# taz.de -- Die Wahrheit: Vier Wände des Terrors
       
       > Auch wenn ihr Beruf spannend erscheint: Die Lebenswelt junger
       > Dschihadisten ist häufig erschreckend unspektakulär.
       
 (IMG) Bild: Dschihadisten radikalisieren sich auch unter dem Einfluss trostloser Wohnungseinrichtungen.
       
       Junge Männer steuern Flugzeuge in Hochhäuser, schießen in Menschenmengen
       oder sprengen sich und jede Menge andere Leute in die Luft: Islamistische
       Selbstmordattentate sind längst von der Nischen- zur Trendsportart
       avanciert. Auch nach den jüngsten Anschlägen suchen viele die Schuldigen
       hinter den Schuldigen.
       
       Bisher konnte jedoch weder der saubere Herr „Westen“ noch der feine
       Monsieur „Islam“ dingfest gemacht werden. Immerhin: Durch seine kaum
       verschlüsselten Ankündigungen in Dabiq und Inspire – Onlinemagazinen für
       den Gotteskrieger von Welt – wurden wir auf einen jungen
       Selbstmordattentäter in spe aufmerksam. Wir trafen ihn bei sich zu Hause
       und sprachen mit ihm über seinen Werdegang und seine Motive.
       
       Ein Reihenhaus in Nordhorn (Gütersloh), schmucklos, aber sauber. Ein junger
       Mann öffnet uns in liebevoll bestickten Pantoffeln die Türe. Der lange Bart
       wirkt in seinem bubenhaften Gesicht wie angeklebt. Schüchtern bittet er uns
       herein und fragt, ob wir „Gästepantoffeln“ anziehen könnten. Er lächelt
       scheu: „Ein Tick von mir“. Mahmoud ibn Qahba ist 26 Jahre alt und Sohn
       eines polnischen Systemingenieurs für Hausgerätesteuerung und eines
       deutschen Hausgeräts namens Susanne. Bis zum 9. November 2014 hieß er
       Tilman Bokowski, dann sprach er in eine Web-Kamera die Schahada und nahm
       seinen muslimischen Namen an.
       
       Ibn Qahba führt uns zu einer gemütlichen Sitzgruppe. Bei einem Glas Minztee
       (mit frischer Minze!) fragen wir, ob es nicht riskant sei, mit uns zu
       sprechen. „Iwo“, winkt er ab. „Die Geheimdienste haben ja ohnehin meine
       Daten.“
       
       Unsere Verblüffung legt sich schnell, und wir plaudern mit dem jungen Mann
       über seinen Wandel von der Trantüte zum Gotteskrieger: Im Kindergarten
       „Wilde Wichtel“ fiel der Dschihadist dadurch auf, dass er kaum auffiel.
       Lieber als mit anderen spielte der kleine Tilman allein in der Ecke an
       seinem Piller. Im Stuhlkreis wollte er nicht mitsingen, in den Pausen
       machte er toter Mann. Aufgrund seiner sehr schönen Augen und eines
       beachtlichen Basteltalents ließ man ihn jedoch gewähren. Auch seine
       Schullaufbahn verlief unspektakulär – weder urinierte er auf Katzen, noch
       zündete er sein Bett an. Seine mittlere Reife machte er mit einem Schnitt
       von 2,7.
       
       „Bei der Bundeswehr wurde ich von den Kameraden oft durchgekuschelt“, sagt
       Mahmoud. „War mir total egal.“ Danach das übliche:
       Ego-Shooter-Netzwerk-Partys, Freundinnen mit Essstörungen, eine
       abgebrochene Ausbildung zum Landschaftsgärtner, das nagende Gefühl, dass
       etwas nicht stimmt, die immer wieder aufflackernde Idee, irgendetwas mit
       Medien zu machen oder mit dem Werkstoff Glas.
       
       ## Trauriger Milchbart
       
       „Eine Weile war ich glühender Schalke-Fan“, bekennt der Wahl-Muslim
       freimütig. „Aber eines Tages, mitten im Stadionjubel über einen Heimsieg,
       kam mir das so leer und sinnlos vor. Ich sah plötzlich einen endlosen,
       desinteressierten Himmel über mir und betrunkene, total verzweifelte
       Vollidioten um mich herum. Ich wurde depressiv.“
       
       Der tieftraurige Milchbart zog sich ins Internet zurück, wie ein Schneck
       ins Häuschen. Erst schaute er süße Tiervideos, dann Serien. „Game of
       Thrones“ kann er bis einschließlich der vierten Staffel empfehlen, dann
       werde es öde. Schließlich suchte Mahmoud ibn Qahba sogar nach einem Job,
       fand im Netz aber nur Stellen, für die ihm entweder die Qualifikation oder
       die Leidenschaft fehlte. Das aber wollte er: für eine Sache Feuer und
       Flamme sein!
       
       „Je mehr Stellenanzeigen ich bei Jobpilot oder Stepstone gelesen habe,
       desto schlechter ging’s mir“, sagt Mahmoud und fischt eine
       Captagon-Tablette aus seinem Bart. „Da soll man wer weiß was können, um
       topmotivierter Key-Account-Manager bei einem mittelständischen
       Zahnbürstenhersteller in Südhessen sein zu dürfen. What the doublefuck?“
       
       ## Das Ende aller Sorgen
       
       Wir nicken. Als Journalisten kennen wir das Gefühl, vom Leben betrogen
       worden zu sein. Ab einem gewissen Alter resigniert man einfach. Aber
       Mahmoud ist noch jung und voller Träume. Und er hatte Glück: Die in Indien
       gehostete Homepage Dein-Imamsagtdirwoeslanggeht.com enthielt ein
       Stellenangebot, das für ihn passte wie der Sprengsatz in die Synagoge: „Sie
       sind jung, belastbar, flexibel? Sie haben Spaß an Action und machen lieber
       etwas kaputt, als mühsam etwas aufzubauen? Sie brennen darauf, Teil eines
       transnationalen Teams mit Larger-than-life-Mission zu werden? Bingo! Sie
       bieten 100 Prozent commitment (arabisch: ‚Islam‘) – wir bieten ein
       True-Life-Role-Playing-Game mit Megastory und 100 Prozent Garantie für das
       Ende all Ihrer Sorgen!“
       
       Wir sind am Ende unseres Gesprächs. Mahmoud muss los. Heute ist sein großer
       Auftritt an einem Ort, den er nicht verraten will. Wir sind etwas
       schwermütig. Irgendwie ist uns der Bursche ans Herz gewachsen. Um noch
       etwas Zeit zu gewinnen, fragen wir ihn nach seiner liebsten Koransure.
       Mahmoud kratzt sich am Kopf: „Da erwischen Sie mich jetzt auf dem falschen
       Fuß. Hab lange nicht mehr reingeschaut in den Schmöker. Die ‚Tribute von
       Panem‘ fand ich spannender.“ Wir nicken. Geht uns ja genauso.
       
       2 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anselm Neft
       
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