# taz.de -- Die Wahrheit: Die Blüten des Terrors
       
       > Nach den Attentaten von Paris bekämpfen findige Bürger die Angst vor der
       > Bedrohung auf ihre Art und zeigen damit: Man kann etwas tun!
       
 (IMG) Bild: Bedrohliche Taranteln werden aus dem Verkauf genommen.
       
       Es ist kühl geworden in Deutschland. Der Wind streicht durch verlassene
       Alleen. Straßen und Spielplätze wirken wie ausgestorben. Nur vereinzelt
       huschen blässliche Gestalten übers Trottoir und verkriechen sich alsbald im
       Schutz geheizter Wohnzimmer. Ist es die Angst vor Terror, die das
       öffentliche Leben zum Erliegen bringt? Oder ist die gespenstische Stille
       doch nur dem Herbstwetter geschuldet?
       
       Sicher ist: Nicht nur am Himmel, auch über den Köpfen der Menschen hängen
       dunkle Wolken. Die Frage, wo und wann der nächste Anschlag von IS, al-Qaida
       oder AfD verübt wird, treibt die Gemüter um; die Berichterstattung nach den
       Morden in Paris hat gezeigt: Es kann jeden treffen. Wie gehen die Bürger
       mit der allgegenwärtige Gefahr um?
       
       Kneipenwirt Andi Stelzer, der in Nürnberg-Gunzenhausen die Herrenklappe
       betreibt, sieht’s pragmatisch: „Wir haben heute versucht, uns den IS
       schönzutrinken, B52s gab’s zum halben Preis. Hat nicht funktioniert, aber
       ich hab ’nen Wahnsinnsumsatz gemacht, wie jeden Abend jetzt. Danke,
       Alkohol!“
       
       ## Entspannte Schräghaltung
       
       Mit dieser entspannten Schräghaltung sitzen Stelzer und seine Freunde
       hierzulande ziemlich allein da. An anderen Orten herrscht helle Aufregung,
       in die sich jetzt auch noch die Angst vor Terrorismus mischt. „Ich habe
       immer schon gesagt, dass es gefährlich ist, wenn islamistische Wollschädel
       in unsere Städte kommen und dort auf andere Leute schießen“, zetert die
       pudelgesichtige Tierhandlungsinhaberin Sieglinde Malzbrot aus Tübingen.
       „Aber auf mich hört ja niemand.“
       
       Sicherheitshalber habe sie alles aus dem Sortiment genommen, was die Kunden
       an Terror erinnern könnte: „Terrier, Terrarien, Terranteln, sogar
       Mitarbeiter Terry habe ich gefeuert und Frieda eingestellt. Bloß den Namen
       ‚Ihr Tierorist‘ konnte ich noch nicht ändern. Zu blöd dieses
       Gemeinschaftsgeschäft mit dem Floristen, wenn ich das vorher gewusst
       hätte!“ Für den Fall eines Angriffs hat Frau Malzbrot vorgesorgt: Im
       Schaufenster hängt gut sichtbar das Plakat „Hier bitte nicht schießen,
       sonst schieße ich zurück“, darunter eine Kalaschnikow.
       
       Wenn es darum geht, sich vor Anschlägen zu schützen, entwickeln viele
       findige Bürger kreative Ideen. Die Eisenacher Kindergärtnerin Heidrun
       Ginsterwebe hat gute Erfahrungen mit Rosenquarzen gemacht: „Ich quarze
       einfach jeden Tag ein paar Rosen und spreche dabei mit Shiva, Venus und
       verschiedenen Erzengeln.“ Erst wenn ihr aus dem Lichtäther ein sicherer
       Channel angeboten werde, verlasse sie das Haus. „Ich bin dann den ganzen
       Tag durch so eine Eso-Kuppel abgeschirmt, die mich immun gegen äußere
       Einwirkungen macht, sogar gegen Kugeln und Argumente.“
       
       Ein islamistischer Attentäter würde außerdem die positive Energie, die von
       ihr ausgehe, gar nicht ertragen. „Man darf sein Dasein nicht von der Angst
       bestimmen lassen, sondern nur von der Beziehung zu abstrakten Mächten.“
       Denn den Kampf gegen den Terror, das weiß auch Frau Ginsterwebe, gewinnt
       man nicht auf der Schlachtbank, sondern im Kopf.
       
       Es ist die Vorstellung, der Terror könnte ihre Freiheit einschränken, die
       vielen Menschen aktiven Widerstand zur Pflicht werden lässt. Karl
       Ruzinesen, ein rüstiger Rentner aus Winsen an der Luhe, beugt lieber vor.
       Wann immer er Geld entbehren kann, kauft er ein Gepäckstück und stellt es
       unbeaufsichtigt am Bahnhof ab. Manchmal gelingt der Plan, und die Station
       wird für einige Stunden gesperrt.
       
