# taz.de -- Im Anwohnerpark
       
       MANJA PRÄKELS 
       
       ## Teil 11: Beim Barte des Schneeleoparden
       
       Dunkelgrau, kalt und nass hatte der November die kleine Straße schließlich
       doch in eine dieser scheußlichen Berliner Häuserschluchten verwandelt, die
       ihren Bewohnern Fernweh und Trübsinn bescherten. Die milden Tage waren
       vorüber. Der Wind zerrte die letzten Blätter von den Ästen. Feiner
       Sprühregen drang durch die Stoffe der Mäntel, bis auf die Haut. Die Leute
       liefen vornübergebeugt und eilig ihren Geschäften nach, hielten ihre Krägen
       fest, die Schirme. Unter blickdichten Planen, die sich zu mächtigen Segeln
       blähten, ruhten die Bauarbeiten an den entkernten Häusern nur scheinbar.
       Aus den Innereien der Galeeren drangen weiterhin Schleifgeräusche,
       metallisches Wummern und der Geruch von verbranntem Lack. Manchmal trat ein
       Bauerbeiter mit zusammengekniffenen Augen ins Tageslicht, schlug sich den
       Staub von den Kleidern und stand fremd in der Gegend herum. Die vorbei
       eilenden Passanten wichen den Männern aus wie einem Verkehrshindernis,
       beiläufig und konsequent.
       
       Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Nach einer Weile braucht er einen
       Drink. 
       
       So sehr Hildegard auch schrubbte: Der Spruch ging einfach nicht mehr weg.
       Der stille Ort ihrer blaulichtgenannten Kneipe schien in letzter Zeit so
       etwas wie magische Kräfte zu entfalten. Ein Eigenleben. Hier hatte sie ihn
       gefunden, in diesem Abflussrohr, ihren Schatz... Die Wirtin blickte
       versonnen in die Schüssel. Demnächst könnte sie in Phase zwei eintreten und
       endlich unabhängig werden von den neuen Hausbesitzern, irgendwelchen
       Planungsbüros, der dämlichen Tante beim Finanzamt, ganz zu schweigen von
       Lolle, Heiko, Sprottenpeter und den anderen Säufern! Nur noch eine Hürde
       war zu nehmen. Doch die hatte es in sich. Sie musste Fritze alles beichten.
       Ogottogott. Seufzend setzte sich Hildegard auf den Klodeckel, zündete eine
       Zigarette an und sah dem Rauchkringel beim Verschwinden zu.
       
       „Bay mir bistu sheyn ...“ Django lag auf seinem Bett im letzten unsanierten
       Haus und summte. Am Abend würden sie bei einer Gala aufspielen. Liefe es
       gut, könnten weitere Gigs dabei rausspringen. Er hatte seine Jungs
       wochenlang darauf eingeschworen, Schnaps spendiert, Stücke neu arrangiert,
       sie zum Spielen animiert. Sie vertrauten ihm, keine Frage. Dummerweise
       hatte der beste Gitarrist aller Zeiten sein Instrument versetzt. „Bay mir
       bistu tayerer fun gelt.“ Django hielt inne, sprang von seinem Bett zur
       Küche und schaffte es gerade noch rechtzeitig bis zum Waschbecken.
       Schmerzhaft erinnerte er sich an seine eigene Anmoderation: „Wo bleibt denn
       da der Stil, meine Herren?“ Django richtete sich auf, wischte sich die
       Spucke aus dem Gesicht und blickte entschlossen in den kleinen
       Schminkspiegel, den die liebste Lale mit Gaffa an seinen Küchenschrank
       geklebt hatte. Da hing noch Kotze in seinem Haar.
       
