# taz.de -- Folter in Syriens Gefängnissen: „Köpfen ist gnädiger“
       
       > Mehr als 215.000 Syrer leiden in Assads Gefängnissen. Unter ihnen ist
       > auch der mehrfach ausgezeichnete Journalist Mazen Darwish.
       
 (IMG) Bild: Im Durchschnitt sterben jeden Tag sieben Syrer unter der systematischen Folter des Assad-Regimes
       
       BERLIN taz | Jetzt ist er doch verschwunden. Oder besser: an einen
       unbekannten Ort verschleppt worden. Mazen Darwish, Syriens derzeit
       bekanntester politischer Gefangener. Bislang hatte seine Familie stets
       gewusst, wo Darwish einsitzt. Doch seit seiner letzten Verlegung Ende April
       fehlt von dem Journalisten und Rechtsanwalt jede Spur.
       
       Umso dringender sei es, sein Schicksal stellvertretend für Tausende anderer
       friedlicher Aktivisten in Syrien auf europäischer Ebene zu thematisieren,
       sagt Arne Lietz, Europaabgeordneter der SPD. Er hatte Darwishs Ehefrau Yara
       Bader Ende April bei der Verleihung des Preises der Lutherstädte „Das
       unerschrockene Wort“ getroffen und den Fall daraufhin in Brüssel auf die
       Tagesordnung gebracht.
       
       Mazen Darwish war in den vergangenen Monaten gleich zweifach geehrt worden:
       Neben dem Preis der Lutherstädte erhielt er für sein Engagement im Bereich
       Medien und Menschenrechte den Preis der UN-Kulturorganisation Unesco für
       Pressefreiheit. Jahrelang hatte sich der Rechtsanwalt mit Syriens
       Medienlandschaft beschäftigt, verfasste Studien, organisierte
       Weiterbildungen, dokumentierte Übergriffe des Regimes.
       
       Im Jahr 2004 hat Darwish dann das Syrische Zentrum für Medien und
       Meinungsfreiheit (SCM) gegründet – zwei Kellerräume in einem unauffälligen
       Wohnblock einer ruhigen Seitenstraße von Damaskus. Dort saß er im Qualm
       seiner zahllosen Zigaretten, ein zurückhaltender Mann mit leiser Stimme und
       vorsichtigen Gesten.
       
       ## Angst vor freiem Denken
       
       Von außen deutete nichts auf das Medienzentrum hin, denn wie fast alle
       syrischen Nichtregierungsorganisationen arbeitete das SCM ohne offizielle
       Genehmigung. Eine ständige Gratwanderung, erklärte Darwish im Jahr 2009.
       Denn die Geheimdienste fürchteten nicht das, was tatsächlich passiert –
       sondern das freie Denken an sich.
       
       „Sobald sie spüren, dass es eine andere, unabhängige Meinung gibt, die
       nicht der offiziellen Lesart entspricht, werden sie nervös“, sagte Darwish
       damals. „Die Idee der Freiheit macht ihnen Angst.“ Deshalb verfolgt das
       Regime Rechtsanwälte, Journalisten, Aktivisten – Menschen wie Mazen
       Darwish. Erst recht, als im Frühjahr 2011 die Revolution ausbricht und aus
       der Idee der Freiheit der hunderttausendfache Ruf nach Freiheit wird.
       
       Ein knappes Jahr später, im Februar 2012, durchsucht der Geheimdienst die
       beiden Kellerräume des Medienzentrums und verhaftet Darwish und mehrere
       Kollegen. Im Februar 2013 werden Darwish und zwei seiner Mitarbeiter,
       Hussein Ghareer und Hani Al-Zitani, wegen „Unterstützung terroristischer
       Handlungen“ angeklagt. Im schlimmsten Fall droht ihnen die Todesstrafe.
       
       ## 150.000 Verschwundene
       
       Doch der Prozess wird immer wieder verschoben und Darwish regelmäßig
       verlegt. Dabei hat der 40-jährige Familienvater noch Glück: Internationale
       Organisationen und Institutionen wie jetzt das Europaparlament setzen sich
       für ihn ein. Die meisten Gefangenen des Assad-Regimes sind dagegen
       sogenannte Verschwundene – Menschen, die an Checkpoints, Grenzübergängen
       oder bei Hausdurchsuchungen verhaftet werden und über deren Schicksal
       nichts bekannt ist, sagt der syrische Rechtsanwalt Z.
       
       Er schätzt ihre Zahl auf 150.000. Vor der Revolution verteidigte Z.
       jahrelang politische Gefangene, inzwischen hat er das Land verlassen,
       möchte aber aus Angst um seine Verwandten in Damaskus anonym bleiben.
       „Früher wurde jemand verhaftet, und wir wussten, er kommt irgendwann
       zurück“, erinnert sich Z. Heute bedeute eine Verhaftung dagegen zumeist den
       Tod, so der syrische Jurist.
       
       Mehr als 215.000 Syrer sitzen in den Gefängnissen des Assad-Regimes. Diese
       Zahl nennt das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR), eine
       unabhängige und professionelle Nichtregierungsorganisation, deren Daten
       auch die Vereinten Nationen verwenden. In einer seiner seltenen
       Resolutionen zu Syrien forderte der Weltsicherheitsrat im Februar 2014
       unter anderem die Freilassung aller willkürlich Verhafteten. Doch wie bei
       anderen dringenden Themen wie dem Einsatz von Fassbomben oder dem
       ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe nach Syrien stoßen Forderungen
       der Vereinten Nationen dort auf taube Ohren.
       
