# taz.de -- BBC-Krimiserie „The Fall“: Mehr als das alte patriarchale Spiel
       
       > Gillian Anderson jagt einen Serienmörder durch Belfast. Auf eine
       > Entmenschlichung der weiblichen Opfer verzichtet „The Fall“
       > dankenswerterweise.
       
 (IMG) Bild: Markenzeichen Seidenbluse: Gillian Anderson in „The Fall“
       
       Detective Superintendent Stella Gibson trägt gerne Seidenblusen. Die ersten
       Knöpfe immer geöffnet. Ihre Seidenbluse unterscheidet die
       Kriminalkommissarin von ihren Kolleginnen und Kollegen in Belfast, die
       meistens in voller Polizeimontur neben ihr stehen. Doch die Bluse ist mehr
       als nur reines Distinktionsmerkmal, sie steht auch für Haltung und
       Selbstbestimmung. Was für Claire Underwood die Louboutins-Highheels mit der
       roten Sohle sind und für Kommissarin Lund der Norweger-Pulli ist, ist eben
       für Gibson die Seidenbluse.
       
       Dabei lernen die Zuschauer_innen Stella Gibson in der ersten Szene der
       BBC-Dramakrimiserie „The Fall“ ganz anders kennen. In ihrem Bad mit
       Blümchen-Pyjamahose, Maske im Gesicht und kurzem T-Shirt. Im Bild die
       offene Türspalte, sie packt ihren Koffer. Einblick ins Private. Schnitt.
       Parallel dazu setzen Allan Cubitt (Buch und Regie) und Jakob Verbruggen
       (Regie in den ersten drei Folgen) den Serienmörder Paul Spector (Jamie
       Dornan) in Szene, der mit Sturmhaube, Einweghandschuhen und ganz in schwarz
       gekleidet in eine Wohnung einbricht. Er durchwühlt die Schubladen der
       Hausbesitzerin, macht ein Selfie von sich im Spiegel, isst eine Orange.
       
       Schnitt. Sarah Kay (Laura Donnelly), in deren Wohnung Spector gerade
       einbricht, sitzt in einer Bar und redet mit einem Kollegen über Bedürfnis
       und Verlangen, über das Matriarchat, über die Mosuo. Als Sarah Kay nach
       Hause kommt findet sie ihre Dessous schön zurechtgelegt auf dem Bett, und
       darunter ihren Dildo. Schnitt.
       
       Gillian Anderson, bekannt als Dana Scully aus der 90er-Serie „Akte X“,
       spielt Stella Gibson mit einer unglaublich fesselnden Zurückhaltung, immer
       erscheint sie gelassen. Und Jamie Dornan (Christian Grey in „Fifty Shades
       of Grey“) liefert ein nuanciert unangenehmes Psychogramm ab, das vor allem
       über seinem leeren Blick funktioniert, zum Beispiel wenn er onaniert.
       
       ## Die Opfer bekommen Konturen
       
       Auch dank seiner Hauptdarsteller umgeht Allan Cubitt das Unbehagen die x-te
       unnötige Serie aus der Perspektive eines Serienmörders zu liefern. Aus
       diesem Grund werden in „The Fall“ Paul Spectors Opfer auch nicht einfach
       ausgebeutet, sondern bekommen Konturen. In [1][einem Gastbeitrag aus dem
       Jahr 2013] im Guardian schreibt Cubitt: „Eine Möglichkeit, solche
       Verbrechen zu begehen, ist durch Objektivierung und Entmenschlichung ihrer
       Beute. Ich denke, es ist wichtig, dass Drama dies nicht tut.“
       
       Unter anderem sind deswegen auch die Parallelen so wichtig. Ständig werden
       Spector und Gibson gegeneinander geschnitten. Gibson bei der Arbeit,
       Spector bei der Arbeit. Spectors Tagebuch, wo er seine Mordfantasien
       aufschreibt, seine Opfer zeichnet und Fotos hineinklebt. Gibsons
       Traumtagebuch neben dem Bett. Das Katz-und-Maus-Spiel bekommt dadurch etwas
       Theatralisches.
       
       Die visuelle Kraft von „The Fall“ zeigt sich direkt in der ersten
       (Doppel-)Folge, die das ZDF am Sonntagabend ausstrahlt. Regisseur
       Verbruggen lässt die Kamera über Pauls Schlafzimmerwände nach oben hin
       abwandern. In der Vogelperspektive schwenkt sie anschließend durch alle
       Räume. Hier, in seinem Privaten, ist Paul machtlos. Macht erhält er erst
       durch das Stalken, durch das Eindringen in die Privatsphäre der Frauen, die
       alle um die 30 Jahre alt und dunkelhaarig sind, die alle Karrieren haben.
       Macht. Es ist das alte patriarchale Spiel. Das erkennt Gibson sofort.
       
       ## Jenseits des Stereotyps
       
       Mehrere englischsprachige Rezensent_innen lesen die Figur der Stella Gibson
       als unterkühlt, als emotionslos, als enigmatisch. Aber ist eine weibliche
       Serienfigur unterkühlt, wenn sie nicht stereotyp dargestellt wird? Wenn sie
       nicht ständig weint? Wenn sie keine psychologischen Ballast aus dem
       Privaten mitnimmt? Oder ist Gibson emotionslos, weil sie sich Sex dann
       nimmt, wenn sie ihn haben möchte?
       
       In der ersten Folge lädt sie sehr direkt einen anderen Polizisten zu sich
       ins Hotelzimmer ein und serviert ihn am nächsten Tag ab, nachdem er ihr ein
       halbnacktes Selfie geschickt hat. Die Seidenbluse bleibt übrigens beim Sex
       an. Auch hier behält Gibson die Kontrolle.
       
       15 Nov 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.theguardian.com/tv-and-radio/2013/jun/07/the-fall-allan-cubitt-women-violence
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Enrico Ippolito
       
       ## TAGS
       
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