       „Ich finde das nicht gut. Das passt doch gar nicht ins Konzept!“
       
       Anne konnte nicht glauben, was sie da hörte. Lange hatte sie versucht, das
       Gespräch ihrer Gäste zu ignorieren, war geschäftig zwischen Lager und Theke
       ihres Bioladens hin- und her gerannt und zweimal ans Telefon gegangen,
       obwohl das inzwischen Nura übernahm. Sie kannte die beiden seit einer
       Ewigkeit. Kunden der ersten Stunde. Spießer, ja, aber nie unfreundlich oder
       doof.
       
       „Wer weiß denn auch, was die für Krankheiten haben.“
       
       „Entschuldigung, Sie wollen zahlen?“
       
       Annes Stimme zitterte. Es war ihr egal.
       
       „Äh, nein.“
       
       „Doch. Hier ist die Rechnung.“
       
       Das Pärchen griff sich bei den Händen.
       
       „Es ist eine Unverschämtheit...“
       
       „Ja, das finde ich auch. Wir bedienen hier keine Rassisten, nicht wahr,
       Nura?“
       
       Die Studentin der Agrarwissenschaften antwortete nicht. Sie war schließlich
       nur eine Aushilfskraft und hatte keine Ahnung, worum es ging. Andererseits
       mochte sie ihren Job. Nura legte das Brotmesser aus der Hand und
       beobachtete, wie die ängstliche Fassungslosigkeit im Gesicht der Gäste in
       Empörung umschlug.
       
       „Naijn, Rrassiisten bediienen wiirr hiierr niicht.“
       
       Beim Barte des Schneeleoparden, sie hasste ihren Akzent. Hatten die sie
       überhaupt verstanden? Die beiden zahlten wortlos, grün vor Wut. Anne drehte
       sich zu Nura um: „Danke.“ Sie redeten nicht mehr darüber.
       
       „Kiek an, die Ordnungsmächte!“
       
       Finsteren Blicks marschierten die Kontrolleure in Gruppenstärke die Straße
       auf und ab. Sie schauten konspirativ in Hauseingänge und gaben sich
       gegenseitig Rückendeckung, während sie wieselflink Knöllchen verteilten und
       Abschleppwagen alarmierten. „Parkraumbewirtschaftung im Sanierungsgebiet!“
       Fritze verschluckte sich vor lauter Ärger am Kaffee. Hildegard sprang bei,
       haute ihrem Lieblingsstammgast auf den Rücken und vollendete den Gedanken:
       „Is’ne Lizenz zum Gelddrucken.“ Das Thema ließ sie nicht mehr los. An jedem
       der Kneipentische des blaulicht war bereits darüber diskutiert worden.
       Immer öfter kam es vor, dass Gäste den zugigen Platz an der Tür besetzten,
       hinausstarrten, tranken und gehetzt aufsprangen, sobald sie eine der
       Uniformen erkannten oder tatsächlich ein Auto wegfuhr. Hildegards zumeist
       unmotorisierten Stammgäste erlebten ungeahnte Schauspiele. Die da plötzlich
       saßen – blasse Büromenschen, gebräunte Businesstypen und naseweise
       Dienstwagenbesitzer – passten so gar nicht in die blaulichtwelt. Bis auf
       das Trinken. Hildegard konnte den kommenden Ärger förmlich riechen. Da trat
       Django an den Tresen, räusperte sich und blickte der Wirtin unschuldsvoll
       in die Augen.
       
       „Hildchen, ich weiß, ich darf hier nicht sein, aber ich brauch dringend
       hundert Euro.“
       
       „Seit wann hab ick denn Jeld zu verschenken? Nee. Verschwinde.“
       
       Mit hängendem Kopf und bar jeder Streitlust trottete Django vor die Tür, wo
       prompt ein aalglatter Anzugträger auf ihn zutrat. Als hätte er auf ihn
       gewartet. Hildegard stutzte. Kannte sie den? Die beiden redeten nur kurz.
       Dann verschwand der Mann wieder. Django klopfte grinsend an die Scheibe. Er
       hatte sein Geld.
       
       19 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manja Präkels
       
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