# taz.de -- „Angekommen – Flüchtlinge erzählen“: Die falschen Flüchtlinge
       
       > Nicht nur Syrer haben Leid erfahren. Warum sind ihre Geschichten
       > wichtiger? Ist es nicht legitim, eine Gleichbehandlung zu verlangen?
       
 (IMG) Bild: Spielt die Herkunft bei der Bearbeitung von Asylanträgen eine Rolle? Flüchtling bei der ersten Registrierung in Rosenheim.
       
       Asylbewerber in der Europäischen Union zu sein, noch dazu in einem Land wie
       Deutschland, ist keine Erholung. Dabei beklatschen wir durchaus mit großer
       Freude den roten Teppich, der für unsere syrischen Brüder ausgerollt wird.
       Nicht nur verdienen sie es, dass man sich ihrer annimmt. Nein diese
       Offenheit und dieser Empfang demonstrieren sehr gut, dass die
       internationale Solidarität eine Tatsache ist, und straft all jene Lügen,
       die glauben, dass beispielsweise Deutschland kein Einwanderungsland sei.
       
       Der Konflikt, der seit dem 15. März 2011 in Syrien wütet und der dieses
       Land in einen weiteren Hort von al-Qaida zu verwandeln droht, ist
       beunruhigend. Daher verdienen jene Staaten unseren Dank, die sich dafür
       einsetzen, dass unsere Brüder aus Syrien hier Aufnahme finden, eine
       Unterkunft, einen Schutzschirm und psychologische Hilfe. Wir rufen alle
       Nationen dazu auf, alles dafür zu tun, eine Lösung für die syrische Krise
       zu finden.
       
       Wie aber leben die anderen Asylbewerber in Deutschland? Selbst wenn die
       syrische Frage im Vordergrund steht, muss man sich fragen, was jenseits des
       Scheinwerferlichtes mit denen passiert, die mit Syrien nichts zu tun haben.
       Auch sie brauchen ein Dach über dem Kopf, einen Schutzschirm, Psychologen.
       
       Derzeit ist geplant, das Asylrecht in Deutschland zu verschärfen. Auch wenn
       die Medien diesem Umstand weniger Aufmerksamkeit widmen und vor allem über
       den Andrang von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten berichten, ändert das doch
       nichts daran, dass dieses Gesetz existiert. Vor allem geht es um
       Asylbewerber, die aus den armen Staaten Afrikas kommen, wo Unsicherheit,
       Gewalt und Unfreiheit herrschen.
       
       Während es bei den einen genügt zu sagen, man sei aus Syrien, um in den
       Genuss von Wohltaten zu kommen, müssen die anderen, sobald der Asylantrag
       gestellt ist, Qualen und Erniedrigungen erdulden. Die Dublin-Regelung ist
       ein Horror für diejenigen, denen man unterstellt, sie seien falsche
       Flüchtlinge oder Wirtschaftsmigranten. Das gegenwärtige Asylsystem stürzt
       sie in ein schreckliches moralisches Leiden, das sie noch schwächer macht.
       
       ## Schwere Traumata
       
       Deutschland schafft es, Tausende Flüchtlinge aus einem bestimmten Land
       aufzunehmen und die Abschiebung von Migranten aus Syrien in das erste Land,
       über das sie in die EU eingereist sind, auszusetzen. Warum aber werden
       Migranten aus anderen Ländern weiterhin abgeschoben? Etwa aus afrikanischen
       Staaten.
       
       Es gibt unter den Migranten vom Schwarzen Kontinent oder aus anderen
       Ländern als Syrien sehr wohl Menschen, die noch schwerere Traumata als
       bestimmte Syrer erlitten haben und die es genauso verdienen, dass man sie
       anhört und ihnen hilft. Sie dürfen weder anders behandelt noch von Land zu
       Land geschickt werden, nur weil sie keine Syrer sind.
       
       Es geht nicht darum, die Hilfe für Syrer in Frage zu stellen, sondern die
       diskriminierenden Entscheidungen. Sie erwecken den Anschein, dass es
       Flüchtlinge oder Asylbewerber gibt, die weniger wichtig sind als andere.
       Das heißt, dass die psychologischen Folgeschäden von Folter, Todesdrohungen
       und sozialen Krisen, vor denen diese Asylbewerber geflüchtet sind, weniger
       schwer wiegen könnten.
       