       „In dieser Zeit kann dort kein Bombenleger sein hässliches Werk verrichten.
       Wer weiß, wie viele Anschläge ich bereits verhindert habe. Wahrscheinlich
       habe ich Tausenden das Leben gerettet!“, gibt Herr Ruzinesen sich
       zuversichtlich. Mehrmals schon hatte er wegen seiner Umtriebe Ärger mit der
       Polizei, die ihn heim ins Heim bringen musste, doch ihm ist das egal. „Wer
       denkt, ich würde jetzt klein beigeben, kennt Karl Ruzinesen ganz schlecht.
       Ein Karl Ruzinesen zieht seine Sache durch.“
       
       ## Große Ungewissheit
       
       Die große Ungewissheit, welches Ziel das nächste Terrorkommando attackieren
       wird, lässt manche kaum noch schlafen. Aus jeder Ritze, jedem Winkel
       feindet Hass, freie Flächen flüstern Mordlust. „Wo sollen wir denn jetzt
       noch angstfrei hingehen?“, klagt Tourismusmanagerin Irene Schendrig von der
       Insel Baltrum. „In unserem Fremdenzimmer war neulich schon so ein Ausländer
       mit Vollbart, den ich einfach nicht verstehen konnte, beinahe hätte ich die
       Polizei gerufen. Aber dann war es doch nur mein Mann, der Achtelholländer.
       Man wird halt misstrauisch, wenn man die Nachrichten hört, die uns hier
       einmal wöchentlich von einem berittenen Boten übers Watt gerufen werden.“
       
       Sogar den Blitzableiter hat Frau Schendrig demontiert und zum Spieß
       umgewidmet. „Wer weiß, wann die nächste Lieferung spitzer Gegenständen vom
       Festland eintrifft, man kann nie vorsichtig genug sein!“
       
       In der Nürnberger Herrenklappe ist man derweil wieder beisammen: „Heute
       versuchen wir, uns Fußball-Hooligans schönzutrinken“, prostet Kneipenwirt
       Stelzer. „Ich bin guter Dinge, dass wir das diesmal schaffen. Hauptsache
       aber, der Umsatz stimmt. Danke, Alkohol!“
       
       24 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Valentin Witt
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Terror
 (DIR) Angst
 (DIR) Wahl Österreich
 (DIR) Blankenese
 (DIR) Stiftung Warentest
 (DIR) Schwerpunkt Islamistischer Terror
 (DIR) Schwerpunkt Front National
 (DIR) Anthropologie
 (DIR) Wespen
 (DIR) Sportmedizin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Die tote Ratte von Wien
       
       Der Österreich-Krimi: Nach der Wahl des Bundespräsidenten stinkt es
       gewaltig in dem kotelettförmigen Land.
       
 (DIR) Die Wahrheit: In der letzten Idylle
       
       Im Hamburger Vorort Blankenese rüstet sich ein Verbitterungsmilieu der
       allerhöchsten Gehaltsklasse zur zweiten Runde im Flüchtlings-Streit.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Gefährlicher Flausch
       
       Kinderarbeit heute: Wie die Stiftung Warentest Kuscheltiere testet und die
       Qualitätskontrolle tierähnlicher Textilobjekte verschärft.
       
 (DIR) Nachbeben der Anschläge in Paris: Tage des erschütterten Lesens
       
       Nach den Terroranschlägen laufen Medien auf erhöhtem Energielevel. Und ihre
       Rezipienten schwanken zwischen Schock und Verstehenwollen.
       
 (DIR) Nach den Anschlägen in Paris: Aus der Mitte der Gesellschaft
       
       Der Aktivist Sissoko und der rechtsnationale Politiker Guiniot haben nicht
       viel gemein. Wie wirken sich die Anschläge auf sie aus?
       
 (DIR) Die Wahrheit: In Orangengehirnen
       
       Der kürzlich gefundene Urmensch gibt viele Rätsel auf. Das größte lautet:
       Wie konnte aus dieser fixen Idee eine Erfolgsstory des Menschen werden?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Bei der Wespenzüchterin
       
       Die Wespe ist mitnichten ein Plagegeist, sondern bietet bislang
       unerschlossene Geschäftsfelder: Kerbtierkunde betriebswirtschaftlich
       betrachtet.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Winnetous Wut
       
       Ein Hausbesuch beim weltberühmten Münchner Wunderdoktor und ehemaligen
       FC-Bayern-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt