# taz.de -- Mit der russischen Eisenbahn nach Paris: Zwischen Klappbett und Spiegel
       
       > Zweimal die Woche fährt ein russischer Schlafwagenzug von Moskau nach
       > Paris. Auch in Berlin können Reisende zusteigen.
       
 (IMG) Bild: Der Zug aus Moskau läuft im Bahnhof Paris Est ein: die Alternative zur Deutschen Bahn.
       
       Silbergrau überall. Wände, Decke, Türen und dazu noch ein paar
       Spiegelflächen, die gleichzeitig für räumliche Tiefe und Verwirrung sorgen.
       Irgendetwas surrt im Hintergrund, Absätze klacken gedämpft auf dem roten
       Teppich, der den Boden bedeckt, es riecht nach blumigem Parfum. Was ist das
       hier? Ein Luxus-U-Boot? Ein Fetisch-Bordell? Es ist dann doch der Nachtzug
       von Moskau nach Paris.
       
       Am Samstagabend am Berliner Hauptbahnhof, pünktlich auf die Minute, als
       wäre er nicht schon rund 1.800 Kilometer unterwegs, einmal quer durch
       Weißrussland und Polen. ZugbegleiterInnen in grauem Kostüm schicken die
       wenigen Zusteigenden zu ihren Abteilen, sammeln die Tickets ein.
       
       Seit die Deutsche Bahn im vergangenen Jahr gleich eine ganze Reihe von
       Nachtzuglinien gestrichen hat, gab es für Zugreisende auf der Strecke
       zwischen Berlin und Paris nur noch tagsüber Verbindungen. Angesichts von
       Fahrzeiten zwischen acht und zehn Stunden – die meiste Zeit übrigens
       innerhalb Deutschlands, obwohl die hier zurückgelegte Strecke nicht
       wesentlich länger ist – und Preisen zwischen 200 und 300 Euro pro Richtung
       machte die Bahn so schlagartig das Fliegen attraktiv.
       
       Aktivisten protestierten mit Kissen und Schlafmützen in Paris Est und am
       Berliner Hauptbahnhof, der Verkehrsausschuss des Bundestags befasste sich
       mit den Einstellungen und lud dazu den Bahnvorstand – doch das Unternehmen
       blieb hart. Kein Nachtzug zwischen Berlin und Paris. Bis die [1][Russische
       Bahn] ihren Fahrplan änderte, den Zug aus Moskau donnerstags und freitags
       nun am Nachmittag starten lässt – und damit eine neue Nachtzugverbindung
       zwischen der deutschen und der französischen Hauptstadt schafft.
       
       ## Eine besondere Atmosphäre
       
       Nachtzüge sind eine eigene Spezies. Was Passagiere angeht, Personal und
       Atmosphäre. Aber der Nachtzug Moskau–Paris ist noch einmal eine andere
       Klasse als die typischen mitteleuropäischen Nachtzugstrecken. Man kann zum
       Beispiel am Abend vor der Abfahrt auf der Website der Bahn nachschauen und
       sehen, dass sich der Zug gerade zwischen Wjasma und Smolensk befindet, oder
       in Orscha Central. Dann hat er noch eine Nacht vor sich und einen Tag, ehe
       man einsteigt, und dann noch eine weitere Nacht, ehe er in Paris Est
       ankommt.
       
       Was macht das mit der Atmosphäre einer Zugfahrt und was sind das für Leute,
       die zwei Nächte und fast zwei Tage zwischen Klappbett und Spiegelfläche,
       zwischen Restaurant und Schlafwagen, zwischen Nachmittagstee und dem
       plötzlichen Aufwachen in der Nacht, weil der Zug steht, verbringen?
       
       Es sind auf alle Fälle nicht viele. Ein gutes Dutzend Fahrgäste warten im
       Berliner Hauptbahnhof, eine französische Familie, zwei Paare, ein paar
       Alleinreisende. Im Zug zeigt sich: Die meisten Abteile sind leer. Entweder
       sind die Reisenden schon ausgestiegen oder die Betten nie belegt gewesen.
       Wer noch da ist, hat sich häuslich eingerichtet. Viele Fahrgäste haben ihre
       Abteile – nicht ganz in Grau, sondern mit Holzimitat, roten und grauen
       Polstern und weißen Bettbezügen – mit Spitzendecken und Nippes geschmückt.
       Kleidung hängt über Bügeln an den Wänden, auf den zu Tischen
       umfunktionierten Waschbecken steht in Alufolie und Plastikschalen
       eingepacktes Essen.
       
       ## Teeservice im Waschbecken
       
       Einige Passagiere huschen am frühen Abend schon in Schlafanzügen durch den
       Gang, im dritten Wagen wäscht eine Frau ihr Teeservice im Waschbecken aus.
       Tassen aus Glas mit silberner Ummantelung, die über die Zeit schon fast
       schwarz angelaufen ist. Nicht das praktischste für zwei Tage im Zug, aber
       stilecht.
       
       Die Nacht beginnt früh. Kurz nach der Ausweiskontrolle klappt die
       Zugbegleiterin das Bett nach unten. Schlafenszeit. Die Russische Bahn wirbt
       zwar mit Mitarbeitern, die ein spezielles Programm durchlaufen haben, unter
       anderem Fortgeschrittenenkurse in Englisch, Französisch und Deutsch.
       
       Wahrscheinlich würden auch rudimentäre Kenntnisse in einer der drei
       Sprachen schon weiterhelfen, doch die Praxis sieht leider anders aus: Wer
       fragen will, ob sich das Bett auch später aufklappen lässt, mit welchem
       Schalter die Klimaanlage etwas weniger frostig kühlt und warum eigentlich
       in sämtlichen Duschen das Wasser abgeschaltet ist, muss Russisch sprechen.
       Merkzettel vor der nächsten Fahrt: ein Kurs Russisch für Anfänger.
       
       ## Die Bar ist geschlossen
       
       Bei aller Häuslichkeit – die Fahrgäste bleiben unter sich. Das Restaurant
       ist die meiste Zeit verwaist, in der ersten Klasse wacht eigens ein
       Mitarbeiter darüber, dass nicht andere Fahrgäste die – geschlossene – Bar
       oder auch nur den Waggon betreten. Auch das in Nachtzügen sonst übliche
       abendliche Treffen samt völkerverständigender Unterhaltungen auf dem Gang
       fällt aus.
       
       Liegt es nur am Waschbecken im Abteil, das den Gang ins Bad zum Zähneputzen
       überflüssig macht? Oder ist es mehr? Denn das Nebeneinander fügt sich in
       die Entwicklung der Nachtzugklientel in den vergangenen Jahren. Zumindest
       in Europa. Die Zeiten, in denen es zwar eine langwierige, dafür aber
       billige Möglichkeit des Reisens war, abends in den Zug zu steigen und am
       nächsten Morgen irgendwo anders anzukommen, sind vorbei.
       
       Wer es billig will, nimmt heute das Flugzeug. Wer es ganz billig will, den
       Fernbus. Entsprechend hat sich auch das Publikum in den Nachtzügen
       geändert. Rucksackreisende sind kaum noch zu finden – auch wer mit
       Interrail-Ticket unterwegs ist, muss immer höhere Aufschläge zahlen.
       Stattdessen: Familien, Menschen, denen es wichtig ist, bewusst und
       ökologisch unterwegs zu sein.
       
       ## Ausgeruht ankommen
       
       Der Nachtzug, das Reiseäquivalent zum Slow Food. Dazu passt, dass es im Zug
       der russischen Bahn keine Sitzwagen gibt: die Economy Class ist
       abgeschafft. Nachts reisen heißt hier, tatsächlich liegen. Schlafen.
       Ausgeruht angekommen. Das geht vor allem deshalb unerwartet gut, weil der
       Zug im Gegensatz zu manch früherem Nachtzug der Deutschen Bahn erstaunlich
       ruhig fährt. Kein großes Geruckel bei Weichen, kein abruptes Abbremsen,
       keine Party im Nachbarabteil.
       
       In Erfurt um halb elf steigt niemand mehr ein, in Karlsruhe um vier Uhr
       morgens erst recht nicht. Nicht einmal Raucher nutzen die Pausen zum
       hastigen Inhalieren. Erst pünktlich um 9:16 Uhr purzeln die Fahrgäste aus
       dem Zug. Beladen mit Koffern, Tüten und Hutschachteln, die wirken wie aus
       der Zeit gefallen.
       
       7 Nov 2015
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Svenja Bergt
       
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