# taz.de -- Letzter Blick: Der schöne Tod
       
       > Die Hamburgerin Ulrike Maenner-Hartung gibt Schmink-Kurse für Bestatter.
       > Dabei wollen sich kaum noch Angehörige am offenen Sarg verabschieden.
       
 (IMG) Bild: Weil es den Toten zusteht: Ulrike Maenner- Hartung erklärt, wie man Verstorbene wie Schlafende aussehen lässt.
       
       Das Hautstück auf dem Tisch ist so groß wie ein Waschlappen. Ein feiner
       Schnitt zieht sich durch das Rosa, in dem Spalt leuchten die tieferen
       Plastikschichten sattrot, wie rohes Fleisch. Alexander Meyer kämpft mit der
       Nadel. Es geht um Zentimeter, die Bewegungen müssen exakt und behände
       gleichzeitig sein. „Locker aus dem Handgelenk“, sagt Ulrike
       Maenner-Hartung. Meyer näht, der schwarze Faden an der halbrunden Nadel
       taucht in das Übungs-Pad, immer im Schwung von einem Rand zum anderen. 15
       Minuten später ist die Spalte halb verschlossen. Ein kleines bisschen
       schief ist die Naht. Aber sie hält. „Darüber dann Make-Up und man würde von
       einer Wunde nichts mehr sehen“, sagt Maenner-Hartung.
       
       Ein fensterloser, kühler Raum im Untergeschoss des Bestattungsforums
       Ohlsdorf, normalerweise versammeln sich hier Angehörige bei Beerdigungen.
       An diesem Samstagvormittag sind Tische in Reihen aufgestellt, es gibt eine
       Powerpoint-Präsentation, Übungen und eine Kaffeepause mit Käsekuchen. Die
       Tür zum Krematorium wird später nur einmal geöffnet, um zu besichtigen.
       Maenner-Hartung, Chemikerin und Besitzerin von Lavabis, einem Unternehmen,
       das Bestatterbedarf und -kosmetik vertreibt, hat den Raum für ihren Kurs
       gemietet. An Kunststoff-Hautpads und blassen Puppenköpfen sollen sieben
       Bestatter, zwei Frauen und fünf Männer aus ganz Deutschland lernen, wie sie
       im Arbeitsalltag Tote verschönern können.
       
       Das Ziel, sagt Maenner-Hartung, schmal, grauhaarig, an ihr wirkt alles
       sanft, sei immer, dass der Tote schlafend aussieht. Friedlich. Entspannt.
       So, dass die Hinterbliebenen ihn ein letztes Mal wiedererkennen. Und keine
       Angst haben müssen vor dem, was sie sehen. „Lernen, an den Mensch in seiner
       Blüte zu erinnern“, sagt Alexander Meyer. Der Bestatter ist dafür extra aus
       Bayern angereist.
       
       Schlafes Bruder nennen die Menschen den Tod, wenn sie besonders poetisch
       sein wollen. Das klingt beruhigend. Tatsächlich steht bei Toten der Mund
       offen, ist das Gesicht im Todesschmerz zur Grimasse geworden, bei
       Krebspatienten nach Monaten im Krankenhaus vom Kortison aufgequollen. Von
       Unfallopfern gar nicht zu sprechen. Und die Verwesung beginnt, sobald das
       Herz zu schlagen aufhört.
       
       An den Schleimhäuten sieht man sie als erstes, nach 20, 30 Minuten werden
       die Augenwinkel braun und rissig. Im Bauch entwickeln sich Gase, süß,
       schwer, einzigartig faulig. Ein Geruch, gegen den man mit Maenner-Hartungs
       Sprays und Pulvern, die Geruchsmoleküle binden, kämpfen kann. „Ein Geruch,
       den man ein Leben lang nicht vergisst“, sagt Meyer.
       
