# taz.de -- Filmemacher über Zensur im Iran: „Der Staat sät Misstrauen“
       
       > „Nach deiner Verhaftung nehmen die Leute Abstand von dir“: Mohammad
       > Rasoulof über Roadmovies, Berufsverbote und Paranoia.
       
 (IMG) Bild: Der Regisseur in Cannes 2013.
       
       Es scheint sinnfällig, sich zu einem Interview mit dem iranischen
       Filmemacher Mohammad Rasoulof in einer illegalen Kellerbar in
       Berlin-Kreuzberg zu treffen. Auch seine beiden letzten Filme „Auf
       Wiedersehen“ und „Manuscripts don’t burn“ spielen großenteils in dunklen,
       geschlossenen Räumen. Der klandestine Charakter unseres Treffens erinnert
       an Rasoulofs eigene Situation in seinem Heimatland. Seit seiner Verhaftung
       vor fünf Jahren steht der Filmemacher unter Beobachtung und ist daher
       gezwungen, heimlich zu drehen. Im Gespräch wirkt Rasoulof dennoch gefasst.
       Seine Beschreibungen der schwierigen Drehbedingungen, unter denen sein
       aktueller Film „Manuscripts don’t burn“ (seit zwei Wochen in den deutschen
       Kinos) entstand, lockert er immer wieder mit Anekdoten auf. Die
       Aufmerksamkeit, die ihm als Vertreter des iranischen Kinos widerfährt, ist
       ihm merklich unangenehm. 
       
       taz: Herr Rasoulof, Sie haben seit ihrer Verhaftung mit „Auf Wiedersehen“
       und „Manuscripts don’t burn“ zwei äußerst kritische Filme gedreht. Fühlen
       sie sich in ihrem Land noch sicher? 
       
       Mohammad Rasoulof: Der Druck ist groß. Meine Frau und meine Tochter sind
       2012 ins Ausland gegangen, sie leben heute in Hamburg. Wären sie im Iran
       geblieben, hätte ich „Manuscripts don’t burn“ niemals machen können. Die
       schlimmste Erfahrung während meines einmonatigen Gefängnisaufenthalts war
       für mich, über das Schicksal meiner Familie gezielt im Unklaren gelassen
       worden zu sein. Darum habe ich nach meiner Entlassung als Erstes dafür
       gesorgt, dass sich meine Familie zukünftig in Sicherheit befindet. Das ist
       die einzige Möglichkeit, die einem bleibt, wenn man nicht ganz aufgeben
       will.
       
       Warum gehen Sie überhaupt das Risiko ein, in ihr Land zurückzukehren? 
       
       Ich möchte die Verbindung zu meiner Kultur nicht kappen. Außerdem betrachte
       ich es als mein Recht, im Iran zu leben. Gleichzeitig kann ich meine Augen
       aber nicht vor der Wirklichkeit verschließen. Es ist mir nie in den Sinn
       gekommen, Filme allein zur Unterhaltung des Publikums zu drehen. Zwar habe
       ich Angst, wenn ich mich im Iran aufhalte. Aber dieser Angst muss ich mich
       stellen.
       
       Es ist für Außenstehende schwer zu verstehen, dass Sie überhaupt noch Filme
       drehen können. 
       
       Die Zensurauflagen haben dazu geführt, dass iranische Filmemacher meist in
       Innenräumen drehen mussten. Das reichte mir irgendwann, ich wollte einen
       neuen Weg finden. Aber wie bewerkstellige ich es, in der Öffentlichkeit zu
       filmen, ohne vom Geheimdienst entdeckt zu werden? Darum habe „Manuscripts
       don’t burn“ als eine Art Roadmovie entwickelt, denn auf dem Land ist die
       Gefahr, entdeckt zu werden, geringer als in der Stadt. Die Dreharbeiten
       außerhalb von Teheran dauerten insgesamt auch nur zwei Tage. Die
       Innenaufnahmen wurden in Hamburg gefilmt.
       
       Das klingt nach einem enormen logistischen Aufwand. 
       
