# taz.de -- Google gegen Europa: Überfordert das Netz seine Aufseher?
       
       > Eine Kommissarin in Brüssel will Google Grenzen setzen. Aber wieviel
       > Macht hat eine Behörde in einer digitalisierten Welt?
       
 (IMG) Bild: Googles eiserne Feindin: EU-Kommissarin Margrethe Vestager, nachdem sie das Verfahren gegen den Konzern eingeleitet hatte.
       
       Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Vor sechs Jahren kannte niemand ein
       Transportunternehmen namens Uber. Facebook hatte gerade erst begonnen, den
       deutschen Markt zu erobern. Und hätte man Menschen zufällig auf der Straße
       gefragt, was eine App ist, hätten manche vielleicht auf „Hessisch für Ebbe“
       getippt.
       
       Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Vor allem wenn man ein kleines Start-up
       betreibt, das seine Chance sucht. Und dabei den Eindruck hat, man werde von
       einem riesigen Internetkonzern verdrängt. Jahrelang tauchte die
       Preisvergleichsseite von Shivaun und Adam Raff gar nicht mehr bei Google
       auf, ohne dass das britische Ehepaar eine Begründung dafür erhalten hätte.
       
       2009 dann klagten [1][die beiden] als erste bei der EU-Kommission: Der
       Konzern setze seinen eigenen Preisvergleichsdienst Google Shopping immer
       auf die ersten Positionen seiner Trefferlisten, während es die Wettbewerber
       weiter nach hinten schiebe.
       
       Sechs Jahre lang befasste sich die Kommission mit der Klage, ohne ein
       Verfahren zu eröffnen. Sie hörte die Argumente der Kläger, ließ sich jene
       von Google erläutern. Andere Firmen schlossen sich an oder beschwerten sich
       über andere Praktiken des Internetkonzerns. Die Monate, die Jahre zogen ins
       Land. Facebook verdrängte StudiVZ. Uber verdrängte Taxiunternehmen. Amazon
       verdrängte Thalia.
       
       Google verdrängte andere Preisvergleichsseiten.
       
       Irgendwann stellte sich die Frage: War die EU mit diesem Fall überfordert?
       Kamen ihre Beamten mit dem Kontrollieren einfach nicht mehr hinterher – in
       einer überschnellen Welt, beschleunigt und angetrieben von der
       Digitalisierung?
       
       ## Die Schwächen im EU-System
       
       Schließlich, am 15. April 2015, beschloss die EU-Kommission einen Schritt
       weiter zu gehen. Sie verfasste eine Beschwerdeschrift gegen Google und
       leitete ein offizielles Verfahren ein. Die neue dänische Kommissarin
       Margrethe Vestager kündigte an, grundlegende Regeln anzustreben, die das
       Verhältnis von Google und seinen Wettbewerbern nicht nur bei den
       Preisvergleichsseiten mit einem verlässlichen Rechtsrahmen versehen
       sollten.
       
       Vestager beendete damit das Lavieren der Kommission, das die Kläger ihrem
       Vorgänger vorwarfen, dem spanischen Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia.
       
       Können es politische Institutionen mit einem Gegner wie Google aufnehmen,
       dessen Produkt sich in jedem Moment verändert?
       
       Thomas Höppner hat da zumindest seine Zweifel. „Ich denke, man kann ganz
       klar institutionelle Schwächen erkennen“, sagt der Anwalt, der
       ladenzeile.de vertritt, einen der Kläger in dem Google-Verfahren.
       Ladenzeile.de ist ein Start-up des Axel-Springer-Konzerns, einem der
       größten europäischen Gegner Googles. „Es ist misslich, wenn die Kommission
       ein Verfahren an sich zieht, damit alle nationalen Wettbewerbsbehörden
       blockiert und dann über Jahre hinweg hinter verschlossenen Türen
       verhandelt, ohne dass etwas dabei herauskommt. Jetzt geht es erst mal nur
       um Google Shopping. Wann kommt der Rest?“, moniert Höppner.
       
       Sein Eindruck: „Das ist viel zu langsam für eine so dynamische Landschaft.“
       Es sende auch die falsche Botschaft: „Da gehen die Jahre ins Land, ein
       Konzern darf sich auch auf neuen Feldern etablieren, ohne dass die Aufseher
       reagieren.“
       
       ## Googles eiserne Feindin
       
       In der [2][taz.am wochenende vom 4./5. Juli 2015] erzählen wir die
       Geschichte von Foundem, dem kleinen britischen Unternehmen, das antrat groß
       zu werden wie Google und irgendwann den Eindruck hatte, der Onlinekonzern
       hindere es daran.
       
       Der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab erzählt in einer kurzen Anekdote,
       wie wenig ernst manche, ihn selbst eingeschlossen, den Fall damals noch
       nahmen. Er habe sich mit Foundem getroffen und die Sache anschließend kaum
       weiterverfolgt. Wer von Google nicht gefunden wird, kann so gut ja wohl
       nicht sein... Neulich seien sie zu ihm gekommen und hätten sich bedankt.
       Schwab hatte sich im Europaparlament mit einem [3][weltweit beachteten
       Antrag] gegen Google positioniert. Er selbst habe sich bei Foundem
       entschuldigt, dass er sich zunächst nicht mehr eingesetzt habe. Über
       Schwabs eigene Motivation [4][gibt es Spekulationen]: Er ist als Anwalt
       auch für die Kanzlei CMS Hasche Sigle tätig, die deutsche Zeitungsverleger
       vertritt.
       
       Foundem fühlte sich also von Google diskriminiert und hat diese
       Diskriminierung akribisch dokumentiert. [5][41 eng beschriebene Seiten] hat
       das Dokument, das die Vorgänge auflistet. Damit hat das Ehepaar der neuen
       Wettbewerbskommissarin ermöglicht, zügig ein Beschwerdeverfahren
       einzuleiten. Margrethe Vestager konzentrierte sich dabei auf den Vorwurf,
       den Foundem schon 2009 angemahnt hatte.
       
       Die Kommissarin geht kartellrechtlich nicht nur gegen Google vor, sondern
       auch gegen Gazprom, gegen Starbucks oder gegen Amazon. Sie gibt sich
       kampfeslustig. Die New York Times hat sie als [6][“Googles eiserne
       europäische Feindin“] bezeichnet.
       
       Bis Ende Juni sollte Google auf die Anschuldigungen reagieren. Der Konzern
       bat um Aufschub. Jetzt läuft die Frist bis 17. August. Die Zeit spielt in
       der Regel für den Marktführer. Er kann seine Stellung festigen.
       
       ## Google Shopping verdrängt alle
       
       Die Botschaft der Kommissarin Vestager ist klar: Jeder muss sich an die
       Regeln des EU-Wettbewerbsrechts halten. Unabhängig von Umsatz und Ansehen.
       
       Google scheint die Vorwürfe ernst zu nehmen. Unmittelbar nach der Eröffnung
       des Verfahrens begann eine beispiellose PR-Kampagne. Google-Gründer Larry
       Page verteidigte sich in der Wochenzeitung Zeit. Man lud den stern ins
       Hauptquartier in Mountain View. Der Europaverantwortliche des Unternehmens
       gab zu, [7][man habe die Sorgen der Europäer nicht ernst genug genommen].
       Man habe dafür in Europa einfach nicht genug Leute gehabt.
       
       Weder Verbrauchern noch Unternehmern sei aber ein Schaden entstanden. Die
       Betreiber der Preisvergleichsseiten sehen das anders. Der Online-Messdienst
       Searchmetrics hat in einer seiner jüngsten Studien präzise dokumentiert,
       wie Google Shopping immer präsenter wird, immer mehr Raum einnimmt –
       während die Konkurrenz in den Ranglisten abfällt. Eine Studie von
       Wissenschaftlern der Universitäten Harvard und Columbia, finanziert vom
       Vergleichsportal Yelp, zeigt das Google auch auf anderen Feldern eigene
       Inhalte vorzieht. Die [8][New York Times spekuliert], ob nun auch in den
       USA wieder ein Verfahren aufgenommen werden müsse.
       
