# taz.de -- Nachruf Jewgenij Primakow: Ein Staatsdiener sowjetischer Schule
       
       > Er war russischer Premier und Außenminister unter Boris Jelzin. Am
       > Freitag ist Jewgenij Primakow im Alter von 85 Jahren gestorben.
       
 (IMG) Bild: Jewgenij Primakow im Jahre 1999.
       
       MOSKAU taz | Blazer mit goldenen Knöpfen waren sein Markenzeichen.
       Ansonsten hinterließ Jewgenij Primakow bei öffentlichen Auftritten einen
       eher farblosen Eindruck. Auch die monotone Vortragsweise erinnerte an den
       Stil der grauen Herrenriegen in den Führungsgremien der Kommunistischen
       Partei (KPdSU). Als die Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre zusammenbrach
       und Russland in einen Kessel Buntes verwandelte, reichte schon das
       Erscheinungsbild, um Primakow den Kräften der Vergangenheit zuzuordnen. Am
       Freitag starb er im Alter von 85 Jahren nach langer Krankheit in Moskau.
       
       Er galt als Apparatschik und Vertreter der alten Ordnung. Tatsächlich hatte
       er jedoch auf den neuen außenpolitischen Kurs unter Michail Gorbatschow
       schon Einfluss nehmen können. Als Leiter des Instituts für Weltwirtschaft
       und Internationale Beziehungen setzte er sich früh für ein Ende des
       Revolutionsexports ein.
       
       Von Haus aus war der 1929 in Kiew geborene Russe Orientalist und Doktor der
       Politökonomie. Seine ersten Sporen verdiente er sich in den 1960er Jahren
       als Journalist der Parteizeitung Prawda in Kairo. Danach diente er der
       Kommunistischen Partei, arbeitete in der Wissenschaft und übernahm nach dem
       Ende der UdSSR von 1991 bis 1996 die Leitung des Auslandsgeheimdienstes.
       Wohl kein Zufall: Wer als Korrespondent für die Prawda ins Ausland durfte,
       stand meist auch beim Geheimdienst auf der Gehaltsliste.
       
       Jewgenij Maximowitsch Primakow saß in den Jahren des Umbruchs zwischen den
       Stühlen. Zu den liberalen Kräften in der Demokratisierungsphase blieb er
       ebenso auf Distanz wie zu den geschwächten Parteigängern der Vergangenheit.
       Er blieb aber ein russischer „Gosudarstwennik“ – jemand, dem Wohl und Wehe
       des Staates über alles gehen. Das klang ziemlich antiquiert in einer Phase,
       in der sich viele Russen noch von der Bevormundung durch Partei und Staat
       befreien wollten.
       
       ## Der Nato wohlgesinnt
       
       Mit dem gesellschaftlichen Roll-back des euphorischen Aufbruchs war 1996
       jedoch auch Jewgenij Primakows Stunde gekommen. Präsident Boris Jelzin
       setzte den liberalen, der Nato wohlgesinnten Außenminister Andrei Kosyrew
       ab und betraute Primakow mit dem Posten. Das war ein Zugeständnis an die
       rebellierenden Kommunisten in der Duma.
       
       Primakow ging zwar nicht gleich auf Distanz zum westlichen
       Verteidigungsbündnis, machte aber auch kein Hehl aus überkommenen
       Vorbehalten. Eine Erweiterung der Nato Richtung Osten lehnte er entschieden
       ab. Als einer der ersten russischen Amtsträger formulierte er auch das
       Konzept einer multipolaren Weltordnung, das zum Leitmotiv der russischen
       Außenpolitik avancierte.
       
       Für richtige Furore sorgte Primakow indes im März 1999 mit der „Umkehr über
       dem Atlantik“. Auf dem Weg in die USA erreichte ihn die Nachricht vom
       Bombardement Belgrads. Primakow zögerte nicht lange, brach die Reise ab und
       kehrte nach Moskau zurück. Zuhause brachte ihm das eine Menge Sympathien
       ein.
       
       Damals war er jedoch schon nicht mehr Außenminister. Im Herbst 1998 - nach
       dem Zusammenbruch der russischen Wirtschaft im August - wurde Primakow als
       Kompromisskandidat des Kreml und der oppositionellen Duma zum Krisenpremier
       gewählt. Der Apparatschik hatte fast den Zenit seiner Beliebtheit erreicht.
       In den Wirren der Tagespolitik stand Jewgenij Primakow für etwas mehr
       Verlässlichkeit und Ordnung. Kremlchef Boris Jelzin entließ ihn im Frühjahr
       1999. Der Mann aus der alten Nomenklatura drohte zu einem aussichtsreichen
       Gegenspieler zu werden.
       
       In der großen Politik fand er danach keinen Platz mehr. Anfang dieses
       Jahres meldete er sich noch einmal mit einer überraschend harschen Kritik
       an den politischen Verhältnissen in Russland zu Wort. 25 Jahre seien für
       die Entwicklung Russlands vertan worden, lautete sein vernichtendes Fazit.
       „Jewgenij Primakow ist ein Mensch, der das seltene Privileg genießt zu
       sagen, was er denkt“, kommentierte die Vorsitzende des Föderationsrates
       Walentina Matwienko.
       
       26 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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