       Als iranischer Filmemacher wird man erfinderisch. Die Szene, in der die
       Männer des Geheimdienstes vor der Wohnung des Schriftstellers
       Forouzandeh stehen, mussten wir zum Beispiel tagsüber ohne Darsteller
       drehen. Die Schauspieler wurden später vor einem Blue Screen gefilmt und
       nachträglich in die Szene eingefügt. Aus Sicherheitsgründen war ich auch
       nicht bei allen Aufnahmen anwesend. Ich musste mein Team also genau
       instruieren. Ohne Team wäre dieser Film niemals möglich gewesen: Es hat
       sich für das Kino und die Freiheit der Menschen eingesetzt. Ich bin mir
       sicher, dass die Konsequenzen für mich und mein Team gravierend gewesen
       wären, hätte man uns bei den Dreharbeiten erwischt.
       
       Sie haben „Manuscripts don’t burn“ 2013 trotz Berufsverbot gedreht und in
       Cannes gezeigt. Können Sie sich vorstellen, warum Sie dafür nicht mit einer
       weiteren Gefängnisstrafe belangt wurden? 
       
       Zunächst muss ich Sie korrigieren, dass ich – anders als mein Freund und
       Kollege Jafar Panahi – kein Berufsverbot habe. Mir wird die
       Arbeitserlaubnis verweigert, das ist ein Unterschied. Die westlichen Medien
       stellen das oft falsch dar. Aber zu ihrer Frage: Es gibt innerhalb des
       Geheimdienstes viele Fraktionen. Den Hardlinern ist es egal, was im Ausland
       über den Iran gedacht wird. Die gemäßigten Kräfte reagieren auf Kritik
       schon empfindlicher. Die Verhaftung von Jafar und mir hat international
       viel Aufsehen erregt. Der Geheimdienst realisierte, dass sein Vorgehen ein
       Fehler war. Um die Kritik aus dem Ausland zu beschwichtigen, boten sie mir
       sogar an, nach Cannes zu reisen, um „Manuscripts don’t burn“ vorzustellen.
       Das ist aus bürokratischen Gründen leider nicht zustande gekommen.
       
       Können Sie erklären, wie die Zensur im Iran funktioniert? 
       
       Das kann man vielleicht nur verstehen, wenn man längere Zeit im Iran gelebt
       hat. Du kannst in einem Taxi unbehelligt deine Meinung sagen oder die
       Politik kritisieren. Aber sobald deine Worte in einem Film festgehalten
       werden und in der Zeitung stehen, bekommst du Probleme. Die Zensur im Iran
       besteht aus zwei Phasen. Zunächst reicht man sein Drehbuch ein, das von der
       Zensurbehörde genehmigt werden muss. In diesem Stadium kann man noch vage
       bleiben und wichtige Informationen unterschlagen. Der fertige Film muss
       dann erneut vorgelegt werden und hier passiert es oft, dass die
       Zensurbehörde den Filmemacher auffordert, bestimmte Szenen aus dem Film zu
       entfernen. Die Kriterien der Zensur sind jedoch sehr unklar. Schon die Art,
       wie eine Frau beim Sprechen gefilmt wird, kann zu einer Schnittauflage
       führen.
       
       In „Manuscripts don’t burn“ schlägt der Schriftsteller Kian seinem Freund
       Forouzandeh vor, sein eigenes Buch zu zensieren. Ist diese Form der
       Selbstzensur im Iran gängig? 
       
       Man kommt so im Iran zur Welt. Es fällt mir manchmal selbst schwer, mir
       etwa eine Szene zwischen einem Mann und einer Frau vorzustellen, weil man
       innerlich so konditioniert ist, die Beschränkungen bereits im Stadium der
       Konzeption einer Szene mitzudenken. Die Zensur ist im Iran zu einer Kultur
       geworden. Dies führt zu einer regelrechten Persönlichkeitsspaltung. Man
       spielt in der Öffentlichkeit eine andere Rolle als im Privatleben. Darum
       geht es auch im Gespräch zwischen Kian und Forouzandeh im Film. Kian hat
       resigniert, während Forouzandeh an seiner Hoffnung festhält. Die beiden
       Figuren stellen gewissermaßen zwei Seiten von mir dar.
       
       Gibt es einen Austausch zwischen Dissidenten oder ist die Angst zu groß? 
       
       Diskussionen finden die ganze Zeit statt – privat. Genau diese Haltung der
       iranischen Intellektuellen kritisiere ich mit „Manuscripts don’t burn“
       auch. Regimekritik wird fast nur noch innerhalb der eigenen vier Wände
       geäußert: Man trifft sich, nörgelt ein wenig, trinkt Wodka, aber in der
       Öffentlichkeit spielen sie weiter ihre Rollen.
       
       Es gibt in ihrem Film auch einen Dissidenten, der die Seiten gewechselt
       hat. 
       
       Diese Person existiert wirklich. Payam Fazlinejad ist ein ehemals
       kritischer Journalist, der vor einigen Jahren einen Bestseller mit dem
       Titel „The Knights Of Cultural NATO“ geschrieben hat und heute für die
       regimenahe Zeitung Keyhan arbeitet. Die Sätze, die seine Figur im Gespräch
       mit dem Dissidenten Kasra sagt, stammen aus seinem Buch. Mein Film ist voll
       von solchen Wirklichkeitsbezügen. Auch der Nebenplot über den Jungen, der
       als Augenzeuge einer Hinrichtung umgebracht wird, beruht auf wahren
       Begebenheiten. Wer sich ein wenig mit den Hintergründen der „Kettenmorde“
       an iranischen Intellektuellen auskennt, wird die Indizien verstehen. Ich
       versuche, diese Fakten zu einer Geschichte zu verbinden, damit der Fall
       nicht weiter unter den Teppich gekehrt wird.
       
       „Auf Wiedersehen“ war im Ton moderat, „Manuscripts don’t burn“ klingt
       dagegen wütend, fast kämpferisch. Was ist in den zwei Jahren zwischen den
       beiden Filmen mit Ihnen passiert? 
       
       Als ich aus dem Gefängnis kam, wollte ich nur meinen nächsten Film drehen.
       Die Zensurbehörden unterstützten mich sogar, weil sie der westlichen
       Berichterstattung entgegenwirken wollten. Aber sie lehnten alle meine
       Drehbuchentwürfe ab – als würden sie ahnen, dass ich sie an der Nase
       herumführe. Ich habe es dennoch geschafft, „Auf Wiedersehen“ an der Zensur
       vorbei zu drehen. Der Film hat mir geholfen, mich wieder zu erheben. Nach
       meiner Verhaftung war ich lange Zeit geschockt, dass man mich wegen eines
       Films ins Gefängnis gesteckt hatte. Damals begann ich zu verstehen, wozu
       die iranischen Behörden imstande sind. Als Reaktion wollte ich einen Film
       über das Verhältnis der iranischen Intellektuellen zum Geheimdienst zu
       drehen. Und je intensiver ich mich dabei mit der Thematik befasste, desto
       schlechter wurde mir. Mir wurde klar, dass ich „Manuscripts don’t burn“
       drehen musste.
       
       Die Stimmung ihres Films erinnert an klassische Verschwörungsthriller. Ist
       das Gefühl der Paranoia in intellektuellen Kreisen tatsächlich so
       ausgeprägt? 
       
       Seit der Wahl von Rohani vor zwei Jahren haben sich die Verhältnisse etwas
       beruhigt. Aber man darf nicht denken, dass nun alles besser wird. Der Staat
       versucht mit allen Mitteln, unter den Dissidenten Misstrauen zu säen –
       indem etwa, wie in meinem Fall, Strafmaße willkürlich gemindert werden. So
       entsteht der Verdacht, dass der andere ausgesagt hat oder mit den Behörden
       kooperiert. Die Kritiker gegeneinander auszuspielen, ist die erfolgreichste
       Methode des Staates, gegen uns vorzugehen. Nasrin Sotoudeh sagt in „Taxi
       Teheran“: Wenn du aus dem Gefängnis kommst, sind deine ehemals besten
       Freunde deine Feinde. Diese Erfahrung haben viele iranische Intellektuelle
       gemacht. Nach deiner Verhaftung nehmen die Leute Abstand von dir.
       
       Übersetzung: Mani Tilgner
       
       25 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Busche
       
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