       ## Wochenlanges Stehen auf engstem Raum
       
       Besonders schlimm seien die Haftbedingungen in den unterirdischen
       Folterzentren der verschiedenen Geheimdienste, zu denen niemand Zugang
       habe. Mit mehreren Kollegen dokumentiert Z. seit Jahren die Zustände in
       Syriens Gefängnissen. „In vier mal vier Meter großen Zellen sind etwa 100
       Gefangene zusammengepfercht. Sie können weder hocken noch sitzen, sondern
       müssen zum Teil wochenlang stehen. Wer Glück hat, kann sich mit dem Rücken
       an die Wand lehnen.“
       
       Die Gefangenen seien psychisch und körperlich am Ende, manche würden
       zusammenbrechen, andere durchdrehen, so der Rechtsanwalt. „Es gibt
       Häftlinge, die ihren Kopf so lange gegen die Wand schlagen, bis sie tot
       sind.“
       
       Ein besonders berüchtigtes Folterzentrum in Damaskus ist das Gefängnis
       Mezze am Flughafen. Dort verbrachte Orwa, ein Journalistikstudent, im
       Frühsommer 2011 mehrere Wochen. Er hatte die Demonstrationen und die
       Schüsse der Armee gefilmt und war im Mai 2011 mit 62 Videos auf seinem
       Computer verhaftet worden.
       
       ## Andauernde Foltergeräusche
       
       „Sie wollten wissen, warum ich die Proteste filme, wer dahintersteckt, wer
       mich finanziert, die üblichen Fragen“ erinnert sich der junge Mann. „Dann
       behaupteten sie, ich sei ein Spion des Westens.“ Orwa wurde wegen „Kampf
       gegen die Verfassung mit militärischen Mitteln“ angeklagt, kam aber
       angesichts der überfüllten Gefängnisse in Syrien auf Bewährung frei. Der
       damals 25-Jährige tauchte unter und floh in die libanesische Hauptstadt
       Beirut.
       
       Den Alltag im Flughafengefängnis Mezze beschreibt Orwa als eine einzige
       Strafe. „Es war eng, wir bekamen kaum etwas zu essen, und wer auf die
       Toilette musste, wurde geschlagen“, sagt er. Am unerträglichsten aber seien
       die andauernden Foltergeräusche gewesen, die sie 24 Stunden lang gehört
       hätten, sagt der Student. „Das hat uns fertiggemacht. Das war noch
       schlimmer als die Folter am eigenen Leib – die Stromschläge, die Schläge
       mit dem Lederriemen oder das Bewusstlosprügeln.“
       
       Im Durchschnitt sterben jeden Tag sieben Syrer unter der systematischen
       Folter des Assad-Regimes. 11.427 solcher Fälle hat das Syrische Netzwerk
       für Menschenrechte in den vergangenen vier Jahren dokumentiert. Dabei ist
       Folter nur eine von mehreren möglichen Todesursachen in den Gefängnissen
       Assads.
       
       „Die meisten Gefangenen sterben, weil sie keine medizinische Behandlung
       bekommen“, erklärt Menschenrechtsanwalt Z. An Durchfall und dem damit
       verbundenen Flüssigkeitsverlust, an einer Grippe, die zur Lungenentzündung
       wird, an Asthma oder Herzproblemen. Oder an einer kleinen Verletzung, die
       sich zu einem Wundbrand entzündet. Es gebe nicht mal eine Schwerztablette
       wie Paracetamol, sagt Z. Wenn ein kranker Häftling an die Tür klopfe, sei
       die Antwort: „Sagt uns Bescheid, wenn er gestorben ist, dann holen wir
       ihn.“
       
       ## Sehnsucht nach dem Tod
       
       Über die Toten scheint das Regime genau Buch zu führen. Die 11.000 Leichen,
       die der Militärfotograf mit Codenamen „Cäsar“ im Auftrag Assads
       fotografierte, tragen alle Nummern. Ausgemergelte Körper, von Folter
       gezeichnet. Die außer Landes geschmuggelten Fotos wurden von
       internationalen Experten für echt befunden und kürzlich im
       UNO-Hauptquartier in New York gezeigt. Inzwischen sind sie im Internet
       zugänglich für Syrer, die nach Angehörigen suchen und über die Fotos
       zumindest Gewissheit bekommen.
       
       Außerdem könnten die Aufnahmen im Falle einer Anklage vor dem
       Internationalen Strafgerichtshof als Beweismaterial dienen. Einen solchen
       Prozess gegen Assad und seine Führungsriege fordert auch Rechtsanwalt Z.,
       der vor dem Krieg selbst mehrere Jahre im Gefängnis saß.
       
       „Vom IS geköpft zu werden ist ein gnädigerer Tod, als monatelang vor sich
       hin zu sterben“, meint der Jurist heute. Die Gefangenen sehnten sich jeden
       Tag nach dem Tod – um nicht mehr leiden zu müssen und diesem Grauen zu
       entkommen, das kein Mensch ertrage.
       
       15 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristin Helberg
       
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