der Barentsee.
       Die Schlitten waren laut, sie stanken, sie waren sehr schnell. Ich war
       Co-Pilotin und drum unschuldig, als unser Schlitten einem anderen mit 40
       Sachen ins Heck bretterte. Schwester Anni im einzigen Krankenhaus in 400
       Kilometern Umkreis macht das Röntgenbild, und Doktor Harald las mir nach
       der OP aus dem Buch vor, das er über die "Festung Kirkenes" und die Zeit
       unter deutscher Besatzung geschrieben hatte, er übersetzte ins Englische.
       Mein Knie war kaputt, zum Heulen - aber nö: Ich war glücklich. Nie waren
       gleichzeitig so viele Menschen so nett zu mir. Die Kellnerin im
       Fischrestaurant, die Zimmermädchen und Kabinenfeen, die dicke Wirtin im
       Schneehotel, an Bord der Erste Offizier, Schwester Anni, Doktor Harald. Nie
       fand ich außerdem das Licht so schön, die Luft so gut, die Lagerfeuer so
       wohltuend wie ebendort, wo doch sonst nichts ist.
       
       17 Jan 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Judith Borowski
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Norwegen
       
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