       Die drei wichtigsten Beautyprodukte für die Toten, nachdem sie desinfiziert
       und gewaschen wurden, sind: Erstens, Feuchtigkeitscreme für Gesicht und
       Lippen, die blumig-sauber riecht wie eine Bodylotion, aber Formaldehyd
       enthält. Mit ihr kann man die Totenstarre wegmassieren und die
       Blutverklumpungen, die durch die Hautdecke als violette Totenflecken
       schimmern und sich besonders häufig in den Fingerspitzen sammeln, weil die
       Schwerkraft jede Flüssigkeit nach unten zieht. Zweitens: Perforierte
       Augenkappen mit winzigen Widerhaken, die auf die Augäpfel geklebt werden,
       damit die geschlossenen Augenlider nicht einfallen, wenn der Körper
       austrocknet. Drittens: Nadel und Faden, um den Mund zu verschließen.
       
       Der Nadelinjektor in Maenner-Hartungs Hand sieht aus wie eine große Spritze
       aus Edelstahl. Sie spannt einen Draht, der in einem winzigen Nadelkopf
       endet, durch die Öse an der Spitze des Injektors. Setzt an. Die Spitze
       zeigt auf ein Holzbrett auf dem Tisch vor ihr. Maenner-Hartung zieht ab.
       Ein Schlag wie von einem Hammer, als sich die Nadel in das Holz frisst.
       
       Das Holzbrett eignet sich gut zur Übung, es soll hart sein wie ein gesunder
       Menschenkiefer. An toten Menschen sollen die Nadeln hinter den
       Schneidezähnen in Ober- und Unterkiefer getrieben werden, danach muss man
       die Drähte nur zusammenknoten. Und der Mund bleibt zu. Die Bestatter
       schleichen um den Injektor, es dauert, bis einer ihn probiert.
       
       Der Apparat ist neu auf dem Markt, er soll das Verschließen schneller und
       einfacher machen. „Der Angehörige bekommt davon zwar nichts mit“, sagt
       Alexander Meyer. „Der Mund ist ja verschlossen und gut ist. Aber auf mich
       wirkt das Tackern so brutal.“ Normalerweise wird der Mund von Toten per
       Hand vernäht. Auch das ist schon für viele eine Überwindung, weil man zwar
       weiß, dass Fleisch nicht mehr lebt. Aber das Gefühl selbst dann noch ein
       anderes ist, wenn Tote zum Berufsalltag gehören.
       
       Jeder kann sich in Deutschland Bestatter nennen, man muss sich nur einen
       Gewerbeschein holen und kann morgen ein Unternehmen aufmachen, ohne Kurs,
       ohne Ausbildung. Wer bei Maenner-Hartung den Kurs macht, tut das freiwillig
       und hat dafür bezahlt, 175 Euro für acht Stunden. „Das sind die Guten“,
       sagt Ulrike Maenner-Hartung. Weil sie mehr machen, als sie müssten. Ein
       Bestatter aus Thüringen erzählt, dass er die Zeit vergisst, wenn er
       präpariert. Handy weg, Armbanduhr ab. „Man will das Beste herausholen“,
       sagt er. „Jeder hat seinen eigenen Weg“, sagt Meyer.
       
       Den großen Mann mit dem wachen Blick begleitet der Tod schon das ganze
       Berufsleben lang, ohne dass er genau sagen kann, wie es dazu kam. Seinen
       ersten Toten sah er mit 16 beim ersten Einsatz als dritter Mann beim
       Rettungsdienst, Herzinfarkt. Später erlebte er, wie vier junge Männer unter
       einen LKW fuhren und sie nichts mehr machen konnten, er weiß noch heute,
       dass das Wetter wunderschön war. Über zehn Jahre arbeitete er als
       Krankenpfleger im Hospiz, vor vier Monaten eröffnete er ein
       Bestattungsunternehmen im bayerischen Ansbach, erstmal im Nebenerwerb.
       