       Das Asylverfahren Tausender Antragsteller endet mit einer Ablehnung und der
       Aufforderung, das deutsche Territorium zu verlassen. Weil es jedoch keine
       Handhabe gibt, den abgelehnten Asylbewerber auszuweisen, bekommt dieser
       eine Duldung. Man sagt uns aber nicht, wie Asylbewerber vom Zeitpunkt der
       Antragstellung bis zu der Ablehnung oder Aufforderung zur Ausreise leben
       sollen.
       
       ## Voller Unsicherheiten
       
       Dieser Zeitraum ist voller Unsicherheiten und für den Antragsteller
       schwierig zu nutzen. Nie weiß er, ob der Tag zu Ende geht, ohne dass er
       einen Brief mit der Ausweisung bekommt. Deshalb ist es für den
       Antragsteller oder die Antragstellerin schwierig, inneren Frieden zu
       finden.
       
       Und so bedeutet dieser Zeitraum nur Stress, Schrecken und Warten. Das alles
       ist Zeitverschwendung und eine Zerrüttung nicht nur der Erinnerung, sondern
       auch der Fähigkeiten des Asylbewerbers. Die Warteschleife, in der der
       Asylbewerber gezwungenermaßen lebt, bringt ihn dazu, sein Verhalten zu
       ändern: auf Kosten des Staates und anderer zu existieren. Dabei tritt die
       Fähigkeit, auf sich selbst zu zählen, um bestimmten Schwierigkeiten die
       Stirn zu bieten, in den Hintergrund.
       
       Das Asylverfahren hält ihn in einem komatösen Zustand gefangen, in dem er
       sich daran gewöhnt, zu essen, zu schlafen und die Hand aufzuhalten. Wenn er
       nicht aufpasst, wird er unfähig, über Mittel und Wege nachzudenken, dieser
       Abhängigkeit und diesem Gefangenendasein zu entkommen.
       
       ## Mensch mit beschränkter Bewegungsfreiheit
       
       Darüber hinaus hat er oder sie weder die Freiheit, eine Ausbildung zu
       beenden noch einen guten Job zu finden. Kostenlose Sprachkurse enden
       meistens auf dem Niveau B1. Dieses Niveau reicht niemandem, der eine
       bessere Ausbildung oder ein Universitätsstudium absolvieren möchte.
       
       In Deutschland ist ein Asylbewerber, der afrikanischer und nichtsyrischer
       Herkunft ist, ständig in einer Asylbewerberunterkunft untergebracht. Das
       System bestärkt ihn in der Idee, ein Mensch mit eingeschränkter
       Bewegungsfreiheit zu sein. Hat sich diese Idee erst einmal festgesetzt,
       schlägt der Asylbewerber zwei, drei oder fünf Jahre seines Lebens in einem
       Heim mit nichts anderem tot als mit Warten. Und Stück für Stück
       verflüchtigen sich die Lust und die Fähigkeit, etwas Konstruktives zu tun.
       
       Nachdem der Staat diejenigen, die gestern noch Zuflucht suchten, in passive
       Wesen und in Schatten verwandelt hat, die ziellos umherstreifen, beschließt
       er, dass diese Menschen in ihr Land zurückkehren müssen. Was sollen sie
       dort tun? Was sollen sie dorthin mitbringen oder dort aufbauen nach einer
       Auszeit, aus der sie geschwächt, verunsichert und desorientiert
       zurückkommen? Sind Asylbewerber nicht letztendlich ein Produkt der
       EU-Staaten? Vom Anfang bis zum Ende? Hängen die Eigenschaften eines
       Asylbewerbers, der in sein Land zurückkehren soll, nicht von den
       EU-Mitgliedstaaten ab?
       
       Angesichts dieser psychologischen Schäden, die einer Falle geschuldet sind,
       in der sich die Asylbewerber wiederfinden, nachdem sie an die Empathie der
       europäischen Staaten geglaubt haben; und angesichts der Zerstörung des
       Lebens von Asylbewerbern durch die zu strengen Asylgesetze: Ist es nicht
       legitim, eine Gleichbehandlung von Asylanträgen und eine Aussetzung der
       Abschiebung für alle zu verlangen?
       
       Aus dem Französischen übersetzt von Barbara Oertel
       
       11 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Péguy Takou Ndie
 (DIR) Rodrigue Péguy Takou Ndie
       
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