       Anwalt Höppner kritisiert, dass die EU-Kommission zwar das Recht hat, auch
       alle nationalen Verfahren an sich zu ziehen, dass daraus aber kaum eine
       Pflicht erwächst. „Man bräuchte ein Eilverfahren“, fordert er. „Ebenso muss
       es feste Fristen für Verhandlungen mit dem betroffenen Unternehmen geben.
       Oder man muss den nationalen Behörden ihre Eilzuständigkeit belassen, dem
       Bundeskartellamt also.“
       
       Eigentlich müsse man sofort ein ganzes Gesetzespaket hinterherschicken, um
       diesem europäische Dilemma zu begegnen: „Da muss ein vernünftiges,
       effektives Verfahrensgerüst her. Da ist das deutsche Verfahrensrecht noch
       weit voraus.“
       
       ## Wir brauchen eine neue Behörde
       
       Beamten in Brüssel sehen das deutlich gelassener. Manche verweisen auf den
       Microsoft-Fall. Damals ging die EU-Kommission unter anderem gegen den
       Windows-Konzern vor, weil der einfach standardmäßig seinen Browser Internet
       Explorer in sein Betriebssystem integrierte, ohne Wettbewerbern diese
       Möglichkeit zu geben. Man habe es geschafft, argumentieren die Beamten,
       grundlegende Regeln zu erlassen, die bis heute Bestand hätten.
       Beispielsweise jene, dass Microsoft seinen Code auch Konkurrenten öffnen
       musste. Außerdem verhängte die Kommission eine historische
       Milliardenstrafe.
       
       Jahrelang allerdings weigerte sich Microsoft den Schuldspruch anzuerkennen
       und zog von Gericht zu Gericht, bis keine Instanz mehr übrig war.
       
       Programmierer hätten sich eine Welt gebaut, die es ihnen einfach mache, den
       Regulatoren davonzulaufen, sagte der Silicon-Valley-Veteran und
       Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels Jaron Lanier bei seiner Rede
       zur Preisverleihung.
       
       „Aus meiner Sicht“, sagt Thomas Höppner, der Anwalt, „ist eine allgemeine
       Wettbewerbsbehörde wie die Wettbewerbskommissarin mit der Überwachung von
       Suchergebnissen schnell überfordert. Es bräuchte eine spezialisierte
       Behörde, die sich den Märkten widmet und auf konkreten Hinweis beim
       Anfangsverdacht Ermittlungen einleiten kann, die auch stärkere
       Einsichtsrechte hat.“
       
       [9][Die Kommissarin allerdings hält das nicht für nötig]. Es gehe doch, hat
       sie gerade Journalisten des Wall Street Journal erklärt, im
       Wettbewerbsrecht im Grunde immer um dasselbe. Unternehmen wollten mehr Geld
       verdienen als die Konkurrenz oder diese gleich ausschalten.
       
       Überfordert das Internet seine Aufseher in den Behörden? 
       
       Diskutieren Sie mit!
       
       Die Geschichte „Europa gegen Google“ lesen Sie in der [10][taz.am
       wochenende] vom 3./4. Juli 2015.
       
       3 Jul 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://news.sky.com/video/1465698/internet-giant-investigated
 (DIR) [2] /taw
 (DIR) [3] http://www.nytimes.com/2014/11/28/business/international/google-european-union.html?_r=0
 (DIR) [4] http://www.zeit.de/digital/internet/2014-11/google-eu-parlament-zerschlagung-suchmaschinen
 (DIR) [5] http://www.foundem.co.uk/Foundem_Google_Timeline.pdf
 (DIR) [6] http://www.nytimes.com/2015/04/19/technology/googles-steely-foe-in-europe.html?_r=0
 (DIR) [7] http://www.politico.eu/article/googles-european-mea-culpa/
 (DIR) [8] http://www.nytimes.com/2015/06/30/business/study-suggests-that-google-has-its-thumb-on-scale-in-search.html?_r=1
 (DIR) [9] http://www.wsj.com/articles/eu-competition-chief-vestager-defends-enforcement-record-1434622709
 (DIR) [10] /taw
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Gernert
       
       ## TAGS
       
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