       Meyer wundert sich schon manchmal, wie verschlungen sich die Deutschen mit
       dem Tod auseinandersetzen: Horrorfilme, Ballerspiele, jeden Sonntagabend
       guckt sich die halbe Republik einen Mord im Fernsehen an. Aber einem Toten
       wirklich ins Auge zu blicken, das mag kaum einer mehr. Seit einigen Jahren
       gibt es immer mehr Gruppen, Beratungsstellen, die bei der Trauerbewältigung
       helfen sollen. „Das ist aber eher die Psychiater-Schiene“, sagt Ulrike
       Maenner-Hartung, es klingt nicht so, als wolle sie damit viel zu tun haben.
       „Es ist nichts Natürliches, die Trauer wird wie eine Krankheit behandelt.“
       
       Ihre Branche floriert nicht, sagt sie; dem Tod, der nicht nur von der
       eigenen Verarbeitung aus gedacht ist, gehen die Deutschen immer häufiger
       aus dem Weg. Den Abschied am offenen Sarg, der auf gewisse Art auch immer
       ein letztes Miteinander ist, gibt es immer seltener. In der Stadt sowieso,
       aber auch auf dem Land wird häufiger kremiert. Maenner-Hartung sagt, dass
       es ihr wehtut, wenn die Leute ins Krematorium nach Tschechien zum
       Einäschern gefahren werden, weil es billiger ist. Oder wenn der Tote nicht
       schön gemacht wird, weil er sowieso eingeäschert wird. „Der Amtsarzt muss
       ja noch ein zweites Mal draufschauen.“ Für sie ist das Wegwerfkultur. Sie
       will wieder mehr Bestatterkultur. Sie sagt: „Ich liebe es, zu duschen, ich
       liebe es, zu cremen.“ Frisörbesuche, sagt sie, sind wie ein kleiner Urlaub.
       Sie findet, dass Toten diese Behandlung auch zusteht.
       
       Das Make-Up ist die Kür. Vor Meyer auf dem Tisch liegt ein blasser Kopf aus
       weichem Plastik. Er hat noch nie geschminkt, außer an Karneval. Auf
       Maenner-Hartungs Folie stehen 28 Arbeitsschritte. So viele wie bei einem
       professionellen Fotoshooting.
       
       Mit Make-Up legt man auch immer eine bestimmte Vorstellung von einer Person
       auf ein Gesicht, deshalb muss man besonders vorsichtig sein. Gespräche mit
       den Hinterbliebenen, aktuelle Fotos des Toten helfen dann, damit nichts
       schiefgeht. Jetzt soll Meyer sich einfach nur vorstellen, dass er eine
       Verstorbene um die 40 verschönert.
       
       Mit Braun erschafft er die Falten, die sich von den Nasenflügeln zu den
       Mundwinkeln ziehen und im Tod, wenn alles erschlafft, oft verlorengehen.
       Das Gesicht wird sofort älter, aber auch bewegter. Mit einem Pinsel trägt
       er leichtes Rot auf die Lippen, dort, wo sie aufeinander liegen dunkler,
       nach außen zu den Rändern hell auslaufend, aber nicht so fließend, dass
       Haut und Mundkonturen verschwimmen.
       
       Mit der Wangenrouge verschätzt er sich. Die Farben sind besonders grell,
       weil dehydrierte Haut sie schlechter aufnimmt. Ein Stupser mit der
       Pinselspitze in den kleinen Tiegel hätte genügt. Jetzt glänzen die Wangen
       der Puppe. Eine Winzigkeit zu rot, eine Spur zu lebendig, Schneewittchen,
       kurz bevor sie im Glassarg den vergifteten Apfel wieder ausspuckt.
       
       „Das kriegt man bestimmt nach einer Weile ins Gefühl, mit jedem
       Verstorbenen ein bisschen mehr“, sagt Meyer. Er spricht nie von Leichen,
       nicht mal von Toten, immer nur von Verstorbenen. Leichen und Tote kommen im
       „Tatort“ vor, sagt er. „Verstorbene haben mehr Würde.“
       
       7 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Thoene
       
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